Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. September 2017
Das „TV-Duell“ von Merkel und Schulz war eine Fragestunde der AfD an die beiden Kandidat*innen, alle vier Journalist*innen – Sandra Maischberger, Claus Strunz, Maybrit Illner und Peter Kloeppel – haben von der ersten bis zur letzten Minute die Agenda der AfD gepusht.
Der Journalist Stefan Niggemeier sprach auf Twitter aus, was der minikleine denkende Teil der Bevölkerung dachte bzw. selbst auf Facebook oder anderen sozialen Medien gepostet hatte:
„Jetzt seit 40 Minuten nonstop: Die AfD fragt, die Große Koalition antwortet. #tvduell“
Einziger Feind im Land: Nicht-Deutsche. Die reale Gefahr durch den Jihad wurde zur einzigen Gefahr stilisiert.
Die seit 1989 über 150 durch Neonazis und Rechtsextreme Ermordeten? Nicht der Erwähnung wert, peanuts.
Ganz normale Bürgermeister, die eine „Hitler-Glocke“ im Kirchturm von Herxheim in Rheinland-Pfalz feiern und stolz auf sie sind? Keine Erwähnung.
Der gleiche Bürgermeister (!) dieses wohlhabenden, sehr deutschen und strunzdoofen Weindorfes, ein Ronald Becker, möchte endlich wieder betonen, dass „Hitler“ doch auch Gutes gemacht habe – das Magazin Kontraste der ARD hatte am 31. August darüber berichtet, aber für die vier Superjournalisten ist dieser unfassbare Naziskandal keine Frage wert:
Sie ist eine der letzten ihrer Art: Die ‘Hitler’- Glocke in Herxheim. Seit 83 Jahren hängt sie in der Dorfkirche und ruft die Gläubigen regelmäßig zum Gebet. Und das soll auch so bleiben, meinen Bürgermeister und Pfarrer. Trotz Hakenkreuz und ‘Führerspruch’ – die Glocke klingt so schön und gehört einfach zum Ort dazu. (…)
Ronald Becker, Bürgermeister Herxheim:
„Wenn man den Namen Adolf Hitler nennt, dann ist immer gleich die Judenverfolgung und die Kriegszeiten als erstes oben auf. Wenn man über solche Sachen berichtet, soll man umfangreich berichten. Dass man sagt, das waren die Gräueltaten und das waren auch Sachen, die er in die Wege geleitet hat und die wir heute noch benutzen.“
So ein unglaublicher Skandal, der die politische Kultur in diesem Land aufs Erschreckendste kenntlich macht, ist den vier Mainstreamjournalisten, den Systemapologeten sozusagen, völlig wurscht. Das kümmert die nicht. Das ist keine Frage für eine Bundeskanzlerin oder einen Herausforderer, ob sie sich von einem Bürgermeister und seiner ihn verehrenden, widerlichen rheinland-pfälzischen, urdeutschen Dorfbevölkerung distanzieren und sie als das bezeichnen, was sie sind: Hitler-Anhänger.
Ein anderer Bürger dieses Dorfes sagte:
„Bürger
“Ich will sie auch gern vergessen. Das ist 70 Jahre her und für mich kein Problem.”
Diese beiden Männer haben die Nazi-Zeit in Herxheim als Kinder noch miterlebt. Später saß Bernd Schmidt sogar für die SPD im örtlichen Gemeinderat. Und dennoch ist er der Meinung:
Bernd Schmidt
“Es war nicht alles schlecht. Ich will nicht sagen, wir bräuchten heute noch mal einen Adolf Hitler, das brauchen wir nicht mehr, aber es war nicht alles schlecht, was Adolf Hitler gemacht hat.”
Kontraste
“Was war denn gut?”
Bernd Schmidt
“Als der Hitler an die Macht kam, wurden die Leute beschäftigt, die Autobahnen wurden gebaut, es gab keine Arbeitslosen mehr. Die Leute waren zufrieden.”
Dieser Bernd Schmidt ist also die männliche Ausgabe von Eva Herman, der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin. Die AfD fragt sich, warum sie bislang nur in Goebbels-Manier (Björn Höcke) hetzte, den Schießbefehl auf Nicht-Deutsche an der Grenze ins Spiel brachte (Beatrix von Storch), das Naziwort „völkisch“ wieder einführte (Frauke Petry) und Deutsche zu Nicht-Deutschen machte und rassistisch erledigen („in Anatolien entsorgen“) will (Alexander GAUland), aber nicht so offen Hitler lobte!
Die AfD sollte den vier Starjournalist*innen Illner, Maischberger, Strunz und Kloeppel die Ehrenmitgliedschaft auf Lebenszeit geben. Denn diese vier Journalist*innen sind mit verantwortlich, dass die rechtsextreme Agenda der AfD weiter tief im Mainstream verankert ist und solche Skandale, die die Wahrheit über Deutschland kenntlich machen, wie Herxheim, eben nicht auf die ganz große Tagesordnung vor dutzenden Millionen Zuschauer*innen gleichzeitig in ARD, ZDF, RTL und Sat1 kommen.
Die Agenda der extremen Rechten, von Boris Palmer (Grüne) über Ulrich Greiner und Matthias Matussek (Zeit) zu den Internetportalen Achgut, Politically Incorrect (PI), unzähligen verschwörungsideologischen Portalen, allen möglichen rechtsextremen Seiten, den Zeitschriften Compact Magazin, Junge Freiheit bis hin zu Pegida und vorneweg der AfD, wurde von den vier Vorzeigejournalist*innen gewissenhaft auf die Tagesordnung gesetzt. Islam, Doppelpass, In-die-Kirche-gehen (!): das waren die Fragen.
Vernichtungsfantasien gegenüber Linken durch AfD-Politiker im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern? Peanuts.
Nazis bei der Bundeswehr oder der Polizei? Kann man ignorieren. Dabei ist das Problem so groß, dass kürzlich bei einem Polizeieinsatz in Rostock die örtliche Polizei vom BKA, Bundesanwaltschaft und anderen Einheiten nicht vorab informiert wurde, weil nicht sicher war, ob die Rostocker Polizei Nazis in den eigenen Reihen schützen und warnen würde.
Polizeigewalt und Entzug von Akkreditierungen von Journalisten beim G20-Gipfel? Peanuts, „wir“ loben die Polizei und wollen sie besser ausstatten.
Mit der AfD wird erstmals in der Geschichte dieses Landes eine Nazipartei in den Bundestag einziehen – kein Thema für die Journalist*innen. Merkel meinte ganz am Schluss, sie würde weder mit der AfD NOCH der Linkspartei koalieren, als ob Rassismus und Nazismus das gleiche seien wie eine bescheidene linke Agenda.
Da lachen die Nazis, denn eine solche Abgrenzung ist keine: David Duke bedankte sich bei Trump, als dieser sich von BEIDEN Seiten, die in Charlottesville gewalttätig gewesen seien, den Nazis wie der Antifa, distanzierte.
Ein solches Braun=Rot-Spielchen erkennen die Nazis sofort als Weißwaschung.
Das TV-Duell zeigte, wie die AfD in wenigen Jahren dieses Land vollends zerstört hat, die politische Kultur ist eine rechtsextreme. Die Journalist*innen in diesem Land wurden durch diese vier Persönchen zu Fürsprechern der Agenda der AfD. Kein eigenes Denken, keine Kritik, sondern Affirmation des rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Diskurses der extremen Rechten.
Der einzige minikleine Lichtblick dieses unerträglichen 97-Minuten-Fernsehspektakels für die AfD war eine Rand-Bemerkung von Martin Schulz: beim Thema Jihad und Islamismus erwähnte er als einziger die Gefahr für „Israel“. Es mag ein Lippenbekenntnis sein, aber es war eines – sonst hat niemand den Judenstaat auch nur erwähnt!
Die Absurdität, Michael Müller auf die Liste des Simon Wiesenthal Centers der schlimmsten antisemitischen Äußerungen 2017 zu setzen, weil er sich z.B. nicht ausreichend von der antisemitischen BDS-Kampagne distanziert habe und gar nicht gesagt wird, dass sich seine Partei, die SPD Berlin, per Beschluss von BDS distanziert und sein Kabinett im Berliner Senat mit Klaus Lederer (Die Linke) einen der schärfsten Kritiker des Antisemitismus und pro-israelischen Redner auf Pro-Israel-Demos in seinen Reihen hat – kein Thema. Selbst die jüdische Gemeinde zu Berlin ist gegen die Aufnahme Müllers in diese Liste.
Wer darauf gehört, ist der Bürgermeister von Herxheim, Ronald Becker, mit seiner volksgemeinschaftlichen Dorfbevölkerung.
Oder Donald Trump, der sagte, bei denen, die in Charlottesville „JEWS will not replace us“ schrien, seien „fine people“ dabei gewesen. Das ist ein Top Ten Platz der schlimmsten antisemitic slurs 2017.
Auf absolut schockierende Art und Weise wurde in der ARD, dem ZDF, RTL und Sat1 am Sonntag, den 3. September 2017, ab 20. Uhr 15, also Prime Time 97 Minuten lang die Wahrheit gezeigt: so elendig ist der deutsche Journalismus, Maischberger, Strunz, Kloeppel und Illner haben das wahre Gesicht des extrem rechten Mainstreamjournalismus, der den Nazis nach dem Maul redet, gezeigt. Die Journalist*innen waren noch viel übler, angepasster an den rechtsextremen AfD-Diskurs, als die Kanzlerin bzw. Schulz, die mit ihren Plattitüden einfach nur Schlaftabletten waren wie immer (Ausnahme von Schulz siehe oben).
Die AfD war gar nicht geladen zu dem Duell und doch der einzige Sieger. Verlierer sind die Flüchtlinge, die Demokratie, linke Gesellschaftskritik und die Kritikfähigkeit des Journalismus.
©ClemensHeni