Der Publizist Maxim Biller hat jüngst in der ZEIT das affirmative Gebrabbel im Feuilleton würzig attackiert und zumal die Beliebigkeit weitester Teile der Publizistik in ihrer ganzen desolaten Diktion bloßgestellt:
„Sie wollen, anders gesagt, jeden Abend Ihre beruhigende Luhmann-, Lilla-, Eribon- oder Heidegger-Pille nehmen und dann die Nacht und vielleicht sogar noch den halben Tag ungestört durchschlafen. Und dann wollen Sie eine temperamentlose, geistlos abwägende Buchkritik lesen, dort eine Sozialreportage oder einen Flüchtlingsbericht, deren Hauptmerkmale billiges Moralisieren und zeitgenössische Journalistenschulen-‚Beschreibungsimpotenz‘ sind, und wenn Sie einen Leitartikel lesen, dann gefällt er Ihnen nur, wenn Sie hinterher genauso denken wie davor.“
Maxim Biller
Nehmen wir ein Beispiel: die französische Filmschauspielerin Catherine Deneuve fabuliert von einem „Klima einer totalitären Gesellschaft“ und meinte damit die Kritikerinnen des Sexismus im Zuge der #metoo-Kampagne, wie die Journalistin Katja Thorwarth in der Frankfurter Rundschau analysiert. Demnach ist die Abwehr sexualisierter, männlicher Gewalt in patriarchal strukturierten Gesellschaften das Gleiche wie der Sexismus, ja die Kritik sei „totalitär“. Als ich kürzlich auf Facebook einen Text zur Kritik an einem verstaubten, 1950er Jahre-style, sexistischen Gedicht von Eugen Gomringer an der Hochschule Alice Salomon in Berlin verlinkte, wurde von einem Kommentator schwupsdiwups dem AStA eine „Vergewaltigung“ des Gedichts vorgeworfen. Wer wird in dem Gedicht nochmal zum Objekt degradiert?
Wir kennen diese Gleichsetzung von Kritik und Gewalt oder von Links und Rechts aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Geschichtspolitisch sehr wirkmächtig ist seit Jahrzehnten die Gleichsetzung von Rot und Braun, wie wir das von der Prager Deklaration von 2008 kennen, die behauptet, die Verbrechen des Nationalsozialismus seien kategorial gleichzusetzen mit den Verbrechen des Stalinismus. Da wird ganz bewusst verschwiegen, wer Auschwitz gebaut und betrieben hat (die Deutschen) und wer es befreit hat (die Rote Armee der UdSSR). Diese Gleichsetzung, die sich weigert einen klaren antifaschistischen Standpunkt einzunehmen, wird von international renommierten Holocaustforschern kritisiert, wie von Dovid Katz aus Litauen, Alvin Rosenfeld aus USA, oder von Efraim Zuroff aus Israel.
Ein Unterzeichner dieser Prager Deklaration, die de facto den Holocaustgedenktag, den 27. Januar, zugunsten eines europäischen Gedenktags 23. August, jenem Tag, als 1939 der Hitler-Stalin Pakt geschlossen wurde, ablösen möchte, ist Altbundespräsident Joachim Gauck. Gauck ist auch dafür kritisiert worden, dass er den Holocaust trivialisiert, wahlweise mit religiösen Bedürfnissen von Nicht-Gläubigen oder Nazi-Autobahnen mit DDR-Kindergärten analogisierte. Als der Journalist Deniz Yücel, der damals noch ein freier Mensch war (FREE DENIZ!!!), vor einigen Jahren Gauck dafür kritisierte, wurde ihm im Fernsehen vom Grünen Jürgen Trittin „Schweinejournalismus“ vorgeworfen. Wieder also das Schema: links gleich rechts, Verharmlosung des Holocaust sei das Gleiche wie eine schön gewürzte Attacke auf einen Ex-DDR-Pfarrer.
Oder nehmen wir das Beispiel Frankfurt: dort gibt es öffentliche Kritik an einem linken Kulturzentrum, das staatliche Unterstützung bekommt, wie das unzählige Kulturzentren in der ganzen Republik seit Langem bekommen. Jetzt aber wird z.B. von der Frankfurter Neuen Presse (FNP) in den Raum geworfen, was wohl los wäre, würden Neonazis staatliche Unterstützung bekommen für ein Hausprojekt. Damit wird suggeriert, der Hass auf Vielfalt, Migranten, Muslime, Frauen, Demokratie, Juden, die Antifa und Andere sei kategorial das Gleiche wie linke Kritik an den deutschen Zuständen. Während Linke Menschen als gleich ansehen, sind für die Rechten Menschen ungleich.
Und was ist mit den unsagbaren Debatten nach den G20-Randalen? Da wurde von „Linksfaschismus“ mit Schaum vor dem Mund agitiert, Neonazis und jihadistische Mörder wurden mit linken Plünderern oder Leuten, die Autos anzünden, gleichgesetzt. Es war eine publizistische Pogromstimmung gegen alle Linken, dabei ging massive Gewalt gerade von Seiten der Polizei aus. Vor allem: wenn Politiker wie Jens Spahn (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) oder Peter Altmaier (Bundeskanzleramt) von Linksfaschismus gleichsam faseln, linke Randale mit Nazis und Islamisten gleichsetzen, wie sie es getan haben, dann wird Gewalt trivialisiert und es fehlt jeder moralische und politische Kompass. Seit wann ist das Ermorden von Menschen, wie es neonazistische Gewalt nicht erst, aber verschärft seit 1989 kennzeichnet mit über 190 ermordeten Linken, Migranten, Obdachlosen, Punkern, Antifas etc., oder ein jihadistisches Massaker wie durch den Islamisten Anis Amri am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 das Gleiche wie linke Randale gegen Sachen? Seit wann ist Mord das Gleiche wie Sachbeschädigung oder sogenannter Landfriedensbruch? Da fehlt den Agitatoren doch jegliches Urteilsvermögen und jeder analytische wie moralische Kompass.
Das krasseste Beispiel dieser Sorte war vielleicht der Kommentar von US-Präsident Donald Trump nach den schockierenden und mörderischen Aktionen von Neonazis in Charlottesville, wo eine Frau von einem Nazi mit einem Auto zu Tode gefahren wurde. Diese Rechtsextremen schrien unter anderem „Jews will not replace us“. Nachdem sich Trump erst nach einigen Tagen dazu äußerte, sagte er völlig ernsthaft, es habe „auf beiden Seiten sehr feine Leute“ gegeben – also bei den Nazis wie bei der Antifa. Diese Affirmation des Antisemitismus aus dem Munde eines US-Präsidenten ist ein Zeichen unserer Zeit.
Oder nehmen wir zuletzt Marietta Slomka vom ZDF. In einem Gespräch mit dem wiedergewählten Präsidenten von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, wollte sie ihn unbedingt in die Ecke drücken und zu einem Statement gegen Rechts und Links bewegen, was den Focus ganz heiß machte. Fischer hat sich so klar wie bislang kaum ein führender Repräsentant eines großen Fußball-Bundesliga Vereins gegen die AfD ausgesprochen und auch die Unvereinbarkeit von AfD- und Eintracht-Mitgliedschaft unterstrichen. Slomka insinuierte, ob wir denn dann bald Spiele von rechten gegen linke Clubs haben werden. Fischer musste, in die Ecke gedrängt, Aktionen gegen Pyro-Technik und linke Ultras durch seinen Verein erwähnen, so also ob Pyro-Technik das Gleiche sei wie das Lob auf die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und andere antisemitische Agitation durch die Alternative für Deutschland (AfD).
Bevor dieses Land sich zum Antifaschismus bekennt, wählt es lieber ganz verfassungskonform einen AfDler zum Bundespräsidenten, zur Bundeskanzlerin oder zur Bundestagspräsidentin. Bevor Deutsche Haltung zeigen, lösen sie das Ticket am Bahnsteig und die AfD ist mit dem ICE5 längst abgefahren.
Diese Standpunktlosigkeit ist nicht nur Kennzeichen post-bürgerlicher kapitalistischer Kulturindustrie, nein, sie ist das Mantra des deutschen Journalismus, der deutschen Politik, der herrschenden kulturellen, medialen, wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Klasse und unserer politischen Kultur insgesamt.
Von CLEMENS HENI Die Autorin Naika Foroutan soll morgen im Schauspiel Frankfurt reden. Unser Gastautor ist dagegen, ihr ein solches öffentliches Forum zu geben. Er unterstellt ihr proiranische und antiisraelische Propaganda zu betreiben.
Nationalismus, Rassismus und das Aufwiegeln gegen „den Anderen“ sind massive Probleme in dieser Gesellschaft. So ist z.B. der Einzug der AfD in die Parlamente bis hin zum Bundestag eine der größten Katastrophen für die politische Kultur in diesem Land. Doch hilft es, den Extremismus der AfD zu attackieren, aber z.B. den islamistischen Iran zu verteidigen und sogar Israel und somit auch Juden zu diffamieren?
Diese Frage stellt sich angesichts einer geplanten Veranstaltung mit einer Forscherin, die am 30. Januar im Schauspiel Frankfurt, dem laut Selbstdarstellung „größten Sprechtheater in der Rhein-Main Region“, reden soll: Die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan von der Humboldt-Universität Berlin. Sie wird im Rahmen der Reihe „Denkraum“ unter dem Titel „Schleier macht stark – bedroht der Islam unsere freiheitlichen Werte?“ angekündigt.
Doch ist Foroutan eine geeignete Rednerin, wenn es um Ausgrenzung und Kritik an Ressentiments geht? Sie schreibt in einem Buchbeitrag:
„Im Westen gilt die viel verbreitete Meinung, dass der Krieg der Islamisten gegen die Werte der westlichen Welt gerichtet sei, sprich gegen Pluralismus, Demokratie, Freiheit und offene Gesellschaften. In der islamischen Welt ist man vielfach der Überzeugung, der Terror richte sich gegen Fremdherrschaft, Korruption, versteckte Kriegstreiberei, Unterstützung diktatorischer Regime, Ausbeutung der islamischen Länder aus machtpolitischen und energiepolitischen Motiven und zerfallende moralische Strukturen – daher distanzieren sich viele Muslime auch nicht so eindeutig von den Terroranschlägen.“
Wow, das sind skandalöse Verdrehungen! Der Massenmord vom 11. September 2001 sei eine Reaktion auf die „Ausbeutung der islamischen Länder“ gewesen? Foroutan rationalisiert den Islamismus und den Dschihadismus, sprich: Sie sucht rationale Gründe für das irrationale, islamistisch-antisemitisch motivierte Morden. Welche „Fremdherrschaft“ im Nahen Osten im Jahr 2001 rechtfertigte es denn, 3000 Menschen im World Trade Center in New York City zu pulverisieren?
Wie kommt eine Forscherin darauf, diesen nie dagewesenen Terrorangriff von Dschihadisten auf die westliche Welt so zu verniedlichen?
Foroutans Dissertation – „Kulturdialoge zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Eine Strategie zur Regulierung von Zivilisations-konflikten“ – zeigt, in was für eine problematische Richtung ihre Forschung geht.
Das einzige Kapitel, das sich mit „religiösem Fundamentalismus“ befasst, negiert sofort die Spezifik des Islamismus:
„Der Anspruch auf eine Entwestlichung der Welt wird nicht nur vonseiten der islamischen Fundamentalisten erhoben: Auch jüdische Ultraorthodoxe und christliche Fundamentalisten oder radikale Sikhs fordern eine Abkehr von der westlichen Moderne.“
Bar jedes Blickes auf die Wirklichkeit der letzten Jahre behauptet sie, ,Fundamentalismen‘ gebe es allüberall, und alle seien potenziell ähnlich gefährlich. Natürlich sind alle fundamentalistischen Leute gefährlich, aber wann gab es das letzte Mal Terroralarm in Toulouse, Brüssel, Berlin oder Nizza angesichts von christlichen oder jüdischen Mordanschlägen oder Selbstmordattentätern?
Falsche Vereinnahmung
In einem weiteren Zitat setzt die Autorin islamistische, antisemitische Vordenker des weltweiten Dschihad wie Sayyid Qutb und Nazis wie Martin Heidegger mit einem Dialektiker und kritischen Theoretiker wie Max Horkheimer gleich, die alle drei gegen die westliche Moderne gewesen seien. Das ist an Perfidie schwer zu überbieten: Nur zufällig – weil er rechtzeitig fliehen konnte – überlebte der Jude Horkheimer den Holocaust. Gemeinsam mit Theodor W. Adorno, der auch nur mit Glück der Barbarei entrinnen konnte, schrieb er 1944 im Exil in USA die Dialektik der Aufklärung, die im Namen der Aufklärung die westliche Welt analysiert, verteidigt und kritisiert.
Dann rechtfertigt Foroutan den Antizionismus der arabischen Welt und fantasiert von einer „jüdischen Lobby“, die die USA dazu gebracht habe, im September 2001, vor 9/11, die sogenannte UN-Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban – eine unfassbar aggressive, antijüdische Konferenz, wie Teilnehmer*innen berichteten – zu boykottieren:
„Noch schmerzlicher mussten die USA diese Erfahrung jedoch am 11. September 2001 machen, als die Terrorakte der islamischen Fundamentalisten das Land heimsuchten. Nicht nur in der islamischen Welt wurde dabei eine direkte Verbindung zu der Erniedrigung der Palästinenser durch den Staatsterror Scharons in Israel hergestellt, auch in Europa und den USA wurde ein solcher Zusammenhang erkannt.“ Man kann viel an Israel kritisieren, und Linkszionisten kritisieren, namentlich auch die aktuelle Regierung von Netanyahu, aber den damaligen Ministerpräsidenten Scharon als Staatsterroristen zu diffamieren, ist eindeutig antisemitisch. Genauso agitierte 2002 auch Jürgen W. Möllemann von der FDP oder hetzen fanatische Muslime hier und heute in Frankfurt, Köln oder Berlin und verbrennen israelische Fahnen.
Und noch etwas: Naika Foroutan bezieht sich in ihrer Studie mehrfach auf Mohammad Chatami, der als „Wortführer des Dialogs zwischen den Zivilisationen“ schöngeredet wird. Kein Wort der Kritik an ihm.
Unter der Präsidentschaft von Mohammad Chatami wurde die Islamische Republik eine Zufluchtsstätte für Neonazis und Holocaustleugner wie Jürgen Graf oder Wolfgang Fröhlich. Im Dezember 2000 nannte Chatami Israel einen zu beseitigenden „krebshaften Tumor“, und im Oktober 2000 hatte er im iranischen Staatsfernsehen gesagt, die islamische Welt solle sich auf eine harte Konfrontation mit dem „zionistischen Regime“ einstellen.
Arme Opfer?
Es ist wichtig, sich in aller Schärfe gegen den Rechtstrend in unserer Gesellschaft zur Wehr zu setzen, gegen die Diffamierung von Musliminnen und Muslimen und allen anderen Minderheiten wie Linken und der Antifa. Aber es ist völlig kontraproduktiv, dazu eine Autorin wie Naika Foroutan als Rednerin einzuladen, die sich völlig positiv auf den islamistischen Iran bezieht, die Muslime als arme Opfer des Westens präsentiert, ja Israel „Staatsterrorismus“ andichtet und den dschihadistischen Massenmord vom 11. September rationalisiert und kleinredet. Darüber sollte das Schauspiel Frankfurt einmal nachdenken.
Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler, Autor von sechs Büchern und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA).
Inoffizielle Transkription (typische Wörter der gesprochenen Sprache wie „äh“, „mhm“ etc., wurden nicht aufgenommen):
Clemens Heni in Köln vor dem WDR Studio, Foto: privat
Intro: WDR 5 Neugier genügt mit Thomas Koch –
Im WDR Gebäude in Köln, Foto: privat
Koch: … „und einem Mann zu Gast in der ‚WDR 5 ‚Redezeit‘, dessen Lebensthema der Antisemitismus in Deutschland ist, er schreibt darüber, er diskutiert mit großer Leidenschaft und untersucht ihn als Politikwissenschaftler und als Leiter des Berliner International Center for the Studies of Antisemitism. Den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag hält er für die größte politische Katastrophe und größte Krise des Parlamentarismus seit Jahren. Darum soll es jetzt gehen in der ‚Redezeit‘ mit Clemens Heni. Schönen guten Tag, Herr Heni.
Heni: Ja, guten Morgen, Herr Koch.
Koch: Schön, dass Sie da sind, aus Berlin gekommen
Heni: Genau.
Koch: Und in Köln übernachtet.
Heni: Genau.
Koch: Die Nacht gut überstanden?
Heni: War sehr schön, Zülpicher Straße.
Koch: Kann man machen.
Heni: Absolut.
Koch: Auch bei dem Wetter, war‘s die sichere Variante. Ja, heute ist mal wieder ne Bundestag-Sitzung mit wohl allen 92 Abgeordneten. Die kommen immer alle, was die anderen Parteien nicht so streng machen offensichtlich. Was ist schlimm daran, dass die AfD im Bundestag sitzt und dass sie heute dort auch als politische Kraft vertreten ist?
Heni: Ja, ich denk mal, die AfD verändert das politische Klima im Bundestag massiv. Sie hat eine sehr deutsch-nationale, nationalistische, würde ich sagen, und rassistische Agenda und verändert auch das Verhalten im Parlament. Ich habe vor kurzem einen Bericht über einen FDP, einen jungen FDP-Bundestagsabgeordneten gesehen, der fassungslos in der ARD in einer Sendung erzählt hat, er hört oftmals überhaupt nicht, was gesprochen wird, weil die einfach krakeelen. Also, das ist Tumult, ja. Das kriegt man gar mit so hier, wenn man Zeitung liest oder im Radio. Also die Sitzungen müssen komplett anders ablaufen. Das wird sich jetzt die nächsten Monate und eventuell Jahre auch für die Forschung als Thema zeigen. Wie verändern die das Klima. Historisch haben wir einfach die schlimmste aller Erfahrungen, was passiert, wenn ein Parlament von Rechtsextremen zerstört wird.
„Historisch haben wir einfach die schlimmste aller Erfahrungen, was passiert, wenn ein Parlament von Rechtsextremen zerstört wird.“
Koch: Es laufen jetzt Dinge ab, die eigentlich ja so Formalien sind im Bundestag auch, die sind drin, und wenn die Groko kommt, die stärkste Oppositionspartei, die AfD will auch einen Bundestagsvizepräsidenten stellen mit Albrecht Glaser, dann den Vorsitz im Haushaltsausschuss sollen sie bekommen und der AfD-Mann Roman Rausch, ehemaliger Oberstaatsanwalt aus Berlin, soll ins Parlamentarische Kontrollgremium berufen werden des Bundestages, das die Geheimdienste kontrolliert. Man könnte das jetzt ganz nüchtern sehen und sagen: ja da ist ne neue Partei, das steht denen eigentlich zu, in diese Funktionen dann auch zu kommen – oder man sagt, das darf auf keinen Fall passieren, weil daraus etwas Schlimmes resultieren würde. Welche Position haben Sie?
Heni: Absolut, also das sollte nicht passieren, weil die politische Kultur, also wie wir in diesem Land über andere Menschen reden, ja, was für Vorstellungen wir in der Öffentlichkeit diskutieren, ändert sich massiv. Also, wir hatten jetzt ja den Skandal mit nem Bundestagsabgeordneten, Jens Maier, der auf ungeheuer rassistische Weise, wie wir das früher wirklich nur von Neonazis in den 1980er und 90er Jahren kannten, einen schwarzen Deutschen beleidigt hat, Noah Becker, der Sohn von Boris Becker und Barbara Becker. Und solche Sachen von einem Bundestagsabgeordneten. Und das ist in diesem Land zwar in einigen Medien ein Skandal, aber nicht wirklich für die ganz große Gesellschaft, dass es jetzt Massendemos gibt mit 10, 100.000 Leuten, die sagen, Menschen mit schwarzer Hautfarbe werden auf diese Weise nicht beleidigt. Das müsste es geben, gibt’s aber nicht. Und da sehe ich eine große Gefahr, weil natürlich viele Menschen sagen, „der ist ja Bundestagsabgeordneter und wenn der sich dann halt so äußert mit nem Tweet dann ist das halt ein Bundestagsabgeordneter“. Und das legitimiert dann einen solchen Rassismus.
Koch: Aber was wird das jetzt konkret heißen für die Besetzung von Ämtern im Bundestag? Weil die AfD natürlich sich in der Opferrolle sehr gut gefällt wenn man sagt, „ihr dürft das nicht und wir werden das mit aller Macht verhindern“, gibt man natürlich was auf diese Mühle auch.
Heni: Klar, die versuchen sich natürlich immer als Opfer zu gerieren, das ist klar, vermutlich wird das formal grad bei dem Haushaltsausschuss schwer werden. Entscheidend ist, denk ich, dass die Gesellschaft insgesamt einen Blick drauf hat, was für ne extremistische Partei das ist, ja, unabhängig davon, welche konkrete Posten die haben. Und richtig gefährlich, in Österreich haben wir das jetzt ja auch, kann das werden, wenn wir über Geheimdienste reden oder über Verfassungsschutz, wo dann teilweise Leute sitzen, also in Österreich haben wir das Beispiel und bei uns wird es ähnliche geben, dass Leute die Beziehungen, also connections zu Neonazis, dann durchaus Daten bekommen, persönliche Daten von Leuten, die z.B. Demonstrationen anmelden usw. Das kann in Deutschland, wo wir nun 190 Tote haben durch Rechtsextreme haben die letzten 30 Jahre, sehr gefährlich werden.
Koch: Wie wirkt das in die Gesellschaft, was verändert sich dadurch im Alltag der Menschen, was auch Antisemitismus angeht aus Ihrer Sicht?
Heni: Also das ändert massiv etwas, wenn wir jetzt Leute haben im Bundestag wie Gauland, die ganz offen stolz sind auf die deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen, dann heißt das ja, sie sind stolz auf das, was die getan haben. Und wir wissen, die Wehrmacht war beteiligt am Holocaust. Also haben die Leute überhaupt kein Problem mit dem Holocaust, sie leugnen den Holocaust gar nicht, obwohl sie ja auch Holocaustleugner haben bei der AfD, wie den Gedeon, sondern die sind sogar stolz auf die „Leistungen“ der deutschen Soldaten. Das würde ich als klar antisemitisch bezeichnen. Oder Begriffe wie „völkisch“ von Frauke Petry, die ja nun gar nicht mehr dabei ist bei der AfD oder „Volksgemeinschaft“; das sind Begriffe, die sind aus der Nazizeit und die haben damit einen antisemitischen Charakter. Und die sollte man nicht verwenden und die werden aber in der Öffentlichkeit immer schamloser verwendet, weil Bundestag ist natürlich salonfähig.
Koch: Aber nochmal zurück zu dem Punkt was man jetzt damit machen soll. Weil die fünfeinhalb Millionen Wählerinnen/wähler haben die AfD gewählt.
Heni: 5,8
Koch: 12,6%, sie sind da und sind auf demokratischem Weg in diese Position gekommen. Was sollte man damit tun jetzt aus Ihrer Sicht?
Heni: Richtig. Also erstmal muss man erkennen, wir haben ein Problem mit der Bevölkerung. Also, ich würde nicht sagen, wie das viele tun, z.B. auch in der Linkspartei, dass die Leute abgehängt sind oder besorgt sind oder irgendwie so was, aber ich denke mal, wenn man zu wenig Bushaltestellen hat irgendwo auf dem Land in Sachsen-Anhalt muss man deswegen nicht Nazis wählen. Und man muss das im Blick haben, dass die Bevölkerung weiß, was sie tut, indem sie Leute wählt, die einen bestimmten Nationalismus in Deutschland befördern und das muss man thematisieren. Das ganz konkret, da haben Sie völlig Recht, man kann da vermutlich formal erstmal wenig tun. Der Herr Glaser wird ganz sicher nicht Bundestagsvizepräsident werden, weil sich alle anderen demokratischen Parteien gegen ihn ausgesprochen haben. Insofern denke ich mal, gibt’s auch ganz klare Grenzen und so.
„Wir haben ein Problem mit der Bevölkerung“
Koch: Sie haben grade was Interessantes gesagt: Wir haben ein Problem mit der Bevölkerung. Wer sind „wir“?
Heni: Wir, wir ist gut, also wir beide vielleicht, aber ich sag mal, die kritische Öffentlichkeit oder die Leute, die die nicht gewählt ham. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, was es ja auch gibt, dass man sagt, die 87% sind alle super, wir kommen ja vielleicht nachher noch drauf, dass die auch nicht alle super sind, aber, wir, sag ich mal, diejenigen zum mindesten diejenigen, die sie nicht gewählt haben. Also, das ist nun mal die große Mehrzahl des Landes, die haben nicht AfD gewählt. Aber wir haben ein Problem, weil die sitzen im Parlament und hatten eine ungeheuerliche – und Sie haben es angesprochen – das zeichnet natürlich extreme Rechte aus, die haben ne klare Ideologie und die wollen Präsenz zeigen, die wollen ja was erreichen. Während jetzt z.B. alle anderen Abgeordneten die arbeiten ganz stringent an Sachthemen, daran sind die nicht interessiert, die wollen ne bestimmte Agenda durchsetzen und das sind nicht unbedingt Sachthemen, wo CDU, SPD, Grüne und Linkspartei in irgendwelchen Ausschüssen sitzen und verpassen, ins Parlament zu gehen.
Koch: Jetzt gibt’s ja die Theorie, dass sie sich selbst entzaubern. So ist es ja auch bei rechten Parteien häufig gewesen, wenn sie in der Verantwortung waren. Würden Sie diesem Mechanismus trauen auf die AfD bezogen?
Heni: Also, viele dachten das, nachdem z.B. auch Frauke Petry und es diesen kleinen Bruch sag ich mal, gab. Aber es sieht nicht so aus. Es gibt ja auch Umfragen, nach der Bundestagswahl im September, wo man sieht, die haben nicht wirklich abgebaut. Aber, man kann das nicht wissen. Niedersachsen beispielsweise war die erste Landtagswahl nach der Bundestagswahl, da haben die, weiß nicht, 8% bekommen, da hat man gesehen, dass es vielleicht doch ein massiveres Ost-West-Gefälle gibt. Man kann das nicht wirklich wissen. Aber die politische Kultur hat sich jetzt schon massiv verändert. Und das ist ja nicht ein spontaner Prozess, sondern eben schon länger anhaltender Prozess.
Koch: So sieht das der Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher Clemens Heni, zu Gast hier in der WDR 5 Redezeit. Auch hier, weil Sie ein Buch aktuell veröffentlich haben in dem Essays von Ihnen zu finden sind – „Eine Alternative ZU Deutschland“ ist der Titel des Buches und der erst Satz darin lautet: „Für Otto Normalvergaser wie die Politiker- und Wähler/innen der Alternative für Deutschland ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen.“ Otto Normalvergaser – warum haben Sie diesen Begriff gewählt? In Anführungszeichen.
„Otto Normalvergaser“…
Der Ausdruck „Otto Normalvergaser“ stammt von dem Publizisten Eike Geisel (1945-1997), Foto: privat
Heni: Ist ein Zitat von dem Publizisten Eike Geisel und ich denke mal, er hat mit diesem Satz den Kern oder einen Kern der politischen Kultur in der Bundesrepublik auf den Punkt gebracht. Weil für die Leute war offensichtlich der Holocaust, der Nationalsozialismus nicht wirklich das Problem. Weil für die Otto Normalvergaser soll darauf hinspielen, es waren eben nicht nur Himmler, Hitler und Heydrich oder Goebbels, sondern es waren Millionen Menschen. Nicht nur die NSDAP–Mitglieder, sondern auch die Wehrmachtssoldaten oder die Polizeibataillone, in allen Bereichen der Gesellschaft. Und für diese, wie er das nennt, und ich denke mal das ist ein polemischer Begriff, weil wir reden meistens von Otto Normalverbraucher und da ist Otto Normalvergaser eben ein polemischer Begriff, der denke ich mal die Deutschen auf ne sehr zugespitzte Weise charakterisiert.
Koch: Das ist ihm gelungen, glaube ich, dem Satz, ja. Darin steckt aber auch nicht unbedingt ein Gesprächsangebot. Weil, wenn ich jetzt als Wähler oder Wählerin der AfD mir das vorstelle, dann würde ich sagen, ja ok, für den bin ich ein Nazi, der wird gar nicht mehr mit mir diskutieren. Und das wird auch immer so bleiben. Ist das so?
Heni: Man muss erstmal nicht mit allen Leuten reden, das würde ich mal so sehen. Also, ich komm aus ner antifaschistischen Grundhaltung, als Student war ich in ner Gruppe, antifaschistische Gruppe, da ist klar, mit bestimmten Menschen redet man nicht, sondern ÜBER sie natürlich, ja. Also, Rechtsextremismus ist ein großes Thema in der Gesellschaft, über das muss man diskutieren. Und es wird meines Erachtens viel zu wenig über sie diskutiert.
Koch: Aber sind denn die Wähler der AfD für die Demokratie verloren aus Ihrer Sicht für alle Zeiten?
„existentialistischer Kern“ …
Heni: Nee, so was wie für alle Zeiten gibt es nicht. Aber, erstmal würde ich sagen, das Klima im Land muss sich ändern. Und das muss sich ändern, indem Demonstrationen, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, die sich mit der Kritik am Nationalismus beschäftigen, stattfinden, über Jahre hinweg, Jahrzehnte. Und dann ist das bei keinem Menschen verloren, weil, das ist ja der Kern sag ich mal, auch meines Buches, den ich als existentialistischen Kern – das ist ein philosophischer Begriff von Sartre der in ganz anderem Kontext verwendet wurde –, aber eigentlich heißt, der Mensch ist nicht festgelegt, sondern er wählt sich seine Welt selber.[i] Und dann ist es ne freie Entscheidung ob ich mich für eine homophobe oder rassistische oder antisemitische Partei entscheide, oder auch nicht. Was auch wiederum heißt, man hat sich mal dafür entschieden, kann sich aber das nächste Mal anders entscheiden. Das ist nicht festgelegt.
Koch: Dann würde der Begriff erstmal vielleicht daran gerüttelt haben, den Sie da gewählt haben. Aus Ihrer Sicht haben Plasberg & Co., die Medien, auch öffentlich-rechtlich, durch ihre Sendungen in der Wahlkampfzeit die AfD mit erfolgreich gemacht. Was hätten die Medien aus Ihrer Sicht anders machen sollen?
Heni: Richtig. Also Günther Jauch, Anne Will, sag ich mal auch, die hätten ganz viel anders machen müssen. Die hätten von Anfang an, öffentliche Veranstaltungen, wir reden ja über nun einstündige Talkshows oder dreiviertel Stunde, je nachdem, und diese Talkshows hätten sie Expertinnen und Experten bringen können, die aufklären. Was haben sie gemacht? Sie haben gedacht, und das war ein unglaublicher Reflex, dass dieser Nazibegriff von der sog. Lügenpresse, den haben sie aufgenommen und haben gedacht, wir müssen die Leute unbedingt ins Studio holen. Die Pegida hat das nicht gemacht, im Wesentlichen, aber die AfD hat das gern gemacht, weil sie gemerkt haben, ja wir sind ja ne Partei, sie wollen ja die Macht, sie wollen ja den O-Ton und zwar fünf Minuten ungeschnitten, und nicht irgendwie eingeordnet von einem Journalisten oder ner Journalistin, reden. Und da hat Anne Will oder Sandra Maischberger, Plasberg und wie sie heißen, denk ich, riesige Fehler gemacht, weil je mehr die auch provoziert haben mit rassistischen oder rechtsextremen Begriffen oder Äußerungen, sie immer wieder eingeladen. Selbst wenn die rausgegangen sind, wie Alice Weidel das gemacht hat, mitunter, hat das nicht geschadet. Am nächsten Tag kamen schon wieder die großen Anstalten ARD ZDF und wollten sie schon wieder haben. Wo man gemerkt hat, die wollen ja gar nicht diskutieren. Und das ist der Kern, was man kapieren muss, denk ich, und das sollten auch Journalistinnen und Journalisten verstehen, zu versuchen, die wollen nicht diskutieren, sondern sie wollen ihre rechtsextreme Agenda durchsetzen, auf die eine oder andere Weise. Mal mehr militant, mal weniger. Aber das ist der Kern des gesamten Projekts AfD.
Koch: Sind die Zuschauer und Zuschauerinnen denn aus Ihrer Sicht so leicht verführbar? Also merken die Menschen das denn nicht, wenn sich das wiederholt und wenn das menschenverachtend ist? Oder sind das dann die, die sagen, das finde ich genau richtig und endlich sagt es mal jemand. Das ist ja häufig ne Reaktion. Waren die nicht vorher auch schon dieser Meinung? Oder ist da doch tatsächlich aus Ihrer Sicht noch viel in Bewegung geraten auch was Wählerverhalten angeht?
Heni: Ja, das ist richtig, denke ich. Es ist, was quasi Leute schon davor dachten, wurde dann laut artikuliert. Und die Leute hatten ne Partei, die sie wählen können oder ne Bewegung, wo sie hingehen können, Pegida war ja quasi ein Teil oder Beginn, würd ich sagen, von der AfD, wo sie zu Tausenden, teilweise Zehntausenden auf die Straße gehen konnten. Und das ist glaub ich ein ganz entscheidender Punkt, dass die Leute davor natürlich schon bestimmte extrem rechte Einstellungen hatten, die aber nie irgendwie im Parteienspektrum sich so klar äußern konnten, weil die NPD war natürlich nun ne Neonazipartei, das war den Leuten irgendwie schon klar. Aber bei der AfD, auch wenn das teilweise ähnliches Personal und ähnliches Fußvolk, sag ich mal, ist das dann nicht mehr so klar für viele. Oder sie fühlen sich bestätigt, wie Sie ja sagten. Es gibt Leute, die hatten die gleichen Vorstellungen schon vor dem Aufkommen der AfD.
Koch: Genau. „Endlich sagt es mal jemand“ mit einem beherzten Schlag. Erfährt man immer häufiger und man begegnet diesen Stimmen auch in seinem eigenen Umfeld. Nun sind wir hier im öffentlich-rechten Sender. Sie sagen, ich muss nicht mit allen reden, als Wissenschaftler oder als politisch positionierter Mensch, sagen Sie, bestimmte Sachen mach ich nicht. Wir schon. Wir machen z.B. in der nächsten Stunde auch eine Call-in-Sendung, zu allen möglichen Themen, auch natürlich tagesaktuellen Themen, auch im Vorfeld der Wahl zum Thema AfD. Und es rufen uns Menschen an, die sagen z.B., sie haben Angst vor Islamisierung und wollen da etwas loswerden. Was tun mit diesen Stimmen aus Ihrer Sicht? Wenn einfach das Thema kommt, wenn Positionen kommen, die ganz klar auch durch die AfD abgedeckt werden?
Deutschland ist Exportweltmeister bei dem Thema Antisemitismus
Heni: Ja, also Thema Islamismus ist natürlich ein sehr zentrales Thema. Ich selber habe mich viel beschäftigt mit dem Thema Islamismus, weil ich das als Gefahr betrachte und da muss man ganz klar machen, dass es einen Unterschied macht, ob man das auf demokratische Weise thematisiert, den Islamismus, oder auf eine völkische Weise, in dem man sagt, nur die Nicht-Deutschen oder die Muslime würden auf einmal den Extremismus oder den Islamismus und Antisemitismus nach Deutschland bringen. Und wir haben Antisemitismus, ja, ich wir sind würde ich mal sagen Exportweltmeister bei dem Thema Antisemitismus. Ohne Hitler würde es keine Rufe geben „Juden ins Gas“ in allem möglichen Stadien in Holland, oder in Kroatien beispielsweise oder in der arabischen Welt. Da haben die Deutschen dieses Produkt Antisemitismus exportiert und tun das in gewissen Dosen wieder reimportieren. Aber der Kern des Problems ist die deutsche Bevölkerung und der Islamismus ist ein spezifisches Problem und man muss sich ja immer angucken, im Wesentlichen ist er ein großes Problem für die muslimische Welt, weil viele Muslime ja auch keine Islamisten sind und unter den Opfern sind, im Irak, Syrien und vielen anderen Ländern.
Koch: Was heißt das konkret wie man aus Ihrer Sicht damit umgehen sollte, wo wird dann eine Diskussion darüber, was ist Ihre Sensorik, wo Sie merken, jetzt wird es in einem Bereich kompliziert und dass Positionen da auftauchen, die nicht mehr zu einer, wie Sie gesagt haben, demokratischen Diskussion gehören.
Islamismus ist eine Gefahr, die man nicht „abbügeln“ sollte
Heni: Ja, also beim Thema Islamismus beispielsweise würde ich ganz klar sagen, wenn da jemand anruft und meint, es wäre eine große Gefahr, würde ich das jetzt nicht abbügeln und sagen, es ist keine Gefahr, weil es ist eine Gefahr. Und da haben glaube ich auch viele sich selber vielleicht als links-liberale oder links betrachtende Forscher*innen oder Journalist*innen vielleicht viele Jahre, wir reden meistens über die Zeit nach dem 11. September, da zu wenig drauf geachtet. Da würde ich also erstmal sagen, das ist ein Thema. Und dann muss man aber ganz klare Points machen, indem man sagt, na ja, der Antisemitismus ist im Wesentlichen auch ein deutsches Phänomen, dazu kommt auch noch ein von Muslimen getragener. Wobei viele Muslime auch Deutsche sind, muss man auch wissen. Viele Demonstrationen, die wir haben in Deutschland, in Berlin haben wir das häufig, von Antisemiten, das sind Muslime, die sind aber auch Deutsche häufig, also die haben nen deutschen Pass. Also muss man auch sehen. Flüchtlinge sind da ganz selten dabei, bei öffentlichen Demonstrationen. Da würde ich einfach, ist natürlich in 3 Min. vielleicht schwierig, am Telefon bei Ihrer Sendung heute Mittag, klar abstecken, dass das nicht das einzige Problem ist, sondern dass in Deutschland Antisemitismus weit in die Mitte in die Gesellschaft ragt. Und da merkt man das meistens, ob die Leute dann sagen, nee, sie sehen das nur bei Muslimen oder bei Einwanderern oder ob die sagen, na ja, wir haben das als gesamtgesellschaftliches Problem.
Koch. Dann nehmen wir das als kleine Coaching–Einheit noch mit in die nächste Stunde. Clemens Heni, Politikwissenschaftler, Antisemitismusforscher. Eine Alternative ZU Deutschland heißt die Sammlung Ihrer Essays und darin zeigen Sie auf, aus Ihrer Sicht, dass das deutsche sog. Sommermärchen, die Fußballweltmeisterschaft von 2006, die Pegida-Bewegung und den Einzug der AfD in den Bundestag letztendlich geistig vorbereitet hat. Sehen in dem schwarzrotgoldenen Fahnenmeer vor 11, 12 Jahren die Keimzelle für diesen Rechtsdrall, den wir jetzt erleben. Wie bauen Sie diesen Bogen zur Fußball-Weltmeisterschaft von 2006?
Heni: Also den Bogen baue ich über den Stolz auf Deutschland und dieser Stolz ist nur möglich, indem man auf ne offenere oder etwas verdruckstere Art und Weise die Vergangenheit abwehrt. Also den Holocaust oder den Nationalsozialismus, die werden nicht mehr Themen betrachtet, sondern die werden einfach hinweggefegt. Es gibt Publizisten, Matthias Matussek beispielsweise, der früher beim Spiegel war, dann bei Welt, bei Springer, auch rausgeflogen, aber der ist ein bekannter, mittlerweile katholischer Publizist, und der hat auf ne sehr aggressive Art und Weise genau 2006 ein Buch geschrieben, wo man genau merken kann, wie dieses deutsch-nationale Gefühl bei einem Publizisten, bei einem ganz bekannten Publizisten in Deutschland, sich Bahn bricht. Das hat erstmal mit der WM nichts zu tun, aber hat genau rein gepasst in dieses Schema, dass die Leute sagen, wir sind jetzt wieder wer. Und wir sind ganz unbefangen. Und es gibt ja auch empirische Studien, Dagmar Schediwy beispielsweise, ne Soziologin, die hat sich, was ich bemerkenswert, ja beeindruckend finde, wie die es geschafft hat, rein psychisch, auf diese Fanmeilen begeben als Wissenschaftlerin und Interviews gemacht. Und ein Buch gemacht und rausbekommen: die meisten Leute waren da nicht wegen dem Fußball da, sondern sie waren schwarzrotgold angezogen und waren ganz glücklich, rumzugrölen. Das war ein deutsches Fest für diese Leute, kein Fußballfest. Und ich denk mal, das muss man wirklich im Blick haben. Und ich hab ja dann später, bei der Ankündigung vom WDR 5 haben wir das ja, den „innerer Reichsparteitag“, ein Nazibegriff, der 4 Jahre später bei ner WM wieder aufgetaucht ist, von ner ZDF – Moderatorin, Katrin Müller-Hohenstein, wo ich dann denke, so ein Begriff, einfach so, das war ja nicht witzig, sondern hat sie verwendet …
Screenshot, Katrin Müller-Hohenstein, 2010, https://www.youtube.com/watch?v=tuqUIUQ0Af0
Koch: Miroslav Klose hat ein entscheidendes Tor geschossen, das war’s glaub ich, mit polnischem Hintergrund.
Heni: Gegen Australien, ja.
Koch: Ja, für Schalke 05 fliegt man raus und da geht’s noch weiter.
Heni: Ja.
Koch: Ist das auch so etwas …
Heni: Schalke 04 heißen die.
Koch: Eben, aber es hat mal Carmen Thomas hat Schalke 05 gesagt und ist rausgeflogen.[ii]
Heni: Ach verstehe.
Koch: Ich weiß, dass Schalke 04 heißt!
Heni: Ich dachte, Sie wussten das nicht, als Dortmunder.[iii] Ja, nee, klar, und ich denk mal da ist vielleicht die Sensibilität wirklich nicht sehr groß. Ich hab durch Zufall bei der Recherche dann ein Buch gefunden von irgend einem Opa, Opa Kalli heißt der, der hat für seine Enkel ein Buch geschrieben, vor einigen Jahren und genau sich mit diesem Begriff beschäftigt, weil der war so Jahrgang, weiß nicht was, 31 und war als Jugendlicher zur Nazizeit und hat diesen Begriff gehört, „innerer Reichsparteitag“, und hat ihn dann bis in die 70er Jahre hinein gehört und erinnert sich, wer den bis in die 70er benutzt hat und das war halt ein sehr strammer alter Nazi, den er kannte von seinem Freundes- und Bekanntenkreis.
Koch: Aber, im Umkehrschluss: hätte Katrin Müller-Hohenstein diesen Begriff nicht verwendet, hätte die AfD dann weniger Stimmen bekommen?
Heni: Ganz sicher. Ich denke mal, dann wären sie gar nicht …
Koch: Wow, das ist mal ne steile These. Wir haben sie, Katrin Müller-Hohenstein, ja!
„Wow, das ist mal ne steile These. Wir haben sie, Katrin Müller-Hohenstein, ja!“ (Thomas Koch)
Heni: Wobei, ich würde sie gar nicht, es geht mir jetzt gar nicht um sie jetzt als Journalistin, sondern ich denk mal, sie steht ja doch vielleicht eher für eine Tendenz, weil viele das einfach goutieren, es war kein Skandal, wie Sie es sagten. Schalke 05 gibt’s nen riesen Aufschrei, ja, aber bei dem „inneren Reichsparteitag“ nicht. Wir haben bis heute viele Rechtsextreme und die merken das, ich hab das im Buch zitiert, am gleichen Tag haben Neonazis in nem Medium, das mittlerweile verboten wurde, altermedia, sich genau darauf bezogen und waren happy und haben sich bedankt beim ZDF, weil sie merkten, endlich sagt‘s mal jemand. Also, die merken das.
Koch: In der Rückschau tun Sie uns damit natürlich Furchtbares an. Das Sommermärchen jetzt da in diesen Zusammenhang zu stellen. Ich war auch auf einigen Fanmeilen unterwegs, habe ganz andere Erfahrungen gemacht, dass es wirklich große Verbrüderungen gab, das was der Fußball auch bei diesen Massenveranstaltungen leistet, wunderbare Begegnungen gibt, die auch von Respekt und Toleranz und auch von einer gesunden Rivalität geprägt sind, und nicht von Nationalismus, das funktioniert aus meiner langjährigen Erfahrung als Fußballfan ganz hervorragend.
Heni: Ja…
Koch: Aber es haben ja viele so gesehen und ich kann mich noch genau daran erinnern: Ach, endlich dürfen wir auch mal so einen positiven Patriotismus entwickeln, dass wir uns auch mal uns die Landesfarben ins Gesicht malen dürfen. Viele Frauen waren plötzlich dabei, die vorher beim Fußball gar nicht so dabei waren. Die fanden das total klasse, dass sie da mitfeiern konnten und natürlich in den Farben. War das ein Trugschluss aus Ihrer Sicht?
Heni: Absolut, absolut. Man muss sie mal sehen, die deutsche Hymne. Ich hab im Buch hier ein Beispiel von 1933 bei der Einweihung von einer Siedlung, einer Wohnsiedlung in Stuttgart, Kochenhofsiedlung. Ich komme aus der Gegend und hab mich auch mit Architektur beschäftigt in dem Buch. Und da geht’s um ne völkische Siedlung, die also Satteldachpflicht hatte und so, wo dann die Häuser nicht so Flachdach sind wie in Israel, weil da war bereits damals, also Palästina damals, jedenfalls…
Koch : Liegt aber auch daran, dass es häufiger regnet, hier
Heni: Ja, ja, wahrscheinlich … Aber trotzdem: Architektonisch ist es interessant. Jedenfalls gibt’s die heute noch, die Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Und das Gegenmodell war die Kochenhofsiedlung. Und in dieser Siedlung gabs dann ne Einweihungsparty mit „deutschem Holz“ und dem Horst-Wessel-Lied und dem Deutschland-Lied. Und es ist eben das gleiche Lied, das wir heute haben, auch wenn nicht alle Strophen gesungen werden von manchen. Ab und zu gibt’s auch Leute, die singen alle Strophen. Stefan Krawczyk hatte mal nen Empfang beim Bundespräsidenten, ich weiß nicht bei welchem, und hat alle drei Strophen singen wollen. Da musste man ihm sagen, das ist nicht angesagt. Es ist aber die gleiche Melodie, muss man ganz klar sagen. Oder ich nehme das beste Beispiel, ARD, Ingo Zamperoni. Der hat sich einmal getraut, vor 5,6 Jahren, beim Spiel
Ingo Zamperoni und die Ambivalenz …
Screenshot einer youtube-Seite mit Ingo Zamperoni von Juni 2012
Koch: Gegen Italien …
Heni: Ja, Italien, sozusagen er hat ein gespaltenes Herz, weil er eben ein Elternteil italienisch, eines deutsch ist. Und er hat so ein bisschen gelächelt, weil er wahrscheinlich ahnte, dass Balotelli hier die Sache zumachen wird und Italien gewinnen wird. Und das hat zu einem Shitstorm für den armen Mann und ich weiß nicht, ob er sich das nochmal getrauen wird, diese Ambivalenz … Und ich meine in Deutschland: Wir haben 18 Millionen ungefähr mindestens Leute, die haben unterschiedliche Herkünfte, die sind nicht alle, migrantische Gesellschaft, insofern…
Koch: Was ist denn dann der Unterschied, wenn ein 15jähriger, sagen wir mal Belgier, voller Begeisterung seine Landesfahne schwenkt bei einem Fußballspiel oder jetzt ham wir Handball-Europameisterschaft und wenn das ein deutscher 15jähriger macht. Wie können sie dem erklären, dass das nicht dasselbe ist.
Heni: Weil eben Belgien eine andere Geschichte hat als Deutschland. Also in Deutschland hatten wir eben die Geschichte dass übersteigerter Nationalstolz, wie das dann immer bezeichnet wird, 1933 zum Nationalsozialismus führte, also ein übersteigerter Nationalstolz oder überhaupt ein Stolz auf das Land. Ich würde noch ne ganz andere Dimension, das hab ich im Buch auch drin, das ist der sogenannte sekundäre Antisemitismus, das ist ein Antisemitismus der Abwehr der Erinnerung. Das heißt, wenn die Leute wir haben Umfragen, bis zu 80% wollen nichts mehr hören von der Nazizeit, 40% der unter 30jährigen wissen nicht, was Auschwitz war. Das sind schockierende empirische Ergebnisse. Und dann denke ich ist der große Unterschied zu Belgien, oder England und auch zu Holland, im Zweifelsfall, weil diese Länder eben nicht den Zweiten Weltkrieg verbrochen haben und eine ganze andere Geschichte haben.
Koch: Und sie würden ihm die Fahne wegnehmen deswegen?
Heni: Nee, aber ich würde ihn darauf hinweisen. Ein 15jähriger ist ein 15jähriger. Aber, wir reden ja im Wesentlichen über Erwachsene, die das organisieren. Bei Jugendlichen ist es ne ganz andere Story, um die geht’s jetzt mir hier nicht primär.
Koch: Wird das jetzt aus Ihrer Sicht, diese Verpflichtung und diese Verantwortung der Vergangenheit, der Geschichte gegenüber, wird das immer so bleiben müssen?
„keine Halbwertszeit für die Erinnerung an Auschwitz“
Heni: Also ich seh da jetzt keine Halbwertszeit für die Erinnerung oder so an Auschwitz. Also ich meine, das waren nie dagewesene Verbrechen und die werden erinnert. Man muss sich mal manche Sachen vorstellen: Wir erinnern heute alle möglichen positiven Aspekte, Französische Revolution ist ein großes Thema. Das ist 200 Jahre her und ist ja auch wichtig, zu erinnern. Und nach 70 Jahren nach den größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist seit Jahrzehnten das Thema, wann ist damit Ende. Ich meine, das muss man sich mal klar machen. Die meisten wichtigen Ereignisse, und das war das schrecklichste Ereignis, werden einfach tradiert und werden erinnert.
Koch: Nee, ich meine jetzt auch darauf bezogen, dass man sich nicht so daran erinnert, wie das der belgische Junge macht. Also dass es eine spezielle deutsche Erinnerung geben muss darauf.
„Die Belgier haben eben nicht sechs Millionen Juden umgebracht“
Heni: Das ist wichtig, natürlich. Ich meine, die Belgier haben eben nicht sechs Millionen Juden umgebracht. Und in Deutschland, wir haben jetzt Diskussionen beispielsweise mit den Besuchen im KZ. Wenn man sieht, dass 40% der unter 30jährigen, vor allem die Schülerinnen und Schüler, nicht mal wissen, was der Begriff bedeutet, dann ist das offensichtlich enorm notwendig, dass grade auch junge Leute, 15jährige einen Besuch machen im Rahmen eines Geschichtsunterrichts in einem Konzentrationslager, in einer Gedenkstätte. Denke ich, ist wichtig. Und das ist eben der Unterschied. Weil das in Belgien, Belgien war eben ein Opfer der deutschen Aggression im Zweiten Weltkrieg und nicht der Täter. Und deswegen ist das ein Unterschied. Und ich denke, das versteht ein 15jähriger Belgier dann schon auch und ein deutscher auch, im Zweifelsfall, wenn er eben in der Schule entsprechend oder in der Gesellschaft da drauf hingewiesen wird. Das heißt nicht, dass der Schuld ist, das wissen wir, darum geht’s ja immer, sind die schuld, das ist Blödsinn, aber er muss das anders erinnern, weil eben im Zweifelsfall sein Großvater ne andere Rolle spielte, 1941, als der von dem belgischen Kollegen.
Koch: Dann nehmen wir das als Schlusswort in dieser WDR 5 Redezeit, die sehr schnell verging, für Sie auch?
Heni: Ja, sehr schnell, ich dachte, wir sind grad 5 Min. vorbei.
Koch: Nee, das war fast ne halbe Stunde.
Heni: Ok.
Koch: Clemens Heni, Politikwissenschaftler, Antisemitismusforscher, Autor der Essaysammlung „Eine Alternative zu Deutschland“. Dankeschön für den Besuch in der WDR 5 Redezeit, alles Gute.
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[i] Jean-Paul Sartre wiederum hat diesen philosophischen Gedanken von Günther Anders (Günther Stern) übernommen: „Allerdings, eine eigentümliche Sonderstellung des Menschen konstatierte auch Günther Anders. Immer wieder machte er darauf aufmerksam, daß er schon sehr früh, 1929/30, in zwei Vorträgen über die Weltfremdheit des Menschen darauf verwiesen hatte, daß ‚wir Menschen auf keine bestimmte Welt und auf keinen bestimmten Lebensstil‘ festgelegt sind, die ‚Spezifizität‘ des Menschen also seine ‚Unspezifizität‘ ausmacht, Freiheit die Interpretation eines anthropologischen Defekts darstellt. Publiziert wurden diese Thesen 1934 und 1936 unter den Titeln Une Interpretation de L’Aposteriori und Pathologie de la Liberté. Zweifellos antizipierte Anders in diesen Reflektionen viel vom späteren Freiheitsbegriff Sartres (…)“ (Konrad Paul Liessmann (1993): Günther Anders zur Einführung, Hamburg: Junius, 25f.). Bereits 1988 als Teenager hatte ich mir im lokalen, gut sortierten, linken Buchladen Günther Anders‘ „Antiquiertheit des Menschen. Band 1“ gekauft und wenig später diese Stelle markiert: „Die ‚Unfestgelegtheit des Menschen‘, d.h.: die Tatsache, daß dem Menschen eine bestimmte bindende Natur fehlt; positiv; seine pausenlose Selbstproduktion, seine nicht abbrechende geschichtliche Verwandlung – macht die Entscheidung darüber, was ihm als ‚natürlich‘ und was als ‚unnatürlich‘ angerechnet werden solle, unmöglich. Schon die Alternative ist falsch. ‚Künstlichkeit ist die Natur des Menschen‘“ (Günther Anders (1956/1988): Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: C.H. Beck, 309).
[iii] „Ewig spült der Ozean
Sein Wasser an die Küsten dran
Ewig regnet’s oder schneit es
Oder grade nichts von beides
Ewig ist der Sonnenlauf
von oben und unten auf die Erde drauf
Ewig spricht um Acht genau
Zu uns, dem Volk, die Tagesschau
(…)
Doch am allerewigsten
Das Einzigste seit eh und je
Das wissen nur die wenigsten
Das ist der BVB!“
(Thomas Koch (2016): Ernsthaft, Paderborn: Lektora, 36).
Foto: privat
P.S.: Aufgrund des Interviews in der FR vom 16.12.2017 bzw. 18.12.2017 (Online-Version) sowie der Ankündigung des WDR 5 Gesprächs mit dem Autor am 17.01.2018 wurden in NRW spontan ein Berg und eine Hütte nach mir benannt, was ich übertrieben finde, aber auch eine sehr nette Geste:
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt, applaudiert der Neuen Rechten und freut sich so klammheimlich wie überschäumend mit dem ihm eigenen CSU-Grinsen über die neuen Nazis im Bundestag, weil sie einen gemeinsamen Feind haben, wie 1933 und 1968: die Linken. In einem Beitrag am Donnerstag, den 4. Januar 2018 auf Seite zwei in der Tageszeitung Die Welt vom Springer-Konzern läutet der CSU-Vordenker eine „konservative Bürgerlichkeit ein“ und schmiegt sich den Demokratiefeinden der Weimarer Republik an, wenn er ernsthaft schreibt:
„Auf die linke Revolution der Eliten sollte unbedingt eine konservative Revolution der Bürger folgen“.
Das sagt nun kein Altnazi Jahrgang 1923, sondern ein relativ junger Agitator, der nur wenige Monate jünger ist als ich, Jahrgang 1970. Der Anti-Intellektualismus war ein Kernbestandteil der Konservativen Revolution der Weimarer Republik, wie Kurt Sontheimer schon Anfang der 1960er Jahre analysierte. Aus Dobrindts Text trieft dieses Ressentiment gegen Intellektuelle aus jeder Zeile. Er kokettiert mit den Agitatoren und Scharfmachern, den Brandstiftern und Klimaverschärfern.
Dobrindt möchte die CSU so weit nach rechts rücken, damit die AfD angeblich an Boden verliere. Eine glatte Lüge, denn schon jetzt, im September 2017 bei der Bundestagswahl erreichte die AfD gerade in Bayern das beste Ergebnis auf dem Gebiet der alten BRD. Kein Wunder, der extrem rechte Diskurs von Seehofer spielte eben niemand anderem mehr in die Hände als der AfD. „Vaterland“ hat für Nazis und andere „besorgten Bürger“ einen geradezu betörenden Klang, egal ob man das Wort sächsisch oder bayerisch ausspricht. Und nach dem Holocaust stolz vom deutschen „Vaterland“ zu schwadronieren ist noch unendlich schlimmer als die Hetze gegen die Demokratie vor 1933 von Seiten der „Konservativen Revolution“, von der Dobrindt so begeistert zu sein scheint.
Schon Franz-Josef Strauß generierte den sekundären Antisemitismus, jenen nach Auschwitz, als er 1969 sagte, dass ein Volk, das solche „wirtschaftlichen Leistungen“ vollbracht habe wie die Deutschen, „ein Recht“ darauf habe, „von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen“, was ihm Beifall nicht nur von der NPD einbrachte.
Dobrindt steht in der Tradition von CSU-Übervater Strauß und weiß exakt, was „konservative Revolution“ bedeutet und zwinkert den Rechtsextremen von Götz Kubitschek über Bernd Höcke, der gesamten AfD hin zur Identitären Bewegung kess zu.
In seinem Text in der Welt wird die Katastrophe des Einzugs neo-nazistischer Positionen in den Bundestag via AfD nicht einmal erwähnt. Vielmehr sekundiert er die AfD und redet von reaktionären, neu-rechten Themenfeldern, also herkömmlicher deutscher Ideologie: „Christlicher Glaube“, „Der Einzelne und seine Würde“, „Heimat und Vaterland“, „Europa und Abendland“, „Freiheit“, „Sicherheit“, „Wohlstandsaufbruch“, das sind Dobrindts Straßenfeger aus dem 19. Jahrhundert, von 1933ff. oder der Restauration der 1950er Jahre, die er als frische Früchte des 21. Jahrhunderts anpreist.
Das Schöne jedoch ist: Dobrindt und Springer sind ganz ehrlich. Sie drucksen nicht drum herum, sondern sagen klipp und klar, wie glücklich sie mit der deutschen Geschichte und der deutschen Ideologie von Familie, christlicher Kirche hin zum Vaterland sind. Dass auch Europa mitmachen darf ist klar, schließlich brauchten auch die Wehrmacht und die SS Verbündete und in Lettland, Litauen, der Ukraine oder Holland gab es viele Freiwillige, die sich der deutschen antisemitischen Volksgemeinschaft anschlossen und am Judenmord teilnahmen.
Die Offenheit mit der Dobrindt, ganz der Bayer, das Christentum lobt, ähnelt den Islamisten, die ja auch ganz offen und ehrlich ihren Stolz auf den Islam hinausbrüllen. Wie für Dobrindt ist für Islamisten Religion zukunftsweisend und nicht hinderlich für eine befreite Zukunft ohne Herrschaft und patriarchale Zwänge.
Herrschaft jedoch ist das Lebenselixier der Dobrindts, nicht nur die Herrschaft des Kapitals, sondern auch jene der „Konservativen Revolution“, von Carl Schmitt über Ernst Jünger hin zum unehrenhaft entlassenen General Günzel.
Günzel hat vor einigen Jahren mit Ulrich Wegener und Wilhelm Walther in einem neonazistischen Verlag ein Pamphlet über eine Wehrmachtseinheit – die „Brandenburger“ – publiziert. In der Ausgabe der Welt vom 4. Januar 2018 auf Seite 1 wird dem verstorbenen Ulrich Wegener gedacht, der in Uniform abgebildet wird. Wegener ist ein Held nicht nur für Nazis oder den Springer-Konzern, sondern auch für Helmut Schmidt, immerhin war er Kommandant der ersten Aktion der GSG9 im Oktober 1977 in Mogadischu.
Was Springer nicht erwähnt, sind die nazistischen Ideologeme, die von Wegeners Busenfreunden wie den Günzels dieser Welt in die Bundeswehr getragen werden. Im Mai 2004 schrieb die taz:
„Soldat sein heißt für Günzel Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Gehorsam, Disziplin – ‚die traditionellen Werte‘. Ein Offizier, der 1995 mit ihm eine Gefechtsübung absolviert hat, gab im November vergangenen Jahres einen Satz wieder, den Günzel zu ihm gesagt hatte: ‚Ich erwarte von meiner Truppe Disziplin wie bei den Spartanern, den Römern oder bei der Waffen-SS.‘ Es ist verwunderlich, dass der Offizier davon erst nach seiner Pensionierung berichtete. Und Günzel? Der hat kein Problem mit diesem Vergleich. ‚Der Satz kann so gefallen sein.‘ Er wirbelt mit den Armen. ‚Es geht um die Disziplin von Eliteverbänden.‘“
Wegener wird in der Welt vom 4.1.2018 von Jacques Schuster gefeiert, ja völlig ernsthaft als „polizeilich-ziviler Geburtshelfer“ der „wehrhaften Demokratie“ bezeichnet. Kein Wort zum rechtsextremen Umfeld Günzels! Nicht eines. Günzel und Wegener mögen für das von J. Schuster, der Welt und Alexander Dobrindt so heißgeliebte Establishment der BRD stehen, so wie der Nazi Hans Filbinger (Ministerpräsident von Baden-Württemberg), der Nazi Karl Carstens (Bundespräsident), der Nazi Kurt Georg Kiesinger (Bundeskanzler) oder ein Mitbegründer der CSU, der 1948/49 stellvertretender Vorsitzender der CSU war, August Haußleiter. Über ihn schrieben Peter Bierl und ich in Konkret 1/2008 über eine Propagandaschrift Haußleiters von 1942:
„Er lobte darin die ‚kämpferische Zucht der deutschen Wehrmacht‘ und stellt ihr ‚die entfesselte Bestialität der Bolschewiken‘ gegenüber.“
Dobrindt ist ein Bruder im Geiste Wegeners und kommt zu Recht unmittelbar nach Wegener auf Seite zwei der gleichen Ausgabe der Welt. Dobrindt sagt auch nichts über die Nazi-CSU-Haußleiters, sondern lobt die gesamte Geschichte der CSU (immerhin war Haußleiter auch strammer Antikommunist, nicht wahr?!):
„Die CSU war von ihrem Beginn an ein kraftvolles Bindeglied aller gesellschaftlichen Gruppen – Arbeitern und Angestellten, Landbevölkerung und Städtern, Katholiken, Protestanten und Konfessionslosen, Liberalen und Konservativen, Kosmopoliten und Nationalen. Damit waren wir die erste Volkspartei der jungen Bundesrepublik – und damit sind wir heute die erkennbare Volkspartei Deutschlands.“
Er hat Recht, ein Nazi-Agitator wie Haußleiter fühlte sich bei der CSU so wohl wie später bei den Grünen, die ja heute mit Boris Palmer oder Robert Habeck auch ein Faible für die deutsche Nation und das ‚Heimatgefühl‘ haben.
Dobrindt möchte wie die rechtsextreme Neue Rechte seit den späten 1960er Jahren linke Gesellschaftskritik diffamieren und Nationalismus und Erinnerungsabwehr predigen.
Wer hier und heute das Christentum ohne jeden Hauch von Selbstreflexion anpreist, wie das Dobrindt macht, möchte nicht nur die reaktionäre Kinder – Küche – Kirche-Ideologie aufwärmen, sondern schweigt ganz absichtlich davon, dass ohne den christlichen und zumal deutsch-christlichen Antisemitismus es nicht zum Holocaust gekommen wäre. Nicht der Islam führte zur Shoah, sondern das Christentum und deutsche Ideologie. Einige Islamisten und Muslime waren ebenso beim Judenmord dabei wie der Mufti von Jerusalem, aber das waren Randgeschichten. Zentral und initial war die deutsche Ideologie.
Dafür wäre auch der katholische Bund Neudeutschland ein Beispiel, dessen Antisemitismus und Nazi-Ideologie (mit Jesus als Führer, klar) grade auch von in Bayern später an Universitäten tätigen Agitatoren wie dem ‚Philosophen‘ Max Müller, einem Schüler Heideggers, promotet wurde.
Davon schweigt der CSU-Agitator, um den Hauptfeind bei den 68ern zu suchen. Dabei gab es seit 1968 mit Willy Brandt exakt einen relativ linken Bundeskanzler. Aber mit Adenauer, Kiesinger, Kohl und Merkel im Wesentlichen CDU/CSU Politiker*innen, die Nationalismus und Nazismus weitertrugen (Adenauer/Globke, Erhard, Kiesinger) und später den neu-deutschen Nationalismus zur Staatsideologie machten (Kohl), SS-Gräber in Bitburg besuchten und die Linken zum Staatsfeind Nr. 1 machten. Merkel hat einen einzigen Lichtblick in ihrer Karriere gehabt, als sie den Hunderttausenden Flüchtlingen im September 2015 die Grenzen öffnete. Das war historisch und sehr bedeutsam. Aber ansonsten steht sie für business as usual ob mit dem Iran oder der Türkei und jedem neoliberalen Wunsch des Kapitals wird entsprochen, wobei ihr da Gerhard Schröder in nichts nachstand.
Kohl wiederum konnte auf Vorarbeiten von Helmut Schmidt und weitesten Teilen der Elite in der Verwaltung, dem Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und wie die mit alten Nazis durchsetzten Behörden alle heißen, aufbauen. Der Feind stand links und Dobrindts Fantasie, Deutschland sei von einer linken Elite beherrscht, hat Trumpschen Wahncharakter. Schlimmer noch und gefährlicher: er glaubt das womöglich ernsthaft.
Was Dobrindt missfällt, ist die Tatsache, dass es immer noch ein oder zwei Journalist*innen, Professor*innen oder Autor*innen und public intellectuals geben mag – auch wenn die zumeist emeritiert sind oder in Altersarmut dahinsiechen, weil der affirmative Betrieb sie nicht mehr braucht –, die Max Horkheimers Abscheu vor dem volksgemeinschaftlichen „Wir“, das die Deutschen auch nach 1945 vereine („Wir“ Opfer des Luftkriegs, der Vertreibung, der Nazis, der Amerikaner, der Briten etc.“), anführen und er nicht sicher sein kann ob er auf dem Bundespresseball schief angesehen würde, wenn er mit Götz Kubitschek eine Lesung aus Carl Schmitt, Ernst Jünger und der Konservativen Revolution machen würde. Solange so ein Rendezvous von Anne Will moderiert wird (oder wenigstens von Claus Strunz), wird sowas doch längst goutiert, da muss Dobrindt keine Angst haben.
Für den CSU-Landesgruppenchef im Bundestag sind randalierende „Linke“ so schlimm wie mordende Neonazis oder jihadistische Massaker. Dieser Realitätsverlust kennzeichnet weiteste Teile der Elite in diesem Land. Der Wahnsinn angesichts von G20 zeigte sich nicht in den (teils auch von kriminellen Spinnern benutzten) Protesten dagegen, sondern in der schon Wochen zuvor gleichsam volksgemeinschaftlichen Mobilmachung gegen jede Form von Dissidenz. Jene Wut, ja dieser Hass der herrschenden Klasse – von der Politik hin zum „Pöbel-Pack“, das den Diskurs und das öffentliche Klima beherrscht –, also nicht nur des Springerkonzerns und der Polizei, sondern fast aller Medien, die die Bevölkerung zu Blockwarten und zur Anti-Linken-Hatz aufforderten, insofern sie das nicht eh schon waren, zeigen, wie weit rechts dieses Land steht. Für Dobrindt reicht das noch nicht.
Dobrindt und der Springer-Konzern möchten eine „bürgerliche Wende“, eine Volksgemeinschaft gegen Links. Doch da rennen sie offene Türen ein, die BRD war zu jedem Zeitpunkt eine bürgerliche Gesellschaft, obsessiv darum bemüht, die deutsche Geschichte schön zu reden und wieder stolz zu sein, Deutscher zu sein.
Grade auch der von Dobrindt angeführte Fußball war maßgeblich daran beteiligt, vom „Sommermärchen“ 2006 zum „inneren Reichsparteitag“ im ZDF 2010 zur heutigen AfD und CSU ist’s ein Mausklick oder Katzensprung. Die CSU hofiert den mit antisemitischen Ideologemen um sich werfenden Orbán aus Ungarn, bezirzt die Identitäre Bewegung im Reden von Heimat und Vaterland und sieht wie die FPÖ, die AfD oder jeder x-beliebige Stammtisch in Ober- wie Niederbayern und Franken die Linken als den historischen Feind der Deutschen in der BRD und zumal der CSU.
Wenn Trump von fake news faselt ist er ein Vordenker der CSU, die mit Dobrindt offenbar ernsthaft meint, die bösen kosmopolitischen, heterogenen, urbanen Welten in Berlin Prenzlauer Berg würden den bayerischen Dorftrotteln ihr Bier wegnehmen oder die Stimmung beim rassistische Witze reißen verderben. Dabei können Ökokapitalisten genauso völkische Ressentiments verbreiten wie national-sozialistische Neue Rechte, sie trinken nur eben vegane Shakes und ’ne Latte aus biologischem Kaffee aus den Anden, der per Pferdefuhrwerk angekarrt wird, aber wenigstens in puncto „Liebe zu Deutschland“ (für Ossis „Liebe zum sozialistischen Vaterland“) oder Reproduktion stehen die smarten Prenzlauer-Berg-Babybäuche Frauke Petry oder der CSU Familienideologie in nichts nach. Dissidenz ist gerade im Prenzlauer Berg a priori eskamotiert.
Und die „digitale Revolution“, von der Dobrindt fabuliert, ist noch mehr Affirmation des Bestehenden, ja eine ungeahnte „digitale Herrschaft“, wie es der Philosoph Markus Jansen 2015 (Stuttgart: Schmetterling Verlag) nennt und wie bereits die kritischen Analysen der Feministin Gerburg Treusch-Dieter 1990 in ihrer Kritik der „Gen- und Reproduktionstechnologien“ (Tübingen: KonkursbuchVerlag) antizipierten.
Der Kern aber ist: je weiter nach rechts die Gesellschaft driftet, je weniger Widerstand gibt es. Dass aber noch nicht alle Leute AfD oder/und CDU/CSU wählen, erträgt die CSU nicht. Was Dobrindt somit gezielt verschweigt in seinem Amoklauf gegen die Linken: Wir haben über 190 von Rechtextremen Ermordete alleine seit 1989/90, „Dank“ der Wiedervereinigung. Wir haben ein nationalistisches Klima wie noch nie seit 1945 in diesem Land. Das erste Mal zog mit der AfD im September 2017 eine Partei in den Bundestag ein, die in Teilen verfassungswidrig ist, wie Justizminister Heiko Maas vor der Wahl schockiert konstatierte. Davon schweigt die CSU, übernimmt den völkischen Diskurs der AfD, wiegelt das Volk auf und möchte die marginale Linke vollends zum Abschuss freigeben.
Im Bundestag redet ein Vollnazi von „Halbnegern“ und Dobrindt sieht den Hauptfeind bei den Linken. Das sagt alles über den Zustand der politischen Kultur an Tag vier des Jahres 2018 aus, 50 Jahre nach 1968. Der Kulturkampf nimmt an Fahrt auf.