Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Monat: November 2025

Sprachlos aufgrund so viel Hass: Auf einer Beerdigung Geld spenden, damit in einem Krieg weitere Menschen getötet werden…

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Auf der Beerdigung eines Journalisten zu Spenden aufzurufen, damit andere Menschen in einem Krieg ermordet werden, hat etwas Obszönes, Menschenverachtendes.

So geschehen jüngst in Berlin. Zu der Beerdigung des Kommunistenfressers Richard Herzinger ruft das Portal Perlentaucher und dessen Redaktion dazu auf, statt Blumen am Grab abzulegen, besser Geld direkt an die Ukrainische Armee zu spenden. Damit dieser fürchterliche Krieg weitergeht. Damit Deutschland endlich einen Krieg gegen Russland gewinnt:

Richard Herzinger (1955 – 2025) wird am 21. November um 10 Uhr auf dem Sankt Matthäus-Friedhof in Berlin Schöneberg beigesetzt.

Alter St. Matthäus Friedhof  
Großgörschenstr. 12-14

10829 Berlin 

Der Eingang ist vom Südausgang Großgörschenstraße der S-Bahnstation Yorckstraße leicht zu erreichen.

Im Sinne von Richard Herzinger wird gebeten, anstelle von Blumen an die Armee der Ukraine zu spenden.

 

Wenn man sich anschaut, welche angeblichen Kritischen Theoretiker oder ehemaligen Adorno-Leser da ihr „Like“ oder gar ihr „Herzchen“ gegeben haben, wird einem schlecht.

Ja, es wird einem schlecht, weil Adorno niemals eine solche kriegslüsterne Aktion unterstützt hätte, zumal nicht gegen die Befreier von Auschwitz, Russland.

Wenn Deutsche Geld sammeln, damit andere – Ukrainer – Russen töten, sollte jeder Mensch hellhörig werden.

Es geht darum, Kriegsdienstverweigerer in Russland und in der Ukraine zu unterstützen!

Es geht darum, sich für eine sofortige diplomatische Lösung einzusetzen, wie es zum Beispiel der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett, den ich ansonsten als Linkszionist ganz sicher nicht mag, im April 2022 getan hat.

Es geht darum, dass beide Seiten zu problematisieren sind.

Zuerst die NATO, die sich entgegen ihrem Versprechen, keinen inch weit nach Osten sich auszubreiten, wenn sich DDR und BRD zusammentäten, extrem imperialistisch ausgebreitet hat.

Und natürlich muss auch Putins Russland problematisiert werden, Nationalismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus, Familienideologie, Tradition, Anti-Kommunismus, Homophobie, Imperialismus.

Aber wer hat schon die geistige Kraft, beide Seiten zu problematisieren?

Doch der Westen und Boris Johnson wollten weder im April 2022 noch heute Frieden, sondern sie wollen Blut fließen sehen. Viel Blut. Ukrainisches Blut. Russisches Blut.

Nur darum geht es. Um Schuldabwehr und um Rache für Stalingrad und den Sieg der Roten Armee gegen die ukrainischen Faschisten um Bandera und all die anderen und gegen Nazi-Deutschland.

Putin ist ein schrecklicher Despot. Er ist nicht weniger antikommunistisch als westliche Agitator*innen und möchte ein großrussisches Zarenreich wieder errichten. Seine Vordenker wie Dugin sind antisemitisch und Heidegger-Anhänger.

Ist die Ukraine besser?

Die ukrainische Historikerin Marta Havryshko, die im Exil in den USA lebt und die von Rechtsextremen und Neonazis in der Ukraine Todesdrohungen bekommt, schreibt seit 2022 gegen diesen Krieg und konkret zur heutigen Ukraine.

Sie findet Putin natürlich abscheulich und möchte dass der Krieg endet. Sie kann ihre ukrainische Heimat nicht besuchen, weil sie dort von Neonazis verfolgt würde. Think about it!

Heute, am 23. November 2025, schreibt sie zum Beispiel auf ihrem Facebook-Account:

In downtown Kyiv, you can casually pick up merch from the National Socialist Black Metal band M8L8TH (“Hitler’s Hammer”) — yes, the one with a song glorifying Nazi death-camp ovens and even using a shaved-mustache Hitler look-alike for promotion.

There are also T-shirts and pins celebrating the Waffen-SS Galicia Division. The shelves are stacked with enough hate symbols to make a Holocaust historian pass out.

And the owners? Veterans and active-duty soldiers.

What does their supreme commander, Zelensky, think about that?

Am 08. November 2025 schreibt sie über die Einweihung eines Monuments für die Azow-Kämpfer:

For the past two years, I’ve been consistently criticizing the Azov movement — especially the 3rd Assault Brigade — for its fondness for Nazi symbols (Dirlewanger, Black Sun, SS runes, the whole charming collection) and for glorifying Nazi collaborators. The reward for this? I was added to the Myrotvorets hit list.

Branded an “enemy of Ukraine” who supposedly spreads “pro-Russian narratives” in national media. I’ve received numerous death and rape threats. Neo-Nazis even promised to desecrate my mother’s grave.

My voice was deligitimezed.

And now Kyiv city authorities proudly joined the parade of legitimizing these symbols by unveiling a memorial. Ukraine has officially reached the point where Nazi iconography is so “normalized” that people pretend it’s invisible. Bravo, Zelensky — and bravo to his Western admirers who keep insisting everything is perfectly fine in this country of „freedom and democracy“.

Am 07. April 2025 schreibt Marta Havryshko, was ich hier in deutscher Übersetzung wiedergebe:

Immer wieder werde ich mit einem absurden Argument konfrontiert: „Welche Neonazis in der Ukraine? Ihr Präsident ist doch Jude!“

Schauen wir uns also einige Entwicklungen innerhalb der ukrainischen Armee an, die während der Präsidentschaft von Selenskyj stattgefunden haben:

✅Es wurde eine Nachtigal-Einheit gegründet, benannt nach dem von Deutschland unterstützten Nachtigal-Bataillon, das im Juni 1941 am Angriff auf die Sowjetunion beteiligt war.

✅Es entstand eine Luftwaffeneinheit, die den Nazi-Adler als Insignie verwendet.

✅Das Russische Freiwilligenkorps (RDK) wurde gegründet. Sein Anführer, Denis „White Rex“ Kapustin (Nikitin), ist ein bekannter Neonazi und weißer Supremacist, der wegen extremistischer Aktivitäten im gesamten Schengen-Raum mit einem Einreiseverbot belegt ist. Einige seiner Kämpfer tragen Nazi-Symbole und ROA-Aufnäher.

✅Es entstand ein Deutsches Freiwilligenkorps, das in seinen sozialen Medien offen für Nationalsozialismus und Rassismus wirbt.

✅Eine informelle Einheit namens Format 18 (#18 ist ein Code für „Adolf Hitler“) umfasst Mitglieder der sogenannten Tesak-Gruppe – einer neonazistischen Organisation, die für rassistisch motivierte Morde in Russland bekannt ist.

✅Mitglieder rechtsextremer Militäreinheiten durften sich offen mit Neonazi-Gruppen aus aller Welt vernetzen, um sie für den Krieg zu rekrutieren. Im Rahmen dieser Bemühungen fand im August 2023 in Lemberg die Konferenz „Nation Europa“ statt, an der unter anderem die deutsche faschistische Gruppe „Der Dritte Weg“ teilnahm.

✅Die 3. Sturmbrigade organisierte eine Ausstellung (September 2023) im Museum von Kiew, in der mehrere Fotos der Waffen-SS-Division Galizien gezeigt wurden und sie sich mit deren Soldaten verglichen.
✅Andere Militäreinheiten feiern offen die Waffen-SS-Division Galizien, darunter Karpatska Sich, Vovky da Vinci und Svoboda.
✅Symbole wie die Wolfsangel, der Totenkopf, Dirlewanger, der Nazi-Adler und die Schwarze Sonne sind zu beliebten Aufnähern in der Armee geworden. Niemand hat sich dafür entschuldigt. Niemand stellt sie in Frage.

Fortsetzung folgt…

Während den Facebook-Post von Perlentaucher-Thierry-Chervel zum Spenden für die Ukrainische Armee statt Blumen fürs Grab von Richard Herzinger bis heute (Stand 23.11., 19:40 Uhr) 31 Leute mit einem Herzchen oder Like versehen haben, was schockierend genug ist, haben über 144.000 Leute den obigen Post von Marta Havryshko vom 07. April 2025 gesehen.

Das könnte darauf hinweisen, dass es viel mehr Menschen gibt, die eine kritische und empirisch fundierte und zutiefst antifaschistische Haltung haben und den Texten von Havryshko folgen, sie teilen und kommentieren.

Aber selbstredend ist die unreflektierte und de facto der Ukraine extremen Schaden zufügende Militärhilfe Staatsideologie in Deutschland und der EU.

Die ganze EU-Politik gleicht doch den Herzingers und Perlentauchers. Das ist militaristischer, unkritischer Mainstream, der sich überhaupt nicht darum kümmert, wie antisemitisch die Ukraine ist und dass der Krieg nicht nur an der Aggression Putins liegt, sondern auch am Rassismus gegenüber Russen in der Ukraine und an der Aggression der NATO durch Übungen in der Ukraine etc. pp.

Auch ‚Linke‘ oder Post-Linke wie das von Antisemiten, Antizionisten, Islamisten, säkularen Judenfeinden und Hamas-Anhänger*innen schrecklicherweise bedrohte Café Bajszel in Berlin macht bei dieser Propaganda für die Ukraine mit, so heißt es für eine Veranstaltungsankündigung nächste Woche angesichts eines Events am 28.11.2025:

28.11. Evelyn Deller: „Warum wir als Linke für die Ukraine sein müssen.“ Vortrag und Diskussion. Spenden für die Radical Aid Force Ukraine.

Nun: wer für die Ukraine ist, kann kein Linker sein.

Genausowenig kann man ein Linker sein, wenn man für Putin (oder Trump etc.) ist.

Warum kann man als Linker nicht und niemals für die aktuelle Ukraine sein? Das zeigen allein die  empirischen Beweise über den staatlichen Antisemitismus, die ich oben zitiert habe – und zwar von einer ukrainischen Historikerin, die auch eine Expertin zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust ist.

Die Ukraine hätte den Krieg ohne jedweden Gebietsverlust und ohne Zehntausende Tote im April 2022 beenden können, wenn sie auf Bennett und seinen Friedensplan gehört hätte – es ging im Kern nur darum, schriftlich zu fixieren, dass die Ukraine niemals NATO-Mitglied wird.

Darauf läuft es jetzt auch hinaus. Mit dem blutigen Unterschied, dass Zehntausende Ukrainer und Russen sowie Tausende ukrainische Zivilist*innen getötet wurden und dass die Ukraine jetzt massive Gebietsverluste haben wird.

Diese ganzen militaristischen „Zeitenwende“-Schwätzer*innen tragen zum Blutvergießen in der Ukraine seit Februar 2022 und dieser unfassbaren Rede des damaligen Bundeskanzlers Olaf S. mit bei.

Man sieht, wie wenig sich diese Leute in der Ukraine auskennen oder – wahrscheinlicher – einfach überhaupt kein Problem mit dem Antisemitismus in der Ukraine haben, mit Denkmälern, die nach Holocausttätern benannt werden, Straßen und Plätzen, die nach Holocausttätern und ukrainischen Antisemiten und anderen benannt werden, wie schon der Journalist Lev Golinkin im Jewish Forward am 27. Januar 2021 detailliert festgehalten hat.

Es gibt vermutlich kein Land auf der Welt, in dem es so viele Denkmäler gibt, die nach Holocausttätern benannt sind, wie die Ukraine.

Es gibt vermutlich kein Land auf der Welt, in dem es so viele Straßen gibt, die nach Holocausttätern und Antisemiten benannt sind, wie die Ukraine.

Wer nach der Lektüre von Golinkin und Havryshko weiter Geld an die Ukrainische Armee spenden und nicht Blumen am Grab eines Journalisten in Berlin ablegen möchte, weiß was er oder sie tut.

 

Ein linker Jude in der Bundesrepublik: Nachruf auf Micha Brumlik (1947-2025)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Micha Brumlik starb am 10. November 2025 im Alter von 78 Jahren und hinterlässt uns das Lebenswerk eines jüdischen linken Intellektuellen, nein: eines linksintellektuellen Juden.

Seine Analysen des deutschen Antisemitismus, zumal der Romantik, sind zentral für das Verständnis dieses Landes. Absolut kennzeichnend für Micha Brumlik war sein Sich-Einmischen in den Alltag der BRD und später der Bundesrepublik.

Ein Freund und ich sprachen erst vor wenigen Monaten über Brumlik, weil wir schon seit längerer Zeit nichts mehr von ihm gelesen hatten. Und das war ungewöhnlich. Weil es seit Mitte der 1980er Jahre sicher keine einzige relevante Debatte über den Nationalsozialismus, deutschen Antisemitismus, Erinnerungsabwehr, jüdisches Leben und alsbald Israel, Nahost, Islam, Jihad und Iran gab, zu der Brumlik sich nicht geäußert hätte.

Brumlik war in seiner Kindheit und Jugend ein Zionist, ging dann nach der Schule sofort nach Israel, machte Aliyah und dachte, dort zu bleiben. Er blieb nicht. Das lag auch an einer enttäuschten Liebe, wie er indirekt in seiner frühen Autobiographie „Kein Weg als Deutscher und Jude“ 1996 schrieb.

(Micha Brumlik (1996): Kein Weg als Deutscher und Jude. Eine bundesrepublikanische Erfahrung, München, Luchterhand. Ich habe die Ullstein-Taschenbuchausgabe von 2000, die ich mir am 18. Mai 2000 in Bremen kaufte)

 

Mein Berliner Freund erzählte mir jetzt auch von einem Bild, das wiederum typisch war für Brumlik:

Micha Brumlik auf einer Rolltreppe am Bahnhof Zoo, unter beiden Armen je zwei, drei dicke Wälzer. Er war immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft und Publizistik, kannte sich mit dem Antisemitismus der BRD so gut aus wie mit der Kant’schen Philosophie und dem Judenhass der deutschen Romantik bis hin zu Karl Marx, dem er sehr wohl und zurecht in dessen Frühschriften auch Antisemitismus attestierte.

Micha Brumlik war links und jüdisch. Er war aber kein Linkszionist, jedenfalls war er das seit langer Zeit nicht mehr. Er changierte die letzten Jahrzehnte zwischen Anti- und Postzionismus. Und das ist bitter. Aber natürlich legitim. Es war sein Leben als Jude in Europa und in der Bundesrepublik und später ‚Deutschland‘.

Als Jude hatte er Schwierigkeiten mit den linken Deutschen, die nicht jüdisch waren, also mit fast allen. Er beschreibt das in seiner Autobiographie mit tränengetränkter Tinte. Sein Verheimlichen des Jüdischseins, dann sein stolzes Jüdischsein.

Er besetzte mit anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main eine Bühne, als das antisemitische Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt werden sollte, Mitte der 1980er Jahre. Das war die alte BRD.

Es war dann der Herausgeber der einzigen linken Publikumszeitschrift der BRD Hermann L. Gremliza, der Brumlik 2012 bat, ein Buch über Links-Sein und Antisemitismus am Beispiel des Karikaturisten und Karikatur-Historikers sowie linken Aktivisten Eduard Fuchs zu schreiben.

 

Brumlik hatte als Teenager, grade mal 19 Jahre alt, erkannt, wie der not-wendige Sieg Israels im Sechstagekrieg das Land verändert hat und schrieb ein Gedicht:

„Gerettet das Land, das Leben, das Brot / erkauft um siebenfachen Tod / Gekämpft in Wüste, Stein und See / erkauft um siebenfaches Weh“ (Brumlik 1996, S. 77).

In meiner Dissertation von 2006 über „Ein völkischer Beobachter in der BRD. Die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme am Beispiel Henning Eichberg“ an der Universität Innsbruck (publiziert als Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum Verlag) schreibe ich zu Micha Brumlik:

 

Martin Walser möchte, ja muss seine »bisher ununterbrochen bekämpfte[] Neigung«(1) zulassen, »wir selbst zu sein«(2). Damit ist die Eichbergsche Tonlage –»wir selbst« – haarscharf und exakt im Jahr 1979, als wir selbst gegründet wurde, getroffen. Eine vor allem »Ich-Überschreitende Gesellschaft« (3) fehlt Walser, alles ist zu flach, hier die DDR dort die BRD, beides reicht nicht für einen echten Deutschen, denn »in jedem der Teile fehlte es dann an Tiefe«. (4) Adorno ist das große Feindbild Walsers. Der ›eigentliche‹ Zustand nach 1945 werde nicht erkannt von einem Adorno: »Schlimmer als der geschmähte Jargon der Eigentlichkeit kommt mir der Jargon vor, in dem da geschmäht wurde.« (5) Adorno steht für die »Intellektuellen«, die nach Walser 1933 »Opfer« wurden, »unbeteiligt« gewesen seien, jedenfalls ›fein raus‹ – anders als das »Volk, das dem Verbrechen zugeschaut hatte, mitgemacht hatte, gejubelt hatte« (6); »Walser« schreibt hier eine »Kampfansage an jene«, die »gemäß antisemitischem Stereotype selbst als jüdisch gelten, nämlich die Intellektuellen« (7), wie Micha Brumlik analysiert und dabei Walsers Text von 1979 sehr treffend in die politische Kultur der BRD einordnet:

»Die Abneigung gegen Intellektualismus und Kapitalismus sind dann schließlich auch das Ausfallstor, durch das ehedem als links geltende Intellektuelle angesichts von Auschwitz wieder Anschluß an einen neu auflodernden deutschen Nationalismus finden können.« (8)

 

1 Martin Walser (1979): Händedruck mit Gespenstern, in: Jürgen Habermas (Hg.) (1979): Stichworte zur ›Geistigen Situation der Zeit‹. 1. Band: Nation und Republik; 2. Band: Politik und Kultur, Frankfurt/Main (Suhrkamp; edition suhrkamp), Band 1, S. 39–50, hier S. 43.

2 Ebd.: 47.

3 Ebd.: 48.

4 Ebd.: 49.

5 Ebd.: 46.

6 Ebd.: 47.

7 Micha Brumlik (1986): Die Angst vor dem Vater. Judenfeindliche Tendenzen im Umkreis neuer sozialer Bewegungen, in: Alphons Silbermann/Julius H. Schoeps (Hg.) (1986): Antisemitismus nach dem Holocaust, Köln (Verlag Wissenschaft und Politik), S. 133–162, hier S. 151.

8 Ebd.: 150.

Der erste Treffer auf meiner Homepage zu Micha Brumlik ist vom 27. Juni 2009 und betrifft einen Literaturhinweis für meinen Text Antisemitism and Germany: anti-Jewish images from 1602 to 9/11. About Ahasver (the »eternal Jew«), anti-capitalist antisemitism (»Mammon«) and blood libel (»Moloch):

Brumlik, Micha (2000): Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, Munich: Luchterhand

Am 20. März 2010 schrieb ich:

In einem neuen Dokument der Islamophilen Bewegung gegen Kritik am Islamismus sprechen sich Wolfgang Benz (Rentner in spe), Micha Brumlik (immer auf der richtigen Seite), Rita Süssmuth (Bundestagspräsidentin a.D.), Gesine Schwan (ehemalige Kandidatin), Günther Grass (früher selber Mitglied in der Waffen-SS) und auch der Tübinger Professor Karl-Josef Kuschel sowie einige weitere Personen gegen Kritik am Islamismus aus. „Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!“ heißt der zwischen Lächerlichkeit und Realitätsferne schwankende Aufruf von Pro Asyl, dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und dem „Interkulturellen Rat in Deutschland e.V.“. Namentlich Ideen von Frankreich und Italien Ganzkörperschleier, die sogenannte Burka, wenigstens in öffentlichen Einrichtungen zu verbieten, provozieren einen Aufruhr bei den Unterzeichnern. Dabei ist die Burka ein frauenverachtendes Symbol des Islamismus oder des politischen Islam.

Hier zeigte sich schon die ganze Widersprüchlichkeit Brumliks. Gegen Antisemitismus – aber immer wieder verharmlosend was den Islamismus betrifft. Warum? Was spricht dagegen, gegen die Nazis, die AfD, die Neuen Rechten und exakt mit gleicher Kraft gegen die Kopftuchideologie- und praxis und den Islamismus aktiv zu sein? Was spricht dagegen?

Am 09. April 2010 hingegen geht es um die Kritik von Brumlik an seinem Kollegen Wolfgang Benz. Das ist deshalb von einiger Relevanz, weil Brumlik eigentlich ein Kollege von Benz war, mit dem er oft kooperierte wie bei der absurden Analogie von Antisemitismus und der eingebildeten „Islamophobie“, was genauso ein Kampfbegriff ist wie die abstruse Rede von „antimuslimischem Rassismus“, worunter dann auch die Ablehnung des Kopftuchs fällt. Aber bezüglich der Nazi-Vergangenheit von Benz‘ Doktorvater, die ich skandalisiert hatte, war Brumlik alarmiert:

Brumlik ist nun der Erste, der sich ausführlich in einer Tageszeitung zum Schweigen von Benz bezüglich Bosl äußert:

„Freilich haben seine Gegner Benz nun in einem Punkt getroffen, der auf den ersten Blick mit der erwähnten Debatte in keinem Zusammenhang steht. Benz wurde 1968 in München von dem Mediävisten Karl Bosl promoviert und steuerte zu dessen Festschrift 1983 [das war 1988, 1983 war Benz ‚nur‘ Teil der Tabula Gratulatoria, vereint mit Armin Mohler oder Theodor Schieder, C.H.] einen wohlwollenden Beitrag bei.

Durch die Recherchen von Clemens Heni ist jetzt bekannt geworden, dass der 1908 geborene Bosl nicht nur ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP und des NS-Lehrerbundes, später wohl auch der SA war, sondern sich 1938 für eine Mitarbeit im Forschungsprojekt des SS-Instituts ‚Ahnenerbe‘ zum Thema ‚Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte‘ bewarb und aufgenommen wurde. Bosl referierte noch im Januar 1945 auf der letzten NS-Historikertagung in Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn zum Thema ‚Landesausbau im baierischen Raum‘. 1964, Bosl war weit über fünfzig Jahre alt, nahm er eine Einladung der rechtsextremen Vertriebenenorganisation ‚Witikobund‘ an und beschuldigte bei einem ‚Sudetendeutschen Tag‘ die Tschechoslowakei ‚einer radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems‘ nach hitlerschem Modell‘.

Soweit ersichtlich, hat sich Benz (…) zu diesen Vorhaltungen nie ausführlich geäußert. Bekannt sind allenfalls beiläufige Äußerungen, Bosl sei kein ‚Nazi‘ gewesen. So scheint eine erneute Debatte unerlässlich.

Dass ein ehemaliger Doktorand einem ihm freundlich gesonnenen Doktorvater die Loyalität hält, ist verständlich. Doch der Umstand, dass sich die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Leitfiguren, etwa Theodor Schieder, der den Generalplan Ost mitentworfen hatte, oder Werner Conzes, dessen Karriere als Sozialhistoriker mit völkischen Studien zur Siedlungsgeschichte begann, auseinandersetzten, hat ihr nicht geschadet.

Wolfgang Benz‘ Schweigen, das seine anderweiten Verdienste nicht schmälern kann, stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt dar.“

 

Am 10. November 2010 hielt ich in einem Text zur Kritik an Alfred Grosser Brumliks Position fest und zitierte das Deutschlandradio:

„‘Der Erziehungswissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main warf Grosser außerdem vor, mit einer solchen Rede historisches Bewusstsein zu zerstören: ‚Gewollt oder ungewollt stellt er nun eine Verbindung zwischen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und den Verbrechen der Nationalsozialisten gegenüber den Juden her. Das verfestigt sich im populären Geschichtsbewusstsein und führt dann zu solchen Aussagen, wie dass die Juden auch nicht besser sind, weil sie den Palästinensern dasselbe antun wie die Nazis den Juden.‘“

 

Doch die ganze Widersprüchlichkeit auch von Micha Brumlik zeigte sich zur exakt gleichen Zeit. Ich schrieb nur zwei Tage später, am 12. November 2010:

Zu Grosser und „jüdischem Antisemitismus“ hat der Historiker Arno Lustiger am 18. September 2008 in der FAZ alles Nötige gesagt.

Natürlich hat Micha Brumlik, der sich mediengerecht als Kritiker von Grosser in Szene setzte, im Ernst gar kein Problem mit der Diminuierung, Derealisierung und – Infantilisierung – des Phänomens Antisemitismus.

Nur einen Tag vor Grosser sprach auch Brumlik in Hessen. Er sprach beim „Förderverein zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg“. Brumlik sagte demnach, laut einem Bericht des Lauterbacher Anzeigers:

„Der Distanzierung der Politiker [gegenüber Sarrazin, d.V.] aus allen großen Parteien stellte Micha Brumlik das Bild des von denselben Politikern geschaffenen „integrationsunwilligen Ausländers“ gegenüber, der nun als Feindbild fungieren könne – so wie in der NS-Zeit die Juden, im Stalinismus die Trotzkisten oder in der BRD der Achtziger Jahre die Asylanten.“

Das ist infantil, schon wieder. Grosser und Brumlik möchten offenbar Kindern (als welche die Gesellschaft hier imaginiert wird) sagen, dass Juden sowas wie „integrationsunwillige Ausländer“ waren. Jede Spezifik des Antisemitismus, sein Irrationalismus, seine Rede von der Weltverschwörung, der Blood Libel, den jüdischen Kapitalisten, Kommunisten, Humanisten, Liberalen, Sozialisten etc. etc., oder die Fantasie von den Juden als Christusmörder, als Brunnenvergifter, dem „ewigen Juden“ wird negiert. Brumlik hat demnach kaum Ahnung von der Spezifik und der Geschichte des Antisemitismus.

Am 08. Juni 2012 schrieb ich dann:

German professor Micha Brumlik gives Butler his Jewish kosher stamp. He is known for doing so for anti-Zionist antisemitism. He is against obvious antisemitism like that of Hamas, but he is in favor of Jewish anti-Zionism. He even equated Butler’s pro-Hezballah and pro-Hamas stand with supposedly or indeed problematic paragraphs from philosopher Adorno about jazz. Therefore criticism of music is the same as hatred of Jews and incitement to genocide from Hamas. I learned that this is mainstream in Germany; after I alerted professor Honneth to Butler’s antisemitism he replied that this is rather respectable “criticism of Israel” and he referred to Brumlik’s article.

Am 10. September 2012, einen Tag vor der Preisverleihung des Adorno-Preises an die Anizionistin Judith Butler schrieb ich:

Wurde das Gedenken an Theodor W. Adorno jemals so sehr in den Dreck gezogen wie am 11. September 2012 in Frankfurt am Main in der Paulskirche? Das deutsche Establishment, nicht nur Axel Honneth und Micha Brumlik, wird klatschen und innerlich johlen und frohlocken ob soviel Antisemitismus, Hass auf Amerika und Israel, Banalisierung von Auschwitz und Abscheu vor Theodor W. Adorno.

Am 03. Juli 2013 analysierte ich sodann die Fantasie Brumliks, die er in KONKRET veröffentlichte, Israel binational zu gestalten, also kein jüdischer Staat mehr zu sein:

Ein Kernpunkt Brumliks ist die ungeheuerliche, unfassbar antijüdische Idee, Juden das Rückkehrrecht nach Israel zu verweigern! O-Ton KONKRET:

„Einwanderung in den neuen Staat [Israel/Palästina] hingegen sollte das nationale Parlament nur nach arbeitsmarktspezifischen beziehungsweise humanitären Gesichtspunkten regeln, nicht mehr nach ethnischen Kriterien.“

(…)

Man denke an Ignatz Bubis, der von genau diesem immerwährenden Rückkehrrecht von Juden nach Israel Gebrauch machte, als er, geschlagen vom elenden Antisemitismus der Deutschen und Martin Walser, sich in Israel beerdigen ließ. Nach der umwerfenden Logik von Micha Brumlik und seinen Helfershelfern hätte eine solche Bestattung eines Juden in Israel keinen arbeitsmarktpolitischen Sinn und wäre zu verweigern. Sollen die Neonazis doch Bubis‘ Grab beschmieren, aufs Ekligste beschädigen und den Grabstein zerstören, wie sie wollen.

Auf meinem Blog bei der Times of Israel (TOI) schrieb ich daran anschließend am 3. September 2013:

On September 9 and 10, 2013, the Center for Research on Antisemitism (ZfA) at Berlin’s Technical University, together with the huge German Foundation on “Remembrance, Responsibility, and Future”, which spends up to seven million Euros a year for events (and spent over 70 million Euros since its inception in the year 2000), the group “Berlin-Kreuzberg Initiative against Antisemitism (Kiga)” and several other organizations as well as a German ministry of the Federal Government, will held a conference in Nuremberg on the Middle East conflict and its perception among immigrants in Germany.

The ZfA and its former head Wolfgang Benz have been criticized in recent years for promoting research on “Islamophobia” instead of Muslim antisemitism. In addition, Benz has been questioned about his silence about the Nazi legacy of his PhD advisor Karl Bosl, who awarded Benz a doctorate in 1968. (…)

One of the best known speakers at the September 9 event, invited by Schüler-Springorum and her allies, is Professor Micha Brumlik, a pedagogue by profession. Brumlik has been known in recent decades as a critic of some forms of antisemitism in Germany. But he is even better known today for his kosher stamps for antisemitic agitators like Judith Butler who received the very prestigious Adorno-Prize of the city of Frankfurt in 2012. Butler calls Israel an apartheid state, she supports the anti-Jewish Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) movement and she is in favor of German-Jewish philosophers Hannah Arendt (1906–1975) and Martin Buber (1878–1965). Both Arendt and Buber agitated against a Jewish state of Israel and favored a binational Israel.

In meinem Buch „Kritische Theorie und Israel“ von 2014 gibt es ein Kapitel über Micha Brumlik:

„Micha Brumliks Judith Butler“. Darin heißt es:

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik plädierte 2007 in sein­em Buch Kritik am Zionismus sowie 2013 in Konkret, der einzigen linken Publikumszeitschrift in Deutschland, gegen das grundsätzliche Rück­­kehr­­­recht der Juden sowie für eine binationale Option, in An­lehn­ung an eine Phantas­magorie Martin Bubers aus den 1940er Jahren.

Der Historiker Walter Laqueur, Jahrgang 1921 [26. Mai 2021-30. September 2018], war vor der Staatsgründung Israels nach eigenen An­gaben ein Anhänger der bi­natio­nal­en Idee – rückblickend im Jahr 2012 betont er, er habe dann Ende 1947 fest­stellen müssen, auf der arabis­chen Seite bestehe gar kein Interesse an einem bi­natio­nalen Staat. Der Judenhass sei schon damals sehr stark gewesen. Ge­mäßig­te Araber wie Fakhri Nashashibi oder Sami Taha, so Laqueur, wurden von arabischer Seite ermordet, da sie mit den Juden über eine Ko­op­era­tion reden wollten.

Zudem schreibe ich in meiner Studie Kritische Theorie und Israel Folgendes:

Heutzutage stellt sich eine Kompanie Kritischer Theoretiker hinter die Israel­gegnerin Judith Butler, als diese sich Kritik an der Vergabe des Adorno-Preises im Jahr 2012 gegenübersah, wie vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Unter den An­hängern Butlers sind Nancy Fraser, Diedrich Diederichsen, Micha Brumlik, Hauke Brunkhorst, Alex Demirović, Albrecht Wellmer, Seyla Benhabib und Idith Zertal. Axel Honneth war, wie bereits erwähnt, als Leiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt gar Teil des Gremiums, welches Butler zur Preisträgerin kürte.

Da sind einige der engeren Freunde und Freundinnen von Brumlik mit dabei, die bis heute nicht verstehen, was das Problem mit Judith Butler und dem Antizionismus für jüdisches Leben ist. Das zeigt sich exemplarisch im Nachruf auf Brumlik im ND (früher: Neues Deutschland) von Alex Demirovic.

Was Brumlik offenbar verpasste oder herunter spielte ist das säkulare jüdische Leben, sein primär von sich selbst ausgehender religiöser Bezug zum Judentum trifft nur einen kleinen Teil der ca. 90.000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden und nur einen bestimmten Prozentsatz in Israel sowie auch nur einige jüdische Kreise in den USA. Viele Juden in den USA sind ebenfalls säkular.

Sehr viele Juden und Jüdinnen leben ihr Judentum, kulturell, auch etwas religiös, aber zentral ist die Religion nur für eine Minderheit. Trotzdem sind das alles Jüdinnen und Juden, auch ohne starken Bezug zur Religion!

Am 07. März 2016 bezog ich mich dann wieder ausgesprochen unterstützend und dankend auf Micha Brumlik:

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat Sloterdijk im Doppelpack mit dem Althistoriker Jan Assmann im Rahmen einer Perlentaucher-Debatte kritisiert:

„Und was endlich jene – nach Sloterdijk angeblich die ‚altjüdische‘ Religion auszeichnende und schließlich auf Christentum und Islam übergehende – Phobokratie mit ihrer spezifisch israelitischen (jüdischen?) Neigung zur ‚Autogenozidalität‘ ob nicht eingehaltener sinaitischer Weisungen betrifft, so hat die rabbinische Theologie an deren Stelle die Institution des Versöhnungstages gesetzt, dessen zentrales Prinzip lautet: ‚Übertretungen zwischen einem Menschen und Gott sühnt der Versöhnungstag. Übertretungen zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nur, wenn er sich vorher mit seinem Nächsten versöhnt hat.‘

Die in der ‚altjüdischen‘ Religion angeblich – wenn auch nur spurenweise vorhandene – autogenozidale Phobokratie ist hier – im Text und in der Liturgie – vollständig in eine Lehre anerkennender, normativer Intersubjektivität überführt und vollständig in die Institutionen des Versprechens und Verzeihens transformiert. Nichts könnte vom Geist eines Gemetzels weiter entfernt sein.“

Man kann diese Kritik Brumliks angesichts der heutigen Situation zuspitzen. Wenn einer wie Peter Sloterdijk dem Judentum die Einführung eines unsäglichen Gewaltmotivs – den Bundesbruch – anhängt, Israel als „Schurkenstaat“ diffamiert, Heideggers Antihumanismus in die heutige Zeit transponiert und gleichzeitig einer Partei de facto zustimmt, die mit nazistischem Vokabular und einem Aufpeitschen der Bevölkerung gegen „den“ anderen berüchtigt ist, dann wird erkenntlich, dass der ehemalige Bhagwan-Jünger seinen nach innen gekehrten autoritären Charakter nun extrovertiert, einen „deutschen Weg“ gegen die USA fordert, Grenzen schließen möchte und gegen eine Kanzlerin agitiert, die unter Beschuss steht, wie noch nie ein Kanzler dieses Landes. Peter Sloterdijk ist die AfD für „Alphabetisierte“.

Für meine Essaysammlung „Eine Alternative zu Deutschland“, die exakt zum Einzug des AfD in den Deutschen Bundestag im Oktober 2017 erschien, schrieb Micha Brumlik einen Blurb:

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Während wir uns bei den ersten Treffen in Berliner Restaurants noch mit Sie anredeten, wurde das dann alsbald zum Du. Micha hatte Lob und Tadel für mich und ich offenkundig Anerkennung wie Kritik für ihn. Das war ein Hin- und Hergerissen-Sein, wie es nicht wenigen ging. Micha erzählte mir beim Mittagessen, dass er gerade an einer Arbeit über den Vater von Julius H. Schoeps sitze. Das erinnert Julius H. Schoeps natürlich (Micha Brumlik (2019): Preußisch, konservativ, jüdisch Hans-Joachim Schoeps‘ Leben und Werk, Göttingen: Vandenoek & Ruprecht).

Julius H. Schoeps hat das in seinem bedeutenden Nachruf, dem wohl persönlichsten und intellektuell tiefsinnigsten der vielen Nachrufe auf Brumlik, am Beispiel für Michas Unterstützung der höchst problematischen Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus deutlich gemacht:

Manche von Michas eingenommenen politischen Positionen habe ich unterstützt, andere abgelehnt, häufig jedoch auch nicht verstanden. Zum Beispiel, als er 2021 die »Jerusalem Declaration on Antisemitism« (JDA) unterzeichnete, die sich gegen die Antisemitismusdefiniton der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) von 2016 wandte, waren nicht nur ich, sondern auch manche seiner Freunde einigermaßen irritiert.

Diese Unterstützung der Jerusalemer Erklärung, die Antizionismus kategorisch ausnimmt bei der Analyse des Antisemitismus oder nur eine marginale Korrelation zwischen den beiden zu sehen vermag, und somit das Changieren zwischen Kritik am Judenhass und dem Liebäugeln mit einem nicht-zionistischen Israel, war eines der Kennzeichen für das Leben von Micha Brumlik überhaupt.

Zuletzt hatte sich das seit 2018 in seiner Kollaboration mit dem Zeitschriftenprojekt Jalta und dem Publizisten Max Czollek gezeigt, den er später scharf attackierte, weil Czollek bezüglich seinen angeblich jüdischen Eltern nicht die Wahrheit gesagt hatte, was in weiten Teilen der jüdischen Community in der Bundesrepublik bis heute für Kritik sorgt. Czollek sieht sich als Jude und hat einen jüdischen Großvater. Aber der Deutschlandfunk schreibt am 06. September 2021:

Der Publizist Micha Brumlik kennt und schätzt Czollek seit vielen Jahren. Czollek sei ein interessanter Essayist und Dichter mit Mut zur Provokation. Problematisch sei jedoch, dass er in der Öffentlichkeit als repräsentativer Vertreter der jüdischen Gemeinschaft angesehen werde. Mischa [sic] Brumlik sagt: „Ich erlebe die aktuelle Debatte so, dass Maxim Biller Czollek in einer ehrabschneiderischen Weise angegriffen hat. Das betrifft aber vor allem die Form. Rein inhaltlich gebe ich Biller recht, dass Personen nicht alleine entscheiden können, ob sie der jüdischen Gemeinschaft angehören oder nicht.“

Am 05. März 2019 hatte ich in einem anderem Kontext Kritik an Micha formuliert:

Nationalismus wie die Kooperation mit europäischen Rechtsextremisten und Holocaustrevisionisten durch die aktuelle israelische Regierung (mit der Ukraine, Litauen, Polen, Ungarn) werden in Israel, aber auch von vielen Juden in USA und Europa scharf kritisiert.

Allerdings gibt es in Deutschland eine völlig realitätsferne und selbst ernannte Pro-Israel-Szene, die de facto Juden und Israel schadet, da sie extrem rechts agiert und nur nachplappert, was Netanyahu von sich gibt und linkszionistische Stimmen seit Jahren gezielt negiert und totschweigt.

Das gilt auch für Einpunktbewegungen wie „Stop the Bomb“, die sich von Trump viel verspricht und in ihm nicht die größte innere Gefahr für die westliche Welt sieht, die er darstellt. Dass der Sexismus und anti-hispanische Rassismus von Trump sie nicht anwidert, verwundert nicht. Wer sich gegen den Verschleierungszwang im Iran wendet, aber Trump nicht wegen dessen „grab her by the pussy“-Sexismus attackiert, hat gar nichts kapiert und heuchelt auf unerträgliche Weise.

Wer jedoch auf der anderen, der vorgeblich guten Seite steht wie Micha Brumlik und nun in der taz die Kritiker*innen des Antisemitismus und der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden“ diffamiert und dann auch noch zusammen mit einer Person wie Jacqueline Rose (und dutzenden weiteren problematischen, den Antisemitismus diminuierenden oder fördernden Personen) Erklärungen zur Unterstützung der Juden für einen gerechten Frieden in Nahost unterschreibt, hat jegliche Seriosität, jede Wissenschaftlichkeit, jede politische Reputation verloren und kann nicht mehr ernstgenommen werden.

Denn was schreibt Rose in ihrem Buch „The Question of Zion“? Zitat:

„It was only when Wagner was not playing at the Paris opera that he [Herzl, CH] had any doubts as to the truth of his ideas. (According to one story it was the same Paris performance of Wagner, when – without knowledge or foreknowledge of each other – they were both present on the same evening, that inspired Herzl to write Der Judenstaat, and Hitler Mein Kampf)“.

Das ist nicht irgendwie eine Meinung von Rose, das ist Fanatismus und Unwissenschaftlichkeit in Potenz.

Hitler habe sich also im Alter von 6 Jahren zu „Mein Kampf“ inspirieren lassen. Dass so etwas gelesen, lektoriert und gedruckt wurde, hätte das Ende des Verlags Princeton University Press bedeuten müssen – dass es das nicht tat, zeigt wie desolat „Forschung“ heute funktioniert.

Dass eine Person wie Jacqueline Rose, die diesen wirklichen Schwachsinn, der nichts als antisemitisch motiviert ist – nämlich Herzl und den Zionismus mit dem größten Verbrecher der Geschichte der Menschheit in direkte Verbindung zu bringen – so formuliert hat, von einem Mann wie Brumlik (oder anderen Unterzeichnern wie Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann) goutiert wird, ist bezeichnend. Es ist ja keine offene Liste von Zehntausenden Namen, wo man nie weiß, was für ein Schwachkopf sich darunter mischt.

Im Berlin Tagesspiegel hatten dann im Januar 2020 der Islamwissenschaftler und Politologe Michael Kreutz und ich antisemitische Tendenzen im Jüdischen Museum Berlin analysiert und kritisiert („Die Grenzen der Toleranz: Peter Schäfer machte das Jüdische Museum zum Inkubator für Israel-Ressentiments“. Der Ex-Direktor bot BDS-Unterstützern und Forschern, die Islamophobie und Antisemitismus vergleichen, eine Plattform. Das geht nicht. Ein Gastbeitrag“, 02. Januar 2020).

Das war zu viel Empirie und Kritik für Brumlik, der an selber Stelle erwidern durfte:

Der Beitrag von Clemens Heni und Michael Kreutz, der behauptet, dass das Jüdische Museum Berlin Anhänger der BDS-Bewegung hofiere, wimmelt von Unrichtigkeiten, diffamatorischen Unterstellungen und schlicht falschen Behauptungen.

Es war nicht falsch, was wir schrieben, sonder sehr richtig. Wir haben sehr treffend die antizionistischen Tendenzen am Berliner Jüdischen Museum decodiert und attackiert, eine Kritik, mit der wir überhaupt nicht alleine da standen.

Beim Thema Kritik an der Agitation gegen die Brit Mila (angesichts des Kölner Urteils von 2012) waren Micha Brumlik und ich wieder auf der selben Wellenlänge, wie ich am 05. Mai 2022 festhielt:

Medizinisch wurde 1896 bereits detailliert auf die häufigen und vielfältigen Erkrankungen des unbeschnittenen Penis mit Vorhaut hingewiesen. Darunter fallen „der weiche Schanker“, „Herpes progenitalis sive praeputialis“, die „katarrhalische Balanoposthitis“, die „gonorrhoische Balanoposthitis“ oder der gewöhnliche „Eicheltripper“. Doch diese damals diagnostizierten medizinischen Vorteile einer Beschneidung sind nicht die Begründung für die Brit Mila oder die muslimische Beschneidung. Es sind kulturelle und religiöse Praktiken und eine Demokratie muss Religionsfreiheit gewährleisten. Doch gerade das ach-so-gebildete Bürgertum in Deutschland hetzt seit Jahren gegen die Beschneidung.

Eine Anzeigenkampagne in Bussen, Bahnen und öffentlichen Orten der Giordano-Bruno-Stiftung war besonders perfide, wobei sie einen Jungen als Beispiel nimmt, also vermutlich einen muslimischen Jungen, und keinen neugeborenen jüdischen Jungen, denn im Judentum muss die Beschneidung bis zum achten Tag vollzogen sein.

Der Pädagoge Micha Brumlik hat damals die Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem Namensgeber kontextualisiert:

Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“.

Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft.

Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater Judenfresser“ war.

Viele Linke, auch aus der Pro-Israel-Szene, haben sich wie die FAZ, Putzke oder die Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Brit Mila gestellt, so die Postille Bahamas und ihre Autoren Thomas Maul und Justus Wertmüller, die Bahamas rief sogar ihre kleine Anhängerschaft dazu auf, im August 2012 nicht auf eine Kundgebung in Berlin zu gehen, die sich für Religionsfreiheit und das Recht auf die Beschneidung aussprach. Andere allzu deutsche Agitatoren gegen die jüdische wie muslimische Knabenbeschneidung waren die Publizisten Thomas von der Osten-Sacken, Tilman Tarach sowie das extrem rechte Portal „Politically Incorrect“.

 

In meinem Band „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018 ging es unter anderem auch um Micha Brumlik und dessen Diaspora-Judentum. Aus aktuellem Anlass wie der Ideologie des Philosophen Omri Boehm hatte ich dieses Kapitel am 24. Dezember 2023 online gestellt, darin heißt es:

Der israelische Philosoph Omri Boehm erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024. Darüber berichtet Ralf Balke in der Jüdischen Allgemeinen und kritisiert den antiisraelischen Ansatz von Boehm:

Mit Sätzen wie »Ich denke, es ergibt wenig Sinn, tiefer in die Debatte über den ’spezifischen arabischen Antisemitismus‹ einzutauchen« oder »Ich werde Ihnen sagen, wo der Antisemitismus nicht beginnt: Er beginnt nicht damit, Israels Existenz als jüdischen Staat infrage zu stellen« hat sich Omri Boehm ohnehin schon längst in die Herzen der postkolonialen juste milieus und BDS-Fans eingeschrieben.

Das zitiere ich und schreibe daran anknüpfend:

Doch dieses Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Grass vom April 2012, das gleichzeitig in drei führenden Tageszeitungen in der Bundesrepublik, in Italien und in Spanien erschien (Süddeutsche Zeitung, La Repubblica, El Pais), das die Vernichtungsdrohungen des Iran beiseiteschiebt, den Judenstaat attackiert und deshalb eine sehr große publizistische Resonanz erfuhr –

„Warum sage ich jetzt erst,

gealtert und mit letzter Tinte:

Die Atommacht Israel gefährdet

den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

Weil gesagt werden muß,

was schon morgen zu spät sein könnte“,

(Günter Grass (2012): Was gesagt werden muss, Süddeutsche Zeitung, 04. April 2012, http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809)

– dieses Gedicht also war es, das einen israelischen Philosophen, Omri Boehm, ver­anlasste, den Sozialphilosophen Jürgen Habermas wegen seines „Schweigens“ zu Israel angesichts von Grass‘ Gedicht als zu wenig kantianisch und aufgeklärt anzugreifen. Und Brumlik wiederum zieht Boehm in seinem Band als Aufhänger für ein ganzes Kapitel heran und unterstützt dessen An­satz, deutsche Intellektuelle wie Habermas sollten Israel kritisieren.

Brumlik ist geschickt genug und erwähnt in seinem Text nicht, dass der Aufhänger von Omri Boehm das Gedicht von Grass ist.

(Micha Brumlik (2015): Wann, wenn nicht jetzt? Versuch über die Gegenwart des Judentums, Berlin: Neofelis Verlag. Der Band erscheint in der Reihe „Relationen – Essays zur Gegenwart“, Band 3, herausgegeben wird die Reihe von David Jünger, Jessica Nitsche und Sebastian Voigt, S. 76–93)

 

Grass hatte nicht den islam­ist­ischen Iran, der Israel vernichten will, sondern Israel als Gefahr für den „Welt­frieden“ ausgemacht und wollte das israelische Atomwaffenarsenal unter UN-Kontrolle stellen und somit den Judenstaat schwächen und angreifbar machen. In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz äußerte Jürgen Habermas, ein Deutscher seiner Generation sage besser nichts zur israelischen Politik, er finde das Gedicht von Grass höchst befremdlich, er stelle sich gegen Grass, „sei sich aber „sicher“, „Grass sei kein Antisemit“.

(Noa Limone (2012): Germany’s Most Important Living Philosopher Issues an Urgent Call to Restore Democracy, 16.08.2012, https://www.haaretz.com/german
y-s-most-important-philosopher-issues-an-urgent-call-for-democracy-1.5285348)

(…)

Brumlik und der Neofelis Verlag gehen noch weiter und zeigen ein Sendungsbewusstsein, wenn es schon auf der Rückseite des Buchumschlags von Brumliks Band heißt:

„Micha Brumliks Essay verbindet ein Plädoyer für jüdisches Leben in der Diaspora mit einer geschichtsphilosophischen Skepsis über die Zukunft des Staates Israel als eines jüdischen Staates und erwägt erneut und zeitgemäß modifiziert die Idee eines binationalen Staates Israel/Palästina durchaus im Bewusstsein der blutigen Krise der arabischen Welt zu Beginn des 21. Jahr­hunderts. (…) Das Judentum des 21. Jahrhunderts wird – in welcher Form auch immer – ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein.“

Das ist also ein Plädoyer für das Ende Israels als Judenstaat, das harmlos daherkommt und sich pro-jüdisch anhört, was der gleiche Aufruf von Seiten islamistischer Agitatoren, die auch die „Einstaatenlösung“ wollen, so nicht erreichte. Diesen Aufruf, gekoppelt mit der Forderung, das Rückkehrrecht für Juden abzuschaffen, hatte Brumlik zuvor in der linken Monatszeitung Konkret publiziert, was ich kritisiert habe.

(Clemens Heni (2013a): Ein nüchternes Strategiepapier zur Zerstörung Israels – mit Koscherstempel. Micha Brumlik, die Evangelische Akademie Arnoldshain und KONKRET, 03. Juli 2013, http://www.clemensheni.net/allgemein/ein-nuchternes-strategiepapier-zur-zerstorung-israels-mit-koscherstempel/)

Zudem meint Brumlik das „Judentum des 21. Jahrhunderts“ werde „ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein“, was nur anzeigt, wie wenig Kontakt er mit Juden in Israel hat. Ein Großteil zumindest der Intellektuellen und der gut ausgebildeten Mittelschicht ist säkular und nicht religiös.

Dass die übergroße Mehrheit aller Juden weltweit sehr weltlich und nicht sehr religiös ist, namentlich in den USA, ja viele Zionist*innen explizit atheistisch oder agnostisch oder sonst wie skeptisch und eher gottlos leben, kümmert weder den Verlag noch den Autor. Widerspruch gibt es höchstens mal von Journalisten wie in der Jüdischen Allgemeinen, die gleichwohl für die übergroße Mehrheit der Juden in Deutschland sprechen dürfte – sie ist das offizielle Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland –, die sich Brumliks Zeuge Boehm vorknöpft:

„Wer, so lautet Boehms Botschaft im Klartext, nicht gegen eine Politik prot­est­iere, die Boehm nur nebulös – und aufs Ressentiment vertrauend – mit ‚Einsatz von Methoden gegen die israelisch-arabische Bevölkerung Jerusalems‘ um­schreibt, solle zur Schoa schweigen. Ohne es gewollt zu haben, gelingt Omri Boehm in seiner wütenden Philippika gegen Leute, die den jüdischen Staat nicht verurteilen möchten, doch noch ein bedeutendes Argument gegen Antisemitismus: Es gibt auch dumme jüdische Philosophen.“

 

(Martin Krauss (2015): Dem Philosoph ist nichts zu doof, Jüdische Allgemeine, 29.10.2015, https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23710 )

Wie ich mit diesen Beispielen der letzten Jahrzehnte in Ansätzen zu zeigen versuchte: Micha Brumlik war ein äußerst aktiver und ein mitunter durchaus umstrittener Autor, gerade aus jüdisch-zionistischer wie auch nicht-jüdisch zionistischer Perspektive.

Er war gegen den Antisemitismus, aber wollte oder konnte nicht sehen, dass gerade der Antizionismus hier und heute die am weitesten verbreitete Form des Judenhasses und somit Antisemitismus ist.

Er war aber auch widersprüchlich, weil er diesen antizionistischen Antisemitismus mitunter sehr wohl sah oder zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt, den zu bestimmen Historiker*innen sich mal das ganze Werk Brumliks, den Nachlass etc. anschauen werden.

Einigermaßen dramatisch war zum Beispiel seine jugendliche Zeit in Israel, als er einmal drei Wochen in einem Krankenhaus in einem Vierbettzimmer verbringen musste. Er kam als Zionist, ging als Antizionist, was er später wieder revidierte und nochmal revidierte. Brumlik hat aus mit nicht nachvollziehbaren Gründen den Islamismus massiv verharmlost, aber zugleich und völlig richtig die existentielle Gefahr für Israel durch den islamistischen Iran gesehen.

Womöglich wollte er als quasi Migrant, der in der Schweiz geboren wurde und dessen Eltern Überlebende waren, gänzlich anderen Migrant*innen zur Seite stehen, was an sich löblich wäre. Aber spätestens seit dem 11. September sehen wir dass der Islamismus zu einer der größten Gefahren für die Demokratien in Europa und für das Leben im Nahen Osten und weltweit geworden ist.

Die rechtsextreme und auf antisemitischen Verschwörungen basierende Ideologie des Trumpismus, der Familien- und Kinder-Fetisch der ganzen Neuen Rechten wie die Liebe zu Religion, Tradition und Clan eint doch Neue Rechte und Islamisten und – da würde Brumlik sofort zustimmen – auch substantielle Teile des religiös-fanatisierten Israel.

Zeitweise trug Micha Brumlik auch eine Davidsternhalskette, wie er in seiner Autobiographie 1996 schrieb. Hätte er oder hat er noch den vor allem muslimischen und auch linken Judenhass nach dem 7. Oktober 2023 erkannt, der jüdischen Frauen und Männern mit Davidsternhalskette oder Pro-Israel T-Shirt das Leben an deutschen oder amerikanischen, französischen, britischen etc. Universitäten, in der U-Bahn und im Alltag zu einer einzigen Katastrophe macht?

Er liebte es mitunter geradezu zu provozieren oder zu streiten. Als wir uns dann auch mal in meinem Lieblingsrestaurant in Kreuzberg, dem Primavera, trafen – und nicht in Wilmersdorf oder Charlottenburg -, schlug Micha nach zwei Viertele mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte recht laut „Judith Butler ist keine Antisemitin“. Dabei hatte ich Butler an diesem Abend kein einziges Mal erwähnt, ja nicht mal angedeutet. Ich wollte ja andere Themen, wie unsere gemeinsame Kritik an der schon damals offenkundigen rechtsextremen Regierungspolitik von Netanyahu oder an den auch linken Gegner*innen der Brit Mila ansprechen. Micha beruhigte sich dann ja auch wieder und der Abend verlief intellektuell vielfältig und nicht nur kontrovers.

Micha Brumlik war einer, der diese Widersprüche lebte, der die Kontroverse suchte und sein Gegenüber wahr und ernst nahm. Das sind Eigenschaften, die nur sehr wenige Intellektuelle in diesem Land haben. Es gab so gut wie niemand außer Brumlik, der sich bei Kant, Schleiermacher, Fichte, Marx, Schelling und Hegel und deren Verhältnisse zum Judentum und zur Judenfeindschaft als auch in den aktuellen Debatten zu Antisemitismus so gut auskannte und viel dazu publizierte.

Ironischerweise waren es Brumlik und Julius H. Schoeps, beide keine typischen Adorniten, die in ihrer Kritik am neu-deutschen Antisemitismus wie jenem von Martin Walser (1998 ff.) und in der Goldhagen-Debatte über einen spezifisch deutschen Antisemitismus (1996 ff.) der an Adorno orientierten antideutschen Linken am nächsten standen und mir ihr kooperierten.

Vielleicht hätte es Micha gefreut, wenn er noch miterleben hätte können, dass sein Werk wie zum Beispiel seine so eminent wichtige und bis heute notwendige Kritik an Theologen und Aktivisten wie Franz Alt und deren antijüdische Phrasendrescherei von „Jeus, der erste neue Mann“ der 1980er Jahre heute von mir an der Philosophischen Fakultät und am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg unterrichtet wird.

Schließlich war die Ruperto Carola die längste Wirkungsstätte von Micha Brumlik, von 1981 bis 2000 war er hier am Neckar Professor für Pädagogik.

Ich werde Micha vermissen.

 

 

 

 

 

 

Jubel in New York City: Der neue Bürgermeister und der intellektuelle Niedergang der Democratic Socialists of America (DSA)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Wie wurde aus einer linkszionistischen und sozialistischen Organisation wie den Democratic Socialists of America (DSA) eine antizionistische Kampforganisation? Warum wurde der Linkszionismus des Mentors von Bob Dylan, Pete Seeger, einfach vergessen von den ungebildeten jugendlichen Massen in New York City? Gibt es nach der Wahl Mamdanis noch eine Chance auf eine linkszionistische Kritik am Trumpismus und an Netanyahu? Und was sagt uns eine Postkarte von Theodor W. Adorno von 1967 über sein Verhältnis zu Israel?

Holocausterinnerung

Holocausterinnerung gibt es außerhalb Israels fast nur noch im Land der Täter.

Die Ironie der Geschichte ist zudem, dass ausgerechnet die antideutsche Bewegung seit dem Jahr 2000 dafür gesorgt hat, dass Deutschland als fast einziges Land eine zumindest hörbare Zahl von nicht-jüdischen zionistischen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen hat und somit das Standing, wie es neudeutsch heißt, von Deutschland verbessert hat.

Amerika hingegen, das Land mit der größten jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels und Sitz der Stadt mit den meisten Jüdinnen und Juden weltweit – New York City mit ca. einer Million Jüdinnen und Juden – hat ganz enorme Probleme mit dem Antisemitismus.

Auch die Bundesrepublik Deutschland hat ganz extreme Probleme mit Antisemitismus, der primär von Linken und Muslimen wie Islamisten kommt, aber natürlich traditionell auch von Nazis. Auch im Mainstream ist Antisemitismus in Deutschland weit verbreitet.

In den USA kommt der Judenhass wahlweise von der MAGA-Bewegung und ist durch Verschwörungsmythen oder christlichem Antijudaismus geprägt – Make America Great Again -, oder von Muslimen, Islamisten und Linken, die ihn primär als Israelfeindschaft artikulieren und sich im Gegensatz zu Rechten moralisch erhaben fühlen.

Nan Goldin in Berlin: Eine Fotografin gegen den einzigen Judenstaat

New York City ist in Aufbruchstimmung. „Die Bewegung“ hat einen der ihren zum Bürgermeister der größten amerikanischen Stadt und zentralen Metropole des Landes gewählt. Einige ältere Semester in USA wie in Europa oder der Bundesrepublik mögen sich an die Stimmung Mitte bis Ende der 1960er Jahre erinnert fühlen, als ebenfalls eine Aufbruchstimmung herrschte. Es dauerte ein paar Jahre vom Kampf gegen die Rassentrennung (Segregation), den Demonstrationen und Aktionen gegen den Vietnam-Krieg hin zum antizionistischen Ressentiment, den K-Gruppen und den Terrorgruppen.

Doch Kenner Amerikas und des Linksradikalismus in den USA wissen: diese Aufbruchstimmung ist diesmal von Anfang an antisemitisch und nicht erst nach einer gewissen Zeit.

In einem Beitrag in der dermaßen links-liberalen und traditionellen Wochenzeitung in den USA The Nation schreibt am 30. September 2025 eine Nikki Columbus wie „extrem“, ja extrem rechts Deutschland geworden sei. Damit meint sie, dass Kritik am Antisemitismus und an der geplanten Vernichtung des jüdischen Staates Israel rechts sei.

Der Text ist eine Ode an die antisemitisch-antizionistische Agitatorin und Fotografin Nan Goldin. Nur weil sie zwei-, dreimal ihre Foto-Kamera im richtigen Winkel zu einem Objekt positionierte, bekam sie von der Neuen Nationalgalerie in Berlin gleich eine Retrospektive, die sie gezielt als Agitationspolattform nutzte und bewies, dass sie gar nicht primär Künstlerin ist, sondern Großagitatorin.

Sie ist eine Anhängerin der antiisraelischen BDS-Boykottbewegung und behauptet ohne jegliches Fachwissen, dass Antizionismus nicht Antisemitismus sei. The Nation plappert diese judenfeindliche Ideologie in dem Artikel nach.

Besonders schlimm sei es ausgerechnet für antisemitische, also antizionistische Künstler*innen in Berlin seit dem 7. Oktober 2023. Wer nicht weiß, was am 7. Oktober passierte – und der Text sagt dazu so gut wie nichts – muss denken, dass am 7. Oktober Hunderte Palästinenser*innen auf unschilderbare Weise hingemetzelt wurden und danach auch die pro-palästinensischen Künstler*innen gecancelt oder angegangen worden seien.

Die 80er Jahre seien so cool gewesen in West-Berlin, erzählt Nan Golding der The Nation-Autorin. Und dann kam der 7. Oktober und es wurde ganz schlimm – für die Täter, nicht etwa für Israelis und ihre zionistischen Freund*innen. Es geht um eine Ausstellungseröffnung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin:

Diese Freiheit scheint nun an ihre Grenzen gestoßen zu sein. ‚Die Zungen wurden zum Schweigen gebracht‘, erklärte Goldin bei der Ausstellungseröffnung, ‚durch die Regierung, die Polizei und die kulturelle Unterdrückung.‘ Goldin bezog sich dabei auf die aggressive Reaktion des Landes auf die Unterstützung Palästinas, insbesondere seit den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Beginn des anhaltenden Völkermords Israels in Gaza. Diese Repressionen finden zwar landesweit statt, konzentrieren sich jedoch weitgehend auf Berlin. ‚Seit dem 7. Oktober wurden über 180 Künstler, Schriftsteller und Lehrer gecancelt‘, fuhr Goldin fort. ‚Viele von ihnen sind Palästinenser, 20 Prozent sind Juden.‘ (Ebd., Übersetzung CH)

The Nation spricht aktuell gar in Texten, die sich mit Antisemitismus und Antizionismus (bei den Rechten in USA) befassen, komplett unreflektiert von „Genozid„, wenn es um den Gaza-Krieg Israels geht, was eine Verharmlosung tatsächlicher Genozide ist.

Schreckliche Kriegsverbrechen Israels sind nicht das gleiche wie ein „Genozid“

In Gaza passierten bis zum Waffenstillstand im Oktober 2025 Kriegsverbrechen der israelischen Armee IDF. Insgesamt ca. 65.000 Menschen wurden getötet, darunter – niemand weiß es genau – 15.000 Hamas-Terroristen. Doch mindestens 50.000 Tote sind Zivilist*innen. Viele wurden unter Trümmern begraben, andere erschossen und viele sind auch verhungert.

Das ist Resultat der Kriegspolitik der rechtsextrem-religiös-messianischen Regierung unter Benjamin Netanyahu. Doch auch Kriegsverbrechen sind in diesem Fall nicht gleichbedeutend mit einem Genozid, der primär das intentionale Töten eines Volkes meint.

Auf menschenverachtende Weise hat die IDF ihre Angriffe so durchgeführt, dass wissentlich auch viele Zivilist*innen zu Tode kamen. Das ist nicht zu rechtfertigen. Aktuell hat die Hamas geschätzt so viele Kämpfer wie vor dem 7. Oktober, obwohl 15.000 Hamas-Terroristen im Krieg ausgeschalten wurden. Das ist auch nur logisch, eine in der Bevölkerung breit verankerte Terrorgruppe bekommt problemlos Nachschub.

Viele in der Pro-Israel-Szene haben diese Verbrechen der israelischen Armee bejubelt oder schweigen dazu, auch in der wissenschaftlichen wie aktivistischen Pro-Israel-Szene in Deutschland.

Die immer aggressivere Kriegsführung speziell seit Sommer 2024 bis Oktober 2025 hat dazu geführt, dass viele ehrlich Verbündete Israels wie Frankreich oder Großbritannien und schließlich auch Deutschland Israel klar gemacht haben, dass es so nicht geht.

Doch Netanyahu hörte keine Sekunde zu. Nur ein faschistoider Politiker aus Washington, D.C., hat ihn überzeugt, doch zu einem Kompromiss bereit zu sein. Die Hamas ließ dann im Oktober 2025 die restlichen 20 lebenden Geiseln frei, Israel Hunderte palästinensische Straftäter und Terroristen.

Ein „Deal“, der gleichwohl nach allem was wir wissen, spätestens im April 2024 möglich gewesen wäre, wie die New York Times vor Monaten berichtete – er hätte damals Dutzenden Geiseln und Zehntausenden Palästinenser*innen das Leben gerettet, was selbstredend der Hamas egal ist.

Aber Zionist*innen darf das nicht egal sein. Doch Netanyahu ist es egal. Also kann er kein Zionist sein. Philosophie, Logik, erstes Semester.

Die Kritik an der rechtsextremen und verbrecherischen Politik Netanyahus, zu der auch und insbesondere das Unmöglichmachen einer Zweistaatenlösung durch finanzielles Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde, durch Siedlungsbau wie dem Projekt E1 und anderen, durch Pogrome gegen Palästinenser*innen im Westjordanland, das Zerstören von Olivenbäumen, das Entführern oder Töten von Schafen und anderen Tieren gehören, hat jedoch mit dem Juden- und Israelhass weitester Teile der angeblichen Palästina-Solidarität gar nichts zu tun. Die hassen Israel unabhängig von seinen Taten.

Viele Vertreter*innen dieser Kreise sprechen seit vielen Jahren von „Genozid“, weshalb kein seriöser Mensch diesen Phrasendrescher*innen noch zuhört – bis auf Postillen, die historisch einiges an Renommee haben wie The Nation.

Oktober 2023: Maurice Isserman verlässt nach 41 Jahren die Democratic Socialists of America (DSA)

Der Historiker und Professor am Hamilton College im Bundesstaat New York Maurice Isserman (Jg. 1951) war in seinem Leben nur in zwei bundesweiten politischen Organisationen Mitglied. Im Alter von 18 ein Jahr beim SDS (Students for a Democratic Society). Der SDS in USA war 1960 gegründet worden, hatte 1965 ca. 15.000 Mitglieder, aber 1968 waren es schon ca. 100.000. Das erinnert Isserman in einem beeindruckenden biographischen, linksintellektuellen und tagespolitischen Text von Oktober 2023 – in The Nation -, wo er seinen Austritt aus der zweiten bundesweiten Organisation bekannt gab, der er je angehörte: Den Democratic Socialists of America (DSA). Er war 41 Jahre Mitglied beim DSA.

Die Anzahl der Mitglieder der Democratic Socialists of America hat sich von 2015 mit 5000 Mitgliedern bis 2025 auf ungefähr 100.000 Mitglieder enorm vervielfacht.

Doch warum trat Maurice Isserman im Oktober 2023 von den DSA aus?

Es geht um die Reaktion der DSA auf den 7. Oktober. Während Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), beide Sympathisanten bzw. Mitglied bei den DSA, die Massaker an Jüdinnen und Juden durch die Hamas verurteilten, reagierte das DSA spontan anders.

AOC spricht mittlerweile auch von „Genozid“, den Israel begehe – was zur Gewalt neigenden antisemitischen Aktivist*innen in New York City nicht reicht, ihr Büro in der Bronx wurde im Juli 2025 beschmiert und sie beschuldigt, am „Genozid“ mitzuwirken, dazu wurde sie schockierenderweise mit dem Tode bedroht.

Maurice Isserman schreibt am 23. Oktober 2023:

Das Nationale Politische Komitee der DSA stimmte nicht mit den beiden prominentesten demokratischen Sozialisten [Sanders und Ocasio-Cortez] im öffentlichen Leben der USA überein. In seiner Erklärung vom 7. Oktober erwähnte es die Hamas mit keinem Wort – geschweige denn, dass es Kritik an ihr übte –, sondern erklärte stattdessen:

‚Die heutigen Ereignisse sind eine direkte Folge des Apartheidregimes Israels – eines Regimes, das Milliarden an Finanzmitteln aus den Vereinigten Staaten erhält.‘

Am selben Tag forderte die New Yorker Ortsgruppe der DSA ihre Mitglieder auf, an einer Kundgebung in Midtown Manhattan teilzunehmen, zu der eine andere linke Gruppe unter dem Motto ‚All Out for Palestine‘ für den nächsten Tag aufgerufen hatte. Bei dieser Veranstaltung am 8. Oktober, weniger als 24 Stunden nach dem Anschlag, kommentierte ein Redner die Ermordung von Hunderten junger Israelis, die das Nova-Festival besucht hatten, mit begeisterten Worten:

‚Der Widerstand kam in elektrifizierten Paraglidern und holte sich mindestens mehrere Dutzend Hipster.‘

Das sorgte für großes Gelächter. Es waren wahrscheinlich nicht viele DSA-Mitglieder im Publikum, und kein DSA-Mitglied sprach vom Podium aus, aber der Schaden war angerichtet – und nicht unverdient. Politisch wird man nach dem beurteilt, mit wem man sich umgibt.“ (Übersetzung CH)

Diese antisemitische Demonstration in New York City am 8. Oktober 2023 zeigte, wie diese Leute denken.

Mehr noch: lokale Chapter der DSA zeigten auch ganz explizit und nicht ’nur‘ durch Aufrufe auf Demos, die andere organisierten, wie antisemitisch sie ticken.

Die Gruppe der DSA in Seattle verbreitete eine Stellungnahme von wirklich ‚modernen‘ oder hippen eliminatorischen Antisemiten der BDS-Bewegung in den USA, die nach den Massakern vom 7. Oktober sofort dazu aufriefen, Israel ganz auszulöschen – damit sieben Millionen Juden zu ermorden, Israel aufzulösen (also die Juden in Israel zu massakrieren, nicht die 20 Prozent Araber):

Die DSA Seattle verbreitete ein ‚Toolkit‘ als Reaktion auf die Ereignisse vom 7. Oktober, das von einer Gruppe mit den Namen ‚National BDS & Palestine Solidarity Working Group‘ erstellt worden war und eine Liste mit Forderungen enthielt, von denen die ersten beiden lauteten:

Beendet ALLE US-Hilfe für Israel. Nicht nur Militärhilfe – jede Hilfe für Israel unterstützt die Kolonialisierung Palästinas und die anhaltende Gewalt gegen Palästinenser.
Entkolonialisierung – vom Fluss bis zum Meer. Nicht nur Gaza und das Westjordanland, wir wollen das gesamte Gebiet von 1948. (Übersetzung CH)

Ein Aufruf zu Völkermord. Eine Unterstützung der Hamas und der Massaker mit 1200 hingemetzelten Jüdinnen und Juden, Babies, Kinder, Frauen, Männer, Holocaustüberlebenden und vielen nicht-jüdischen Kibbutz-Freiwilligen oder Landarbeitern.

Die obige Reaktion der nationalen Zentrale der DSA, die in New York City sitzt, zum 7. Oktober war Anlass für die berühmte Comedian, Schauspielerin und Autorin Sarah Silverman, dies zu schreiben, was Maruice Isserman zitiert:

Die DSA, deren stolzes lebenslanges Mitglied ich war, hat mich für immer verloren… Bis jetzt wurden über 1000 Menschen abgeschlachtet. Mädchen wurden über den Leichen ihrer Freundinnen vergewaltigt. Das sind Kinder, Babys, Jugendliche, ältere Menschen, von denen viele wie meine Familie jeden Abend auf die Straße gehen, um gegen Netanjahu und die Besatzung zu protestieren. DAS SIND DIE MENSCHEN, DIE DIE HAMAS ERMORDET HAT, IHR ARSCHLÖCHER. Wisst ihr, dass Israel@sich rächen wird – versteht ihr, dass ihnen das Leben der Palästinenser scheißegal ist????? (Übersetzung CH)

Das DSA hat auch Maurice Isserman für alle Zeiten verloren. Wegen dem Antisemitismus der DSA. Und genau wegen diesem Antisemitismus ist das DSA so groß geworden in den letzten 10 Jahren. Isserman berichtet davon, dass 2017 auf dem nationalen Kongress der DSA antisemitische Sprüche wie “From the River to the Sea, Palestine Will Be Free” gerufen wurden. Der gleiche Spruch, der zum 7. Oktober führte und seither von der Antisemitischen Internationalen zu dem Schlachtruf des 21. Jahrhunderts überhaupt auserkoren wurde.

Und Millionen klatschen. Millionen, genau gesagt 1.036.051 wählen DSA-Mitglieder wie Zohran Mamdani, der sich im Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl in New York mehrfach weigerte, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. Ich hatte darüber im Juni 2025 berichtet.

Isserman nennt die Hamas eine „fanatische rechte religiös-fundamentalistische Gruppe“ und resümiert im Oktober 2023:

Warum verlasse ich also die DSA? Dafür gibt es viele Gründe. Aber letztendlich läuft es auf Sarah Silvermans Regel Nr. 1 für die Beurteilung der eigenen politischen Genossen hinaus. Eine Organisation, die es nicht schafft, eine rechtsextreme Terroristengruppe zu verurteilen, die sich zum Ziel gesetzt hat, so viele jüdische Zivilisten wie möglich zu ermorden, darunter auch Kinder und Säuglinge, hat das Recht verloren, sich als demokratisch-sozialistisch zu bezeichnen. Sie hat, wie Sarah sagt, ‚mich für immer verloren‘.

Zohran Mamdani ist bis heute Mitglied der Democratic Socialists of America. Und das sagt uns alles über sein Verhältnis zu Juden.

Von Pete Seeger (1951) zum Linkszionismus der DSA (1982 ff.)

Dabei waren die 1982 gegründeten Democratic Socialists of America (DSA) anfangs zionistisch, demokratisch und sozialistisch. Das lag an ihren Gründer*innen Barbara Ehrenreich und Michael Harrington. Ein Text von Dan Freedman im Moment Magazine vom 3. November 2025 klärt darüber auf:

Die allmähliche Verdrängung älterer DSA-Mitglieder hatte ihren Preis, da ein Großteil des historischen Gedächtnisses verloren ging. Zum Beispiel sangen Pete Seeger und die bald darauf auf die schwarze Liste [der antikommunistischen McCarthy-Ära, CH] gesetzten Weavers 1951 das temperamentvolle ‚Tzena, Tzena, Tzena‘, das Basssänger Lee Hays als ‚aus dem neuen Land Israel zu uns gekommen‘ beschrieb.

Während viele Vertreter der amerikanischen Linken in den 1960er Jahren Israel wegen der Notlage der Palästinenser verurteilten, erinnerten sich Harrington und die DSA-Mitglieder in den 1980er Jahren an ein Israel, in dem die Arbeiterbewegung stark war und das soziale Bewusstsein der Kibbuzniks weit verbreitet war.

Tzena, Tzena, Tzena – Hebräisch für „komm raus, komm raus“ – war der Folksong aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina von 1941, auf Hebräisch. Es geht um die Mädchen, die hinausgehen sollen auf die Felder und ins Land, um sich mit den coolen jüdischen Jungs und Soldaten zu treffen:

„Go out, go out, go out girls and see soldiers in the moshava; Do not, do not, do not hide yourself away from a virtuous man [a pun on the word for „soldier“], an army man.“

Der Song wurde von dem späteren Mentor von Bob Dylan, dem legendären Folk-Sänger und linken Aktivisten Pete Seeger (1919-2014) und seiner 1948 in New York City, Greenwich Village, gegründeten Band The Weavers 1951 auf der B-Seite ihrer Single-Platte „Goodnight, Irene“ gedruckt, die zwei Millionen Mal verkauft wurde. Das zeigt den Zionismus, den sozialistischen Zionismus von Pete Seeger.

Selbst das konservative Tablet Magazine und der Professor Ari Y. Kelman haben 2011 diesem Song und dem Linkszionismus und Sozialismus ein rauschenden Denkmal gesetzt:

‚Tzena Tzena‘ ist nicht nur wegen seiner Popularität wichtig, sondern auch wegen der Art und Weise, wie es überhaupt so populär wurde. Mit seiner romantischen Darstellung junger Frauen, die sich nach coolen und starken Soldaten sehnen, erfüllte das Lied die Erwartungen, die viele amerikanische Juden 1951 an Israel hatten. Doch dieses Bild brauchte einen in Harvard ausgebildeten amerikanischen Folksänger, um ein amerikanisches Publikum zu erreichen. Trotz der Herkunft des Songs bedurfte es Seegers ‚Hechsher‘ [rabbinisches Koscherzertifikat], um Israel für amerikanische Juden hörbar zu machen. (Übersetzung CH)

Friedman schreibt am 3. November 2025 und man denkt, das sind die zionistischen 1980er Jahre, eine gänzlich andere Zeit als jene der Mamdanis.

Und doch, es gibt diesen Kampf für den Zionismus hier und heute, den wir niemals verloren geben dürfen, auch nicht angesichts solcher herber Niederlagen wie in New York oder angesichts der Tatsache dass Netanyahu Israel beherrscht und an den Rand des Kollapses bringt – er möchte das demokratische und rechtsstaatliche Israel vollends zerstören, nachdem der Labour-Zionismus ohnehin seit Jahren am Boden liegt.

Doch dieser Text von Dan Freedman erweckt ihn wieder zum Leben:

Harrington würde die Unterstützung für Israel in den Zusammenschluss amerikanischer sozialistischer Gruppen einbringen, aus denen die DSA hervorging. Er begrüßte Israel als Verwirklichung des jüdischen Rechts auf Selbstbestimmung und schrieb, der Zionismus sei ‚die nationale Befreiungsbewegung eines jüdischen Volkes‘. Die Resolution 3379 der Vereinten Nationen von 1975, die den Zionismus mit Rassismus gleichsetzte, habe ‚dem Begriff Rassismus jede ernsthafte Bedeutung genommen‘, schrieb Harrington. Auf die Frage, welcher Religion er angehöre, bezeichnete sich der katholisch erzogene Harrington manchmal scherzhaft als ‚Arbeiterzionist‘. (Übersetzung CH)

Euphorisch schreibt hingegen auch das antizionistische Magazin Jacobin im September 2025 über die National Convention 2025 der DSA, die im August stattfand:

Eine weitere heiß umstrittene Abstimmung wurde mit 56 Prozent der Delegiertenstimmen zugunsten der Resolution 22: Für eine kämpferische antizionistische DSA, verfasst vom Springs of Revolution-Ausschuss, angenommen. Diese Resolution zielt darauf ab, die Unterstützung des BDS-Aufrufs zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel zu einem Lackmustest für die Unterstützung von DSA-Kandidaten zu machen und die Möglichkeit zu schaffen, DSA-Mitglieder auszuschließen, die sich ‚konsequent und öffentlich gegen BDS und die palästinensische Sache ausgesprochen haben‘. (Übersetzung CH)

Auch das hätte für jeden seriösen Politiker und Aktivisten bedeuten müssen, aus dieser antisemitisch-leninistischen Organisation auszusteigen. Doch Zohran Mamdani ist weiterhin eines der erfolgreichsten Pferde der DSA.

Exkurs: Der Sandwich-Mann aus Washington, D.C.

Der Wahlsieg des mit Antisemitismus kokettierenden und sich nicht vom Antisemitismus seiner Organisation Democratic Socialists of America (DSA) distanzierenden Zohran Mamdani als neuer Bürgermeister von New York City ist eine Katastrophe für Juden und den Westen.

Es wäre ein Leichtes gewesen für den 34-jährigen Newcomer, sich nach dem 7. Oktober von den antisemitischen Posts seiner Organisation, den Demokratischen Sozialisten Amerikas zu distanzieren. Er tat es nicht. Weil er selbst ein Feind des jüdischen Staates Israel ist.

Hierzu ein kleiner Exkurs, weil viele meinen, gerade Mamdani sei ein guter Fighter gegen Trump: Ein viel mutigerer und echter Held im Kampf gegen den Trump-Faschismus ist hingegen Sean Dunn.

Der damalige Angestellte im Justizministerium hatte am 10. August 2025 lautstark die an eine Militärdiktatur erinnernden Horden von Bundespolizisten in Washington, D.C, attackiert. Er nannte die Bullerei ‚Faschisten‘ und ‚eine Schande‘ und ließ nicht locker. Dunn war als US-Soldat und Flieger im Afghanistan-Krieg. Schließlich hat er gegen den durch eine Kampfuniform massiv geschützten Oberkörper eines dieser Bundespolizisten sein Salami-Sandwich geworfen.

Jetzt sprach eine Jury Dunn frei. Es ist eine große Blamage für die faschistischen Antidemokraten wie Donald Trump und sein Justizministerium, die auf ganzer Linie verloren haben. Im August hatte das Weiße Haus die unfassbar militaristische Festnahme Dunns in dessen Apartment gefilmt und online gestellt. Jetzt stellt sich heraus: Auch diese Festnahme war natürlich illegal. Und jetzt hat ein Gericht in den USA immerhin einen der berühmtesten Trump-Gegner freigesprochen:

Der österreichische Standard hält fest:

Dunns Anwalt hielt den Prozess für politisch motiviert. Die Verteidigung argumentierte, er habe mit dem weichen Salamisandwich der Kette Subway ohnehin niemanden verletzen können. Vielmehr sollten mit dem Gerichtsverfahren Menschen eingeschüchtert werden, die Trump kritisch sehen.

Bei Kundgebungen gegen Trump tragen Demonstranten seit dem Vorfall häufig Plakate oder Transparente, die den Sandwich-Wurf zeigen. Vor allem in der Hauptstadt Washington ist ‚Sandwich-Mann ein geflügeltes Wort.

Ich kenne Sean Dunns politische Positionen nicht, bis auf seinen Antifaschismus und seine Anti-Trump-Haltung. Ob er sich je zu Israel geäußert hat, weiß ich nicht. Aber zumindest ist ein zentraler Punkt für ihn die Kritik am Rassismus und der Anti-Einwanderungspolitik von Trump. Er ist ein Jurist und politisch mit dieser Aktion ein Anwalt für Menschenrechte, die unteilbar sind – und ein Anwalt gegen Polizeigewalt, Willkür und eben: Faschismus. In Zeiten, wo auf jeder Anti-Trump-Demo Palästinafahnen zu sehen sind, ist das Symbol des quasi Autonomen, der ein Sandwich auf einen Bullen wirft, ein geniales Zeichen für zivilen Widerstand. Und er wurde – es gibt ihn noch den Rechtsstaat in den USA – freigesprochen.

18-jährige jüdische Linkszionistin bekommt 10 Jahre Einreiseverbot nach Israel

Jetzt wurde der 18-jährigen amerikanische Zionistin und Friedensaktivistin Leila Stillman-Utterback, die Palästinenser*innen bei der Olivenernte beistand und sie vor den jüdischen Siedlern schützen wollte, mit einem 10-jährigen Einreiseverbot nach Israel belegt, weil sie kurzzeitig auf militärischem Sperrgelände sich aufgehalten habe.

Sie war mit der zionistischen Organisation Hashomer Hazair unterwegs, zudem mit Rabbinerinnen aus New York City. Frühere Teilnehmerinnen des Programms von Achvat Amim berichten von ihrem Zionismus und ihrem Engagement für Frieden mit den Palästinenser*innen.

Adorno für Israel – Springer-Konzern gegen Adorno

Für Mirna Funk ist die Kritische Theorie des Juden, Emigranten vor den Nazi-Deutschen und späteren Pro-Israelis Theodor W. Adorno ein Kern des Problems. Ihr Allheilmittel wie das aller Angepassten, Konservativen oder Liberalen, Antikommunistinnen und Bürgerlichen ist natürlich Karl Popper.

Sie schreibt am 6. November 2025 in der Welt:

Mamdani steht genau dafür. Für eine Welt, in der das Bessere nur entstehen kann, wenn das Bestehende abgeschafft wird. In der jüdische Souveränität als Störung erscheint. Und Geschichte als Hindernis. Die Philosophie kennt diese Struktur. Bei Ernst Bloch ist die Utopie ‚antizipierende Bewusstheit‘. Bei Adorno: das Nicht-Identische. Bei Badiou: das Ereignis. In allen Fällen: radikal, total, endgültig.
Karl Popper, 1902 in Wien geboren und vor den Nationalsozialisten nach Neuseeland geflohen, veröffentlichte 1945 sein Hauptwerk ‚Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‘. Darin warnte er vor der Verführung geschlossener Utopien.

Angesichts einer antijüdischen Grundstimmung in den USA gerade einen linken Juden, pro-israelischen Intellektuellen und federführenden Kämpfer gegen den Antisemitismus in all seinen Formen, inklusive dem erinnerungsabwehrenden sekundären Antisemitismus, mitverantwortlich zu machen, kann man nur kommen wenn man Donald Trump oder Mirna Funk heißt oder halt beim Springer-Konzern publiziert.

Geradezu geschichtsklitternd ist es, wenn Mirna Funk zwar erwähnt, dass Popper vor den Nazi-Deutschen floh, aber unerwähnt lässt, intentional, dass Adorno ebenfalls nur im Exil überleben konnte und sich im Gegensatz zu Popper vor 1945 mit dem Antisemitismus in der ach-so-freien Welt wie den USA und nach 1945 sehr intensiv mit dem Antisemitismus der Deutschen in der BRD befasst hat.

Am 28. Juli 1967 schrieb der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer eine fulminante und super scharfe Attacke auf seinen Kollegen der Gruppe 47 Peter Weiss. Weiss hatte in antizionistischer Manier Israel attackiert – wegen dem von dem einzigen Judenstaat gewonnen Sechstagekrieg. Dieser Text von Hildesheimer in der Wochenzeitung Die Zeit hat Theodor W. Adorno so gut gefallen, ja euphorisiert, dass er ihm aus seinem Urlaubsort schrieb, was ich in meiner Studie „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018 beschrieb:

1970 trat Hildesheimer dem von Michael Landmann initiierten „Sozialistischen Arbeitskreis für Israel“, der Israel auch kritisiert, aber nach außen, bei Angriffen auf den Staat, selbstverständlich das „Lebens- und Selbstbestimmungsrecht Israel“ verteidigt, bei.[1] Hildesheimer damals hört sich an wie heutiger Linkszionismus, mit dem Unterschied, dass es den heute in der BRD so gut wie nicht mehr gibt.

Wie die Forschung zeigt, gibt es nur sehr wenige klare pro-zionistische oder proisraelische Äußerungen von Adorno, primär seinen Geburtstagsgruß an Gershom Scholem vom 2. Dezember 1967 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).[2]

In den 1999 publizierten Briefen Wolfgang Hildesheimers findet sich folgender sensationelle Fund: Theodor W. Adorno schreibt am 1. August 1967 aus sein­em Urlaubsort Crans-Montana an Wolf­gang Hildesheimer auf einer Postkarte:

„Lieber Herr Hildesheimer,

mit heller Begeisterung habe ich Ihren offenen Brief an Peter Weiss in der ZEIT gelesen. Ich bin in der sehr seltenen Situation, mit jedem Wort mich iden­ti­fi­zier­en zu können. Überdies haben Sie mir einen großen Gefallen getan. Ich hatte die Absicht, in genau derselben Angelegenheit, und bis ins Detail mit der gleichen Argumentation einen offenen Brief an Abendroth zu richten, wegen dessen grauslichen Israel-Vortrag. Das brauch ich jetzt nicht zu tun. Man ist also doch nicht so alleine wie es scheint. Hoffentlich findet Ihr Brief weiteste Ver­breitung.

Tausend Dank und die schönsten Grüße, auch von meiner Frau

Ihr wahrhaft ergebener

Th. W. Adorno.“[3]

Hildesheimer antwortete Adorno mit einer Postkarte aus Poschiavo vom 15.08.1967 (Poststempel):

„Lieber, sehr verehrter Herr Professor Adorno,

herzlichen Dank für Ihre Karte. Ich bin sehr froh, daß Sie mit mir ein­ver­standen sind. In Wirklichkeit war der Artikel von Peter Weiss so furchtbar und so dumm, daß es unmöglich war, ganz darauf einzugehen. Oft packt einen das Entsetzen angesichts der eigenen Freunde.

Mit vielen herzlichen Grüßen bin ich

Ihr Wolfgang Hildesheimer.“[4]

Was für ein enthusiastischer Ton bei Adorno. Man merkt, wie unendlich wichtig ihm Israel ist. Das sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die bis heute meinen, Kritische Theorie habe zu Israel nichts zu sagen oder sei anti­is­ra­el­isch.[5] Das entschuldigt nicht wirklich, dass Adorno sich nicht selbst öffentlich gegen Peter Weiss, Wolfgang Abendroth und die anti­zion­ist­ische Stimmung, den krassen Wandel von Philosemitismus zu Anti­semi­tis­mus in der Neuen Linken wandte. Er hätte ja – und da gibt es Analogien zu heute – der einsamen linken Stimme für Israel öffentlich beistehen können. Aber die Postkarte zeigt, wie proisraelisch Adorno dachte und fühlte.

Da sich Adorno explizit hinter jedes Wort Hildesheimers stellt, beinhaltet das auch Hildesheimers keineswegs nur rhetorisches oder taktisches Zustimmen zu Weiss, der Dayan – wie zitiert – faschistisch nannte. Hildesheimer schloss sich dieser problematischen Charakterisierung Dayans durchaus an, wie auch Adorno, der jedes Wort in Hildesheimers Zeit-Artikel unterschreibt.

Doch Hildesheimer diffamiert und delegitimiert Israel überhaupt nicht, er kritisiert in sehr scharfem, unangemessenem Ton einen israelischen Politiker wie Moshe Dayan – der im Kampf gegen französische pro-deutsche Faschisten im Libanon im Zweiten Weltkrieg ein Auge verlor –, aber seine Position ist proisraelisch. Hildesheimer spricht bezüglich Israel auch nicht von der „Mentalität eines Herrenvolkes“, wie Weiss es tut. Das ist der entscheidende Unterschied.

Das verstehen heutzutage Viele gar nicht, die jede unerträgliche, den Rechtskurs in Israel zementierende Politik von Netanyahu („Bibi“) goutieren oder feiern. Viele in der Pro-Israel-Szene zeigen sich seit Jahren unfähig, Kritik an Israel zu üben, sie leugnen Massaker von 1967 oder 1948 oder heutigen Rassismus in Israel, den es wie in anderen Ländern auch gibt. Es gilt: Mit Hildesheimer und Adorno für eine differenzierte, aber kategorische Solidarität mit Israel.

[1] Stephan Braese (2016): Wolfgang Hildesheimer. Eine Biographie, Göttingen: Wallstein., S. 353 f.

[2] Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin: Edition Critic, S. 139 f.

[3] Wolfgang Hildesheimer (1999): Briefe. Herausgegeben von Silvia Hildesheimer und Dietmar Pleyer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 152.

[4] Hildesheimer 1999, S. 153.

[5] Diese Postkarte Adornos hatte ich vor vier Jahren noch nicht entdeckt, aber schon damals Adornos proisraelische Haltung hervorgehoben, Heni 2014.

Nur selten ist Kritik an Mamdani offenkundig gefeit vor typischen konservativen, anti-utopischen bis reaktionären Status-Quo-Anhängerinnen wie Mirna Funk, die gerade angesichts des Wahlsiegs Mamdanis Groteskes schreibt.

Mirna Funk setzt den Holocaustüberlebenden Adorno, der wie sein Freund Max Horkheimer nur durch Zufall seinen Mördern entkam, in eine Reihe mit dem antizionistischen Zohran Mamdani. Viel perfider geht es kaum.

Sie steht damit in der Springer- und Die Welt-Tradition eines Richard Herzinger, der ja kürzlich verstorben ist. Er hatte Adorno auch vorgehalten, sich angeblich nie öffentlich pro-israelisch geäußert zu haben (weil er ein Marxist war, weil er ein Linker war?), was der Geburtstagswunsch Adornos an Gershom Scholem vom 2. Dezember 1967 in der Neuen Zürcher Zeitung – einer gedruckten Zeitung aus der Schweiz – widerlegt.

Aber Funk wie Herzinger eint bzw. einte eine abgrundtiefe Abscheu vor dem Sozialismus, Kommunismus und dem ‚ganz Anderen‘, dem Nicht-Identischen wie Adorno es formuliert hat.

Mehr noch: gerade der Zionismus hat doch mit dem Bestehenden gebrochen. Linkszionist*innen aller Generationen, ja sogar Rechtszionist*innen der frühen Generation lachen schallend über die konservativ-affirmative Ideologie der Mirna Funks, die wiederum Adorno und Mamdani meint, wenn sie schreibt:

Utopien erzeugen Reinheitsfantasien: eine perfekte Gesellschaft, ohne Widerspruch, ohne Ambivalenz, ohne Geschichte. Deshalb verwandeln sich viele utopische Projekte, kaum dass sie Macht gewinnen, in autoritäre Regime. Der Weg zur Hölle ist nicht mit Lügen gepflastert, sondern mit Idealen.

Zionismus als Utopie – Wer sind die wirklichen „Hot Girls“?

Der Zionismus von Theodor Herzl ware eine Utopie. Der Zionismus war und ist bis heute ein Ideal. Eines, von dem Benjamin Netanyahu keinerlei Ahnung hat, da er über Leichen geht, seinen Korruptionsprozess verschleppt, weil er zu feige ist, für seine vermuteten kriminellen Aktivitäten ins Gefängnis zu gehen.

In jedem Fall ist der Zionismus ein Ideal. Der Zionismus als „Weg zur Hölle“? In diesem Text zeigt sich mal wieder komprimiert die ganze reaktionäre wie konservative Ideologie des Springer-Konzerns und der bürgerlichen Klasse in der Bundesrepublik. Wie zu Helmut Schelskys oder Martin Heideggers Zeiten fällt ihnen bei jedem Thema der Name Adorno ein, kommt ihr regelrechter Hass auf einen linken Juden und Überlebenden zum Ausdruck.

Der Zionismus war ein Bruch mit dem Europa von Herzl, das auf Antisemitismus und dem Ausschluss der Juden basierte. Der Zionismus war eine Utopie und ist es bis heute, da in Israel ja die herrschenden religiösen Zionisten weder religiös noch zionistisch sind, wie es der Publizist Daniel Goldman selbst in der mainstreamigen und eher konservativen Jerusalem Post im Oktober 2024 auf den Punkt brachte.

Der Zionismus war auch ein Bruch mit dem jüdischen Establishment um 1900 und später, das sich weigerte, die Ideale von Freiheit, Selbstbestimmung und Sozialismus, wie sie für den frühen Zionismus bis weit in die 1970er Jahre und darüber hinaus standen, zu erkennen und zu verteidigen, ja was ganz Anderes aufzubauen: einen eigenen Staat, einen jüdischen und demokratischen Staat Israel.

Jüdische Souveränität, die Palästinenser im eigenen Land als gleiche Bürger*innen bei einer gleichwohl dezidierten jüdischen Mehrheit (von 1948 bis heute ca. 75 Juden zu 20+ Prozent Arabern) sieht und sich für eine Zweistaatenlösung einsetzt, war das ganz Andere – Tausende Jahre waren Juden nur Objekte von Christen, Muslimen und allen anderen. Seit 1948 sind sie wieder Subjekte, mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen (inklusive dem Begehen von staatlichen Verbrechen).

Diesen einzigen Judenstaat möchten die Democratic Socialists of America zerstören. Sie sind also weder demokratisch, noch sozialistisch.

Denn ohne Demokratie und Sozialismus würde es Israel gar nicht geben.

Die Trump-Basis ähnelt strukturell jener von Mamdani: einfache Fragen, einfache Antworten und sehr viel Ressentiment gegen Minderheiten, bei Trump sind es die Migranten, bei Mamdani die Juden und Israel. Beide Lager sind sehr aggressiv, sehr erfolgreich, sehr populistisch. Beide Lager haben ihre Postergirls und -boys.

Früher wären Linkszionisten für kostenlosen ÖPNV, die Enteignung von Hauseigentümer*innen und für staatliche, günstige Supermärkte etc. pp auf die Straße gegangen.

Heute gehen die Israel- und somit Judenfeinde der Mamdani-Bewegung für solche Themen auf die Straße.

Rechtszionisten (m/w/d) hassen Adorno und Linkszionisten nicht weniger als Antizionisten Linkszionisten und Maurice Isserman oder Michael Harrington von den ursprünglichen Democratic Socialists of America (DSA) verabscheuen.

Zohran Mamdani: der lächelnde Antizionist

Zurück zum dauerlächelnden neu gewählten und ab 1. Januar 2026 neuen Bürgermeister von New York City, Zohran Mamdani. Die Wahlbeteiligung lag übrigens bei 39 Prozent, was zeigt, dass der größte Teil der Bevölkerung in New York Mamdani nicht gewählt hat, was aber vermutlich für viele solcher Lokalwahlen gelten mag. In Deutschland wie in Baden-Württemberg liegt die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen auch nur bei knapp 53 Prozent – was aber schon erheblich mehr ist als 39 Prozent.

Die taz und Jonathan Guggenberger nehmen sich Mamdani und sein Dauerlächeln vor. Guggenberger ist als Kritiker des Antisemitismus bekannt. Er besuchte am Wahlabend, Dienstag, den 4. November 2025, eine Wahlparty eines „Zohran“-Fanclubs in Brooklyn. Doch das erste was auffällt bei Mamdani ist sein penetrantes Lächeln, egal zu welcher Tageszeit und egal bei welchem Thema, die taz analysiert:

Auch das steckt also bei genauerem Hinsehen in Mamdanis Lächeln: eine leichte Unsicherheit, die signalisiert, man solle seine Aussagen, seine politischen Argumente und utopischen Vorschläge, nicht zu doll kritisieren. Schließlich gelte ja der Welpenschutz.

Der erste muslimische Bürgermeister New Yorks ist jedenfalls kein Freund des einzigen Judenstaates. Die taz schreibt:

Nur seine Spötter setzten ihn online lieber mit dem iranischen Rebellenführer Ajatollah Chomeini gleich, sprachen von einem ‚Mullah-Grinsen‘, und zogen Parallelen zwischen New York 2025 und Teheran 1979, kurz bevor die islamische Revolution aus der liberalen Stadt eine klerikal-faschistische No-go-Area machte.

Die taz resümiert das Phänomen Mamdani auf interessante Weise:

Mamdani ist kein Führer, und er ist kein Ideologe. Er ist eine Projektionsfläche.

Eine Eigenschaft, die auch erklärt, warum die Mamdani-Euphorie religiöse Züge angenommen hat. Die konnte man erleben, wenn man eine der vielen Zohran-Wahlpartys am Wahltag in New York besuchte. Zum Beispiel die der Kampagnen-Fundraiser ‚Hot Girls 4 Zohran‘ in Brooklyn. Circa 300 Fans waren deren Einladung in eine queere Stand-up-Comedy-Bar gefolgt. Viele der Partygäste hatten über Monate hinweg Straßenwahlkampf für ihr Politidol gemacht. (…)

Und folgte man dem Stimmungsbarometer der Publikumsreaktionen, schien es vor allem einen gemeinsamen Nenner zu geben, der die Mamdani-Bewegung im Inneren zusammenhält: der Hass auf Israel. Den meisten Applaus bekam an diesem Abend der Slogan: ‚Get AIPAC out of the city!‘ AIPAC ist die größte proisraelische Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat die zwar wenig zu tun, trotzdem bewog dieser Slogan hier mehr als das legendäre ‚Tax the rich!‘

Im Gegensatz zu diesen eingebildeten „Hot Girls 4 Zohran“, die Juden- und Israelhass als hippen Event zu verstehen scheinen, als Spiel oder Fun und eiskalten Israelhass, waren die jungen zionistischen Frauen der Tzena, Tzena, Tzena-Zeit der 1940er Jahre, die Orangenhaine anlegten, Olivenbäume pflanzten und politisch hellwach waren, wirklich heiß: zionistisch und sozialistisch.

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