Journalisten verlegen den Beginn des Zweiten Weltkriegs auf das Jahr 1935
Dr. Clemens Heni, Post-Doctoral Researcher, The Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA), Yale University
Die „Werkstatt der Kulturen“ in Berlin Neukölln muss nun eine Kurzfassung der Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ doch zeigen. Am 3. September 2009 ist die Eröffnung. Das gefällt der Geschäftsführerin jener Werkstatt Philippa Ebéné gar nicht. Sie möchte keine Erwähnung der aktiven Teilhabe der Araber und Muslime am Holocaust, namentlich die Erwähnung des Jerusalemer Großmufti Amin al-Husseini missfällt ihr. Er würde das Bild der schwarzen, muslimischen, arabischen, ozeanischen, lateinamerikanischen und weiterer nicht-europäischer „Opfer“ des Nationalsozialismus bzw. des „Zweiten Weltkriegs“ verwischen.
Linke jedoch wollen immerzu Opfer sein. Deshalb auch Einrichtungen wie die Werkstatt der Kulturen, Bundeskongresse entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), Demos aller Art (meist gegen Nazis, Yuppies, Krieg an und für sich, Amerika und Israel natürlich (Gaza!), Hartz 4, Banken, „das System“, Atomkraft (wenn sie nicht gerade aus Iran kommt), Reiche, Hausbesitzer etc.) und Gespräche auf „Soliparties“ etc. Ein guter Linker ist sozusagen ausgebildeter Viktimologe, ohne je studiert oder reflektiert haben zu müssen. Viktimologie ist ganz einfach: die Bösen sind die „Sieger“ der Geschichte und meistens Amerikaner (manchmal auch Deutsche), die „Guten“ sind Ureinwohner aus Guatemala, Wüstenbewohner aus Libyen, oder Nomaden aus der arabischen Halbinsel sowie natürlich Arbeitslose, Abgeordnete der Grünen im Deutschen Bundestag, junge Welt – Autoren, Oskar-Lafontaine-Herz-Jesu-Sozialisten und ähnliche vermeintliche, gefühlte, oder tatsächliche Minderheiten. Europa ist das Herzstück des „Imperialismus“, die USA sein Ableger bzw. Nachfolger. Wer die Spezifik des Holocaust auch nur versucht zu thematisieren, ist „eurozentrisch“, borniert, oder halt: ein „Sieger“. Wichtig ist dabei das Gefühl. Wer sich schlecht fühlt und „hinter dem Faschismus steht das Kapital“ auswendig vor sich hersagen kann, ist schon auf der richtigen Seite.
Wieso jedoch um Himmels Willen hat Frau Ebéné nun die Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ abgesagt? Anders gefragt: wie stark müssen antisemitische („israelkritische“) Ressentiments sein, dass ein sehr kleiner Teil einer großen Ausstellung zum Anlass genommen wird, das ganze Projekt zu zensieren?
Spontan jedenfalls dachten viele Beobachter dieser allzu post-modernen, vom Opfer-Sein nur so triefenden Zeit, dass die Ausstellungsmacher um Karl Rössel und ein „Rheinisches JournalistInnenbüro“ prima Arbeit geleistet haben und nur eine super dogmatische Multikultitante versaut den guten Zweck, endlich mal über die „Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ zu reden.
Klar roch die Zensur durch Frau Ebéné nach Publicity und selbstredend hat sich die Amadeu-Antonio-Stiftung (Anetta Kahane) sofort eingeschalten, der taz Auskunft erteilt, eine Pressekonferenz anberaumt und auch Stellungnahmen obskurer Gruppen, welche sich wie Kahane unumwunden hinter die Neuköllner Zensur stellten, wurden nun öffentlich.
Doch dann kam es sehr schnell ganz anders. Wer sich ein paar Minuten mit dieser Ausstellung befasst, sich die Homepage anschaut und das zugrunde liegende Buch von 2005 – Rheinisches JournalistInnenbüro: „Unsere Opfer zählen nichts“ – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, herausgegeben von Recherche International e.V., Berlin/Hamburg: Assoziation A, 2005 – entdeckt, stößt unwillkürlich auf einen Ausschnitt einer Rezension dieses Bandes durch Karl-Heinz Roth. Dabei lobt Roth das Projekt in den höchsten Tönen.
„Es bricht mit dem methodologischen Eurozentrismus und datiert den Beginn des zweiten Weltkriegs völlig zu Recht schon auf das Jahr 1935.“
Das lässt aufhorchen: sind hier wirklich linke Revisionisten am Werk, welche den Zweiten Weltkrieg grotesk vorverlegen, die Deutschen als ähnlich schlimm wie andere Kriegsparteien vorstellt etc.? Möchten hier tatsächlich linke Revisionisten den präzedenzlosen Mord an sechs Millionen Juden, der ohne den Zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre, einebnen und mit x-beliebigen anderen „Ereignissen“ historisieren? Oder ist das nur die Wunschfantasie des alten linken Ideologen Roth, der ja z. B. den Begriff „Nationalsozialismus“ nicht verwendet wissen will, weil darin die linke Heiligkeit „Sozialismus“ drin stecke und das infam, falsch und gemein sei? Dass die Deutschen nationale Sozialisten sein wollten und volksgemeinschaftlich zur Vernichtung der „Undeutschen“ schritten, blendet Roth natürlich aus. Er möchte nur vom Faschismus reden und auch 1945 nicht aufhören, das ist alles bekannt bzw. kann nachgelesen werden.
Am 1. September 2009 las ich diese Zeilen von Roth und habe mir sogleich das Buch näher angeschaut. Linke Revisionisten werden darin tatsächlich nicht enttäuscht.
Gleich im Vorwort schreibt Kum’a Ndumbe III. von der Universität Jaunde (Kamerun) von den „Kolonialherren“, welche ihre „Macht“ ausbauen wollten im Zweiten Weltkrieg (S. 11). Der Holocaust als unfassbarer Zivilisationsbruch dieses Krieges wird nicht einmal erwähnt. Dafür gegen Krieg immer und überall geredet: „Auch die Geschichte vom ‚sauberen Krieg‘ im 21. Jahrhundert erweist sich als große Propagandalüge. Soll es immer so weitergehen?“ (S. 12) Welchen Krieg meint Ndumbe III. wohl, wenn er das 2003 oder 2004 (erschienen 2005) schreibt? Wohl den Krieg der USA und ihrer Alliierten gegen den Iraq Saddam Husseins. Dieser Diktator mit seinen Massenmorden (u.a. an Kurden, mit Giftgas aus deutscher Fabrikation) ist Ndumbe III. kein Wort wert, aber der Hinweis auf die bösen „Kriege“.
In der Einleitung der Autoren fällt sofort der hinfällige Wortgebrauch auf: es ist die Rede vom „deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtswahn“. (S. 13) Damit wird die Spezifik des Nationalsozialismus geleugnet und herkömmlich das linke Weltbild des „Faschismus“ bedient. Analytisch ist das aussagelos und zumal der eliminatorische Antisemitismus Deutschlands taucht überhaupt nicht auf.
Der eigentliche Skandal dieses Buches und somit auch der darauf fußenden Ausstellung, welche nun gleich an zwei Orten in Berlin zu sehen ist (und reichlich finanzielle Unterstützung bekommen hat, den Logos der Unterstützter nach zu folgern), kommt gleich auf Seite 18:
„Dabei ist schon die zeitliche Begrenzung dieses Krieges auf die Jahre 1939 bis 1945 eurozentristisch. In Afrika begann der Zweite Weltkrieg 1935 mit dem Einmarsch der Italiener in Äthiopien. 1937 hatte Japan neben Korea bereits die Mandschurei besetzt und dehnte seinen Krieg gegen China nach Süden aus.“
Damit werden der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939, der Vernichtungskrieg der Wehrmacht und der Holocaust auf „softe“ Weise geleugnet. Eine besonders linke Variante der soft-core Holocaust-Leugnung liegt hier vor uns: der Holocaust wird erwähnt und auch der Mufti und seine Freundschaft zu den Deutschen (Himmler, Hitler etc.) kurz dargestellt (und allein das war der Neuköllner Fraktion der Viktimologen schon zuviel), aber im Kern geht es um eine Umschreibung des Krieges gegen die Deutschen und seine Verbündeten. Es wird gesagt, dass die USA, England und Frankreich jeweils als rabiate, brutale Kolonialmächte agierten und Menschen in deren Herrschaftsbereich zwangen am Weltkrieg teil zu nehmen. Den Beginn des Krieges auf das Jahr 1935 und die mörderische Aggression Italiens gegen Äthiopien zu verschieben, macht einen fast sprachlos. Wie kommen angeblich kritische Köpfe auf die abstruse Idee erstens das faschistische Italien und zweitens koloniale bzw. imperiale Politiken mit dem Zweiten Weltkrieg und den Deutschen in eins zu setzen? Wer hat je geleugnet, dass es Kolonialkriege gab, auch jenen des faschistischen Italien gegen Äthiopien 1935/36?
Jeder seriöse Historiker weiß jedoch ob der Besonderheit des Nationalsozialismus. Jeffrey Herf beispielsweise, bekannter Historiker an der University of Maryland, hat jüngst in seinem Buch „The Jewish Enemy“ gezeigt, wie umfassend der Antisemitismus der Deutschen im NS-Staat war. Auf Plakaten gegen die USA, die Sowjetunion, England und Frankreich ist immer „der Jude“ als Strippenzieher erkennbar. Die „jüdische Weltverschwörung“ ist basal für den auf Ausrottung aller Juden zielenden deutschen Vernichtungskrieg im Osten. Die Shoah ist ein Zivilisationsbruch. Rationale Motive wie sie in allen (!) Kolonial- oder Imperialkriegen (und Massakern) vorherrschten, sind gerade nicht kennzeichnend für die Vernichtung der europäischen Juden. Weder waren ökonomische Interessen, territoriale Ambitionen, oder weltpolitische Macht Ziel der Deutschen. Der Holocaust war die sinnlose Vernichtung der europäischen Juden.
All diese Erkenntnisse kritischer Forschung der letzten Jahrzehnte werden von Karl Rössel und seinem Team negiert, übergangen und auf geradezu avantgardistische Weise abgewehrt. Denn die Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ erwähnt unbekanntere Aspekte dieses Krieges, Rekrutierungen unter Zwang, sexuelle Ausbeutung, Elend und Kriegsereignisse, die weniger bekannt sind in der breiten Öffentlichkeit. Allerdings auch nicht so wichtig wie der Zweite Weltkrieg in Europa.
Denn der Kern des Krieges liegt in Europa. In Sobibor, Majdanek, Buchenwald, Bergen-Belsen, Auschwitz, oder Babi Jar. Es ist jedoch kein Zufall, dass antiimperialistisch motivierte Autoren nun auch von links fortfahren, die präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen im Holocaust zu verharmlosen. Dieser sekundäre Antisemitismus ergänzt jenen der Neuköllner Multikultitante, die noch nicht mal merkt, dass eine solche Ausstellung, welche auf infame, wissenschaftlich unhaltbare und zutiefst links-ideologische Weise den Zweiten Weltkrieg vordatiert und ein x-beliebiges Kriegsereignis als Beginn des fürchterlichsten Krieges der Menschheit herbei fantasiert, ihr doch in die Hände spielt.
Das macht die Sache noch schlimmer: der wichtige Hinweis auf den aktiven Antisemitismus des Mufti durch Rössel und Kollegen ist in Neukölln ungern gesehen. Dabei bedient die Ausstellung bzw. das ihr zugrunde liegende Buch doch nur zu gut die Bedürfnisse linker (oder wie immer sie sich nennen mögen) Viktimologen und Geschichtsverdreher.
Der sekundäre Antisemitismus hat wieder eine neue Spielart hinzu bekommen. Die Vordatierung des Zweiten Weltkriegs auf das Jahr 1935, welche Rössel gestern auch im Deutschlandfunk auf kritisches Nachfragen hin unterstrich, wird den Deutschen gefallen. Demnach haben die Deutschen gar nicht den Zweiten Weltkrieg am 1. September 1939 begonnen. Vielmehr Italien im Jahr 1935. Da lachen doch die Neonazis und andere Revisionisten. Die lachen so laut in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder der Sächsischen Schweiz, dass es noch am Rhein zu hören sein wird.
Wenn solche Geschichtslügen auch in Schulmaterialen unterkommen, wie es das Autorenteam stolz verkündet, wird das ganze gemeingefährlich.
Erkenntnistheoretisch wird deutlich, wie wenig sich die Autoren um Karl Rössel mit Antisemitismus befasst haben. Sonst würden sie ihn nicht mit Rassismus, Kolonialismus oder (italienischem) Faschismus kurzschließen.
Eine Dialektik der Aufklärung sieht völlig anders aus als das plumpe alt-linke Geschwätz vom „Eurozentrismus“, das doch nur den Tiersmondisme wieder beleben möchte und indiziert, dass nix, aber auch gar nichts gelernt wurde.