Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Autor: Clemens Heni Seite 67 von 70

„Hitler good – killed Jews“ – Kai Wiedenhöfers palästinensische Freunde und die Diffamierung der Juden als die Nazis von heute

Hitler good – killed Jews“ – Kai Wiedenhöfers palästinensische Freunde und die Diffamierung der Juden als die Nazis von heute, 18. April 2008, www.kritiknetz.de

Bonjour, hello und Guten Tag!

Sie sind bzw. ihr seid auf der Page von Clemens Heni gelandet. Herzlich willkommen.

Viel Spass und Inter-esse auf der Seite!

Zionismus, Israel und Naturschutz. Zum jüdischen Neujahrsfest der Bäume

Zuerst publiziert auf www.juedisch.at sowie auf SPME.org am 27.01.2008

Ein Schwerpunkt eines 2006 erschienenen Bandes über »Naturschutz und Demokratie« ist die Beziehung des Judentums zu Naturschutz. Mehrere kleinere Beiträge widmen sich diesem Sujet und vor allem ist im Anhang ein historisches Dokument über »Judentum und Naturschutz« aus dem Jahr 1932 erstmals wieder abgedruckt.

Die israelische Landschaftsarchitektin Tal Alon-Mozes geht auf naturschützerische Wurzeln vor der Staatsgründung Israels aus zionistischer Perspektive ein. Sie untersucht drei wichtige Topoi: Erstens den »Mythos von Palästina als Wüstenland«, zweitens den »Mythos, die Wüste zum Blühen zu bringen« und drittens jenen von der»Rückkehr zur Natur«.

Biblische als auch gegenwärtige Konzepte standen/stehen dabei in Konkurrenz. Insbesondere wurde Landwirtschaft gerade als Möglichkeit verstanden, Teil der Natur zu werden, ein moderner Gedanke. Als ein weiteres Beispiel führt sie die Idee Yehoshua Margolins (1877-1947) an, der dafür plädierte, Kindergärten innerhalb von Gärten einzurichten.

Margolin schrieb Bücher und Lehrpläne für Kindergärten bzw. Grundschulen für den Bereich “Naturstudien” und gründete das erste Hebräisch-Pädagogische Institut im Jahr 1932. Henning Eikenberg schließt daran an und berichtet von der Geschichte des Naturschutzes im Staat Israel. Es fällt auf, dass Naturschutz in Israel im Umweltministerium zu ca. 75% nicht vom Staatshaushalt, vielmehr aus Eintrittsgebühren und vor allem Spenden, nicht zuletzt der jüdischen Diaspora, finanziert wird.

Das korreliert mit der Genese des Naturschutzes, der sich bottom-up entwickelt hat und nicht vom Staat initiiert wurde. Wichtig ist z. B. die NGO Society for the Protection of Nature in Israel (SPNI), welche 35 Jahre vor Gründung eines eigenständigen Umweltministeriums (im Jahr 1988) gegründet wurde. Einer der Mitbegründer von SPNI war der Zionist Heinrich Mendelssohn (1910-2002). Er war u.a. in der Weimarer Republik Mitglied der zionistischen Studentenverbindung Kadimah und emigrierte 1933 nach Palästina.

Er war Zoologe und gründete die Tel Aviver Universität mit. Mendelssohn »gilt heute als einer der Gründungsväter des Naturschutzes in Israel«. Alois P. Hüttermann ergänzt dies mit einer kurzen Darstellung von Naturschutz im antiken Israel. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer 70 n. Chr. waren die Juden in wenig fruchtbare Gebiete vertrieben worden. Üblicherweise war es auf engem Raum naheliegend, Kleinvieh zu halten, Schafe, Ziegen etc. Den Rabbinern jedoch war das Kahlfressen der Erde mit der Folge der Desertifikation namentlich durch das Weiden der Ziegen bewusst, weshalb beschlossen wurde, Juden das Halten von Kleinvieh zu verbieten.

So ist es demnach geschehen und die Verwüstung hat nicht eingesetzt, was Hüttermann als mögliche Abwendung der Desertifikation heutiger Zeiten vorschlägt (Beispiele Mauretanien, Iran, China).

Siegfried Lichtenstaedter: »Naturschutz und Judentum« (1932)

Im Anhang des Bandes ist der 48seitige Text Naturschutz und Judentum von Dr. Siegfried Lichtenstaedter aus dem Jahr 1932 abgedruckt. Es ist ein sehr bedeutsames Dokument des deutschen Naturschutzes und handelt sich im wesentlichen um einen Vortrag, den der Autor »im Rahmen der Lehrkurse der jüdischen Gemeinde in München am 4. März 1931 hielt«.

Die Ausgrenzung der Juden im Naturschutz seit 1933, der Holocaust und das Fortwirken der antijüdischen Naturschützer nach 1945 haben dazu geführt, dass dieses Dokument bis heute einfach ignoriert wurde.

Es ist Gert Gröning, Professor an der Universität der Künste in Berlin (UdK), Fachgebiet »Gartenkultur und Freiraumentwicklung«, und einer der Begründer kritischer Forschung zur Geschichte des Naturschutzes und der Freiraumentwicklung im Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, zu verdanken, dass es jetzt dem bewussten, ignoranten oder Juden im Naturschutz derealisierenden Vergessen entrissen wird.

Siegfried Lichtenstaedter, Jahrgang 1865, war von 1898 bis 1932 Beamter und auch als Publizist tätig. Von seinem Erstlingswerk Kultur und Humanität 1897, bis in die Weimarer Republik, z. B. 1926 mit Antisemitica, publizierte er wohl wegen dem Antisemitismus, der im Kaiserreich nicht weniger verbreitet war wie in der Weimarer Republik, häufig unter seinem türkischen Pseudonym »Dr. Mehemed Emin Efendi«.

Lichtenstaedter setzt in Naturschutz und Judentum damit ein, dass der Naturschutz noch nicht alt sei und der Yellowstonenationalpark in Nordamerika von 1872 der erste große Naturschutzpark ist. Der antik-römischen Aversion den Alpen gegenüber – »foeditas Alpium« – stünde heutige Naturliebe entgegen. Die ungemeine Ausbreitung von Steinbrüchen oder die Ausrottung ganzer Tierarten, wie der erst 1741 entdeckten Steller’schen Seekuh (»Borkentier«), die schon 1768 ausgerottet wurde und die Bedrohung von Pflanzen sind dem Verfasser Anlaß zuerst die institutionelle Genese des Naturschutzes zu untersuchen. Neben verschiedenen Gründungen von Organisationen erwähnt er z. B. bayerische Bestimmungen gegen »verunstaltende Reklame« oder Naturschutzgesetze des Mittelalters.

Jedoch gelte bis heute: »Die theoretische Begründung ist ungenügend«. Problematisch ist ohne Zweifel diesbezüglich sein Bezug auf den schweizerischen Naturforscher Paul Sarasin, der sich für den Schutz »bedrohte[r] Menschenrassen« einsetzte. Ähnlich verhält es sich mit seiner Forderung nach einem »linguistischen Naturschutz«, denn es steht doch in Frage, warum Sprache, also menschliche Kultur, dem Naturschutz unterliegen solle. Sehr interessant wird es, sobald Lichtenstaedter auf die jüdischen Gesetze zu sprechen kommt.

Das erste, welches er erwähnt und analysiert, ist zugleich das wichtigste: das Sabbatjahr. Während in der christlichen Vorstellung der siebte Tag lediglich als Ausruhen und Besinnen “auf Gott” verstanden wird, zeigt er wie universeller, pragmatischer und sinnvoller das jüdische Gesetz des siebten Jahres sich anhört:

“So ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so feiere das Land eine Feier des Ewigen. 6 Jahre besäe dein Feld und 6 Jahre beschneide deinen Weinstock und sammele seinen Ertrag ein. Aber im 7. Jahre sei eine Sabbatfeier für das Land, eine Feier des Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinstock nicht beschneiden. Den Nachwuchs deiner Ernte sollst du nicht ernten und die Trauben deiner ungepflegten Weinstöcke sollst du nicht lesen; ein Feierjahr sei für das Land.’«

Lichtenstaedter kommentiert, dass es zu bezweifeln ist, »ob ein ähnliches Gesetz in irgend einer anderen Religion besteht oder bestand«. Er erwähnt, dass in den 1890er Jahren Geldsammlungen außerhalb Palästinas existierten, um jüdischen Siedlern das Sabbatjahr im Heiligen Land zu ermöglichen.

Es ist ein stolzes Judentum, das sich in Abgrenzung zu bloßem uneingeschränktem Wirtschaften nachvollziehbar so ausdrückt:

»Um wie viel höher steht unsere Thora als das Gewissen der sogenannten Kulturwelt!«

Er analysiert ein weiteres Gesetz aus dem Buch Mose, nachdem junge Vögel bzw. Eier, die mitsamt einem Nest herabgefallen sind, angeeignet werden können, die Vogelmutter jedoch solle frei gelassen werden. Darin handele es sich um einen Schutz der Gattung, denn die ausgewachsene Vogelmutter könne alsbald neue Eier legen, während die hinabgestürzten Jungen bzw. Eier ohnehin verloren seien:

»Wir haben es also hier mit nichts anderem als mit zoologischem Naturschutz zu tun – meines Wissens dem ersten derartigen Gesetze in der Religions- und Kulturgeschichte der Menschheit, soweit uns bekannt.«

Sodann geht er auf das Gesetz »Bal taschchith« ein, »Du sollst nichts ruinieren«, womit insbesondere militärische Belagerungen gemeint sind bzw. Eroberungen. Das nächste Gesetz, das »Vermischungsverbot« ist selbstredend abstrus, es bezeichnet u.a. das Verbot »Kleidung von verschiedenen Stoffgattungen (Wolle und Leinen)« zu tragen.

Auch Lichtenstaedter erscheint das unsinnig, wie die orthodoxe Position, nach welcher der im Jahr 1555 erlassene Codex »Schulchan Aruch« bis heute bestimmend sei. Weder so ein »Versteinerungsstandpunkt« noch ein den Naturschutz als unbedeutsam abwehrender »Verstümmelungsstandpunkt« der jüdischen Tradition gegenüber seien hilfreich.

Vielmehr gelte es ein »Zurück zur Thora« anzustreben, allerdings sieht Lichtenstaedter die Bedingungen für ein offensives Eintreten der engen Beziehung von Judentum und Naturschutz ganz realistisch – 1932 – in einem traurigen Licht:

»Dabei wollen wir durchaus nicht die Schwierigkeiten und Bedenken unterschätzen, die einer Führerrolle des Judentums naturgemäß entgegenstehen. Wie nun einmal die Verhältnisse sind, läge, wollten wir uns in den Vordergrund drängen, der Gedankengang sehr nahe: Wie? Das Judentum predigt den Naturschutz? Also gibt es nur eine Losung: Zerstören, was nur zerstört werden kann, verwüsten, was verwüstet werden kann, vernichten, was vernichtet werden kann!

Hier heißt es also, gewisse Zurückhaltung zu üben, mehr an engere, sittlich höhere Kreise als an die breitere Volksmasse, namentlich zu Zeiten, in denen sie der Verhetzung und Verblödung zugänglich ist, sich zu wenden. Aber das Wichtigste ist für uns überhaupt, dass wir selbst im Geiste unserer Religion handeln.«

Lichtenstaedter schließt seinen Vortrag, indem er sich ganz deutlich gegen die schon zu Weimarer Zeiten allzu laut hörbaren völkischen “Natur- und Heimatschützer” wendet und sagt:

»Mit absoluter Sicherheit darf man behaupten: Der weitverbreitete “moderne”, “patriotische” oder “völkische” Gedanke: “Nur das eigene Volk oder die eigene (anthropologische oder imaginäre, fingierte) Rasse ist wertvoll und daher absolut existenzberechtigt- steht in unversöhnlichem Widerspruche mit der jüdischen Sittenlehre.«

Die nicht-jüdischen, deutschen Naturschützer gingen wie fast alle ganz normalen Deutschen ab 1933 einen anderen Weg. Nicht nur im Naturschutz “fruchtete” die jahrelange Hetze gegen Juden, “Undeutsches” und Judentum.

»Am 25.6.1942 wurde Lichtenstaedter mit dem Transport II/9 von München nach Theresienstadt deportiert. Von den 50 Personen aus denen dieser Transport bestand, wurden 46 umgebracht, vier wurden befreit. Lichtenstaedter selber wurde am 6.12.1942 in Theresienstadt ermordet.«

Gert Gröning/Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006): Naturschutz und Demokratie !? Dokumentation der Beiträge zur Veranstaltung der Stiftung Naturschutzgeschichte und des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin, München: Martin Meidenbauer.

 

„Heil Hitler und Alaaf“

Der Tagesspiegel, 25.01.2008

Karneval und Antisemitismus haben eine lange Tradition – Erinnerung an die Schoah und Erinnerungsabwehr stehen in einem engen Verhältnis.

Am Sonntag, den 27. Januar 2008 findet in München der diesjährige Karnevalsumzug statt. Somit am internationalen Gedenktag zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. Erinnerung an die Schoah und Erinnerungsabwehr stehen in einem engen Verhältnis.

Dabei spielte Judenhass, auch der später codierte, im Karneval eine wichtige Rolle, nicht nur in der NS-Zeit. 1935 gab es bei der Fastnacht in Kaiserslautern antijüdische Masken. Dabei wurden im Sinne der Rassenideologie herbeifantasierte physiognomische Kennzeichen von Juden zur Belustigung verwendet. Ein Jahr später hieß ein Umzugswagen beim Fastnachtsumzug in Marburg „Auf nach Palästina“, mit als Juden verkleideten Narren auf dem Wagen. Nicht nur in Köln hieß es seit 1933 „Heil Hitler und Alaaf“.

Nach 1945 wurde der präzedenzlose Mord, der Holocaust, verdrängt, abgewehrt oder auf andere Weise derealisiert, entwirklicht. Insofern steht der Münchner Karnevalsumzug 2008 in einer bestimmten Tradition, wie bewusst, unbewusst, ignorant achselzuckend oder verschmitzt kichernd auch immer. Mehr noch: Karneval und Erinnerungsabwehr haben eine lange Tradition. 1949 ging es los.

Von 1940 bis 1948 gab es keinen Karneval in Köln, der Karnevalshauptstadt in Deutschland. 1949 war dort das Motto der „erweiterten Kappenfahrt“, was noch keinen Rosenmontagszug darstellte: „Meer sin widder do un dun war meer künne“. Der Schriftsteller Dieter Wellershoff, selbst Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg, hat 1979 in einem von Jürgen Habermas herausgegebenen Band über „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“ festgehalten:

„In einem Karnevalslied meiner Studentenjahre sangen wir noch ›Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien‹, was heißen sollte: ein kolonisiertes Völkchen, das in heiterer Verantwortungslosigkeit dahinlebt. Dann wurden wir Bundesbürger, und das bedeutete eine zunächst äußerliche, dann aber doch tiefgreifende Verwandlung.“ Der hemdsärmelige Foxtrott „Trizonesien“ war einer der größten Schlagererfolge der Nachkriegszeit. Um was ging es? Ein Kölner Sänger und Karnevalist, der schon zu NS-Zeiten fröhliche Unterhaltung gemacht hatte, Karl Berbuer, dichtete und vertonte den Song:

Vers 1

„Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten (…)

Vers 3

Doch fremder Mann, damit du’s weißt, ein Trizonesier hat Humor, er hat Kultur, er hat auch Geist, darin macht keiner ihm was vor. Selbst Goethe stammt aus Trizonesien, Beethovens Wiege ist bekannt. Nein, sowas gibt’s nicht in Chinesien, darum sind wir auch stolz auf unser Land.

Refrain: Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimela-tschimmela-bumm!

Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien, Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela- tschimmela-bumm!

Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser. Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien, Hei-di-tschimmela- tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!“

Dieser Song wurde 1948/49 mitunter als Nationalhymne gespielt, etwa bei Sportveranstaltungen, und war der Hit des Karneval 1949 in Köln. Der Songtexter Berbuer war hier eine bekannte Person, ihm wurde vor einigen Jahren ein Denkmal aus Bronze gewidmet.

Der Musikwissenschaftler Fred Ritzel hat in der Zeitschrift Popular Music den Song seziert und stellt die Frage, ob es zu gewagt sei, in der „obskuren Fremdheit“ „Chinesiens“ eine Referenz auf die Juden sehen zu wollen. In der Tat: Der Antisemitismus scheint im Reden von „Chinesien“, das im Gegensatz zu „Trizonesien“ keine „Kultur“ und keinen „Geist“ kenne, unschwer wider.

In dem Trizonesien-Song, der natürlich auf die drei großen Besatzungszonen damals anspielt, wird auch lamentiert, dass „Diplomaten“ einfach Staaten änderten und „Zonen“ schufen. Die Deutschen nicht als konkrete Täter, von denen noch Hunderttausende munter lebten, 1949, vielmehr als Opfer und Gegängelte solcher Diplomaten zu sehen, ist zentral.

So dichteten sich die Deutschen wenige Jahre nach dem Ende des NS-Staates ein Karnevalslied, welches nichts als Schuldprojektion, Schuldabwehr und aufgewärmten Nationalstolz verkündet. Auf den Straßen Kölns tanzten die Narren wie imaginierte „Eingeborene“ zu diesem Song, dazu hatten sie sich die Haut schwarz bemalt. Sie wollten sich selbst „exotisieren“, zumal gegenüber den Besatzungsmächten, um den imaginierten Opferstatus der „ganz normalen Deutschen“ zu untermalen. Die Alliierten haben demnach keine Befreiung vom Nationalsozialismus gebracht, vielmehr die armen Deutschen „kolonisiert“.

Diese Selbsteinschätzung ist bezeichnend. Das abstoßende Wort von den Deutschen, die keine „Menschenfresser“ seien, dafür umso besser „küssten“, kann nicht anders denn psychoanalytisch interpretiert werden: Die Schuld an der Vernichtung der Juden wird derealisiert, um sich nicht nur als Mörder reinzuwaschen, sondern auch um gleich wieder Gutes, spezifisch Deutsches hervorzuheben: Goethe, Beethoven und das Küssen.

Die Deutschen tun also was sie können, um Auschwitz zu vergessen, zu banalisieren, zu überlagern. Sei es mit Karnevalsumzügen am 27. Januar 2008, dem Auschwitzgedenktag, oder mit schuldabwehrenden Songs wie dem Trizonesien-Schlager von 1949. Wie hieß es in Köln als Motto, damals, passend dazu: „Meer sin widder do un dun war meer künne“. Na dann.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Publizist aus Berlin.

 

Braun schlägt grün – oder umgekehrt?

Hagalil.com, 20.01.2008

Die Debatte über Jugendkriminalität ist eskaliert. In einem etwas selbstironischen Beitrag hatte der Chef des Feuilletons der Wochenzeitung Die Zeit, Jens Jessen, die deutschen, spießigen Rentner kritisiert, ohne gleichwohl die brutale Aktion jener zwei Jungmänner in München zu verteidigen. Aber die jahrelangen Schikanen, der rassistische Alltag, der ja unbestritten in ganz Deutschland in unterschiedlicher Ausprägung gewaltig herrscht, wurden von Jessen angegriffen…

Doch ganz so einfach ist es auch nicht. Denn Judenhass oder Ablehnung der Moderne durch Muslime, auch jugendliche, ist in Deutschland zunehmend eine Gefahr. Islamischer Antisemitismus jedoch wird von so genannten ›Gutmenschen‹ gern übersehen, klein geredet oder gar als Antizionismus und Hass auf Israel bejaht, wie von vielen Linken, Nazis und der bürgerlichen Mitte gleichermaßen. ›Jude‹ wiederum ist zu einem Schimpfwort auf Schulhöfen oder öffentlichen Plätzen geworden. Doch um all das geht es hier und heute kaum, so wichtig eine seriöse und radikal kritische Debatte dazu wäre. Nur am Rande: die beiden Täter aus München, welche einen 76jährigen deutschen Rentner zusammen schlugen, nachdem dieser sie in Altherrenoberlehrermanier zurecht weisen wollte ob des Rauchens in der U-Bahn, sind türkisch-deutsch bzw. griechisch-deutsch. Alkohol spielte eine Rolle und der Islam wohl in diesem Fall kaum eine, bei dem Deutsch-Griechen überhaupt keine.

Vielmehr geht es um einen Tabubruch, mal wieder. Es geht um die ›nationale Identität‹ Deutschlands, um nichts anderes. Und um die Erinnerung an die Shoah, welche hier verhandelt wird, auf Umwegen. Die SS oder die Wehrmacht, welche die Vernichtung der europäischen Juden organisierten und durchführten, werden mit muslimischen Jugendlichen, Deutschen mithin, in direkte Beziehung gesetzt. Letztere würden das Erbe ersterer antreten. Wörtlich schrieb Schirrmacher:

»Zur Klarheit, die vom Staat gefordert ist, gehört auch, dass man ausspricht, dass die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus potentiell das ist, was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt.«

Es ist dieser letzte Satz aus einem Text des FAZlers Frank Schirrmacher, der die Sache klar macht. Da ist von den »tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts« die Rede. Schon das natürlich eine totalitarismustheoretische Reinwaschung Deutschlands, ganz implizit in jeder Pore jedes Wortes. Im Plural steckt die Abwehr der deutschen Schuld, ja der Export dieser Schuld, am liebsten natürlich auf die UdSSR. Heute nun sei eine »Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus« die Erbin jener »tödlichen Ideologien«. Ein Tabubruch von Schirrmacher, der einzelne Gewalttäter auf eine Ebene stellt mit den Verbrechen der SS oder der Wehrmacht. Man muss das sehr ernst nehmen, da nicht nur die größte Tageszeitung Europas diese Agitation auf neue Tiefen getrieben hat, vielmehr auch im Internet weblogs, auch solche, die sich kritisch dünken und meinen, sie seien liberal wie die ›Achse des Guten‹, mitschwimmen.

Der Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner hat am 16. Januar 2007 folgendes zu der Sache geschrieben: » Liebes RTL-Dschungel-Camp, mit Jens Jessen hätten Sie einen Kandidaten, vor dem Kakerlaken, Mehlwürmer, Spinnen und alles Glitschige auf dieser Welt Angst hätten. Was für ein Quotenhit! Herzlichst Ihr F. J. Wagner«. Andere deutsche Rentner bezeichneten den Zeit-Feuilleton-Chef als »Brandstifter« oder als einen, der mit seinem videoblog »Verbrechen gegen das deutsche Volk« begangen habe.

Bei solcher Wortwahl wie jener Wagners wundert es nicht, dass in Berlin seit Jahren darüber gestritten wird, ob die Treitschke-Straße nun umbenannt werden könne oder nicht. Schließlich ginge es um deutsches Kulturgut, und was wäre dieses ohne Antisemitismus und Straßen, Plätze und allerhand andere Örtlichkeiten, welche nach deutschen Antisemiten benannt sind, von Fontane über Richard Wagner hin zu Treitschke, von Stauffenberg nicht zu schweigen?

Also doch dieses »Multikulti-Kuscheln«? Nein. Aber die Blicke deutscher Rentner sind was vom Schlimmsten, in der Tat. Kein Grund, sie deshalb halbtot zu schlagen, gewiss. Aber das möchte ja auch niemand wirklich. Es geht um Jugendliche, Islam und die größte Gefahr im 21. Jahrhundert. Die geht wie schon im 20. vom Faschismus aus, genauer, damals vom Nationalsozialismus, heute vom grünen Faschismus des Islam. Und genau dagegen sind die Schirrmachers, Wagners und die deutschen Rentner überhaupt nicht in erster Linie. Ihnen geht es um Deutschland als deutsches Land. Sie benutzen die vorgebliche Kritik am Islam dazu – wie schon Karl Heinz Bohrer vor ein paar Monaten im Merkur – völkische Homogenität zu propagieren, Reinheit und Einheit, ohne ›Kanaken‹, und Stolz auf Männlichkeit mit ›Ehre‹, Fahne und Schmiss.

Kein Roland Koch und keine FAZ oder Bild regten sich über Hetzjagden auf einen Schwarzen in Berlin-Spandau oder über erwachsene Straßendeutsche, die ihre Hunde auf jüdische Jugendliche hetzten, auf. In Berlin wurde eine afghanische Familie von Nazis angegriffen und konnte sich gerade noch so retten. Wohnen muss sie auch nach Silvester in der gleichen Gegend, wo die deutschen ›Kameraden‹ ihre braune Hetze und Gewalt tagtäglich ausleben. Doch das ist alles gar nicht der Kern der Debatte. Der liegt wo anders. Schirrmacher gibt ja vor, gegen den »islamischen Fundamentalismus« zu sein und ihn als »größte Gefahr« zu erkennen. Würde er das wirklich, würde er primär die deutsche Bundesregierung und die deutsche Industrie mit ihren Geschäften, Bürgschaften und diplomatischen Beziehungen zu und mit dem Iran angreifen, kritisieren und geißeln. Dass das eine Zeitung für Deutschland selbstredend nicht tut, ist klar. Das Groteske und tatsächlich Volksverhetzende an Schirrmacher ist folgendes: er sagt, dass gerade »Jugendliche« und »islamischer Fundamentalismus« »potentiell« den »tödlichen Ideologien« des 20. Jahrhunderts am nächsten kämen. Diese beiden Münchner Jugendlichen und einige andere in einer Reihe mit der SA, der SS, der Gestapo und der Wehrmacht. Das ist volksverhetzend.

Nun, mehr noch: die tagtäglichen Raketenangriffe auf Israel von der Hamas sind nicht potentiell, vielmehr real. Die Selbstmordattentäter im Irak sind ebenfalls Realität und die Friedenshetze der Deutschen hat sie seit 2003 tagtäglich in ihrem tun bestärkt. Die FAZ malt nun vergleichsweise wenige und harmlose Jugendliche, die in ihrer kriminellen Energie nicht klein geredet werden dürfen, aber eben primär kriminell sind und nicht ›ausländisch‹ oder was immer, als den Schrecken unserer Zeit an die Wand, genau: »ausländische Jugendliche«, welche DEUTSCHE Rentner schlagen. Das passt zu dem ›Witz‹ aus alten Zeiten: »jüdischer Hausierer beißt deutschen Schäferhund«… Es geht überhaupt nicht darum, wie viele Linke es natürlich gerne hätten, die ›Muslime als die Juden von heute‹ in Schutz zu nehmen. Oh nein.

Die Juden von heute sind Juden. Bedroht vom Antisemitismus/Antizionismus. Zuerst in Israel, das existentiell bedroht ist und kein Mensch in Deutschland schert das sonderlich, ja es wird gefeixt wie lange es der Judenstaat noch macht. Dass jedoch ein Schirrmacher nicht etwa die Hamas, den Iran, die Hezbollah oder Syrien, al Quaida und andere Islamisten als große Gefahr erkennt, vielmehr deutsche Jugendliche, denn das sind sie ja, das ist so beachtlich wie leicht dechiffrierbar. Sie wollen wieder stolz sein, die Deutschen. Und Opfer. Ob als Rentner, Untergegangene oder Freunde von Scientologen-Spinnern, welche deutschen Nationalisten, welchen Hitler »zu liberal« war (und unadlig), ein cineastisches Denkmal setzen werden, egal.

Das Problem mit islamischen deutschen Jugendlichen und Erwachsenen ist viel zu krass und heftig und sehr wohl existent, als es ganz normalen Deutschen zu überlassen, die vom »Erziehungslager« träumen, und den grünen am liebsten mit dem braunen Faschismus besiegen wollen. Schirrmacher diminuiert die SS zu einem Haufen Rabauken. Solche Verharmlosung des Präzedenzlosen ist antisemitisch. Sein Männerfreund Wagner hetzt in alter Treitschke-Manier gegen Kollegen, welche mit ›Kakerlaken‹ verglichen werden. Auch das ist antisemitisch.

 

Eine deutsche Liebe: Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung (mit Peter Bierl)

Eine deutsche Liebe: Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung (mit Peter Bierl), Konkret, 1/2008

„Giftmischer von Bush bis Bin Laden“. Die Muslime sind die Juden von heute, sagt der Scheibenwischer Hagen Rether in der ARD

Original auf Wadi.net am 3. Januar 2008

Er meint es doch wirklich gut. Rassismus greife um sich, die Muslime in der Defensive. „Wehret den Anfängen“ meint er. Also ein richtig guter Mensch, der Hagen Rether, Nachwuchshoffnung der deutschen Kabarettszene. Er vergleicht die Demokratie mit dem Jihadismus und dessen Massenmörder Bin Laden und suggeriert dass die Muslime die Juden von heute und morgen seien. Jüdische Kritiker wie Ralf Giordano oder Henryk M. Broder hingegen seien Protagonisten einer bösen Kampagne gegen den Islam und die Muslime in Deutschland. Selbst der Papst sei mittlerweile gegen Mohammed. Und vor allem die Presse. Da muss dagegen gesteuert werden. Rether möchte weiterhin, wie er selbst sagt, Multikulti-Kuscheln. Ideologiekritik – und Religionskritik, welche immer der Beginn hiervon ist – sind hingegen pfui, solange sie nicht Christen oder Juden meinen.

In einem Jahresrückblick der meist gesehenen politischen Kabarett-Sendung – dem legendären Scheibenwischer in der ARD – am 29.12.2007, zeigte Rether eindrücklich, was er meint. Mehrere Cover von Spiegel und Stern mit jeweils schwarzem Hintergrund zeigen für ihn demnach wie arg die Muslime in Deutschland in Bedrängnis stehen. Dass schwarz z. B. der Schleier im Iran ist oder die BlackBox in Mekka, um welche erst kürzlich wieder Millionen Gläubige wie magnetisch angezogen im Viereck liefen, was das wohl für die Farbe schwarz bedeuten mag? Die Muslime seien die „neuen Sündenböcke“. „Neu“? Wer waren die alten? Dass zwar nicht alle Muslime Terroristen sind, gleichwohl so gut wie alle Terroristen derzeit Muslime – um den Herausgeber einer arabischen Zeitung zu zitieren -, hat sich bei der ARD noch nicht herumgesprochen.

Vielmehr sekundiert Rether den Ex-Tagesthemen-Frontmann Ulrich Wickert und posaunt heraus, dass doch Bush wie Bin Laden „Giftmischer“ seien. Wow! Wer denkt das denn nicht in Deutschland und Europa oder von Tony Judt über Noam Chomsky, Arundhati Roy, Claudia Roth und Norman Finkelstein bis Moshe Zuckermann? Die USA seien seit 9/11 „komplett paranoid“, die Deutschen schon vor einem Anschlag, wie die ARD-Nachwuchskabarett-Hoffnung meint. Die Pulverisierung von 3000 Menschen im World Trade Center macht so einem ganz normalen deutschen Dhimmi offenbar gar nichts aus. Schrecken vor weiteren Massenmorden wie jenen von 9/11 oder gar die unaussprechliche Angst vor der angekündigten Zerstörung Israels durch eine schwarze, islamisch-antijüdisch motivierte Bombe aus Teheran, irritieren den Gutmenschen Rether offenbar gar nicht.

Schon in früheren Beiträgen hatte Rether seine urdeutschen Ressentiments gegen Amerika im allgemeinen und George W. Bush im speziellen gezeigt, die Jihadisten nimmt er in Schutz, wenn er sagt, die Terroranschläge am 11. März 2002 in Madrid hätten in München stattgefunden, wenn Angela Merkel damals schon Kanzlerin gewesen wäre. Was für ein deutscher Schenkelklopfer. Rether greift nun am 29.12.2007 im Scheibenwischer namentlich Ralf Giordano, Günter Wallraff und insbesondere Henryk M. Broder an, welche alle drei in einer lange geplanten, gleichsam verschwörerischen Aktion den Islam kritisierten und böse Hetze betrieben.

Zumal Broder möchte Rether Tipps geben und macht sich über dessen Bestseller „Hurra wir kapitulieren“ lustig – demnach habe Broder „vor seiner türkischen Putzfrau kapituliert“. Ein lustiger Witz. Dass gerade Broder ziemlich zurückhaltend argumentiert und nichts gegen Moscheen hat oder religiöse Leute, aber darauf insistiert, dass parallel doch bitteschön auch in Saudi-Arabien große oder auch kleinere Gebetshäuser, Kirchen gar, gebaut werden sollten, wenn schon im Westen nonstop islamische Gotteshäuser gebaut werden, das fällt bei der ARD natürlich unter den schwarz lackierten Flügel, an dem Rether so gerne sitzt. Er möchte einen „Kuschelkurs“ mit den Muslimen – „was auch sonst?“ Der gut achtminütige Beitrag meint, dass weder „Zwangsheirat“ noch „Ehrenmord“ relevante Topoi seien – schließlich würde an Weihnachten auch in christlichen Familien manch Verbrechen verübt. Wenn man alleine das brutale Stopfen von Gänsen sich anschaut, damit deren Leber schön dick werde und sie an Weihnachten gut schmecke, liegt der
Wahrheitsgehalt von Rethers Kritik an Weihnachten offen vor uns.

Für die ARD und ihren Scheibenwischer sind George W. Bush und Bin Laden Brüder im Geiste, beides „Giftmischer“, der Jude Broder – Rether sagt natürlich nicht „Broder, der Jude“, aber er denkt es – ein elender Scharfmacher gegen den Islam und was ist das Resultat? „Wehe uns, wenn hier demnächst die Moscheen brennen…“, raunt der Islamversteher. Der Spiegel kritisiere den Islam und den Koran, das sei unerhört. „Wir hatten hier schon mal eine Zeit, wo man Bücher für gefährlich hielt…“ Aha. Welche Zeiten? Die Nazi-Zeit gar? Nicht möglich! Die Muslime also als die Juden von heute?

Die FAZ frohlockt: „Keine Frage, mit Rethers kurzweilig-intelligenter, oft hochpolitischer Pianoplauderei ist das deutsche Musikkabarett endlich im 21. Jahrhundert angekommen.“ Rether spricht von „Israel, ein ganz normaler Apartheidstaat“. Antisemitismus ist nicht nur der längste Hass auf eine bestimmte Gruppe Menschen, den diese Welt kennt. Er nennt sich nach Auschwitz und nach 1967 auch noch Antizionismus. Das hört sich demokratischer an. Und er ist ein prima Geschäft.

Am 10. Februar 2008 bekommt Hagen Rether dafür den wichtigsten Preis für dieses Genre in Deutschland verliehen, den Deutschen Kleinkunstpreis, direkt neben seinem Vater im Geiste, Dieter Hildebrandt, der ihn an diesem Tag für sein „Lebenswerk“ erhalten wird. So fängt das Jahr 2008 an. Doch 2008 wird das Jahr Israels werden. Da können die Deutschen Klein- oder Mittel- oder Großkunstpreise für Judenfeinde verleihen wie sie wollen.

 

Rechnitz, März 1945: “Gottgläubig-neuheidnische” Party der SS mit Massenmord?

Hagalil, 1. Dezember 2007

In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 wurden nahe Schloss Rechnitz unmittelbar an der österreichisch-ungarischen Grenze gelegen, bis zu 200 Juden ermordet. Die genaue Zahl der Ermordeten ist nicht bekannt. An dem Massaker nahmen Partygäste einer SS-Gesellschaft teil. Die SS hatte das Schloss zu der Zeit benutzt, die Hausherrin, Margit von Batthyány, geborene Thyssen-Bornemisza, war gleichwohl mit Ehegatten auch anwesend, wie eine jahrelange Recherche eines englischen Historikers, David Litchfield, der ein Biograph der Thyssen-Familie ist, ans Tageslicht brachte.

“Als die Rote Armee schließlich nur noch fünfzehn Kilometer von Rechnitz entfernt war und die SS sich auf die Schlacht um Rechnitz vorbereitet, wurde am 24. März, dem Abend vor Palmsonntag, im Schloss ein Fest veranstaltet, zu dem dreißig oder vierzig Personen geladen wurden, darunter führende Persönlichkeiten der örtlichen NSDAP, der SS sowie der Gestapo und Mitglieder der Hitlerjugend. Das Fest begann um neun Uhr abends und dauerte bis in den frühen Morgen. Man tanzte, es wurde viel getrunken. Um den Gästen eine zusätzliche Unterhaltung zu bieten, brachte man um Mitternacht zweihundert halbverhungerte, als arbeitsunfähig eingestufte Juden mit Lastwagen zum Kreuzstadel, einer vom Schloss aus zu Fuß erreichbaren Scheune. Franz Podezin, NSDAP-Ortsgruppenleiter von Rechnitz und Gestapo-Beamter, versammelte fünfzehn ältere Gäste in einem Nebenraum des Schlosses, gab Waffen und Munition an sie aus und lud die Herren ein, ‘ein paar Juden zu erschießen’. Man zwang die Juden, sich nackt auszuziehen, bevor sie von betrunkenen Gästen des Fests ermordet wurden, die dann ins Schloss zurückkehrten, um bis zum frühen Morgen weiter zu trinken und zu tanzen. Nach Aussagen von Zeugen prahlten einige Gäste des Festes am nächsten Morgen mit den in der Nacht begangenen Gräueltaten. Ein gewisser Stefan Beiglböck rühmte sich sogar, er habe mit eigener Hand sechs oder sieben Juden ‘erschlagen’.”[1]

Litchfield hat eine umfassende Biographie des Familie Thyssen geschrieben. Die Finanzierung Hitlers ist dabei nur ein Kapitel, der “danse macabre” von Rechnitz der schockierendste. In typisch österreichischer Manier wurden Berichte über das Massaker nach 1945 abgewehrt, als “bloße Propaganda” der Sowjets abgetan. Nach Informationen Litchfields hat Margit von Batthyány Mördern dieser Todesnacht zur Flucht verholfen, Hinweise darauf wurden 1963 nicht weiter verfolgt. Der österreichische Filmemacher Eduard Erne hat bereits 1994 seinen Film Totschweigen auf Rechnitz aufmerksam gemacht. Er meint, Litchfields Anschuldigungen seien das mindeste, ja dessen “Vorwürfe seien eher noch zurückhalten formuliert. Es habe zwischen der Thyssen-Erbin und den nationalsozialistischen Behörden geradezu eine ‘Kollaboration’ gegeben.”[2]

Durch eine weitere Historikerin wird das untermauert:

“Nach Angaben des Simon Wiesenthal Centers habe bereits die österreichische Historikerin Eva Holpfer nachgewiesen, dass das Paar Batthyány bei dem ‘Kameradschaftsfest’ anwesend war. Ermittelt wurde in Deutschland und Österreich. Die Täter wurden jedoch nie zur Rechenschaft gezogen, das Massengrab ist bis heute nicht gefunden worden. Zwei mutmaßliche Tatzeugen wurden 1946 ermordet. ‘Deshalb fordern wir die Behörden in Österreich und Deutschland auf, die Vorgänge genau unter die Lupe zu nehmen’, erkläre [Efraim] Zuroff [Leiter des Centers] in Jerusalem. Auch die Rolle der Familie Thyssen sollte dabei untersucht werden.”[3]

Die letzten 60 Jahre haben gezeigt, dass gerade die Täterländer Deutschland und Österreich überhaupt nicht interessiert waren an der Bestrafung der deutschen oder österreichischen Massenmörder, von den etwas unterer Chargen ganz zu schweigen. Beide Länder hatten vielmehr ihre Nazis als Staatsoberhäupter, siehe die Fälle Karl Carstens bzw. Kurt Waldheim. Insofern ist diese Aufforderung des Simon Wiesenthal Centers Jerusalem so wichtig, nachvollziehbar wie naiv. Interessant ist, was sagt die Antisemitismusforschung? Zuerst wurde natürlich beim Zentrum für Antisemitismusforschung nachgefragt, dessen Leiter Wolfgang Benz gern Auskunft gab:

“Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz wandte im Deutschlandradio ein, gegen die schockierende Story vom Judenmord als Partyspass spreche der Zeitpunkt. Am 24. März 1945 hätten selbst Fanatiker nur noch daran gedacht, ihre Haut zu retten. Eine Feier, während die Rote Armee bereits 15 Kilometer vor Schloss Rechnitz steht, wäre demnach unwahrscheinlich.”[4]

Ohne selbst zu diesem Massaker geforscht zu haben, weiß der deutsche Vorzeigehistoriker in Fragen des Holocaust offenbar Bescheid. Judenmord als “Party” könne es zu diesem Zeitpunkt gar nicht gegeben haben. Hat Benz Zeugen befragt? Kennt er Quellen, welche dieses Fest als solches belegen oder widerlegen? Woher nimmt er das Wissen, ob die SS und ihre Freunde, inclusive der Thyssen-Erbin, an jenem Tag nicht lustvoll-sadistisch Menschen ermorden wollte?

Weitaus kritischer, nachfragender, ja diese unfassbare Szene in jener Nacht auf Palmsonntag 1945 analysierend und nicht fabulierend sind Analysen und Forschungen des Religionswissenschaftlers Schaul Baumann. Er hat sich in seiner Dissertation an der Hebräischen Universität Jerusalem schon vor Jahren mit der Deutschen Glaubensbewegung und ihrem Gründer Jakob Wilhelm Hauer befasst.[5] Die neu-heidnische, pagane Religion war antimonotheistisch und völkisch. Die SS war ein wichtiger Vertreter des ‘artgetreuen Glaubens’, auch das Ahnenerbe der SS passt in die Germanophilie. Baumann kann mit seiner Forschung erhellen, was die SS, die ja ideologisch fanatisiert war wie keine zweite Organisation im Nationalsozialismus, bewogen haben mag, in jener Nacht:

“Laut Hauer und seinen Mitarbeitern hatte ein Ritual vor allem eine gesellschaftliche Funktion. Es trug zur Gruppensolidarität bei, wirkte bewusstseinsfördernd und hatte zudem auch spielerische Aspekte. Ein Zusammenwirken all dieser Elemente erzeugt die nötige Gefühlsspannung, die dem Menschen die Annäherung an das ‘Mysterium’ ermöglicht. Ein Ritual fungiert als Dialog zwischen Gott und Mensch und fördert die Kohärenz und Solidarität innerhalb der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe. Religiöse Feiertage ermöglichen einer solchen Gemeinschaft, ihr Heiligstes – wie die Vereinigung mit Gott – zu zelebrieren, zu modifizieren und zu erneuern.”[6]

Baumann kann sehr luzide zeigen, wie wichtig der Tod für die ‘Gottgläubigen’ war, was ja bei der SS mit dem Symbol des Totenkopfes noch gesteigert wurde. Am 18.1.1937 legte Heinrich Himmler, Chef der SS, fest, dass Angehörige der SS drei Möglichkeiten hätten, ihre Religionszugehörigkeit zu bestimmen: “1. Zugehörigkeit zu einer religiösen Vereinigung, wie z. B. einer Kirche 2. Gottgläubig, 3. Ohne Glauben.”[7]

Es wäre wichtig zu erfahren, wie dieses Fest in Rechnitz abgelaufen ist. Gab es rituelle Handlungen, vor, während oder nach dem Massenmord an den Juden? Wurden Reden gehalten? Welche Bedeutung hat die Verherrlichung des eigenen Todes für Nazi-Deutschland im Verhältnis zur Opferung der Feinde? Ist es aus SS- und gottgläubiger Sicht womöglich ‘wichtiger’ einen rituellen Massenmord zu veranstalten, ihn zu genießen als Zeichen göttlicher Umkehr, gerade weil der militärische Gegner, die Rote Armee, nur 15 Kilometer entfernt steht, als das Weite zu suchen? Wäre das eigene Opfer, sollte die Rote Armee sehr bald das Schloss einnehmen, geradezu Teil der NS-Ideologie und jenseits ‘rationalen’ Handelns, die eigene Haut retten, wie der Berliner Historiker insinuiert ohne sich all diese Fragen auch nur zu stellen? In einem Manuskript fasst Baumann seine These an diesem Punkt so zusammen:

“Als Religionswissenschaftler, der die Religionen vieler Gesellschaften erforscht hatte, wusste Hauer um die zentrale Bedeutung des Opfers in der Religion. Das Opfer als eine Gabe des Menschen an Gott hob er auf, sowohl wie es in der Antike in Tempeln dargebracht worden war, als auch den Opfertod des Gottessohns für die Erbsünde des Menschengeschlechts. Dies alles sei eine Erfindung der Semiten, wodurch die Welt unters Joch der Schuld geworfen werden sollte. Dagegen sei eine Umwertung des Opfers geboten, um es in den Dienst der ‘arischen Rasse’ zu stellen. Das Opfer müsse zur völligen Hingabe des Einzelnen an die Forderungen des Schicksals für Führer, Volk und Vaterland werden. So werde die Rasse von der Unreinheit geläutert, die ihr durch die Beimengung ‘fremden Menschenmaterials’ und Gedankenguts anhaftete. Wenn die Juden zuvor des Gottesmordes bezichtigt und daraufhin zum Sündenbock geworden waren, so sollten sie nun für das Unrecht der christlichen Apologetik verantwortlich gemacht werden, durch die sie indirekt die Weltmacht angestrebt hätten.”[8]

Die Forschung täte gut daran, sich mit diesen kritischen Analysen zu befassen, exemplarisch könnte dieses Massaker ein Beispiel für die antizivilisatorischen, jenseits von Gut & Böse mordenden Deutschen darstellen. Es ist in jedem Fall ein Teil des Holocaust, der sinn-losen Vernichtung der europäischen Juden, die ermordet wurden, weil sie Juden waren. Aus keinem anderen Grund. Das hat es weder davor noch danach je gegeben.

In Anlehnung an Simon Wiesenthal gilt festzuhalten: “Wir werden euch nicht vergessen”. Die Erforschung der heidnisch-germanischen Ideologie und ihr Beitrag zum Holocaust bleibt allerdings weiterhin eine sehr wichtige Forschungsaufgabe. Abwiegelungen à la Benz helfen nicht weiter, vielmehr indizieren sie das Niveau deutscher Antisemitismusforscher, die schon vor der empirischen und theoretischen Analyse wissen, um was es sich bei Rechnitz wohl gehandelt habe. Dagegen sind religionskritische Forschungen wie jene von Schaul Baumann enorm wichtig und helfen, die Bedeutung des Paganismus für die nationalsozialistische Ideologie und Praxis gleichermaßen zu erhellen. Der Fall Rechnitz wäre eine Möglichkeit dem exemplarisch nachzugehen. Doch wer hat daran schon Interesse?

 

Anmerkungen:

[1] David R.L. Litchfield (2007): Die Gastgeberin der Hölle, in: FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, Nr. 242, 18. Oktober 2007, S. 37.

[2] Andreas Platthaus (2007): Massaker von Rechnitz. „Beispiel der Banalität des Bösen“, in: FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, Nr. 246, 23. Oktober 2007, S. 46.

[3] TAGESSPIEGEL, 20.10.2007, http://www.tagesspiegel.de/kultur/;art772,2403156 .

[4] Joachim Günther (2007): Die Mordnacht von Rechnitz. Ein englischer Publizist erhebt Vorwürfe im Zusammenhang mit einem Massaker im März 1945, in: Neue Zürcher Zeitung online, 01.11.2007, http://www.nzz.ch/nachrichten/wissenschaft/die_mordnacht_von_rechnitz_1.571985.html.

[5] Schaul Baumann (2005): Die Deutsche Glaubensbewegung und ihr Gründer Jakob Wilhelm Hauer (1881-1962), Marburg: diagonal-Verlag (Religionswissenschaftliche Reihe, Band 22). “Meiner Mutter Lotte Baumann gewidmet, die als Kriegswitwe ihres Lebens sicher zu sein glaubte und deren letzte Ruhestätte nicht bekannt wurde”.

[6] Ebd.: 106.

[7] Ebd.: 199.

[8] Zusammenfassung der Dissertation, Manuskript Dr. Schaul Baumann, im Besitz des Verfasser.

 

hagalil.com 01-12-2007

Martin Mosebach – Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus

Hagalil, 4. November 2007

Die Büchnerpreisrede des deutschen Schriftstellers Martin Mosebach vor wenigen Tagen in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist ein Zeichen, wie sich die politische Kultur in diesem Land verändert. Er verglich eine gewaltvolle Rede des französischen Revolutionärs Saint Just mit einer der unfassbarsten Reden der Menschheitsgeschichte überhaupt, der Ansprache des Chefs der SS, Heinrich Himmler in Posen. Bekanntlich hatte Himmler dort im Jahr 1943 die deutschen Massenmörder gelobt, bei ihren ›Aktionen‹ »anständig« geblieben zu sein…

*****

Die Analogie von 1789 und dem Nationalsozialismus ist so unerträglich wie altbekannt. Die Neue Rechte unter ihrem Vordenker Henning Eichberg proklamiert seit Jahrzehnten, dass ›die Moderne‹, 1789, Liberalismus und Aufklärung, Gleichheit und Freiheit für die Vernichtung in Konzentrationslagern bzw. im Holocaust insgesamt verantwortlich seien. Nicht der deutsche Antisemitismus sei schuld, vielmehr die ›Utopie‹ der Gleichheit der Menschen. In der Forschung unschwer als Schuldprojektion erkannt, hat dieses Theorem in der poststrukturalistischen Schule der Philosophie ein starkes Echo erhalten und heute bekommt es unter der Fahne der Stolzdeutschen, die sich gegen den Westen und den Universalismus wenden, weitere Nahrung.

Erinnern wir uns: In Deutschland war seit 1789 in reaktionären Kreisen der Hass auf die Französische Revolution bestimmend. Entgegen Kant oder Hegel, welche vom Sonnenaufgang menschlicher Vernunft sprachen und den menschheitsgeschichtlichen Fortschritt, der seines gleichen suchte – und nur in der Amerikanischen Revolution von 1776 zu finden ist -, priesen, lehnten viele Deutsche die Revolution mit ihrem Gleichheitsgedanken und seinem Einfordern des universellen Gesetzes ab. 1914 schließlich, zu Zeiten des Ersten Weltkrieges, zogen die glücklichen Deutschen in Regimentern mit Parolen von Nation, Kaiser und Sozialismus, mit den Ideen von 1914 gegen jene von 1789 in das Feld.

›Kultur gegen Zivilisation‹, ›Helden gegen Händler‹, Deutsche gegen den Westen, Juden, Franzosen und Engländer, das war die Konstellation. Dass Napoleon während der Besatzung Deutschlands nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen 1806 Juden die Bürgerrechte gewährte, wurde nie verziehen und bereits von den burschenschaftlichen Turnern um ›Turnvater Jahn‹ gewaltig abgewehrt, bei der Bücherverbrennung 1817 auf der bis heute beliebten Wartburg brannten Bücher von Juden als auch der französische Code Civil. Der Philosoph und Theologe Max Müller, bester Freund des dieses Jahr verstorbenen ZDF-Mitbegründers Karl Holzamer, war schließlich 1933 ganz euphorisch und proklamierte »ein neues Zeitalter (…) für ganz Europa, das jenes in den Stürmen von 1789 geborene abzulösen« antreten würde. Der Hass auf die Französische Revolution, auf Gleichheit, Universalismus und Brüderlichkeit, war elementar für den Aufstieg und die Etablierung des Nationalsozialismus.

Heute nun wird revisionistisch gesagt, 1789 und 1933 bis 45 seien verwandt. Mosebach derealisiert die präzedenzlosen Verbrechen des Holocaust, indem er sie mit völlig anderen, unendlich kleineren Gewalttaten in Analogie setzt. Er macht das gezielt, so wie die Neue Rechte die Abwehr von 1789 braucht, um wieder emphatisch von Deutschland reden zu können. Der Hass auf 1789 führte direkt in den Rassestaat, war also primärer Antisemitismus. Nach Auschwitz werden nun 1789 und der NS-Staat analogisiert. Das ist sekundärer Antisemitismus, eine Erinnerungsabwehr der unfassbaren Spezifik der Rede in Posen. Wer die Shoah mit ganz normalen Verbrechen gewaltförmiger, revolutionärer, gegenrevolutionärer etc. Zeiten vergleicht, verharmlost sie. Deutschland verliert seine Schuld, wenn diese projiziert werden kann auf den alten ›Erzfeind‹ Frankreich.

Kritik an Mosebachs neu-rechter Geschichtspolitik wie in der taz, welche zurecht von »revisionistischem Gerede« spricht, wird nun von der FAZ als »Kaderwelsch« diffamiert. Mit diesem Wort generiert der FAZ-Kommentator Lorenz Jäger ein antisemitisches Wort. »Welsch« meint jüdisch, französisch, unlauter, betrügerisch, romanisch, un-deutsch. Die Gegenaufklärung nimmt weiter an Fahrt auf.

Clemens Heni, Dr. phil., Jg, 1970, Politikwissenschaftler und Publizist in Berlin; Altstipendiat der HANS-BÖCKLER-STIFTUNG, ehemaliger Fellow der HEBREW UNIVERSITY JERUSALEM (SICSA) sowie der FONDATION POUR LA MÉMOIRE DE LA SHOAH (Paris); Forschungsschwerpunkte: Antisemitismus, Rechtsextremismus/Neue Rechte, Nationalsozialismus, Ideologiekritik, politische Kultur BRD/Deutschland, Israel, (Neue) Linke, Kritische Theorie, Technikphilosophie, Antiamerikanismus, ‘Natur- und Heimatschutz’, Erinnerung an die Shoah; 2007 erschien seine Dissertation zur “Salonfähigkeit der Neuen Rechten “. Kontakt für Vorträge, Kongresse, Seminare etc. über haGalil.

 

Entweder Broder

25.10.2007

Kritische Publizisten, Journalisten als auch Wissenschaftler zeichnet aus, dass sie eine gesellschaftliche Situation adäquat einschätzen können. Wer heute angemessen auf die Gefahren für den Weltfrieden hinweist, wird sehen, dass es solche Kritiker so gut wie nicht gibt. Wer sieht im Iran die größte Gefahr für den Weltfrieden? Wieso schmeißt die Bundesregierung nicht den Botschafter dieses Staates, welcher offiziell den Holocaust leugnet und ankündigt, eine »world without Zionism« zu erreichen, also Israel auszuradieren, hinaus? Wäre das nicht adäquat? Welcher Professor der Freien Universität Berlin, Deutschlands ›Elite‹ mithin, oder emeritierte Sozialtheoretiker aus Frankfurt am Main hat im Jahr 2003 denn nicht mitgemacht bei der Friedenshetze gegen die USA und ihre Alliierten? Die gleichen Leute, ob sie nun Jürgen Habermas, Jacques Derrida, Hajo Funke, Claudia Roth, Ulrich Wickert oder Polylux heißen, welche die toten Juden des Holocaust erinnern und so manche Schlacht gegen alte Nazis geschlagen haben, haben heute offenbar gar kein Problem mit der Gefahr eines zweiten Holocaust in naher Zukunft. Lebende Juden genießen keine Unterstützung, tote sehr wohl, man könnte auch sagen: »Deutsche lieben nur tote Juden, Islamisten gar keine«.

Es ist also wohlfeil, zurück zu schauen in Trauer oder vermeintlicher Bewegtheit und heute so kalt wie ungeniert den islamischen Faschisten in Gaza-Stadt, dem Südlibanon, Riad, Damaskus und vor allem Teheran zuzuschauen. Mit Betroffenheitsmiene am 9. November den Pogrom von 1938 erinnern ohne aktiv mitzutun, dass kein weiteres passiert, heute, morgen oder übermorgen. Deutschland unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte gern einer der wichtigsten Wirtschaftspartner des Iran bleiben. Dessen Holocaustleugnung und Holocaustvorbereitung stören dabei gar nicht. Die Heuchelei der Deutschen ist ganz offensichtlich für jede Journalistin, jeden Publizisten und jede Politologin. Auch Analysen über die Berichterstattung der zweiten Intifada seit 2000, insbesondere im Jahr 2002, verdeutlichen die obsessive Schuldprojektion auf Israel. 2007 haben dann die deutschen Bischöfe Hanke und Mixa in antisemitischer Diktion das Warschauer Ghetto mit der Situation in der Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde verglichen, den Terrorschutzwall gegeißelt und die Israelis des Rassismus geziehen. Heute spricht derselbe Mixa, Jahrgang 1941, bezüglich der Familienpolitik der Bundesregierung von einem »staatlichen Umerziehungsprogramm«. Kritik, diesmal von Claudia Roth, einer typischen Vertreterin der oben analysierten Fraktion der ›Betroffenen‹, deren Äußerungen gleichwohl nicht alle komplett falsch sind, wenngleich ihre geradezu magnetische Anziehungskraft von Mikrofonen noch alles andere übertrifft, was sie tut, wehrt dieser Bischof nun als »faschistoid« ab.

Schon vor genau 20 Jahren schrieb Broder: »Wenn die deutschen Bischöfe die Abtreibungsregeln mit Auschwitz gleichsetzen und wenn Heiner Geißler sagt, an Auschwitz seien die Pazifisten schuld gewesen, dann sind das die rechten Komplementärfarben zum linken Gerede vom ökologischen Holocaust und der Endlösung der Palästinafrage.« Das war eine treffende Analyse, was Besseres hat man im Jahr 1987 schwerlich gefunden zwischen zwei Buchdeckeln (»Ich liebe Karstadt«). Die Analyse wäre noch heute aktuell. Wäre.

Wenn innerhalb weniger Tage eine Verharmlosung des Nationalsozialismus, wie sie jüngst und sehr publikumswirksam Eva Herman oder Bischof Mixa getan haben, durch Invektiven gegen Adorno, Kritische Theorie und manche Antifas von ›liberaler‹ Seite noch unterstützt wird, wird deutlich, dass es so luzide scharf-polemische Texte wie den 1987-Broder derzeit kaum gibt. Gewiss, nichts ist billiger als eine Pappkameradin abzuschießen. Eva Braun-Herman jedoch spricht für wenigstens 20 Millionen Deutsche, die nach einer repräsentativen STERN-Umfrage meinen, der NS habe auch »gute Seiten gehabt«. Als die ehemalige Tagesschau-Sprecherin und Ex-NDR-Moderatorin beim ZDF in der Sendung des Viel-, Blöd-, und gewiss fast ausschließlich Dummschwätzers (dafür wird er ja bezahlt) Johannes B. Kerner auftrat und ihre Thesen von der guten Zeit für die Frauen in Nazideutschland nicht zurücknahm, vielmehr auch die Autobahnen als das moderne Element pries, hat sich dieser bekannte Fernseh-Talkshowmaster von ihr verabschiedet, sie wurde rausgeworfen. Was kaum erwähnt wurde: im Sendestudie haben im Publikum eine ganze Reihe Leute geklatscht, als Herman mit ihren NS-verharmlosenden bzw. lobenden Geblöke loslegte. Die 20 Millionen haben es gern gehört. Wie jedoch haben das publizistische Netzwerk »Achse-des-Guten« und Broder reagiert? Eine extrem rechte, katholische Seite im Netz fasst es so zusammen: »Berlin (http://www.kath.net)
Der Schriftsteller Martin Walser nannte 1994 die freie Rede in Deutschland angesichts des Tugendterrors der ›politischen Korrektheit‹ ein halsbrecherisches Risiko. Anlass war die gescheiterte Präsidentschaftskandidatur des sächsischen CDU-Politikers Steffen Heitmann, von dem ein paar unverdächtige Äußerungen zum Frauenbild und zum Dritten Reich solange uminterpretiert wurden, bis daraus ›verbale Brandsätze‹ wurden. (…) Broder nannte die [ZDF-Kerner-] Sendung ›die längste Antifa-Sitzung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen‹.« In einem »Gastbeitrag« von »Edgar Dahl« wurde auf jener »Achse« weiter gesagt: »Hatte ich bislang geglaubt, dass eine Autobahn einfach eine Autobahn sei, die weder gut noch schlecht sein könne, egal zu welchem Zweck sie gebaut wurde, weiß ich nun, dass die A5 rassenideologisch kontaminiert ist und ich mir besser einen nationalsozialistisch unverdächtigeren Beförderungsweg suchen sollte, um am Montag zur Arbeit zu gelangen.« Nun, es ist immer schlimm, Menschen einen Kinderglauben zu entreißen. Doch hier handelt es sich ja nicht um Kinder, vielmehr um neu-rechte Ideologie. In der Wissenschaft wird seit gut 20 Jahren von Neuen Rechten, also den ›modernen‹ Rechtsextremisten, die Auschwitz nicht direkt leugnen, vielmehr das »Positive«, »Moderne« oder das »modernisierende« Element des Nationalsozialismus suchen, proklamiert, es habe in der Zeit von 1933-45 in Deutschland ungeheuer viele Möglichkeiten gegeben. Einen »Reichtum an Facetten«. Nicht nur die Gründung der »Stadt des KDF-Wagens bei Fallersleben«, heute VW-Stadt Wolfsburg, vielmehr auch der Volksempfänger, die Naturschutzgesetzgebung, die Wohnungsbaupolitik, die Angleichung der Stellung von Arbeitern und Angestellten etc. pp. würden das illustrieren. Die toten Sklavenarbeiter, die dazu auch benötigt wurden, bleiben unerwähnt. Das Mobilisierungspotential aller Maßnahmen des Regimes für die antijüdische Volksgemeinschaft wird ebenso entwirklicht oder affirmiert. Solche Rede ist also antisemitisch. Denn wer die Totalität des verbrecherischsten Landes der Geschichte der Menschheit einfach ausblendet, möchte sagen: der Holocaust, die vorherige Ausgrenzung, Demütigung, Gefangennahme und Deportation der Juden ist mir völlig egal. Das ist nicht das Thema mehr, heute. Heute gehe es vielmehr um die »Polykratie« des NS-Staates, die vermeintliche Widersprüchlichkeit und die Machtkämpfe innerhalb des Regimes. Damit werden die präzedenzlosen Verbrechen einfach derealisiert, entschwinden aus dem Gesichtsfeld. Die Neuen Rechten Rainer Zitelmann und Michael Prinz haben das 1991 in einem breit rezipierten Buch mit dem Titel »Nationalsozialismus und Modernisierung« vorgedacht. Das war damals die Vorbereitung für die »Selbstbewusste Nation«, wie das Standardwerk dieser Richtung der Neuen Rechten von Mitte der 1990er Jahre heißt. Heute ist die Situation noch weit dramatischer. Durch den schwarzrotgoldenen Taumel des Fußball-WM-Jahres 2006 wurden die allerletzten, kleinen Reste an Anstand, Zurückhaltung oder Unsicherheit ob eines neuen deutschen Nationalismus hinweggefegt.

Der Hass auf jede substantielle Kritik an Deutschland, Kritik am Gerede um ›nationale Identität‹ beispielsweise, seit Ende der 1970er Jahre, ist so verbreitet wie billig. Dass jetzt jedoch auch Henryk Broder von »negativem Nationalismus« redet, angesprochen auf eben solche unversöhnlerische Kritik, das stimmt sehr nachdenklich. Doch weiß er, dass es die Rede vieler Linker ist, die es Intellektuellen nie verziehen haben, dass diese marginalsten Kreise für die USA, Israel, den Universalismus und gegen völkische Theorie und Praxis, ob links, rechts, querfrontig oder mainstreammäßig kämpfen? Der Großteil der Stolzdeutschen, die einen »deutschen Weg« suchen wie der antiamerikanische SPDler Egon Bahr, oder einfach wie der WELT-Feuilleton-Chef Eckhard Fuhr die »Berliner Republik« als »Vaterland« kuschlig finden und vom »Freiheits-Bolschewismus« der USA fabulieren, um nicht noch offener vom deutschen Ressentiment gegen den »jüdischen Bolschewismus« zu reden oder einfach wie der Spiegel-Kultur-Chef Matthias Matussek allen Nicht-Deutschen zuposaunt: »Ihr könnt mich gern haben«, sprich: ›am Arsche lecken‹, all diese Facetten neu-deutscher Ideologie oder der politischen Kultur sind für jeden hellen Kopf unübersehbar. Die gleichen Leute sind es zumeist, die den Iran nicht als die größte Gefahr für den Weltfrieden betrachten, Fuhr und Bahr agitieren vielmehr gerne gegen die USA.

Wer meint, die Verharmlosung des Nationalsozialismus sei nicht schlimm, Hauptsache es geht gegen den politischen Islam, wird sich noch gehörig wundern. Nur wer erkennt, welche Verbrechen die Deutschen begangen haben und nur wer erkennt, dass der Nationalsozialismus eine antijüdische Volksgemeinschaftsaktion war, wird die Kraft haben dem islamischen Faschismus adäquat zu begegnen. Eigentlich genau das, was Broder seit Mitte der 1970er Jahre gemacht hat. Eigentlich. Heute zu postulieren, der Iran sei »noch schlimmer« als der NS, weil letzterer bekanntlich nur »12 Jahre», ersterer jedoch schon jetzt »27« existier(t)e, wie es Broder auf einer Podiumsdiskussion in Berlin vor einigen Wochen getan hat, ist so grotesk wie absurd. Jedenfalls nicht ironisch, sarkastisch oder witzig, polemisch auch nicht. Wenn ein katholischer Bischof mehrfach antisemitische Ressentiments gebraucht, wahlweise die Israelis mit Rassisten vergleicht, Deutsche als Opfer einer neuerlichen ›Umerziehung‹ (das Wort ist Kernbestandteil altnazistischer wie neonazistischer Propaganda seit den 1950er Jahren) herbeifantasiert und Kritikerinnen als »faschistoid« bezeichnen lässt, ist die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme offenkundig. Broder nennt nun die Kritik an Mixas rechtsextremer und antisemitischer Terminologie ein Geschwätz eines »Reichsparteitages der Guten«. Das ist wiederum noch nicht mal witzig, ironisch oder sarkastisch. Es ist vielmehr ein Echo eines allzu deutschen Musters: früher verglich nicht nur Franz Schönhuber die Antifa mit der SA, auch Franz-Josef Strauß bemühte ähnliche Vergleiche um Kritik an neuen und alten Nazis, sich selbst eingeschlossen, abzuwehren. Ein simpler Projektionsmechanismus. Broder hatte den 1987 locker durchschaut.

Die pseudo-antifaschistischen Heuchler von heute mögen sehr anstrengend sein. Aber 20 Millionen Deutsche, die offen (!) zugeben, dass sie »gute Seiten im Nationalsozialismus« sehen, sind eine breite Basis für jede Form von Judenhass und im Zweifelsfall noch schlimmer als solche Heuchler. Wer meint mit der Geschichte des NS Späßchen zu treiben, hat wenig kapiert und die Zeichen der Zeit nicht erkannt. 1987 war das noch ganz anders. Man kann heute, auch wenn das Konservative, Liberale und andere nicht erkennen wollen, nicht gegen den politischen Islam vorgehen ohne den Nationalsozialismus in all seinen Erscheinungsformen zu analysieren und zu verurteilen. Kai Diekmann jedoch, der Chefredakteur der größten Tageszeitung Europas, der BILD-Zeitung, den Broder verlinkt auf der »Achse« und dessen Hetze gegen Kritiker Deutschlands zu genießen scheint, schreit seine Lust nach Diminuierung des NS so hinaus: »Nach dem universalen Hass der NS-Ideologie herrscht nun schon seit Jahren das universale Verständnis für alles und jeden. Diese Gutmenschenattitüde«. Die heutigen ›Gutmenschen‹ als die modernen Nazis. Das ist die BILD-Version der Schuldabwehr und –projektion. Solche Stolzdeutschen wollen ein Deutschland ohne Islam und kein Wort mehr über die Grundlage der Bundesrepublik hören, die Vernichtung der europäischen Juden. Die BRD ist der selbsternannte Nachfolgestaat des NS, mitsamt seinem ›arisierten‹ Besteck, mit den von Juden gestohlenen Häusern, Fabriken, Warenhäusern etc. Ohne die Nazis würde es heute auch keinen VFL Wolfsburg geben und zumindest dort auch keine antiisraelischen Fußballer deutsch-iranischer Provenienz.

Wer heute glaubt die Neue Rechte links überholen zu können und den NS zu verharmlosen, um nur so gegen den Djihad aktiv werden zu können, täuscht sich gewaltig. Die Neue Rechte kann nur bekämpft werden mit demokratischen Mitteln und Methoden. Der Kern dabei ist die Kritik der Verharmlosung des Nationalsozialismus, eine Analyse der antisemitischen Rede vom ›modernen‹ oder ›modernisierenden‹ Charakter‹ des NS-Staates. Dazu jedoch muss man die Forschung zu diesem Thema kennen. Broder mag, wie er selbst sagt, lieber Anekdoten als Fußnoten. Wieso nicht beides?

Der Kampf gegen den islamischen Faschismus, den ›grünen‹, der hierzulande so unendlich viele Freunde, Verharmloser und Beifallspender hat, ist viel zu wichtig als ihn denen zu überlassen, die damit gleich auch die braune Grundierung Deutschlands wegwischen wollen. Nicht entweder-oder: entweder ich kritisiere katholische Antisemiten wie Mixa oder ich bin gegen den Heiligen Krieg des Islam. Nein, vielmehr hat zu gelten: weder noch! Weder stehe ich auf der Seite eines Bischof Mixa noch auf jener einer Claudia Roth, die gewiss alsbald in der ersten Reihe der ›Friedensdemonstrationen‹ stehen wird, wenn der Iran militärisch gehindert werden wird, sein Vernichtungspotential gegen Israel einzusetzen.

Der Kampf gegen den Djihad jedoch lediglich als Vorwand, gerade für die BILD-Zeitung, den Spiegel, die WELT, sich noch gemütlicher einzurichten, gerade in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Schuldabwehrmöglichkeiten?

Wer vom verbrecherischen Alltag des Nationalsozialismus nicht mehr reden möchte, sollte vom politischen Islam schweigen.

 

Seite 67 von 70

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner