Papst Benedikt XVI verharmlost den Holocaust
Dr. Clemens Heni, Post-Doctoral Researcher, YALE University, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA)
Hat der erste und letzte deutsche Papst, der in der Hitlerjugend war, nun in Israel „brav und bravourös“ seine Pflicht erfüllt, wie der Tagesspiegel und das Internet-Portal Achse-des-Guten insinuieren? Was ist gemeint wenn gesagt wird, der „Tod“ sei keineswegs nur ein „Meister aus Deutschland“, vielmehr könne er „sich auch überall sonst auf unserer mörderischen Welt heimisch fühlen“? Wie steht das in Beziehung zum an Walser erinnernden Reden von einer „Bekenntniskultur“?
Was hat der Papst denn wirklich gesagt? Papst Benedikt XVI sagte in seiner kurzen Ansprache in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, welche er in gebrochenem und teils gemurmeltem Englisch sowie in recht monotoner Rede von sich gab, Folgendes:
1) Er stehe „in silence“ vor diesem Monument, welches in Gedenken 2) an die „Millionen“ ermordeter Juden erinnere. Die explizite Nichtnennung der Zahl „sechs Millionen“ ermordete Juden ist ein bekannter Topos in rechtsextremen Kreisen, da Antisemiten unter allen Umständen die Zahl „sechs Millionen“ vermeiden möchten. Für eine Person mit einem weltweit so ungeheuerlichen Einfluß wie der Papst ihn hat, wäre es von eminenter Bedeutung gewesen (an diesem Ort!) von sechs Millionen ermordeten Juden zu sprechen.
Diese Toten jedoch verlören 3) nie ihren Namen („never lose their names“). Wie im Vorfeld bekannt geworden war, würde der Papst die Ausstellung in der Gedenkstätte nicht besuchen müssen – das wäre zuviel für einen deutschen ex-HJler, rein psychologisch gesehen. DerMann ist 82 Jahre alt. Und zudem hätte er die Tafel zu einem seiner Vorgänger, Papst Pius XII gesehen, der ein Antisemit war und dessen Rolle im Holocaust immer noch nicht ganz abschließend analysiert werden kann, da noch Quellen nicht freigegeben worden sind vom Vatikan. Allein das ‚Schweigen‘ von Pius XII hat den Holocaust unterstützt.
Und schließlich hätte Benedikt XVI lernen können – dafür ist es ja nie zu spät – dass es purer Zynismus ist, wenn er davon redet, die toten Juden würden niemals ihren Namen verlieren. In Wirklichkeit sind die Namen von ca. der Hälfte der ermordeten Juden, also ungefähr drei Millionen Menschen, (noch) nicht bekannt und es ist sehr unwahrscheinlich dass alle Namen je heraus gefunden werden können. Diese unfassbar traurige Tatsache wischt der Pontifex einfach weg und redet 4) davon, dass „their names forever fixed in the memory of Almighty God“.
Dass er dann gerade an der Gedenkstätte für die ermordeten Juden davon redet, dass er als Katholik „Jesus“ verpflichtet sei mit dessen „love for all people“ ist als Augenzwinkern für alle christlichen Antisemiten zu sehen, welche die offensichtliche und absichtliche Weigerung von Juden Jesus als „Heiland“ anzunehmen, seit Jahrtausenden zum Anlass nehmen Judenhass zu schüren. Sofort springt der erste und oberste aller Vertreter dann zum Heute und warnt davor, dass auch heute „persecution“ drohe, sei es aufgrund von „race, color, condition of life or religion“. Diese Trivialisierung des Holocaust als geradezu läppische „Verfolgung“ (persecution heißt Verfolgung) ist natürlich nicht auf des Vatikans Mist gewachsen, vielmehr längst Mainstream der Rede von Sorge um Verfolgung und Genozid all überall. Der Tagesspiegel drückt es mit der oben zitieren Formulierung so aus: „Dabei weiß inzwischen jeder, dass der Tod nicht nur ein Meister aus Deutschland ist, sondern sich auch überall sonst auf unserer mörderischen Welt heimisch fühlen kann.“ Jedem seinen Holocaust, oder was ist damit gemeint? Es hat jedenfalls nichts mit der Realität zu tun, was Malte Lehming da formuliert. Die Shoah war aus vielen Gründen ein präzedenzloses Verbrechen. Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy hat das sehr komprimiert aber treffend so formuliert:
“And you could take the time, with those who wonder, sometimes in good faith, about the uniqueness of the Holocaust, you could take the time to explain that this uniqueness has nothing to do with body count but with a whole range of characteristics that, strange as it may seem, coincide nowhere else in all the crimes human memory recalls. The industrialization of death is one such: the gas chamber. The irrationality, the absolute madness of the project, is the second: the Turks had the feeling, well founded or not, and mostly, of course, unfounded, that they were killing, in the Armenians, a fifth column that was weakening them in their war against the Russians – there was no point in killing the Jews; none of the Nazis took the trouble to claim that there was any point to it at all; and such was the irrationality, I almost said gratuitousness, of the process that when, by chance, the need to exterminate coincided with another imperative that actually did have a point, when, in the last months of the war, when all the railways had been bombed by the Allies, the Nazis could choose between letting through a train full of fresh troops for the eastern front or a trainload of Jews bound to be transformed into Polish smoke in Auschwitz, it was the second train that had priority, since nothing was more absurd or more urgent, crazier or more vital, than killing the greatest number of Jews. And the third characteristic that, finally, makes the Holocaust unique: the project of killing the Jews down to the last one, to wipe out any trace of them on this earth where they had made the mistake of being born, to proceed to an extermination that left no survivors. A Cambodian could, theoretically at least, flee Cambodia; a Tutsi could flee Rwanda, and outside Rwanda, at least ideally, would be out of range of the machetes; the Armenians who managed to escape the forces of the Young Turk government were only rarely chased all the way to Paris, Budapest, Rome, or Warsaw (…)” (Bernard-Henri Lévy (2008): Left in Dark Times. A stand against the new barbarism. Translated by Benjamin Moser, New York: Random House, p. 159).
Das sollte als Anregung über die Präzedenzlosigkeit der deutschen Verbrechen nachzudenken Anlass genug sein. Der Tod war ein Meister aus Deutschland und nur aus Deutschland.
Sicher ist die Motivation von Lehming und manch anderen irgendwo durchschimmernd: viele, welche den Holocaust betrauern sind für heutige Gefahren, und namentlich der Gefahr eines zweiten Holocaust immun. Viele sehen nicht, dass der Iran mehrfach angekündigt hat, Israel zu zerstören. Viele sehen das sogar und finden das super. Dagegen möchte sich evtl. ein Lehming wehren. Gut. Nur fehlen ihm dazu die Mittel. Er sollte lernen, dass es erstens einer sehr spezifischen Erinnerung an den Holocaust bedarf. Viele Deutsche wollen ja überhaupt gar nichts mehr hören von den Verbrechen ihrer Großväter, Onkel, und Väter, und das Gerede von der „Pflicht zu gedenken“ oder dem „Gedenkritual“ ist absurd in einem Land, das der Spezifik des Antisemitismus und des Holocaust zu keinem Zeitpunkt gewahr wurde!
Es gilt zweitens zu lernen, dass der Kampf gegen den Islamfaschismus nur zu gewinnen ist, wenn der deutsche Nationalsozialismus weiterhin erforscht und erinnert wird.
Die Rede des deutschen Papstes Benedikt XVI am 11. Mai 2009 in Yad Vashem ist gerade – völlig konträr zu achgut/Tagesspiegel – kein Zeichen des Gedenkens. Es ist das Ritual des Vergessens. Der Pontifex hat nicht erwähnt, wer die Mörder waren – Deutsche. Er hat nicht erwähnt und bedauert, dass er selbst ein kleiner Nazi war als Hitlerjugend-Mitglied. Es war sehr erquicklich, als vor einigen Wochen die Historikerin Dr. Catherine Chatterley von der University of Winnipeg hier in YALE vorgetragen hat und ganz selbstverständlich meinte, es sei ja wohl ein Witz, dass ein „ex-Hitler Youth-member“ und stolzer Deutscher dieser Generation „Pope“ werden könne. WAS solle mensch von so einem erwarten?
Der selbsternannte Stellvertreter hat vor allem auch nicht erwähnt, dass der jahrtausendealte Judenhass und Antisemitismus des Christentums und damit auch und namentlich der Katholischen Kirche den Holocaust mit vorbereiten geholfen hat. Er hat nicht erwähnt, dass Papst Pius XII in die „Judenpolitik“ der Deutschen eingeweiht und involviert war. Er hat nicht erwähnt, wieso er die tridentische Messe, welche für das „Heil der Juden“ zu Ostern betet, wieder eingeführt hat. Und er hat natürlich nicht erwähnt und bedauert, die offenen Holocaustleugner der Piusbruderschaft rehabilitiert zu haben.
Warum all diese Lücken sowie das, was der Papst dann doch gesagt hat, für den Tagesspiegel und diejenigen, welche diese sicher gern gemeinte Meinung hören, eine „bravouröse“ Leistung war, bleibt ein Geheimnis oder Mysterium. Oder eben Zeichen einer politischen Kultur, welche im 60. Jahr der Bundesrepublik nichts – aber auch gar nichts! – von der deutschen Spezifik des Nationalsozialismus und der unvergleichlichen Verbrechen des Holocaust hören will.
Vom Iran und dem arabischen Antisemitismus zu reden ist sehr wichtig. Doch wer das wirklich ernst meint, kann vom nationalsozialistischen Antisemitismus nicht schweigen.
Was so schwierig ist, sowohl von den präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen zu reden und vom genozidalen Antisemitismus der heutigen Islamischen Welt – das ist rational schwer nachzuvollziehen.
Ein pro-deutscher Reduktionismus, der von den Verbrechen der Deutschen nicht wirklich noch was hören möchte und von der Spezifik der Shoah schon gleich gar nichts, ist äußerst problematisch.
Da nun der Holocaust, die Verbrechen der Deutschen und die Involviertheit der katholischen Kirche gleichermaßen erinnert werden müssen, ohne die heutigen Gefahren auch nur im Ansatz zu übersehen, haben Holocaustüberlebende, der Leiter des Direktoriums der Gedenkstätte Yad Vashem Avner Shalev, der „chairman“ of Yad Vashem, Rabbi Yisrael Meir Lau und Stephan Kramer vom Zentralrat der Juden in Deutschland die Rede des Papstes scharf kritisiert.
Doch in der Weigerung von den Deutschen als Tätern zu reden und Juden als spezifische Opfer von Antisemitismus zu benennen, ist Benedikt XVI durchaus angesagt. Ganz normale Deutsche wollen das auch nicht hören und sie wollten es noch nie hören. Auch jene, welche niemals in der HJ waren.
Es ist nicht überraschend, dass dieser Papst die katholische Kirche und die geliebten Deutschen exkulpiert. Skandalös ist es trotzdem. Und keineswegs „brav“.