Von Dr. Clemens Heni

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Am 11. September 2012 wird der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt verliehen. An diesem Tag im Jahr 1903 wurde Theodor W. Adorno geboren. Was liegt nun näher, für ganz normale Deutsche, als an diesem Tag, dem 11. Jahrestag des islamistisch motivierten Massenmordes von 9/11, eine antiamerikanische, den Holocaust und den Nationalsozialismus verharmlosende Frau die Laudatio auf die Israelhasserin Judith Butler, die sich als zärtliche Freundin von Seyla Benhabib, Martin Buber und Hannah Arendt vorstellt und Israel im Sinne eines (deutsch-jüdischen) “kulturellen Zionismus” zerstört wissen möchte, halten zu lassen?

Eva Geulen heißt die Laudatorin

 

und in meinem Buch Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11 schrieb ich über sie. 

 

Sie hat ein Büchlein zur Einführung in das Denken des italienischen Philosophen Giorgio Agamben geschrieben. Darin wendet sie sich wie der modische Vorzeigeverniedlicher des Nationalsozialismus im Suhrkamp-Verlag gegen “biopolitische Interventionen im Alltag” und findet es total angemessen mit der “Auschwitz-Insinuation” herum zu fuchteln. Daher schrieb ich also im August 2011:

2004 wurde deutlich, wie Antiamerikanismus, eine Verharmlosung des Antisemitismus sowie die Rede vom ubiquitären ‚Lager‘ bei Agamben jeglichen Realitätsbezug vermissen lassen. Denn ein Buch der Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen[i] zur Einführung in das Denken Agambens stellt sich unverhohlen hinter diesen modischen, antimodernen und antisemitischen Vordenker. Es ist eine typische Antwort heutiger Gegenintellektueller auf den Islamismus und den 11. September. Ein Gegenintellektueller ist in der Tradition der Mandarine zu sehen, also der früheren chinesischen Berater des Kaisers. Gegenintellektuelle wenden sich gegen Herrschaftskritik und Gesellschaftsanalyse im aufklärerischen Sinn, eher stehen sie für Gegenaufklärung und Restauration.[ii] Viele Wissenschaftler und von der Öffentlichkeit als „Intellektuelle“ wahrgenommene Personen sind eher Gegenintellektuelle, so kritisch sie sich auch gerieren mögen. Ein antiwestliches Ressentiment ist häufig grundlegend, so etwa die Diffamierung der USA als eine Art ‚Nazi-Land‘ bei Agamben; seine Verteidigerin Eva Geulen kokettiert damit:

„Viel Ärger und viel Lob hat sich Agamben eingehandelt, als er unter skandalträchtigem Verweis auf die Tätowierung von KZ-Häftlingen im Frühjahr 2004 eine Gastprofessur an der New York University nicht antrat, weil er sich exemplarisch und öffentlich der von den USA nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 von allen Einreisenden verlangten Abnahme eines DNA-Fingerabdrucks verweigerte (wer im Besitz einer green card ist, hat ihn längst hinterlegt). (…) Ihm einen direkten Vergleich zwischen der Immigrationszone des New Yorker Kennedy-Flughafens und einem Konzentrationslager zu unterstellen ist offensichtlich verfehlt. Schockiert könnte man sich aber darüber zeigen, dass wir uns an biopolitische Interventionen im Alltag offenbar schon so sehr gewöhnt haben, dass es der Auschwitz-Insinuation bedarf, um die Lethargie zu unterbrechen. Was in solchen Räumen geschieht, ist nicht mehr rechtlich abgesichert, sondern hängt ‚von der Zivilität und dem ethischen Sinn der Polizei‘ ab, die vorübergehend in solchen Räumen als Souverän agiert.“[iii]

Es ist antisemitisch, eine Kontinuität von den Lagern und den KZs hin zu vergleichsweise harmlosen DNA-Fingerabdrücken im 21. Jahrhundert zu imaginieren. Letztere sind zudem als Reaktion auf den von Islamisten verübten Massenmord im World Trade Centereingeführt worden. Die Forschung redet jedoch lieber von „Bio-Politik“ statt von antimodernem Islamismus.

Wurde das Gedenken an Theodor W. Adorno jemals so sehr in den Dreck gezogen wie am 11. September 2012 in Frankfurt am Main in der Paulskirche? Das deutsche Establishment, nicht nur Axel Honneth und Micha Brumlik, wird klatschen und innerlich johlen und frohlocken ob soviel Antisemitismus, Hass auf Amerika und Israel, Banalisierung von Auschwitz und Abscheu vor Theodor W. Adorno.


[i] Geulen ist Professorin am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Abteilung für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Universität Bonn, http://www.zfkw.uni-bonn.de/zentrumsrat/mitglieder/profile/geulen.html (21.02.2011).

[ii] Zum Begriff des Gegenintellektuellen vgl. Heni 2007, 87–89.

[iii] Eva Geulen (2005): Giorgio Agamben zur Einführung, Hamburg: Junius, 101. Auch an anderer Stelle verharmlost die Autorin selbst den Nationalsozialismus, wenn sie in Anlehnung an Agamben die „Schutzhaft im Nationalsozialismus“ mit der Situation „der Gefangenenlager in Guantanamo Bay“ gleichsetzt und jeweils als „Ausnahmezustand“ bezeichnet (vgl. ebd., 96f.); Letzteres ist eine Begrifflichkeit des Nazijuristen Carl Schmitt, einer Referenzquelle Agambens.