Clemens Heni

Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Was den einen die Paraglider sind, ist den anderen die Drohne

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Angriff der Ukraine auf russische Kampfflugzeuge, die Atomsprengköpfe tragen können, zu dem sich der ukrainische Präsident mit Stolz bekannt hat, ist ein extremer Schritt in Richtung Drittem und letztem Weltkrieg.

Das hat mit einer Abwehr des russischen völkerrechtswidrigen Angriffskriegs, der diplomatisch im April 2022 hätte beendet werden können, wie wir alle wissen, nichts mehr zu tun.

Ist jetzt auch Selenskyi ein Kriegsverbrecher? Diese Frage stellt sich.

Telepolis schreibt:

Die Operation wirft schwerwiegende völkerrechtliche Fragen auf. Die Nutzung ziviler Lastkraftwagen zur Tarnung militärischer Drohnen durch ukrainische Streitkräfte könnte gegen fundamentale Prinzipien des humanitären Völkerrechts verstoßen.

Das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Konventionen aus dem Jahr 1977 verbietet in Artikel 37(1)(c) ausdrücklich perfide Kriegshandlungen, zu denen auch „das Vortäuschen eines zivilen, nichtkombattanten Status“ zählt. Durch die Tarnung von Kampfdrohnen unter zivilen LKW-Dächern könnte genau dieser Tatbestand erfüllt sein.

Nun ist es ganz grundsätzlich ein Verbrechen, Atomwaffen herzustellen, sie zu besitzen und zu lagern.

Die größten Verbrecher in dieser Kategorie sind bekanntlich die Amerikaner, die laut dem Philosophen Günther Anders die letzte Etappe der Menschheit exakt am 6. August 1945 eingeläutet haben. Mit dem Angriff auf Hiroshima und dem Abwurf der ersten Atombombe haben diese Existenzen gezeigt, dass sie in der Lage sind, die ganze Menschheit auszulöschen. Eine Atombombe ist keine Waffe – es ist die Drohnung vollständiger Vernichtung allen Lebens, von Pflanzen, Tieren und den Menschen, was so schlimm wiederum nicht wäre.

Es ist ja kein Zufall, dass Putin gegen linke Ansätze eines queeren, selbstbestimmten Lebens oder eines Lebens ohne Mini-Me gesetzgeberisch vorgeht und Bücher, die zu kinderfreiem oder homosexuellem oder jedenfalls nicht der Normfamilie entsprechenden anregen können, verbietet. Kein Wunder auch, dass viele Männer im Alter von 18 bis 65 aus der Ukraine geflohen sind, weil sie nicht Kanonfutter werden wollen.

Doch unterm Strich reüssiert doch meistens, bei Rechten, AfDlern wie Linken und der EU-Elite oder syrischen Flüchtlingen und so weiter und so fort das „wahnwitzige Gebärenmüssen“, wie der Philosoph Ulrich Horstmann in den 1980er Jahren analysierte:

Alles Existierende ist nach Schopenhauer Objektivation eines grundlosen und vorvernünftigen Willens, verdankt sich einem zwanghaften und blindwütigen Lebensdrang, dem wahnwitzigen Gebärenmüssen von Organischem, das, sobald es ins Leben getreten ist, übereinander herzufallen beginnt, um sich eben dieses Leben für Augenblicke zu erhalten. Und das Untier macht keine Ausnahme, steigert sich vielmehr schon gattungsimmanent in die Krämpfe und Konvulsionen, in die delirierende Agonie des sich zerfleischenden Vitalen.

(Ulrich Horstmann 1983/85: Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 47).

Den ganzen Paraglider- und Drohnen-Anhänger*innen ist eine solche philosophische und anti-natalistische Kritik selbstredend zu schwer, zu kritisch, zu viel hinterfragend. Dann doch lieber noch ein paar Runden ungeschützten Geschlechtsverkehr, damit die Drohnen und Paraglider auch weiter produziert, verfeinert und bedient werden können in Zukunft, auf die ja alle so erpicht sind.

Wenige Jahre nch 1945 zogen die Sowjets nach und bauten auch Atombomben, haben sie aber noch nie in einem Krieg eingesetzt.

Es gibt jetzt viele, sehr viele in der Pro-Israel oder auch der Anti-Rechtsextremismus-Szene, die feixen und feiern, dass tief im Herzen Russlands das ukrainische Regime so raffiniert, perfide und allem Anschein nach gegen das Völkerrecht agiert hat. Über 1,5 Jahre haben sie diese Aktion vorbereitet, Tiny Houses gekauft, unweit der Militäranlagen platziert und dann Drohnen hineingebracht oder dort zusammengebaut, das wird sich alles noch zeigen. Die dortige russische Bevölkerung war völlig arglos und konnte nichts davon wissen, dass hier Staatsterroristen aus der 3000 oder 4000 km entfernten Ukraine am Werke sind.

Und ganz normale Deutsche feiern diesen Angriff. Sie posten in den a-sozialen Medien Bilder von Drohnen, die offenkundig in Russland umherfliegen – zwinker, zwinker, selten sooo lustig gelacht.

Halt, doch, viele andere lachten exakt auch soooo lustig, und zwar am 7. Oktober 2023, als palästinensische Jihadisten mit Paraglidern nach Israel flogen und an den schlimmsten Massaker an Juden und Jüdinnen seit der Shoah mit beteiligt waren.

Den Russenhassern, Geschichtsrevisionisten, die endlich gegen „den“ Russen gewinnen wollen und dafür die für ihre Nazi-Kollaboration beliebte ukrainische Nation instrumentalisieren, sind die Drohnen so lieb wie dem links-antisemitischen Mob in Berlin-Neukölln das Paragliden.

Der Telepolis-Artikel stellt wichtige Fragen. Wenn die NATO involviert war, wovon jeder halbwegs informierte Militärexperte ausgehen dürfte, dann war das wie eine Kriegserklärung Deutschlands, Englands oder Amerikas gegen Russland.

Und wenn die NATO nichts davon wusste – ja dann ist es doch ein Zeichen, wie gefährlich die Ukraine ist, denn wenn sie 3000 oder 4000 km im tiefsten Russland eine solche Operation an gut gesicherten Militäranlagen einer Atommacht durchführen kann, dann kann sie das auch in Frankreich oder England (Atommächte) oder in jedem anderen europäischen Land oder in Nordafrika oder in Israel.

Telepolis schreibt:

Die völkerrechtliche Bewertung hängt letztlich von den konkreten Umständen ab. Sollte sich bestätigen, dass ukrainische Einheiten systematisch zivile Fahrzeuge zur Tarnung von Waffensystemen nutzten, läge ein klarer Verstoß gegen mehrere Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts vor – mit gefährlichen Präzedenzwirkungen für künftige Konflikte.

Die Operation öffnet zudem eine gefährliche Büchse der Pandora. Wenn kostengünstige Drohnenschwärme strategische Militäranlagen erreichen können, sind auch zivile Infrastrukturen verwundbar. Ein ähnlicher Angriff könnte beispielsweise Israels zivile Luftfahrt dauerhaft lahmlegen oder kritische Energieinfrastruktur in Europa treffen.

Schließlich, militärstrategisch gedacht:

Für die russische Führung ist dies bereits der zweite systematische Angriff auf die nukleare Infrastruktur nach den Attacken auf die Über-Horizont-Radarsysteme. Aus russischer Sicht fügt sich dies zu einer koordinierten Kampagne zur systematischen Entnuklearisierung zusammen.

Besonders brisant ist die Nato-Reaktion. Sollte sich bestätigen, dass die Ukraine ohne westliches Wissen handelte, stellt dies ihre Zurechnungsfähigkeit als Partner in Frage. Ein Verbündeter, der eigenständig Angriffe auf die nukleare Triade einer Atommacht durchführt, gefährdet die Sicherheit aller NATO-Staaten. Logisch wäre eine sofortige Einstellung aller Waffenlieferungen – doch diese Reaktion wird vermutlich ausbleiben, was aus russischer Sicht die systematische westliche Unterstützung für eine Entnuklearisierung Russlands bestätigt.

Wer diesen Angriff der Ukraine feiert oder begrüßt, handelt fanatisch, kriegstreiberisch und geschichtsrevisionistisch, weil bei Deutschen oder Österreichern, die derart obsessiv hinter die Ukraine sich stellen, nicht trotz, sondern wegen den vielen Denkmälern für antisowjetische und Pro-Nazi-Kriegsverbrecher im Zweiten Weltkrieg und während der Shoah, sich unwillkürlich der Eindruck aufdrängt, endlich eine ganz alte Rechnung begleichen zu wollen: es „dem“ Russen heimzuzahlen, der uns 1945 besiegt hatte.

Viele dieser heutigen Ukraine-Fans waren in den 1990er Jahren vielleicht noch zu schüchtern und nicht bereit dazu, Renegat zu werden, anders wie jene französischen Ex-Maoisten, die vom „Schwarzbuch des Kommunismus“ fabulierten, damit doch der Holocaust endlich im Orkus der Geschichte verschwinde.

Viele wurden dann 1999 Renegat und feierten Bomben auf Belgrad.

Doch allerspätestens seit Februar 2022, mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russland in der Ukraine, sind die letzten Hemmungen verflossen, jetzt wird zurückgeschossen mit allem, was deutsche Intelligenz, KI und Drohnen- wie Panzer- und Munitionstechnik zu bieten hat.

Die Analogie von den antisemitischen Paraglider- und Hamas-Fans und den heutigen Fans ukrainischer Drohnen ist evident.

Der Unterschied ist, dass sich die Drohnen-Fans als cool, weltoffen und westlich imaginieren, dabei sind sie einfach nur moralisch am Ende, wollen Deutschland wieder gut machen und Russland besiegen, endlich, endlich, und schweigen zu dem Land mit dem meisten Pro-Nazi-Kollaborateuren-Denkmälern auf der ganzen Welt, ja feiern es und wollen es weiter militärisch unterstützen – bis zum Ende, dem Ende der ganzen Welt, denn:

Als eine ukrainische Sängerin im Bundeskanzleramt auf einer Veranstaltung im März 2022 unwidersprochen sagen durfte: „Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!“, zeigte sich der Fanatismus des Mainstream exemplarisch: lieber sterben, als denken, lieber töten als verhandeln.

Wem kommt da nicht das Lied „Deutschland muss sterben“ in den Sinn, dass sich genau gegen diese nihilistische Ideologie und den Deutsch-Nationalismus wendet:

Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen
Inschrift auf einem 1934 errichteten
Kriegerdenkmal am Hamburger Dammtorbahnhof

Deutschland muss sterben, damit wir leben können
Slime: »Deutschland muss sterben«, 1981

Mir kommt es vor allem deshalb in den Sinn, weil mir ein Freund am 8. Mai schrieb:

Slime statt Weizsäcker.

Doch der Mainstream liebt Deutschland und die Haubitzen und die Drohnen und das Tätscheln von Selenskyi und das Kichern ob dieser Drohnen jetzt in Sibirien.

Und angesichts dieser ukrainischen Autorin, die im Bundeskanzleramt sagte: „Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein!“, verbeugen sich 2022 die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und heute auch Autoren linker Publikumszeitschriften und unzählige andere – ja der gesamte Mainstream –  vor Ehrfurcht und genießen den Kitzel des Schauers vor dem letzten Tag, nach diesem Drohnenagriff auf atomare Infrastruktur so sehr wie nie zuvor.

DAS ist die Zeitenwende.

 

 

 

Was, wenn auch zionistische Journalistinnen, Tausende israelische Akademikerinnen oder Pro-Israel Politiker für ein sofortiges Ende des Krieges in Gaza sind?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Der Krieg in Gaza muss beendet werden. Sofort. HEUTE.

Alle Geiseln müssen freikommen.

Ausschließlich die Hamas ist verantwortlich für den Ausbruch dieses Krieges.

Die unschilderbaren Massaker durch Palästinenser, nicht nur durch die Hamas und den Islamischen Dschihad, im Süden Israels am 7. Oktober 2023 mit 1200 Ermordeten, lebendig Verbrannten, vergewaltigten, zerhackten, gefolterten, erschossenen Jüdinnen und Juden und anderen waren das schrecklichste Ereignis jüdischer Geschichte seit dem Holocaust.

Die wenigen noch lebenden Geiseln, vielleicht 23 oder auch nur 10 oder gar keine –  wir wissen es nicht – haben offenkundig nach 19 Monaten Krieg nur und wirklich nur eine Chance, wenn Israel ankündigt, dass der Krieg zu Ende ist – nicht nur für 60 oder 90 Tage, sondern komplett beendet wird.

Warum? Weil nur Irrationalisten und Fanatiker meinen, eine Terrororganisation, die eng mit der Bevölkerung verwoben ist wie die Hamas, auslöschen zu können. Offenbar gibt es in Israel zu viele Militaristen, die weder von der Niederlage der USA in Vietnam je gehört haben – das war 1975 – noch von jener der Sowjetunion in Afghanistan, das war 1989. Die Feinde waren jeweils viel größer und stärker als die Hamas – aber strukturell ähnlich, Guerilla- und Terrortruppen, die eng mit der Bevölkerung verwoben waren. Der Vietcong hat sich 1977 aufgelöst. Der Islamismus und Jihadismus wie die Taliban bekamen gerade nach 1989 noch mehr Auftrieb, was auch zum 11. September 2001 führte.

Viele moderatere arabische Staaten wollen keineswegs eine Weiterführung der Herrschaft der Hamas. Vielmehr sind diese arabischen Staaten, wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko, aber auch und zunehmend Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten (deren Friedensverträge ja nur auf dem Papier existieren) oder Katar, ja sogar muslimische Staaten am Ende der Welt – von Nahost aus betrachtet – wie Indonesien bereit, Frieden zu schließen mit Israel – Frieden und diplomatische Beziehungen! -, wenn der Krieg aufhört UND ein Staat Palästina entsteht. Indonesien hat das diese Woche angekündigt: Anerkennung Palästinas heißt dann für das mit Abstand größte muslimische Land der Erde, Anerkennung Israels!

Ich war nach dem 7. Oktober gegen eine Anerkennung „Palästinas“, wie viele andere auch. Das wäre ja wie ein Entgegenkommen gewesen, ein Preis für die schrecklichsten Massaker an Juden seit der Shoah.

Doch die Situation hat sich geändert. Der Krieg hat kein Ziel mehr, anfangs war es das Zerstören der Raketen in Gaza, auch wenn bis heute immer wieder mal Raketen nach Israel abgefeuert werden – es sind nur noch sehr wenige, verglichen mit dem Raketenterror die vielen Jahre bis zum 7. Oktober 2023 und noch die Wochen danach.

Das veränderte Klima und die veränderte Situation zeigen sich auch an den Aktionen und Reaktionen in den letzten Tagen. So schreibt eine Feuilleton-Redakteurin der FAZ, Tania Martini, am 30. Mai über eine Resolution von israelischen Akademiker*innen mit dem Titel „An Urgent Call to the Heads of Academia in Israel“, die sich für ein sofortiges Ende des Krieges in Gaza aussprechen, weil sie nicht länger mitschuldig sein wollen. Ihr Schweigen bedrückt diese mittlerweile über 1400 Unterzeichnenden massiv. Sie betonen, dass sie es für unerträglich halten, dass gerade jene – eher links-liberalen oder linken – Wissenschaftler*innen, die zumal 2023 und bis heute gegen die geplante Justizreform demonstrierten, jetzt schweigen oder abwiegeln würden.

Martini hat auch ein Buch zum 7. Oktober mit herausgegeben – Klaus Bittermann/Tania Martini (Hg.) (2024): Nach dem 7. Oktober. Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen, Berlin: Edition Tiamat -, sie weiß ob des linken, islamistischen wie postkolonialen oder des Mainstream-Antisemitismus.

Aber sie schreibt jetzt, im Mai 2025, gegen den Krieg, der Israel nämlich selbst beschädigen würde:

Im Aufruf „An Urgent Call to the Heads of Academia in Israel“ bezeichneten sie die Tötung von 53.000 Menschen, darunter 15.000 Kinder und mindestens 41 israelische Geiseln, die Verwandlung des Gazastreifens in ein unbewohnbares Gebiet sowie die Ideen zur Vertreibung der Palästinenser als „Kriegsverbrechen und sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

(…)

Der israelische Soziologe Natan Sznaider stellte kürzlich in einem Artikel eine entscheidende Frage: „Wie viel Leid von anderen kann man rechtfertigen, um selbst nicht mehr zu leiden?“ Eine Frage, die freilich für beide Seiten gelte. Dass jedoch oft nur eine gesehen wird, ist tatsächlich auch ein moralischer Zusammenbruch.

Ganz ähnlich argumentiert eine Volontärin der ZEIT, Anastasia Tikhomirova. Sie hat viele Texte über den 7. Oktober und den grassierenden Antisemitismus in Deutschland und anderswo publiziert. Doch sie sieht eine zunehmende Fanatisierung nun beider Seiten: Der ohnehin schon fanatischen Pro-Palästina-Szene, die sich fast nie als Pro-Palästina UND Pro-Israel positioniert, sondern fast immer antisemitisch ist und Israel zerstören sowie Juden töten möchte, und der Pro-Israel-Szene, die das Leid in Gaza entweder nicht sehen möchte, oder aber es herunterspielt nach dem Motto: „Selbst schuld, nur die Hamas ist Schuld“.

Sie möchte raus aus diesem Freund-Feind-Denken und zitiert in ihrem Text „Raus aus dem Freund-Feind-Schema“ vom 31. Mai 2025 moderate palästinensische Stimmen wie Hamza Howidy oder Ahmed Fouad Alkhatib, der „Realign for Palestine“ mitgründete. Ich habe beide, Howidy wie Alkhatib, im März 2025 auch schon als sehr bedeutende Stimmen für eine moderate und pro-israelische wie tatsächlich pro-palästinensische Position zitiert.

Tikhomirova schreibt:

Ein neues Sprechen lernen

Zwischen den Fronten finden sich Menschen, die für ein Ende des Krieges und der Besatzung einstehen, für eine Rückkehr der israelischen Geiseln und den Kampf gegen islamistischen Terrorismus. Die vor der teils genozidalen Rhetorik der israelischen Regierung erschrecken (wenn beispielsweise der Polizeiminister wörtlich von „auslöschen“ spricht), aber auch vor den Vernichtungsfantasien der Hamas. Die Druck auf die israelische Regierung ausüben wollen, ohne Israel als Ganzes zu dämonisieren. Die auch die große Mitverantwortung der Islamischen Republik Iran sehen, die die Hamas mit Waffen versorgt. Sowie der Türkei, die der Hamas Geld gibt und ihre Anführer mit türkischen Pässen ausstattet. Auch zu diesen Ländern unterhält Deutschland wirtschaftliche und politische Beziehungen.

Solche differenzierten, zionistischen und Anti-Kriegs-, Pro-Palästina-Positionen sind aber weiterhin die Ausnahme, doch sie gewinnen an Kraft.

In der typischen Pro-Israel-Szene dominiert eher die Position der Jüdischen Allgemeinen wie von Michael Thaidigsmann, der am 30. Mai 2025 festhält:

Es wirkt wie ein Paradoxon: 600 Tage nach den Massakern der Hamas scheint Europa sich doch noch auf eine gemeinsame Haltung verständigen zu können. Und die lautet: Israel ist zu weit gegangen und muss gestoppt werden. Zur Not auch mit Sanktionen.

Dabei gibt es viele ganz normalen Deutschen, welche sich in der Tat von Juden und Israel abwenden und hinausbrüllen, dass jetzt endlich, na klar, Hitler überwunden sei. So im Focus der Journalist Gabor Steingart:

Deutschland war Gefangener der Hitlerzeit – mit Merz hat diese Haltung ein Ende.

Auf Gabor Steingart hat die Jüdische Allgemeine mit Ralf Balke die treffende Antwort:

Da ist von der ‚Unterwerfung‘ die Rede, die jetzt vorbei sei, weshalb Deutschland ‚Selbstbewusstsein‘ demonstriere. So wird die Kritik von Merz an Israel zu einer Art Zeitenwende hochgejazzt, die man sehnsüchtig erwartet habe, um aus dem ‚langen Schatten der Geschichte‘ heraustreten zu können. Auch das ist eigentlich wenig originell – schließlich forderten das viele Deutsche schon seit dem 9. Mai 1945. Schluss sei nun jedenfalls mit der ‚Leisetreterei‘, ‚Israel erfährt eine Behandlung ohne Samthandschuhe‘. Oder anders formuliert: Endlich zeigt jemand den Juden, was eine Harke ist.

Die Pointe ist darüber hinaus: die neu-deutsche Frechheit und Unverschämtheit setzte exakt am 9. November 1989 ein, als sie alle im Deutschen Bundestag in BONN die deutsche Nationalhymne sangen, auch und gerade die SPD.

Das war der Tag, als Hermann L. Gremliza, den nicht nur ich hier und heute vermisse, aus der SPD ausgetreten ist.

 

Danach kam die von den Steingarts so geliebten anschwellenden Bocksgesänge des neuen Deutschland, die „selbstbewusste Nation“, wie die Neuen Rechten es hinausposaunten.

Es kamen die Neonazis und die Brandanschläge in Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen und so weiter. Später kam dann – unter Rot-Grün – der erste Bundeswehr-Kriegseinsatz, der erste Einsatz deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg, gegen – na klar, ein Opfer des Zweiten Weltkriegs – Jugoslawien. Damals sahen Deutschlandnormalisierer ein „Auschwitz“ in Kosovo, wo es doch eine brutale nationalistische Politik war – aber nie im Leben auch nur im Ansatz mit Auschwitz in einem Atemzug zu nennen. Aber spätestens seit 1999 kämpft Deutschland wieder – diesmal gegen ein imaginiertes Auschwitz.

Dazu kommt die militaristische „Zeitenwende“, die – so der Professor für Erwachsenenbildung Klaus Ahlheim (1942-2020) – seit Herbst 2012 im Schloss Bellevue, von der damaligen Bundesregierung und Thinktanks geplant wurde. Mehr Militär, mehr Militarismus, ja, sich „der Welt zuwenden“, darum geht es seit dem Kosovo-Krieg 1999, aber noch expliziter, als außenpolitische Strategie, seit 2012/2014, so Ahlheim:

Auch unser Bundespräsident und Prediger der Nation Joachim Gauck mischte eifrig mit im Konzert der Kriegsbefürworter, aber, gelernt ist gelernt, er sagte es auf gehobene, getragene Weise. Ende Januar 2014 verkündete er bei der Münchener Sicherheitskonferenz ohne das Wort ‚Krieg‘ zu benutzen, Deutschland müsse sich ‚früher, entschiedener und substantieller einbringen‘ und forderte die Deutschen auf, ’sich der Welt zuzuwenden‘.
(Klaus Ahlheim (2014): Ver-störende Vergangenheit. Wider die Renovierung der Erinnerungskultur. Ein Essay, Hannover: Offizin, S. 60).

Also schon nach 1989, nach 1999 und seit 2012/14 war Deutschland wieder gut gemacht.

Schon in den 1990er Jahren schrieb der Publizist Eike Geisel, den nicht nur ich hier und heute ebenso vermisse:

Die Deutschen wollen aus dem Exil, aus der Kälte der Gesellschaft in die Wärme, in die Gemeinschaft, sie wollen zu sich kommen. So ist aus der Asche der Ermordeten der Stoff geworden, mit dem sich der neue Nationalismus das gute Gewissen macht, jetzt können die Landsleute statt Menschen Deutsche sein.
(Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, S. 60)
***

Neu sind im Frühsommer 2025 die schon zuvor pro-israelischen, aber jetzt auch Anti-Kriegs-Stimmen wie Martini oder Tikhomirova sowie der massive Aufschrei israelischer Akademiker*innen, darunter sind sicher auch antizionistische Stimmen, aber vor allem zionistische und einflussreiche Stimmen wie von der Soziologin Eva Illouz oder der Historikerin Fania Oz-Salzberger.

Der Aufruf der israelischen Akademiker*innen ist sprachlich gleichwohl problematisch, da er zwar nicht von „Genozid“ spricht, der in Gaza passiere, aber das Wort von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verwendet, was ja bekanntlich „Verbrechen gegen die Menschheit“ heißt und sich historisch auf den Holocaust bezieht.

Es passiert nichts ansatzweise Vergleichbares zum Holocaust in Gaza. Das sind keine „Verbrechen gegen die Menschheit“ – es sind befürchtete oder tatsächliche Kriegsverbrechen. Punkt. Das ist schrecklich genug!

Dazu zählen das gezielte Aushungern, was nicht dadurch relativiert wird, dass die Jihadisten immer wieder die nun wieder aufgenommenen Hilfslieferungen stehlen und zu horrenden Preisen weiterverkaufen – das zeigt nur die abgrundtiefe Verachtung der Palästinenser*innen – durch die Hamas. Aber es gab und gibt diese Hungersnot.

Es geht aber exakt so wie es Anastasia Tikhomirova schreibt, um die moderaten Stimmen für Israel und für Palästina. Meine Rede. Nur wird es hier niemals Israelfahnen auf angeblichen Pro-Palästina-Demos geben. Dafür müsste nahezu das gesamte Personal dieser Szene ausgetauscht werden, worunter ja häufig Terroranhänger*innen der Hamas sich befinden.

Doch das gilt eben auf ganz andere Weise auch für die Pro-Israel-Szene, die sehr häufig, nicht immer!, keinen Blick hat für die Situation in Gaza oder im Westjordanland.

Kaum jemand erkennt in diesen Kreisen, dass Netanyahu ein mittlerweile ganz gewöhnlicher neu-rechter Politiker geworden ist, der mit Faschisten und religiösen Fanatikern kooperiert UND deren Ziele in zentralen Teilen wie der Kriegsführung in Gaza oder der Besiedelung und Annektierung (!) des Westjordanlandes teilt.

Und dann gibt es noch etwas Wichtiges. In einem Gespräch des Journalisten Henryk M. Broder und seinem Freund, dem Publizisten Hamed Abdel-Samad mit der Jüdischen Allgemeinen vom 27. Mai 2025 zeigt sich, wie Dialog gehen kann. Die beiden sind seit 15 Jahren befreundet und trafen sich erstmals in Kopenhagen, ausgerechnet in der Kommune Christiania, wo Leute offen Drogen verkaufen und fotografieren verboten ist. Als Broder trotzdem Bilder machte, trotziger Junge bleibt trotziger Junge, obwohl Hamed das für keine wirklich gute Idee hielt, wurde ihm von sechs oder sieben kräftigen jungen Männern doch die Kamera schließlich abgenommen und in eine brennende Tonne geworfen, wo sie Broder herausholen wollte, die Geschichte erzählt Abdel-Samad ganz lustig.

Denn die beiden sind Freunde und Broder betont, dass er diese Freundschaft wegen Abdel-Samads Rede vom „Genozid“, der in Gaza passiere, nicht aufs Spiel setzen werde.

Entgegen Leuten wie Jakob Augstein, Günter Grass oder Martin Walser sei Abdel-Samad ein Kritiker, keiner, der Ressentiments habe oder gegen die Existenz Israels anschreibe:

Ja, Hameds Kritik war nie fundamental, immer nur punktuell, bezogen auf das, was Israel tut oder unterlässt. Ganz anders als bei Leuten wie Martin Walser, Jakob Augstein oder Günter Grass.

Später sagt er:

Es hat eine andere Wertigkeit, wenn Studenten ‚From the River to  the Sea‘ schreien oder ‚Free Gaza from German Guilt‘. Das hat Hamed nie getan. Er hat bei mir ein Guthaben – und das ist nicht aufgebraucht.

Eine solche Offenheit und das Ertragen von in Teilen unterschiedlichen Positionen sieht man in der heutigen Zeit, speziell seit – ja – Corona UND der Ukraine, sehr selten.

Ich kenne viele Ex-Freund*innen oder Ex-Bekannten, die nicht in der Lage sind, ihren eigenen Irrationalismus zu überdenken und die selbst auf Diskurs-Angebote nicht eingehen, weil sie auf ihrer irrationalen, antidemokratischen, medizinisch absurden oder bezüglich der Ukraine antidiplomatischen (seit März 2022! und schon zuvor) Position beharren.

Während ich diese Positionen kritisiere, aber trotzdem einige solcher Menschen kontaktierte oder auch weiter in Kontakt bin, wo ich weiß, dass sie mitunter irrational oder unwissenschaftlich sind, ist es die Gegenseite speziell bei Corona oder der Ukraine sehr häufig nicht.

Bei Israel wiederum ist es anders: Wer am 7. Oktober kicherte oder schwieg, ist kein Freund oder Bekannter mehr. Punkt.

Doch Abdel-Samad hat nicht geschwiegen, er war nach dem 7. Oktober so pro-israelisch wie zuvor. Aber er sieht die aktuelle Situation in Gaza und die ist unerträglich und mörderisch und schadet auch den Tätern.

Das gesteht auch Broder zu:

Und ich glaube, dass du leider recht hast mit der belasteten jüdischen Seele. Die Frage wäre nur, was nach dem 7. Oktober eine adäquate Reaktion gewesen wäre. Also sicher nicht die Bitte, das Musikfestival jetzt gemeinsam fortzusetzen. Was wäre adäquat gewesen?

Abdel-Samad wiederum führt – ganz ähnlich wie Eva Illouz – die Ermordung von Rabin durch einen israelischen Rechtsextremen an, der zur Ausweglosigkeit führte:

Ich bin kein großer Fan von Joe Biden gewesen. Ich hielt ihn für einen unfähigen Präsidenten. Aber er hat Netanjahu nach dem 7. Oktober eingeladen, nach Amerika, und hat gesagt: Macht nicht den Fehler, den wir im Irak gemacht haben. Wir waren nach dem 11. September so schockiert, dass wir um uns geschlagen haben, und das hat die Sache nur noch schlimmer gemacht. Sowohl in Afghanistan als auch im Irak. Und ich fürchte, es wiederholt sich genau das.

Sodann:

Es gab viele verpasste Chancen, von beiden Seiten. Die größte Chance war damals, als Rabin dieses Angebot gemacht hatte. Und die Palästinenser waren bereit. Und du weißt ja, was danach kam. Rabin wurde ermordet, und keine andere israelische Regierung hat sich erneut getraut.

Dass es natürlich auch später noch Angebote gab, ist bekannt, aber die Ermordung des Friedensnobelpreisträgers Rabin war für die politische Kultur Israels schon prägend. Danach kam Netanyahu – bis heute mit wenigen Unterbrechungen …

Das Gespräch von Broder mit Abdel-Samad ist ein gutes Zeichen, dass man miteinander reden kann, wenn die Basis klar ist: Gegen Jihad und Islamismus, für Israel und für einen Staat Palästina (für den jedenfalls Abdel-Samad plädiert). Es ist aber bitter, wenn die jüdische Gemeinde Düsseldorf Abdel-Samad nun ausgeladen hat und er von anderer Seite gar als „Antisemit“ diffamiert wird, so falsch das Wort vom Genozid auch ist.

Man kann nicht sehen, dass die IDF gezielt ein ganzes Volk ermorden möchte, was Genozid wäre, auch wenn das Aushungern, wäre es weitergegangen, sicher in die Kategorie Genozid fallen würde, da es gezielt gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen gerichtet war (oder wieder sein wird). Aber so weit kam es nicht und darf es niemals kommen. Auch eine Trump’sche Vertreibung aller Palästinenser*innen darf es niemals geben – auch das wäre kein Genozid, aber eine ethnische Säuberung, wobei auch dieser Begriff unsauber ist, da damit meist Massenmord und Massaker assoziiert werden, was eine Abschiebung oder Vertreibung ja nicht ist.

Diese Beispiele zeigen: Es braucht neuen Mut zu Diskussionen, die über die ausgetrampelten Pfade der bisherigen Pro-Israel wie der ach-so-pro-palästinensischen (de facto fast immer: antisemitischen) Gruppen hinausreichen. Letztere wollen die Zerstörung Israels und nur wenige tatsächlich ein Palästina Seite an Seite mit dem einzigen Judenstaat (also noch ein arabischer Staat, aber so ist es halt).

Natürlich kann man die Hamas klein halten, kein Geld mehr aus Katar und sonst wo her, kein Waffenschmuggel mehr, was eine ganz enge Kooperation mit Ägypten voraussetzte. Das wäre möglich, weil zum Beispiel Saudi-Arabien, trotz seiner völlig grotesken und mörderischen Ideologie und Praxis, ja bereit wäre, Frieden mit dem einzigen Judenstaat zu schließen, weil sie merken, dass internationale Anerkennung on the long run nur geht, wenn sie keinen Terror mehr finanzieren und sich von der Hamas distanzieren. Der tatsächliche Feind sitzt in Teheran – das war vor dem 7. Oktober auch den arabischen Ländern klar, sowie Israel war das klar – aber diese Klarheit hat eine völlig fanatische Politik von Benjamin Netanyahu vernebelt und Israel wie seit Monaten beschrieben, so stark isoliert, wie das kein Regierungschef seit 1948 geschafft hat.

Wenn selbst zionistische Akademikerinnen, Politiker oder Journalistinnen, die nicht ansatzweise im Verdacht stehen, den Jihad oder den 7. Oktober klein zu reden, sondern alle als Kritiker des Antisemitismus einen Namen haben, ein sofortiges Ende des Krieges in Gaza fordern, dann braucht es ein Ende des Krieges in Gaza sofort.

Im Sinne Israels und des Judentums – und im Sinne der Palästinenser.

Wenn die FAZ in dem zitierten Text erkennt, dass

Die unsäglichen Taten in Gaza zerstörten die israelische Gesellschaft von innen heraus

und sich dabei auf Stimmen aus Israel bezieht, sollte man das wahr und ernst nehmen und endlich über die Fehler der Regierung Netanyahu diskutieren. Seine rechtsextreme Koalition muss zerbrochen werden, sonst hat Israel kaum noch eine diplomatische Zukunft und viele Israelis werden abwandern, da ja nicht alle rechtsextrem sind.

Zionismus heißt nicht nur sich pro-israelisch zu positionieren.

Zionismus heißt nicht nur Kritik am Antisemitismus und Antizionismus.

Zionismus heißt auch Kritik an der israelischen Politik zu üben, wenn sie Kritik verdient hat.

 

 

„Schöngeistiger“ Bericht einer Friedensaktivistin und Überlebenden des Massakers vom 7. Oktober?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Mittwoch, 28. Mai 2025, sprach in Mannheim in der jüdischen Gemeinde die israelische Kunsthandwerkerin, Mitarbeiterin in einem Reisebüro und Friedensaktivistin Irit Lahav über ihr Überleben am 7. Oktober 2023. Sie ist im Kibbutz Nir Oz geboren worden und lebte bis zum 7. Oktober dort. Das Schweizer Medium Blick hat schon am 12. Oktober 2023 über das Überleben von Irit Lahav und ihrer Tochter berichtet.

Es ging exakt um 6:29 Uhr mit einem Raketenalarm los, wie ihn viele Israelis zumal in der Nähe des Gazastreifens seit vielen Jahren gewohnt sind. Man hat dann 15 Sekunden Zeit, um in den Schutzraum zu gehen. Das machte Irit mit ihrer Tochter. Doch wenige Minuten danach hörten sie wieder Geräusche, die sich als Gewehrsalven von automatischen Waffen herausstellten, zuerst merkte das Irits Tochter, während Irit das nicht glauben konnte.

Danach wussten sie, dass es um ihr Leben ging. Was tun in einem Schutzraum, der nicht so gemacht ist, dass man ihn verriegeln oder abschließen kann? Die beiden Frauen verhielten sich mucksmäuschenstill und hatten kein Licht an. Nach einiger Zeit hatte der Bruder von Irit, der 5 km entfernt in einem Moshav lebt, die Idee, den Schutzraum mit überkreuzten Hölzern oder Ähnlichem zu verriegeln. Da sie in dem Schutzraum allerhand Gegenstände hatten, bekamen sie das mit enormem Erfindungsreichtum, einem Teil eines Paddels und einem Stück des Staubsaugers sowie Leder hin. Später dichtete Irit einen Zwischenraum zwischen Tür und Türrahmen noch mit Silberdraht ab, den sie in ihrer Schmuckwerkstatt, die sich in dem Schutzraum befindet, hatte. Insgesamt versuchten die palästinensischen Terroristen fünfmal, in den Schutzraum zu gelangen, ca. im Zeitraum zwischen 7 Uhr und dem frühen Nachmittag.

Erst kurz vor 18 Uhr wurden die beiden Frauen durch Soldaten der israelischen Armee befreit.

Ihr Schock über das komplette Versagen des eigenen Staates und der eigenen Armee sitzt sehr tief. Irit betonte, dass sie ein Jahr lang weder die israelische Nationalhymne Hatikvah hören noch die israelische Fahne sehen konnte. Bei Beerdigungen hat nicht nur sie sich abgewandt, als die israelische Fahne gezeigt wurde – so tief saß der Schock, dass das zentrale Versprechen des einzigen jüdischen Staates, seine Bewohner*innen immer zu schützen, gebrochen worden war. Bis heute ist unklar, warum und wie die Armee, die Polizei, die Geheimdienste und die Politik die Gefahr nicht sehen wollten, trotz interner Warnungen vor einem bevorstehenden Großangriff der Jihadisten aus Gaza – eine zentrale Untersuchungskommission wurde ja bislang von Netanyahu und der Regierung verhindert.

Doch noch viel schlimmer ist die arabische Sprache für Irit Lahav – sie ist traumatisiert durch das mörderische und brandschatzende Brüllen der Araber/Palästinenser, die in ihrem Haus und im ganzen Kibbutz Nir Oz wüteten. Sie hat schon Panik bekommen, als sie in Mannheim Leute Arabisch sprechen hörte – die Synagoge und das jüdische Gemeindezentrum liegen in den „Quadraten“, der Innenstadt von Mannheim, mit einem sehr hohen Migrantenanteil, speziell Türken und Araber.

Irits Vortrag in Mannheim war sehr emotional, mehrfach musste sie weinen, es sind äußerst dramatische Erinnerungen – Dutzende ihrer Freundinnen und Freunde aus dem Kibbutz sind ermordet worden, 14 noch in Geiselhaft, wo nicht klar ist, wie viele von ihnen überhaupt noch leben.

Es wurden ca. ein Drittel aller anwesenden Bewohner*innen des Kibbutz Nir Oz von den palästinensischen Terroristen am 7. Oktober ermordet oder entführt.

Seit Januar 2024 leben Irit Lahav, ihr Tochter und die anderen Überlebenden des Massakers von Nir Oz in einer Neubausiedlung in Kiryat Gat in einem Hochhaus.

Im Laufe des Abends bei der Diskussion zu ihrem gut 90-minütigen Vortrag sowie im Anschluss an die Veranstaltung wurde noch einiges klarer, was die Beziehung von Israelis, linken, friedensbewegten Jüdinnen wie Irit und einigen hier lebenden irgendwie Pro-Israel Aktivist*innen ausmacht.

Manch eine meinte im Gespräch mit anderen nach der Veranstaltung ernsthaft, „Gott haben seinen eigenen Plan, was er mit uns vorhat“, als andere erwähnten, dass „Gott wohl geschlafen habe“, als Juden lebendig verbrannt wurden von den muslimischen Terroristen.

Irit betonte, dass allein im Kibbutz Nir Oz drei Leute vor dem 7. Oktober regelmäßig palästinensische Patienten und Patientinnen in Krankenhäuser oder zur medizinischen Versorgung nach Israel fuhren. Einer der drei war Oded Lifshitz, am 7. Oktober 85 Jahre alt, er wurde von den Jihadisten ermordet, wie auch der zweite Friedensaktivist. Die dritte im Bunde war – Irit Lahav.

Sie meinte am Ende des Abends, auf die Frage, wie sie heute die Palästinenser sehen würde, dass es sehr schwer sei für sie, diese Situation in Worte zu fassen. Sie dachte wie viele andere auch, dass es primär die Hamas oder der Islamische Dschihad seien, die für den Terror verantwortlich sind. Doch sie hat gelernt, dass Kinder ab dem Alter von 3 Jahren im Gazastreifen bei Theaterstücken oder öffentlichen Auftritten lernen, dass in einem solchen ‚Stück‘ der Kernaspekt ist, Juden zu ermorden.

Sie und andere Bewohner*innen von Nir Oz haben Frauen- und männliche Teenagerstimmen gehört am 7. Oktober, manche Palästinenserin machte für ihre noch blutbespritzten Männer, Brüder, Söhne oder Neffen Sandwiches, sie schalteten die Computer der jüdischen Bewohner an und stellten die Fernseher auf arabische Sender. Eine unfassbare Situation. Mit solchen Menschen jemals Frieden machen?

Irit Lahav sagte, was traditionell zionistisch ist: „Mit FEINDEN schließt man Frieden“ – nicht mit Freunden.

Die Palästinenser*innen stahlen alles, was sie mitnehmen konnten, Löffel, Unterwäsche, Koffer, Laptops, einfach alles.

Was sie nicht fanden, war das hochwertige Rennrad von Irit, das in einem abgeschlossenen Raum auf dem Gelände stand – sie ist Triathletin.

Sarkastisch erzählte Irit dann, wie sie und ihre Tochter in ihrem Schutzraum eine Wand mit Büchern aufstellten, so dass sie, sollten die Terroristen der Hamas und andere eindringen und sofort Gewehrsalven abfeuern, durch die Bücher geschützt wären, vielleicht verletzt werden würden, aber nicht getötet. Eines der oberen Bücher, das ihr dabei in die Hände fiel, war „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“ (ein bekanntes Werk des US-amerikanischen Historikers William Lawrence Shirer von Anfang der 1960er Jahre), darauf Irit: „Maybe this time Hitler will help us!“…

Das einzige Wertvolle, was sie ebenfalls nicht mitnahmen, die palästinensischen Judenmörder und Plünderer, war eine 46 Kilogramm schwere bronzene Buddhafigur im Haus von Irit. Sie ist sozusagen eine zionistische Buddhistin, der Dalai Lama schenkte ihr einen kunstvollen tibetischen Wandteppich, als sie vor Jahren in einem Kloster in Indien war, wie die Times of Israel in einem Bericht im März 2024 schreibt.

Bei der Diskussion in der jüdischen Gemeinde Mannheim hat sie betont, dass sie die aktuelle israelische Regierungs- und Kriegspolitik ablehnt. Ja, sie hat sich schon überlegt, ob sie die Fahrten für kranke Palästinenser*innen wieder aufnehmen würde, wenn ein Waffenstillstand herrschte – und sie meinte „ja“, das würde sie womöglich wieder tun, obwohl sie jetzt weiß, dass ein sehr großer Teil der Palästinenser*innen vom Judenhass getriebene Existenzen sind, böse Menschen.

Aber sie selbst, das betonte Irit, sie möchte kein böser Mensch sein, sondern ein guter Mensch, sie möchte nicht vom Hass getrieben sein, so verständlich der ist von Seiten der Überlebenden und Angehörigen der Opfer des 7. Oktober 2023.

Das brachte ihr im Anschluss an die Veranstaltung von manchem Teilnehmer höhnische Kommentare. Ein Teilnehmer der Veranstaltung sagte in einem privaten Gespräch, das ich mitbekam, er finde es schlimm, dass die israelische Armee „solche Leute“ wie Irit auch noch beschützen müsse (!). Viel perfider geht es kaum noch – das war ein (sich selbst so bezeichnender) „extrem rechter“ Netanyahu-Fan.

Und damit sind wir am heutigen Tag, also nur zwei Tage später, als der ehemalige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Reinhold Robbe dem amtierenden Präsidenten der DIG Volker Beck vorwirft, sich hinter die rechtsextreme Regierung in Jerusalem zu stellen, wie der Tagesspiegel heute (5 Uhr am Morgen) berichtet:

Innerhalb der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) gibt es Streit über den Umgang mit der Gaza-Offensive von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der frühere DIG-Präsident Reinhold Robbe (SPD) sagte dem Tagesspiegel, der amtierende DIG-Präsident Volker Beck (Grüne) sei „inzwischen zum Sprachrohr der rechtsextremistischen israelischen Regierung geworden“.

Prompt kam ein Dementi, und der Bayerische Rundfunkt berichtete um 15 Uhr, dass Beck sich von den extremistischen Teilen der israelischen Regierung distanziere:

„Meine Aufgabe, Israel zu verteidigen, wird immer schwieriger, weil es in der israelischen Regierung Stimmen gibt, die völlig inakzeptabel sind“, sagte der frühere Grünen-Politiker in einem Interview. „Wenn Minister dazu aufrufen, die Bevölkerung in Gaza auszuhungern oder ‚ins Ausland zu schicken‘, was nichts anderes als eine ethnische Säuberung ist, dann macht das unsere Aufgabe sehr schwierig“, sagte Beck.

Beck bezog sich dabei auf Äußerungen der ultrarechten israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir. Smotrich drohte kürzlich mit einer „totalen Zerstörung“ des Gazastreifens. Er sagte zudem, die Einwohner sollten im Süden des Küstenstreifens in einer „humanitären Zone“ konzentriert werden. Von dort aus sollten sie dann in großer Zahl das Gebiet verlassen und in Drittländer gehen.

Diese Kritik innerhalb der DIG zeigt, wie tief die Gräben inzwischen innerhalb der Pro-Israel Szene sind. Seit Jahren gibt es ähnliche Zerwürfnisse wegen Trump und Israel, insgesamt kann man eindeutig sagen, dass Linkszionismus für die meisten in der Pro-Israel Szene ein Fremdwort ist.

Irit Lahav betonte am Mittwoch in Mannheim schließlich, dass sie wirklich nicht weiß, wie sie reagieren würde, wenn eine der palästinensischen Frauen aus Gaza, die sie eventuell in Zukunft einmal in ein israelisches Krankenhaus fahren würde, ihre Ohrringe oder sonstigen Schmuck von ihr tragen würde …

Irit hat ihre alte Gemeinschaft von Kibbutzniks jetzt in dieser Hochhaussiedlung, aber auch den Ort in Nir Oz, der wieder aufgebaut werden wird, mit all den Granatäpfelbaumen und der Landschaft, den Feldern, der Kunst und der zionistischen Hoffnung.

Auch hier eine ganz bittere und typische Pointe: Eine Geisel erzählte nach ihrer Freilassung, dass einer der Terroristen in Gaza betonte, dass die Granatäpfel auf Niz Oz so gut schmecken würden – dabei liefert das Kibbutz gar keine Granatäpfel nach Gaza. Könnte es sein, dass das einer der Arbeiter war, der in Israel arbeitet – im Kibbutz Nir Oz – und Teil der Jihadistenbande vom 7. Oktober war?

Ihr Verhalten erinnert stark an den jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas, der das Gewährenlassen durch die israelische Besatzungsmacht von christlichen, katholisch-maronitischen Terroristen vom 16.-18. September 1982, die zwischen 500 und 3000 Palästinenser*innen in Beirut in den Flüchtlingslagern Sabra und Chatila in Beirut im Libanon niedermetzelten, absolut unerträglich fand.

350.000 Israelis demonstrierten daraufhin in Tel Aviv gegen die israelische Armee (IDF) und die israelische Regierung.

Und dann kommen die Rechten, die Neuen oder extremen Rechten und Netanyahu-Fans und lachen über Friedensaktivistinnen wie Irit Lahav, ich habe es selbst gesehen, in Mannheim. Ohne das Wort „Schöngeist“ zu verwenden, meinten sie genau das. Und Irit Lahav hat dieses einnehmende Lachen, trotz dieser unerträglichen Trauer und den Traumata, die sie hat, und den Tränen, die immer wieder kamen.

Und dann kommt Emmanuel Levinas, der in einer ganz ähnlichen Situation war, 1982, als Israel bei Kriegsverbrechen wenigstens zusah, obwohl sie hätten verhindert werden können, und heute womöglich selbst welche begeht – obwohl der Krieg gegen den Antisemitismus und Jihad 1982 so berechtigt war wie heute.

Aber: Er hat Grenzen und die hat Levinas so im Blick wie Irit Lahav. Levinas sagte in einem legendären Radio-Gespräch – wenige Tage nach dem Massaker in Beirut – mit Shlomo Malka, dem heutigen Biographen von Levinas, und Alain Finkielkraut:

Aber der Punkt, wo alles unterbrochen ist, wo alles gebrochen ist, wo die moralische Verantwortlichkeit aller, die die Unschuld betrifft, die sie reklamieren, zum Vorschein kommt und ihnen unerträglich ist, ist in den Ereignissen von Sabra und Chatila erreicht. Verantwortlichkeit aller.

Hier kann niemand uns sagen: Ihr seid in Europa und im Frieden, ihr seid nicht in Israel und ihr erlaubt es euch zu urteilen!

Ich denke, daß genau hier diese Unterscheidung zwischen den einen und den anderen, zumindest für diesen Fall, verschwindet. Man wird uns auch sagen, wie Sie es eben gesagt haben: ‚Ihr seid schöngeistig‘. Hegel ist es, der uns gelehrt hat, daß man alles sein darf, aber kein Schöngeist. Aus Angst davor, Schöngeist zu sein, wird man ein verbrecherischer Geist.

(Israel: Ethik und Politik, in: Emmanuel Levinas (2007): Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Pascal Delhom und Alfred Hirsch, Zürich/Berlin: diaphenes, S. 237-248, hier S. 243f.)

Der Journalist Nicholas Potter, gegen den eine sehr gefährliche antisemitische Kampagne von Antizionist*innen in Berlin läuft, schreibt heute über den Tod des 11-jährigen Mädchens Yaqeen Hammad in Gaza, die als „Influenzerin“ im Netz berühmt war, sie starb bei einem israelischen Luftangriff.

Er sieht offenbar „den anderen“, so wie Irit Lahav und Emmanuel Levinas „den anderen“ sehen oder sahen.

Das ist eine zutiefst jüdische Ethik, den anderen zu sehen, wie es das große Lebenswerk von Levinas bezeugt.

Die aktuelle israelische Regierung arbeitet entgegen dieser Ethik, sie will das Westjordanland zu einem Teil Israels machen und Palästinenser aus Gaza vertreiben oder ihnen das Leben dort unerträglich machen oder sie dort in unregelmäßigen Militäraktionen erschießen, absichtlich oder als Kollateralschaden zur perfiden Taktik der Hamas, sich unter Zivilisten zu mischen. Aber die Hamas kann man nicht auslöschen, das glauben nur völlig Irre und Durchgeknallte. Es geht um eine Demilitarisierung der Köpfe in Gaza, um westliche Angebote an Demokratie – das ist das einzige Mittel, dem Terror schrittweise das Wasser abzugraben. Dabei helfen auch diplomatische Kontakte zu moderateren arabischen Regimen – die Israel aktuell auch stark beschädigt.

Levinas hätte diese Politik von Benjamin Netanyahu so scharf abgelehnt, wie sie von Irit Lahav heute abgelehnt wird – im Namen des Judentums und des Zionismus und im Namen der Geiseln – Bring them Home NOW!!!

Das machte diesen Abend in Mannheim so umwerfend, die Kraft, die Irit Lahav ausstrahlt, trotz dieser Todesängste vom 7. Oktober, der unschilderbaren menschlichen Verluste, der massakrierten Freundinnen und Freunde – und trotzdem ihr Betonen, dass „wir“ jedenfalls nicht so sein wollen wie die meisten Palästinenser*innen, gerade auch solche, die zuvor Hilfe von Jüdinnen und Juden, Zionistinnen und Zionisten erfahren hatten die Jahre zuvor.

Dass ein gewisser oder gar substantieller Teil jener, die Irit Lahav zuhörten, das nicht verstehen wollen und können, war ein weiteres Drama dieses Abends und Ausdruck der politischen Kultur unserer Zeit oder eben des Zeitgeistes.

 

Die Lage ist dramatisch in Israel und in Gaza: Vier Stimmen für ein Ende des Krieges und für die Freiheit der Geiseln in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for The Study of Antisemitism (BICSA)

Die Sache ist super komplex und eigentlich sehr einfach.

Hätten die Araber 1947 den UN-Teilungsplan für Palästina, die UN-Resolution 181, die einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah, akzeptiert, gäbe es seit 1947/48 einen Staat Israel neben einem Staat Palästina. Doch der Judenhass der Muslime, Araber und Palästinenser war und ist bis heute stärker.

Dabei gilt es, in der arabischen Welt und bei den Palästinenser*innen moderate Stimmen auf vielfältige Art und Weise zu unterstützen.

Doch der enorme Antisemitismus im Westen wie in Deutschland hat sich seit dem 7. Oktober so massiv und brutal gezeigt wie wohl noch nie seit 1945. Nicht nur, aber vor allem – weit überproportional – migrantische und linksextreme Antisemiten feierten den 7. Oktober und feiern jetzt die Hinrichtung von zwei jungen jüdischen Aktivisten, die letzten Mittwoch auf einer Veranstaltung des American Jewish Committee in Washington, D.C., im Jüdischen Museum von einem linken Judenhasser erschossen wurden. Die Frankfurter Rundschau berichtet:

Der Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky und seine Partnerin Sarah Milgrim starben im Kugelhagel.

Es gibt jetzt Plakate wie in Berlin, die mit einem roten Dreieck auf die Opfer von Washington zeigen und feiern, dass diese „Zionisten“ ermordet wurden, was die Frankfurter Rundschau in ihrem Beitrag schockiert festhält.

Wir leben also in extrem krassen Zeiten.

Das heißt aber keineswegs, dass Israel nicht auch Fehler begeht oder gar Kriegsverbrechen.

Israel führt seit Ende Oktober 2023 einen Krieg gegen die Hamas, der völlig berechtigt war, aber seit langer Zeit seine Berechtigung verloren hat – weil es unmöglich ist, eine Terrorgruppe wie die Hamas zu eliminieren.

Das gezielte Aushungern des Gazastreifens über 10 Wochen hinweg, was erst vor wenigen Tagen mit der Wiederaufnahme von Hilfslieferungen leicht gemildert wurde, ist schockierend.

Klar ist die Hamas für das Elend verantwortlich, sie hat Terror und Judenhass gesät und die Infrastruktur des Gazastreifens nicht ausgebaut und seit Jahrzehnten Terror gegen Juden und Israel als Waffe eingesetzt.

Ohne das präzedenzlose Massaker des 7. Oktober gäbe es den aktuellen Krieg nicht, das darf man nie vergessen.

Es könnte im Gazastreifen viel mehr Landwirtschaft, zivile Einrichtungen, viel mehr Entsalzungsanlagen und so weiter geben – dafür gibt es Hunderte Kilometer Tunnel dieser islamistisch-faschistischen Horrortruppe – die gebaut wurden und alle wussten es.

Doch deshalb kann man nicht Millionen Menschen von Hilfslieferungen abschneiden. Das ist anti-zionistisch und schadet Israel extrem.

Die israelische Armee, die am 7. Oktober unfassbar versagt hat, möchte offenbar auch nach 18 Monaten Krieg immer noch wieder gut machen, was sie an diesem schlimmsten Tag für Juden seit der Shoah versäumten. Das ist aber nicht wieder gut zu machen. Dazu kommen die rechtsextremen Tendenzen der israelischen Regierungspolitik, die im Jahr 2023 bis einschließlich zum 6. Oktober zu den größten und am längsten anhaltenden Massenprotesten in der gesamten Geschichte Israels führten – gegen die geplante Justizreform, die eine Gewaltenteilung aushebeln würde und Israel wäre damit keine liberale Demokratie mehr.

Es geht also kurzgesagt um zwei zentrale Aspekte:

Ein Ende des Krieges gegen die Hamas und damit die Freilassung der Geiseln und somit zweitens eine Stärkung Israels, eine Rückkehr zur rationalen Bekämpfung des Antisemitismus und zum Zionismus.

Doch die IDF planen exakt das Gegenteil: keinen „Deal“ zur Freilassung der Geiseln, sondern eine Besatzung des Gazastreifens zu 75 Prozent, während die 2 Millionen Bewohner*innen in den restlichen 25 Prozent Fläche leben sollen. Das ist der aktuelle Plan (Stand 26. Mai 2025).

Aus pro-israelischer Sicht weisen auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Schärfe und Diktion aktuell viele Stimmen auf die untragbare Situation hin. Vier dieser Stimmen möchte ich heute kurz zitieren.

Erstens wendet sich am 22. Mai 2025 der Musiker Bono der Rockband U2 in einem Statement, das er live während der Preisverleihung der Ivor Awards für britische Musiker*innen in London gab, für die sofortige Freilassung aller verbliebenen Geiseln der Hamas. Und zugleich hofft er darauf, dass Israel endlich von Benjamin Netanyahu „befreit“ werde. Bono ist seit vielen Jahren pro-israelisch aktiv und hat auch der Opfer des islamistisch-antisemitischen Massakers vom 7. Oktober gedacht, weswegen ihn der Unterstützer der antisemitischen BDS-Bewegung Roger Waters (Pink Floyd) disst.

Zweitens betont der Beauftrage der deutschen Bundesregierung für die Bekämpfung des Antisemitismus, Felix Klein, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 25. Mai 2025, dass die Sicherheit und Existenz Israels deutsche Staatsräson ist. Er wendet sich selbstredend gegen die Terrorgruppe Hamas und den weit verbreiteten Antisemitismus in Deutschland. Doch Felix Klein, man hätte das von ihm nicht erwartet, distanziert sich jetzt von seiner eigenen Zustimmung zum Trump-Plan, den Gazastreifen zu einer „Riviera“ des Nahen Ostens zu machen, einem Eldorado für Immobilienmakler und Großkapitalisten wie Trump bei gleichzeitiger Entvölkerung des Gazastreifens. Er wendet sich auch gegen manche Kriegshandlungen oder die Blockade der Hilfslieferungen und sagt kategorisch:

Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Sicherheit ­Israels und der Juden weltweit zu bewahren. Aber wir müssen auch klar sagen, dass das keine Rechtfertigung für alles ist. Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.

Drittens betont der Gründer und Herausgeber der Times of Israel David Horovitz am 21. Mai 2025, dass der Krieg sofort aufhören muss, damit die wenigen noch lebenden Geiseln freikommen. Dadurch würde zwar Netanyahu seine rechtsextreme Regierungskoalition verlieren, da Hetzer wie Smotrich oder Ben Gvir die Regierung verlassen würden, aber das solle es Netanyahu wert sein, zumal dann seine Chancen bei Neuwahlen steigen würden – was natürlich absurd wäre, wenn Israel nochmal Netanyahu wählen würde, obwohl er doch einer der Hauptverantwortlichen für das nie dagewesene Versagen der IDF und der Geheimdienste am 7. Oktober 2023 war und ohnehin eine rechtsextreme Agenda fährt. Horovitz ist sehr dramatisch und wohlüberlegt mit seinen Worten und sagt:

End the war to get back the hostages. Save Israel

Viertens betont der Journalist Jan Roß von der Wochenzeitung Die Zeit, der regelmäßig Texte zu Israel und Nahost schreibt, am 22. Mai 2025,  dass es an der Zeit sei, sich gerade als Pro-Israeli gegen die aktuelle Regierungspolitik und gegen den Krieg in Gaza zu stellen:

Auch wenn Deutschland der israelischen Regierung widerspricht und ihr sogar entgegenarbeitet – mit dem Staat Israel muss es solidarisch sein.

Als vor wenigen Tagen die IDF ein Haus beschoss und neun Kinder unter zwölf Jahren tötete, nur ein Kind und der Vater überlebten, die Mutter war zuvor vom Vater zur Arbeit gefahren worden (beide Eltern sind Ärzte), gab es einen Aufschrei in Israel (die Pro-Israel Szene in Deutschland ist da meist eher ruhig oder ignorant). Die linkszionistische Szene in Israel lebt aber sehr wohl, man sieht das an den Demonstrationen, die sich ja nicht gegen den eigenen Staat wenden, sondern gegen diesen Krieg und sich für ein Ende des sehr brutalen Krieges ausspricht, der die Leute ja auch zermürbt, da er Mitte Januar beendet worden war und jetzt plötzlich wieder aufflammte, Jan Roß berichtete sehr eindrücklich darüber. Und Roß ist wie zitiert ein Pro-Israeli, darum geht es.

In Israel demonstrieren daher die letzten Tage schockierte Israelis gegen diesen Angriff, der nicht mit der ja nicht falschen, aber hier nicht nachvollziehbaren Begründung erfolgte, die Hamas würde sich unter Zivilisten verstecken. Dieses Argument war nicht immer falsch, ist aber zumal in diesem Krieg zu oft als Lüge erkannt worden, gerade von jungen Israelis, die doch alle selbst in der IDF dienten oder dienen.

Israel hat mittlerweile selbst jahrzehntelange Alliierte wie das Vereinigte Königreich (UK), Deutschland und die USA (die keineswegs nur aus Trump bestehen, sondern auch aus dem Senat etc.) gegen sich aufgebracht.

Vermutlich kein Politiker Israels seit 1948 hat den jüdischen Staat dermaßen isoliert wie Benjamin Netanyahu.

Also: Zionismus heißt, für ein Ende des sinnlosen Krieges einzutreten – eine Terrorgruppe wie die Hamas kann man nicht besiegen, da sie auch ohne Tunnel oder Waffen einfach Teil der ‚Zvilgesellschaft‘ wird, Zehntausende Kämpfer – , für die sofortige Freilassung aller Geiseln und für ein Ende des politischen Regimes unter Benjamin Netanyahu.

Es muss darum gehen, den Anti-Hamas Palästinenser*innen eine Perspektive zu geben.

Und es geht darum, jenen in die Augen zu schauen, die jetzt brüllen, dass Israel Verbrechen begehe und ihnen sagen: WAS hast du am 7. Oktober getan? Geweint oder gekichert?

Wir, die wir pro-zionistisch sind, haben das Recht, Israel zu kritisieren. Wer aber den Antisemitismus nicht bekämpft, sondern nur wartet, bis eine Reaktion Israel zu brutal oder gar kriegsverbrecherisch ausfällt, der oder die hat gar kein moralisches Recht, zu urteilen.

So einfach ist das im Zweifelsfall.

Ein Leben ohne Jihad und ohne Hunger, ein westliches, demokratisches Leben, mit freien Wahlen in einigen Jahren und mit der Perspektive mit dem Westjordanland die Zweistaatenlösung umzusetzen. Ein jüdischer Staat Israel und ein demilitarisierten Staat Palästina mit einer starken jüdischen Minderheit (den Siedlern im Westjordanland z.B.). Es ist schockierend genug, dass in Gaza keine Juden mehr leben – wie in fast allen arabischen Ländern kaum noch Juden leben, während in Israel von Anbeginn ca. 20 Prozent Araber/Palästinenser*innen leben.

Am Israel Chai.

 

„Stoppt den Krieg in Gaza“ (Haaretz, New York Times), aber: Netanyahu isoliert Israel noch weiter – die USA distanzieren sich

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Benjamin Netanyahu ist eine große Gefahr für die Zukunft des jüdischen und demokratischen Staates Israel.

Nach dem nie dagewesenen Massaker der Hamas und der Palästinenser am 7. Oktober 2023, als über 1200 Israelis auf teils unbeschreibliche Weise gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, erschossen, lebendig verbrannt wurden und 251 Geiseln genommen wurden, von denen 59 noch im Gazastreifen sind, allerdings nur geschätzte 24 leben noch, gab es zwei Reaktionen der Weltgemeinschaft.

Einerseits tiefe Betroffenheit und Solidarität, vorneweg vom damaligen US-Präsidenten und Zionisten Joe Biden, aber auch von vielen europäischen Staaten.

Andererseits gab es umgehend an jenem Samstag, den 7. Oktober, Freudengelächter und Partystimmung, als Araber in Deutschland und weltweit Süßigkeiten verteilten und jubelten. Sie feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden, schlichtweg.

Zumal die kulturelle Elite und viele ‚Linken‘ in Deutschland haben auf ihre Weise gezeigt, dass sie kein wirkliches Problem mit Judenhass hat, indem sie großteils einfach schwiegen, wenn nicht gar mehr oder weniger offen israelfeindlich agierten und weiter agieren.

Wer hat an jenem Tag nicht auch (alte) Freund*innen verloren, deren Eiseskälte oder Schadenfreude ihren immer schon in ihnen schlummernden Judenhass zum Vorschein brachten wie nie zuvor in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Hätte Israel im Oktober 2023 und seither eine seriöse Regierung gehabt, hätte sie die große Sympathie, die ihnen angesichts des schrecklichsten Massakers an Juden seit der Shoah von der Politik, wie vor allem von den USA, entgegenkam, nutzen können. Aber Benjamin Netanyahu hat panische Angst vor dem Gefängnis, in das er bei einer Verurteilung wegen Korruption oder anderer Delikte, die Verfahren sind noch offen, kommen könnte.

Und von daher macht er da weiter, wo er 1996 angefangen hat: Israels politische Kultur nach rechts zu schieben und im Linkszionismus den größten Feind zu sehen, größer noch als die Hamas, die ja vielmehr gerade parallel zu ihm und mit seiner Hilfe, anwuchs.

Ein Baustein für die linken Antizionisten wiederum in ihrem Kampf gegen den jüdischen und demokratischen Staat ist die sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus von 2021, in der es in dem zentralen Abschnitt heißt:

„Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die eigentlich eine marginale Erscheinung von mehr oder weniger antizionistischen oder mit dem Antizionismus liebäugelnden Forscher*innen ist und sich aggressiv gegen die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wendet, ist zu einem Kernbestandteil des Kampfes gegen den einzigen Staat der Juden geworden.

Die Antisemitismusdefintion der IHRA, die von 35 Staaten, darunter fast alle euroäischen Staaten, unterzeichnet wurde, ist hingegen in ihrer Klarheit vorbildlich:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Weiter heißt es:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Die Partei Die Linke hat gestern auf ihrem Parteitag in Chemnitz entgegen der IHRA Definition von Antisemitismus jene Jerusalmer Erklärung zum Antisemitismus angenommen, da der antisemitisch-antizionistische Flügel in dieser Partei seit dem unerwarteten Wiedereinzug in den Bundestag massiv an Schlagkraft gewonnen hat.

Wer vor diesem Hintergrund fabuliert, „Kritik“ an Israel würde von der Antisemitismusdefinition der IHRA verunmöglich, lügt schlichtweg oder verbreitet die beliebten Fake News; der Tagesspiegel berichtet:

In der Aussprache warnte van Aken die Delegierten vor der Annahme dieses Antrags. Die Linke könne einen wissenschaftlichen Streit über die Definition von Antisemitismus nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden. Der Parteichef wollte so verhindern, dass der Kompromiss von Halle über den Haufen geworfen wird.

In der Gegenrede erklärte die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel-Böhlke, dass durch die Definition der IHRA jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden könne. ‚Und das akzeptieren wir nicht.‘

Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist – sagen wir die Ablehnung einer bestimmten Regierungspolitik – ist gerade nicht antisemitisch, so die IHRA, aber das kümmert solche Linken nicht, die kokettieren lieber mit der Zerstörung Israels, wie es ja die Jerusalemer Erklärung erlaubt sozusagen.

Selbst Forscher, die viele bislang als Kritiker des zumal linken Antisemitismus kannten oder einschätzten, wie Wolfgang Kraushaar, kokettieren jetzt mit der oben angedeuteten „Einstaatenlösung“, ja fordern sie geradezu ein, und das in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Jungle World vom 10. April 2025:

Anschließend führen Sie aus, dass die Zweistaatenlösung, welche bis heute die Hoffnung beflügelt, den Israel-Paläs­tina-Konflikt friedlich beilegen zu können, nicht mehr realistisch sei. Stattdessen schlagen Sie die Einstaatenlösung vor, also einen gemeinsamen Staat von Israelis und Palästinensern. Ist das nicht der utopischste aller Lösungs­ansätze?
Das ist nicht allein meine Vorstellung, eine solche hatte bereits der Religionsphilosoph Martin Buber in den 1920er Jahren ins Spiel gebracht. Im Wesentlichen basiert sie auf der Idee, eine Art von Konföderation unter einem gemeinsamen Dach zu errichten.

Die Einstaatenlösung ist kategorial antizionistisch. Und der Antizionismus ist seit 1948 die aggressivste Form des Antisemitismus, weil er sich gegen jüdisches Leben wendet. Israel ist der Staat der Juden, wer diesen Staat weg haben möchte, möchte Juden weg haben und töten, will Juden ins Meer treiben oder sonst ermorden, abschieben (nach Europa, USA etc.) oder sie zwingen, zum Islam oder Christentum zu konvertieren.

Die Einstaatenlösung wendet sich gegen jüdische Souveränität und Selbstbestimmung. Juden wären nicht mehr in der Mehrheit im eigenen Land, das kein eigenes Land mehr wäre.

Es ist ahistorisch und absurd, hier mit Martin Buber zu kommen. Denn zwischen den 1920er Jahren und heute liegt Auschwitz, liegt der arabische und islamistische Antisemitismus von Hebron 1929, der Aufstand von 1936, die Ablehnung eines palästinensischen Staaten, wie ihn die UN Resolution 181, der Teilungsplan für Palästina, am 29. November 1947 beschloss.

Und nicht zuletzt ignoriert so ein Gerede auch die Kollaboration des Mufti von Jerusalem al-Hussaini mit Hitler und den Deutschen, einem Mufti, der die antisemitische politische Kultur der Palästinenser über Jahrzehnte prägte, was wir bis heute sehen können.

Ja, es gibt moderate und weltliche, Israel akzeptierende Palästinenser*innen. Die gilt es auch mit aller Kraft zu unterstützen. Aber niemals mit einer „Einstaatenlösung“, die das Ende des Zionismus und somit Lebensgefahr für Millionen Juden bedeuten würde.

Wer sich in der Geschichte Israels etwas auskennt, weiß, dass Zionisten wie Gershom Scholem, der 1923 Alija gemacht hatte, anfänglich auch für die binationale Idee offen waren, aber nur wenige Jahre später vom kulturellen zum politischen Zionismus wechselten, weil der Judenhass der Araber schlichtweg überwältigend war.

Die bittere Ironie liegt nun darin: Sowohl die Islamisten und die Hamas, deren Fans wie auch säkulare Antisemiten / Antizionisten sind ebenso für die Einstaatenlösung wie die rechtsextreme israelische Regierung.

Die rechtsextreme Regierung Israels möchte dabei möglichst viele Palästinenser*innen vertreiben, zumal aus dem Gazastreifen, dazu das Westjordanland annektieren, aber ohne politische Rechte für die dort lebenden Millionen Palästinenser.

Es ist also unverantwortlich, gerade als Forscher und Publizist zu (linkem) Antisemitismus, die Einstaatenlösung zu propagieren.

Die rechtsextreme, ultra-nationalistische und rassistische Einstaatenlösung, die Netanyahu und seiner Koalition und einem substantiellen Teil der israelischen Bevölkerung vorschwebt, ist aber ebenso eine riesige Gefahr für den einzigen Judenstaat und für die Palästinenser.

Diese Gefahr zeigt sich jetzt von unerwarteter Seite. Donald Trump scheint sich von Israel abzuwenden. Er wird nächste Woche in den Nahen Osten fliegen und Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar besuchen – aber nicht Israel. Es ist klar, dass Trump eine Vorliebe für Monarchien, Hierarchien und Diktatoren hat. Aber viele seiner Fans – auch in Israel – dachten wohl, dass ein ultranationalistischer Netanyahu wie schon bei der ersten Amtszeit von Trump genau dessen Geschmack treffe. Pustekuchen.

Dass dies nicht so ist, betont ein Kommentar des preisgekrönten Journalisten Thomas L. Friedman in der New York Times vom 9. Mai 2025.  Friedman betont, wie fürchterlich die Hamas den Gazastreifen ins Elend gezogen hat und dass Hamas verantwortlich ist für das Massaker vom 7. Oktober. Aber Friedman betont ebenso, dass aktuell die rechtsextreme Regierung Netanyahu, vorneweg der sich selbst so bezeichnende Faschist Bezalel Smotrich, den Gazastreifen entvölkern wollen und wieder besiedeln – jüdische Siedlungen wieder bauen.

Ein besonders absurdes Argument für eine Einstaatenlösung, wie es auch Kraushaar vorbringt – ohne Kritik der Jungle World – ist die Idee, dass die jüdischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis seien für eine Zweistaatenlösung? Warum? Warum sollten nicht diesen Juden, wenn sie schon dort leben wollen – freiwillig – Teil eines Staates Palästina werden, als Minderheit so wie die Araber in Israel eine Minderheit sind und zwar sogar ungefähr in einer ähnlichen Größenordnung, ca. 20 Prozent der Bevölkerung.

Trump hatte sich, so Friedman, in seiner ersten Amtszeit für die Zweistaatenlösung ausgesprochen und Friedman, dessen Kolumne sich direkt an den US-Präsidenten richtet, möchte weiterhin eine Zweistaatenlösung mit einem entmilitarisierten palästinensischen Staatsgebiet.

Wer das nicht möchte, möchte den Untergang Israels. Entweder via Ultranationalismus, Messianismus und Siedlungspolitik in Gaza wie im Westjordanland oder via der ‚linken‘, islamistischen oder säkularen Einstaatenlösung.

Friedman beendet seinen Text mit einem Zitat aus dem Editorial der Haaretz vom 7. Mai 2025, das die palästinensischen Opfer jüngster Angriffe Israels betrauert und die Situation unerträglich findet:

We must not avert our eyes. We must wake up and cry out loudly: Stop the war.

Wir wissen, dass jene, die hierzulande mit Palästinafahnen und Kefiyah demonstrieren, nicht für Palästina, sondern gegen Juden und den jüdischen Staat Israel demonstrieren, fast alle auf diesen Demonstrationen sind für die Einstaatenlösung und für die Zerstörung Israels – ansonsten könnten sie ja mit Israel- und Palästinafahne demonstrieren, aber das gibt es hierzulande nicht (in Israel schon).

Von daher gilt es, gegen Netanyahu und gegen die Einstaatenlösung aktiv zu werden, also: den Zionismus wiederbeleben, den Linkszionismus, der gleiche Rechte für alle Menschen fordert und zwei Staaten für zwei Völker, wie es 1947 von den Vereinten Nationen und somit der Weltgemeinschaft beschlossen wurde:

Israel und Palästina, Seite an Seite.

 

Update, 16:51 Uhr

Just heute erscheint auch auf hagalil ein sehr lesenwerter Beitrag zur Kritik der Jerusalemer Erklärung und der Einstaatenlösung von Dr. Verena Buser („Die Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA) und die einseitige Wahrnehmung von Palästinensern“), lesen!

Update, 19:53 Uhr

Schon gestern, 10. Mai 2025, erschien auf der Times of Israel (TOI) ein Text, der meine Kritik an Netanyahu nur bestätigt:

“The man who financed Hamas, and whose office staff are paid by the same state that funneled billions to Hamas — sleeps with a clear conscience,” he said, referring to allegations under investigation that aides to the premier were paid by Qatar to lobby for the Hamas-supporting nation. “What more is there to say that hasn’t already been said? Indeed, we are left mute, without a voice.”

At the same protest, Shai Mozes, whose parents Margalit and Gadi Mozes were kidnapped in the Hamas onslaught and later released in separate hostage deals, was more belligerent, saying that Israel’s “real enemy is not Hamas, but Prime Minister Benjamin Netanyahu, who is destroying Israel as a Jewish and democratic state.”

 

Dank an die Rote Armee – gegen eine exkulpierende Erklärung des deutschen Kapitals in der FAZ zum 8. Mai 2025

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Ganz normale Deutsche haben seit 1945 alles getan, um ihre Verbrechen an den Juden Europas zu vertuschen oder zu feiern. Es wurden Straßen, Schulen, Plätze nach ehemaligen Nazis und Antisemiten benannt und welches Unternehmen hat sich je dafür eingesetzt, eine Straße, die nach einem führenden Mitglied des jeweiligen Unternehmens benannt wurde, umzubenennen? Welches Unternehmen hat sich für die eigene Selbstauflösung nach 1945 ausgesprochen? Welches Unternehmen löst sich wenigstens heute auf, inklusive seiner Stiftungen, und verteilt das Geld an die Opfer der deutschen Barbarei?

Wer war eigentlich Opfer, ‚damals‘?

Eine Erklärung der führenden Vertreter des deutschen Kapitals zum 8. Mai sagt uns alles über die aktuelle deutsche Ideologie. Die CEOs dieser kapitalistischen Unternehmen sind irgendwie gegen einen „Schlussstrich“, gegen „Hass“ und sogar gegen „Antisemitismus“ (den sie aber nicht näher definieren), aber vor allem wollen sie wieder wie damals gegen ‚den Russen‘ kämpfen, was sie so ausdrücken:

Der Sieg der Alliierten über die Nationalsozialisten hat einem ganzen Kontinent, der ganzen Welt Hoffnung gegeben. Der mit dem Ende des Kalten Krieges erreichte europäische Zusammenhalt, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind Errungenschaften, die wir gemeinsam schützen müssen.

Damit wird der Nationalsozialismus oder deutsche Faschismus mit dem Kalten Krieg gleichgesetzt. Letzterer wurde vor allem von den USA ab 1947 vom Zaun gebrochen. Damit konnten sie erstens einen Schlussstrich ziehen unter die Verfolgung und Bestrafung deutschen Nazis und zweitens alte Nazis in die USA bringen und ihre „Verdienste“ würdigen, sie einbinden im Kampf gegen den Kommunismus.

Damit wird der Kampf der Alliierten und der Zweite Weltkrieg mit dem Kalten Krieg von 1947 bis 1989 analogisiert, auch das eine typische Strategie von Antikommunisten und Reinwaschern der deutschen Schuld, speziell der Schuld nach 1945, sich mit den Verbrechern im eigenen Unternehmen oder der eigenen Familie zu beschäftigen.

Im Wörtchen „schützen“ in obigem Zitat, dieser penetrant sich selbst exkulpierenden Erklärung, gerade im Reden von der Hilfe des deutschen Kapitals für die Nazis, liegt der Auftrag an die Deutschen, „bis 2029“ wieder „kriegstüchtig“ zu werden, wie es der alte und neue Kriegs- – offiziell „Verteidigungs“ – minister Boris Pistorius (SPD) ganz ehrlich in Worte fasste. Wer immer noch naiverweise (nach den Erfahrungen von 1918/19, „Bluthund“ Noske, beauftragt von Ebert etc. pp.) meint, dass nur Rechte Kriegstreiber seien, sollte sich das Parteibuch von Pistorius zeigen lassen.

Da lacht die pro-deutsche Antifa, die in Putin den heutigen „Faschisten“ sieht und Waffen für die Ukraine fordert, die derweil Denkmäler für Holocausttäter und Nazikollaborateure baut oder Straßen, Plätze oder Gebäude nach solchen Antisemiten benennt, seit Jahren, genauer gesagt seit dem Ende der Sowjetunion und der eigenen Unabhängigkeit als Staat Ukraine.

Wer wurde laut dieser Erklärung der führenden Kapitalisten in Deutschland eigentlich ermordet und wie? Juden? Gaskammern? KZs? Massenerschießungen durch Polizeibataillone? Sicher, aber Juden machten nur 10 Prozent der Kriegstoten aus – und Kriegstote sind vor allem auch die deutsche BdM-Frau aus Dresden, exakt das meint dieser strunzdeutsche Satz in diesem Pamphlet in der heutigen FAZ (online am 7. Mai, offenbar im Druck für die morgige Ausgabe):

Heute vor 80 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Dieser Tag ist ein Tag des Gedenkens an all die Menschen, die verfolgt und ermordet wurden, an die Verbrechen und Zerstörungen, an die weltweit mehr als 60 Millionen Toten.

Das ist Geschichtsrevisionismus mit bestem Gewissen, da lacht Helmut Kohl posthum, der exakt auf solche Formulierungen sein Leben lang hinarbeitete – Neue Wache in Berlin.“Wir“ sind doch alle irgendwie Opfer gewesen, damals, darum geht es.

Es ist keine direkte Holocaustleugnung, aber was sind schon 6 Millionen tote Juden unter 60 Millionen Toten? Unter diesen 60 Millionen Toten sind auch alle ganz normalen Deutschen gemeint, die dem Führer zujubelten, Autos, Panzer und KZs bauten und Juden denunzierten, deren Vermögen arisierten und sie schließlich minutiös geplant deportierten, vergasten oder erschossen.

Die deutsche Kapitalfraktion sagt noch nicht einmal, wen wundert’s, dass ein Großteil der Opfer des deutschen Vernichtungskrieges Sowjets waren. Die Täter-Opfer-Umkehr läuft hingegen wie am Schnürchen, vom Zweiten Weltkrieg und dem präzedenzlosen Verbrechen von Auschwitz und der Shoah – beides taucht in der Erklärung selbstredend nicht auf – hin zum läppischen Kalten Krieg liegt  – nichts. Ein Kontinuum des Schreckens, das ist gemeint, Rot gleich Braun, das ist EU-Ideologie, die in den USA schon seit 1947 Staatsideologie ist.

Manche wurden verfolgt, andere ermordet, dann gab es ganz allgemein und allüberall auf allen Seiten Verbrechen und natürlich Zerstörungen, vor allem in den deutschen Großstädten, das ist der Tenor oder die dog whistle, die jeder ganz ordinäre Deutsche sofort heraushört wie sonst nichts.

In dieser ganzen Erklärung von Heidelberg Materials, Siemens, Commerzbank, Mercedes, BMW und so weiter und fort, das ganze Elend des deutschen Kapitalismus steht unter dieser Erklärung, wird der Holocaust nicht erwähnt. Auch das Wort Shoah oder der Begriff „Vernichtung der europäischen Juden“ kommen nicht vor. Dafür aber der revisionistische Ausdruck „60 Millionen Tote“ – womit Täter und Opfer auf eine Stufe gestellt werden, was durch das Wort „Zerstörungen“ noch potenziert wird, denn bei „Zerstörungen“ und Nationalsozialismus denkt ein ganz normaler Deutscher oder FAZ-Abonnent nicht an die zerstörten Synagogen vom 9. November 1938, sondern an Dresden, Hamburg oder Frankfurt und den Luftkrieg oder Bombenkrieg gegen das verbrecherischste Regime, das es je auf Erden gab.

Endlich haben wir im Mai 2025 wieder einen Kanzler, dessen Großvater ein ganz gewöhnlicher Nazi war, was für goldene Zeiten!

Der 8. Mai war die Befreiung Europas von den Deutschen. Eine Befreiung der wenigen Überlebenden. Und eine Niederlage für die Deutschen, die sich ja fast alle nicht als befreit ansahen, sondern als besiegt.

 

Unser unendlicher und ewiglicher Dank gilt an diesem 8. Mai 2025 der Roten Armee der Sowjetunion – und dazu den drei anderen Alliierten Amerika, England und Frankreich.

Niemand hätte die Heuchelei und aggressive Selbstüberhebung des deutschen Kapitals, das sich in dieser heutigen Erklärung in der FAZ zeigt, besser auf den Punkt bringen können als HLG – den wir alle sehr vermissen.

 

Jenseits von „sine ira et studio“ – Antisemitismuskritik und Linkszionismus, noch einmal: Eva Illouz

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Im ersten Band des Handbuchs religionswissenschaftlicher Grundbegriffe von 1988 gibt es das Stichwort „Antisemitismus“. In dem Beitrag wird die Geschichte des Antisemitismus dargestellt, wobei völlig richtig auch der Antizionismus unter Antisemitismus rubriziert wird:

…freilich lebt [der Antisemitismus] der Sache nach fort im ‚Antizionismus‘ der sich seinerseits als Antirassismus ausgibt“. (S. 497)

Bei der Analyse des Antisemitismus betont der Autor, dass es hierbei „durchaus nicht ’sine ira et studio'“ (S. 496) zugehen solle, wer ganz neutral, abwägend über Judenhass schreibt, hat nicht verstanden, um was es sich dabei handelt.

Am Ende des Eintrags heißt es unter „VII. Antisemitismus nach 1945“:

Nach der Shoah ist A. nicht mehr hoffähig. Wer ihn deshalb für erledigt hält (allenfalls noch eine Sache der ‚ewig Gestrigen‘), übersieht die Surrogate, die doch im Kern dasselbe fortsetzen. Der Antizionismus kritisiert kein Volk und keine Rasse – wohl aber alle Juden, die zu Israel eine Beziehung haben. Der Mechanismus ist perfekt. Der Antizionist kann gar kein Antisemit sein, denn A. ist Rassismus, Zionismus ist (mit UNO-Mehrheit beschlossen) Rassismus, ergo: der Antizionist ist Antirassist und kann deshalb gar kein Antisemit sein (vielmehr kritisiert er die Juden, weil …) (vgl. die polemische, aber in der Aufdeckung dieses Mechanismus sehr wichtige Arbeit von Finkielkraut [„Der eingebildete Jude“, 1982, CH]). Abermals verschlingen sich im Antizionismus Rationales (berechtigte Kritik an der Politik der Regierungen Israels) mit irrationaler Überschätzung der politischen und ökonomischen Möglichkeiten der Juden und dem Erbe der antisemitischen Traditionen. (S. 504)*

Es ist vor diesem Hintergrund merkwürdig, dass der ARD-Tatort-Schauspieler Hans-Jochen Wagner angesichts der Nominierung des Medienunternehmers Wolfram Weimer, der von Religion, Familie und Tradition fabuliert und vom „eigenen Blut“ oder der „eigenen Sippe“ raunt, die aussterben würden, als neuer Kulturstaatssekretär unter Schwarz-Rot und Friedrich Merz, in einem Interview mit dem STERN ausgerechnet das Thema Künstler*innen und Gaza erwähnt und moniert, dass manche Kunstschaffenden sich politisch erklären müssten, um auftreten zu dürfen („Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht, sollte es uns doch allen unangenehm sein, internationale Künstler irgendwelche Grundsatzpapiere unterschreiben zu lassen, bevor sie auftreten dürfen.“) Er hat nicht mitbekommen, wie antisemitisch und antiisraelisch oder eiskalt weite Teile seiner Kunstszene/Musikszene/Schauspielerszene nach dem 7. Oktober 2023 reagiert haben. Gab es Großdemonstrationen von Tatort-Schauspieler*innen gegen das genozidale Massaker der Hamas an Jüdinnen und Juden?

Was heißt „Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht“? Damit meint er womöglich, dass es doch egal sei, ob man für oder gegen islamistischen Antisemitismus und das Abschlachten von Juden durch die Hamas ist.

Der Antisemitismus weiter Teile der Kulturszene wie im ganzen Land, der zeigte sich ja exakt am 7. und 8. Oktober 2023, Wochen vor einer militärischen Reaktion Israels.

Ganz anders hingegen die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz. In einem Interview mit der Zeitschrift K. Jews, Europe and the XXI Century vom 10. April 2025 spricht sie über Antizionismus, Linkszionismus und den Kampf gegen den Antisemitismus. Bekanntlich wurde Illouz dieses Jahr der Israel-Preis verliehen, doch der aktuelle israelische Bildungsminister Yoav Kisch forderte die Jury auf, ihr den Preis nicht zu geben. Daraufhin gab es tatsächlich eine zweite Abstimmung, die sich aber doch wieder für Illouz aussprach, aber ein Jurymitglied stimmte jetzt gegen Illouz, da sie – das war der Aufhänger für Kisch – 2021 mit über 180 anderen Israelis eine Petition an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterschrieben hatte, die sich gegen Kriegsverbrechen Israels im Westjordanland wendet. Dieses Jurymitglied wendet sich nun gegen Illouz und bezichtigt sie in geradezu islamistischer Manier des Verrats, auf dem die Todesstrafe stehe:

In my case and that of the prize, one of the members of the scientific committee changed her opinion and voted against me during the second meeting of the committee that the minister had demanded. The reason she invoked is nothing but stunning: she invoked an old Jewish law that designates Jews as “traitors” if they hand them over to non-Jews. This old religious law invokes the obligation to kill them. The last time it was invoked in public discourse was before Rabin’s murder.

2024 sollte der Israel-Preis in der Kategorie „technologische Innovation“ an den Unternehmer Eyal Waldman verliehen werden. Waldmans Tochter Danielle Waldman und ihr Freund Noam Shai wurde von den Jihadisten am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Festival ermordet. Eyal Waldman war vor dem 7. Oktober als Kritiker von Netanyahu und der geplanten „Justizreform“, die sich gegen die Gewaltenteilung positioniert, in Erscheinung getreten und ist als Unternehmer, der viele Palästinenser*innen beschäftigt, bekannt. Waldman wurde auf Initiative von Yoav Kisch der Israel-Preis nicht verliehen, wie unter anderem Haaretz berichtete.

Es war tatsächlich der Mord an Rabin im Jahr 1995, der für Eva Illouz eine Welt zusammenbrechen ließ, wie sie in dem Interview sagt:

For me, the break came when Rabin was assassinated in November 1995 and Netanyahu, who had led a campaign to demonize Rabin because of the Oslo process, was elected a few months later in 1996. That was when I realized that something very bad was brewing. That was the moment of the great rupture. I understood that the religious messianists had power and that they were leading Israel to disaster. I hoped I was wrong.

Ihr Traum von Zionismus war inklusiv, auf Frieden und Zweistaatlichkeit ausgerichtet, ein Staat für die Juden, einer für die Palästinenser. Mit dem Mord am versöhnenden Rabin und dem ersten Wahlsieg von Netanyahu 1996 war dieser zionistische Traum schon fast beendet.

Und seitdem wurde es noch viel schlimmer. Der Antisemitismus wurde schlimmer.

Die Isolation Israels wurde schlimmer.

Die innere Spaltung des Landes Israels wurde noch gravierender.

Die Situation der Palästinenser angesichts von Jihad, Hamas und Islamismus, aber auch der Rassismus Israels gegenüber den Palästinensern, wurden auch noch viel schlimmer.

In einer brillanten Analyse spricht Eva Illouz von einer „Autoimmunerkrankung“ Israels – die primär den Premierminister Benjamin Netanyahu, aber auch weite Teile des Landes und der Wählerschaft infiziert hat:

The body can no longer distinguish between healthy and diseased tissue. This is what is happening in Israel. The proof? Before October 7, Netanyahu was so busy seeing the demonstrators as enemies that he did not see where the real enemy was. He did not listen to the warnings about Hamas. This government acts as if those who fight to prevent Israel from becoming a pariah state were enemies. This is an autoimmune political disease.

Die Neue Rechte, zu der Netanyahu zu zählen ist, hat im Westen seit vielen Jahren einen turbo aggressiven Kulturkampf begonnen, von Victor Orbáns Agitation gegen den Juden George Soros über Donald Trumps philosemitische Israelkumpelei bei gleichzeitiger Hofierung von Neonazis wie den Proud Boys bis hin zur AfD, den Neuen Rechten in Holland, Frankreich, Italien und vielen anderen Staaten. Familie, Reproduktion, Tradition, Anti-Inklusion, Anti-Gender, Antifeminismus, Kapitalismus, Naturzerstörung, Religion und Kampf gegen alles Linke sind die zentralen Topoi dieser Szene.

Es ist ein Kampf gegen den Universalismus und das große Versprechen des Zionismus, der Souveränität für Juden bei gleichzeitiger Freiheit für die Palästinenser bedeuten sollte – so Illouz:

I fight for peace and brotherhood with the Palestinians, those who want to live in peace, for the maintenance of democracy in Israel, and at the same time I fight against antisemitism. Only ideology and the social division of political camps make these tasks incompatible. I try to hold both ends even if it is sometimes uncomfortable. The big question this raises is this: if Zionism is hijacked by an authoritarian and anti-democratic political project, what will be left of it? Not much, I think. The endless war that Israel has been waging since the creation of the state has blunted a certain human gentleness, its capacity for universal brotherhood, its ability to distinguish between force and legitimacy. Enemies are seen everywhere and the wrong friends are chosen.

Wer ein klein wenig Einblick hat in die Pro-Israel-Szene in Europa, Deutschland oder den USA, weiß: wer nicht auf Linie ist, ist nicht Teil dieser Szene. Wer sich zum Beispiel schon 2017 gegen den Sexisten und Verschwörungsantisemiten Donald Trump wandte, wurde aus sogenannten Pro-Israel Gruppen mitunter ausgeschlossen, während ganz große Denker, Marxisten aus Wien vorneweg, und ihre Epigonen wie Nachbeter in Trump Hegels „List der Vernunft“ zu erahnen vermochten („Da lacht der Horst. Die neue Querfront? Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump…) und den Ton angeben.

Ganz zentral ist folgender Satz bei Illouz:

I fear that the political and moral culture of this country has been destroyed by the Occupation and messianism.

Wo finden sich in aktuellen Konferenzen, Vorträgen oder Symposien in Deutschland diese Themen: Besatzung, Messianismus und religiös-nationalistischer Fanatismus in Israel? Das sind Themen, die nicht zu Themen gemacht werden. Illouz weiß das sehr wohl, warum das so ist, auch sie redet in Israel anders als in Frankreich. In Israel ist sie Teil der Mehrheit und spricht vom israelischen Rassismus, in Frankreich ist sie eine kleine Minderheit und spricht mehr vom Antisemitismus.

Aber der Unterschied ums Ganze zu weiten Teilen der (primär nicht-jüdischen) Pro-Israel Szene in Deutschland liegt darin, dass Illouz auch hier und heute von Frankreich aus Netanyahu frontal angreift und ihn als eine riesige Gefahr für den Zionismus und die Zukunft des Staates Israel erkennt:

I protest against Netanyahu’s authoritarian excesses and the corruption of his government, against the destruction of lives in Gaza, I fear for the future of Israel, which is being undermined from within by too much division and dissent.

Das heißt hier und heute: Wer die aktuelle Hungersnot in Gaza nicht sieht – seit zwei Monaten lässt Israels aus Perfidie keine Hilfslieferungen hinein -, will sie nicht sehen und sieht in nahezu jedem, der sie erwähnt, einen Antisemiten und Israelfeind.

Selbstredend sind jene, die hier und heute und seit dem 7. Oktober 2023 mit Keffiyah rumlaufen oder Palästina-Symbole wie Fahnen an den Balkon oder das Fenster hängen oder entsprechende Aufkleber verkleben, fast immer Antisemiten.

Wer wirklich für Palästina ist, wäre ja schon seit Jahrzehnten gegen die Hamas aktiv und für ein freies Palästina Seite an Seite mit Israel. So wie das aktuell Hamza Howidy in Deutschland ist – als palästinensischer Flüchtling, der vor der Hamas floh – und Tausende andere, sehr mutige Menschen in Gaza, die ihr Leben gleich doppelt aufs Spiel setzen: sie könnten bei Demonstrationen von Israelis (der IDF) erschossen werden oder von der Hamas erkannt und am nächsten Tag massakriert werden.

Ein Intellektueller stellt sich gegen die Mächtigen. Doch was wir nicht nur hierzulande erleben ist ein Gruppendenken und ein monothematischer Rollback, der katastrophal ist: Wer nicht für Merz ist, ist gegen Israel, wer nicht für Weimer ist, ist links und wer links ist, ist antisemitisch.

So einfach ging das schon bei Corona – wer nicht für den irrationalen Maskenwahn oder die (verglichen mit richtigen Impfungen) epidemiologisch sinnfreie ‚Impfung‘ war, war ein Nazi und Schwurbler.

Beim Ukraine-Diskurs werden alle, die gegen Militärhilfen für die Ukraine und für eine diplomatische Lösung sind, als Putinversteher delegitimiert und vom Diskurs ausgeschlossen.

Beides, der Corona- wie Ukraine-Diskurs und das Reden im Mainstream wie im Duktus von Wahrheitsministerien fällt mittlerweile sogar – am Rande – der ZEIT auf („Lassen Sie uns bitte reden. Wir dürfen beim Thema Krieg und Frieden nicht dieselben Fehler machen wie während der Pandemie. Fordern diese Autorinnen und Autoren„.)

Wenn dann hierzulande jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, sind so gut wie nie die Verdrehungen, Halbwahrheiten oder schlichten Lügen („2G schützt vor Übertragung und Verbreitung des Virus“ etc. etc. etc.) der Corona-Politik-Apologeten (m/w/d) gemeint, sondern nur die irrationalen Trottel, die es in der Szene der Corona-Politik-Skeptiker*innen ja tatsächlich in nicht geringer Anzahl gibt.

Wenn hier jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, ist fast immer nur Putin gemeint, wenn es um Osteuropa geht (oder Orbán, was jeweils nicht falsch ist, aber nur die halbe Wahrheit) – aber eigentlich nie die Lügen der NATO, die sich seit Anfang der 1990er Jahre extrem aggressiv gegen Osteuropa ausgebreitet hat, obwohl es die mündliche und im Protokoll schriftlich fixierte (!) Zusage gab – gegenüber der UdSSR, die sonst niemals für eine „Wiedervereinigung“ Deutschlands gestimmt hätte! – dass sich die NATO „nicht einen inch ostwärts“ bewegen würde, wenn sich DDR und BRD zusammen schließen würden. Und von den Denkmälern und Straßenbenennungen für Nazikollaborateure und Holocausttäter in der Ukraine sprechen solche, die gerne vom „postfaktischen Zeitalter“ reden, auch fast nie.

Wo waren die zionistischen Demonstrationen gegen Trumps Pläne der Abschiebung aller Palästinenser*innen aus Gaza, um dort ein Immobilienparadies für seine kriminellen und korrupten Machenschaften und Kumpels (inklusive Netanyahu) aufzubauen?

Es ist und bleibt ein Elend: Wer als Intellektueller Kritik an Mythen übt und zudem zionistisch ist, ist eben Linkszionist und insofern vom riesigen staatsautoritären Netanyahu-Lager als Feind deklariert.

Wer hingegen Kritik an Netanyahu nur als Vehikel benutzt, um den Zionismus an und für sich abzulehnen, zeigt seine antisemitische Fratze, wenn auch oft hinter einer Maske versteckt.

Das macht die Position von Eva Illouz so nahezu einzigartig, jedenfalls was richtig berühmte heutige Intellektuelle betrifft. Sie ist und bleibt links und zionistisch. Punkt. Ich hatte darüber ja schon im Dezember 2024 berichtet.

„Woke“ Linke haben sich spätestens am 8. Oktober 2023 großteils als Antisemiten geoutet. Sie haben gekichert, geklatscht – oder geschwiegen. Nur ganz wenige gingen die Tage danach auf Pro-Israel Kundgebungen oder Demonstrationen, während im Januar 2024 Hunderttausende an Anti-AfD-Protesten teilnahmen, weil sich im November 2023 in Potsdam extreme Rechte trafen und mit der AfD rassistische Gedankenspiele diskutierten.

Doch das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah hat die exakt gleichen „woken“ Linken nicht schockiert oder zum Protest animiert.

Die Rechten sind nicht besser, nur anders gepolt. Sie hetzen gegen Leute, die gegen die Familienideologie sind, gegen Religionskritiker*innen und Säkularismus und gegen Leute, die die Klimakatastrophe thematisieren und gegen sie aktiv werden. In Israel werden Kritiker*innen der Siedlungspolitik als Feinde gesehen, als ob sie Islamisten wären – dabei sind die wahren Feinde des Zionismus die militanten Siedler*innen, da sie die Worte Kompromiss, Gleichberechtigung und gleiche Rechte für Palästinenser nicht kennen.

Mittlerweile gibt es auch in Israel eine Kritik am „woken“ Konservativismus (!) – an einer „Reinheit“ der eigenen Reihen, wie es der Präsident der Ben-Gurion Universität Professor Daniel Chamovitz in der Times of Israel ausdrückt.

Am Ende des Interviews sagt Eva Illouz dann einen Satz, den hierzulande nicht eine bekannte zionistische Person – angenommen es gäbe eins ähnlich bedeutende zionistische Persönlichkeit in Deutschland, wie Eva Illouz es in Frankreich/Israel ist – zu formulieren in der Lage wäre, weil so einen Satz nur eine Intellektuelle und somit eine Linke, eine Linkszionistin zu denken und sagen vermag:

The position of the intellectual requires managing the tension between loyalty and truth all the time. I love Israel, but I am horrified by its authoritarian excesses and what seems to be a profound corruption of the state apparatus…

 

 

*Jürgen Ebach (1988): Antisemitismus, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Laubscher (Hrsg.) (1988): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Band 1, Stuttgart: Kohlhammer, S. 495-504.

Neuerscheinung: Was bedeutet: Aufarbeitung der Corona-Politik?

Clemens Heni

Was bedeutet: Aufarbeitung der Corona-Politik?

Softcover mit Buchklappen | 230 S. | 17 x 24 cm | Literaturverzeichnis |
Personen- und Sachindex | ISBN 978-3-946193-45-6 | 20 € | Studien zur Gesundheitspolitik, Band 1

März 2025

Leseprobe Edition Critic Clemens Heni Was bedeutet Aufarbeitung der Coronapolitik

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Eine Aufarbeitung der Corona-Politik ist notwendig, um das Vertrauen in die Gesellschaft, die Medien und die Politik wenigstens wieder ein Stück weit zurück zu gewinnen.

Zentral ist der juristische Grundsatz, die Menschenwürde zu wahren, denn es gibt kein ominöses „Recht auf Leben“.

Mittlerweile erkennen auch ARD, ZDF oder der Deutschlandfunk zumindest in Ansätzen, was für immense Fehler in der Corona-Politik begangen wurden, angefangen von dem Mythos, dass das Robert Koch-Institut (RKI) eine „unabhängige wissenschaftliche Behörde“ sei.

Doch was hat es mit BSL-2 oder der Unterscheidung von CFR und IFR zu tun? Wäre die Kritische Theorie von Adorno ernsthaft auf Seiten der Lockdown-Fans gewesen?

Dem und den historischen Erfolgen der Aufarbeitung der Corona-Politik in den USA im Repräsentantenhaus geht dieses Buch des Politologen Clemens Heni quellenbasiert auf den Grund und liefert viel Diskussionsstoff.

Ist Benjamin Netanyahu ein antizionistischer Politiker ?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Zionismus bedeutet jüdische Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit. Das war 1948. Ein wahrhaft historischer Moment.

Die Araber lehnten den einzigen jüdischen Staat ab und wollten den jungen Staat wenige Jahre nach der Shoah an seiner Gründung hindern und umgehend wieder zerstören. Fast alle arabischen Staaten und vor allem der Iran lehnen Israel bis heute ab. Dazu kommen unzählige sogenannte Akademiker:innen, NGO-Aktivist:innen, Neonazis und Linke sowie Islamist:innen sowie weite Teile im bürgerlichen Mainstream, die Israel kategorisch ablehnen und am 07. Oktober 2023 Jubelschreie von sich gaben, kicherten oder schwiegen. Während Hunderttausende völlig zu Recht gegen die Gefahr des Rechtsextremismus und der AfD auf die Straße gingen und gehen, ging von den gleichen Leuten fast niemand für Solidarität mit Juden und Israel auf die Straße. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…

Das exkulpiert aber nicht Netanyahu. Der israelische Ministerpräsident ist aktuell die wohl größte konkrete Gefahr für den einzigen Judenstaat. Er wollte schon 2023 vor dem 07. Oktober mit einer geplanten Justizreform Israel in einen autoritären Staat ohne wirkliche Gewaltenteilung verwandeln. Das wird er heute fortführen und den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, entlassen. Bar war wie Netanyahu hauptverantwortlich für das Versagen Israels, trotz offenkundiger Warnungen, das Massaker vom 07. Oktober 2023 durch die Hamas und die Palästinenser zu verhindern.

Netanyahu ist angeklagt wegen Korruption und international wird er wegen Kriegsverbrechen gesucht. Nicht nur in der Haaretz werden diese Verbrechen auch angeklagt – von zionistischer Seite. Also ist Netanyahu ein antizionistischer Kriegsverbrecher, das ist die Pointe. Das wiederum macht weite Teile Israels nicht weniger verantwortlich für die Verbrechen der IDF im Gaza-Krieg. Die israelische Militärpolizei untersucht zum Beispiel, ob die israelische Armee palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht hat. Hingegen sieht ein geplantes Gesetz in Israel vor, Menschen, die dem internationalen Strafgerichtshof – so umstritten der auch bekanntlich ist – Dokumente vorlegt, die mögliche israelische Kriegsverbrechen belegen sollten, mit einer Gefängnisstraße von bis zu fünf Jahren (!), zu verurteilen:

Tamar Meggido, an expert in international law, warned that ‚the definitions in this dangerous bill are so broad that even someone sharing on social media a photo or video of a soldier documenting themselves committing what appears to be a war crime could face imprisonment.‘

According to her, any journalist publishing an investigation that suggests a crime committed by IDF forces would also be at risk of imprisonment if the bill is passed.

Dazu kommt, dass dem israelischen Ministerpräsidenten die Geiseln vollkommen egal sind. Vermutlich werden die Dutzenden noch in den Händen der Muslim-Faschisten der Hamas befindlichen jetzt auch ermordet werden. Überlebende berichteten ja schon, dass nach jedem Scheitern von Verhandlungen und neuerlichen Kriegshandlungen sie gefoltert, geschlagen, gedemütigt und andere gar ermordet wurden. Das weiß Netanyahu, aber es ist im völlig egal. Der Zionismus ist ihm auch völlig egal, der möchte kein souveränes Israel Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat – wie ihn zum Beispiel der Anti-Hamas Aktivist und Flüchtling aus Gaza, der jetzt in Deutschland lebt, Hamza Howidy, möchte. Netanyahu möchte nicht wegen Korruption ins Gefängnis. Dafür geht er über Leichen. Es sind vor allem palästinensische Leichen, aber auch jüdische und nicht zuletzt die Leiche des – Zionismus.

Nächste Woche lädt Netanyahu rechtsextreme Politiker:innen aus Europa und der Welt nach Israel zu einer Konferenz gegen Antisemitismus ein, was selbst dem sicher nicht gerade linken Beauftragten der deutschen Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, zu heftig ist und er wird wie der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy nicht hinfliegen.

Das Drama ist, dass die extreme Gefahr, die Jüdinnen und Juden in Deutschland und weltweit speziell und verschärft seit dem 07. Okober 2023 erleben, von israelischen Politikern wie Netanyahu, Ben Gvir oder Smotrich noch angeheizt wird.

Zionismus hieße, den „Anderen“ ernst zu nehmen als möglichen Verhandlungspartner, was ganz sicher nicht die Hamas inkludiert, aber ebensowenig die gesamte palästinensische Bevölkerung in Gaza ausschließen kann. Der wahnwitzige Vertreibungsplan von Trump bezüglich Gaza fiel ja in Israel auf fruchtbaren Boden.

Joe Biden ist ein alter und kranker Mann, er war ein typischer amerikanischer Kapitalist und Imperialist (und fanatischer Antikommunist), aber er war gleichwohl auch ein zionistischer amerikanischer Präsident. Er hat mehr für den Zionismus gemacht als ein Netanyahu. Ironischerweise war der Antikommunist Biden dem Sozialismus des Zionismus von 1948 unendlich näher als es Netanyahu je war. Er war für Ausgleich und Kompromiss, für Gerechtigkeit, ohne je die jüdische Selbstbestimmung aus dem Auge zu verlieren. Er hatte einen Begriff von Zionismus – das hat Netanyahu nicht, er kennt nur sich selbst und seine rechtsextremen Kumpel, die in Israel aktuell nach Millionen zählen.

Es ist nicht nur rassistischer Fanatismus, der Netanyahu antreibt, nicht nur sein eigenes politisches Überleben, sondern auch bodenlose Dummheit. Eine faschistisch-muslimische Bewegung wie die Hamas kann man nicht komplett eliminieren. Wer das nach fast eineinhalb Jahren Krieg in Gaza und den widerwärtigen Geiselübergaben durch die Hamas-Faschisten nicht kapiert hat, hat wirklich gar nichts verstanden.

Es muss um eine mühsame aber mögliche Deradikalisierung der Palästinenser:innen gehen, primär in Gaza, aber auch in der Westbank und weltweit. Es muss um eine zionistische Antwort auf das genozidale Massaker vom 07. Oktober gehen – nicht um einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist und es darf nicht mit weiter mit rechtsextremen, sexistischen, ja in Teilen offen faschistischen Politiker:innen wie Smotrich oder Ben Gvir zusammengearbeitet werden.

Der Zionismus und Israel und die Welt haben Besseres verdient als die aktuelle israelische Regierung. Dazu jedoch muss die gesamte israelische Bevölkerung aufstehen und nicht nur ein paar Zehntausend Demonstrant:innen. Das mehrheitliche Schweigen der ach-so Pro-Israel-Szene zu Netanyahus kriminellen und antidemokratischen Aktivitäten oder seinen Kriegsverbrechen tut ein Übriges.

Wer gegen die Zweistaatenlösung ist, ist Antizionist. Das meint ironischerweise nicht nur linke Israelhasser:innen oder Fans einer selbstmörderischen Einstaatenlösung oder eines binationalen Wahngebildes, das der vormalige Anhänger dieser Idee und Zionist Gershom Scholem spätestens seit Mitte der 1930er Jahre als naiv und eben selbstmörderisch erkannte, sondern gerade auch die aktuelle israelische Regierung und den Mainstream der israelischen Gesellschaft, der weiter paralysiert ist wegen dem 07. Oktober und „den Anderen“ nicht sehen kann oder will und seien es pro-israelische palästinensische Anti-Islamisten, die „Freiheit für Palästina“ fordern …

Ein jüdischer Autor aus Ungarn bringt es in der Haaretz angesichts von geplanter Mangelernährung und bewusster Unterversorgung mit Grundnahrungsmitteln in Gaza durch Israel – von den sonstigen brutalen Kriegshandlungen ganz zu schweigen – so auf den Punkt:

Many Jews believe that they have a duty to defend Israel, regardless of its conduct. I believe that, besides our natural support and commitment to the Jewish state, we must draw a line. We cannot sacrifice the universal and Jewish ideal of justice and humanity on the altar of defending Israel, right or wrong, even when it acts in an unjust manner.

Moreover, we are not helping Israel either: we are failing to hold up a mirror to it and continue to allow it to fall into an ever deeper moral abyss. Israel has as much right to exist in the world as any other nation, and when it is attacked, it must be supported in the same way as any other country, but we must also speak out against violations and abuses, including those committed by Jews or the Jewish state. It is the only way to preserve our own moral integrity and, in my view, the only right way to show solidarity with Israel.

Der ehemaligen israelische Ministerpräsident Ehud Barak erkennt bei Netanyahu einen „toxischen Narzissmus„, auch eine Form des Antizionismus.

„Once again, it was a frontal assault launched by Netanyahu against state institutions, particularly Shin Bet, which is responsible for the investigation. And he, Netanyahu, is once again the victim.

‚Netanyahu has completely succumbed to self-delusion. He doesn’t even feel a trace of cognitive dissonance. On the contrary, he remains convinced that he is still saving Israel and even the entire West from an Islamo-Nazi conspiracy,‘ says former Israelis Prime Minister Ehud Barak, 82, who spent four years as Netanyahu’s defense minister beginning in 2009. Barak knows Netanyahu better than most and says the prime minister is suffering from a case of ‚toxic narcissism.’”

Endlich wieder Kriegsstimmung wie 1939: DIE ZEIT möchte nach der Bundestagswahl, also heute, in Wolfsburg Panzer bauen (KEIN Witz)…

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Tag danach.

Die gestrige Bundestagswahl hat das hier gebracht, DIE ZEIT schreibt:

„Aufschwung, Aufrüstung, (sozialer) Ausgleich: Das ist der Dreiklang, der die kommende Legislaturperiode prägen wird.“

Nur wirklich richtig historisch Gebildete hören da die Agitation des Jahres 1939 heraus.

Doch es wird noch deutlicher und hört sich wirklich so an wie 1939:

„Aber wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein Weg. Und das sollte dabei nicht vergessen werden: Die Rüstungsindustrie ist auch eine Industrie. Die strategische Neuausrichtung Europas schafft gut bezahlte Arbeitsplätze:

Man kann in Wolfsburg auch Panzer bauen.“

(Hervorhebung CH)

Womöglich ist das ganze eine richtig schlecht getarnte Satire.

Aber ich fürchte, DIE ZEIT meint das ernst (klären Sie mich auf, wenn ich falsch liege, danke).

Daher:

Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag!

Was lernen wir? Während die AfD oft so rumdruckst und meint, sie wäre gar keine Nazi-Partei und hätte mit der Zeit 1933 bis 1945 nichts am Hut, ist die schwarz-rote ZEIT wenigstens ehrlich: Sie fordert wieder den Panzerbau und zwar genau in jener Fabrik und Stadt, die es erst seit dem Nationalsozialismus gibt: Die VOLKSWAGEN-Fabrik aus der 1938 gegründeten „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“.

 

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