Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Islamismus

Antisemitismus im neuen Europa. Das Fanal von Toulouse im Kontext

 

Am 19. März 2012 ermordete in Toulouse ein islamistischer Franzose algerischer Herkunft vier Juden. Am selben 19. März hielt die Außenbeauftragte der Europäischen Union, die Britin Catherine Ashton, eine Rede vor der UNRWA. Darin setzte Ashton die antisemitischen Morde in Toulouse, die aufgrund des sehr gezielten Aufsuchens einer jüdischen Schule offensichtlich waren, mit der Situation im Gazastreifen gleich. Das ist eine antisemitische Reaktionsweise: es werden vier Juden ermordet und eine typische europäische Politikerin spricht sofort von Israelis (also Juden) als Täter bezüglich der Situation im Gazastreifen, wo Israel zudem gar nicht herrscht, aber der Ableger der Muslimbrüder, die antisemitische Bande Hamas, der Islamische Jihad und weitere Gruppen Raketenterror gegenüber Israel betreiben. Der aus der CDU ausgeschlossene Martin Hohmann (ein Bewunderer Joachim Gaucks schon im Jahr 2003), der im Konjunktiv von den Juden als von einem „Tätervolk“ fabulierte, lässt schön grüßen. Ashton projiziert Schuld und täuscht Trauer ob der ermordeten Juden noch nicht einmal vor. Schamloser Antizionismus ist längst zur Lingua Franca Europas geworden. Das brüllende Schweigen der deutschen Elite, von Merkel über Habermas, Westerwelle und weitesten Teilen der Menschrechtes- und politischen NGO-Szene, tut ein Übriges.

Alle schweigen? Keineswegs: Der Mord an den vier Juden in Toulouse lässt den ehemaligen Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin, Wolfgang Benz, völlig kalt. In einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt sagte er:

 „Ich fürchte, dass kaltblütige Taten wie die von Oslo und Toulouse normale Gewalt in einer Massengesellschaft ist. (…) Ich sehe keine Zunahme des Antisemitismus. Es ist traurig genug, dass es Menschen gibt, die Juden feindlich gegenüber stehen. Doch ich warne auch vor dramatisierenden Schlagzeilen bei Veröffentlichungen dieser Studien.“

Der Tod an Juden gereicht dem Vorzeigdeutschen zur Warnung (!) vor Antisemitismus zu warnen. Im gleichen Gespräch unterstützt Benz den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, einer, der auch nicht schweigt und ebenso gezielt, die Tastatur als Waffe benutzend, am 14. März morgens auf seiner Facebook-Seite im Internet den Eintrag postete:

 „Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“

Das war kein Ausrutscher und nicht zufällig. Gabriel möchte den Hass auf Israeli anstacheln und Benz kommentiert im Hamburger Abendblatt:

„Ich kann bei Gabriels Äußerungen keinen Antisemitismus feststellen. Es ist doch nicht frei erfunden, dass Israel sich als ein Staat definiert mit einem bestimmten Staatsvolk. Und es ist auch nicht frei erfunden, dass Nichtjuden einige zusätzliche Kontrollen durch israelische Behörden über sich ergehen lassen müssen. Wenn das Gabriel an einen Staat erinnert, in dem Bürger mit zweierlei Recht behandelt werden, dann kann ich das nachvollziehen.“

In einem Aufruf der DIG in Stuttgart zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Israel heißt es:

„Moslems haben in Israel mehr Rechte als in Deutschland. Arabisch ist eine offizielle Sprache in Israel. Warum leben die mehr als eine Million arabischer Israelis lieber in Israel als in arabischen Staaten oder unter der Herrschaft der Hamas in Gaza? Warum drängen sie Israel zu Gesprächen mit der antisemitischen Terrororganisation Hamas? Wäre es nicht angebrachter, die Anerkennung des jüdischen Staates durch die Palästinenser zu verlangen?“

Der Historiker Wolfgang Benz hingegen kann es also „nachvollziehen“ wenn Israel als Apartheidstaat bezeichnet wird. Damit fördert Benz Antisemitismus. Schon längst ist er keine seriöse Quelle mehr, so er es je war – doch was kümmert das ebenso kümmerliche deutsche Medien oder Forscherkolleginnen und -kollegen? Am 1. November 2010 gab Benz der islamistischen und antisemitischen Internetseite Muslim-Markt, die seit Jahren für ihre pro-iranische und zum Boykott Israels aufrufende Propaganda berüchtigt ist, ein herzliches Interview. Das macht weder dem Hamburger Abendblatt noch seinen Kollegen der TU Berlin oder sonstwo etwas aus, generations- und geschlechterübergreifend.

Dem Abendblatt sagte Benz:

 „Ich sehe nur bei fünf Prozent der Deutschen klare judenfeindliche Einstellungen, das sind die Ewiggestrigen mit ihren Stammtischparolen.“

Das ist an Absurdität und Unwissenschaftlichkeit nicht zu übertreffen. Nur ein paar Hinweise statistischer Natur seien hier gegeben: Nach einer repräsentativen Umfrage der AntiDefamationLeague (ADL) in zehn europäischen Ländern im Januar 2012, die im März 2012 veröffentlicht wurde, sagen z.B. 43% der Deutschen, Juden würden zu viel an den Holocaust erinnern. Für 14% sind Juden für den Tod Jesu verantwortlich, die Zustimmung zu wenigstens drei (von der ADL ausgewählten) antisemitischen Stereotypen ist in Deutschland von 2009 bis 2012 von 20% auf 21% gestiegen. 52% der Deutschen glauben im Jahr 2012, Juden seien dem Staat Israel gegenüber loyaler als gegenüber Deutschland. 34% der Deutschen sagen, dass sie Juden in Deutschland durchaus danach beurteilen, wie sich Israel politisch verhält, 2009 hatten 25% diese antisemitische Sichtweise. Wer sich an die antisemitischen Massendemonstrationen in Deutschland die letzen Jahre erinnert, insbesondere im Januar 2009, aber auch an die einstimmige antiisraelische Bundestagsresolution von Juli 2010, und wer regelmässig und kritisch die deutschen Medien verfolgt, erkennt die Massivität antisemitischer Ressentiments bis weit in die Mitte der Gesellschaft. Dazu kommen noch viele antisemitische Straftaten, häufig von Neonazis begangen, wobei z.B. das massenhafte Brüllen antisemitischer Parolen auf Demonstrationen (vor allem auf Deutsch, Arabisch und Türkisch) nicht in solche Statistiken Eingang findet!

Es sind noch zwei weitere antisemitische Ereignisse in den letzten Tagen, die von großer Bedeutung sind und einen Trend anzeigen: am 16. März marschierten in der lettischen Hauptstadt Riga zum wiederholten Male ehemalige SS-Männer und ihre jungen Neonazi-Fans auf, führende Politiker unterstützten den Marsch. Der Protest war gering, gleichwohl unüberhörbar, unter anderem Dovid Katz, Sprachwissenschaftler und Jiddisch-Forscher, und der Historiker Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Büros des Simon Wiesenthal Centers, waren vor Ort und berichteten. Die am 3. Juni 2008 in der tschechischen Hauptstadt von einigen bekannten Politikern und Aktivisten unterzeichnete Prager Deklaration ist ganz im Sinne der SS-Männer, da sie den ‚Kommunismus‘ als genauso schlimm verurteilt wie den Nationalsozialismus (vgl. dazu ausführlicher das Buch Ein Super-GAUck). Da rennen die Aktivisten in einem Land wie Lettland offene Türen ein, ist doch regelrechter Hass auf die Sowjetunion und eine tiefe Bewunderung für den Nationalsozialismus und die Deutschen seit der neuerlichen Unabhängigkeit des Landes Anfang der 1990er Jahre alltäglich, wie nicht nur diese SS-Aufmärsche auf brutale Weise zeigen. Auch in Litauen wird Nazi-Deutschland verehrt. In keinem Land wurden in der Shoah prozentual mehr Juden ermordet als in Litauen, über 95%. Im Jahr 2008 wurden Ermittlungen gegen jüdische Partisaninnen und Partisanen eingeleitet, weil sie sich mit Hilfe der Roten Armee gegen die deutschen Mörder und ihre litauischen Gehilfen bewaffnet wehrten.

Die Prager Deklaration war auch im Vorfeld von den baltischen Ländern mit vorbereitet worden, ein ehemaliger litauischer Präsident, Landsbergis, ist unter den (wenigen, also: ausgewählten) Erstunterzeichnern. Ein weiterer Erstunterzeichner wurde am 18. März 2012 zum Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt: Joachim Gauck. Gauck sieht im Holocaust keinen Zivilisationsbruch und keine Einzigartigkeit mit weltweiter Bedeutung. Getrieben vom Furor des Pfarrers und Antikommunisten, setzt Gauck die Shoah und den ‚Kommunismus‘ gleich. Bereits 1998 war er Autor im unwissenschaftlichen und rein agitatorischen Band „Das Schwarzbuch des Kommunismus“.

Gauck sagte in einer Rede vor der Robert Bosch Stiftung 2006, dass jene, die im Holocaust das Einzigartige erkennen und betonen, das nur tun würden, um als Gottlose in einer säkularen Welt an etwas glauben zu können. Der Holocaust als Religionsersatz, das möchte der neue Bundespräsident sagen. Damit sekundiert er nicht nur der Neuen Rechten und dem Neonazismus, die das Betonen des Spezifischen und Unvergleichlichen der deutschen Verbrechen im Holocaust schon immer als einen Fetisch betrachteten, den auszutreiben deutsch-nationale Propaganda sich unmittelbar nach 1945 anschickte. Er sekundiert auch der linken Antizionistin Iris Hefets oder dem Bestsellerautor Martin Walser. Die Times of Israel kritisiert die Wahl Gaucks zum Bundespräsidenten. In Deutschland jedoch feixen Neue Rechte und der Mainstream von Richard Herzinger (Die Welt), Josef Joffe (Die Zeit), dem Tagesspiegel (Malte Lehming), Achgut (Lengsfeld, Broder), dem Focus bis hin zur Jungen Freiheit über den Pfarrer, Antikommunisten und Holocaustverharmloser im Schloss Bellevue. Selbst die Kritiker des antizionistischen Antisemitismus, zu dem einige der soeben Zitierten zählen, sind völlig unfähig alle Formen des Antisemitismus zu analysieren und zu attackieren. Vielmehr stellen sie der (in ihrer Sicht unnötigen und blöden) Erinnerung an den Holocaust die Israelsolidarität gegenüber. Viel dümmer und auch perfider kann man kaum agieren, und gerade Benjamin Netanyahu hat die Absurdität dieses Vorgehens (bei Broder heißt es „Vergesst Auschwitz!“, sein neues Buch) auf einer Rede in USA vor wenigen Wochen bloßgelegt, als er an das Versagen des Westens und Amerikas bezüglich der Bombardierung von Auschwitz hinwies und betonte, dass die Juden heutzutage einen eigenen starken Staat haben, der sich zu wehren weiß. Gerade die Erinnerung an den Antisemitismus auch im Westen ist wichtig um dem heutigen Judenhass entsprechend und angemessen zu begegnen. Noch merkwürdiger wird der Aufruf Broders, Auschwitz zu vergessen, wenn man bedenkt, dass nach einer repräsentativen Umfrage 21% der 18–30jährigen das Wort Auschwitz gar nicht kennen, von den obsessiven Abwehrern eines Erinnern an Auschwitz, von Ernst Nolte über Martin Walser hin zu Matthias Matussek oder auch Oliver Bierhoff ganz zu schweigen.

Das Simon Wiesenthal Center und sein Autor Harold Brackman hingegen berichten in einem aktuellen Bericht über wachsenden Antisemitismus in Europa nicht nur von der oben zitierten ADL-Studie, auch viele antisemitische Beispiele (und zwar aus beiden großen Bereichen: ‚alter‘ und ‚neuer‘ Antisemitismus, Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und antizionistischer Antisemitismus rot-grüner, islamistischer und rechter Provenienz, die alle seit langem in den Mainstream ausstrahlen) aus ganz Europa, von Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Holland, Österreich, Ungarn, Dänemark, Griechenland, Kosovo, Schweiz, Polen, Litauen, Russland bis hin zum antisemitischen Spitzenreiter in Schweden und bis nach Finnland und Norwegen und Großbritannien werden dargestellt.

 

Auf unterschiedlichen Ebenen zeigt sich in diesen wenigen Tagen im März in Europa und der Tendenz der letzten Jahre, wie Antisemitismus funktioniert und wie alltäglich er ist. Die jihadistischen Morde in Frankreich an vier Juden (und drei französischen Soldaten), die Terrororganisation al-Qaida bekannte sich dazu, ist jedoch ein Fanal. Juden werden eingeschüchtert, bedroht und nun auch ermordet, mitten in Europa, mitten am Tag, knapp 67 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust.

Insbesondere die Forschung und die Medien versagen am laufenden Band. Warum interviewt das Hamburger Abendblatt so pensionierte wie passionierte Israelfeinde wie Wolfgang Benz? Warum interviewt die Tagesschau einen israelfeindlichen und der Wahrheit abgeneigten Mann wie Michael Lüders, der offenbar noch nicht mal Persisch spricht, aber wissen möchte, dass eine Rede von Ahmadinejad am 26. Oktober 2005 angeblich falsch übersetzt worden sei, obwohl die seriöse Forschung in Deutschland (Wahied Wahdat-Hagh[i]) und weltweit (New York Times[ii], Jerusalem Center for Public Affairs) längst bewiesen hat, dass Ahmadinejad zur Vernichtung Israels aufgerufen hat?

Warum schließlich interviewt das ZDF mit seinem Anchorman Claus Kleber den Islamfaschisten und Holocaustleugner Mahmoud Ahmadinejad, von dem nichts Neues zu erfahren ist, außer Propaganda? An den Händen Ahmadinejads klebt das Blut des Niederschlagens der Proteste im Sommer 2009 – z.B. der Mord an der Studentin Neda –, und vieler politischer Morde, an Homosexuellen und anderen seither; dies und sein fanatischer und auf Vernichtung der Juden zielender Antisemitismus und das iranische Atomprogramm machen es für seriöse Menschen undenkbar diesem Mann eine Plattform zu bieten und ihm die Hand zu schütteln.

Es ist Frühjahr in Europa, der antisemitische Hass beginnt wieder zu blühen, vielfarbig und übel riechend und wird noch mehr Früchte tragen.



[i] Im Antisemitismusbericht der Bundesregierung heißt es: “Für diese den Islam politisierenden Gruppen und Staaten ist Antisemitismus ein untrennbarer Bestandteil ihrer Ideologie. Mit teils professioneller Propaganda prägen sie entsprechende antisemitische Stereotype und versuchen, diese Auffassungen auch unter nichtextremistisch gesinnten Muslimen zu verankern. Nicht zuletzt reklamieren sie eine Meinungsführerschaft für „die Muslime“ und behaupten, dass ihre Auffassungen „dem Islam“ und der Mehrheit „der Muslime“ entsprächen. Dies gilt nicht erst seit der Forderung des – zweifellos einem islamistischen Staatswesen vorstehenden – iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, dass Israel aus den „Annalen der Geschichte getilgt werden“ müsse. [FN: Für diese den Islam politisierenden Gruppen und Staaten ist Antisemitismus ein untrennbarer Bestandteil ihrer Ideologie. Mit teils professioneller Propaganda prägen sie entsprechende antisemitische Stereotype und versuchen, diese Auffassungen auch unter nichtextremistisch gesinnten Muslimen zu verankern. Nicht zuletzt reklamieren sie eine Meinungsführerschaft für „die Muslime“ und behaupten, dass ihre Auffassungen „dem Islam“ und der Mehrheit „der Muslime“ entsprächen. Dies gilt nicht erst seit der Forderung des – zweifellos einem islamistischen Staatswesen vorstehenden – iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, dass Israel aus den „Annalen der Geschichte getilgt werden“ müsse.; (FN: Ahmadinedschad zitierte hier Ayatollah Khomeini, Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.), Die umstrittene Rede Ahmadinedschads vom 26. Oktober 2005 in Teheran, Übersetzung des Sprachendiensts des Deutschen Bundestags, http://www.bpb.de/themen/MK6BD2,0,0,Die_umstrittene_Rede_Ahmadinedschads.html [eingesehen am 14. Juli 2010].)”

[ii] Mahmud Ahmadinejad (2005): Rede auf der Konferenz „Eine Welt ohne Zionismus“ am 26. Oktober 2005 in Teheran im Innenministerium, zitiert nach der Übersetzung von Nazila Fathi, New York Times, 30.10.2005, http://www.nytimes.com/2005/10/30/weekinreview/30iran.html?pagewanted=1&_r=1 (16.09.2010), Übersetzung d.V. In der englischen Übersetzung: „Our dear Imam said that the occupying regime must be wiped off the map and this was a very wise statement. We cannot compromise over the issue of Palestine.“

Robert S. Wistrich – Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr

Sehr geehrte Damen und Herren,

das neue Buch von Robert S. Wistrich ist jetzt lieferbar:

Robert S. Wistrich.  Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr

ISBN 978-3-9814548-1-9, 161 Seiten, Softcover, 21 cm x 12,8 cm,

28 Abbildungen, 14, 90 € (D)

“Die Political Correctness spielt ihre ganz eigene, den Westen lähmende Rolle, sobald ein Wissenschaftler oder Journalist versucht sich mit einem beliebigen Aspekt des Islam zu befassen. Selbst die fürchterlichsten Taten derer, die ohne zu zögern unschuldige Zivilisten im Namen des Jihad gegen die „Feinde des Islam“ opferten, führten zu zweideutigen und zögerlichen westlichen Reaktionen, wenn es darum ging, die involvierten Doktrinen des Islam zu kritisieren. Der Krieg gegen Al-Qaida wurde von den Präsidenten Bush und Obama sinnentleert als ein „Krieg gegen den Terror“ bezeichnet, um eine Beleidigung des Islam als Religion zu vermeiden – dabei wurde doch der Islam aus politischen Gründen bereits von den Jihadisten gekapert.”

Prof. Dr. Robert S. Wistrich (Jg. 1945) ist Professor für moderne europäische Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er ist Autor von 17 Büchern und einer der weltweit bekanntesten Antisemitismusforscher. Seine preisgekrönten Bücher sind in 18 Sprachen übersetzt, 2010 veröffentlichte er die derzeit umfangreichste und umfassendste Geschichte des Antisemitismus, “A Lethal Obsession“.

Das Buch enthält eine Einführung in das Werk des Historikers Robert S. Wistrich sowie erstmals eine Bibliografie seiner Schriften seit 1973.

Bestellbar (versandkostenfrei!) direkt beim Verlag – editioncritic@email.de -, bei Amazon oder in jedem Buchladen.

Mit freundlichen Grüßen,
Edition Critic

 

Robert S. Wistrich: Muslimischer Antisemitismus

Robert S. Wistrich.  Muslimischer Antisemitismus. Eine aktuelle Gefahr

ISBN 978-3-9814548-1-9, 161 Seiten, Softcover, 21 cm x 12,8 cm,

28 Abbildungen, 14, 90 € (D)

Braun schlägt grün – oder umgekehrt?

Hagalil.com, 20.01.2008

Die Debatte über Jugendkriminalität ist eskaliert. In einem etwas selbstironischen Beitrag hatte der Chef des Feuilletons der Wochenzeitung Die Zeit, Jens Jessen, die deutschen, spießigen Rentner kritisiert, ohne gleichwohl die brutale Aktion jener zwei Jungmänner in München zu verteidigen. Aber die jahrelangen Schikanen, der rassistische Alltag, der ja unbestritten in ganz Deutschland in unterschiedlicher Ausprägung gewaltig herrscht, wurden von Jessen angegriffen…

Doch ganz so einfach ist es auch nicht. Denn Judenhass oder Ablehnung der Moderne durch Muslime, auch jugendliche, ist in Deutschland zunehmend eine Gefahr. Islamischer Antisemitismus jedoch wird von so genannten ›Gutmenschen‹ gern übersehen, klein geredet oder gar als Antizionismus und Hass auf Israel bejaht, wie von vielen Linken, Nazis und der bürgerlichen Mitte gleichermaßen. ›Jude‹ wiederum ist zu einem Schimpfwort auf Schulhöfen oder öffentlichen Plätzen geworden. Doch um all das geht es hier und heute kaum, so wichtig eine seriöse und radikal kritische Debatte dazu wäre. Nur am Rande: die beiden Täter aus München, welche einen 76jährigen deutschen Rentner zusammen schlugen, nachdem dieser sie in Altherrenoberlehrermanier zurecht weisen wollte ob des Rauchens in der U-Bahn, sind türkisch-deutsch bzw. griechisch-deutsch. Alkohol spielte eine Rolle und der Islam wohl in diesem Fall kaum eine, bei dem Deutsch-Griechen überhaupt keine.

Vielmehr geht es um einen Tabubruch, mal wieder. Es geht um die ›nationale Identität‹ Deutschlands, um nichts anderes. Und um die Erinnerung an die Shoah, welche hier verhandelt wird, auf Umwegen. Die SS oder die Wehrmacht, welche die Vernichtung der europäischen Juden organisierten und durchführten, werden mit muslimischen Jugendlichen, Deutschen mithin, in direkte Beziehung gesetzt. Letztere würden das Erbe ersterer antreten. Wörtlich schrieb Schirrmacher:

»Zur Klarheit, die vom Staat gefordert ist, gehört auch, dass man ausspricht, dass die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus potentiell das ist, was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt.«

Es ist dieser letzte Satz aus einem Text des FAZlers Frank Schirrmacher, der die Sache klar macht. Da ist von den »tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts« die Rede. Schon das natürlich eine totalitarismustheoretische Reinwaschung Deutschlands, ganz implizit in jeder Pore jedes Wortes. Im Plural steckt die Abwehr der deutschen Schuld, ja der Export dieser Schuld, am liebsten natürlich auf die UdSSR. Heute nun sei eine »Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus« die Erbin jener »tödlichen Ideologien«. Ein Tabubruch von Schirrmacher, der einzelne Gewalttäter auf eine Ebene stellt mit den Verbrechen der SS oder der Wehrmacht. Man muss das sehr ernst nehmen, da nicht nur die größte Tageszeitung Europas diese Agitation auf neue Tiefen getrieben hat, vielmehr auch im Internet weblogs, auch solche, die sich kritisch dünken und meinen, sie seien liberal wie die ›Achse des Guten‹, mitschwimmen.

Der Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner hat am 16. Januar 2007 folgendes zu der Sache geschrieben: » Liebes RTL-Dschungel-Camp, mit Jens Jessen hätten Sie einen Kandidaten, vor dem Kakerlaken, Mehlwürmer, Spinnen und alles Glitschige auf dieser Welt Angst hätten. Was für ein Quotenhit! Herzlichst Ihr F. J. Wagner«. Andere deutsche Rentner bezeichneten den Zeit-Feuilleton-Chef als »Brandstifter« oder als einen, der mit seinem videoblog »Verbrechen gegen das deutsche Volk« begangen habe.

Bei solcher Wortwahl wie jener Wagners wundert es nicht, dass in Berlin seit Jahren darüber gestritten wird, ob die Treitschke-Straße nun umbenannt werden könne oder nicht. Schließlich ginge es um deutsches Kulturgut, und was wäre dieses ohne Antisemitismus und Straßen, Plätze und allerhand andere Örtlichkeiten, welche nach deutschen Antisemiten benannt sind, von Fontane über Richard Wagner hin zu Treitschke, von Stauffenberg nicht zu schweigen?

Also doch dieses »Multikulti-Kuscheln«? Nein. Aber die Blicke deutscher Rentner sind was vom Schlimmsten, in der Tat. Kein Grund, sie deshalb halbtot zu schlagen, gewiss. Aber das möchte ja auch niemand wirklich. Es geht um Jugendliche, Islam und die größte Gefahr im 21. Jahrhundert. Die geht wie schon im 20. vom Faschismus aus, genauer, damals vom Nationalsozialismus, heute vom grünen Faschismus des Islam. Und genau dagegen sind die Schirrmachers, Wagners und die deutschen Rentner überhaupt nicht in erster Linie. Ihnen geht es um Deutschland als deutsches Land. Sie benutzen die vorgebliche Kritik am Islam dazu – wie schon Karl Heinz Bohrer vor ein paar Monaten im Merkur – völkische Homogenität zu propagieren, Reinheit und Einheit, ohne ›Kanaken‹, und Stolz auf Männlichkeit mit ›Ehre‹, Fahne und Schmiss.

Kein Roland Koch und keine FAZ oder Bild regten sich über Hetzjagden auf einen Schwarzen in Berlin-Spandau oder über erwachsene Straßendeutsche, die ihre Hunde auf jüdische Jugendliche hetzten, auf. In Berlin wurde eine afghanische Familie von Nazis angegriffen und konnte sich gerade noch so retten. Wohnen muss sie auch nach Silvester in der gleichen Gegend, wo die deutschen ›Kameraden‹ ihre braune Hetze und Gewalt tagtäglich ausleben. Doch das ist alles gar nicht der Kern der Debatte. Der liegt wo anders. Schirrmacher gibt ja vor, gegen den »islamischen Fundamentalismus« zu sein und ihn als »größte Gefahr« zu erkennen. Würde er das wirklich, würde er primär die deutsche Bundesregierung und die deutsche Industrie mit ihren Geschäften, Bürgschaften und diplomatischen Beziehungen zu und mit dem Iran angreifen, kritisieren und geißeln. Dass das eine Zeitung für Deutschland selbstredend nicht tut, ist klar. Das Groteske und tatsächlich Volksverhetzende an Schirrmacher ist folgendes: er sagt, dass gerade »Jugendliche« und »islamischer Fundamentalismus« »potentiell« den »tödlichen Ideologien« des 20. Jahrhunderts am nächsten kämen. Diese beiden Münchner Jugendlichen und einige andere in einer Reihe mit der SA, der SS, der Gestapo und der Wehrmacht. Das ist volksverhetzend.

Nun, mehr noch: die tagtäglichen Raketenangriffe auf Israel von der Hamas sind nicht potentiell, vielmehr real. Die Selbstmordattentäter im Irak sind ebenfalls Realität und die Friedenshetze der Deutschen hat sie seit 2003 tagtäglich in ihrem tun bestärkt. Die FAZ malt nun vergleichsweise wenige und harmlose Jugendliche, die in ihrer kriminellen Energie nicht klein geredet werden dürfen, aber eben primär kriminell sind und nicht ›ausländisch‹ oder was immer, als den Schrecken unserer Zeit an die Wand, genau: »ausländische Jugendliche«, welche DEUTSCHE Rentner schlagen. Das passt zu dem ›Witz‹ aus alten Zeiten: »jüdischer Hausierer beißt deutschen Schäferhund«… Es geht überhaupt nicht darum, wie viele Linke es natürlich gerne hätten, die ›Muslime als die Juden von heute‹ in Schutz zu nehmen. Oh nein.

Die Juden von heute sind Juden. Bedroht vom Antisemitismus/Antizionismus. Zuerst in Israel, das existentiell bedroht ist und kein Mensch in Deutschland schert das sonderlich, ja es wird gefeixt wie lange es der Judenstaat noch macht. Dass jedoch ein Schirrmacher nicht etwa die Hamas, den Iran, die Hezbollah oder Syrien, al Quaida und andere Islamisten als große Gefahr erkennt, vielmehr deutsche Jugendliche, denn das sind sie ja, das ist so beachtlich wie leicht dechiffrierbar. Sie wollen wieder stolz sein, die Deutschen. Und Opfer. Ob als Rentner, Untergegangene oder Freunde von Scientologen-Spinnern, welche deutschen Nationalisten, welchen Hitler »zu liberal« war (und unadlig), ein cineastisches Denkmal setzen werden, egal.

Das Problem mit islamischen deutschen Jugendlichen und Erwachsenen ist viel zu krass und heftig und sehr wohl existent, als es ganz normalen Deutschen zu überlassen, die vom »Erziehungslager« träumen, und den grünen am liebsten mit dem braunen Faschismus besiegen wollen. Schirrmacher diminuiert die SS zu einem Haufen Rabauken. Solche Verharmlosung des Präzedenzlosen ist antisemitisch. Sein Männerfreund Wagner hetzt in alter Treitschke-Manier gegen Kollegen, welche mit ›Kakerlaken‹ verglichen werden. Auch das ist antisemitisch.

 

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