Von Dr. phil. Clemens Heni, 26. Februar 2022

Der kollektive Wahnsinn, der Deutschland im März 2020 wegen einem für fast alle Menschen harmlosen Virus ergriffen hat, der wird seit wenigen Tagen ergänzt oder abgelöst durch einen noch brutaleren kollektiven Wahnsinn: Krieg und monokausale Schuldzuweisungen, Kontextlosigkeit und pure Hetze. Es herrscht Krieg in der Ukraine, Russland hat völkerrechtswidrig das Land angegriffen. Putin ist eine Gefahr, ja. Er hat aber mit Russland dem Westen und Amerika im Dezember einen Vorschlag zu einer neuen Sicherheitsarchitektur in Osteuropa unterbreitet, der vom Westen einfach abgelehnt wurde, ohne ihn seriös zu diskutieren. Die Öffentlichkeit kennt den Vertragsentwurf fast überhaupt nicht (er ist hier in dem Text verlinkt).

Vermutlich wäre der Krieg vermeidbar gewesen, wenn der Westen sein Wort von „not one inch“ würde die NATO sich ostwärts bewegen von Februar 1990 gehalten hätte. Doch weder Baker, noch Kohl und Genscher haben sich an ihre Zusagen gehalten, die naiverweise von Gorbatschow nicht in einem Vertrag fixiert wurden, aber in Protokollen, Ton- und Bilddokumenten ist diese Zusage dokumentiert.

Der Krieg muss sofort aufhören. Interessant ist nur, wie erpicht die Deutschen sind, ihre super tollen Waffen an die Ukraine zu liefern. Dass es ohne Waffen keine Kriege gäbe, darüber lachen diese Herrschaften nur. Krieg ist vor allem ein fantastisches Geschäft!

Jetzt spricht in Berlin der ukrainische Botschafter von einem „Vernichtungskrieg“, den Russland gegen die Ukraine führe. Und ntv bringt das Interview ohne jede Kritik und übernimmt natürlich in der Headline das Wort „Vernichtungskrieg“. Das ist eine unerträgliche Verharmlosung, eine sehr wohl antisemitisch motivierte Verharmlosung des Holocaust.

Das Gespräch geht ca. 3:42 Min. und ist unerträglich. Geschichtsrevisionismus im deutschen Fernsehen!

Denn wenn ein x-beliebiger Krieg – und das ist ein x-beliebiger Krieg, vergleichbar den Kriegen im Irak, Kurdistan oder in Syrien und Afghanistan zum Beispiel – zu einem nie dagewesenen „Vernichtungskrieg“ der Wehrmacht herbeifantasiert wird, dann verliert das Wort Vernichtung jeden Inhalt.

Die Deutschen haben im Zweiten Weltkrieg und dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht ab Juni 1941 sechs Millionen Juden ermordet, industriell in den Vernichtungslagern und in Massakern wie in Babi Yar unweit von Kiew.

Wer diesen ganz typischen Krieg, den jetzt Russland führt und der nicht im kleinsten Ansatz mit der Shoah und den Millionen ermordeten Zivilisten in der Sowjetunion zu vergleichen ist, als „Vernichtungskrieg“ bezeichnet, kann nur eine Absicht haben: Wenn dieser Krieg, der drei Tage alt ist und sehr wenige Opfer gefordert hat, ein „Vernichtungskrieg“ ist, dann war der tatsächliche Vernichtungskrieg der Deutschen von 1941 bis 1944 mit Dutzenden Millionen Toten und der Shoah, nichts besonders Schlimmes.

Also: ntv sollte mal Geschichte studieren und sich mit dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht befassen und dem ukrainischen Botschafter eine Lektion erteilen und ihn dieses Wort nicht unwidersprochen aussprechen lassen. Gerade Ukrainer haben eine Verpflichtung, sich mit dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht zu befassen, da sie Straßen und Plätze in der heutigen Ukraine nach Verbrechern benennen, die damals aktiv beim Vernichtungskrieg der Deutschen mitwirkten.

1,5 Millionen Juden aus der Ukraine wurden im Holocaust von den Deutschen und ihren Helfern ermordet. Das war der Vernichtungskrieg der Wehrmacht in der Ukraine. Es starben weitere Millionen Zivilisten und ca. vier Millionen ukrainische Soldaten, die in der Roten Armee gegen die Deutschen kämpften.

Wer heute von einem so typischen Krieg des 21. Jahrhunderts von einem nie dagewesenen Vernichtungskrieg spricht, zeigt nur seine historische Ahnungslosigkeit.

Ein deutscher Fernsehsender, der so etwas sendet, hat vermutlich den Skandal und den Tabubruch im Blick.

Holocaustverharmlosung und eine Trivialisierung des tatsächlichen Vernichtungskriegs der Wehrmacht sind offenbar in Mode.

In der Ukraine ist das Gedenken an die Shoah erst minimal entwickelt. Als ich 2010 in Babi Yar war, mit einer amerikanisch-israelisch-internationalen Reisegruppe, da war nicht nur ich schockiert, wie würdelos der Gedenkort Babi Yar aussah. Das lag sowohl am Ignorieren der jüdischen Opfer durch die Sowjetunion als auch durch die unabhängige Ukraine nach dem Ende der UdSSR 1991.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland sollte sich erstmal mit dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Ukraine und die Juden in der Ukraine von 1941 bis 1944 befassen, bevor er Worte verwendet, deren Sinn er überhaupt nicht versteht – oder aber er möchte ganz absichtlich Putin als Hitler darstellen, was an Holocaustverharmlosung schwer zu überbieten ist.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland und ntv sollten sich mit der positiven Erinnerung an die Pro-Nazis in der Ukraine befassen, die am Vernichtungskrieg der Wehrmacht beteiligt waren – und nach denen heute Straßen benannt werden.

Doch solche geschichtsrevisionistische Agitation wirkt: heute beschließt Deutschland, doch scharfe Waffen an die Ukraine zu liefern. Da jubeln die 93-jährigen Großväter und SS-Männer, die 1941 dabei waren.

Le Monde diplomatique schrieb 2007:

Nach einer kurzen Phase der Unabhängigkeit zerfiel die Ukraine nach dem Ersten Weltkrieg in mehrere Gebiete: In der Zentral- und Ostukraine setzte sich die sowjetische Herrschaft durch, 1922 wurde die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik offiziell Teil der neu gegründeten Sowjetunion; Galizien und Wolhynien gingen an Polen, die Bukowina fiel an Rumänien und die Karpato-Ukraine (Zakarpatja) an die Tschechoslowakei. Als Widerstandsorganisation gegen die polnische Herrschaft in Ostgalizien bildete sich 1920 die Ukrainische Verteidigungsorganisation (UVO), aus der 1929 die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) hervorging. Deren Gründer Jewhen Konowalez hatte schon 1922 Kontakt mit Adolf Hitler aufgenommen. Chefideologe der OUN war Dmytro Donzow. Sein konservativ-elitär geprägter „integraler Nationalismus“ betonte den „europäischen“ Charakter der Ukraine – im Unterschied zum „asiatischen“ Charakter Russlands.

Unterstützung fand die OUN beim NS-Ideologen Alfred Rosenberg und ab 1933 auch bei der „Abwehr“, dem deutschen Militärgeheimdienst. (…)

1940 kam es zu einer Spaltung der Bewegung. Der radikale Nationalist Stepan Bandera gründete die scharf antisemitische OUN-B („banderowzi“), aus deren Reihen sich die Freiwilligen schon 1940/41 für zwei ukrainische Wehrmachtsbataillone („Nachtigall“ und „Roland“) rekrutierten. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, am 22. Juni 1941, beteiligte sich Banderas OUN-B an zahlreichen Pogromen in der Ukraine. (…)

Die OUN-M („melnikowzi“) von Andrej Melnyk arbeitete mit der Verwaltung und Polizei der Besatzungsmacht zusammen und unterstützte 1943 die Aufstellung der SS-Division „Galizien“. Das Hakenkreuz auf dem blau-gelben Banner der Truppe wurde später durch die galizischen Symbole Dreizack und Löwe ersetzt.

Wer keine Ahnung von ukrainischer Geschichte, dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht und dem Holocaust hat, sollte als ukrainischer Botschafter, als ntv-Reporter oder Redakteur zurücktreten.