Wissenschaft und Publizistik als Kritik

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Österreich, die UN und die Vorliebe für tote Juden…

Von Dr. Clemens Heni, Post-Doctoral Researcher, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA), Yale University

Die Republik Österreich hat zusammen mit so bedeutenden global players wie Burkina Faso, Kroatien, Libyen, aber auch Frankreich, Japan und Großbritannien der Resolution 1860 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen am 8. Jänner 2009 in New York City zugestimmt. Der jahrelange Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen in das südliche Israel wird als solcher gar nicht erwähnt. Die Gleichsetzung der militärischen Antwort Israels auf diesen Terror mit den islamischen Faschisten der Hamas ist so untragbar wie verbreitet. In der Resolution wird Israel angeklagt und aufgefordert sofort die Waffen nieder zu legen. Die terroristische, antisemitische Organisation Hamas wird namentlich nicht einmal erwähnt. Das ist zwar in New York ein Skandal und am vergangenen Sonntag auf einer großen pro-israelischen, anti-Hamas Demonstration mit ca. 12.000 Menschen auf der 42. Straße, im Herzen von Manhattan Malcom Hoenlein spricht auf rally for Israel in Manhattan, 01/11/09, wurde diese Resolution 1860 auch scharf angegangen. Denn dieses Papier belegt ein weiteres Mal, dass die UN eine primär anti-israelische Einrichtung ist. Dass Österreich dieser Resolution zugestimmt hat, verwundert jedoch kaum bei einem Land, welches auch wie die OMV riesige Geschäfte mit dem islamischen Faschismus aus Teheran macht, dem Geldgeber seines Ablegers in Gaza. Österreich wie auch Deutschland halten es eher mit den toten Juden, lebende Juden sind ungern gesehen, zumal wenn sie sich wehren und nicht bedrohen und ermorden lassen. Als ich diese These 2002 in Jerusalem an der Hebräischen Universität vortrug, war es kein anderer als der Kulturattaché der Deutschen Botschaft welcher als Mitveranstalter einen tomatenroten Kopf bekam und lospolterte. Er hatte offenbar die bis heute so gern gesehene Äquidistanz erwartet, ja keine Parteinahme und keine gleichsam jargonhaft als ‚einseitig‘ pejorativ verfemte Kritik des islamischen Antisemitismus. Wäre es nicht so fürchterlich, müsste man nur noch lachen, wenn darüber hinaus viele Aktivisten heute ein „Ende der Besatzung“ fordern. Dass Israel 2005 den Gaza-Streifen räumen ließ, lässt den Schluss zu – und insofern sind die ach so friedfertigen Freunde des islamischen Totalitarismus ja ehrlich! – dass es bei solchen Slogans um Gaza gar nicht geht. In New York City wurde auf der Demo gefordert, dass Israel nicht aufhöre, „till the job is done“, ...until the job is done bis die Arbeit getan ist. Dass jene UN-Resolution weder thematisiert, dass und wie die Hamas Kinder, Jugendliche und andere Zivilisten benutzt Hamas Cowards, um aus dieser Deckung heraus mörderische Angriffe zu lancieren , noch Antisemitismus, islamischen Antisemitismus, diskutiert und attackiert, ist keine Überraschung, gleichwohl bemerkenswert. Österreich ist im illustren Club des Sicherheitsrates, welcher diese anti-israelischen Beschlüsse fasst, derzeit das Land, welches ja weiß, wie mit ermordeten Juden am besten umzuspringen ist. Gedenkreden für tote Juden sind gern gehört, in Wien wie in Klagenfurt, wenngleich BZÖ oder FPÖ selbstredend auch die sekundär-antisemitische Reaktionsweise einer Abwehr der Erinnerung an den Holocaust gut beherrschen. Primär antisemitisch ist es jedoch, Israel alleine zu lassen, es zu isolieren und seinen Kampf gegen Antizionismus mit dem terroristischen, auf Vernichtung von Juden zielenden Kampf der Hamas gleich zu setzen, wie es die Resolution 1860 des UN Sicherheitsrates tut. Das nicht zu sehen ist Österreich geradezu prädestiniert.

Anti-Semitism is not the same as Islamophobia

This article was first published with the Jerusalem Post, December 3, 2008

The Center for Research on Antisemitism (ZfA) of the Technical University in Berlin has scheduled a conference on December 8 titled “The concept of the enemy Muslim – concept of the enemy Jew.” In publicity for this conference the ZfA writes that the “paradigm” of accusations against Muslims is known from “the history of anti-Semitism.”

It seems that the organizers feel there is a moral equivalence between garden-variety prejudice (portrayed as “Islamophobia”) and anti-Semitism. This is a dangerous course, particularly in Germany, which saw the quintessential manifestation of anti-Semitism in modern times.

Quite aside from the fact that Judaism embraces both a race and a religion, whereas Islam is strictly a religion, anti-Semitism is different than other forms of prejudice or racism. Whereas the racist view of blacks, for example, holds that they are “below” whites, anti-Semites think Jews are planning to rule the world. The Israel Lobby by American academics John Mearsheimer and Stephen Walt is just one example of this viewpoint. Anti-Semitism was the motif for the Holocaust.

Those unprecedented crimes combined religious Jew-hatred, quasi-scientific racial theories, and modern anti-Semitism in all its forms, including a comprehensive worldview. It is the anti-Semitic worldview that distinguishes anti-Semitism from racism. This irrationality on a global scale is hardly new. As early as 1543, Martin Luther blamed the Jews for almost every evil on earth. Later, during the early 20th century, The Protocols of the Elders of Zion appeared. This poor Russian forgery had a significant impact on German and European thought, and is now a hot item in the Muslim world. In it, Jews are not portrayed as second-class human beings, as in other racist thinking. On the contrary, they are seen as would-be lords of the world – an evil, unseen power behind everything.

The Protocols contend that Jews run the media, organize wars and establish or control national financial systems. One of its more overtly bizarre claims is that Jews organize the construction of subways (which were novelties in New York or London at that time) in order to literally undermine societies. No other group of people has ever been blamed for such a welter of “evils” – capitalism, communism, liberalism and humanism. None of these anti-Semitic accusations are used against Muslims today. In fact, Islamic terrorists use these very canards in an attempt to justify their anti-Jewish actions.

RACISM HAS a rational dimension; its use to justify exploitation is one central purpose. Anti-Semitism, with its irrational, implacably genocidal dimension, is totally different. Furthermore, there are some Islamicists who openly advocate the takeover of Europe, the West and the world. The nonsense in the Protocols notwithstanding, the Jews have never had or claimed such a goal.

To equate anti-Semitism with racism, let alone to try and draw a parallel with the term Islamophobia (a word invented by the Islamic Republic of Iran), is therefore dangerous. It has nothing to do with scholarly research, nor with an accurate examination of the real and significant threats posed by Islamic Jihad. A center for the study of anti-Semitism should be aware of these facts, and not equate anti-Semitism with Islamophobia or other forms of prejudice.

That kind of postmodern relativist philosophy is just another way of refusing to research anti-Semitism as a phenomenon sui generis. The Center for Research on Antisemitism (ZfA) and its director Prof. Wolfgang Benz, if they really believe Muslims in contemporary Germany are threatened like the Jews were, are badly misinformed. If the ZfA equates anti-Semitism with criticism of Islamic Jihad, this would signal the end of serious research on either subject at that center.

The writer is a post-doctoral research fellow at the Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Anti-Semitism.

Antisemitismus ist eine Gefahr – „Islamophobie“ ein Phantasma

Konzeptionelle Defizite beim Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin

Von Dr. Clemens Heni, Post-Doctoral Research Fellow, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism, YALE University, USA

Am 23. September 2008 wurde vom Iranischen Präsidenten Ahmadinejad eine antisemitische Rede auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen gehalten. Am Tag zuvor protestierten geschätzte 10 000 Menschen gegen die bloße Erlaubnis diesen Antisemiten und Holocaustleugner überhaupt in die USA einreisen zu lassen. Er spricht mit keiner Silbe vom Staat Israel. Das ist typisch für die Ideologie des radikalen politischen Islam und nichts wirklich Neues, gleichwohl schockierend. Der Ort hingegen, die UN in New York City, ist bemerkenswert. »Zionists« sind also seine Feinde, wenn er sie »Zionist murderers« diffamiert, die Aggression Russlands in Georgien als eigentlich von der NATO und der hinter ihr stehenden »Zionists« sieht, und natürlich werden die »Zionists« ihrer imaginierte Rolle als »dominating an important portion of the financial and monetary centers as well as the political decision-making centers of some European countries and the US« geziehen, schließlich hetzt er gegen ein »Zionist network« bzw. »Zionist regime«. Juden sind für Ahmadinejad wie schon für die Deutschen im Nationalsozialismus –hier trifft der Vergleich offenkundig zu – Zionisten und umgekehrt. Jeder Jude ein Zionist = Feind, überall.

Das macht die Attacken des Iran gegen Israel so bezeichnend: Israel steht für die Judenheit insgesamt, der Antisemitismus des Iran jedoch speist sich nicht nur aus Erinnerungsabwehr und Holocaustleugnung, auch althergebrachte, primäre Muster des Judenhasses wie die »jüdische Weltverschwörung«, »der jüdische Kapitalist« und die kleine, aber einflussreiche Gruppe »der Juden« ganz generell sind erkennbar. Deshalb muss diese Rede ernst genommen werden und als Zeichen für die wahnhafte, auf die Tötung von Juden zielende Ideologie des heutigen Iran. Antizionismus ist der Kern der Ideologie Ahmadinejads, und dieser Antizionismus ist nur ein – nach Auschwitz, das jener ja gar nicht anerkennt – Code für »den Juden«! Es ist Antisemitismus, der von Iran propagiert wird, nicht bloßer ›Rassismus‹. Das zu verstehen, ist im Folgenden entscheidend.

Und was macht das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin nach so einer Rede? Ein Symposium über die Gefahren des Antisemitismus? Eine Konferenz über den auf Vernichtung von Juden zielenden Judenhass des heutigen Iran? Oder, theoretischer, ein Seminar über die Ignoranz des Westens bezüglich der Gefahr des neuen Antisemitismus, namentlich des muslimischen Antisemitismus, des Antiamerikanismus und Islamic Jihad? Die Relevanz einer solchen Tagung zeigt sich auf fürchterliche Weise in dem Massaker in Indiens Finanzmetropole und größter Stadt Mumbai (Bombay) die letzten Tage, als islamistisch motivierte Massenmörder über 170 Menschen ermordeten und auch ein jüdisches Gemeindehaus angriffen und gezielt Juden ermordeten.

Das ZfA hingegen veranstaltet angesichts der Rede von Ahmadinejad eine Konferenz unter dem Titel »Feindbild Muslim – Feindbild Jude«. Wo sind die Parallelen? Wie schreibt das ZfA in der Ankündigung für den 8. Dezember 2008?

»Gleichzeitig wurden Muslime selbst in Debatten um Moscheebauten, Zwangsehen oder das Kopftuch Ziel pauschaler Anfeindungen. Verschwörungsphantasien über eine „Islamisierung Europas“ wurden dabei ebenso laut wie der Vorwurf, der Islam gebiete seinen Anhängern die Täuschung der Nichtmuslime. Die Denkmuster sind aus der Geschichte des Antisemitismus bekannt und werfen die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten Judenfeinde und Islamfeinde teilen«. http://zfa.kgw.tu-berlin.de/feindbild_muslim_feindbild_islam.pdf

Ganz abgesehen davon, dass schwer verständlich ist, warum z. B. »Zwangsehen« nicht »pauschaler Anfeindungen« ausgesetzt sein sollten: Waren Juden in der Geschichte lediglich »pauschaler Anfeindungen« ausgesetzt? Wieso sind die »Denkmuster« bezüglich Juden und Muslimen aus Sicht der jeweiligen ›Kontrahenten‹ so ähnlich?

›Denkmuster‹ ist ein interessanter Terminus. In der Antisemitismusforschung wird der Hass auf Abstraktion und die Vergöttlichung des Konkreten, sprich: das Ressentiment gegen Börse, Geld und Kapital und die Liebe zur Fabrik, zur Produktion und am besten auch zum »deutschen Arbeiter«, als elementarer Bestandteil des Antisemitismus, insbesondere seit Mitte des 19. Jahrhunderts analysiert. Die gefährliche Gleichsetzung von »Schacher«, »Geld« und Juden, wie sie selbst den frühen Karl Marx kennzeichnet, ist bis heute beliebt. Man lese nur die junge Welt oder verfolge die Reden auf Demos der »Freien Kameradschaften«.

Oder man erinnere sich der Hetze gegen »Heuschrecken«, wie sie Franz Müntefering für den politischen Mainstream etablierte, oder man erinnere sich an dieselbe Agitation gegen Heuschrecken, welche arme Deutsche, ›ehrliche‹ Arbeiter aussauge, wie sie Cover von Zeitschriften z. B. der IG Metall brachten.

  • Wo und wann wurde jedoch Muslimen unterstellt, die ›böse‹ Zirkulationssphäre zu beherrschen und andere Menschen oder ›Völker‹ auszusaugen?
  • »Mammon« ist vielmehr in der antijüdischen Agitation der Gott des Geldes, dem Juden verpflichtet seien. Weltweit ist dieser antimammonistische Antisemitismus (der oft mit Antiamerikanismus einhergeht, heute) zu konstatieren. Es ist ein elementarer Bestandteil der antijüdischen ›Weltanschauung‹, welchen Rassismus gerade nicht beinhaltet
  • Die Protokolle der Weisen von Zion, Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in Russland publiziert, imaginieren eine jüdische Weltverschwörung. Es ist die wirkungsmächtigste Phantasie über eine Verschwörung bis heute. Juden stehen demnach nicht nur hinter Geld, Kapital oder Börse, auch die Politik sei wesentlich von ihnen bestimmt. Die Französische Revolution sei von Juden geplant gewesen um ihre eigene Herrschaft zu sichern, ja selbst Untergrundbahnen seien von Juden erfunden worden, um gleichsam Gesellschaften von unten zu ›unterwandern‹
  • A propos Wandern: eines der wirkungsmächtigsten Bilder des Antisemitismus ist Ahasver, der ›ewige Jude‹. Nicht nur Filmtitel der Nazi-Propaganda, nein, seit 1602 ist er in ungezählten Facetten ein Bild des ewig umherwandernden Juden, der Jesus vermeintlich eine kurze Pause mit dem Kreuz auf dem Rücken verweigerte
  • Oder die so typisch christliche Phantasie des Blutopfers, welches Nicht-Juden geben müssten, um Juden ihre Matze kneten zu lassen mit dem Blut von armen, nicht-jüdischen Kindern. Bis heute wird diese Propaganda im arabischen oder muslimischen TV verbreitet. Die islamkritische Seite Memri hat Videos darüber im Internet dokumentiert
  • Oder nehmen wir den 13. Dezember 1934, als die »Reichshabilitationsordnung« fürderhin die Habilitation in Deutschland von der »arischen Abstammung« abhängig machte

Kein einziges der genannten Beispiele aus dem schier unerschöpflichen Arsenal (das ist es) des Judenhasses gibt es bezüglich der Muslime. Kein einziges.

Rassismus hingegen, Diskriminierung im weiteren Sinne, auch gegenüber muslimischen und nicht-muslimischen Türken sowie anderen Muslimen in Deutschland gibt es. Das würde niemand leugnen. Doch es ist an Absurdität, Infamie, Unwissenschaftlichkeit schwer zu überbieten, diese Form der Ausgrenzung mit Antisemitismus gleich zu setzen, wie es die ZfA Konferenz macht.

Mit Cem Özdemir wurde kürzlich ein neuer Vorsitzender der Grünen gewählt, ein türkisch-deutscher Schwabe. Schon lange ist Özdemir im Mainstream der Politik. Und das ist gut so.

Nun so zu tun, also ob ›die Muslime‹ einer Gefahr ausgesetzt seien wie die Juden vor Auschwitz, oder auch nur vor 1933, oder auch nur davor – das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Das muss gerade Wolfgang Benz wissen, der viele Bücher über den Nationalsozialismus ediert und verfasst hat, zumal zum Antisemitismus.

Wenn das Zentrum für Antisemitismusforschung nun eine Konferenz unter dem Titel »Feindbild Muslim – Feindbild Jude« veranstaltet, also Antisemitismus, der zur Shoah führte, mit dem heutigen Rassismus gleichsetzt, dann indiziert das entweder die theoretische Hilflosigkeit oder aber die gezielte Gleichsetzung des Präzedenzlosen mit x-beliebiger Diskriminierung. Wenn manche Islamkritiker Imame zitieren, welche in der Tat Europa islamisch oder islamischer machen wollen, dann ist das erst einmal empirisch ernst zu nehmen, denn diese Zitate gibt es ja. Während es zu keinem Zeitpunkt Juden gegeben hat, welche missionarisch ihre nicht-jüdische Umwelt zum Judentum bekehren wollten, gibt es diese Tendenz bei den beiden anderen monotheistischen Religionen, dem Christentum und dem Islam sehr wohl. Auch religionsphilosophisch wäre also der unüberbrückbare Gegensatz von Judentum und Christentum/Islam zu analysieren. Die Texte und Reden von Bin Laden, Ahmadinejad oder ungezählten anderen radikalen Islamisten belegen doch, dass zuerst Israel von ›muslimischem Boden‹ weggefegt werden soll, um danach weitere westliche Gesellschaften anzugehen. Da braucht es keine anti-muslimische Verschwörungstheorie, welche es in gewissen, marginalisierten Kreisen gibt, und die in der Tat in der bloßen Existenz von Muslimen in Europe eine Gefahr apriori sieht. Das ist rassistisch. Das hat aber mit Antisemitismus wiederum rein gar nichts gemein. Antisemiten ›wittern‹ ihren ›Feind‹, den es gar nicht gibt. Rassisten übertreiben existente (!) islamistische Drohungen zu einer Gefahr ›der Muslime‹.

Es wäre ein weiterer Meilenstein in der Trivialisierung des Holocaust, des Antisemitismus und zumal ein Zeichen an die muslimisch motivierten Antisemitien: nun gut, wir beobachten euch kritisch, aber genauso oder noch mehr beobachten wir eure Kritiker. Wenn sich das ZfA so um ›Vorurteile‹ und Rassismus kümmern möchte, wieso hat es dann den rechtsextremen Kader der NPD Stefan Lux letztes Jahr im September mehrere Tage an der Sommeruniversität zu Antisemitismus teilnehmen lassen, auch und gerade nachdem Antifaschisten ihn erkannt und gefordert haben, ihn des Platzes zu verweisen? Prof. Bergmann vom ZfA erwiderte lapidar, dieser NPD-Kader habe sich ordentlich angemeldet. Soviel zur ›Sorge‹ des ZfA um Muslime, MigrantInnen, Obdachlose, Linke oder Juden und andere potentielle Opfer der Neo-Nazis in Deutschland.

Die Konferenz des ZfA ist ein weiterer Schritt in Richtung Normalisierung der deutschen Geschichte. Wenn es den Muslimen von heute (in Deutschland) auch nur entfernt so ähnlich geht wie den Juden von vor 1933 oder auch bis 1945, denn diese Zeiten werden von der Ankündigung ja alle inkludiert, dann war der Holocaust kein Zivilisationsbruch. Dann war die Hetze gegen die Juden von Seiten der NSDAP, von Gregor Strasser im Jahr 1926 im »Nazi-Sozi« zum Beispiel, wo Juden mit Flöhen gleichgesetzt werden, offenbar vergleichsweise harmlos, ja ähnlich wie x-beliebige ›Ausgrenzungsmechanismen‹ gegenüber Muslimen heute, die es ja gibt. Und rassistische Hetze gegen Muslime wird im Zweifelsfall juristisch bekämpft und nicht zehntausendfach legal verkauft wie seinerzeit die Broschüren von Strasser in den 1920er Jahren.

Eine solche Konferenz wie jene des ZfA ist ein Zeichen gerade für Studenten oder jüngere Menschen: seht, Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus gab es schon früher und es hat fürchterliche Konsequenzen. Die Juden waren nur ein Beispiel. Damit wird von einem staatlich sehr gut ausgestatteten Zentrum ganz offensiv die Relativierung des Holocaust vorangetrieben und Antisemitismus völlig unspezifisch mit Rassismus gleichgesetzt. Es ist noch nicht einmal ›nur‹ ein Vergleich, nein, es wird ohne Fragezeichen gleichgesetzt in der Ankündigung. Wenn Jugendliche oder andere, ja z. B. Holocaustüberlebende gesagt bekommen: heute geht es den Muslimen in Deutschland so schlimm wie früher den Juden, ja dann ging es den Juden offenbar nicht so schlimm. Es ist eine Derealisierung des Antisemitismus der Weimarer Republik, oder auch des Kaiserreichs mit seinen Antisemitenparteien oder den Warenhausdebatten, welche das antijüdisch-antiurbane Ressentiment mit generierte. Und natürlich ist es eine infame Derealisierung jedes einzelnen Tages des Nationalsozialismus seit dem 30. Januar 1933.

Weitere Beispiele mögen verdeutlichen, wie stark dieses Phantasma der “Islamophobie” ist:

  • Wo sind heute Debatten über die Gefahr welche von türkischen Gemüsehändlern ausgehe?
  • Wo sind explizite (!) Antitürken oder Antimuslim-Parteien in Deutschland, die gar ins Parlament gewählt werden?
  • Wird nicht vielmehr auch in rechtsextremen Periodika wie der Jungen Freiheit durchaus mit Islamisten wie den Brüdern Özoguz vom berüchtigten Muslim-Markt diskutiert (siehe Junge Freiheit vom 20. August 2004), da doch beide – Nazis und Islam-Faschisten – die gleichen Feinde hätten, nämlich die USA und die Juden/Israel?
  • Oder wo sind die Muslim-Zählungen bei der Bundeswehr, wenn wir an die ›Judenzählung‹ von 1916 denken?
  • Um weltpolitisch zu reden: wenn ein Präsident eines mächtigen Staates wie Iran eine antisemitische Rede halten kann vor den Vereinten Nationen und danach sogar von einem über 80jährigen Nicaraguaner geherzt wird und viele Delegierte klatschen und NUR die USA und Israel von vornherein der Rede dieses Holocaustleugners und obsessiven Antisemiten fern blieben: leben wir dann in einer Zeit der Bedrohung für Muslime?

Ist es nicht vielmehr so, dass, wer die Muslime von heute mit den deutschen Juden bis 1945 (oder darüber hinaus) auch nur im Ansatz vergleicht, die seriöse universitär-institutionelle Antisemitismusforschung, wie sie sich nur am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin etabliert hat, beendet?

Es ist dann Geplänkel, ähnlich den Analogien von Antisemitismus und Vorurteilen gegen Hartz-4-Empfängern, Muslimen oder Einwanderern, wie sie der Bielefelder Forscher Wilhelm Heitmeyer mit einer ganzen Reihe von KollegInnen erarbeitet. Das auf 10 Jahre angelegte Langzeitprojekt »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« von Heitmeyer, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld, hat ein mittlerweile zehn »Elemente« umfassendes Schema für »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« erarbeitet. Auch der von der islamischen Republik Iran alsbald nach der »islamischen Revolution« 1979 erfundene Kampfbegriff »Islamophobie« taucht selbstverständlich auf. Das scheint mit dem ZfA zu korrespondieren. Die zehn Elemente von Heitmeyers Projekt sind »Rassismus«, »Fremdenfeindlichkeit«, »Antisemitismus«, »Homophobie«, »Abwertung von Obdachlosen«, »Abwertung von Behinderten«, »Islamophobie«, »Etabliertenvorrechte«, »Sexismus« und »Langzeitarbeitslose«.

Doch Deutschland ist nicht der Nabel der Welt.

Wer sich nämlich internationale Forschungen zum Antisemitismus anschaut, merkt schnell, dass außerhalb Deutschland die wirklichen Gefahren der heutigen Welt durchaus gesehen werden: Es ist der »islamische Faschismus« (Walter Laqueur, Robert Wistrich), das antiwestliche Ressentiment des politischen Islam und sein Hass auf Aufklärung, Emanzipation, Freiheit und Individualität, auf die Trennung von Staat, Gesetz und Religion, auf Sex und Rock’n’Roll, auf alleine lebende ((ex-)muslimische) Frauen (oder natürlich auch Männer), die nicht heiraten wollen, auf Homosexuelle, auf Vielfältigkeit, Uneindeutigkeit und Heterogenität, auf mehr oder weniger lustige Mohammed-Karikaturen und scharf gewürzte Religionskritik ganz generell, und zumal sein Antiamerikanismus, nicht erst aber vor allem seit 9/11, und sein Antisemitismus und Hass auf den jüdischen Staat Israel.

Was also ist Fakt?

  • Juden sehen sich erstmals seit 1945 wirklich genozidalen Drohungen aus Iran und dessen Ablegern im Gaza-Streifen (Hamas), Südlibanon (Hezbollah) und Syrien sowie vielen weitern djihadistischen Gruppen ausgesetzt
  • Auch in Deutschland sind Juden Opfer muslimischer Jugendlicher, und nicht umgekehrt
  • Es gibt keine »Protokolle der Weisen Muslime von Kreuzberg«
  • Es gibt keine Hetzvideos zu Pessach in Israel über türkische oder arabische oder muslimische Familien, welche jüdische Kinder für Ramadan-Zwecke in Kölner Hinterhaus-Kellern abschlachten
  • Ein jüdisches Mädchen läuft schon mit einer Magen David Halskette Gefahr in Berlin-Neukölln zusammen geschlagen zu werden, von Gleichaltrigen
  • Es gibt keine jüdischen suicide-bomber, welche muslimische Gesellschaften in tägliche Todesgefahr setzen

Ein Zentrum für Antisemitismusforschung sollte sich all dieser Unvergleichbarkeiten gewahr sein und gerade die Differenzen von Rassismus und Antisemitismus erkennen und wissenschaftlich erforschen, ja zudem öffentlich darüber berichten. Wenn nicht, verliert es seinen Anspruch als ein solches Zentrum.

Antisemitismus ist aber kein bloßer Rassismus. Während sich Weiße als Schwarzen überlegen fühlten und diese rassistische Einschätzung gar ›biologisch‹ zu sichern suchten, ist es im Antisemitismus gerade umgekehrt: Juden werden als omnipräsent imaginiert. Gerade das nicht-Sichtbare mache sie so gefährlich. Ein entscheidender Unterschied von Rassismus und Antisemitismus liegt genau in diesem Punkt: Judenfeinde sehen sich Juden nicht als überlegen an. Vielmehr wird eine ›jüdische Macht‹ imaginiert, welche nur durch die Eliminierung der Juden besiegt werden kann. Eigentlich sollte ein Zentrum für Antisemitismusforschung sich dieser grundsätzlichen Differenzen von Rassismus und Antisemitismus bewusst sein. Wofür werden die ForscherInnen sonst bezahlt?

Wenn das ZfA die Konferenz über »Feindbild Muslim – Feindbild Jude« veranstaltet, so ist es offenbar Mainstream geworden, Antisemitismus klein zu reden, zu bagatellisieren und den Zivilisationsbruch Auschwitz, der am Ende des Antisemitismus in Deutschland stand, zu den deutschen Akten zu legen. Es gibt ähnlich Schlimmes, demnach.

Schließlich: wer sich nach der antijüdischen Hetzrede des Iran vor den UN am 23. September 2008 nicht genötigt sieht, umgehend eine deutliche öffentliche Konferenz einzuberufen, hat den Zweck eines Instituts zur Erforschung des Antisemitismus verpasst. Israel allein zu lassen, einfach zu schweigen ob der Gefahr durch muslimischen Antisemitismus und lieber x-beliebige »Feindbilder« einander gegenüber zu stellen und postmoderne Komparatistik zu betreiben, hintergeht den Anspruch von Aufklärung und wissenschaftlicher Integrität, alles zu tun, damit Auschwitz nicht sich wiederhole, wie Adorno sagte. Wer die Muslime von heute zu den ›Juden von heute‹ stilisiert wie das ZfA mit der genannten Konferenz, leistet dazu nicht nur keinen Beitrag. Vielmehr werden die Muslime als die zukünftigen Opfer – wie seinerzeit die Juden – herbeifantasiert. Es ist eine Umkehrung der Wahrheit, eine »inversion of truth«.

Kritische Antisemitismusforschung ist weiterhin gehalten, das Spezifische des Antisemitismus zu analysieren. Antisemitismus ist der »longest hatred«, wie es Robert Wistrich von der Hebräischen Universität nennt. Diesen längsten Hass mit seinem Welterklärungscharakter, der jedes rassistische Vorurteil kategorial übersteigt, zu verkennen, zu diminuieren und zu banalisieren, wie das ZfA es mit der geplanten Tagung intendiert, ist bemerkenswert für die Antisemitismuforschung in Europa und Deutschland im Jahre 2008.

Ironie der Geschichte

Tod eines österreichischen Führers in einem deutschen Auto…

Haider ist tot. Es wird also erstmal keinen zweiten österreichischer Führer geben, obwohl die deutsche Polizei, beritten gar, z. B. im September 1992 Haider vor uns Antifas beschützte bei dessen Besuch bei der FDP in Stuttgart Bad-Cannstatt. (Nicht zu vergessen ebenso, wer mir damals die Plakate aushändigte: jene heute zum nationalen Sozialisten und antiimperialistischen Vordenker mutierte ‚Tante Else‘ (Jürgen Elsässer), die heute ebenso gegen den Westen hetzt und nationalistische Töne liebt wie Haider himself).

Vergessen werde ich auch nicht die so brillanten Texte und die Verurteilung für den „Trottel“, der Haider ja offenbar war, vom guten Gerhard Oberschlick seinerzeit, im Forvm, das heute kaum eine/r mehr kennt. Und auch die wie immer luziden Ausführungen von Prof. Anton Pelinka, damals im Dezember 2002 an der Hebrew University in Jerusalem bei einem kleinen Seminar über das „Haider phenomenon“ bleiben im Gedächtnis.
Doch eine Sache ist womöglich eine wirkliche Ironie der Geschichte. Der Antisemit und SS-Freund Jörg Haider hat u.a. die Beschäftigungspolitik im „Dritten Reich“ als „ordentlich“ bezeichnet. Das ist, by the way, nicht nur heute keine Randposition mehr, wie der Fall der Ex-ARD-Moderatorin Eva Herman zeigt. Was nun wirklich ironisch ist, ist Haiders Unfall. Er fuhr offenbar seinen Dienstwagen, einen VW Phaeton. Der erste dieser Reihe wurde 1935 von dem Automobilkonzern Auto-Union gebaut, unterm Nationalsozialismus. Heute nun, deutsche Kontinuitäten am laufenden Band sozusagen, ein Phaeton des Volkswagen-Konzerns, der half, Haider ins Jenseits zu befördern. Jenem VW-Konzern, der 1938 als genuin nationalsozialistische Betriebsgründung in der ebenfalls als großes NS-Projekt gebauten „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ gegründet worden war. Diese Kontinuität „ordentlicher Beschäftigungspolitik“ der Deutschen wurde dem österreichischen neu-rechten Führer zum Verhängnis. Oder Haider hatte den Fallschirmspringer Möllemann vor Augen oder gar seine Freunde, die Djihadisten aus Iran. Wir werden es wohl nie wirklich erfahren.

»But I‘m a Zionist!«

»Bomb Buschur«, ein etwas anderer Bericht über eine Demonstration gegen Iran und für Israel in New York City sowie die Konsequenzen der Antisemitismuskritik oder
„I like to be in America“

Politisch und gesellschaftstheoretisch den Nerv der Zeit zu treffen ist die Kunst der Intellektuellen. Peter Viereck (1916-2006), selbst in USA heute fast vergessen, war ein solcher famoser Künstler. 1940, angesichts von Nazi-Deutschland und dem Zweiten Weltkrieg, sagte er in einem fulminanten Artikel: „But I am a conservative“, was gleichsam zum Fanal der Konservativen – Vorsicht: das sind die forerunners der Neocons heutiger Tage… – in Amerika wurde. Er wandte sich damit dezidiert gegen seinen eigenen Vater, Sylvester Viereck, welcher ein begeisterter Nazi war und als erster ausländischer Journalist in den frühen 1920er Jahren Hitler interviewt hatte. Mehr noch war es ein Wachruf in Amerika, gegen die „Liberalen“ und „Linken“, welche den Hitler-Stalin-Pakt lobten und die UdSSR als anti-Kriegsbollwerk lobten. (Dass die Rote Armee – und in erster Linie die Rote Armee! – später die Welt zusammen mit den Amerikanern und Engländern vom Nationalsozialismus befreien musste, steht auf einem anderen Blatt). Soviel vorneweg. Viereck, soviel sei noch gesagt, sah bereits 1939 im Antisemitismus gleichwohl einen entscheidenden Unterschied von Nazi-Deutschland und der UdSSR. Keep that in mind.

Deutsche Kleingeister hingegen und völkische Vorturner gestanden Juden schon früher durchaus zu, eben „ihre Sache“ zu machen, Juden sollten für „jüdische Dinge“ zuständig sein. Wenn das der übergroßen Mehrheit der Nicht-Juden nicht gefällt, werden halt die Konsequenzen gezogen. Ein solcher Vorturner – nach Auschwitz – ist Patrick Bahners von der FAZ, der nicht nur antisemitische Sportwissenschaftler wie Arnd Krüger nicht als solche bekämpft wissen möchte, vielmehr jede an die Substanz rührende Kritik am Antisemitismus abwehrt und sich selbst, ganz deutsch, zum Opfer geriert: „Der Antisemitismusvorwurf eignet sich zum moralischen Totschlag.“ Wer also entgegen der Zeitung für Deutschland ein Freund der Wahrheit ist, begeht „moralischen Totschlag“. Wow. Was für ein Echo auf Walsers Brandrede von Oktober 1998, den Dammbruch, der Judenhass wieder ganz offen sagbar werden ließ, im neuen Deutschland (und nicht nur im Neuen Deutschland). Heute nun ist es auch in den Redaktionsstuben großer deutscher Tageszeitungen angekommen, dass die Judenfeindschaft sich neuer, gleichwohl alter Mittel bedienen muss. Das ist, by the way und für die Juristen unter uns, jetzt keineswegs polemisch, vielmehr analytisch gemeint. Zu sagen, wie die NPD es tut oder mancher Ortsvorstand von attac oder der ein oder andere IG Metaller, dass die Juden doch prinzipiell nach Geld strebten und am liebsten an der „Ostküste“ sich aufhielten, das ist nicht immer en vogue. Bahners hat gelernt, hier im Fall Hecht-Galinski versus Broder, rhetorisch a bisserl anders zu hantieren:

„Bei den ihr vorgehaltenen Äußerungen handelt es sich nicht um Sätze des Typus, die Juden seien ja alle geldgierig. Es geht ausschließlich um Kommentare zur israelischen Politik und zu deren Verteidigern.“

Broder hat Bahners treffend geantwortet:

»Bahners freilich skandalisiert nicht den Antisemitismus, sondern den Antisemitismusvorwurf als Mittel des moralischen Totschlags. Mit diesem Argument kann man jede Debatte im Keim ersticken. Für einen Deutschen ist es höchst unangenehm, mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert zu werden. Nur eines wäre noch unangenehmer: wenn der Vorwurf zutreffen würde.«

Was hatte die antizionistische Furie, welcher der jungdeutsche Redakteur gern zur Seite steht, – und wer in der Art wie Evelyn Hecht-Galinski sowohl mit dem Erbe des eigenen Vaters und der jüdischen Herkunft sowie mit Israel umgeht, ist nichts als eine Furie, eine „wütende Frau“ oder „Rachegöttin“, nicht jedoch eine rational oder auch polemisch agierende Intellektuelle -, geschrieben?

„Die zionistische Ideologie und später die israelische Politik haben 1948 zum Untergang der Palästinenser beigetragen. Seit die zionistische Bewegung im späten neunzehnten Jahrhundert nach Palästina kam, träumte sie davon, so viel Land wie möglich zu erobern, um darauf einen jüdischen Staat zu gründen.“

So die vulgäre Märchenstunde, die in Europa so gern gehört wird, ähnlich wie in marginalen Kreisen in den USA auch, vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Wer jedoch nicht Leserbriefe der FAZ, vielmehr seriöse Analysen bevorzugt, sei auf eine Ausgabe der Vierteljahreszeitschrift Tribüne aus dem Jahr 1976 verwiesen. Und jetzt wird es wirklich interessant. Rudolf Pfisterer (Wider den Mythus von der Coexistenz, in: Tribüne, 15. Jahrgang, Heft 59, 1976, S. 6988-6997, hier 6988f.) analysiert die Situation für Juden in arabischen und muslimischen Ländern gerade auch vor 1933 und zeigt, dass Antizionismus viel mehr ist als Israelbashing, es ist Judenhass, und nichts weniger:

„Auf der Seite der Araber geht damit Hand in Hand die Unterscheidung zwischen Juden und Zionisten; es wird unterstellt, daß die Araber als Semiten überhaupt keine Antisemiten sein können und daß deshalb der immer wieder behauptete Antisemitismus auf arabischer Seite als reiner Unsinn und als böswillige Verleumdung anzusehen sei. Ganz abgesehen davon, daß die aus Gründen der Propaganda immer wieder vorgebrachte Unterscheidung zwischen Juden, die noch zu akzeptieren seien, und Zionisten, die man ablehnen müsse, ein Kennzeichen jedes Antisemitismus ist, muß diese Aussage auch aus anderen Gründen deutlich zurückgewiesen werden. Erst kürzlich wurde im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Druck von arabischer Seite in einer in Beirut erscheinenden Zeitung (23.2.1975) folgendes ausgeführt: ‚Für die Zionisten, auch wenn sich diese Rothschild nenne, ist dies ein Anlaß, die öffentliche Meinung aufzuhetzen, um so die Situation zu ihren Gunsten auszunützen. (…)‘ Offenbar hat der Verfasser dieses Artikels noch nie etwas davon gehört, daß Antisemitismus sich noch nie gegen die Semiten im allgemeinen, sondern nur gegen die Juden im besonderen gerichtet ist, und daß deshalb kein Volk gegen einen derartigen Haß von vornherein gefeit ist. Nicht einmal die Juden! Man redet hier vom jüdischen Selbsthaß, der nur dadurch verständlich wird, weil seine – nicht zahlreichen – Vertreter auf diesem Wege sich wohl von dem leiderfüllten Schicksal der Juden zu distanzieren versuchten. In jüngster Zeit ist dafür die aus Frankreich stammende, hochbegabte Simone Weil ein besonders erschütterndes Beispiel. Im Jahre 1934 – Hitler war schon seit einem Jahr an der Macht – schrieb sie: ‚Persönlich bin ich Antisemitin.‘ Wie das gemeint ist, dafür nur ein kurzer Hinweis aus dem umfangreichen Material: ‚Israel. Alles ist befleckt und schrecklich, voller Absicht, von Abraham an einschließlich (außer einigen Propheten). Man muß ganz deutlich darauf hinweisen: Achtung! Hier sitzt das Übel!‘

Daß hier Juden unterschiedslos unter das Vorzeichen des Unheils gerückt werden, darf nicht davon ablenken, daß eine – immer wieder versuchte – Aufspaltung der Juden in noch annehmbare und schon hassenswerte Vertreter dieser Gruppe bereits der entscheidende Schritt auf dem Wege ist, dessen unaufhaltsames Gefälle in der ausnahmslosen Feindschaft gegen alle Juden besteht. Wenn es jeweils zu Pogromen, Ausrottungsaktionen oder Kriegen kam, wurde eine solche Unterscheidung noch nie durchgehalten. Der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel betont dies in aller Deutlichkeit: ‚Man sagt uns: es handelt sich nicht um die Juden, sondern um Israel; man ist nicht gegen Juden, sondern gegen die Zionisten. Dies ist auch nichts Neues. Um uns zu schwächen, versucht man uns zu spalten. Um unsere Verlassenheit zu verschärfen, entstellt man das Bild, das wir von uns und den Unsrigen haben. Man versucht, uns zu uns selbst in Gegensatz zu bringen, nachdem man uns zur Welt in Gegensatz gebracht hat. In jüngster Zeit wagte man zu den Juden in Deutschland: Wir haben nichts gegen euch; wir wollen nur gegen die Juden in Polen vorgehen. Dann sagte man zu den Juden in Frankreich: Fürchtet nichts; nur die Juden aus Deutschland sind bedroht. Und in Ungarn versicherte man die Juden: Seid doch ruhig! Es handelt sich nicht um euch, sondern um eure Brüder von irgendwo anders. Ja, das war falsch; wir wissen es jetzt. Es ging immer und überall um uns alle. Die jüdische Geschichte beweist uns dies: wenn man es auf eine Gemeinde abgesehen hat, befinden sich alle in Gefahr… Wer Israel angreift, geht gegen das ganze jüdische Volk vor.‘«

Was muss es für Elie Wiesel heißen, wenn er nun, 2008, mehr als 30 Jahre nach diesen, seinen Worten bezüglich des Antizionismus, hier in New York City vor uns steht und eindringlich vor einem antisemitischen Staat wie dem Iran, der Israel zerstören möchte und Juden töten will, warnt? Wie unendlich schrecklich muss es für einen alten Mann wie Wiesel, der den Holocaust überlebte, sein, solche antijüdischen Attacken erleben zu müssen? Eine Rede eines Antisemiten wie Ahmadinejad, der außer Israel und den USA kein Land expressis verbis aus dem Grund, diesen Judenhasser nicht hören zu wollen, fernblieb? (By the way und nur am Rande: die USA müssen solchen Hetzern wie dem iranischen Präsidenten keineswegs ein Visum geben. Darin war nicht nur ich mit den insbesondere canadischen KollegInnen einig, welche die amerikanische politische Kultur des „free speech“ auch für schlicht dumm halten, wozu übrigens auch der starke Polizeischutz für ca. 35 antisemitische Juden zählt, welche in ihren traditionellen schwarzen Gewändern gegen Israel hetzten und den Iran für dessen Eintreten für Judaismus und gegen Israel lobten etc.)

Wer solche luziden, kritischen Analysen wie jene der Tribüne von 1976 liest, kommt aus dem Staunen und Verzweifeltsein nicht mehr heraus. Psychoanalytisch ist das Phänomen exakt zu lokalisieren: Deutsche nach Auschwitz müssen, um eine stabile, stolzdeutsche Identität – ob links, rechts, liberal oder mainstream – zu bekommen, die präzedenzlosen Verbrechen derealisieren und, in einem zweiten notwendigen Schritt, die Schuld projizieren. Diese Täter/Opfer-Umkehr ist vielfach analysiert worden, wenngleich die akademische Befassung mit Antisemitismus darum gern einen großen Bogen gemacht hat, von kritischen Theoretikern abgesehen. Offen gegen Juden zu sein, ist ein Tabu nach Auschwitz. Was tun, um dennoch dem beliebten, notwendigen Ressentiment zu frönen? Spätestens seit 1967 ist der Antizionismus dafür beliebt. Wer jedoch auch nur ein klein wenig Bildung hat, weiß, dass es nicht 1967 begann mit der antizionistischen Hetze. Viel früher ging es los. Das obige Zitat hat das verdeutlicht. Auch die Antisemitismusforscher Charles Patterson und Walter Laqueur sehen deutliche Übereinstimmungen von Antizionismus und Antisemitismus, Patterson schrieb 1982:

»Soviet spokesmen (like their Arab counterparts) claim that they are not anti-Semitic, rather ‚anti-Zionist‘. Howeser, like much anti-Zionism elsewhere in the world, Soviet anti-Zionism – in newspaper articles and caroons – is accompanied by such bitter hatred of Jews that is indistinguishable from anti-Semitism. Soviet propagandaö, which continually warns the Russion people against the ‚Zionist world conspiracy‘ is not very different in tone or content from that earlier product of Russion fear and fantasy – Protocols of the Elders of Zion.“ (Charles Patterson (1982): Anti-Semitism: The Road to the Holocaust and Beyond, New York: Waler and Company, p. 112.)

Ganz ähnlich sieht es Walter Laqueur im Jahr 2006, nun angesichts der wichtigen, aber oft sinnleeren, weil konsequenzlosen oder den Antisemitismus verharmlosenden Debatten über neuen Antisemitismus:

»In the light of history, the argument that anti-Zionism is different from antisemitism is not very convincing. No one disputes that in the late Stalinist period anti-Zionism was merely a synonym for antisemitism. The same is true today for the extreme right which, for legal or political reasons, will opt for anti-Zionist rather than openly anti-Jewish slogans. It has been noted that in the Musim and particularly the Arab world, the fine distinctions between Jews and Zionists hardly ever existed and are now less than ever in appearance. However, even if we ignore both history and the situation in other parts of the world and limit the discussion to Western left-wing anti-Zionism, the issues are not clear-cut.« (Walter Laqueur (2006): The Changing Face Of Antisemitism. From ancient times to the Present Day, New York: Oxford University Press, p. 7).

Es hat sich also bezüglich der Verkennung des Antizionismus seit den Tagen im Jahr 1976 nicht nur nichts zum Besseren verändert, vielmehr ist die Situation noch schlimmer, zumal vor dem Hintergrund, dass 1976 zwar linke, deutsche Judenhasser der Revolutionären Zellen wie Wilfried Böse in Afrikas Uganda unter Idi Amin Juden von Nicht-Juden selektierten und die erste antisemitische Selektion seit Auschwitz veranstalteten, aber noch keine nach Atomwaffen strebende Regionalmacht wie der heutige Iran zu erahnen war.

Wer jedoch hatte sich schon am Tag zuvor in New York City versammelt um gegen diese an Infamität nicht zu überbietende Rede des Iran, dazu unten mehr, auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu protestieren?

Jüdische Gruppen hatten zu einer rally aufgerufen und ca. 6000 – 10.000 Leute waren da! Wer lediglich die israelsolidarischen Aktionen und Demonstrationen aus Leipzig, Hamburg, Köln, Frankfurt am Main oder Berlin kennt, wird staunen. Ich jedenfalls habe mächtig gestaunt: Sehr viele Leute und alle gegen den Iran, Ahmadinejad und Antizionismus/Antisemitismus. Die meisten kompromisslos! Wow. Impressing. Und was für Leute! Frauen wie Zoe, Ende 40, mit einem Schild, dass „a world without Ahmadinejad“ einfach sicherer und schöner sei, oder Holocaust-Überlebende , die es so unerträglich finden, immer noch gegen Judenhass kämpfen zu müssen und zu spüren, dass die Welt – hier die UN – nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt hat. Oder die dutzenden canadischen Studierenden, die mit roten T-Shirts und pro-israelischen Postern à la „Israel is here to stay“, oder Frauen und Männer mit wundervollen blau-weißen T-Shirts des „Baltimore Zionist District“ , schicke Frauen mit blau-weißen Kniestrümpfen, weitere Poster mit Parolen wie „Zero Tolerance for Islamofascists – Ban Iran!“ und viele mehr.

Wie sangen die alten Ramones? „We need change and we need it fast!“ Und Johnny Ramone hätte, nachdem er auch früher Republicans präferierte, diesmal sicher McCain gewählt. Punk-Rock for Israel. Oder meinetwegen conservative Punk, why not?

Unter einem Bill Clinton würden vermutlich gerade die Unterhändler Teewasser für ne Talkrunde mit Al Quaidas „Querulanten“ aufsetzen. Mumm ist was anderes. Mumm wäre Toleranz für Minderheiten weiter zu fordern, ohne auch nur eine Millisekunde daran zu denken, Intoleranten Raum, Platz oder Gehör zu geben. Und weltweit betrachtet ist unzweifelhaft der politische Islam die derzeit intoleranteste Bewegung. Das zu erkennen fällt vielen angeblich „antirassistisch“ motivierten Liberalen und Linken, bzw. solchen die meinen, das zu sein, unendlich schwer. Wer selbst jahrelang antirassistische Unterstützungsarbeit in Deutschland gemacht hat, weiß, was es heißt als Flüchtling oder Migrant in diesem Land zu sein. Schikanen, eklige Blicke der weißen Mehrheit und Angriffe von Nazis. Das gibt es immer noch. Doch mit einer Affinität für den Islam hat das gar nichts zu tun. Diese Affinität findet sich, wie quer auch immer, eher bei der NPD, attac, Friedensbündnissen und natürlich der Linkspartei.

Mumm würde schließlich bedeuten, dialektisch zu denken: Republicans zu wählen, weil sie die einzigen sind, welche das auf die Tötung von Juden zielende Regime in Teheran ernst nehmen und vor einem „zweiten Holocaust“ explizit warnen. Weder Obama in der ersten TV-Debatte im US-Fernsehen mit McCain, noch sein auserkorener Kandidat für das Amt des Vice-President, Joe Biden, haben explizit vor einem zweiten Holocaust gewarnt. Die vielverspottete und belächelte Sarah Palin hingegen hat bei ihrem sehr bemerkenswerten Auftritt letzten Donnerstag wiederholt auf die ungeheuerliche Gefahr eines „zweiten Holocaust“ hingewiesen, ihre verhinderte Rede auf der Demo wurde am gleichen Tag in der New York Sun publiziert und auf der Demo verteilt. Biden sprach lieber über Pakistan, welches ja schon Atomwaffen habe, oder über Darfur (in diesem Kontext gebraucht selbst er das Wort „Holocaust“). Beides sehr wichtige Themen, wer würde das bestreiten. Aber wo sind die Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel von pakistanischen Präsidenten oder Ministerpräsidenten? Es ist einfach grotesk wie die Demokraten bislang und offenbar gezielt – erinnert sei an die zwischen Peinlichkeit und Absurdität oszillierende Berliner Rede Barack Obamas, der von den angeblich ubiquitär sich aufbauenden Mauern daherlallte, welche es zu überwinden gelte, so als stünden wir im Sommer 1989 hier oder gar 1987 als Reagan in Berlin sprach – die iranische Bedrohung herunterspielen und offen für direkte Gespräche mit den Mullahs plädieren. Die old-school Anti-Totalitarismusschule eines Obama hilft jedenfalls gegen den Faschismus aus Iran gar nicht, ja sie behindert sowohl die erfolgreiche Kriegsführung in Irak als auch die not-wendige Intervention – diplomatisch, ökonomisch, militärisch oder wie auch immer – in Iran.

Dialektisch denken heißt McCain wählen, ohne sich das polemische Denken christlich verbieten zu lassen. Dialektisch denken heißt liberal sein und Republican wählen. Dialektisch denken heißt schließlich, wie schon 1939, zu Peter Vierecks Zeiten, rechts oder konservativ sein, heißt antifaschistisch sein. Diese Rechnung jedoch geht nur in USA auf, deshalb wäre es ein gefährlicher Irrtum die sehr spezifischen Ingredienzien der amerikanischen politischen Kultur auch in Europa oder gar Deutschland wirksam oder aktivierbar zu sehen. Nein, das sind sie nicht. Die Neuen Rechten, namentlich der wichtigste Vorturner der Rechtsextremen in Deutschland, Henning Eichberg, hassen geradezu Peter Viereck, der den antijüdischen Turnvater Friedrich Ludwig Jahn (der, by the way, gerade in der DDR zu Ehren kam und bis heute heißt eine der beliebtesten Ost-Berliner Sportstätten bekanntlich nach ihm, von dem Jahn-Denkmal in der Hasenheide im Westen Berlins natürlich nicht zu schweigen) so abgewertet hat.

Es kann auch sein dass weder das Obama-, noch das McCain-Lager Israel unterstützt im Kampf gegen den Terror und für Frieden, weil einfach die Prioritäten andere sind, heute. Das wäre fatal, aber durchaus möglich. Die Indizien jedenfalls sprechen deutlich dafür, dass im McCain–Lager, und insbesondere seinen AktivistInnen auf der Strasse, die Unterstützung für Israel sehr groß ist und die Gefahr eines zweiten Holocaust klar erkannt wird.

Was also ist die Marschroute, um dieses wenig friedensheischende Wort zu verwenden? Die Marschroute muss erstens eine solche sein, weil wir uns bereits seit 9/11 im Krieg befinden. Zweitens hat Eli Wiesel ganz einfach gesagt: „Ahmadinejad must be isolated and brought to justice.“ „He is not Hitler, but he wishes to follow Hitler“.

Die UN lädt dazu ein, die Welt schaut zu, die deutsche Presse berichtet nicht über pro-Israel-Demos in New York City. Alles wie gehabt. Time for change.

Und wenn nun die so geschwätzigen, verlogenen Reden zum Gedenken an 1938 gehalten werden, vornehmlich von FU-Professoren für Politikwissenschaft, Marburger Politologen, von Freiburger Militärhistorikern oder von Hessischen „Friedensforschern“ oder gar von Osnabrücker Politikwissenschaftlern, die – ganz traditionell links-deutsch oder iranisch gedacht – Israels Atomwaffenarsenal zur Disposition stellen wollen und die arabischen bzw. muslimischen Nachbarn Israels als Bedrohte darstellen und nicht den jüdischen Staat (!!!) – „Der Iran kann – völlig unabhängig von der jeweiligen politischen Ordnung – auf Dauer die atomare Bedrohung Israels nicht hinnehmen“ (Mohssen Massarrat bereits im Jahr 2004) – , kann sich entweder nur unentwegt an den Kopf fassen oder aber feststellen, dass hier gewöhnliche antisemitische Stereotype, sprich antizionistische, am Werke sind. Wie schnell und fast immer zeitgleich, antizionistische Vorurteile in handfeste antijüdische Stimmungen umschlagen, zeigt der Osnabrücker Vorzeige-Friedensliebhaber Mohssen Massarrat. Nachdem auf einer Veranstaltung in Osnabrück Broder ihm verbal begegnet war, antwortet dieser nun in einer Stellungnahme vom 2. Oktober wie folgt:

»Ich halte den produktiven Kulturaustausch mit Iran für einen verdienstvollen und praktischen Weg, um einer gezielten Dämonisierung eines Landes, das teils durch die schädliche Politik seiner Regierung und teils von Außen in die Isolation getrieben worden ist, entgegenzuwirken. Mit dem historisch belasteten Vergleich sind Teile der deutschen und internationalen Medien und Personen wie Broder im Begriff, nicht nur den Hitlerfaschismus zu verharmlosen, sondern durch Dämonisierung auch den Boden für einen Krieg der USA und Israels gegen Iran psychologisch vorzubereiten. Alle Kriegsgegner sollen in die Ecke von Kollaborateuren gerückt werden. Kollaboration mit dem Feind ist ein Sprachklischee, das Broder gegen differenziert denkende Experten und Journalisten häufig vorbringt, stammt aus dem Klischeerepertoire der Nazis, mit denen diese den Krieg gegen die Nachbarn psychologisch vorbereitete. Gerade in Nazi-Deutschland war die Dämonisierung der Juden als Untermenschen der erste und entscheidende Schritt zum Holocaust. Diese besonders subtile Verunmenschlichung machte die Deutsche Bevölkerung immun gegen die Barbarei und Verbrechen an sechs Millionen Menschen. Diese Methode ist tatsächlich substanzieller Bestandteil des totalitären Denkens und gehörte daher aus den Diskursen in Demokratien verbannt. Der inhaltlichen Kritik an seiner unsäglichen Rolle in der deutschen Diskurslandschaft hat Broder nichts als Beleidigungen entgegen zu setzen.« (Der Text Massarrats mit Datum vom 2. Oktober 2008 liegt dem Verfasser vor)

Nicht der Iran hetzt also nonstop gegen Israel, nicht Ahmadinejad hat gesagt, er möchte dafür Sorge tragen (was für ein antijüdischer Heideggerscher Gedankengang, womit nicht gesagt sein soll, dass er (nicht nur) in diesem Fall auch genuin islamische Wurzeln haben mag), dass Israel von der Landkarte verschwinde, nein: böse Amerikaner und Israeli im Gespann mit einem Journalisten wie Henryk M. Broder bereiteten den Boden für einen Angriff auf den Iran. Diese Derealisierung der Gefahr, welcher der Iran für Israel darstellt, ist so grotesk wie die antijüdische Hetze Legion ist in Deutschland. Da hat Massarat gut gelernt, möchte man sagen: Er dreht den Spieß einfach um, und geriert sich nun wie die ganz normalen sonstigen Deutschen zum Opfer, die Juden sind nun die Täter, nach Auschwitz. Und der antiintellektuelle Reflex gegen guten Journalismus, wie ihn Broder vertritt, einen, der auch mal weh tut und nicht immer richtig liegen mag, hier aber ganz sicher richtig liegt, ist auch Standardrepertoire im Antisemitismus. Wenn also Massarat Broder in die Nähe der Nazis setzt und gar solche Kritik am Iran, wie Broder sie dankenswerterweise praktiziert, in Beziehung setzt zur Vorbereitung des Holocaust gegen die Juden, dann ist hier ein Antisemit am Werk, der gründlich gelernt hat, nach Treblinka und Theresienstadt sich besser selbst zum Juden zu machen und die wirklichen Juden, nach 1945 bzw. 1948 oder 1967, zu den Tätern zu imaginieren. Das Tolle für Typen wie Massarat ist, dass sie sich mit ihrem Antisemitismus und ihrer Demagogie gegen Juden wie Broder pudelwohl fühlen und kein irgendwie schlechtes Gewissen haben müssen wie die NPD, die häufig so verbissen dreinschaut.

Zurück zur Demo gegen Iran in New York City: Entgegen einem Massarrat hat Irvin Cotler aus Canada die Lehren aus der Geschichte gelernt: Ahmadinejad solle vor den UN „accused“ werden wegen seiner wiederholten Menschenrechtsverletzungen, insbesondere auch wegen dem „demonizing the other“, eines der fürchterlichsten Kennzeichen des Antisemitismus schon vor Auschwitz. Cotler setzte ganz klar, dass „the Holocaust begun with words“ und wir heute Lebenden haben eine „responsability to prevent“ eine zweite Vernichtung der Juden. Der „path to Genocide“ jedenfalls habe bereits begonnen, deshalb „No to a nuclear Iran. Yes to stop Iran!“ Anschließend sprach der wie immer mitreißende Nathan Sharansky aus Israel, der im Kern unter tosendem Beifall sagte: „This is the fight we will win!!!“ Trauriger war die israelische Knessetsprecherin Dalia Itzik, welche herausstellte, wie schlimm es ist, dass 60 Jahre nach der Etablierung des Staates Israel „the nightmare is back“, „I see the gas chambers“, wenn sie mit Grauen an die Drohungen aus Iran gegen Israel denkt. Itzik plädierte nachdrücklich, solche „madmen“ wie Ahmadinejad ernst und beim Wort zu nehmen.

Die Verzweiflung vieler junger, alter und älterer TeilnehmerInnen der Demonstration war spürbar, wenngleich es ein in der Tat „very unifying event“ war, wie einer der Organisatoren am Ende meinte. Die Power war laut hörbar, die Sprechchöre „Stop Iran now“, „Stop Iran now“ beeindruckend, aus tausenden Kehlen.

Skeptische Worte dürfen nicht fehlen: „Where is Sarah“ stand auf einigen Postern? Was ist gemeint? Nun, aufgrund der Absage von Hillary Clinton, nachdem die Kandidatin der Republicans für das Amt der Vize-Präsidentin, Gouverneurin Sarah Palin aus Alaska, auch als Rednerin gewonnen worden war, wurden alle bundespolitischen RednerInnen ausgeladen. Ein auch hier in New York City offenbar eher ungwöhnlicher und unprofessioneller Umgang mit diesem politischen Ereignis. Und während ich viele dutzend, ja weit über hundert UnterstützerInnen für McCain mit Postern, Plakaten, Stickern oder T-Shirts gesehen habe, manche mit Schreibfehlern, was aber die große Bedeutung nicht schmälert , habe ich vielleicht 4 oder 5 offen als Obama-Fans erkennbare Demonstranten gesehen. Was heißt das? Europäische Verhältnisse? Die Linke für Obama und nicht gegen Antisemitismus? Es scheint so, ja. Doch die Konservativen plädierten überhaupt nicht dafür, nur Palin zu hören, nein, Hillary und Sarah gemeinsam gegen die Mullahs, das wäre es gewesen. Next time. Es wird nötig sein. Verdammt nötig. Not-wendig.

Doch eine solche Demonstration erlebt zu haben, war all in all ein wundervolles Zeichen der Solidarität mit Israel. „We stand with you“, „you are not alone, „Block the bomb“ , natürlich auch „Christians united for Israel“ , „Save Israel“, „United against the Iranian threat“, und, besonders toll und wichtig: „Silence ist Compliance“ (Schweigen ist Einverständnis), oder „from Hitler to Iran –the Holocaust continues“…

Bezüglich der iranischen Stadt Buschehr und den dortigen Atomanlagen, dürfte eine Parole in Deutschland noch wenig bekannt sein, sie hat jedoch symbolisch hohen Wert und dürfte die Realität antizipieren, einige junge und auch ältere, kämpferische Juden skandierten sie sehr lautstark: „Bomb Buschor“. Wer schneller und anders aber genauso effektiv auf das auf die Vernichtung Israels zielende Atomprogramm der Mullah-Faschisten reagieren kann, gerne.

Abschließend gilt es die Rede von Irans Präsident Ahmadinejad vor der 63. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York City einen Tag nach unserer Demonstration, also am 23. September 2008, wörtlich und ernst zu nehmen. Er spricht mit keiner Silbe vom Staat Israel. „Zionists“ sind seine Feinde, wenn er sie „Zionist murderers“ diffamiert, die Aggression Russlands in Georgien als eigentlich von der NATO und der hinter ihr stehenden „Zionists“ sieht, und natürlich werden die „Zionists“ ihrer imaginierte Rolle als „dominating an important portion of the financial and monetary centers as well as the political decision-making centers of some European countries and the US“ geziehen, schließlich hetzt er gegen ein „Zionist network“ bzw. „Zionist regime“. Juden sind für Ahmadinejad wie schon für die Deutschen im Nationalsozialismus –hier trifft der Vergleich offenkundig zu – Zionisten und umgekehrt. Jeder Jude ein Zionist = Feind, überall.

Das macht die Attacken des Iran gegen Israel so bezeichnend: Israel steht für die Judenheit insgesamt, der Antisemitismus des Iran jedoch speist sich nicht nur aus Erinnerungsabwehr und Holocaustleugnung, Derealisierung und Schuldprojektion, auch althergebrachte, primäre Muster des Judenhasses wie die „jüdische Weltverschwörung“, „der jüdische Kapitalist“ und die kleine, aber einflussreiche Gruppe „der Juden“ ganz generell sind erkennbar. Deshalb muss diese Rede ernst genommen werden und als Zeichen für die wahnhafte, auf die Tötung von Juden zielende Ideologie des heutigen Iran, der auch anderen Regimes und Bewegungen nach dem Munde spricht, erkannt werden. Antizionismus ist der Kern der Ideologie Ahmadinejads, und diese Antizionismus ist nur ein – nach Auschwitz, das jener ja gar nicht anerkennt – Code für „den Juden“!

Nicht nur vor diesem Hintergrund zerbersten alle ach so differenzierten Differenzierungen von Antisemitismus und Antizionismus. Der Antisemitismus des 21. Jahrhunderts ist in erster Linie ein antizionistischer, und das mit bestem Gewissen und dem europäischen Mainstream oft im Schlepptau. Der Mullah-Faschismus hat gerade in New York City mal wieder seine Fratze zeigen dürfen und die Welt schaut zu, lacht, lächelt, grinst oder wiegelt ab.

Wenn jede europäische Hauptstadt auch nur die Hälfte der Teilnehmer der New Yorker Demonstration von womöglich 10.000 hätte, wäre der Forderung nach einem „Stop Iran now“ womöglich weit mehr Nachdruck verliehen. Schließlich geht es darum, Israel, das auf sich allein gestellt scheint, den Rücken frei zu halten.

Links, liberal, weltoffen, gottlos sein (also anti-Habermas, der gestern in YALE sprach), besten New York City Punk-Rock hörend, anarchistisch, selbst Mozart spielend, kommunistisch agitierend, ohne Ressentiments gegen Neocons sein und John McCain/Sarah Palin wählen, also gemeinsam gegen Antisemitismus und für Israel? Geht das überhaupt? Können wir das? Können da auch Obama-Fans mitmachen? Können wir denn im Ernst im 21. Jahrhundert, nach Posthistoire, Postmoderne, Postzionismus Zionisten sein, gar nicht-jüdische? Wirtschaftskrise hin oder her, Lösungen hat eh kein Mensch in Aussicht und das wäre auch lächerlich. Nein: Angesichts der unglaublichen Drohungen gegen die Zionisten – „den Juden“ an und für sich – durch den Iran, hier in New York City, quasi vor meiner Haustür, müssen wir das, Zionist sein. Können wir, Republicans, liberals, left-wingers und selbst womöglich Obama-Fans, also wirklich gegen Antisemitismus/Antizionismus und gegen Islamfaschismus sein? Kompromisslos?

„Yes, we can“!

Back in bad old Europe? Experiences with anti-Zionist freshmen/women

My first day in YALE – and Mearsheimer and Yale students plaid for ending the US-Israeli special relations…

clemens.heni@yale.edu , 09/16/2008

I am a lucky boy, being one of the first Post-Docs at the Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism (YIISA). I arrived just a few weeks ago. I know all the other centers for the Study of Antisemitism, there are not so many, two in Israel, one in Germany, now, really new, one in Britain, and that‘s it. YIISA is the first Center or Institution of its kind in North America. Isn’t this astonishing? Has there been no need for the analysis of anti-Semitism in the US?

At the evening of my first official day at YALE, last week on Tuesday, I couldn’t believe my eyes: am I back in Europe or even in Germany? What happened? The Yale Political Union, an organization for (young) students at YALE, did invite one of the most outstanding anti-Zionist professors who did write a both stupid and dangerous book about the fantasy of the power of an “Israel-Lobby”. Well, I am of course talking about John Mearsheimer. He was blaming Israel of being responsible for the 9/11 attacks and the attacks and massmurder of Islamic Jihads worldwide, obviously including Iraq. No word about the political and ideological impact of Islamic Jihad as phenomenon sui generis. Mearsheimer argued that without the “special relationship” between the US and Israel America would be a better and more secure place to life. This is obviously an anti-Jewish argumentation. Israel is a Jewish state and since Jean Améry, Vladimir Jankélévitch or Henryk Broder we all know that Israel-hatred is the new way to express Jew-hatred. After Auschwitz it is of course not that easy (in Western countries) to blame Jews as Jews to do that or that (this does not mean that especially in the Islamic world such anti-Semitic resentments exist!). So professors or B.A.-students blame the Jewish State for every ill on earth. I thought this is not exclusively but especially an European (and especially) German problem. Of course I knew that a lot of Americans are anti-Bush (I am, as a left-winger, not), but most of them (I hope!) are not also anti-Jewish.

But why did the YALE Political Union invite Mearsheimer and finally even declared – by a vote of 44:25 – to “end the special relations” the “US has with Israel”, as the Jerusalem Post did report on Sunday? This seems to be more than a bad joke of some freshwomen/freshmen. It is a sign of the political culture of America. For me, being in the US not longer than some 2 weeks, this is an extremely sad experience.

I think some or even most of those YALEs and also the rest of politically interested America do not know the truth of Mearsheimer: the truth is, his book was, so to say, already published in 1942. Shocking! Really? Yes. The cover of the German edition (Campus publisher) of Walt/Mearsheimers “The Israel-Lobby” shows the following: an American flag, where the stars are replaced by David Crosses. Wow! The Jews rule the world, America is run by Jews. Mearsheimers “arguments” are antisemitic in result, if not intend. Relating to 1942: Same impact, but another time: Germany, National Socialism, in the year 1942, during the Holocaust: one of the most influential “scholars”, Johann von Leers, did publish a work called “Kräfte hinter Roosevelt” (Those who run Roosevelt). The cover of the book shows some “Jewish” people AND, most important for us today, an American flag, where the stars are replaced by David Crosses!

Would those young Yale students have invited Mearsheimer if they knew that originally the “argument” that Jews run America comes from Nazi Germany? Whoever did talk to Israeli citizens of the city of Sderot, where thousands of rockets from the Gaza-Strip did fall the last years, cannot ignore the anti-Jewish impact of Hamas. Who ever witnessed a single hardcore Islamist prayer in Ramallah or in Beirut cannot ignore the Israel-hatred of the Middle East. Whoever has read a speech of Iranian leader Ahmadinejad cannot ignore the existential threat to the Jewish state of Israel which derives of the current policy of Iran. Why do young, unexperienced Yale students vote against special relations of the US and Israel? Who the hell do they want to support?

The sad story of anti-Zionism (which is just the most sophisticated version of Jew-hatred and anti-Semitism) goes on. I am sure, that neither Yale nor the US did wait for a scholar like me to tell them something about anti-Semitism. But what is shocking for me is the fact that American scholars like Charles Patterson did even anticipate such “modern” Jew-hatred, decades ago. Patterson words describe our situation very well:

“There is little evidence that in the future the United States will prove to be any more resistant to anti-Semitism than Europe was. The same Constitution that provides American Jewish citizens full and equal protection under the law also provides freedom of speech and expression to the voices of anti-Semitism, racism, and other forms of prejudice. Since attitudes cannot be legislated out of existence, it is certain that the voices of hatred will continue to be heard. Should the years ahead grow more tense and troubled, those voices are destined to become louder.”

This was written in 1982 (!), now we are in 2008 and Israel fights for its very right of existence as a Jewish state. Not only but also YALE students have to learn that the consequence of Auschwitz is to fight all forms of anti-Semitism, including anti-Zionism of course. To plaid for an end of the special relations of the US and Israel is a sign to the fascist Islam, not only in Tehran: well, friends, keep on fighting the Jewish State, we are on your side.

Yale freshwomen/freshmen don’t rule neither the world nor the US: America will not end its special relationship with the Jewish state. Rather Yale has to end its friendly talk with anti-Zionist youngsters and their academic friends. But maybe I am wrong and YALE academics stand behind those youngsters and their guests…

Lapsus orientalis?

Lapsus orientalis?

Sekundärer Antisemitismus – türkisch, mit Koscherstempel

Der Antisemitismus geht neue Wege. Sowohl offene Vernichtungs-Drohungen gegen Juden oder den jüdischen Staat Israel nehmen zu als auch rhetorisch raffiniertere Versionen einer Erinnerungsabwehr, Relativierung oder Universalisierung des Präzedenzlosen von Auschwitz. Die Befürchtungen von Professorin Dina Porat kürzlich auf dem Jerusalemer Global Forum for Combating Antisemitism, sind sehr hellsichtig: Es gebe einen „Opferwettstreit“, im Namen des Antikolonialismus, Antirassismus oder der Menschenrechte werden Juden angeklagt, diffamiert und Auschwitz verniedlicht, banalisiert und in die Geschichte des Kolonialismus, Rassismus, der Sklaverei oder anderer Elemente der bürgerlichen Gesellschaft eingegliedert. Damit wird – wie bewusst auch immer – das Unvergleichliche nicht nur der Judenfeindschaft, sondern namentlich der Shoah geleugnet. Es ist eine soft-core Leugnung, wie es Deborah Lipstadt nennt. Auch der Leipziger/Tel Aviver Historiker Dan Diner sieht diese Gefahr (in „Gegenläufige Gedächtnisse“, Göttingen 2007), wenn er schreibt:

„Dies wird nicht folgenlos bleiben. Wie unter der Hand wird der so seiner Geschichtlichkeit entblößte Holocaust – das zum bloßen Exempel verallgemeinerte Ereignis Auschwitz – zu einem Genozid unter anderen Genoziden mutieren.“

Diner sieht in einer „anthropologisierenden Wahrnehmung“ die Gefahr einer Verkennung jedweder Spezifik des Holocaust.

Man muss noch weiter gehen: Sowohl die Geschichte des Holocaust wird heute umgeschrieben (Stichworte: „Bombenkrieg“, „Vertreibung“, „Europäisierung des Holocaust“, „nur Hitler war schuld“) als auch die Vorgeschichte und die Nachwirkung bis heute. Sprich: der Antisemitismus als Phänomen sui generis wird gezielt negiert. Jüngstes Beispiel ist Faruk Sen, der türkische Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen. In einem kleinen Kommentar für eine Zeitschrift schrieb er unter der Überschrift „die neuen Juden Europas“:

„Bis zur Mitte des 20.Jahrhunderts war es nicht gerade leicht, Jude zu sein. Es genügt nicht, die bitteren Geschichten der in vielen Ländern – allen voran Nazideutschland – Völkermorden ausgesetzten und vom Rest der Bevölkerung ausgeschlossenen Juden und die zu dieser Zeitspanne gehörende Geschichte der Menschheit zu erzählen.“

Und weiter schreibt dieser Mann:

„Nach dem großen Massaker, bei dem Europa sich von seinen Juden zu säubern versuchte, gibt es 5200000 Türken, die jetzt die neuen Juden sind.“

„Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es nicht gerade leicht, ein Jude zu sein“, wird so dahin gesagt. Etwas flapsige Worte aus dem Mund eines Muslims im beginnenden 21. Jahrhundert, oder nicht? Denn als Muslim spricht er ja, Faruk Sen. Er möchte, wie die Linken, Frauen, Radfahrer, Nichtraucher, Hartz4-Empfänger, so gern Opfer sein WIE die Juden. Das war bereits in der Dankesrede von Alice Schwarzer, welche dieses Jahr unnötigerweise den Ludwig-Börne-Preis hat zugesprochen bekommen, deutlich geworden. Sen sekundiert auf seine Weise den Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer, der seit 2002 „deutsche Zustände“ beobachtet und allerorten „gruppenbezogene Menschfeindlichkeit“ sieht. Er postulierte 2002 dass „Antisemitismus“ „schon länger einen abnehmenden Trend“ aufweise, was besonders grotesk wirkt und sich im Laufe des Jahres 2002 ins Gegenteil verkehrte. Immerhin gab es 2002 eine der heftigsten antisemitischen Kampagnen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, als Jürgen W. Möllemanns Hetze gegen Michel Friedman und Ariel Sharon, Walsers „Tod eines Kritikers“ und die allgemeine Stimmung gegen Israel und für die II. Intifada der Palästinenser sich gegenseitig hoch schaukelten. Heitmeyer hat nun sein Konzept „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ ausgebaut, neben Antisemitismus gibt es zwar weiterhin „Islamphobie“, „klassischen Sexismus“, nun jedoch sogar („deutschen Zustände“, Folge 6, 2008 ) „Obdachlose“ oder auch „die Abwertung von Langzeitarbeitslosen“… Was das mit der jahrtausendealten und sehr spezifischen Judenfeindschaft und zumal mit dem sekundären Antisemitismus nach Auschwitz zu tun hat, wird der Forscher auf ewig schuldig bleiben, zu erklären. Aber für die Banalisierung des Antisemitismus ist sein Konzept prima geeignet.

Bei Sen fällt somit neben der mittlerweile mainstreammäßigen Verharmlosung des Holocaust – ein ganz typisches Muster des sekundären Antisemitismus – Folgendes auf: Für ihn endet die Geschichte der Judenfeindschaft Mitte des 20. Jahrhunderts. Hoppla! Was meint er damit? Ein lapsus orientalis womöglich? Hat er sich verschrieben? Gibt es seit „Mitte des 20. Jahrhunderts“ (eine sehr merkwürdige Zeitangabe) keinen Judenhass mehr? Oder handelt es sich doch eher um einen gezielten, verschmitzt lächelnden antizionistischer Einsatz? Heute ist die Gefahr für Israel und die Juden die größte für eine spezifische Gruppe von Menschen. Kein anderes Land der Welt ist von Vernichtung und Angriff bedroht wie Israel. Kein Mensch kritisiert die Türkei, Österreich, Lettland oder Indien, um hinzuzufügen: Ich akzeptiere aber selbstverständlich das Existenzrecht Österreichs, der Türkei, Lettlands oder Indiens. Kein Mensch macht das. Bei Israel ist es das geflügelte Wort – „Existenzrecht“ – als Gnade oder was? Das UN-Mitgliedsland Iran hat dem UN-Mitgliedsland Israel gedroht, eine „World without Zionism“ herbei zu führen. Seit 1948 musste sich Israel in unregelmäßigen Abständen den Drohungen seiner arabischen Nachbarn erwehren. Seit einigen Jahren kommt nun die reale Drohung aus der Islamischen Republik Iran dazu.

Davon also kein Wort bei Prof. Sen. Den politischen Islam erwähnt er selbstredend gar nicht. Dafür spricht er von sich und allen in Europa lebenden Türken als „den Juden von heute“. Es ist sicher kein Zufall, dass er die Zahl der in Europa lebenden Türken recht penibel mit 5,2 Millionen angibt – eine ähnliche Zahl wie die sechs Millionen ermordeten Juden Europas. Die Perfidie geht noch weiter, wenn man bedenkt, wie er die Shoah erwähnt: als „Massaker“, was mit dem Zivilisationsbruch Auschwitz nichts zu tun hat und auch die Mordaktionen der deutschen Polizeibataillone oder der Wehrmachtseinheiten, des Sicherheitsdienstes (SD), der Schutzstaffel (SS) und ihrer Gehilfen nicht annähernd adäquat in Worte fasst. Massaker gab es in der Geschichte der Menschheit zu viele, in der Tat. Aber der ontologische Bruch aller Gewissheiten menschlichen Zusammenlebens, wie ihn die Shoah offen zeigte, ist un-fassbar. Ein Zivilisationsbruch, wie Diner dezidiert betont. Davon hat Professor Sen keine Ahnung.

Nun bekommt der neumodische „Jude von heute“, Faruk Sen, Unterstützung von einem „echten“ Juden, Sergej Lagodinsky aus Berlin, Sozialdemokrat und Kämpfer für das Gute auf der Welt. Er schreibt:

„Die Singularität des Holocaust steht außer Frage. Doch niemand beharrt auf der Singularität von jüdischen Diskriminierungserfahrungen, davor und danach. Dass zahlreiche jüdische Organisationen weltweit für Menschen- und Bürgerrechte eintreten, speist sich ja gerade aus der Sorge, dass sich die eigene Diskriminierungserfahrung unter anderen Minderheiten wiederholen könnte. Dass Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland genauso wie jüdische Stimmen aus der Türkei ihr Unverständnis über die Reaktionen auf Sens Vergleich geäußert haben, liefert dafür eine Bestätigung.“

Wo sind die Vernichtungsdrohungen gegen Türken? Wo sind die „Protokolle der Weisen von Istanbul“? Wo werden Türken des Ritualmordes beschuldigt? Wo wird die weltweite Verschwörung der Groß- oder Jungtürken verbreitet? Wo wird ein Türke weil er Türke ist, sagen wir in Mallorca aufm Urlaub, halb tot geprügelt? Wo sind die türkischen Schulen, die von Polizisten beschützt werden müssen, weil schon 8jährige Steine nach den jungen Türken werfen? Wo wurde jemals den Türken oder den Muslimen die Entwicklung des Kapitalismus zur Last gelegt? Oder wo wurden Türken der bolschewistisch-kommunistischen Revolte gegeißelt? Wo wird Türken (oder meinetwegen Muslimen insgesamt) unterstellt, sie würden mit ihrer „Künstlichkeit“ und Modernität die organische Verwobenheit der Menschen zerstören?

Nicht zu vergessen die Angst und Sorge (nicht nur) von Juden, an Universitäten, Schulen, auf Veranstaltungen etc. vor ekligen antisemitischen Sprüchen des Establishments, erinnert sei nur an die widerwärtige Story, als nach einer ARD-Talkshow ein beliebter Gast von der Sorte „Stolzdeutscher“ – Hans-Olaf Henkel natürlich – nicht mit Henryk M. Broder Aufzug fahren wollte, weil er mit „einem Juden nicht Aufzug fahren möchte“… Oder die zwischen Absurdität und Drohung oszillierenden Sprüche eines Matussek, der sich darüber aufregt, dass das „Thema“ Holocaust ein „Stimmungskrepierer“ sei auf jeder Party, weshalb er selbst nicht oft an den Holocaust denke.

Hat Lagodinsky sich je schließlich gefragt, welche Bedeutung der Antisemitismus im 19. Jahrhundert für die Konstituierung des deutschen Nationalbewusstseins hatte? Hat er je von den Antisemitenparteien gehört? Hat er eine Ahnung wie viele Juden vor und nach 1848 Deutschland verließen, zumal in Richtung Amerika? Was wäre in Deutschland wohl los, wenn die paar wenigen Juden und ihre Freunde bei Fussballspielen Israels die Israelfahne an ihre Autos klemmen würden? Na? Wieviele tausende türkische Fahnen gab es allein in der Falckensteinstraße und drum herum in Berlin-Kreuzberg bei der Euro 08? Und war das für irgend jemand ein Problem? Selbstverständlich nicht. Die Türken als „die Juden von heute“?

Wer frägt einen x-beliebigen Dönerbudenbesitzer ob er wieder nach „Hause“ gehen würde? Nazis, sicher. Doch die deutsche Bundesregierung mit ihrer pro-Islamkonferenz etwa? Oder die nordrhein-westfälische Landesregierung, die auch nicht gerade bekannt ist für Sprüche gegen Türken? Wer jedoch fragt Juden nicht immer sofort, ob sie oder er nicht in „ihr“ Land wollen? Türken haben in Deutschland kein Problem als Muslim ganz offensiv in Erscheinung zu treten, ob mit Schleier, Kopftuch, Türkeifähnchen, Kettchen mit Halbmond etc. Juden jedoch trauen sich in Deutschland heute kaum, offen eine Davidsternhalskette zu zeigen. Wer mit einer jüdisch-orthodoxen Reisegruppe aus Ortsunkenntnis einen Spontantripp nach Berlin-Neukölln macht oder nach Wedding, wird das im Zweifelsfall bereuen. Juden leben in Deutschland nicht ungefährlich, zumal aus Angst vor Palästinensern, Syrern, Türken, Libanesen oder auch Linksextremen sowie Nazis in Städten wie Hamburg, Köln, Jena oder Berlin.

Der bloße Rassismus ist schrecklich genug, in der Tat. Wer als „nicht deutsch genug“ kategorisiert wird, im Osten oder auch in München, Bremen oder Aachen, wird von Neonazis angegriffen. Doch diese auf Unterordnung basierende Gewaltförmigkeit ist dem Antisemitismus nur am Rande eigen. Der Antisemitismus hat viel mehr Codes, Bilder und Metaphern, er ist ideologisch und sozial-psychologisch viel aufgeladener als bloßer Rassismus. Ja Antisemitismus ist auf einer ganz anderen Ebene situiert als Rassismus. Juden sind für Judenfeinde keineswegs „minderwertig“ wie Schwarze oder andere „Fremde“. Juden wurde historisch und gegenwärtig vielmehr gerade Omnipotenz zugeschrieben. Juden seien der „unsichtbare Feind“, was sie umso gefährlicher mache, hieß es schon Anfang des 19. Jahrhunderts. Wie der „Wert“ als Kategorie der politischen Ökonomie ist es gerade das „Unsichtbare“, was Juden für Antisemiten so suspekt macht, wie beispielsweise Wolfram Stender in einer interessanten Dissertation schon vor einigen Jahren zeigte („Kritik und Vernunft“, Lüneburg 1996). Dass dies nicht für alle bürgerlichen Gesellschaften in gleichem Maße gilt, steht auf einem anderen Blatt. Von all diesen Dimensionen, die hier nur tangiert werden können, haben weder Heitmeyer, noch Sen oder Lagodinsky auch nur den Hauch einer Ahnung.

Das Problem liegt also weit tiefer: Weder Lagodinsky, noch Professor Sen, der nicht gerade überraschend sowohl vom Zentralrat der Juden als auch von Silke Tempel in der Jüdischen Allgemeinen umgehend in Schutz genommen wurde – keine Spur von Antisemitismus sei bei ihm zu finden – befassen sich mit der Erinnerung an die Shoah, der Vorgeschichte des Holocaust und schon gleich gar nicht mit gegenwärtigem Antisemitismus. Der neue Antisemitismus bleibt bislang DIE Leerstelle in der Debatte. Dabei unterstützt Sen diesen ja gleich doppelt gemoppelt: erstens indem er die Shoah banalisiert, als „Massaker“ minimalisiert und total verkennt und zweitens indem er vom politischen Islam schweigt. Der politische Islam jedoch hat ein klares Feindbild: Juden.

Wer heute einen Artikel über die deutsche Unterstützung des iranischen Faschismus und Antisemitismus schreibt muss unverzüglich mit antisemitischen Kommentaren en masse rechnen. Kein anderes Thema als Juden, Israel und Antizionismus/Antisemitismus hat auch nur annähernd eine solche Wirkung ( – am nächsten kommt dem jedoch der Amerikahass).

De facto muss man die Kraft aufbringen, sowohl Hitler-Büsten als auch neumodischere Judenfeinde wie den Iraner Laridschani und seine Hessischen und Berliner Freunde anzugreifen.

Die Juden sind die Juden von heute, nicht die Türken. Israel ist „der Jude von heute“, von Vernichtung bedroht wie die deutschen und europäischen Juden – nicht erst! – ab 1933 auch. Wer die Türken, die Muslime oder wen immer als „die Juden von heute“ herbei fabuliert generiert eine Form des sekundären Antisemitismus. Mit bestem Gewissen. Und als Trendsetter.

„Hitler good – killed Jews“ – Kai Wiedenhöfers palästinensische Freunde und die Diffamierung der Juden als die Nazis von heute

Hitler good – killed Jews“ – Kai Wiedenhöfers palästinensische Freunde und die Diffamierung der Juden als die Nazis von heute, 18. April 2008, www.kritiknetz.de

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Zionismus, Israel und Naturschutz. Zum jüdischen Neujahrsfest der Bäume

Zuerst publiziert auf www.juedisch.at sowie auf SPME.org am 27.01.2008

Ein Schwerpunkt eines 2006 erschienenen Bandes über »Naturschutz und Demokratie« ist die Beziehung des Judentums zu Naturschutz. Mehrere kleinere Beiträge widmen sich diesem Sujet und vor allem ist im Anhang ein historisches Dokument über »Judentum und Naturschutz« aus dem Jahr 1932 erstmals wieder abgedruckt.

Die israelische Landschaftsarchitektin Tal Alon-Mozes geht auf naturschützerische Wurzeln vor der Staatsgründung Israels aus zionistischer Perspektive ein. Sie untersucht drei wichtige Topoi: Erstens den »Mythos von Palästina als Wüstenland«, zweitens den »Mythos, die Wüste zum Blühen zu bringen« und drittens jenen von der»Rückkehr zur Natur«.

Biblische als auch gegenwärtige Konzepte standen/stehen dabei in Konkurrenz. Insbesondere wurde Landwirtschaft gerade als Möglichkeit verstanden, Teil der Natur zu werden, ein moderner Gedanke. Als ein weiteres Beispiel führt sie die Idee Yehoshua Margolins (1877-1947) an, der dafür plädierte, Kindergärten innerhalb von Gärten einzurichten.

Margolin schrieb Bücher und Lehrpläne für Kindergärten bzw. Grundschulen für den Bereich “Naturstudien” und gründete das erste Hebräisch-Pädagogische Institut im Jahr 1932. Henning Eikenberg schließt daran an und berichtet von der Geschichte des Naturschutzes im Staat Israel. Es fällt auf, dass Naturschutz in Israel im Umweltministerium zu ca. 75% nicht vom Staatshaushalt, vielmehr aus Eintrittsgebühren und vor allem Spenden, nicht zuletzt der jüdischen Diaspora, finanziert wird.

Das korreliert mit der Genese des Naturschutzes, der sich bottom-up entwickelt hat und nicht vom Staat initiiert wurde. Wichtig ist z. B. die NGO Society for the Protection of Nature in Israel (SPNI), welche 35 Jahre vor Gründung eines eigenständigen Umweltministeriums (im Jahr 1988) gegründet wurde. Einer der Mitbegründer von SPNI war der Zionist Heinrich Mendelssohn (1910-2002). Er war u.a. in der Weimarer Republik Mitglied der zionistischen Studentenverbindung Kadimah und emigrierte 1933 nach Palästina.

Er war Zoologe und gründete die Tel Aviver Universität mit. Mendelssohn »gilt heute als einer der Gründungsväter des Naturschutzes in Israel«. Alois P. Hüttermann ergänzt dies mit einer kurzen Darstellung von Naturschutz im antiken Israel. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer 70 n. Chr. waren die Juden in wenig fruchtbare Gebiete vertrieben worden. Üblicherweise war es auf engem Raum naheliegend, Kleinvieh zu halten, Schafe, Ziegen etc. Den Rabbinern jedoch war das Kahlfressen der Erde mit der Folge der Desertifikation namentlich durch das Weiden der Ziegen bewusst, weshalb beschlossen wurde, Juden das Halten von Kleinvieh zu verbieten.

So ist es demnach geschehen und die Verwüstung hat nicht eingesetzt, was Hüttermann als mögliche Abwendung der Desertifikation heutiger Zeiten vorschlägt (Beispiele Mauretanien, Iran, China).

Siegfried Lichtenstaedter: »Naturschutz und Judentum« (1932)

Im Anhang des Bandes ist der 48seitige Text Naturschutz und Judentum von Dr. Siegfried Lichtenstaedter aus dem Jahr 1932 abgedruckt. Es ist ein sehr bedeutsames Dokument des deutschen Naturschutzes und handelt sich im wesentlichen um einen Vortrag, den der Autor »im Rahmen der Lehrkurse der jüdischen Gemeinde in München am 4. März 1931 hielt«.

Die Ausgrenzung der Juden im Naturschutz seit 1933, der Holocaust und das Fortwirken der antijüdischen Naturschützer nach 1945 haben dazu geführt, dass dieses Dokument bis heute einfach ignoriert wurde.

Es ist Gert Gröning, Professor an der Universität der Künste in Berlin (UdK), Fachgebiet »Gartenkultur und Freiraumentwicklung«, und einer der Begründer kritischer Forschung zur Geschichte des Naturschutzes und der Freiraumentwicklung im Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, zu verdanken, dass es jetzt dem bewussten, ignoranten oder Juden im Naturschutz derealisierenden Vergessen entrissen wird.

Siegfried Lichtenstaedter, Jahrgang 1865, war von 1898 bis 1932 Beamter und auch als Publizist tätig. Von seinem Erstlingswerk Kultur und Humanität 1897, bis in die Weimarer Republik, z. B. 1926 mit Antisemitica, publizierte er wohl wegen dem Antisemitismus, der im Kaiserreich nicht weniger verbreitet war wie in der Weimarer Republik, häufig unter seinem türkischen Pseudonym »Dr. Mehemed Emin Efendi«.

Lichtenstaedter setzt in Naturschutz und Judentum damit ein, dass der Naturschutz noch nicht alt sei und der Yellowstonenationalpark in Nordamerika von 1872 der erste große Naturschutzpark ist. Der antik-römischen Aversion den Alpen gegenüber – »foeditas Alpium« – stünde heutige Naturliebe entgegen. Die ungemeine Ausbreitung von Steinbrüchen oder die Ausrottung ganzer Tierarten, wie der erst 1741 entdeckten Steller’schen Seekuh (»Borkentier«), die schon 1768 ausgerottet wurde und die Bedrohung von Pflanzen sind dem Verfasser Anlaß zuerst die institutionelle Genese des Naturschutzes zu untersuchen. Neben verschiedenen Gründungen von Organisationen erwähnt er z. B. bayerische Bestimmungen gegen »verunstaltende Reklame« oder Naturschutzgesetze des Mittelalters.

Jedoch gelte bis heute: »Die theoretische Begründung ist ungenügend«. Problematisch ist ohne Zweifel diesbezüglich sein Bezug auf den schweizerischen Naturforscher Paul Sarasin, der sich für den Schutz »bedrohte[r] Menschenrassen« einsetzte. Ähnlich verhält es sich mit seiner Forderung nach einem »linguistischen Naturschutz«, denn es steht doch in Frage, warum Sprache, also menschliche Kultur, dem Naturschutz unterliegen solle. Sehr interessant wird es, sobald Lichtenstaedter auf die jüdischen Gesetze zu sprechen kommt.

Das erste, welches er erwähnt und analysiert, ist zugleich das wichtigste: das Sabbatjahr. Während in der christlichen Vorstellung der siebte Tag lediglich als Ausruhen und Besinnen “auf Gott” verstanden wird, zeigt er wie universeller, pragmatischer und sinnvoller das jüdische Gesetz des siebten Jahres sich anhört:

“So ihr in das Land kommt, das ich euch gebe, so feiere das Land eine Feier des Ewigen. 6 Jahre besäe dein Feld und 6 Jahre beschneide deinen Weinstock und sammele seinen Ertrag ein. Aber im 7. Jahre sei eine Sabbatfeier für das Land, eine Feier des Ewigen; dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weinstock nicht beschneiden. Den Nachwuchs deiner Ernte sollst du nicht ernten und die Trauben deiner ungepflegten Weinstöcke sollst du nicht lesen; ein Feierjahr sei für das Land.’«

Lichtenstaedter kommentiert, dass es zu bezweifeln ist, »ob ein ähnliches Gesetz in irgend einer anderen Religion besteht oder bestand«. Er erwähnt, dass in den 1890er Jahren Geldsammlungen außerhalb Palästinas existierten, um jüdischen Siedlern das Sabbatjahr im Heiligen Land zu ermöglichen.

Es ist ein stolzes Judentum, das sich in Abgrenzung zu bloßem uneingeschränktem Wirtschaften nachvollziehbar so ausdrückt:

»Um wie viel höher steht unsere Thora als das Gewissen der sogenannten Kulturwelt!«

Er analysiert ein weiteres Gesetz aus dem Buch Mose, nachdem junge Vögel bzw. Eier, die mitsamt einem Nest herabgefallen sind, angeeignet werden können, die Vogelmutter jedoch solle frei gelassen werden. Darin handele es sich um einen Schutz der Gattung, denn die ausgewachsene Vogelmutter könne alsbald neue Eier legen, während die hinabgestürzten Jungen bzw. Eier ohnehin verloren seien:

»Wir haben es also hier mit nichts anderem als mit zoologischem Naturschutz zu tun – meines Wissens dem ersten derartigen Gesetze in der Religions- und Kulturgeschichte der Menschheit, soweit uns bekannt.«

Sodann geht er auf das Gesetz »Bal taschchith« ein, »Du sollst nichts ruinieren«, womit insbesondere militärische Belagerungen gemeint sind bzw. Eroberungen. Das nächste Gesetz, das »Vermischungsverbot« ist selbstredend abstrus, es bezeichnet u.a. das Verbot »Kleidung von verschiedenen Stoffgattungen (Wolle und Leinen)« zu tragen.

Auch Lichtenstaedter erscheint das unsinnig, wie die orthodoxe Position, nach welcher der im Jahr 1555 erlassene Codex »Schulchan Aruch« bis heute bestimmend sei. Weder so ein »Versteinerungsstandpunkt« noch ein den Naturschutz als unbedeutsam abwehrender »Verstümmelungsstandpunkt« der jüdischen Tradition gegenüber seien hilfreich.

Vielmehr gelte es ein »Zurück zur Thora« anzustreben, allerdings sieht Lichtenstaedter die Bedingungen für ein offensives Eintreten der engen Beziehung von Judentum und Naturschutz ganz realistisch – 1932 – in einem traurigen Licht:

»Dabei wollen wir durchaus nicht die Schwierigkeiten und Bedenken unterschätzen, die einer Führerrolle des Judentums naturgemäß entgegenstehen. Wie nun einmal die Verhältnisse sind, läge, wollten wir uns in den Vordergrund drängen, der Gedankengang sehr nahe: Wie? Das Judentum predigt den Naturschutz? Also gibt es nur eine Losung: Zerstören, was nur zerstört werden kann, verwüsten, was verwüstet werden kann, vernichten, was vernichtet werden kann!

Hier heißt es also, gewisse Zurückhaltung zu üben, mehr an engere, sittlich höhere Kreise als an die breitere Volksmasse, namentlich zu Zeiten, in denen sie der Verhetzung und Verblödung zugänglich ist, sich zu wenden. Aber das Wichtigste ist für uns überhaupt, dass wir selbst im Geiste unserer Religion handeln.«

Lichtenstaedter schließt seinen Vortrag, indem er sich ganz deutlich gegen die schon zu Weimarer Zeiten allzu laut hörbaren völkischen “Natur- und Heimatschützer” wendet und sagt:

»Mit absoluter Sicherheit darf man behaupten: Der weitverbreitete “moderne”, “patriotische” oder “völkische” Gedanke: “Nur das eigene Volk oder die eigene (anthropologische oder imaginäre, fingierte) Rasse ist wertvoll und daher absolut existenzberechtigt- steht in unversöhnlichem Widerspruche mit der jüdischen Sittenlehre.«

Die nicht-jüdischen, deutschen Naturschützer gingen wie fast alle ganz normalen Deutschen ab 1933 einen anderen Weg. Nicht nur im Naturschutz “fruchtete” die jahrelange Hetze gegen Juden, “Undeutsches” und Judentum.

»Am 25.6.1942 wurde Lichtenstaedter mit dem Transport II/9 von München nach Theresienstadt deportiert. Von den 50 Personen aus denen dieser Transport bestand, wurden 46 umgebracht, vier wurden befreit. Lichtenstaedter selber wurde am 6.12.1942 in Theresienstadt ermordet.«

Gert Gröning/Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.) (2006): Naturschutz und Demokratie !? Dokumentation der Beiträge zur Veranstaltung der Stiftung Naturschutzgeschichte und des Zentrums für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur (CGL) der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit dem Institut für Geschichte und Theorie der Gestaltung (GTG) der Universität der Künste Berlin, München: Martin Meidenbauer.

 

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