Wissenschaft und Publizistik als Kritik

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Für einen besseren Wedding im Jahr 5785

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Es ist eine sehr gute Nachricht, dass die israelische Armee den Führer der Terrororganisation Hisbollah, Hassan Nasrallah, wie Dutzende weitere Führungsfiguren dieser Jihadisten, Islamisten und Antisemiten, ausgeschalten hat. Es gab Jubel darüber bei Kurden wie bei oppositionellen Arabern und Flüchtlingen in Syrien und bei Exil-Iraner*innen. Auch die internationale jüdische Community begrüßt den Tod Nasrallahs, in Israel gratulierten alle Parteien, auch die Opposition, der IDF für diesen großen Erfolg. Immerhin konnte Nasrallah über 30 Jahre als Führer der Hisbollah den Libanon destabilisieren und Israel terrorisieren. Er war quasi der zweite Führer des Iran, als dessen Angestellter er hetzte, mordete und gegen Israel und den Zionismus agitierte.

Man muss wahrscheinlich schon sehr deutsch und sehr grün sein, um darin keine positive Nachricht zu sehen, wie es Annalena Baerbock jetzt wieder zum Ausdruck brachte, indem sie lieber eine Waffenruhe hätte im Libanon, anstatt endlich diese Terrororganisation massiv zu schwächen oder gar wie die Hamas so stark zu dezimieren, dass sie ‘nur’ noch eine Guerilla-Gruppe wäre.

Und so ändert sich die Lage. Noch Mitte August 2024 schrieb ich von der Sorge des Schriftstellers Georg Stefan Troller, der die enorme Gefahr der Hisbollah sah. Jetzt ist sie geschwächt wie nie und nicht nur ihr Führer, sondern ein großer Teil der Führungsriege ausgeschalten. Dazu wurden offenkundig Zehntausende Raketen der Hisbollah durch die israelische Armee unschädlich gemacht.

Sodann griff der Iran mit knapp 200 Raketen Israel direkt an. Diesmal teils mit Raketen die nur 12 Minuten vom Iran bis Israel brauchen und nicht Stunden wie noch Drohnen und andere Geschosse im Frühjahr 2024, als der Iran erstmals Israel mit ca. 300 Raketen direkt angriff und die USA, aber auch arabische Staaten Israel beim Abschuss der Raketen und Drohnen halfen.

Die Süddeutsche und die Deutsche Presse-Agentur sprechen von der Terrororganisation Hisbollah als “Hisbollah-Miliz” und sehen primär Israel als das Problem an, da Israel angreife. Es ist schon unglaublich, dass ein Terrorstaat wie der Iran auch in Deutschland eine Botschaft haben darf, dabei gehört das Regime seit Jahrzehnten isoliert und bekämpft. Gleichwohl mag der Iran jetzt “nervös sein“, wie die Times of Israel schreibt. Denn es wird sicherlich eine israelische Antwort auf diesen in dieser Form noch nie dagewesenen Terrorangriff des Iran geben. Es ist läppisch, wenn Berlin jetzt den iranischen Botschafter einbestellt, er gehört hinausgeworfen mitsamt allen anderen Botschaftsmitarbeiter*innen und der Iran ökonomisch und diplomatisch isoliert.

Israel hingegen gehe es jetzt nicht mehr um Abschreckung und Einhegung, sondern um offensives militärisches Agieren:

After decades of a defensive deterrence and containment strategy, which failed spectacularly, after October 7 Israel finally shifted to the strategic offensive against the Iranian alliance.

Während Israel jedoch in der Lage war, Nasrallah endlich auszuschalten, ist es nicht in der Lage, die Dutzenden Geiseln der Hamas zu finden und zu befreien. Das ist die Tragödie. In Israel ist auch unvergessen, wie die IDF und die israelische Regierung am 7. Oktober 2023 versagt haben, selbst konkrete Warnungen von IDF-Soldatinnen, die nachweisen konnten, wie spezifisch und einen Angriff planend die Übungen der Hamas-Terroristen in Gaza waren, wurden nicht ernst genommen. Das wird alles irgendwann aufgearbeitet werden, kann aber die Katastrophe des 7. Oktober nicht ungeschehen machen.

Der Kern des Problems ist der Antisemitismus, der muslimische Antisemitismus und der linke Antisemitismus. Sie führten zum genozidalen Massaker vom 7. Oktober und extremistische Muslime wie Linke, aber auch weite Teile des Mainstream in der Bundesrepublik, den USA, England und weltweit haben das Massaker verharmlost, gefeiert oder alsbald, nach einen kleinen ersten Schock, kichernd zur Kenntnis genommen.

Der jüngst publizierte Band “Sind Antisemitisten anwesend”, in dem 80 jüdische wie nicht-jüdische Autor*innen Texte zur aktuellen Lage seit dem 7.10. oder Cartoons veröffentlichten, bringt einige wichtige Gedanken zum Ausdruck. So heißt es zum Beispiel über einen der drei Herausgeber*innen, der offenbar eine gewisse und typische, sehr wohl herzenswarme Naivität womöglich fast bis zum 7. Oktober sich erhalten hatte:

Heiko Werning ist in Westdeutschland aufgewachsen. Juden kannte er, ebenso wie Muslime und Migranten, in seiner Heimatstadt Münster nur aus dem Schulunterricht oder den Fernsehnachrichten. Als er vor über dreißig Jahren zum Studium nach Berlin zog und dort im Wedding landete, änderte sich das schlagartig. Plötzlich war er umgeben von muslimischen Mitmenschen, hier konnte er seine bis dahin rein theoretisch formulierte Überzeugung, jedem Menschen möglichst vorurteils- und diskriminierungsfrei zu begegnen, in der Praxis erproben. Schnell hat er seine Grundannahme bestätigt gefunden, dass es auch unter migrationshintergründischen Menschen die übliche Mischung aus liebenswürdigen Zeitgenossen, Trotteln und echten Arschlöchern gibt. Also genau wie bei den Urdeutschen seiner westfälischen Heimat, den indigenen Berlinern der x-ten Generation und den ganzen Migranten aus Schwaben, Niedersachsen oder gar aus der Zone. Und weil das so ist, hat er seine muslimischen Nachbarn stets leidenschaftlich in seinen Texten gegen die grassierende Ausländer- und Islamfeindlichkeit verteidigt. Wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte unter aufgeklärten, nicht-ewiggestrigen Zeitgenossen. Umso mehr irritierte ihn zusehends die Beobachtung, dass genau diese Zeitgenossen aber mitunter ganz merkwürdig wurden, wenn es um Juden ging.

(Lea Streisand/Michael Bittner/Heiko Werning (2024a): Vorwort, in: Dies. (Hg.), Sind Antisemitisten anwesend? Satiren, Geschichten, Cartoons gegen Judenhass, Berlin: Satyr Verlag, S. 9-25, hier S. 21f.)

Diese Irritation hatten immerhin einige seit exakt jenem Dienstag, dem 11. September 2001. Daher mein kurzer Kommentar mit so weitreichenden analytischen Folgen von September 2002 in den Gewerkschaftlichen Monatsheften, regelmäßige Leser*innen meiner Homepage kennen ihn schon längst:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.

Mich erinnert Heiko Wernings Situation im Wedding zudem an einen Besuch im Wedding im Jahr 1986, ich war logischerweise noch ein Schüler. Es gab noch unweit die Mauer und natürlich den Palast der Republik, also nicht im Wedding, aber im Osten der Stadt, doch im Wedding gab es ‘linke’ oder auch esoterische WGs, wo es heftige Konflikte gab. In unserer Urlaubs-WG residierte eine Gruppe, vermutlich Marxisten, K-Grüppler, Esoteriker oder/und Sozialpädagog*innen, der männliche Vorbeter mit Bart (kein Muslim) und beim Abendbrot hielten sich alle an den Händen und sagten (das ist kein Witz, das waren die 80er Jahre im Wedding):

Piep piep piep wir haben uns alle lieb und jeder isst, was er kann, nur nicht seinen Nebenmann.

Das war natürlich Bullshit, da ja auch Frauen anwesend waren. Also gab es vor dem Essen eine intensive Diskussion über inklusive Sprache, Frauen wurden dann inkludiert (“nur nicht seinen Nebenmenschen”), aber das wiederum war speziezistisch, da auch ein Hund im Raum war, der auch nicht gegessen werden wollte. Es war kompliziert und es dauerte, bis die Gruppe anfangen konnte zu essen, wir Gäste, die nicht Teil dieser Selbstfindungsgruppe waren, hatten da schon längst gegessen und waren schon beim Dessert (Schokopudding mit Sahne, es waren die 80er Jahre im Wedding).

Jedenfalls gab es schon damals im Wedding Probleme, aber nicht solche wie heute. Es war relativ harmlos, es war die BRD. Es war West-Berlin, bundeswehrfreie Zone.

Das änderte sich am 9. November 1989, seitdem ist nichts mehr harmlos. So schön es schließlich war, ein autoritäres Regime loszuhaben, damals, so schrecklich ist das, was danach kam. Wer möchte das ernsthaft bestreiten. Und man konnte vieles von dem, was seit 1989 passierte, fast erahnen, nicht nur die Nazi-Welle der 1990er Jahre, sondern auch 9/11 und den Krieg gegen die Juden und Israel. All das war bis 1989 eingehegter.

Zuletzt hetzten im Wedding wieder antisemitische Muslime und ihre Freund*innen gegen Israel.

Heutzutage gibt es kaum noch “liebenswürdige Zeitgenossen”, kaum noch bloße “Trottel”, dafür fast nur noch “echte Arschlöcher”…

Shana Tova u-metuka! Das Jahr 5785 wird ein besseres werden. Venceremos.

Am Israel Chai.

Georg Stefan Troller über Israel und die Welt oder: Will Netanyahu den Selbstmord Israels?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

In einem sensationellen Feuilleton-Gespräch mit dem 102-jährigen Georg Stefan Troller in Paris durch den Journalisten Harald Wieser und seinem ZEIT-Kollegen Moritz Aisslinger in der Ausgabe der ZEIT vom 15. August 2024 geht es um das “Jahrhundertleben” Trollers, seine Flucht vor den Nazis, seine Rückkehr mit den Amerikanern 1945, sein Leben in Paris, seine 200 Filme, über die Gefahr der AfD, des Rechtsextremismus und von Trump hin zu Trollers Menschenkenntnis und der Art seines Zugangs zu den Leuten, gerade den ‘einfachen’, jenen aus dem ‘Block’ oder der Gosse, wo er, wie er betont, weit mehr Einsichten in die menschliche Existenz erfuhr, als im Gespräch mit den Schönen und Reichen oder Berühmten.

Ein Interview, das man gelesen haben sollte, wenn man über das zwanzigste und das beginnende einundzwanzigste Jahrhundert sowie Grundfragen des Menschseins mitreden möchte.

Ich möchte hier nur auf eine Stelle eingehen, die natürlich realpolitisch besonders wichtig ist. Auf die Frage, ob es eine “Aussicht auf eine Lösung” des Konflikts mit der Hamas im Gazastreifen geben könnte, sagt Georg Stefan Troller:

Solange Netanyahu an der Macht ist, sehe ich keine. Er will den Konflikt nicht lösen, sondern verschärfen. Es wird nicht gelingen, die Hamas auszuradieren. Es braucht einen Kompromiss, doch daran ist Netanyahu nicht interessiert. Was mich am meisten beunruhigt, ist die Hisbollah, die es gar nicht erwarten kann, Israel anzugreifen. Ich war ja als Reporter beim Jom-Kippur-Krieg dabei und habe diese Nation im Kriegszustand kennengelernt. Man denkt, dass die Menschen dort zu gescheit sind, um Selbstmord zu begehen. Aber was im Moment passiert, ist der Selbstmord Israels vor der Welt. Sie haben all die Sympathien verloren, von denen sie früher gelebt haben.

Dieses Zitat ist von noch viel größerer Bedeutung, als viele es vielleicht ermessen. Denn weiteste Teile der Pro-Israel Szene in Deutschland sind weitgehend ignorant, was die scharfe Kritik an Netanyahu betrifft und was die Tatsache meint, dass er ja hauptverantwortlich ist auf israelischer Seite, dass es zu dem genozidalen Massaker der Hamas an 1200 Jüdinnen und Juden und dem Verschleppen von 251 Geiseln am 7. Oktober 2023 kommen konnte.

Er trägt dafür bis zum Ende seiner Tage die politische Verantwortung und ein seriöser Politiker wäre umgehend zurückgetreten im Oktober 2023.

Dass Netanyahu aber nicht seriös, sondern rechtsextrem ist, zeigte sein Verhalten das ganze Jahr 2023 bis zum 6. Oktober. Er wollte eine “Justizreform” mit aller Gewalt durchboxen und die Gewaltenteilung de facto aushebeln. Das plante oder plant er mit seinen noch weit rechtsextremeren Kräften wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir oder Finanzminister Bezalel Smotrich wie auch Justizminister Yariv Levin.

Pogrome gegen Palästinenser, bei denen die IDF wie vor wenigen Tagen einfach zuschaut, wie Autos oder Gebäude angezündet oder gar Menschen ermordet werden, erschüttern die Regierung in Jerusalem überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit in Israel ist weit kritischer und verlangte 2023 den Rücktritt des “Kriminellen” Netanyahu, der im Kern, jedenfalls bis 2023, nur Opportunist war. Doch seit der Debatte um die Justizreform und seine juristischen Probleme, die er mit der Ausschaltung der Gewaltenteilung auf seine Weise lösen wollte, wurde auch Bibi immer rechtsextremer. Er persönlich hat Israel weltweit isoliert wie wohl kein anderer Regierungschef und keine andere Regierungschefin in Israel seit 1948.

Dass viele Regierungen, namentlich im Globalen Süden, aber auch in Teilen von Europa und der EU, antizionistischen Antisemitismus goutieren oder gar befördern, kommt noch dazu. Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Denn auch wohlwollende Länder, vorneweg die USA, wurden durch das Auftreten und das völlig unkritische Verhalten gegenüber eigenen massiven Fehlern wie von Netanyahu, stark irritiert. Israel hat Besseres verdient als seine aktuelle Regierung, wobei auch das in der Tat dialektisch zu sehen ist, da die Regierung ja gewählt wurde und somit ein Großteil der Bevölkerung ähnlich rechtsextrem denken dürfte wie Netanyahu und seine Regierung. Davor kann man ja nicht die Augen verschließen.

Wenn ich immer die Ankündigungen zu Vorträgen oder Seminaren, Workshops oder Konferenzen der “Pro-Israel-Szene” in Deutschland sehe, ist das fast immer das gleiche langweilige Suhlen im “Wir sind wirklich die Guten!” Was für eine Leistung angesichts der Hamas und des Jihad. Aber zur enormen Gefahr, die Netanyahu für den Zionismus und Israel darstellt, sagten die meisten dieser Leute weder im Jahr 2023 vor dem 7. Oktober Substantielles, noch die Jahre zuvor und schon gleich gar nicht seit dem 7. Oktober 2023.

Die Art und Weise wie gerade Bibi Pro-Israel Politiker*innen in den USA vor den Kopf gestoßen hat, ist unerträglich und hat wohl so viel Schaden angerichtet wie wenig sonst in den bilateralen Beziehungen dieser beiden Länder. Die USA sind das Schlüsselland, was die militärische und diplomatische Hilfe für Israel betrifft – und zwar für alle Zeiten, denn solche Kriegsschiffe, solche geheimdienstlichen wie politisch-diplomatischen Möglichkeiten, wie sie die USA haben, wird Israel nie haben können, das weiß jeder, der oder die noch einen Bezug zur Realität hat.

Nur weil Israel von religiös-fanatischen arabischen Staaten ohne Demokratie und mit verschleierten Frauen umgeben ist, heißt das noch lange nicht, dass Israel selbst eine fabelhafte Demokratie ist, nur weil es dort freie Wahlen und keine dermaßene Frauenverachtung gibt wie in allen arabisch-muslimischen Staaten mit Kopftuchzwang und dem Propagieren oder Dulden von Burka oder Nikab (die auch in Europa bis auf Frankreich, Belgien, Dänemark, Österreich, Holland, Norwegen, Italien nirgendwo verboten sind), vom islamofaschistischen Regime in Teheran nicht zu schweigen.

Netanyahu war schon vor dem 7. Oktober 2023 zur politisch-kulturellen Katastrophe des Landes geworden und seitdem hat er das noch um ein Vielfaches verschärft. Er persönlich ist verantwortlich dafür, dass die Hamas dieses Massaker ohne nennenswerte Gegenwehr der IDF und der Polizei verüben konnte, weil er die militärischen Kräfte ins Westjordanland zu den rechtsextremen Siedlern verlegt hatte und Warnungen über die Hamas nicht ernstnahm. Ein Untersuchungsausschuss wird das die nächsten Jahre alles offenlegen, aber Israel hat nicht so viel Zeit. Das Vertrauen, das Netanyahu gerade in den USA verspielt hat, ist schwer in Worte zu fassen. Dabei ist Joe Biden ein Zionist und hat sich eisern hinter den Judenstaat gestellt. Aber das Taktieren von Netanyahu mit den Verbrechern der Hamas schadet nicht nur den Geiseln, sondern auch der internationalen Reputation Israels, die es in vielen Jahrzehnten mühsam aufgebaut hatte.

Mögen die weisen, oben zitierten Worte des scharfsinnigen Georg Stefan Troller Wirkung zeigen und möge Israel endlich einen neuen Weg beschreiten, ohne Netanyahu. Im Namen des Zionismus braucht Israel einen Neuanfang und das endlich ohne diesen unerträglichen und extrem gefährlichen Benjamin Netanyahu.

Zum Schluss nochmal Georg Stefan Troller aus dem Gespräch mit Harald Wieser und Moritz Aisslinger:

Zeit: Charlie Chaplin hat, als er auf die 90 zuging, gesagt: ‘Ab einem gewissen Alter tut auch die Freude weh.’ Würden Sie zustimmen?

Troller: Bei mir ist es andersherum: Je älter ich werde, desto positiver schaue ich auf die Welt, trotz aller Düsternisse. Im Großen und Ganzen könnte man sagen, ich bin als Pessimist gestartet und habe mich über tausend Hindernisse zum Optimisten entwickelt. Das finde ich als Fazit nicht schlecht.

 

Enttäuscht, aber nicht überrascht …

Von Dr. phil. Clemens Heni

Update, 30. Juli 2024

Wer frühzeitig Nietzsche, Montaigne, Horkheimer, Günther Anders (“Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an?”) oder Adorno gelesen hat, sagen wir mit 18 oder 19 Jahren, wird vom Leben zwar enttäuscht sein können, aber nicht überrascht.

So ergeht es womöglich auch diesem Hund auf einem Aufkleber in der Heidelberger Weststadt:

Disappointed, but not surprised.

Foto: privat

Drei Mega-Krisen der letzten Jahren mögen die Gemütslage des kleinen Hundes verdeutlichen: Die Corona-Pandemie/Corona-Politik, der Ukraine-Krieg und der weltweite antisemitische Krieg gegen Israel und die Juden.

Wer vor einigen Wochen den Vortrag von Prof. Michael Wolffsohn in Heidelberg am Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) über die 3000jährige Geschichte des Antisemitismus hörte, war ob des heutigen Antisemitismus enttäuscht, wütend und angewidert, aber nicht überrascht.

Der Antisemitismus der UN-Palästinenserbeauftragten Francesca Albanese, die jüngst mit zwei Bildern Hitler mit Netanyahu verglich, ist widerlich und politisch höchst gefährlich, aber er überrascht nicht, da die Vereinten Nationen eine Ansammlung auch vieler antisemitischer Staaten und übelster Mitarbeiter*innen ist und das seit Jahrzehnten.

Es ist widerlich und politisch höchst gefährlich, dass ein antisemitischer und islamistischer Terrorstaat wie der Iran bei den Olympischen Spielen in Paris dabei sein darf, aber es überrascht nicht bei einer Sport-Weltgemeinde, die auch die FIFA umfasst, die 2022 die Fußball-WM im islamistischen Terrorstaat Katar durchführte, wo einige der führenden Hamas-Terroristen ein Luxusleben führen.

Moderate und anti-islamistische Palästinenser wie Hamza Howidy spielen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle, Antisemiten hingegen wird immer wieder Raum gegeben, es wird äquidistant bis wohlwollend über sie berichtet und Universitäten sind äußerst zurückhaltend, Doktoranden oder Studentinnen, die als Hamas-Freund*innen oder -Verharmloser*innen berüchtigt sind, von der Universität zu werfen und zwar hochkant.

Doch auch hier gilt, dass unser enttäuschter Hund zwar angewidert sein mag von solchen anti-israelischen Hetzer*innen, die alles sind, nur nicht “Pro-Palästina”, aber nicht überrascht.

Doch es geht noch viel weiter, denn die Welt hat noch viele andere Konflikte, ja existentialistische Grundfragen zu bieten, die zu stellen vielen schon schwer fällt. So sind viele, die gegen Antisemitismus und Antizionismus aktiv sind, plötzlich blind, was den komplexen Krieg in der Ukraine betrifft und verwerfen seit dem Frühjahr 2022, als eine diplomatische Lösung und ein kompletter Rückzug Russlands greifbar waren, jedwede Kritiker*in an Waffenlieferungen an Kiew als “Putinversteher”, denn das Motto ist zwar nicht bei der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, aber bei den Herrschenden ganz klar: “Nie wieder Krieg ohne uns…“.

Dabei ist die Kritik am Putinismus von höchster Bedeutung, nicht zuletzt für meinen Verlag, die Edition Critic. Die FAZ schrieb im Dezember 2023:

In den Lehrmitteln für das neue Hochschulpflichtfach „Grundlagen der russländischen Staatlichkeit“ wird die Entscheidung zur Kinderlosigkeit als „Todeskult“ bezeichnet. Präsident Putin selbst kritisiert regelmäßig die Haltung des „Für-sich-Lebens“ als Ausdruck westlichen Egoismus, der der sozial orientierten Zielsetzung des Staatsaufbaus widerspreche. Das Aufbrechen des binären heterosexuellen Rahmens ohne reproduktive Verantwortung wird als „Bedrohung“ für die nationale Sicherheit angesehen. LGBTQ-Vertreter und Feministen werden als „Agenten des Westens“ und „fünfte Kolonne“ stigmatisiert und zu Extremisten erklärt.

Das betrifft somit auch die Edition Critic und die Autorin Verena Brunschweiger mit ihrem wegweisenden Band “Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!“:

Ironischerweise treffen sich bei der rabiaten Abwehr kinderfreier Intellektueller oder unorthodoxer und weltlicher künstlerischer Darstellungen, wie einer lockeren Interpretation des Bildes “das letzte Abendmahl” von Leonardo da Vinci bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris am 26. Juli 2024, der Vatikan, rechtsextreme französische Politiker*innen, spanische Reaktionäre, Victor Orbán (“moralische Leere des Westens“), Magazine wie “Tichys Einblick”, die russische Orthodoxe Kirche und viele andere Traditionalisten, Reaktionäre oder Rechte.

Update: Laut Aussagen des künstlerischen Direktors der Olympia-Eröffnungsfeier war gar nicht jenes Bild von da Vinci gemeint, sondern eine antike griechische Analogie:

Thomas Jolly, der künstlerische Direktor der Eröffnung, hat inzwischen bestätigt, dass die kritisierte Szene ein antikes griechisches Bacchanal darstellen sollte und äußert sich verwundert über den Mangel an Bildung, der sich in der Kritik daran spiegelt. Kurienerzbischof Vincenzo Paglia hatte von der „blasphemischen Verspottung eines der heiligsten Momente des Christentums“ gesprochen, und der deutsche Sportbischof Stefan Oster fuhr auf X (ehemals Twitter) noch schwereres Geschütz auf.

Gleichwohl machen sich reaktionäre Katholiken und Christen sehr lächerlich mit ihrer Diffamierung dieser lustigen Szenerie.

Es ist frappierend, wenn Ungarn oder Russland den “Untergang des Westens” verspüren angesichts einer weltoffenen und dem französischen Ideal der Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit verpflichteten Eröffnungsfeier der Olympiade.

1968 wurde die linke Analyse des Kapitalismus und einer herrschaftsförmigen Angepasstheit, die sich revolutionär dünkte, breit diskutiert, auch wenn solche SDS-Protagonisten (Männer) oft selbst Tyrannen wie Mao oder antiisraelischen 68ern wie Rainer Langhans huldigten und von Feminismus so was von gar keine Ahnung hatten und Frauen an den Rand drängten oder benutzten. Themen waren damals und sollten es bis heute sein, “repressive Toleranz” (Herbert Marcuse) oder “repressive Entsublimierung” (Reimut Reiche aus Esslingen am Neckar).

Der Spiegel (Rudolf Augstein persönlich) schrieb 1968:

Wenn die Unzucht mit gleichgeschlechtlichen oder mit beliebig vielen Erwachsenen oder auch mit Tieren nicht länger strafbar, wenn die Pille rezeptfrei, die Ehescheidung Formsache, die Abtreibung erlaubt wäre, wenn Verhütungsmittel überall angepriesen und Sex-Partys ohne Furcht vor dem Staatsanwalt veranstaltet werden dürften; wenn die Arbeitszeit auf vier Stunden täglich verkürzt, der Arbeitslohn verdoppelt und die Sexual-Aufklärung zum beliebtesten — oder auch langweiligsten — Schulfach avanciert wäre: hätte die sexuelle Befreiung dann stattgefunden, oder, anders herum, könnte von einer »sexuellen Unterdrückung im Spätkapitalismus« dann noch die Rede sein?

Liest man die Schrift von Reimut Reiche, dem heute 27jährigen SDS-Vorsitzenden von 1966 auf 67, so möchte man daran zweifeln. Sie betitelt sich »Sexualität und Klassenkampf — Zur Abwehr repressiver Entsublimierung«.

Die Gesellschaft in der Bundesrepublik, so erklärt uns Reiche, ist, solange kapitalistisch, notwendig eine. die verhindert, daß die Menschen je die Freiheit erlangen, ihre sexuellen Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln. Vielmehr bleibt diese Freiheit, wenn auch in recht verstümmelten Erscheinungen, ein Privileg der Herrschenden.

Die Boulevard-Presse im Jahr 2024 fabuliert angesichts der frivolen oder aber freiheitlichen Darstellung des “Abendmahls” auf der Pariser Olympiaeröffnung dann auch vom “Woke-Wahnsinn”, hier ist keinerlei Dialektik oder Kritik mehr vorhanden:

 

Im Gegensatz zu frauenverachtenden Ländern ist es in Frankreich verboten, als Sportlerin ein Kopftuch zu tragen, was Amnesty International so was von auf die Palme bringt.

Ein Kopftuch ist kein Recht, sondern eine frauen- wie männerverachtende Zwangsmaßnahme. Nur Frauen mit extrem wenig Selbstbewusstsein und vor allem mit reaktionären Vätern, Ehemännern, Brüdern, Cousins und natürlich reaktionären Müttern haben Panik, dass Männer oder Frauen (lesbische!, bisexuelle!) Ihr Haar sehen und dadurch durchdrehen oder sich sexuell nicht im Griff hätten, wenn sie das Haupthaar einer Frau sehen.

Selbstredend wäre es noch besser gewesen, wenn die Organisator*innen der Eröffnungsfeier eine scharfe öffentliche Kritik am Islamismus geübt hätten, der in Frankreich ja überall zu finden ist wie auch der muslimische Antisemitismus.

Doch – nächste Paradoxie, enttäuschend, aber nicht überraschend -, gerade viele Aktivist*innen aus dem Pro-Israel Lager haben auch ein Problem mit Gender oder Religionskritik oder “woke”. Dabei wissen sie, dass es doch viele LGBTQI-Aktivist*innen gibt, die zionistisch sind und Unterstützung dringend nötig haben, da eben Queers for Palestine (=Selbstmord) immer noch sehr stark und super aggressiv sind, wie ein antisemitischer Mob in Berlin auf einer Soliparty vor wenigen Wochen zeigte:

Allerdings zeigt der Vorfall auf der Soliparty, wie tief sich miefiger antisemitischer stalinistischer Sowjet-Agitprop festgefressen, queeren Aktivismus gar gekapert hatnicht nur in der Berliner Szene. Auch beim Dyke March in New York fühlen sich jüdische Lesben nicht mehr sicher und machen nun getrennte Veranstaltungen, wie das Portal „Mena-Watch“ berichtete. Die Organisatorinnen des US-Pendants solidarisierten sich offen mit antisemitischen Gruppen und sammelten gar Geld für diese.

Sehr viele Leute schaffen es nicht, mehrere gefährliche Tendenzen in der Gesellschaft gleichzeitig zu hinterfragen. Viele waren entweder für Israel oder gegen die irrationale Coronapolitik und ignorierten die israelische Kritik an der Coronapolitik, die es unter Fachwissenschaftler*innen wie Aktivisti*innen 2020 bis 2023 sehr wohl gab, Stichwort “Pandemic Turn“.

Wieder andere hatten ein klares Gespür für die Absurdität der Coronapolitik, aber badeten dafür jeden Morgen bauchnabeltief in antisemitischer Brühe und prahlten damit auch noch.

Und nochmal andere sind zwar gegen Antisemitismus und sogar gegen den konservativen Backlash, aber hegen doch tiefe Ressentiments gegen ihre kinderfreien Nachbarn, vor allem gegen die Frauen, dabei gibt es derer immer mehr – vorneweg Kamala Harris. Das wäre eine Überraschung, wenn auch Amerika endlich einmal eine Frau als Präsidentin hätte und noch dazu eine unkonventionelle, jedenfalls was die doch lebensprägende Frage nach einem eigenen Kind, der narzisstischen Delegation betrifft.

Trump dreht schon jetzt durch und wütet gegen Abtreibung und setzt die Lüge in den Raum, dass Harris Kinder töten wollen würde. Er hat aber gleichwohl und seit Jahren auch in der Pro-Israel Szene viele Freund*innen, nicht zuletzt in der Bundesrepublik.

Und wieder andere sind kinderfrei und gegen Waffen für die Ukraine, aber auch ohne jede Moral und Ethik und schließen sich dem säkularen Jihad gegen den Judenstaat an, während manche Schwule sich für $100.000 eine Leihmutter in den USA kaufen (aus Kolumbien zum Beispiel) oder Lesben die Pointe des Lesbisch-Seins verpassen und selbst unbedingt Mama werden wollen… Da würde unser Hund dann wohl schon sagen:

enttäuscht und überrascht.

Schließlich gilt es in Zeiten von Gentechnik und Klimawandel, fehlendem klarem Wasser für Millionen Menschen, KI-Überwachungskapitalismus, der auch auf der Eröffnungsfeier der Olympiade gefeiert wurde, eine zukünftige Gesellschaftskritik zu antizipieren.

Eine solche Gesellschaftskritik würde sich sowohl gegen Antizionismus und Antisemitismus in all seinen Formen einsetzen. Zugleich würde sie Herrschaftstendenzen wie die herkömmliche Familienideologie, den Natalismus wie auch den autoritären Glauben an technische und posthumanistische Lösungen, KI und High-Tech in Frage stellen.

Darüberhinaus würde eine solche Gesellschaftskritik den Irrationalismus der Corona-Politik wie Lockdowns, Maskenpflicht, das totalitäre 2G oder gar das geradezu religiöse Anbeten eines ‘Impfstoffs’, der gar keiner ist, sondern eine “Gentherapie” (so die Firma Bayer ganz ehrlich), attackieren und eine scharfe und luzide unabhängie Aufarbeitung der Corona-Vergangenheit einfordern. Denn was nicht aufgearbeitet ist, kann sich wiederholen …

Und natürlich würde eine solche zukünftige Gesellschaftskritik die brüllenden (Talkshow-) Absagen an eine diplomatische Lösung wie beim Ukraine-Krieg scharf kritisieren und sich gegen Putin, gegen Waffen für die Ukraine und allgemein für Emanzipation, Individualität und Freiheit einsetzen, ohne naiv pazifistisch herum zu dümpeln, da zum Beispiel Waffen für Israel existentiell wichtig sind. Man kann gegen die NATO-Osterweiterung sein und für Israel, dazu braucht man nur etwas Fantasie und rationales Denkvermögen.

Eine Welt ohne Waffen und ohne Militär wie ohne Grenzen ist in vielen Teilen der Welt vielleicht eine Utopie, doch in Nahost würde es den Genozid an den Juden bedeuten (“Die Juden ins Meer treiben”, wie viele Araber nicht nur früher immer dachten und sagten).

Die Welt ist also schlecht und die Menschheit übel. Und doch liegt in solcher Anthropologisierung immer auch die Entpolitisierung, da es egal sei, ob mann oder frau was macht oder nicht. Doch das ist ein Trugschluss.

Denn schließlich hat sicher jeder Hund auch solche Momente:

glücklich und überrascht…

 

 

Vom aristotelischen Drama hin zum Nationalismus? Politikwissenschaftliche und sportwissenschaftliche Kritik an der Löschung von nationalismuskritischem Video der Bundeszentrale für Politische Bildung, mit Anmerkungen über das NS-Thingspiel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 13. Juli 2024

Den größten nationalistischen Taumel bei der EURO24 veranstalteten bislang sicher die türkischen Fans. Das Zeigen des rechtsextremen „Wolfsgrußes“ störte viele Fans gar nicht, ja Tausende zeigten den Gruß wenig später ebenfalls. Dabei sind die Grauen Wölfe die größte rechtsextreme Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, wie der Verfassungsschutz festhält:

Rechtsextremismus stellt in Deutschland eine der größten Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Kernelemente rechtsextremistischer Agitation – wie ein übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus – prägen auch die Ideologie der türkischen „Ülkücü“-Bewegung.

Ihre in Deutschland mehr als 12.000 Anhänger, die „Ülkücüler“ oder auf Deutsch „Idealisten“, sind bislang umgangssprachlich eher als „Graue Wölfe“ (auf Türkisch „Bozkurtlar“) bekannt.

Gleichwohl steckt natürlich im Wörtchen “übersteigert” auch schon die nationale Falle drin, denn gibt es zumal in Deutschland oder auch in der Türkei einen nicht übersteigerten, also harmlosen “Nationalismus”?

Der Autor Burak Yilmaz sagt in einem Interview mit der ARD-Sportschau:

Der Wolfsgruß war bei Feiern nach den Siegen der Mannschaft bei der EM praktisch in jeder größeren deutschen Stadt zu sehen. Die “Grauen Wölfe” nutzen den Fußball, um neue Anhänger zu finden. Im Umfeld der Spiele der Nationalmannschaft versuchen sie, ihre Symbole zu normalisieren. Merih Demiral hat mit dem Gruß bei seinem Torjubel maßgeblich dazu beigetragen.

Nationalismus und Islamismus sind Kennzeichen der Grauen Wölfe und sie ergänzen auch im Sport und der Fanszene weitere Formen des Islamismus wie die seit Jahren verstärkte Verschleierung von Frauen und insbesondere antisemitische Demonstrationen und Kundgebungen von türkischen Rechtsextremisten in Deutschland („Innenministerium alarmiert über Antisemitismus unter türkischen Rechtsextremen“, Der Spiegel, 10. November 2023) seit den Massakern der Hamas und des Islamischen Jihad am 7. Oktober 2023 im Süden Israels an 1200 Zivilistinnen und Zivilisten sowie dem Entführen von 240 Menschen durch die Hamas, wovon bis heute über 100 gefangen gehalten werden (und Dutzende schon tot sein könnten).

Über die Beziehung des Influencers Tarek Baé zum türkischen Nationalismus wie zum Antisemitismus und zu den Grauen Wölfen berichtete das ZDF. Die Anwesenheit des türkischen Präsidenten Erdogan beim Spiel Niederlande gegen die Türkei in eben jenem Berliner Olympiastadion war ein weiterer Tiefpunkt der EURO24 und ohne das sehr gute Spiel der Holländer wäre die Türkei (2:1 für die Niederlande im Viertelfinale) weiterhin im Turnier. Die massiven Demonstrationen von türkischen Fans auf deutschen Straßen zeigen die enorme Mobilisierung von Nationalismus gerade im Kontext von Sportereignissen und namentlich bei Fußball-Events. Die „Werde Deutscher, bleibe Türke“-Ideologie der Grauen Wölfe und türkischer Nationalisten wie Islamisten ist eine sehr große Gefahr für die Demokratie, worauf die Amadeu Antonio Stiftung 2020 hinwies.

Zwar wurde der türkische Rechtsextremismus und das Zeigen des Wolfsgrußes von der UEFA sanktioniert – der Spieler bekam aber nur eine Sperre von zwei Spielen -, doch im Alltag ist die Ideologie des Grauen Wölfe offenkundig weit verbreitet, es gab jedenfalls keine Massendemonstrationen von Türken in Deutschland gegen die Grauen Wölfe auf der EURO24.

Viele nationalismuskritischen Fußballfans wie Ultras werden froh sein, wenn die EURO24 am Sonntagabend wieder zu Ende gehen wird. Manche Fans sahen schon zu Beginn der EURO24 das Problem von nationalen Wettkämpfen, wie Fans des FC St. Pauli:

Wer als Patriot*in losläuft, kommt als Faschist*in ins Ziel“

 

Wenn nun Zehntausende englische Fans am morgigen Finaltag in Berlin im Spiel gegen Spanien wieder singen werden, wie nur Engländer in Fußballstadien singen, dann wäre es vielleicht eine letzte Möglichkeit, mit dem Song „Ten German Bombers“ dem alten Nazi-Stadion („Olympiastadion“) einen letzten Gruß zu geben.

Die taz schrieb Anfang Juni 2006, noch vor Beginn der WM, die mit Kampagnen wie “Du bist Deutschland” seit Monaten Stimmung gemacht hatte für ein stolzes Deutschland, Folgendes über die antideutsche Adaption dieses beliebten englischen Fansongs – eine Version des Songs von der Band Egotronic um Torsun (1974-2023) kann man hier hören -:

Der 32-jährige Torsun hatte seine erste Punkband mit 13 Jahren und ist ein Kind der hessischen Autonomenbewegung von Anfang der 90er-Jahre. Sein Ziel ist es, irgendwann von der Musik zu leben. Heute singt er im Berliner Elektropopduo Egotronic, deren Texte zwar weitgehend unpolitisch sind, die sich aber trotzdem dem kommunistisch-israelsolidarischen „antideutschen“ Teil der deutschen Linken zuordnen. Ausgerechnet die bevorstehende Weltmeisterschaft, die er wegen des wachsenden Nationalgefühls in Deutschland verabscheut, und eine musikalische Koalition mit den englischen Fans haben ihn nun seinem Musikertraum näher gebracht. Denn seine Techno-Coverversion des provokanten englischen Fangesangs „Ten German Bombers“ erscheint heute auf dem Fußballparty-Sampler „Die Weltmeister – Hits 2006“. Gemeinsam mit Jürgen Drews’ Hit „FC Deutschland“ und Diana Sorbello, die auf dem Cover ihrer Solo-CD in Ballmusterbikini vor der Deutschlandflagge posiert.

Der Song „Two World Wars and One World Cup“ passt ebenfalls zum morgigen Spiel, auch wenn der Gegner Spanien heißt, es findet schließlich im Nazi-Stadium in Berlin statt:

Dass gerade die englische Fußballvereinigung FA den Song „Ten German Bombers“ respektlos und unangebracht findet und Fans, die ihn singen, mitunter Stadionsperren verpasst, ist nicht nachvollziehbar. Ist England etwa nicht dankbar für die Royal Air Force (RAF) und den gewonnenen Krieg gegen Nazi-Deutschland? Ohne Waffengewalt und ohne das Abschießen von deutschen Kriegsflugzeugen wären die Deutschen des SS-Staates nicht zu stoppen gewesen. Wo also liegt das Problem?

Das Berliner Olympiastadion wurde im Zweiten Weltkrieg leider nicht zerstört.

Das Internationale Olympische Komitee vergab dann die XI. Olympischen Sommerspiele im Jahr 1936 erneut an Berlin. Nach anfänglichen Überlegungen zum Umbau des Stadions ordnete Adolf Hitler den kompletten Neubau eines Großstadions an gleicher Stelle an. Den Auftrag erhielt Werner March, Sohn des Architekten vom Deutschen Stadion, Otto March. Das monumentale Bauwerk ist ein Beispiel für verbliebene Architektur der NS-Zeit in Berlin.

Es ist eine nationalistische und den Nationalsozialismus verharmlosende, ja seine Architektur feiernde Veranstaltung, dass es exakt dieses Stadion mitsamt den Plätzen drum herum weiterhin gibt und dort im Olympiastadion gespielt wird.

Gleichzeitig drehte letzte Woche die Bundeszentrale für Politische Bildung ziemlich durch. Sie hat ein von ihr selbst publiziertes und in Auftrag gegebenes Reel oder Kurzvideo zum „Sommermärchen 2006“ – das in einem Text des österreichischen Express verlinkt ist – auf Druck von rechten, extrem rechten, nationalistischen wie Mainstream-Kreisen wieder gelöscht. Das Video wurde produziert von einer Firma im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung und moderiert von der Influencerin Susanne Siegert, die mit ihren Videos Hunderttausende junge Menschen erreicht und Aufklärung bezüglich des Nationalsozialismus und des Holocaust betreibt. Das Video bezieht sich auf meine Kritik in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 16./17. Dezember 2017, Printausgabe, Feuilleton, S. 34/35, Titel: „Der Hitler-Stalin-Vergleich hat eine enorme Entlastungsfunktion“, Online-Version leicht verändert vom 4. September 2019, Titel „Sommermärchen bereitete der AfD den Boden“, wo ich die These aufstelle:

Ohne 2006 wäre es nicht in diesem Ausmaß zu Pegida gekommen, und ohne Pegida gäbe es keine AfD in dieser Form. Die Deutschland-Fahne bei der WM hat eine unglaubliche Bedeutung für das Zusammenschweißen von atomisierten Einzelnen, die sich zu großen Teilen gar nicht für Fußball interessiert haben. Insofern war das Thema nicht Sport, sondern nationale Identität.

Darauf bezieht sich die Bundeszentrale für Politische Bildung in ihrem Video und Nationalisten können das nicht ertragen und bringen die Bundeszentrale dazu, das Video nach knapp zwei Tagen online am Donnerstag, den 4. Juli 2024 wieder zu löschen.

Ein Shitstorm von NIUS, der WELT, t-online, der Jungen Freiheit, Reitschuster.de, Journalistenwatch, dem Compact Magazin und vielen weiteren teils obskuren oder randständigen, aber teils eben auch Mainstream-Medien sowie Aussagen von ein paar wenigen Bundestagsabgeordneten sorgten dafür, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung nicht etwa eine weitere Diskussion über das Thema „Sommermärchen“ und Nationalismus anregte, wie es eine demokratische Einrichtung tun würde, sondern sie zensierte ihr eigenes Video und distanziert sich davon.

Das RTL-Nachtjournal (Freitag, 05. Juli 2024, ab 0:20 Uhr) berichtete auch vollkommen tendenziös und bettete, wie zu erwarten, eine kurze Stellungnahme von mir, die der TV-Sender wenige Stunden zuvor aufgenommen hatte, in einen deutsch-nationalen Trommelwirbel ein, der von kritischer Sportwissenschaft oder von Nationalismuskritik noch nie etwas gehört hat. Das wunderschöne Kopfballtor des Mittelfeldspielers Mikel Merino einige Stunden später, am Freitagabend zum 2:1 Sieg Spaniens, dürfte auch der deutsch-nationalen Dekoration des RTL-Studios wie von Kameras wieder die nüchterne Realität vor Augen geführt haben. Ende Gelände für die deutsche Elf, die ja primär nur gegen wirklich schwache Teams wie Schottland (5:1 gleich im ersten Spiel der EURO24) gut aussah, wobei die teils lustigen Dudelsack spielenden schottischen Fans den schlechten sportlichen Eindruck ihres Teams jenseits des Platzes zu kompensieren suchten.

Über das skandalöse Löschen des eigenen Videos durch die Bundeszentrale für Politische Bildung berichten Medien wie Telepolis („Nun muss man sich einerseits fragen, warum ein Shitstorm von konservativen und extrem rechten Kreisen ausreicht, damit die BPB einknickt“), der Merkur („Nun beweisen die in der Vergangenheit durchgeführten Studien tatsächlich, dass ein Zusammenhang zwischen Fußball-Patriotismus und Nationalismus besteht“), Der Spiegel („Die WM 2006, so also der Konsens, habe maßgeblich dazu beigetragen, Nationalstolz und nationale Symbolik zu normalisieren. Das Bild vom Harmlosen ‚Party-Patriotismus‘ wird in der Forschung dabei mit Skepsis gesehen.“), das ND (“Kritik an Nationalstolz gelöscht”) oder die taz (“Bundeszentrale für politische Bildung: Vor den Rechten eingeknickt”). All diese Medien diskutieren meine These, kontextualisieren sie oder nehmen Bezug auf andere Forscher*innen, die ähnliche Kritik am schwarzrotgoldenen „Overkill“ von 2006 hatten oder haben.

Die ARD-Sportschau hatte schon vor einem Jahr über meine These berichtet und selbstverständlich diese These zur Diskussion gestellt, auch neben anderen Thesen, die dem zuwiderlaufen. So etwas nennt man Demokratie:

Dr. Clemens Heni war einer derjenigen, die sich an dem schwarz-rot-goldenen Overkill mit kleinen Flaggen an Autospiegeln, gedruckten Flaggen auf Chipstüten und Backwaren, geschminkten Flaggen im Gesicht und großen Stoffflagen schon damals störten. Heni ist Politikwissenschaftler. Er forscht mit Schwerpunkten über Antisemitismus und die Neue Rechte.

“Das war damals kein gesunder Patriotismus, wie immer behauptet wird. Der ist in Deutschland auch schwer denkbar, weil er immer mit einer Abwertung des Gedenkens an den Holocaust einhergeht”, so Heni.

These: Ohne WM 2006 kein Erstarken der AfD

Seine These: Ohne die WM 2006 wären weder die rechtsextreme Pegida (“Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes”) noch die AfD so stark geworden.

Auch der Berliner Tagesspiegel berichtete 2023 noch über meine These:

Der Politikwissenschaftler Clemens Heni stellte kürzlich einem Interview mit der „Sportschau“ zudem die These auf, dass die AfD ohne die WM 2006 nicht so stark geworden wäre und bezeichnete Nationalismus und Fußball als „eine toxische Mischung in Deutschland“.

Und diese These der Beziehung von 2006 zum deutschen Nationalismus soll nur ein Jahr später, jetzt im EURO24-Jahr ein Grund sein, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung ihr eigens hergestelltes Video wieder löscht? Ernsthaft?

Die Beziehung von Sport und Politik, um die es ja in dem gelöschten Video der Bundeszentrale geht, hat in Deutschland eine lange Tradition. In meiner Doktorarbeit von 2006 habe ich mich mit einem der einflussreichsten Vordenker der Neuen Rechten, Henning Eichberg (1942–2017), befasst. Dabei geht es auch um die Sportwissenschaft und die Beziehung von Sport und Politik. Zu diesem Zweck zitiere ich einige Seite aus meiner publizierten Dissertation (“Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‘Nationale Identität’, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970-2005: Henning Eichberg als Exempel, S. 154-165).

Zur Nazi-Olympiade und dem NS-„Thingspiel“ schreibe ich:

 

Eichbergs Habilitation und das Thingspiel (1976)

Für die politische Kultur der Bundesrepublik ist die Stellung zum Nationalsozialismus ein zentrales Moment. Dabei positionierte sich die alte Rechte in etwa so: Hitler war irgendwie die ganze Sache mit dem Krieg aus dem Ruder gelaufen, aber die Idee des Nationalsozialismus war im Kern richtig. Die Neue Rechte, die sich gegen diese apologetischen, einfachen alt-rechten Antworten zu sträuben versucht, ist nun keineswegs anti-nationalsozialistisch. Die Analyse des Thingspiels, einem nicht unwesentlichen kulturpolitischen Baustein der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, kann zeigen, wie eine antihitleristische Neue Rechte die ›guten Seiten des Nationalsozialismus‹ begründen möchte. Weiter wird gezeigt werden, wie fahrlässig bis affirmativ Eichberg am Beispiel des Thingspiels bis heute in der Wissenschaft rezipiert wird.

Eichberg konnte sich 1976 an der Universität Stuttgart habilitieren. Sein Habilitationsvortrag vom Juni hatte das nationalsozialistische Thingspiel zum Thema. Dieser Vortrag war Basis des im Dezember desselben Jahres erschienen Artikels,[1] um den es hier wesentlich geht.

Die Geschichte des Thingspiels mit den Stadionspielen als direkten Vorläufern wird hier nicht dargestellt. Dies haben bereits die beiden Deutschlandfunk-Redakteure Klaus Sauer und German Werth 1971[2] geleistet. Erwähnt sei kurz der wichtige Programmatiker und Stückeschreiber der Stadionspiele, Gustav Goes. In dessen Stück »Opferflamme der Arbeit. Ein Freilichtspiel«[3] wird »Ahasver«, Abgesandter des »internationalen Judentums«, vorgestellt:

»Ahasver: Deutschland? …Kenne ich nicht! Ausgestrichen ist es aus der Karte! Wozu noch Deutschland? International Sind wir alle geworden Seit jenem Tag von Versailles …«.[4]

Wer ist Ahasver? Der ›Ewige Jude‹.[5] Dieser antisemitische Topos Goes’ ist Sinnbild auch des NS-Thingspiels.

a) Euringers Deutsche Passion (1933)

Gleich zu Beginn intoniert Eichberg, der Goes en passant erwähnt und dessen Rolle als Wegbereiter des Thingspiels durch Ablösung der »Guckkastenperspektive zugunsten eines Zuschauerrunds um ein Freilichtfeld herum« gut findet[6], mit dem ersten als Thingspiel des Nationalsozialismus betrachteten[7] Stück von Richard Euringer Deutsche Passion 1933. Hörwerk in sechs Sätzen.[8] Die »blutrote Nacht« am Ende des 1. Weltkrieges, lässt den »bösen Geist« jubilieren.

Doch ein Kind klagt:

»Not.—Not.—Not.—

Hunger und kein Brot.

Herd, und kein Brand.

Und kein Vaterland.«[9]

Da werden

»die Gefallenen unruhig. Chöre der Toten fragen aus der Tiefe, Chöre der Jungdeutschlandregimenter aus der Ferne. Da ›der Arbeitslose‹ die Klagen über das ökonomisch zerrüttete und von fremden Mächten geknechtete Land bestätigt, erhebt sich ›der Gefallene‹, der ›namenlose Soldat‹, um – als Mahnender – seine ›Passion‹ zu leiden und das Volk zu retten. Der böse Geist, eine Mischung aus Kriegsgewinnler, Umsturzpartei, Landesverrat und Kapitalismus, ruft gegen ihn zum totalen Konsum auf und hetzt unter dem Beifall des ›Hauptaktionärs‹ die Massen auf den ›namenlosen Soldaten‹. Aber sie können ihn nicht fassen und schließen sich ihm (…) an. Eine neue Welt der Arbeit entsteht.«[10]

Mehr wird Eichberg zu diesem Stück nicht sagen.

Dieser Bezug zu Euringer ist allerdings Anlass genug, die ganze Passion unter die Lupe zu nehmen und Eichbergs Auslassungen (…) deutlich werden zu lassen.

Der Antisemitismus Euringers steht dabei in direktem Verhältnis zum Judenhass bei Eberhard Wolfgang Möller, dessen Thingspiel Frankenburger Würfelspiel von 1936 Eichberg gleichfalls so darstellt, dass der Kontext Möllers, dessen nationalsozialistisches, parteipolitisches Engagement und seine antisemitischen Texte bewusst und gezielt verschwiegen werden (…). Für meine Kritik ist konstitutiv, dass das, was Eichberg zum Thingspiel sagt, so anti-individualistisch und pro-nationalsozialistisch ist, dass das Aufdecken der Auslassungen nur ergänzenden Charakter hat. Seine rhetorische Mimikry jedoch basiert auf solchen Auslassungen, mit explizit antisemitischen Texten eines Euringer oder Möller hätte er vermutlich nicht in zwei linken Zeitschriften reüssiert. Neben Ästhetik&Kommunikation übernahm auch die linke US-amerikanische Zeitschrift new german critique Eichbergs Aufsatz.[11]

Ziel seiner Beschäftigung mit dem NS-Thingspiel ist das Aufmachen einer fiktiven Opposition: hier das massengesättigte, revolutionäre, nationalsozialistische Thingspiel, dort das elitäre, hierarchisch, führermäßig gesteuerte Herrschaftssystem und die Kulturpolitik des NS-Staates. Sowohl »NS-Kulturfunktionäre« als auch »germanistische Autoren des Nachkriegs«[12] haben in seinen Augen den spontaneistischen Charakter der Thingspielbewegung negiert. Diese Gleichsetzung von germanistischer Kritik nach 1945 mit nationalsozialistischer Politik während des NS verharmlost letzteren in traditionell rechtsextremer Art und Weise. Somit hält sich Eichberg vor Angriffen schon einmal geschützt, stellt er doch NS-Kulturpolitik und Germanistik nach ‘45 auf eine Stufe und sich selbst abseits davon.

Der deutsche Hörer, Leser und später Zuschauer dieser Deutschen Passion 1933 wird nicht enttäuscht. Deutsch ist das Stück bis in die Kinderstube hinein, in die neben dem Schrei nach Brot der nach dem Vaterland hineinprojiziert wird. Der »Gefallene« war »Soldat«, jedoch: »Und bin ich gefallen, so richt’..ich..mich..auf. Deutschland muß leben. Ihr Toten, herauf!«[13]

Die christliche Symbolik von Dornenkrone und Leidensweg sticht stark hervor – »Der Gefallene ›Ob Stacheldraht, ob Dornenkron: ich will sie leiden, die Passion«[14] – und verleiht dem Stück eine christlich-endzeitliche Dimension: das Dritte Reich als Wiederkehr des (anti-jüdischen) Heilands nach 2000 Jahren. »Der Auswurf bin ich. Der Prolet, ein Fraß für Trust und Kapital, verschachert international«.[15] Und es ist der »Teufel, der dies getan«. Geradezu als Epitaph einer ganzen Generation werden die Täter herbeihalluziniert:

»Man lag da an der Somme und so, vor Ypern, Verdun, ich weiß nicht wo, da haben sie’s angezettelt, Phantasten und Literaten, Verbrecher und Demokraten, Juden und Pazifisten, Marxisten und Himbeerchristen. (…) Sie organisieren den Volksverrat. (…) Sie zerbrachen uns das Genick«.[16]

Juden sind also neben Marxisten, Demokraten und ›Himbeerchristen‹ die expliziten Feinde des Thingspiel-Autors Richard Euringer. Die komplette nationalsozialistische Kampftirade seit Anbeginn der Weimarer Republik wird in der Deutschen Passion in Szene gesetzt. Der tapfere Soldat wurde hinterrücks verraten – »Der Feind, er saß im eigenen Land«[17] –, doch nicht nur der Dolch im Rücken, auch das Ausland vor der Brust trägt Schuld:

»Als Rechtsanwalt ein Völkerbund der ungeheuren Lüge«.

Schließlich, in der Mitte des Stückes:

»So wahr ich lebe, mitten im Tod: ein Mann, ein Mann tut Deutschland not«.[18]

Doch der ›böse Geist‹ hintertreibt diese Ode an Hitler mit allen Mitteln:

»Bedarf an Damen! Wir führen aus. Europa wird ein Freudenhaus. Export in alle Lande. Gefragt ist Rassenschande«.[19]

Es wird immer »reeperbahnmäßiger«[20] und eine weitere bis unsere Tage hinein beliebte Formulierung hat ihren Auftritt, als »Kreischen der entfesselten ›Sieger‹«[21]:

»Am Ellbogen erkennt ihr den Mann, der das Rennen machen kann. Es reicht nicht für die Massen.«[22]

Ganz im Einklang mit völkischer und nationalsozialistischer Ideologie wird der »böse Geist«, der nur wenige Seiten bzw. Augenblicke zuvor klar und deutlich als »Jude« benannt wurde, mit seinen ›irdischen Materialisierungen‹ kenntlich gemacht:

»Der ist’s, der aus Warenhäusern gleißt, der hockt an der Börse als böser Geist«.[23]

Die antiurbane, antijüdische Abwehr von Warenhäusern und die häufig verschwörungstheoretisch argumentierende Angst vor ›zirkulärem Kapital‹, das an der Börse gehandelt wird, werden hier wie selbstverständlich theatralisch aufgeführt und sind deutlicher Ausdruck der ›Deutschen Revolution‹ im Jahr 1933.

Dieses erste Thingspiel hat einen alles vereinigenden Kristallisationspunkt, der ›namenlose Soldat‹[24] spricht es vor (und das »Echo aus der Menge«[25] wird immer hörbarer): er will die ›Rachsüchtigen‹ und ›Gierigen‹ »ackern lehren«, der Bauer soll auch die Stadt ehren, der Adel seine Herkunft nicht verachten, »[d]er Höfling war die welsche Schand«.[26] Der Bürger wird ermahnt, nicht nur zu »raffen«, und die Jugend beschworen:

»Von dir, du deutsche Jugend, erbitt ich eine Tugend: dein Leib und Leben ist nicht dein. Stirb, und du wirst unsterblich[27] sein!«, sodann, »mit offenen Armen«, die Arbeiterbewegung implizit für tot erklärt und propagiert: »du Klassenkämpfer und Prolet, tritt aus deiner Wolke! Sei wieder Volk vom Volke!«[28]

Von oben herab verkünden die »seligen Krieger« im Chor: »Mutter, klag nicht, daß wir geendet! Es war nicht umsonst: wir sind vollendet«[29] – und die himmlischen »Stimmen der Jungdeutschlandregimenter«[30] untermalen das effektiv. Der »böse Geist«, kurz vor dem ›tosenden Niedergang‹ in die »Tiefe«[31], hält es nicht mehr aus: »Das auch noch! Da zerplatz doch gleich! Das also gibt’s: ein drittes Reich!!?!!«[32], wobei der ›himmlische Orgelton‹[33] »rhythmisch und harmonisch vermählt dem irdischen Marschlied«[34] erklingen soll.

Damit endet die Deutsche Passion 1933[35] von Richard Euringer.[36]

Die Agitation gegen Warenhäuser, Sexualität und Nachtleben – »immer reeperbahnmäßiger« – und die Anklage gegen die ›Verräter‹ – »Juden, Marxisten, Himbeerchristen« – ist in ihrer explizit und implizit antisemitischen Diktion evident.[37] Dass das Thingspiel keineswegs vom Himmel fiel, so wenig wie der Nationalsozialismus, sondern auf der Akzeptanz weiter Teile der Bevölkerung aufbauen konnte, macht Eichberg in seiner Stil- oder Formfragen zentrierten Apologie dieser Frühform nationalsozialistischer Theaterkultur und -politik vergessen, er rehabilitiert vielmehr diesen Resonanzboden.

Die Schuldumkehr Euringers, schon kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus, macht ihn für die Neue Rechte bedeutsam. Er, der Deutsche aus Passion, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von den Alliierten zumindest vorübergehend interniert, schreibt in seiner

»dreisten Rechtfertigungsschrift ›Die Sargbreite Leben‹ eine lange Liste von ›pathologischen‹ Auswüchsen und ›Phantasien einer keimenden Psychose‹ unter den Häftlingen auf: ›Die Ausrottung im Westen erfolgt nicht durch Massenerschießungen, sondern westlich humanitär mit feineren, unsichtbaren Methoden, und zwar in Etappen: (…) Preisgabe der Frauen an die Besatzung. Ruinierung der Frauen durch Überbürdung, Infizierung, Prostitution aus Not, künstliche Vermischung mit Fremdrassen (…). Systematische Verderbung durch ›Umerziehung‹ mittels Kino, Radio, Presse und Broschüren. (…) Ruinierung der Gesundheit der Internierten durch systematische Entziehung der notwendigen Aufbaustoffe‹«.[38]

Heutige Neonazis sprechen vom »›Massenmord an deutschen Kriegsgefangenen‹«.[39]

»Das heißt: In den Veröffentlichungen neonazistischer Gruppen wird das Wort Völkermord systematisch aus seinem gemeinsprachlich konventionalisierten Gebrauchszusammenhang herausgelöst; man deutet es um, transformiert es in ein ideologiespezifisches Schlagwort, indem man unterm dem Lexem Mord, das Bestandteil des Kompositums ist, nicht mehr die gewaltsame Vertreibung von Gruppen oder die Tötung von Menschen versteht, sondern das Resultat von Rassenmischung und die Vernichtung einer rassisch definierten Identität. Diese Umdeutung ist es, die das Schlagwort Völkermord in das Zentrum der für diese Gruppe spezifischen Geschichtsverdrängung und –verleugnung hineinrückt. Es ist ein Zeugnis der offensiven Selbststilisierung als Opfer.«[40]

Eichberg ist ein Freund und Anwalt des Things, denn »in den Schriften der Thingspieltheoretiker« werde »der Wille zum Bruch mit dem Bestehenden in revolutionärem Pathos immer wieder herausgestellt.«[41] Der ›Wille zum Bruch mit dem Bestehenden‹, der gewalttätige, mörderische Drang, namentlich der SA vor 1933, wird von ihm als kulturelles, ›revolutionäres Pathos‹ in die Frühphase des Nationalsozialismus an der Macht transportiert. Er stilisiert die Thingspielbewegung zum Opfer der NS-Führung, wenn er in den Raum wirft, dass

»das Thingspiel vom NS-Staat letztlich als zur ›Manipulation‹ untauglich angesehen und schon 1935/37 fallengelassen oder gar unterdrückt wurde.«[42]

Eichberg konstruiert das Thingspiel als quasi Gegenspieler des SS-Staates, um nicht als Apologet des Nationalsozialismus zu gelten. Die Marxisten von Ä&K wie auch die Editoren von New German Critique nahmen ihm diese Mimikry ab. De facto war das Thingspiel jedoch eine Bündelung genuin nationalsozialistischer Ideologeme.

Der Kampf gegen Versailles, das Pathos des nicht umsonst gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges, das den Zweiten mit vorbereiten hilft, die Sehnsucht nach Erlösung und nach dem Retter, dem ›namenlosen Soldaten‹, der Hass auf den Westen, die Moderne, das Heterogene, Sexualität, Marxismus, (christlichen) Universalismus und Juden ist konstitutiv für die völkische Paranoia. Der anti-bürgerliche Affekt, der in Deutschland Tradition hat, ist hier auf der Ebene des Theaters konkret geworden. Eichberg unterstreicht dies:

»In dem Augenblick, in dem jedoch in unseren Tagen die liberale Totalitarismustheorie in die Krise geriet, entdeckte man auch, daß das Thingspiel als Formierungsinstrument des NS-Staates nur die eine Seite war. Die andere war eine bisher übersehene Spontaneität der Weihespielbewegung in den ersten Jahren nach 1933. Die Baupläne des NS-Staates (1934: 66 Thingstätten im ersten Bauprogramm) wurden weit übertroffen durch Anträge, die von lokaler Seite her an die Ministerien und Behörden gesandt wurden (1934: 500). Als 1933 die Deutsche Arbeitsfront ein Thingspiel-Preisausschreiben veranstaltete, sollen über 10 000 Einsendungen eingegangen sein. (…) Auch wäre das Thingspiel ohne ein spezifisches Rezeptionsverhalten breiter Volksschichten nicht realisierbar und wohl nicht einmal konzipierbar gewesen.«[43]

Das deutsche Volk konstruierte sich weitgehend homogen, was nicht nur die Leugnung des Klassencharakters einer kapitalistischen Industriegesellschaft impliziert und im Zerschlagen freier Gewerkschaften sowie im Kampf gegen die organisierte Arbeiterbewegung mörderisch zu Tage trat, vielmehr im ›Ausscheiden‹[44] des als »fremd« und »undeutsch« Imaginierten, Jüdischen, aus dem Deutschen, die Volksgemeinschaft kreierte. Eichberg möchte zu Euringer zurück und Strukturen einfordern

»mit denen das NS-Thingspiel die neue Theaterform hervorbringen wollte: Gesamtkunstwerk aus Bewegungs-, Sprech- und Musikformen, Freilichttheater, Vermengung von Darstellern und Publikum. Rhythmisierung durch musikalische und chorische Techniken, Massenhaftigkeit, agitatorische Typisierung der agierenden Gestalten und ihre Einfügung in ein duales Muster, im dem die politische Entscheidung für eine bessere Zukunft fällt.«[45]

Die »bessere Zukunft« heißt Deutsche Revolution, meint den nationalen Sozialismus an der Macht – er bezieht sich ja ganz explizit auf das NS-Thingspiel, das für ihn »für eine bessere Zukunft« steht – und verteidigt somit den Nationalsozialismus. Er hebt die antiuniversalistische und antiindividualistische Dimension hervor in der schwelgerischen Betonung der volksgemeinschaftlichen ›Vermengung von Darstellern und Publikum‹.

b) Zenit des ›kulturellen Things‹[46]: Möllers Würfelspiel (1936)

Die Kontinuität der extremen Weimarer Rechten in den NS hinein wird in dem Bezug Eichbergs auf Eberhard Wolfgang Möllers Thingspiel Das Frankenburger Würfelspiel noch deutlicher. Möller war schon vor seinem Eintritt in die NSDAP im Jahr 1932 SA-Mitglied geworden.[47]

Möllers Würfelspiel wurde am 2. August 1936, einen Tag nach der Eröffnung der Olympischen Sommer-Spiele in Berlin, auf der Dietrich-Eckart-Bühne als Thingspiel uraufgeführt. Das dem Stück zugrunde liegende historische Ereignis ist Teil der Gegenreformation im 17. Jahrhundert. Graf Herbersdorf, Gesandter Kaiser Ferdinands II., obliegt es, die Bauern in Oberösterreich zu rekatholisieren. 36 dieser Bauern sollen um ihr Leben würfeln, um die restliche Bevölkerung einzuschüchtern. Doch schließlich dreht sich alles gegen Graf Herbersdorf selbst; es fallen in diesem Bauernkrieg bis zu 7000 Bauern.[48] Möller bezieht die Klage der toten Bauern auf das nationalsozialistische Deutschland. Wie bei Euringer spielt die Klage über die Toten bzw. der noch Nicht-Toten eine große Rolle:

»Gebt uns die Todgeweihten wieder her, die uns auf unserm Weg vorangezogen! Wir sind nicht Kinder und nicht Bettler mehr, wir sind ein neues Volk, ein neues Heer, und wehe denen, welche uns betrogen. Wir sind ein Wille, und wir sind ein Schrei, und kein Versprechen kann uns mehr entzweien. Wir wollen uns von aller Schinderei von allem Joch und aller Tyrannei in Gottes Namen endlich selbst befreien«.[49]

Nicht nur 20 000 Zuschauer verfolgten die Aufführung, sondern auch 1200 Laiendarsteller und 27 Sprechrollen bestimmten »das Verhältnis von Individuum und Gesamtheit neu«.[50] Eichberg schwelgt:

»Auch wenn zu einer Aufführung in Erfurt 1937 fast 2000 Arbeiter und Mitglieder der Parteiformationen aufgeboten und eine ganze Stadt beschäftigt wurde, war die Grenze zwischen Akteuren und Publikum gleitend geworden.«[51]

Es handelt sich hier um seinen Habilitationsvortrag an der Universität Stuttgart vom 02. Juni 1976, der in der linken Szene-Zeitschrift Ästhetik&Kommunikation veröffentlicht[52] wurde, und Eichberg führt sich als der auf, der er sein möchte: als völkischer Beobachter.

Zu Möller, dessen Antisemitismus völlig offen zu Tage liegt[53], sagt er nicht mehr als in folgendem Zitat, Distanz oder gar Kritik entfallen im Schwärmen ob der ›Neubestimmung im Verhältnis von Individuum und Gesamtheit‹:

»Dieser Massenhaftigkeit standen auf dem Spielfeld nicht Individuen in ihrer Besonderheit gegenüber, sondern Typen, abstrakte Gestalten, häufig ohne Namen. Die Schauspieler des ›Frankenburger Würfelspiels‹ 1936 wurden sogar auf Kothurne[54] gestellt. Nicht individuelle Moral oder Psychologie wurde vorgeführt, sondern ein politisches Lehrstück. Nicht um persönliches Schicksal, Schuld und Sühne ging es, sondern um das Volk und um abstrakte Gegebenheiten, wie sie in ›dem Arbeitslosen‹, ›dem Bonzen‹ oder ›dem namenlosen Soldaten‹, in ›dem Richter‹ oder ›der Gestalt in schwarzer Rüstung‹ in Erscheinung traten.«[55]

Das Frankenburger Würfelspiel als »Weihe der Machtübernahme von 1933«[56] führt Möllers Sprache von vor ’33 fort, als er sie in den »Dienst der Massenmobilisierung durch Mobilisierung der Ressentiments der Masse gegen das ›System‹«[57] einspannte. (…)

Für Eichberg zeigt sich im ›olympischen Zeremoniell‹ die Kontinuität der mit »Weihe- und Feierspiele« »zusammenhängenden Verhaltensformen« über die »Veränderungen um 1937/45« hinaus.[58] Deshalb geht er gegen Ende seines Beitrages im Thingspiel-Band auf das während der Olympiade uraufgeführte ›Weihespiel‹ »Olympische Jugend« von Carl Diem ein.[59] Die verschiedenen Bilder dieses Spiels mit über 10.000 Teilnehmern werden dargestellt und einige zentrale Stellen ausführlich zitiert. Es geht in diesem olympischen Weihespiel um »›Kampf um Ehre, Vaterland‹«[60] (im ersten Bild), was ihn bei der Analyse des dritten Bildes unter Hinzuziehung einer zeitgenössischen Darstellung ausführen lässt:

»Während sich die Mädchen zum weiten Rand der Arena zurückziehen und diesen säumen, stürmen von der Ost- und Westtreppe Tausende von Knaben in das Spielfeld, lassen die Romantik aller Jugend aufklingen, indem Jugendgruppen verschiedener Nationen um Lagerfeuer geschart Volkslieder ihrer Heimat singen«.[61]

Gerade vor dem Hintergrund Eichbergs politischer Biografie, zu denken ist an sein Zeltlager 1966 in Südfrankreich (…), ist die Beschreibung einer weihevollen, heimatumwobenen (jugendlichen) Zeltlager-Stimmung des Jahres 1936 im nationalsozialistischen Deutschland bezeichnend. Die Jugend sieht ihrem Selbst-Opfer ins Gesicht:

»Allen Spiels heil’ger Sinn: Vaterlands Hochgewinn. Vaterlandes höchst Gebot in der Not: Opfertod!«[62]

 

Soviel zu Henning Eichberg und der Salonfähigkeit der Neuen Rechten schon in den 1970er Jahren bis heute. Wen wird es morgen Abend schon stören, dass das Berliner Olympiastadion ein Nazi-Stadion ist und dort antisemitische und das deutsche Opfer einfordernde Thingspiele aufgeführt wurden? Das ist eine historische Analyse der Beziehung von Sport und Politik.

Wen wird die Beziehung von NS-Stadion und NS-Thingspiel zum heutigen Berliner Olympiastadion stören in einer Zeit des Aufrüstungswahnsinns (für die Ukraine, für die NATO, für den Militarismus) und einer Zeit, wo noch jeder Magenta- oder ARD/ZDF-Moderator (m/w/d) von „wir“ gleichsam faselt und von einer nüchternen Betrachtung zumal der Spiele mit deutscher Beteiligung nicht ansatzweise die Rede sein kann? Wenn bei einer klaren Regel, die nicht jede Berührung mit der Hand als einen Regelverstoß sieht, die halbe Republik durchdreht und nur am Rande in sachlichen Berichten wie in der Sportschau („Das vermeintliche Handspiel erfolgte in der 106. Minute. Cucurella hatte den Arm draußen und berührte den Ball mit der Hand. Dass es in solchen Situationen keinen Strafstoß geben wird, hatte Roberto Rosetti, der Schiedsrichter-Chef der UEFA, vor dem Turnier angekündigt.“) auf deren Homepage die Sachlage korrekt dargestellt wird?

Vor 17 Jahren konnte man angesichts der Fußball-WM 2006 oder dem „Party-Patriotismus“ Folgendes lesen:

„Ein aktueller Anlaß der Analysen dieses Beitrags waren Identitätskampagnen und die nationale Euphorie während der Fußballweltmeisterschaft [2006]. (…) Während viele Menschen der Meinung sind, ein gesunder patriotischer Nationalstolz sei positiv, zeigen die vorliegenden Befunde, daß es sich hierbei um eine Fehleinschätzung handelt. Auch der während der Fußball-Weltmeisterschaft zu beobachtende  ‚Party-Patriotismus‘ zieht keine positiven Effekte nach sich – im Gegenteil, es zeigt sich ein Anstieg des Nationalismus.“[63]

So heißt es 2007 in einem Beitrag in der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die unter anderem im Suhrkamp Verlag in der Reihe „Deutsche Zustände“ publiziert wurde, die der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer von 2002 bis 2012 herausgegeben hat. Abgesehen davon, dass dieses Konzept der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ insbesondere in der kritischen Antisemitismusforschung skeptisch betrachtet wird, da jedwede Spezifik des Antisemitismus verwässert wird und er im Orkus x-beliebiger Vorurteile oder Ressentiments untergeht, und namentlich aufgrund des problematischen Begriffs der „Islamophobie“, der auch von islamistischen Kreisen gerne verwendet wird, ist dieser Forschungsansatz generell nicht unumstritten. Das heißt logischerweise nicht, dass dort nicht auch wichtige und relevante Forschungsergebnisse herausgekommen sind.

Nehmen wir das Beispiel Fußball-WM 2006, das allseits gehypte „Sommermärchen“, das dann 2024 bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer doch nicht wirklich eine Wiederauflage bekam, jedenfalls nicht, was das exzessive Aufhängen von Fahnen und Wimpeln an Häusern, Balkonen oder Autos betrifft. Gefühlt nur ein Prozent der Anzahl der Fahnen wie 2006 waren zu sehen, auch schon vor dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft im Viertelfinale gegen Spanien am Freitag, den 5. Juli 2024 (2:1 für Spanien nach Verlängerung).

Der Professor für Sozialwissenschaften des Sports an der Justus-Liebig-Universität Giessen Michael Mautz und sein Co-Autor Markus Gerke untermauern die Kritik am ach-so-harmlosen deutschen Fußball-„Patriotismus“:

Gunter Gebauer (1996) hat in einem kurzen Beitrag über die Olympischen Sommerspiele 1992, bei denen zum ersten Mal nach der deutschen Wiedervereinigung eine gesamtdeutsche Auswahlmannschaft an den Start ging, einen fundamentalen Wandel der Sportberichterstattung diagnostiziert. Er beschreibt einen Wandel von einer „aristotelischen“ zu einer „nationalistischen“ Logik der Darstellung. Die aristotelische Logik der Inszenierung – entlehnt aus Aristoteles‘ Dramentheorie – basiert auf der In-sich-Geschlossenheit einer Handlung und der Einheit von Ort und Zeit. Bezogen auf den Sport wäre der einzelne sportliche Wettkampf eine geschlossene Handlungsepisode, die vom Beginn bis zum Ende am gleichen Austragungsort präsentiert wird. Die Dramatik ergibt sich hier aus der steigenden Spannung, die dem sportlichen Wettbewerb inhärent ist, sich in der Regel von den Vorkämpfen bis zum Finale langsam aufbaut und sich ruckartig löst, wenn die Siegerin oder der Sieger am Ende feststeht. Diese Inszenierungslogik wurde, so Gebauer, durch eine nationalistische Dramaturgie abgelöst, bei der die Regie schnell zwischen verschiedenen Wettbewerben, Orten und Zeiten hin und her springt und zwar immer dorthin, wo gerade deutsche Sportlerinnen und Sportler an den Start gehen. Die Einheit der TV-Berichte sind nicht mehr einzelne sportliche Wettbewerbe, sondern die Einheit wird dadurch konstruiert, dass entlang der Nationalität berichtet und selektiert wird.[64]

Mutz und Gerke resümieren:

Darüber hinaus zeigen unsere Daten – einschließlich der flankierenden Experimente –, dass Patriotismus und Nationalismus benachbarte, eng korrelierte Einstellungen sind, sodass jede Verstärkung patriotischer Bindungen immer auch mit nationalistischen Ressentiments assoziiert ist. Von der Liebe zum eigenen Land zur Überzeugung, das eigene Land sei besser und mehr wert als alle anderen, ist es kein langer Weg, sondern nur ein kurzer Schritt.[65]

Schließlich:

Zudem haben andere Studien zeigen können, dass sportbezogener Nationalstolz mit einer ethnisch-kulturell fundierten Vorstellung des Nationalen stärker korrespondiert als mit der Idee der zivilen Staatsnation.[66]

Das alles sind wissenschaftliche Analysen, die zeigen wie wichtig es ist, sich kritisch mit der Beziehung von Massenbewegungen wie den obsessiven „Party-Patrioten“ von 2006 ff. zu befassen.

Angesichts der Tatsache, dass bei der Europawahl 2024 die rechtsextreme AfD auf den zweiten Platz nach der CDU und vor der SPD kam, hätte man erwarten können, dass auch die Bundeszentrale für Politische Bildung sich kritisch und diskursiv mit den Folgen von 2006 und dem Fußball-Nationalismus beschäftigt. So wie es zum Beispiel die ARD-Sportschau 2023 unter anderem anhand meiner Thesen auch getan hat. Und diese Kritik war ja offenkundig auch die Intention der Produktionsfirma für das Video und der Serie „Politik raus aus den Stadien“.

Doch ein kleiner Shitstorm von rechten Kreisen reicht heutzutage schon aus, dass eine große Institution wie die Bundeszentrale einknickt und der kritischen Wissenschaft keinen Platz mehr einräumt und eine gesellschaftskritische Publizistik diffamiert.

Selbstbewusstes Handeln sieht anders aus.

Ob es morgen Abend auch nur ein Moderator oder eine Kommentatorin schaffen wird, ein aristotelisches Drama von Spanien gegen England zu übertragen, ohne auf die morgen beim Finale völlig irrelevante Situation der deutschen Nationalmannschaft in diesem Turnier zu rekurrieren oder diesen oder jenen Pass, Freistoß oder Kopfball geradezu zwanghaft obsessiv mit diesem oder jenem Pass, Freistoß oder Kopfball eines x-beliebigen deutschen Nationalspielers der letzten Jahrzehnten irgendwie in Beziehung zu setzen (wie es auch Co-Moderatoren wie Michael Ballack oder Lothar Matthäus gerne tun), um ganz sicher zu betonen, dass „wir“ ja auch so toll Fußball spielen können (nur halt “leider, leider” diesmal wieder frühzeitig ausgeschieden sind), das ist zu bezweifeln.

Viele Fußball-Fans schauen ja ohnehin solche Spiele ohne Ton an oder haben eine Technik, nur die Stadiongeräusche zu hören, aber nicht die geschwätzigen und a priori pro-deutschen Kommentator*innen oder Moderator*innen.

Das Video über das Sommermärchen und den Nationalismus entspricht exakt dem “Beutelsbacher Konsens” von 1976, der bis heute immer angeführt wird in der politischen Bildung:

I. Überwältigungsverbot.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren

Das Video entspricht genau diesem Standard, es überwältigt nicht, sondern regt zu Diskussionen an, es zeigt sowohl nationalistische Symbole, also auch die Kritik daran, also beide Seiten. Das Thema “Sommermärchen” wird “kontrovers” diskutiert, in aller Kürze der Zeit eines Reels oder Kurzvideos, und die Schüler*innen oder eben Rezipient*innen werden in die Lage versetzt, “eine politische Situation” und “eigene Interessenlagen” “zu analysieren”. Aufgrund dieses Videos ließe sich vortrefflich diskutieren, was die Beziehung von Nationalismus und Sport mit der politischen Kultur eines Landes macht, denn wegreden wird ja wohl niemand, dass es nach 2006 den Beginn und Aufstieg sowohl Pegida als auch der AfD gegeben hat und bis heute gibt, die nun mal beide, auch das wird niemand abstreiten, die deutsche Fahne als eines ihrer zentralen Symbole verwendet.

Was bleibt? Die Bundeszentrale für Politische Bildung muss das zensierte Video bzw. die zensierten Videos wieder online stellen und zeigen, dass es eine demokratische Institution ist, die sich umfassend, kritisch und wissenschaftlich mit Phänomenen beschäftigt, hier mit der Beziehung von Sport und Politik.

 

 

[1] Henning Eichberg (1976): Das nationalsozialistische Thingspiel. Massentheater in Faschismus und Arbeiterkultur, in: Ästhetik und Kommunikation, Jg. 7. (1976), H. 26, S. 60–69, hier S. 68.

[2] Klaus Sauer/German Werth (1971): Lorbeer und Palme. Patriotismus in deutschen Festspielen, München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

[3] Gustav Goes (1934): Opferflamme der Arbeit. Ein Freilichtspiel, Berlin, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 177. Goes hat auch den Aufsatz »Vom Stadion zum Thingspiel«, in: Bausteine zum deutschen Nationaltheater verfasst, der die »maßlose Wut« der Deutschen zum Thema hatte und den Konnex von Stadion- und Thingspiel beleuchtete, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 176. Ohne Eichberg substantiell zu kritisieren oder seine Mimikry, im Reden über den Nationalsozialismus eine subkutane Apologie desselben zu leisten, zu erfassen, ist der Anspruch, die Bedeutung der Stadionspiele weniger als Vor- als vielmehr ›Nach‹läufer der Thingspielbewegung zu analysieren von Bernhard Helmich zu erwähnen, vgl. Bernhard Helmich (1989): Händel-Fest und »Spiel der 10.000«. Der Regisseur Hanns Niedecken-Gebhard, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXX, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Bd. 32), hier S. 12 f. (u. a. im Bezug auf Eichberg).

[4] Goes 1934, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 181 f.

[5] Vgl. Clemens Heni (2006): Ahasver, Moloch und Mammon. Der ‘ewige Jude‘ und die deutsche Spezifik in antisemitischen Bildern seit dem 19. Jahrhundert, in: Andrea Hoffmann et al. (Hrsg.) (2006), Die kulturelle Seite des Antisemitismus zwischen Aufklärung und Shoah, Tübingen: TVV, S. 51–79.

[6] Eichberg 1976, S. 62.

[7] Es wurde offiziell nie als Thingspiel bezeichnet, doch das tut hier nichts zur Sache. Über solche Kompetenzstreitigkeiten und inner-nationalsozialistischen Machtspiele werde ich hier nicht berichten. Beispielsweise verwahrte sich in einer Presseanweisung vom 23.10.1935 die NS-Führung dagegen, zukünftig Worte wie »Thing« zu verwenden. Eine solche Position ist selbstredend nicht anti-germanisch oder antivölkisch, vielmehr machtpolitisch motiviert gewesen, vgl. Wolfgang Emmerich (1971): Zur Kritik der Volkstumsideologie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (edition suhrkamp), S. 146 ff.

[8] Richard Euringer (1933): Deutsche Passion 1933. Hörwerk in sechs Sätzen, Oldenburg i. O./Berlin: Gerhard Stalling, Verlagsbuchhandlung. Es handelt sich um Band 24 der von Werner Beumelburg herausgegebenen Schriftenreihe »Schriften an die Nation«. Sie wirbt im Bandumschlag damit, » …hat die Schriftenreihe im stärksten Maße dazu beigetragen, die deutsche Revolution vorzubereiten«. Auch Euringer hat die deutsche Revolution antizipiert: »Entworfen Weihnacht 1932. Vollendet Frühmärz 1933. Urgesendet in der ›Stunde der Nation‹, Gründonnerstag, 13. April 1933, über alle deutschen Sender« (ebd., S. 4). Dieses Werk erhielt am 1. Mai 1934 durch den Reichspropagandaminister Goebbels den ›nationalen Buchpreis‹ als bestes Buch des Jahres, vgl. Umschlag.

[9] Euringer 1933, zitiert bei Eichberg 1976, S. 60.

[10] Eichberg 1976, S. 60.

[11] New german critique, 1977, H. 11, darin Henning Eichberg (1977b): The Nazi Thingspiel, in: New German Critique, No. 11, S. 133–150. In dem Standardwerk Sachwörterbuch der Literatur taucht in der Auflage von 1979 erstmals das Stichwort »Thingspiel« auf, und auch Eichbergs erst kurz zuvor erschienenen Texte, sowohl seine Monografie als auch sein englischer Aufsatz werden hierbei aufgeführt, vgl. Gero von Wilpert (1955)/1979: Sachwörterbuch der Literatur, 6. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 836 f.

[12] Eichberg, Henning u. a. (1977a): Massenspiele. NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell, Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog (problemata 58), S. 158.

[13] Euringer 1933, S. 16.

[14] Ebd. Auch auf dem Umschlag des schmalen Euringer-Bandes ist eine große Dornenkrone abgebildet.

[15] Ebd., S. 20.

[16] Ebd., S. 22.

[17] Ebd., S. 24.

[18] Ebd., S. 25.

[19] Ebd., S. 28.

[20] Ebd., Regieanweisung.

[21] Ebd., S. 29, Regieanweisung.

[22] Ebd., S. 29.

[23] Ebd.

[24] Dass das ›Führerprinzip‹ erst mit Möllers Würfelspiel (vgl. unten) 1936 eingeführt worden sei – so Henning Rischbieter (Hg.) (2000): Theater im ›Dritten Reich‹. Theaterpolitik Spielplanstruktur NS-Dramatik, Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung, S. 41 – ist also schon bei Betrachtung des ersten de facto Thingspiels zu revidieren: »Die Legende bezieht ihre mythische Qualität aber nicht nur aus ihrer Analogie zur Christuspassion, sondern bemüht zusätzlich den Mythos vom ›Unbekannten Soldaten‹, mit dem Euringer eindeutig auf Hitler verweist. Hitler nannte sich selbst gern den ›unbekannten Gefreiten des Weltkriegs‹« (Hannelore Wolff (1985): Volksabstimmung auf der Bühne? Das Massentheater als Mittel politischer Agitation, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang (Europäische Hochschulschriften, Reihe 30, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Bd. 23), S. 198). Wolff nimmt Eichbergs Thingspiel-Aufsatz (Eichberg 1976) in ihr Literaturverzeichnis auf, ohne sich jedoch näher mit ihm zu befassen, also auch nicht seine Apologie des Thingspiels, zu erfassen.

[25] Euringer 1933, S. 34, Regieanweisung.

[26] Ebd., S. 35.

[27] Vgl. unten zu den Unsterblichen/Toten auch Diems »Weihespiel«.

[28] Euringer 1933, S. 34 f.

[29] Ebd., S. 46.

[30] Ebd., Regieanweisung.

[31] »Mit Getöse in die Tiefe« (ebd., S. 47, Regieanweisung).

[32] Ebd., S. 47.

[33] »Aus den Himmeln Orgelton« (ebd., Regieanweisung).

[34] Ebd., Regieanweisung.

[35] Von den 1920er bis in die 1950er Jahre war Hanns Niedecken-Gebhard Intendant und Regisseur, eine prägende Figur im Theaterleben der Nazis, zuvor und unmittelbar danach. Er durfte Euringers Passion in deutsche Szene setzen. Helmichs pure Deskription kann ich nicht anders als affirmativ lesen: »Statt der ›stumm vorbeiziehenden Jüngsten‹ hätte der Kritiker des ›Völkischen Beobachter‹ lieber ›stramme Hitler-Jugend oder SA‹ aufmarschieren sehen. Immerhin erreicht Niedecken, dass die fast 2.000 Zuschauer sich am Ende – beim Erklingen von volkstümlicher Musik und gleichzeitigem Entrollen von Hakenkreuzfahnen – spontan von ihren Plätzen erheben und die Arme zum ›Deutschen Gruß‹ in die Höhe strecken« (Helmich 1989, S. 180). Was für ein ›immerhin‹!

[36] Allgemein lässt sich zu den Thingspielen sagen: »Die Aufführungen endeten fast immer nach dem gleichen Schema, das häufig bereits in den Texten vorgegeben war: am Schluß des Spiels zogen nationalsozialistische Formationen, die Kolonnen der SA, der SS, des Arbeitsdienstes oder anderer Verbände mit ihren Fahnen und Standarten und begleitet von Marschmusik durch die Zuschauerreihen hindurch in das Theaterrund ein. Das Singen des Horst-Wessel- oder des Deutschland-Liedes, in das alle Versammelten, Mitwirkende und Zuschauer, einfielen, war in der Regel Höhepunkt und Abschluß eines Thingspiels« (Wolff 1985, S. 225).

[37] Scheits Interpretation, die das Fehlen eines offenen Antisemitismus in diesen Stücken betont, ist gleichwohl aufschlussreich. Sie sieht in dem »bösen Geist« die Gegenfigur zum »namenlosen Soldaten« bei Euringer: »Schon der erste große Erfolg in diesem Genre [dem ›Thingspieltheater‹, C. H.] – Richard Euringers Deutsche Passion 1933 – hatte nicht zufällig die Dramaturgie des Passionsspiels adaptiert; zugleich ist dieses Thingspiel der ersten Stunde so etwas wie eine trivialisierte und proletarisierte Version des Parsifal – mit deutlichen Anleihen beim deutschen Expressionismus. Es fällt auf, dass der Antisemitismus des Stücks dabei kaum konkreter wird als der von Wagners Musikdramen: Kontrahent des gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs, der als Wiederauferstandener Deutschland erlöst wie Christus die Menschheit und Parsifal die Ritter, ist nicht ›der Jude‹, sondern ein »Böser Geist«, der nicht deutlicher auf das Judentum anspielt als etwa Alberich, Kundry oder Klingsor. (…) Die Christus- und Parsifalfigur der Deutschen Passion, der gefallene und wiederauferstandene Soldat, bedeutete eine unmittelbare und für jeden verständliche Anspielung auf Adolf Hitler. Näher wagten sich Theater und Spielfilm nie wieder an den ›Führer‹ heran« (Gerhard Scheit (1999): Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus, Freiburg: ça ira, S. 358).

[38] Zitiert nach Stefan Busch (1998): »Und gestern, da hörte uns Deutschland«. NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Friedrich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel, Würzburg: Königshausen & Neumann (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte Band 13), S. 206, Anm. 180.

[39] So ein Flugblatt des »Freundeskreises Freiheit für Deutschland«, zitiert nach: Bernhard Pörksen (2000): Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch in neonazistischen Medien, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 143. Seit 02.09.1993 ist der »Freundeskreis Freiheit für Deutschland« eine verbotene Organisation.

[40] Pörksen 2000, S. 144; vgl. zum Topos ›Völkermord‹ bzw. ›Volkstod‹ III.4.e [in meiner Dissertation].

[41] Eichberg 1976, S. 62.

[42] Ebd., S. 61.

[43] Ebd.

[44] Vgl. bezüglich Achim von Arnims Antisemitismus und dem ›Ausscheiden‹ alles Fremden Susanna Moßmann (1994): Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der ›Christlich-deutschen Tischgesellschaft‹, in: Hans Peter Herrmann/Hans-Martin Blitz/dies. (1994): Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), S. 123–159.

[45] Eichberg 1976, S. 65.

[46] Das ›kulturelle Thing‹, d. h. das Thingspiel, wurde womöglich auch aufgrund der Konkurrenz zum ›politischen Thing‹, den Nürnberger Reichsparteitagen bzw. insgesamt der Inszenierung des Staates als »›Volksdrama‹« (Goebbels), aufgegeben, vgl. Peter Reichel (1991)/1994: Der schöne Schein des Dritten Reichs. Faszination und Gewalt des Faschismus, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Buchreihe), S. 339 f.

[47] Busch 1998, S. 148. »Zum ›Führergeburtstag‹ am 20.4.1934 schrieb Möller im Völkischen Beobachter: ›Wir sind in die S.A. gegangen, um als Soldaten die nationale Revolution durchzukämpfen, die wir an unseren Schreibtischen nicht hätten durchkämpfen können, und wir bleiben als Soldaten in unsern Stürmen, auch wenn wir schreiben‹« (ebd., Anm. 15).

[48] 25 Jahre nach seinen Thingspiellobeshymnen spricht Eichberg nebenbei und gezielt in der Diktion seiner rhetorischen Mimikry sein antiaufklärerisches Politikkonzept wieder an: »In seinem Buch ›Thing und Polis‹ versuchte der Maler Asger JORN eine politische Theorie aus dem Geiste des situationistischen Anarchismus heraus. Er setzte zwei Konfigurationen scharf gegeneinander, als historische Erfahrungen und zugleich als Ausgangspunkte zweier unterschiedlicher Auffassungen von Demokratie. Die Polis stand für das Modell der Bürgerpolitik; sie entstand historisch aus der Kombination von Burg bzw. Befestigung, stadtbürgerlicher Klassengesellschaft und Sklavenökonomie. Der Thing stand für die Selbstverwaltung ländlicher Sippen, für die Dorfdemokratie, und der Bauer wurde zum Joker zwischen urbaner Bourgeoisie und Proletariat« (Henning Eichberg (2001a): Bewegung in der Stadt – Bewegung im Labyrinth. Über fraktale Aspekte körperlicher Praxis, in: Jürgen Funke-Wiencke/Klaus Moegling (Hg.) (2001): Stadt und Bewegung. Knut Dietrich gewidmet zur Emeritierung, Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag (Bewegungslehre & Bewegungsforschung Bd. 12), S. 28–44, hier S. 34 f.).

[49] Eberhard Wolfgang Möller (1936)/1940: Das Frankenburger Würfelspiel. Volksausgabe, mit einem Nachwort und einer Bühnenskizze, Berlin: Theaterverlag Albert Langen/Georg Müller, S. 52.

[50] Eichberg 1976, S. 62 f.

[51] Ebd., S. 62.

[52] Das Zeitschriftenprojekt Ästhetik und Kommunikation bot Eichberg gleich mehrmals die Gelegenheit zur Publikation seiner neu-rechten Gedanken, 1976, 1979 und 1994.

[53] »Whether in his dramatic works, poetry, or radio dramas, Möller always stressed the leitmotifs of heroism, anti-Semitism, and anticapitalism« (Jay W. Baird (1994): Hitler’s Muse: The Political Aesthetics of the Poet and Playwright Eberhard Wolfgang Möller, in: German Studies Review, Vol. XVII (1994), No. 2, S. 269–285, hier S. 270). Als Beispiel für Möllers Antisemitismus vgl. Eberhard Wolfgang Möller (1934): Rothschild siegt bei Waterloo. Ein Schauspiel, Berlin: Theaterverlag Albert Langen Georg Müller, das seine Uraufführung am 5. Oktober 1934 in Aachen und Weimar hatte. »Eberhard Wolfgang Möllers ›Rothschild siegt bei Waterloo‹ liegt eine Anekdote zugrunde, nach der aus dem Blutopfer von Zehntausenden ein Börsenmanöver gigantischen Ausmaßes gemanagt wird. Es ist die bitterernste Satire des ewig raffenden Geistes schlechthin. Verdienen statt dienen, Risiko statt Einsatzbereitschaft, Geld als Endziel aller Macht sind seine Schlagworte«, Rhein.-Westf. Zeitung, Essen, Buchumschlag Möller 1934. Entgegen dem bereinigten Stück Frankenburger Würfelspiel, das ja der internationalen Öffentlichkeit zur Zeit der Olympiade 36 galt, ist hier also der Antisemitismus offenkundig. Im September 1939 fasste Möller während der Vorbereitung zu ›Jud Süß‹ sein nationalsozialistisches Weltbild zusammen: »Wir lassen die Geschichte sprechen. Und sie zeigt nicht, daß ›der Jude auch ein Mensch‹ ist, nein, sie stellt klar, daß der Jude ein ganz anderer Mensch ist als wir, und daß ihm die uns angeborene sittliche Kontrolle über sein Handeln fehlt. (…) Keinen bösen Dämon wollten wir darstellen, aber den Abgrund zwischen der jüdischen und der arischen Haltung wollten wir dartun«, zitiert nach Busch 1998, S. 157, Herv. im Original. Allerdings verweist Busch ohne Kommentar an mehreren Stellen auf Eichbergs NS-Thingspiel Band von 1977, vgl. Busch 1998, S. 149, Anm. 21; 163, Anm. 72; 184, Anm. 133. Ein solches Rekurrieren auf Eichberg noch im Jahre 1998 halte ich gerade in einer wissenschaftlichen Arbeit für symptomatisch für die Virulenz Eichbergs rhetorischer Mimikry. Ebenfalls kommentarlos wird Eichbergs Apologie Möllers nicht gesehen, wenn Sarkowicz/Mentzer in ihrem Standardwerk Eichberg in die sehr knappe Literaturliste aufnehmen, vgl. Hans Sarkowicz/Alf Mentzer (2000): Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg/Wien: Europa-Verlag, S. 284 f.

[54] Kothurne sind in der Antike aufgekommene Bühnenschuhe.

[55] Eichberg 1976, S. 63.

[56] So die Darstellung bei Karl-Heinz Joachim Schoeps (1992)/2000: Literatur im Dritten Reich (1933–1945), 2., überarb. u. erg. Aufl., Berlin: Weidler Buchverlag (Germanistische Lehrbuchsammlung), S. 160. Allerdings zitiert Schoeps Eichberg ebenfalls gleich mehrfach, um ihn gar als ernstzunehmenden Historiografen der Thingspielbewegung heranzuziehen, demnach sei es evident, dass das »›Thingspiel als politisch-kultisches Massentheater den wichtigsten Beitrag darstellte, den der Nationalsozialismus zur Kunstform des Theaters und der Literatur leistete‹« (Eichberg 1977, S. 5, zitiert bei Schoeps 1992, S. 162, zu weiteren Bezugnahmen auf Eichberg vgl. ebd., S. 167 f.).

[57] Christina Jung-Hofmann (2002): Engagierte Literatur und rhetorischer Realismus. »Panamaskandal« und Weimarer Republik bei Wilhelm Herzog und Eberhard Wolfgang Möller, in: Stefan Neuhaus/Rolf Selbmann/Thorsten Unger (Hg.) (2002): Engagierte Literatur zwischen den Weltkriegen, Würzburg: Köngishausen & Neumann ( Schriften der Ernst-Toller-Gesellschaft, Band 4), S. 219–237, hier S. 236.

[58] Eichberg 1977, S. 143. Genau diese Seite führt [die Historikerin Christiane Eisenberg] abschließend an, um Eichberg Recht zu geben in seinen Analysen. Allein schon die Zeiteinteilung »1937/45«, Eichberg meint ganz offensichtlich das vermeintliche Verebben der Thingspielbewegung 1937 und mit 1945 das Ende des Nationalsozialismus, ist eine Verharmlosung nationalsozialistischer Totalität. Dieser sehr einfache Trick Eichbergs, ein vermeintlich diskontinuierliches Moment des Nationalsozialismus hervorzuheben und zu einer Periode zu stilisieren, fällt Eisenberg entweder nicht auf oder sie affirmiert diese Sichtweise.

[59] Ebd., S. 143-146.

[60] Ebd., S. 144.

[61] Ebd.

[62] Ebd., S. 145. Helmich stellt diesen Opfertod recht positiv dar: »Für Diem liegt in dieser Szene [der vorletzten von Olympische Jugend, C. H.], die die Olympische Flamme zum Sinnbild der Seele der Jugend werden läßt, der ›geistige Höhepunkt‹ des Spiels. Dessen eigentlicher Sinn aber erschließe sich im folgenden Bild, ›Heldenkampf und Totenklage‹«; es folgt die oben zitierte »Opfertod«-Passage, die weiter erläutert wird: »Für den Rezitator Joachim Eisenschmidt werden diese Verse wenige Jahre später zur Realität werden«, um schließlich mit dem »Anspruch der Tanzkunst« eines Rudolf von Laban die praktisch werdende Frage »Wann und wie darf ich töten« zu stellen, Helmich 1989: 209 f. In der Weimarer Republik war Laban »zum großen Guru des Ausdruckstanzes« avanciert, später konnte er die Olympische Jugend mit inszenieren, vgl. Horst Koegler (1980): Vom Ausdruckstanz zum »Bewegungschor« des deutschen Volkes: Rudolf von Laban, in: Karl Corino (Hg.) (1980): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, Hamburg: Hoffmann und Campe, S. 165–179, hier S. 171 bzw. S. 176.

[63] Julia Becker/Ulrich Wagner/Oliver Christ (2007): Nationalismus und Patriotismus als Ursache von Fremdenfeindlichkeit, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 131–149, hier S. 146f.

[64] Michael Mutz/Markus Gerke (2019): Fußball und Nationalstolz in Deutschland. Eine repräsentative Panelstudie rund um die EM 2016, Wiesbaden: Springer VS, S. 26.

[65] Ebd., S. 161.

[66] Ebd., S. 161f.

Hoffnung für Israel und Nahost: vier befreite Geiseln und Saudi-Arabien reduziert den antizionistischen Antisemitismus, die Abraham Verträge sind stabil

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Es gibt Hoffnung. Heute hat die israelische Armee (IDF) vier Geiseln der Hamas, die seit dem 7. Oktober 2023 gefangengehalten wurden, befreit. Alle vier sind in guter Verfassung. Ein Freudentag:

Es ist zu hoffen, dass die IDF auch alle weiteren Geiseln befreien kann: Bring them Home Now!!!

Dazu gibt es trotz aller diplomatischen Verwerfungen auch positive Entwicklungen. So scheint sich die politische Kultur in Saudi-Arabien zu wandeln. Das autokratische Herrscherhaus hat offenkundig veranlasst, dass in Schulbüchern Juden und Israel weniger negativ und antisemitisch dargestellt werden:

Das Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education (IMPACT-se) aus London hat eine Studie über die Darstellung Israels und der Juden sowie des Zionismus in saudi-arabischen Schulbüchern publiziert. So wird jetzt in dortigen Schulbüchern Israel nicht mehr so negativ präsentiert. Der Zionismus wird in saudi-arabischen Schulbüchern nun nicht mehr als “rassistische europäische Bewegung” vorgestellt, dessen Ziel es sei, die Palästinenser zu vertreiben:

According to IMPACT-SE, “Portrayals of Israel and Zionism have progressed further. Students no longer learn content which defined Zionism as a “racist” European movement that aims to expel Palestinians, or that Zionism’s “fundamental goal” is to expand its borders and take over Arab lands, oil wells and Islamic and Christian holy sites in Jerusalem.”

Solche kleinen Schritte sind von höchster Bedeutung und stehen in starkem Kontrast zu der in dieser Massivität, Aggressivität, Brutalität und Quantität noch nie dagewesenen Agitation gegen den Zionismus und Israel im Westen wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Doch die Friedensverträge Israels mit Ägypten und Jordanien wie auch die diplomatischen Abkommen (Abraham Accords) mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko halten und sind stabil. Trotz der extremen Krise, der sich Israel und der Nahe Osten seit dem genozidalen Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegenübersehen, sind die Abraham Verträge intakt.

Ja, mehr noch: die erwähnten Änderungen in den Lehrplänen und Schulbüchern in Saudi-Arabien zeigen, dass selbst in dieser größten aller Krisen, die Israel seit 1948 international durchläuft, die Kooperation mit arabischen Staaten weiterhin ein ganz neuer und zentraler Faktor für die Unterstützung Israels ist. Israel wird von diesen arabischen Staaten als normaler Teil des Nahen Ostens betrachtet und eben nicht mehr als ‘fremd’ oder gefährlich.

Frieden wird es geben, wenn Terrororganisationen wie Hamas oder die Hisbollah und deren Patron, die islamistische Republik Iran, ihre Waffen niederlegen beziehungsweise international isoliert sind. Eine feministische Revolution im Iran wäre dafür am besten geeignet, gegen den Schleierzwang, Homophobie, Antisemitismus und islamistische Ideologie und für ein freies Leben für alle Menschen im Iran.

Auch wenn ein Großteil der Akademiker*innen, der kulturellen Elite und der politisch linken Aktivist*innen in Deutschland sich gegen den Zionismus aussprechen und ihn übelst diffamieren, verändert sich ausgerechnet in der arabischen Welt der Fokus. Dort ist der Zionismus eben gerade nicht mehr der Feind der Muslime und Araber. Diesen Platz hat der Iran übernommen. Ja, die arabische Welte möchte aufstreben und ökonomisch sich öffnen, dazu gehört natürlich in erster Linie der Kampf für Frauenrechte, wovon Saudi-Arabien noch sehr weit entfernt ist. Aber die Öffnung hin nach Israel, was auch Tourismus beinhalten wird, wird auch das reaktionäre arabische Frauenbild verändern, früher oder später.

Selbstredend sind die arabischen Staaten auch deshalb diplomatisch auf Israel angewiesen, weil die USA der wichtigste Verbündete des einzigen Judenstaates ist und die arabischen Staaten sehr auf die militärische Unterstützung aus Washington angewiesen sind, da auch sie den gleichen Feind haben: Iran.

Hoffnung besteht in diesem arabischen Wandel hin zu mehr Kooperation mit Israel. Ob das bei den antizionistischen Agitator*innen in Deutschland, England, Spanien oder den USA ankommt, ist zweifelhaft. Die ironische Pointe jedoch ist: Die Unterstützer*innen Israels sind viel näher dran an der sich wandelnden politischen Kultur in vielen arabischen Staaten als jene antiisraelischen und oft arabischen oder muslimischen Aktivist*innen.

Der Linkszionismus wiederum versprüht wie immer die größte Hoffnung, da er sich gegen Netanyahu und die extreme Rechte in Israel wendet und gleichzeitig für eine Zweistaatenlösung ausspricht. Der Linkszionismus setzt sich für liberale Palästinenser*innen ein, die es weiterhin gibt und die selbst vor der Hamas geflohen sind oder in Gaza gegen die Hamas aktiv sind, oft unter Lebensgefahr.

Jene antizionistischen Aktivist*innen wenden sich somit auch gegen Anti-Hamas Palästinenser.

Die Hoffnung besteht darin, dass auch die Medien diese Entwicklungen zur Kenntnis nehmen.

Politikwissenschaftlich betrachtet sind die diplomatischen und tendenziell pro-zionistischen oder zumindest nicht mehr hardcore antizionistischen Entwicklungen in der arabischen Welt wie der Wandel der politischen Kultur im Bereich Bildungspolitik wie in Saudi-Arabien von großer Bedeutung.

Ironischerweise, und auch das ist eine Art Hoffnung, verorten sich somit Pro-Israel Aktivist*innen näher an Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten als arabische, islamistische und andere Antizionisten in Deutschland, Europa und dem Westen.

 

Rationalisierter Antizionismus, akademische Attitüde und bestes Gewissen. Die Zeitschrift „Merkur“ im Mai 2024

Erschienen am 17. Mai 2024 hier

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Für Eden Golan und zur Erinnerung an Robert S. Wistrich (07. April 1945–19. Mai 2015)

Am 7. Oktober 2023 massakrierten palästinensische Terroristen auf unsagbare Weise über 1200 Jüdinnen und Juden im Süden Israels und entführten 253 Israelis und andere. Es war das schrecklichste Massaker an Juden seit dem Holocaust. Während es in Deutschland die ersten Tage danach eine kurze Solidarität mit Israel gab, wird mittlerweile, wie von der Hamas erhofft, das Ende des jüdischen Staates herbeigesehnt und verhandelt – etwa in der beliebten „Kulturzeitschrift“ Merkur, die natürlich israelische Antizionisten als Kronzeugen auffährt.

Am 7. Oktober 2023 überfielen 3000 Palästinenser Israel, durchbrachen die Grenzanlagen, ermordeten Grenzsoldat*innen und massakrierten über 1200 Jüdinnen und Juden auf eine bestialische Weise, wie wir es seit dem Holocaust nicht gesehen haben. 253 Jüdinnen und Juden sowie andere Menschen wurden zudem von den Hamas-Terroristen in den Gazastreifen entführt, wovon sie 130 immer noch gefangen halten, wobei befürchtet wird, dass schon über 30 von diesen Geiseln bereits ermordet wurden.

Das macht den 76. Geburtstag Israels vorgestern, also am 14. Mai 2024 zu einem der traurigsten Festtage des Landes.

Die Pro-Palästina-Hetzer (m/w/d) wie in den USA an der Ivy League Columbia University in New York City schreien „Death to the Jews“, „Long live Hamas“ und evozieren die blutrünstige „Intifada“ mit Sprüchen wie „Globalize the Intifada“. Die zweite Intifada war eine Terrorwelle, in der palästinensische Terroristinnen und Terroristen zwischen Herbst 2000 und dem Jahr 2005 mit Bomben und in Selbstmordattentaten über 1000 Israelis in Israel ermordeten, darunter über 700 Zivilist*innen.

Fragwürdige Solidarität von universitären Wissenschaftlern mit antisemitischen Aktivist*innen

Viele Wissenschaftler*innen der Columbia University haben sich hinter die antisemitischen Student*innen und ihre aktivistischen Freund*innen von außerhalb der Universität gestellt. In Berlin stärkten Hunderte Professor*innen und Dozent*innen den antisemitischen Aktivist*innen in Berlin den Rücken, die ihrerseits ihre Solidarität mit der Hamas und dem palästinensischen Judenhass zum Ausdruck brachten, wie auch an anderen Universitäten in Deutschland. 300 andere Professor*innen und Dozent*innen der FU Berlin hingegen kritisierten schon im Februar 2024 den Antisemitismus auf dem Campus ihrer Uni; diese Erklärung wurde auch offiziell auf der Seite der FU Berlin publiziert, was zumindest zeigt, dass die führenden Professor*innen dort keine Israelfeinde sind. Aber auf der Straße, in der U-Bahn und zwar nicht nur in Berlin-Neukölln herrscht der pure antisemitische Mob, wie Aufkleber, Sprechchöre, Fahnen, Schals zeigen. Wer sich in Berlin offen mit einer Israelfahne zeigt (wie jüngst auf dem Alexanderplatz), als Jude/Jüdin oder pro-israelischer Aktivist bekannt oder erkennbar ist, läuft sofort Gefahr, diffamiert, angegriffen oder sogar gefährlich verletzt zu werden.

Der muslimische und palästinensische wie linke Antisemitismus haben historisch-genetische Beziehungen zum nationalsozialistischen Antisemitismus – wie vor allem die Kooperation des Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini mit Hitler und den Deutschen -, und sie stellen sich selbst in die Tradition der Nazis wenn sie, wie in den USA geschehen, „Tod aller Juden“ brüllen und „Zionisten“ nicht an die Universität lassen oder schreien: „go back to Poland“. ‚Linke‘, Postkolonialisten und woke Antiaufklärer drohen Juden mit Auschwitz. Das ist 2024!

Die deutsche „Ja, aber“-Fraktion, auch und gerade in der Zeitschrift Merkur

Anfänglich gab es auch in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 einen großen Schock und tatsächliche Anteilnahme und Solidarität mit Israel. Doch nach wenigen Tagen schon änderte sich das und die „ja, aber“-Fraktion begann, das Ruder zu übernehmen. Im Mai-Heft der ganz normalen bürgerlichen Zeitschrift Merkur schließlich heißt es nun:

„Auffällig ist aber auf der anderen Seite auch die Vehemenz, mit der weite Teile der deutschen Öffentlichkeit jeder Israelkritik wie auch der Sorge um das Wohl der Palästinenser begegnen: Was bedeutet es, wenn die Welt einen Podcast mit Free Palestine ist das neue Heil Hitler betiteln kann? Welche Verschiebungen und Projektionen sind hier am Werk? Wie kann es sein, dass Kinder, die ein Palästinensertuch tragen, also ein Kleidungsstück, das seit Jahrzehnten in Deutschland präsent ist, plötzlich eine solche Gefahr darzustellen scheinen, dass sie von Schulleitungen gegängelt werden müssen?“

So formuliert es der Autor Jonas Rosenbrück. Dem kann man nur entgegen: Ja, das Palästinensertuch ist seit dem 7. Oktober 2023 das Symbol der Freude ob des Judenmords. Es ist keineswegs primär ein Symbol für einen Staat Palästina, sondern seither ein Symbol für den Judenmord. Ich sah, wenige Tage nach dem 7. Oktober, eine schwarzhaarige Frau mit dem Palästinensertuch wie einem Siegessymbol über ihre Schulter gelegt, in einem Uni-Café am Universitätsplatz in Heidelberg.

Zugleich leugneten Feministinnen die sexuelle Gewalt ihrer muslimischen und palästinensischen Brüder im Geiste. Von anderen wurde das schlimmste Massaker an Juden seit Babyn Yar entweder bestritten oder sogar mit Süßigkeiten gefeiert.

Flagrante Täter-Opfer-Umkehr zu Lasten Israels

Die Täter-Opfer-Umkehr setzte damit einhergehend umgehend ein. Israel sei der Täter, die Palästinenser das Opfer. Würde die Hamas heute ihre Waffen abgeben und sich ergeben, wäre der Krieg zu Ende. Würde Israel die Waffen abgeben, würden Millionen Juden in Israel ermordet oder vertrieben, das zeigt der 7. Oktober. Das Problem heißt Iran und es heißt Islamismus und es heißt säkularer antizionistischer Antisemitismus.

Die Hamas möchte so viele zivile Opfer wie möglich, ihr sind die Palästinenser völlig egal, sie will Tote und Eskalation, daher verschanzen sie sich in Privathäusern, deponieren Waffen in Krankenhäusern, Moscheen oder Kindergärten.

Der erwähnte Welt-Podcast mit Jonathan Kalmanovich, der als Rapper Ben Salomo bekannt geworden ist, und dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, Mathias Döpfner, also der Podcast, den Merkur so schrecklich und empörend findet, ist definitiv hörenswert. „Free Palestine ist ein Vernichtungsslogan“ – exakt das hat Ben Salomo darin auf den Punkt gebracht.

Konkret geht es um die sehr alte jüdische Familie, der Jonathan entstammt und die vor 1000 Jahren aus Italien nach Worms kam, was man dort noch auf dem jüdischen Friedhof sehen kann, einem Friedhof mithin, auf dem, wie Döpfner, der Ende 2023 dort war, erzählt, die Grabsteine nicht wie üblich gen Jerusalem zeigen, sondern nach Italien, aus Dankbarkeit oder Gedenken an die Familie Kalmanovich.

Sodann geht es in dem Podcast um die Beziehung des Mufti von Jerusalem zu den Nazis und Deutschen, um Verschwörungsmythen zum 7. Oktober und um die vielen antisemitischen Kommentare, die Ben Salomo zum Beispiel auf Instagram täglich bekommt, wo sich Hetzer*innen über ihn auslassen und offen sagen, der Islam beziehungsweise der Koran würden seinen Tod rechtfertigen.

Was stört den Merkur an einem proisraelischen Podcast mit Ben Salomo und Mathias Döpfner?

Warum hat der Merkur ein Problem mit diesem Podcast? Sind es Ressentiments gegen Juden im Allgemeinen oder gegen den jüdischen Rapper Ben Salomo im Besonderen? Döpfner sagt am Ende, wie widerlich es sei, dass gerade in Deutschland, dem Land der Täter im Holocaust, die Kritik an Israel, die eine Ablehnung des Staates als jüdischer Staat Israel ist, so wahnsinnig weit verbreitet ist.

Am Ende seines Merkur-Elaborats formuliert Rosenbrück vorgeblich sachlich und ohne Aufregung eine Perspektive, die das Ende Israels geradezu herbeibeschwört, weil es die beste und einzig mögliche Lösung sei:

„In Bezug auf die langfristige Perspektive betonen palästinensische Wissenschaftler wie Ahmad Samih Khalidi und jüdische Denker wie Omri Boehm immer mehr, dass die Zwei-Staaten-Lösung, an die sich auch die deutsche Politik weiterhin klammert, realitätsfern und nicht umsetzbar ist: Wie Boehm in seinem Buch Haifa Republic dargelegt hat, sind die territorialen Verstrickungen jüdisch-israelischer und palästinensischer Menschen mittlerweile so tief, dass nur ein binationaler Staat oder eine föderale Lösung in der Lage sind, das Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer für alle dort lebenden Menschen zu einer friedlichen und florierenden Heimat zu machen. (…)

Nur die Gutgläubigsten der Gutgläubigen könnten so etwas ernsthaft vorschlagen, lautet die naheliegende Bezichtigung. Auf eine solche Vorhaltung gibt es nur eine Antwort: Es ist noch naiver zu glauben, dass es ohne eine föderale Lösung, die allen in Israel und Palästina lebenden Menschen gleiche Rechte verschafft, nicht immer wieder zu Gewalt und Tod kommen wird, wie wir sie heute erleben.“

Ausgerechnet in Deutschland wird der antizionistische Philosoph Omri Boehm gefeiert

Der israelische Philosoph Omri Boehm, der in den USA lehrt, ist ein bekannter Vertreter des Antizionismus. Dennoch wird er gerade in Deutschland gefeiert und prämiert. Er stellte sich jüngst hinter die Pro-Israel-Boykott Philosophin Nancy Fraser, der eine Gastprofessur an der Uni Köln zum Glück wieder entzogen wurde, weil sie einen antizionistischen Aufruf gegen Israel im November 2023 unterschrieben hat.

Wie peinlich und ahistorisch Boehms Buch Haifa Republic ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass er behauptet, noch nie wären israelische Araber an einer Regierung in Israel beteiligt gewesen, damit möchte er sozusagen Israel einen strukturellen Rassismus anhängen. Nur: diese Behauptung ist falsch, Araber waren in den 1950er Jahren, Anfang der 1990er Jahre und exakt zu der Zeit, als das antizionistische Pamphlet von Boehm erschien, im August 2021, Teil einer Regierung in Israel. Somit war das Buch Haifa Republic schon im August 2021, als es erschien, veraltet und ein Fall für die Müllhalde. Doch genau solche unwissenschaftlich arbeitenden und politisch gegen Israel agitierenden Autoren wie Boehm werden geehrt. Er erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024 und er durfte gar am 7. Mai 2024 auf den Wiener Festwochen ausgerechnet auf dem Wiener Judenplatz als Redner seinem kosmopolitisch verkleideten Israelhass frönen. Dabei gibt es eine Interpretationslinie von Kants „Ewigem Frieden“ und dem Antizionismus, doch das wäre eine philosophische Diskussion, die hier zu weit führte.

Ideologen wie Boehm sind die Kronzeugen des Merkur für eine angeblich friedliche Zukunft in Nahost. Es wäre eine Zukunft ohne zionistische Juden. Islamisten würden auch antizionistische Juden massakrieren. Wer das nicht glaubt, hat nicht im Ansatz verstanden, was am 7. Oktober in Israel passiert ist. Gerade die Friedensaktivist*innen dort wurden vergewaltigt, verstümmelt, lebendig verbrannt und erschossen. Darum ging es der Hamas: gerade: die Linken zu massakrieren. Ausgerechnet also jene, die ihnen zuvor Jobs in Israel verschafft hatten oder sie zum Krankenhaus begleiteten bei einer Krebserkrankung oder mit ihnen gemeinsam zur Ernte fuhren.

Anstatt wegen der jahrzehntelangen Ablehnung eines eigenen Staates unter Anerkennung des jüdischen die Palästinenser in Haftung zu nehmen, wird deren judenhasserisches Narrativ übernommen und eine Einstaatenlösung proklamiert, wo Juden dann die Minderheit wären und unter Muslimen exakt so behandelt werden würden wie wir es am 7. Oktober von den feixenden, lachenden, brüllenden, „Allahu Akbar“ schreienden und Cola oder Soda trinkenden palästinensischen Monstern erlebt haben, sie haben es ja selbst gefilmt und teils live gestreamt.

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Wie im Merkur die Parole „from the River to the Sea” grotesk verharmlost wird

Ein weiterer Text in der Mai-2024-Ausgabe des Merkur dieses Mal von, von Avner Ofrath fällt mit sophistischen Pirouetten auf und fantasiert faktenfrei, dass die auf die Vernichtung Israels gerichtete Parole „from the River to the Sea, Palestine will be free“ in einigen Jahren angeblich ganz anders gemeint sein könnte. Da die Redaktion diesen Text als besonders wichtig empfindet, ist er sogar online frei verfügbar:

„Nur: Wenn mit der Forderung ‚Ceasefire Now‘ nicht nur ein Ende der Gewalt, sondern auch ein erster Schritt in Richtung politische Transformation gemeint sein soll, wenn mit der Parole ‚From the River to the Sea, Palestine Shall Be Free‘ kein algerisches Szenario, sondern eine auf Gleichheit und Gerechtigkeit basierende Lösung gemeint sein soll, dann führt an einer politischen Auseinandersetzung zwischen Erzfeinden, zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten kein Weg vorbei. Konstruktiv würde sie nur durch das Erkennen und Erkunden von Ambivalenzen. Die heute noch so radikal klingenden Parolen könnten morgen oder übermorgen schon leer wirken.“

Der ganze Text ist eine Rationalisierung des antizionistischen Antisemitismus. „From the River to the Sea“ meint die Zerstörung Israels. Wer das in Abrede stellen will, handelt kontrafaktisch. Auch in zehn oder 100 Jahren meint diese Parole exakt das: die Zerstörung des einzigen Judenstaates.

Es ist zudem keine neue Parole, sondern die Ideologie der Araber und Palästinenser seit 1948 und schon zuvor. Sie akzeptieren keinen jüdischen Staat – das ist das Kernproblem des antizionistischen und islamistischen oder muslimischen Antisemitismus, von den Arabern seit spätestens 1929 (Hebron-Massaker) und den Aufständen von 1936 bis 1939, als auch die bis dato Kulturzionisten und Anhänger eines binationalen Staates zu politischen Zionisten wurden, wie der 1923 aus Deutschland ausgewanderte Zionist Gershom Scholem – bis zum Iran seit 1979. Scholem schrieb in einem Brief vom 15. Dezember 1939 an seinen Freund Walter Benjamin:

„Die Nazipropaganda ist unter den Arabern sehr viel wirksamer als man gemeinhin zugibt und das ist ein bitteres Stück.“

Wenn es irgendeine große Religion gibt, hier und heute, die ganz sicher nicht auf Gleichheit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist, dann ist es offenkundig der Islam. Das zeigt die graduell unterschiedliche, aber doch strukturell angelegte Frauenverachtung (Kopftuchzwang, Gesichtsschleier, Familienideologie), die Homophobie und der Judenhass in nahezu allen von Muslimen dominierten Gesellschaften, von Indonesien bis Marokko. Länder, die es in über 1000 Jahren nicht geschafft haben, ein säkulares Rechtssystem aufzubauen, sind eine Gefahr für die Demokratie. Und muslimische Länder sind weit überrepräsentiert unter den nicht säkularen Rechtssystemen auf dieser Welt.

Das sicher nicht nur für mich Schockierende ist die Anmaßung von Zeitschriften, Autorinnen und Autoren, Zeitungen und der Öffentlichkeit, nach dem schlimmsten Massaker an Juden seit der Shoah offen und nicht nur klammheimlich über die Zerstörung des einzigen Judenstaates zu reden und sich damit auch noch super aufgeklärt und fortschrittlich, ja emanzipiert vorzukommen.

Döpfner und Ben Salomo hingegen sagen beide sehr wichtige Dinge in dem so hörenswerten Podcast. So erwähnt Döpfner eine Harvard-Studie, derzufolge in einer repräsentativen Umfrage 51 Prozent der 18- bis 24jährigen Menschen in den USA den Massenmord an Jüdinnen und Juden durch die Hamas am 7. Oktober 2023 für „gerechtfertigt“ halten. 51 Prozent!

In einer anderen Umfrage, auch von Ende 2023, sagen 20 Prozent der jungen Amerikaner, dass sie den Holocaust für einen Mythos halten.

Wie der Antisemitismus sich unter jungen Leuten auf TikTok ausbreitet

Schließlich geht es auch um eine der übelsten antisemitischen Dreckschleudern überhaupt, TikTok. Dort gab es, Stand Dezember, der Podcast mit Döpfner und Ben Salomo ist ja wie gesagt vom 12. Dezember 2023, vier Millionen Hashtags #FreePalestine, aber nur 53.000 Hashtags #StandwithIsrael. Das zeigt, wie verbreitet der Hass zumal junger Menschen auf Juden und Israel ist. Döpfner ist schockiert – doch der Merkur möchte den Podcast offenbar verteufelt. Was ist da los beim Merkur?

Dass Israel ein Kolonisator sein soll, wie der Merkur fabuliert, ist ja historisch ohnehin grotesk, Jahrtausende vor dem Auftauchen des Islam gab es schon Juden in Jerusalem und in Israel. Der Zionismus ist nur eine Rückkehr, wenn auch eine anfangs fast ausschließlich säkulare und sozialistische, nach Israel. Israel befreite das Land von der Kolonialherrschaft der Briten.

Das ganze Versagen, die islamistische Ideologie der Hamas zu analysieren und zu attackieren zeigt sich im Merkur exemplarisch für das typische irgendwie linksliberale Bildungsbürgertum, ob nun amerikanisch oder europäisch oder postzionistisch-israelisch, wenn es in dem Text von Ofrath heißt:

„Nach den Massakern der Hamas am 7. Oktober war oft von ‚Kontext‘ die Rede – nicht ohne Grund, wenn auch nicht mit viel Anstand den Opfern gegenüber. Etwas in einen Kontext zu stellen bedeutet, nach Ursachen, Konnexen und Folgen zu fragen. Genau das versuchten israelische Regierungsvertreter durch Gleichsetzung der Hamas mit dem IS oder dem NS-Regime zu verhindern. Ihr Ziel war es, die Hamas als das Böse darzustellen, das unabhängig von Umständen agiert.“

Die Hamas mordet, weil sie morden möchte

In der Tat: die Hamas mordet, weil sie morden möchte, weil ihre Ideologie jener der Muslimbruderschaft von Hasan al-Banna seit 1929 folgt, als diese größte und gefährlichste islamistische Organisation in Ägypten gegründet wurde.

Wer angesichts des präzedenzlosen Massakers an Juden seit 1945 von „Kontext“ redet, möchte nicht über Islamismus, Antisemitismus und die auf die Vernichtung der Juden gerichtete Ideologie der Hamas reden.

Warum geht es dem Merkur offenkundig um die Abwehr luzider Antisemitismuskritik?

Es geht im Merkur in den beiden hier kritisierten Texten von Mai 2024 offenkundig um die Abwehr jedweder luziden Antisemitismuskritik, also vor allem um die Abwehr der Kritik am Antizionismus, der gefährlichsten und am weitesten verbreiteten Form des heutigen Antisemitismus. Und es geht im Merkur ebenso um das tiefe Ressentiment gegen den jüdischen Rapper Ben Salomo und diesen Podcast „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“ mit dem WELT-Journalisten Mathias Döpfner.

Der akademische Ton im Merkur indiziert lediglich eine Rationalisierung des heutigen Antisemitismus, der von Mathias Döpfner und Jonathan Kalmanovich analysiert und kritisiert wird. Die Referenz auf den Antizionisten Omri Boehm in dem zweiten hier kritisierten Text unterstreicht dies mit dicker schwarzer Tinte, die das Blut unkenntlich macht, welches die jüdischen Opfer der palästinensischen Fans der Einstaatenlösung vergossen haben.

Die israelische Regierung würde die Hamas als „das Böse“ darstellen – dabei hat die Hamas sich doch selbst als das abgrundtief Böse gezeigt am 7. Oktober und schon Jahrzehnte zuvor, aber nie so extrem und massenmörderisch wie am 7. Oktober 2023 im Süden Israels. Möchte der Merkur ernsthaft leugnen, dass die Hamas in diesem Konflikt „das Böse“ darstellt?

Der Sonnenaufgang der Aufklärung von 1789, der Einsatz für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, mit allen Defiziten einer Dialektik der Aufklärung, wie sie niemand besser untersuchte als Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, sowie das amerikanische Versprechen nach Glück für Alle sowie selbstredend der Feminismus oder die Kritik am Patriarchat und der Kinder-Moschee/Kirche-Küche-Ideologie sind die Feindbilder des Islamismus und seiner Freunde (m/w/d) weltweit. Die dümmsten der Dummen sind dabei vermutlich die Queers for Palestine, da sie mit die ersten wären, die in Gaza am Laternenmast hängen würden.

Islamisten hassen den Westen und Israel. Es ist eine wichtige und interessante Diskussion, ob Islamisten Israel wegen Amerika verabscheuen oder Amerika wegen Israel.

Was in jedem Fall sehr relevant ist, ist ein weiterer Aspekt, den Döpfner anspricht in diesem so wichtigen Podcast: Juden sind wie Kanarienvögel. Kanarienvögel wurden und werden in Kohlebergwerken eingesetzt, sie haben als erste Probleme mit zu wenig Sauerstoff. Sie sind die Frühwarnung einer Katastrophe. 9/11 zeigte, dass Islamisten die westliche Welt zerstören wollen. Und Israel ist Teil des Westens.

Warum merkt der Merkur nicht, wie sehr sich Jüdinnen und Juden in Deutschland alleine fühlen?

Doch der Merkur möchte offenbar diese Warnungen wie über die Kanarienvögel nicht hören und diffamiert den Podcast „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“, dabei hätten gerade die Herausgeber und die Autorinnen und Autoren des Merkur es bitter nötig gehabt, ihn sich anzuhören, öffentlich zu diskutieren und darauf zu reflektieren. Ich sage das als jemand, der durchaus schon lesenswerte Texte im Merkur gelesen hat wie die Marginalie von David Wagner „27 Schritte durchs Spazieren“ im April-2024-Heft. Aber solche eloquenten, durchaus schöngeistigen Texte werden durch diese aktuellen antizionistischen Tendenzen im Merkur mehr als überschattet.

Der Merkur merkt gar nicht, wie sich Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 alleingelassen, ja extrem bedroht fühlen. Und damit steht der Merkur ganz exemplarisch für die kulturelle Elite in diesem Land, selbstredend nicht so vulgär wie auf der Documenta XV in Kassel oder dem ESC in Malmö, dafür elaborierter, nüchterner und ruhiger hört sich das Verhandeln über das Ende des einzigen jüdischen Staates im Merkur an.

Und das gerade nach dem 7. Oktober. Das macht sprachlos.

Am Israel Chai

Nach dem “Hurricane” des 7. Oktober: Die 20-jährige Eden Golan singt auf dem ESC für das ganze jüdische Volk und den Zionismus

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

An der FU Berlin schreien Hunderte Aktivist*innen “Free Free Palestine” und ein antisemitischer Einpeitscher schreit “From the River to the Sea” und die judenfeindliche Masse ergänzt: “Free Free Palestine“. Das ist ein Mordaufruf. Damit werden Jüdinnen und Juden mit Mord bedroht. Denn am 7. Oktober 2023 zeigten die Palästinenser wie ein Land “from the river to the sea” aussieht: blutverschmierte Hosen von vergewaltigten Frauen, verkohlte Leichen von lebendig verbrannten Jüdinnen und Juden, Kinder mit abgetrennten Händen, Babies ohne Kopf, Hunderte hingemetzelte Musikfans auf einem Rave, entführte Holocaustüberlebende, ermordete Holocaustüberlebende, zu Tode geschleifte Juden und auf Wägen zur Schau gestellte massakrierte Jüdinnen wie die israelisch-deutsche Shani Louk.

Und dann kommt die Wochenzeitung DIE ZEIT daher und schreibt in einer Nüchternheit, in der nur links-liberale Ach-so-Gutmenschen schreiben können, ohne vor Schamesröte im Boden zu versinken:

Beim Slogan “From the river to the sea” zum Beispiel ist die Sache schon weniger eindeutig. Staatsanwaltschaften kümmern sich darum zwar wegen eines Anfangsverdachts auf Volksverhetzung. Aber sie klagen nur an und entscheiden nicht über die Auslegung des Rechts in Deutschland. Das tun Gerichte. Und die haben mittlerweile in mehreren Fällen entschieden, dass der Slogan gerade nicht strafbar ist.

Da lacht die Hamas. Und da lachen die Antisemiten aller Geschlechter mit und ohne FFP2-Maske an der FU Berlin. Selten wurde seit 1945 der Antisemitismus so klein geredet und Aufrufe zum Genozid schlichtweg ignoriert.

Bei einem ‘Protest’ vor der Mensa der FU Berlin zeigten Aktivisten ein Dreieck, das von der Hamas als Symbol für Ziele, die man angreifen soll, verwendet wird.

DIE ZEIT verteidigt Leerkörper ohne “h”, die an der FU Berlin indoktrinieren und die keinerlei Problem mit dem Judenhass der Studierenden haben, ja sie aktiv unterstützen und Polizeieinsätze gegen diesen neuen Antisemitismus attackieren. In einem Offenen Brief schreiben diese Israelfeinde (m/w/d) (“Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten“):

Es ist keine Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog ausgerichtet ist. Umgekehrt gehört es unseres Erachtens zu den Pflichten der Universitätsleitung, solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben.

Damit meinen sie also auch antisemitische Parolen wie “from the river to the sea”. Auch da lacht die Hamas.

Was wäre, wenn die die Identitäre Bewegung Uniräume besetzt hätte und Loblieder auf die Wehrmacht gesungen hätte? Na? Da hätten sie geklatscht, wenn die Polizei die weggeräumt hätte. Die Identitäre Bewegung ist auch eine Gefahr wie alle Formen der Neuen Rechten und des Rechtsextremismus. Aber sie sind ein kleines Problem verglichen mit der riesigen Mengen an jungen und nicht so jungen Leuten, die die Hamas lieben, verharmlosen oder feiern. Denn die größte aktuelle judenfeindliche Bewegung ist die Hamas und somit das islam-faschistische Regime in Teheran.

Israel führt einen Abwehrkrieg gegen die Hamas und die Palästinenser. Da der Hamas die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vollkommen egal ist, versteckt sie ihre Waffen in Moscheen, Kindergärten, Krankenhäusern. Wenn es dann zu Kollateraltoten kommt, wird nicht die Hamas in Haftung genommen, sondern Israel, jetzt auch von US-Präsident Joe Biden. Biden weiß es eigentlich besser, aber die enorm aggressiven antizionistischen Teile seiner eigenen Demokratischen Partei und deren Wähler*innenbasis drängen ihn zu seiner de facto anti-israelischen Politik. Biden macht an wirklich allervordersten Front mit bei der Täter-Opfer Umkehr. Dabei hatte er selbst noch wenige Tage zuvor am Holocaustgedenktag – Yom Hashoa – auf einer Veranstaltung in den USA gesagt, dass die Welt das unfassbare Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober 2023 schon wieder vergessen habe. Hat er es nicht auch fast vergessen? Das Bittere ist, er hat es nicht vergessen, aber er ist ein ganz normaler Politiker und da zählen Werte nun mal gar nicht, sondern nur und logisch nur und nichts anderes als die Macht und die Stimmen der auch allerekligsten Wählerinnen und Wähler wie in Michigan.

Jetzt liegt es an der 20-jährien Eden Golan, das ganze jüdische Volk zu verteidigen auf dem Eurovision Song Contest (ESC) in der aktuell wohl antisemitischsten Stadt Europas, dem schwedischen Malmö und seinen Zehntausenden hardcore islamistischen Muslimen und der säkular-antizionistischen Greta Thunberg:

Die ganze Erbärmlichkeit und der ganze Hass der woken und Klima-Bewegung zeigt sich in diesem Bild von Greta Thunberg mit antizionistischen, islamistischen und die Hamas tätschelnden, verharmlosenden oder aktiv unterstützenden Aktivist*innen in Malmö. Wer hier und heute gegen Israel und nicht gegen die auf den Genozid an allen Juden gerichtete Hamas demonstriert, hat keinerlei moralischen Kompass mehr.

Doch mit diesem Realitätsverlust und diesem Verlust eines moralischen Kompass’ ist Greta Thunberg nicht alleine. Fast alle im Mainstream sind auf ihrer Seite.

Nicht nur den Ausrichtern des ESC, die zwar perfide Änderungen am Beitrag Israels einforderten, sondern allen Musikfans und Zuhörer*innen ist klar, was Eden Golan mit ihrem beeindruckenden und unfassbar starken Song “Hurricane” meint:

Writer of my symphony
Play with me
Look into my eyes and see
People walk away but never say goodbye

Someone stole the moon tonight
Took my light
Everything is black and white
Who’s the fool who told you boys don’t cry

Hours and hours, empowers
Life is no game but it’s ours
While, the time goes wild

Everyday I’m losing my mind
Holding on in this mysterious ride
Dancing in the storm
I got nothing to hide
Take it all and leave the world behind
Baby promise me you’ll hold me again
I’m still broken from this hurricane
This hurricane

Living in a fantasy, ecstasy
Everything is meant to be
We shall pass but love will never die

Hours and hours, empowers
Life is no game but it’s ours
While, the time goes wild

Everyday I’m losing my mind
Holding on in this mysterious ride
Dancing in the storm
I got nothing to hide
Take it all and leave the world behind
Baby promise me you’ll hold me again
I’m still broken from this hurricane
This hurricane

Lo tzarich milim gdolot
(Don’t need big words)
Rak tfilot
(Just prayers)
Afilu eem kashe lirrot
(Even if it’s hard to see)
Tamid ata masheer li or echad katan
(You always leave one single light)

Text: Avi Ohayon, Keren Peles
Komposition: Avi Ohayon, Keren Peles, Stav Beger

Gestern gewann Eden Golan im Halbfinale einen Platz im Finale, das am Samstag Abend stattfinden wird.

Wieder werden Tausende oder wie gestern 12.000 antisemitische Schwed*innen gegen den Auftritt hetzen, Malmö ist eine antijüdische Hölle.

Wir Zionisten (m/w/d) wollen keine Bomben auf Gaza, wir wollen die bedingungslose Kapitulation der Islamfaschisten der Hamas.

Im Gegensatz zu den Islamfaschisten und Palästinensern feiern wir Zionisten nicht tote palästinensische Zivilist*innen, wir verteilen keine Süßigkeiten, wenn aufgrund der Perfidie der Hamas ein Wohnhaus getroffen wird, das nicht nur Hamas-Terroristen und Waffen, sondern auch Dutzende Zivilist*innen beherbergte.

Legte die Hamas ihre Waffen nieder, und der Islamische Jihad, die Hizballah und der Iran ebenso, wäre Frieden in Nahost. Punkt.

Und die Leerkörper und ihr Mob in Berlin sowie wiederum nahezu die gesamte Presse agitieren auf die eine oder andere Weise, ruhig, nüchtern oder vulgär und aggressiv gegen den jüdischen Staat und den Überlebenskampf Israels gegen die Hamas und den Iran. Nicht einer (m/w/d) von denen hat aus dem Holocaust gelernt. Nicht einer.

(P.S.: Es gibt auch einen weiteren Offenen Brief, der sich gegen Antisemitismus an der FU wendet und dieser Brief wurde bislang von über 300 Professorinnen und Professoren sowie weiteren Dozent*innen unterzeichnet).

Wieder sind die Juden ganz allein. Und gerade jene, die immer so dermaßen ergriffen in die KZ-Gedenkstätten pilgern haben nichts gelernt, die eine Ausnahme, die es immer gibt, bestätigt die Regel.

Die Ignoranz gegenüber dem jüdischen Leben hier und heute ist exakt – exakt – die gleiche Ignoranz jener Deutschen, die nicht mal NSDAP-Mitglieder oder BDM-Führer waren, aber nichts taten, um die jüdische Nachbarin oder den jüdischen Nachbar zu retten oder wenigstens den lokalen Blockwart auszuschalten.

Diese 20-jährige jüdische Frau, diese Israelin hat mehr kapiert als nahezu alle deutschen Forscher*innen, die in Berlin unterrichten oder an der Columbia University oder in YALE oder in Harvard oder der Humboldt Universität.

Eden Golan ist wie (fast) alle jüdischen Israelis seit dem 7. Oktober fassungslos. Für sie ist noch jeden Tag 7. Oktober.

Sie singt ihre unsagbare Trauer und Wut hinaus in diese abgrundtief elende Welt, wo die Hamas gefeiert wird für das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah.

Eden Golan ist die Heldin unserer Zeit.

Am Samstag Abend werden Hunderte Millionen Menschen den Auftritt von Eden Golan und von Israel live im Fernsehen sehen. Und das kann die antizionistische Grundstimmung der akademischen und kulturellen Eliten sowie von deren Mob auf den Straßen schon etwas erschüttern, weil so eine Öffentlichkeit kriegen sie nicht. Ob es wirklich was ändern wird, wird sich on the long run zeigen. Wir Zionisten sind Träumer, wie Herzl. Aber auch Realisten wie die IDF.

Jedenfalls wird dieser Auftritt von Eden Golan am Samstag auf dem ESC in Malmö in Schweden eine der bedeutendsten zionistischen Aktionen weltweit seit Gründung des Staates Israel sein.

Am Israel Chai.

 

Update, 12. Mai 2024, 22:33 Uhr:

Eden Golan wurde gestern Abend Fünfte (von 25 Teilnehmer*innen) auf dem ESC in Malmö und hat einen unglaublich starken Beitrag geleistet, für den Zionismus gesungen, für die Geiseln der Hamas und für Israel. Während der unerträgliche Moderator der ARD nichts Negatives über die Hamas sagte, aber Israel attackierte und neutral die jihadistischen und antisemitischen Demonstrationen in Malmö erwähnte, wählten die Menschen aus Deutschland, die den ESC anschauten, Eden Golan und gaben ihr die Maximalpunktzahl durch Telefonanrufe. Das zeigt wiederum, dass die kulturelle Elite oder ARD-Moderator*innen teils unendlich weit weg sind von dem, was die Menschen selbst empfinden und denken. Einer der besten Kommentare gegen diesen antisemitischen ESC kommt von der BILD-Zeitung.

Dem Berliner Tagesspiegel sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster:

Allerdings waren nicht nur die vielen anti-israelischen und anti-jüdischen Proteste auffällig, viel Kritik gab es auch am deutschen Fernsehmoderator, der Israel auf eine Stufe mit Russland und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine stellte.
Da sieht man, wie weit verbreitet diese Meinung ist. Aber von einem Moderator des Öffentlich-Rechtlichen hätte ich erwartet, dass er das nicht so stehen lässt. Ich sage nicht, dass Israel alles richtig macht, ich bin auch kein Militärexperte, aber man kann bei der Bewertung dessen, was gerade in Gaza geschieht, den 7. Oktober nicht ausklammern. Und erst recht sollte ein Moderator der ARD das nicht tun. Da erwarte ich von den Öffentlich-Rechtlichen mehr Klarheit. Denn es war doch klar, dass dieses Thema zur Sprache kommen würde, wenn Israel auftritt, und da hätte er sich besser vorbereiteten müssen.

Das ist natürlich eine sehr freundliche Umschreibung für den Antizionismus dieses ARD-Mannes, der ganz exakt so dumm daherredete, wie er redete und mit keinem Wort auf die Geiseln der Hamas einging oder auf das genozidale Massaker vom 7. Oktober 2023, ohne das es diesen Song von Eden Golan ja gar nicht geben würde.

Update, 12. Mai 2024, 22:41 Uhr:

Die Jerusalem Post sieht das ganz ähnlich und betont, wie ungemein wichtig es für die Israelis gestern Abend war, dass so viele Menschen in Europa für den israelischen Beitrag votierten. Wenn wir die 50 Prozent, die die Stimmen der Jury ausmachten, weglassen würden, wäre Israel auf Platz zwei gelandet. Und das zeigt, dass sehr viele Menschen nicht nur diesen Song sehr gut finden, sondern auch sehr wohl wissen, worum es hier geht: um Israel und den Überlebenskampf des jüdischen Volkes gegen die Hamas und den Antizionismus. Die elenden Greta Thunbergs und die Tausenden Islamisten kommen mit ihren Visagen und Flaggen und Tüchern auf die Titelseiten der Zeitungen und Nachrichtensendungen, aber Zehntausende von Menschen, die Pro-Israel sind, haben eben telefoniert oder SMS geschrieben.

Update, 13. Mai 2024, 9:03 Uhr:

Sehr treffend schreibt Jan Feddersen in der taz:

Der Wiener Schriftsteller Doron Rabinovici bemerkte während der ESC-Übertragung auf X/Twitter, es sei zum Verzweifeln, dass die Protestierenden nur Ausgrenzung zu fordern wüssten. Warum würde kein hamasloses Palästina gefordert, mit einem öffentlich-rechtlichen Sender, der selbst am ESC teilnimmt – ganz ohne Hass, einfach darauf setzend, mit guter Musik um Sympathien zu werben? Das ist eine gute und wichtige Frage.

Was er natürlich nicht schreibt: es ist auch die taz, die sich heute auf ihrer Startseite, wo der Text von Feddersen viel weiter unten zu finden ist, völlig kritiklos den deutsch-palästinensischen Agitator*innen anschließt und ihnen ein Podium gibt, dort ist kein kritisches Wort zur Hamas oder zum mehrheitlichen palästinensischen Judenhass zu lesen, dafür pure Pro-Palästina-Propaganda mit Leuten, die für antisemitischen Demos wie in Berlin oder das Verkaufen von Palästinensertüchern wie -fahnen, mit verantwortlich sind. In Israel gibt es keine Jubelfeiern, wenn Zivilist*innen im Krieg im Gaza sterben. In Gaza oder von manchen oder vielen Berliner Palästinenser*innen werden Süßigkeiten verteilt und sonstwie gejubelt, wenn jüdische Frauen vergewaltigt und zu Tode massakriert werden. Dass der Krieg heute zu Ende wäre, wenn die Hamas sich ergeben würde, das steht da natürlich nicht. Die taz liebt es, beide Seiten zu bedienen, die Israelfreunde und die Israelfeinde. Trottel nennen das “Meinungsvielfalt”, Kritiker*innen nennen es Heuchelei oder Alibi-Texte gegen Antisemitismus.

“Hitlerjugend mit Palästinensertuch”: Studierende an der Columbia University in New York City zeigen ihren Judenhass ganz offen – und Ihre Professoren klatschen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Die Professorin Jennifer Wenzel von der Columbia University in New York City ist eine ganz typische Wissenschaftlerin unserer Zeit. Laut ihrem Lebenslauf kümmert sie sich um den Kapitalismus, um Klimapolitik und den Globalen Süden sowie den Postkolonialismus und – na klar! – sie unterstützt antisemitische Studentinnen und Studenten ihrer Universität.

In einem Statement von studentischen Gruppen der Columbia University mit dem Titel “Joint Statement from Palestine Solidarity Groups at Columbia University regarding the recent events in Palestine/Israel: Oppression Breeds Resistance” wird unumwunden deutlich, dass diese Studentinnen und Studenten Fans der Terrororganisation Hamas sind und tote Juden lieben.

Sie beschuldigen angesichts des größten Massakers an Juden seit dem Holocaust durch Muslime und Palästinenser Israel der Aggression, der “Apartheid” und “Besatzung” und sehen darin ein Statement zum Massenvergewaltigen von jüdischen Frauen, dem Ermorden und Entführen von Holocaustüberlenden, dem lebendig Verbrennen von ganzen Familien, dem Köpfen von Babies, dem Handabhacken von Kindern vor den Augen ihrer Eltern, dem Niedermähen von Hunderten Menschen auf einem Musikfestival im Süden Israels – all das passierte am 7. Oktober 2023. Täter waren Muslime, Palästinenser und Terroristen der Hamas, des Islamischen Jihad und ganz normale ‘Zivilist*innen’ aus Gaza.

Jennifer Wenzel ist eine ganz normale Forscherin an der Columbia Universität, ihr Schwerpunkt ist gar nicht Israel, Antisemitismus, geschweige denn Islamismus, Jihad und die Palästinenser. Ihr Schwerpunkt ist die englische Sprache und die Literaturwissenschaft, Öl und Macht, ihr Lebenslauf zeigt nicht einen Vortrag zum Thema Israel oder Antisemitismus.

Sie hat keine Ahnung von der Kritik am Antisemitismus, aber offenkundig tief sitzenden Ressentiments gegenüber Juden, sonst hätte sie sich nicht mit Kolleginnen und Kollegen ihrer Columbia University hinter diesen Pro-Hamas Brief der Studierenden von Columbia gestellt. Dieser Offene Brief ist nur eine unter vielen Aktionen wie Demonstrationen, Kundgebungen, körperliche Gewalt, Zeltstädte auf Universitätsgeländen oder städtischem Boden, die das Leben von Juden auf amerikanischen Campussen seit dem 7. Oktober 2023 unerträglich machen.

In dem Brief wird das genozidale Massaker an über 1200 Jüdinnen und Juden gar nicht erwähnt, die Hamas wird nicht verurteilt, was bei Nazis, die über Babi Yar reden, aber in Stellungnahmen zum Massenmord an 33.000 Jüdinnen und Juden am 29. und 30. September 1941 unweit von Kiew nur über das Wetter reden und nicht über den Holocaust, als Holocaustleugnung strafrechtlich verfolgt werden würde. So leugnen diese Studierenden auch den Massenmord an über 1200 Jüdinnen und Juden im Süden Israels am 7. Oktober.

Sie reden dafür vom bösen Israel, eine ja täglich überall auffindbare Täter-Opfer Umkehr.

Doch Jennifer Wenzel ist nur eine von vielen Professor*innen, die sich de facto hinter den Antisemitismus der Hamas stellen, indem sie das unerträgliche antisemitische Statement ihrer Student*innen von Columbia vor Kritik in Schutz nimmt.

Neben Jennifer Wenzel haben viele Dutzend andere Professor*innen und Dozent*innen der Columbia University diesen Antisemitismus der Studierenden in Schutz genommen. Darunter ist der britische Ökonom Adam Tooze, der im Herbst 2023 zusammen mit der amerikanischen Philosophin Nancy Fraser oder dem Wiener Poptheoretiker Diedrich Diederichsen und ein paar weiteren irrlichternden oder antizionistisch agitierenden Aktivist*innen in einem antiisraelischen Offenen Brief Jürgen Habermas attackierte, der ihnen zu stark an der Seite des Judenstaats steht und sie selbst bei Israels Abwehrkrieg gegen die Hamas und die Palästinenser “Verbrechen gegen die Menschheit” befürchten.

Die Presse aus Österreich hat diesen Offenen Brief von Tooze, Diederichsen, Fraser & Co. kritisiert (“Ein offener Brief, der den Philosophen Jürgen Habermas ins Visier nimmt, offenbart die Judenfeindlichkeit in akademischen Zirkeln”):

Wider besseres Wissen rückt der offene Brief Israels Abwehrkampf letztlich in die Nähe eines Genozids, was eine zynische Gleichsetzung der systematischen und industriellen Massenvernichtung der Juden durch die Nazis mit dem Kampf Israels gegen den Terrorismus der Hamas darstellt. Damit werden der in seiner Tendenz, die Opfer zu Tätern zu machen, beschämende offene Brief und die vorgebliche Besorgnis über die Haltung von Habermas zu einem weiteren traurigen Beweis für die antisemitische Vergiftung des akademischen intellektuellen Betriebs.

Die bittere Pointe ist: gerade das Umfeld von Jürgen Habermas ist es doch, dass immer und überall “Muslimfeindlichkeit” imaginiert und das hört sich dann bezüglich einer Konferenz zu diesem Thema an der FU Berlin im April 2024 mit dem unvermeidlichen Meron Mendel so an:

Saba-Nur Cheema erläuterte daran anknüpfend, welche Form die beiden Narrative in den vergangenen vier Monaten angenommen haben: Auf der einen Seite Kritik daran, dass offenbar für manche das Leben von Jüdinnen und Juden nicht zähle – „Jewish lives don’t matter“ –, etwa wenn das blutige Massaker der Hamas von einigen bejubelt oder von anderen beschwiegen wird. Das gegenläufige Narrativ umschrieb Cheema als Vorwurf des „Silencing von palästinensischen Stimmen“, wenn also Schriftsteller*innen oder Künstler*innen ausgeladen werden oder Schulen das Zeigen von palästinensischen Symbolen oder Fahnen verbieten.

Der Habermas-Zirkel “normative orders”, der sich irgendwie schon hinter Israel stellt, hatte selbst das Thema “Muslimfeindlichkeit” Mitte November 2023 – absurder geht es nun wirklich nicht! – auf die Agenda gestellt – also gerade nach dem 7. Oktober 2023.

Wer nämlich nicht verstanden hat, dass das Zeigen eines Palästinenserschals oder anderer palästinensischer Symbole wie ihrer Fahne nach dem 7. Oktober 2023 eindeutig indiziert, dass sie oder er einverstanden sind mit dem Abschlachten von 1200 Jüdinnen und Juden und dem Entführen von über 250 weiteren Juden und Jüdinnen, der oder dem ist nicht zu helfen. Es ist ein bewusstes Nicht-Sehen-Wollen. Das sieht man auch darin, dass diese Palästinenser-Symbole-Tragenden das seit dem 7. Oktober 2023 machen, als es noch gar keinen Verteidigungskrieg Israels gegen die Hamas gab. Sie machen das aus Freude ob des Abschlachtens von Jüdinnen und Juden und nicht aus ‘Sorge’ um Gaza.

Der massive Boykott von jüdischen und israelischen Forscher*innen ist doch der Skandal unserer Zeit und nicht die “Muslimfeindlichkeit” – kürzlich hat die israelische Tageszeitung Haaretz von Dutzenden Fällen von Ausladungen von jüdischen und israelischen Forscher*innen berichtet – und nicht das Nicht-Einladen von antisemitischen Pro-Palästina-Stimmen, die ja den Massenmord vom 7.10 als Grund für einen eigenen Staat hernehmen.

Neben Wenzel sind natürlich der Antizionist Rashid Khalidi, Edward-Said-Professor in Columbia, und selbstredend der Antisemit Joseph Massad, der Israel seit Jahrzehnten das Existenzrecht abspricht, mit dabei als Unterstützer dieses Solidaritätsbriefes von Professor*innen und Dozent*innen für ihre antisemitischen Studentinnen und Studenten in New York City an der Columbia University.

In seinem Artikel “The Persistence of the Palestinian Question” von 2004, der in dem Band “Empire & Terror: Nationalism/Postnationalism in the New Millennium” erschien, schreibt Massad völlig ernsthaft und mit tiefster Überzeugung:

If anything, as the following will demonstrate, Israeli Jewish soldiers today are willing disciples of all anti-Semites, including the Nazis.

Juden seien also Antisemiten, wenn sie Zionisten sind, und Nachfahren der Nazis. Das ist eine besonders durchgeknallte, realitätsgestörte und perfide Form des heutigen Judenhasses. Unzählige Aktivist*innen weltweit vergleichen ja Israel mit den Nazis, de facto sind die Anti-Israel Aktivist*innen natürlich viel eher die Nachfahren der Nazis, weil auch sie den Tod von Juden wünschen wie mit der Zerstörung des jüdischen und der Errichtung eines “binationalen” Staates.

Im März 2002 hatte Joseph Massad in einem Artikel geschrieben, dass “The Jews are not a Nation” und “Israel” habe kein Recht zu existieren, wie der Film “Columbia unbecoming” von 2004 dokumentiert und kritisiert.

Ein rassenbiologisch denkender weiterer Professor an der Columbia University ist George Saliba, der – so zeigt es der Film Columbia Unbecoming anhand von Aussagen einer Zeugin – einer Studentin in die Augen schaute und meinte:

You have green eyes, you are not a Semite, I have brown eyes, I am a Semite.

Da lachen vielleicht Nazis und andere Anhänger der Rassenbiologie, aber das passierte im 21. Jahrhundert in New York City und der Hetzer meint das ernst. Anhand der Augenfarbe meint dieser ‘Rassenkundler’ die Nationalität eines Menschen feststellen zu können.

Abgesehen davon, dass “Semit” gar keine Nationalität ist, sondern es gibt nur semitische Sprachen. Bis Anfang der 1960er Jahre gab es bekanntlich gar keine “Palästinenser”,  beziehungsweise bis 1948 waren auch Juden Palästinenser, wenn sie Bewohner*innen des Mandatsgebiets Palästina der Briten waren beziehungsweise wurden.

In einem enthusiastischen Text für die antisemitische Seite Electronic Intifada schreibt der Columbia Professor Joseph Massad am 8. Oktober 2023:

No less awesome were the scenes witnessed by millions of jubilant Arabs who spent the day watching the news, of Palestinian fighters from Gaza breaking through Israel’s prison fence or gliding over it by air.

“No less awesome” – “nicht weniger großartig”, so beschreibt dieser Judenhasser das Ermorden von über 1200 Jüdinnen und Juden durch Muslime und Palästinenser. Das ist kriminell und gehört bestraft, weil es eine Zustimmung zu einem Massenmord bedeutet.

Wenn ein deutscher Neonazi so etwas schreiben würde, ist das zwar genauso widerwärtig, aber es ist wirkungsmächtig noch mal etwas ganz anderes, wenn ein Professor an einer der angesehensten Universitäten der ganzen Welt so einen antisemitischen Dreck publiziert und ein genozidales Massaker an Juden feiert.

Mittlerweile fordern knapp 79.000 Unterzeichnende in einer Resolution die sofortige Entlassung von Massad, ohne Erfolg.

Das ist der Hintergrund, vor dem der amerikanisch-jüdische Professor an der Columbia University Shai Davidai die antiisraelischen und antisemitischen Aktivitäten auf dem Campus der Uni analysiert. Ihm selbst wurde unter Betonung, er sei Jude und somit gefährdet, der Zugang zu seinem Arbeitsplatz verwehrt.

Die studentischen und aktivistischen Gruppen nennt er eine neue Form der “Hitlerjugend” und wer Slogans wie “Death to the Jews” oder “Palestine from the River to the Sea” hört, weiß, dass er damit richtig liegt.

Die Times of Israel berichtet über einen “judenreinen” Campus:

“There are students wearing yellow vests with their keffiyehs, and if they see someone engaging with someone outside the encampment, they pull them away and say, ‘You’re not allowed to talk to them.’ They say things like, ‘Kill all the Jews,’ and, ‘We want one Arab state,’” Sabrina said.

“What people don’t realize is the campus has become a hotbed for radical antisemitism,” said Sabrina. “It’s like the Hitler Youth. They say things like, ‘A Zionist has entered the camp.’ They view us as an entity that can be eradicated. I feel a lot more scared now than I was after October 7.”

Aufgrund des unfassbaren Antisemitismus der Student*innen, der Professor*innen und dem Versagen der Universitätsverwaltung, diese Antisemiten in ihre Schranken zu weisen und von der Uni zu werfen, wird der Multimilliardär Robert Kraft seine finanzielle Unterstützung der Columbia University beenden. Er schreibt in der New York Post:

Over the last several years, starting with the Charlottesville march in 2017, I started to feel a dangerous shift in the country as more and more instances of hate began to rise.

Now we have rampant Jewish hate on college campuses that has been permitted to go largely unchecked.

I started the Foundation to Combat Antisemitism (FCAS) in 2019 for precisely these reasons — to educate young people and appeal to the empathy that I believe all humans are born with.

I felt that it was imperative that we do something to ensure that our country did not start to look like the Germany of the 1940s.

Never could I have imagined that in America, in 2024, that Jewish students would be told by campus administrators to flee their college campus for their own safety.

Würde Israel seine Waffen niederlegen, würden 7 Millionen Juden und Jüdinnen von den Palästinensern abgeschlachtet.

Würden die Palästinenser ihre Waffen niederlegen und Israel als jüdischen Staat anerkennen, würde es Frieden geben.

Bis es soweit ist, müssten erstmal Tausende antisemitische Student*innen in den USA und weltweit exmatrikuliert werden.

Bis es soweit ist, müssten erstmal alle islamistischen Gelder aus arabischen und muslimischen Staaten wie aus Katar für westliche Universitäten gestoppt werden.

Bis es soweit ist, müssten erstmal deutsche und andere Nahost- und Islamwissenchaftler*innen aufhören, antizionistische Antisemiten wie zum Beispiel Rashid Khalidi und viele andere als respektable Kollegen zu zitieren und salonfähig zu machen – ich habe bereits 2011 in meiner Studie “Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11” Beispiele dafür zitiert. 2013 habe ich dann in meiner Studie “Antisemitism: A Specific Phenomenon” weitere Antizionisten wie Hamid Dabashi, auch Columbia und auch Unterstützer des zitierten Briefes der Columbia Professor*innen zur Unterstützung ihrer antisemitischen Student*innen, faktenbasiert und ideologiekritisch zerpflückt.

Bis es soweit ist, müsste die deutsche Bundesregierung jeglichen Kontakt zur islamistischen Republik Iran einstellen und so weiter und so fort.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Aber sie wird sterben.

Sie ist schon gestorben.

Palästinenser aller Geschlechter, Terroristen und ‘Zivilist*innen’, haben sie am 7. Oktober 2023 auf unsagbare Weise ermordet.

 

 

Traumatischer Stillstand – in Israel ist immer noch der 7. Oktober: Ein Vortrag in München vom Israeli Oliver Vrankovic

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Letzten Donnerstag hielt der israelische Publizist und politische Aktivist Oliver Vrankovic, der wie ich rein zufällig aus Esslingen am Neckar kommt, einen Vortrag in München beim Linken Bündnis gegen Antisemitismus München.

In seinem 85-minütigen Vortrag geht Oliver auf die aktuelle Situation in Israel ein. Er ist 44 Jahre alt, arbeitet als Rezeptionist in einem Altersheim im Süden Israels und wohnt seit 17 Jahren in Israel, er ist Israeli geworden.

Das ist sicher einer der besten Vorträge, die man über das heutige Israel in deutscher Sprache hören kann.

Hier spricht ein Linkszionist über die größte Katastrophe im Judenstaat seit 1948.

Bis zum 6. Oktober war Oliver, wie er betont, scharf im Gegensatz zur rechtsextremen Regierung Netanyahu und der geplanten “Justizreform”. Am Ende betont er dann, wie unglaublich absurd es ist, wie Bibi agiert und viele sehr wichtige Entscheidungen einfach nicht trifft, wie es in Gaza jetzt weitergehen soll, wer in Israel die Verantwortung für das unfassbare Versagen am 7.10 übernimmt und so weiter.

Am 7. Oktober waren viele der führenden Wortführer der Anti-Regierungs-Proteste an allervorderster Front mit dabei, mit der Waffe in der Hand oder mit Autos und Bussen – es war Schabbat und die Regierung hat viel zu spät gemerkt, dass jetzt Züge und Bussen fahren müssen, um Soldaten in den Süden zu transportieren und Menschen zu retten – Menschen vor den heranstürmenden Muslim-Faschisten aus Gaza zu beschützen, zu retten und gegen die Hamas und die anderen Terroristen zu kämpfen.

Oliver geht auf die Linkszionist*innen im Süden ein, die jahrzehntelang den Palästinenser*innen Mut zusprachen und Unterstützung boten, ja künstlerische Mosaike kreierten auf ihren Anwesen, die auf Hebräisch Schalom und auf Arabisch Salam (Frieden) schrieben und ganz konkret den Menschen im Gazastreifen bei der Arbeit, bei Besuchen in Krankenhäusern und so weiter geholfen haben.

Und diese Menschen aus Gaza haben sich als Bestien erwiesen, diese Palästinenser haben sich als Mörder, Vergewaltiger und als “Zivilisten” geoutet, die zu Tausenden beim Abschlachten, Vergewaltigen, lebendig Verbrennen der Juden und Jüdinnen geholfen, gejauchzt, gelacht und gekichert sowie geplündert haben.

Palästinensische Kinder fuhren dann das Fahrrad der jüdisch-israelischen kids, die entweder fliehen konnten, oder aber ermordet worden waren.

All das berichtet Oliver Vrankovic aus einer ungemein authentischen Perspektive, er hat es selbst alles erlebt, er war am 7. Oktober 2023 in Israel und konnte nicht fassen, was passiert.

Ohne eine “Denazifizierung” der Palästinenser wird es niemals Frieden geben, das betont er völlig zurecht. Und Oliver betont auch, dass es in israelischen Schulbüchern eben keine Aufrufe zur Entmenschlichung oder Dämonisierung von Arabern und Palästinensern gibt, das weiß er von den Schulbüchern seiner 12-jährigen Tochter.

Doch in Gaza gibt es einen unfassbaren Antisemitismus, gerade auch in Schulbüchern, die IDF haben viele Beweise dafür aus dem Gazastreifen gefunden und gesichert, vieles war ja auch schon zuvor bekannt.

Einzig seine Kritik an der anfänglichen Zurückhaltung Israels bei der Unterstützung der Ukraine ist nicht überzeugend, auch wenn selbstredend die Achse Teheran-Moskau gekappt gehört. Aber gerade der ehemalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett war es doch, der in höchster Not sogar seinen Schabbat nicht einhielt und mit dem Flugzeug nach Moskau flog im Frühjahr 2022, um mit Putin über einen Waffenstillstand oder gar Frieden zu verhandeln.

Erst vor wenigen Tagen publizierte die renommierte Zeitschrift Foreign Affairs einen ausführlichen Artikel, der auch entgegen der Intention der beiden Autoren (!) belegt, dass im März 2022 (!) eine Lösung des Konflikts möglich war. Die Ukraine hätte Sicherheitsgarantien von mehreren Ländern, darunter die USA, Israel, Deutschland, bekommen, aber vertraglich erklärt, niemals ein Staat mit Atomwaffen zu werden und nicht in die NATO, allerdings durchaus in die EU aufgenommen zu werden, was Putin noch Jahre zuvor strikt abgelehnt hatte. Jetzt hätte er es so unterschrieben, so Foreign Affairs. Aber insbesondere der Fanatismus von Boris Johnson aus England verhinderte eine Friedenslösung, seitdem gilt die Direktive “Sieg für die Ukraine und Niederlage für Russland”. Johnsons und des Westens, auch Deutschlands Verweigerung diesem Kompromiss zuzustimmen, kostete über Hunderttausend Menschen das Leben, in der Ukraine und auf Seiten der russischen Armee.

Es ging darum,  dass Selenskyi und die Ukraine offenbar sehr wohl einverstanden gewesen wären, Russland zu versichern, nicht in die NATO aufgenommen werden zu wollen und ggf. territoriale Unabhängigkeit für sehr stark von pro-russischen Menschen bewohnte Teile im Süden der Ukraine wie den Regionen Donezk und Luhansk sowie der Krim zu machen, wenn sich Russland militärisch aus allen seit dem 24. Februar 2022 eroberten Gebieten zurückziehen würde.

Das Schrecklich ist, dass es nun, mehr als zwei Jahre später, genau darauf hinauslaufen wird, allerdings mit der wahnsinnigen Idee, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, aber die genannten Gebiete und noch mehr wird die Ukraine verlieren – mit mehreren Hunderttausend Toten auf beiden Seiten. Das alles wischt Oliver etwas zu forsch vom Tisch, was angesichts der äußerst gefährlichen Kooperation vom autokratischen Regime in Moskau mit den Muslim-Faschisten aus Teheran auch verständlich ist. Aber eine Denazifizierung der Ukraine wie der Asow-Brigaden ist eben auch mehr als angesagt, ein Land mithin, dessen Mainstream antisemitisch ist, was sich in Fußballstadien zeigt, die nach Holocausttätern oder Nazi-Kollaborateuren in den letzten Jahrzehnten benannt wurden, was vor 2022 auch international als skandalös betrachtet wurde und seitdem aber mit Dutzenden Milliarden goutiert wird.

Diese Bemerkungen zu Russland kommen zwar erst gegen Ende des so eminent wichtigen Vortrags von Oliver, aber sie sind leider zu wichtig, als sie ignorieren zu können. Gerade in der Pro-Israel-Szene ist der teils regelrechte Hass auf Russland zu weit verbreitet und hat mit einer soliden Kritik an der Achse Moskau-Teheran nichts zu tun.

Man kann Anti-Putin, antifaschistisch und Pro-Frieden sein, gegen Waffen für die Ukraine und für Diplomatie. Das war auch der Ansatz des Israeli Naftali Bennett, der sicher kein Freund der Achse Moskau-Teheran ist, aber der realistisch (!) sah, was politisch auf dem Spiel steht und dafür sogar – was sehr außergewöhnlich war für einen religiösen Juden wie Bennett – seine Schabbatruhe brach. Doch leider ist gerade in der Pro-Israel Szene die Ignoranz gegenüber Naftali Bennetts diplomatischen Aktivitäten und die Vorliebe für eine bedingungslose Unterstützung des Regimes in Kiew vorherrschend.

Seit wann ist es weniger antisemitisch, Straßen nach Holocausttätern und Nazi-Kollaborateuren zu benennen (Ukraine), als mit einem Holocaust leugnenden Staat zu kooperieren (Moskau-Iran)? Beides sollte man als Intellektueller und zumal als Linker kritisieren. Doch in Deutschland, dem Westen und der Pro-Israel Szene wird wie ein Mantra die Solidarität mit der Ukraine beschworen, dabei sind Waffen für die Ukraine nicht solidarisch, sondern selbstmörderisch, Russland ist immer stärker, wer das nicht verstanden hat, hat ganz wenig verstanden von Krieg, Militär und dem Atomzeitalter. Doch der anti-diplomatische Reflex ist extrem weit verbreitet, wenn es um die Ukraine geht.

Das muss sich ändern, doch ich sehe da wenig Potential, da selbst seriöse Publikationen wie Foreign Affairs ja meist ignoriert werden und selbst die israelische Initiative von Bennett nie wirklich diskutiert wurde, auch nicht unter Pro-Israelis. Als ob Bennett ein Kumpel mit Antisemiten wäre, weil die mit dem Iran kooperieren wie Russland. Das ist ja lachhaft und grotesk. Doch die weltweite Isolation Russlands trägt dazu bei, dass sich Russland richtig üble Parnter sucht, auch militärisch. Was wäre passiert, wenn der arrogante Bill Clinton Putin nicht ausgelacht hätte, vor über 20 Jahren, als dieser fragte, ob nicht auch Russland in die NATO aufgenommen werden könnte?

***

Der Kern aber des Vortrags von Oliver Vrankovic ist die Kritik am palästinensischen Antisemitismus. Ohne dessen Ende wird es niemals eine Zweistaatenlösung geben. Er selbst war wie Millionen von Israelis von der Option einer Zweistaatenlösung bis zum 6. Oktober 2023 überzeugt. Doch das war eine katastrophale Fehleinschätzung.

Also: schaut euch diesen Vortrag an, hört ihn auch an, um zu merken, dass in Israel bis heute der 7. Oktober 2023 alles bestimmt, die Uhr drehte sich nicht weiter. Das zentrale Versprechen Israels, ein sicherer Hafen für alle Juden zu sein, wurde dementiert. Und doch betont Oliver, dass er weiß, dass für seine Tochter Israel der sicherste Ort der Welt ist, wenn er sich anschaut, was in Schulen in Deutschland so abgeht an Judenhass …

Hier ist das Video:

Ich weißt nicht, ob Paulaner Spezi offizieller Sponsor des Münchener Vortrags war, vermutlich eher nicht. Gleichwohl stand eine Flasche Paulaner Spezi womöglich eher zufällig prominent während des gesamten Vortrags vor Oliver, was den kultischen Status von Spezi, wenn es um Zionismus und Kritik an allen Formen des Antisemitismus geht, sicher noch steigern dürfte.

Diesen 85-Minuten-Vortrag sollte man wirklich gehört haben, wenn man sich weiterhin zu Israel äußern möchte.

Iran greift Israel mit 300 Raketen und Drohnen an – doch Joe Biden ist Supermann und ein Zionist, unendlich stärker als der Mullah-Faschismus

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Bei einem gut einschätzbaren und behandelbaren Virus drehte das Fernsehen total durch und brachte regelmäßig Sondersendungen und setzte die Bevölkerung in die größte Massenpanik seit 1945. Sie erinnern sich mit Grauen.

Wenn aber ein islamistisches Regime wie das Mullah-faschistische aus Teheran mehr als 300 ballistische Raketen, Drohnen und Cruise Missiles in das über 1700km entfernte Israel abfeuert, ist das keine Sondersendung wert. Es geht auch nur um Juden. Das ist keine Polemik, das ist nur eine deskriptive Darstellung.

Israel hat letzte Nacht zusammen mit Jordanien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und natürlich den USA 99 Prozent dieser Raketen und Drohnen abgeschossen. Doch ca. 3 bis 5 Geschosse trafen Israel, ein siebenjähriges Mädchen wurde lebensgefährlich verletzt (durch Trümmer einer abgeschossenen Rakete). Es wurde aber tatsächlich eine Militärbasis direkt von einer Rakete getroffen, auch wenn der Schaden gering ist, es hätte anders ausgehen können. 100 Prozent von 300+ Raketen kann auch das beste Abwehrsystem nicht abfangen. Und darin liegt eine existentielle Gefahr. Weil im Fall der Fälle könnte eine einzige von 1000+ Raketen reichen, um Zerstörung extremen Ausmaßes anzurichten.

Raketen flogen auch über der Al-Aksa Moschee und Jerusalem. Israel hat alle abgeschossen, was, wenn die Al-Aksa Moschee durch ein iranisches Geschoss zerstört worden wäre?

Und was wäre passiert, wenn auch nur eines dieser 300+ Geschosse atomar oder mit einer schmutzigen biologischen Bombe ausgestattet gewesen wäre?

Nicht auszudenken.

Es muss jetzt endlich, 40 Jahre zu spät, um die komplette diplomatische Isolation Irans gehen, also von Seiten des Westens. Die Revolutionsgarden gehören auf die Terrorliste, ein Vorgang, den die Bundesaußenministerin bislang ablehnte.

Es darf keine Botschaft des Iran in Deutschland mehr geben.

Es darf nach diesem nie dagewesenen iranischen Angriff auf Israel keine Handelsbeziehungen mit diesem islamfaschistischen Terrorstaat mehr geben.

Es hätte schon angesichts der islamistischen Ideologie und Praxis wie der Frauenverachtung und dem Schleierzwang im Iran seit den 1980er Jahren keinerlei diplomatischen und ökonomischen oder sonstigen Beziehungen zu diesen Verbrechern geben dürfen. Aber viele deutsche Politiker*innen und Kapitalisten aller Geschlechter lieben den Iran.

Es ist bezeichnend genug, dass ein Treffen von Nazis mit Nazis zurecht Massenproteste in diesem Land auslöste, aber es ist noch viel bezeichnender, dass 300+ Raketen und Drohnen, die vom Iran auf Israel abgefeuert werden, keine solchen Massendemonstrationen auslösen, weil es nicht nur dem tumben Mainstream, sondern auch den linken oder links-liberalen Aktivist*innen nicht skandalös genug ist oder sie sogar offen oder klammheimlich kichern ob dieses präzedenzlosen Angriffs der Mullahs auf den Judenstaat.

Der bekannte iranische Professor für Rechtswissenschaft Afshin Ellian, der in Holland lehrt, sagte angesichts der Angriffe Irans, dass die Bevölkerung gegen das islamistische Regime sei, wie die Times of Israel berichtet.

Der iranische Journalist Pouria Zeraati, der in Großbritannien lebt und am 29. März 2024 in Wimbledon vermutlich von staatlichen Schergen der Mullahs bei einem Messerangriff in London schwer verletzt wurde, sagte, die Revolutionsgarden seien “Terroristen” angesichts der Angriffe auf Israel.

Schließlich ist auch der Kronprinz Reza Pahlavi gegen die Angriffe und unterstreicht, dass die Bevölkerung nicht hinter dem islamistischen Terrorregime stehen würde, so wiederum die Times of Israel.

Joe Biden jedoch ist in Israel weiterhin, trotz oder gerade wegen seiner scharfen Kritik an Netanyahu, aber vor allem wegen seiner ungebrochenen Unterstützung für den einzigen Judenstaat, ein Superstar, wie dieses Graffito zeigt:

Ob Israel jetzt militärisch reagiert oder erstmal diplomatisch eine Koalition gegen den Iran aufbaut beziehungsweise verstärkt, wird sich zeigen. Das Momentum liegt auf der Seite Israels. Der massive Angriff aus Teheran war militärisch ein Desaster für die Islamisten, aber für Israel auch extrem teuer, 1,3 Milliarden Dollar dürfte der Abschuss der Hunderten Drohnen und Raketen gekostet haben, so Schätzungen von Experten.

Und bei allem Mainstream-Irrationalismus oder -Fanatismus am Beispiel der Ukraine-Politik der USA seit 1990 und von Joe Biden sowie dem Mainstream-Irrationalismus oder -Fanatismus, den auch die Antilopen während Corona zeigten, ist in der Frage Solidarität mit Israel Joe Biden doch ganz der Rock-Star in Israel, so wie die Antilopen Gang die fast einzige zionistische nicht-jüdische Band in diesem elenden Schland zu sein scheint.

 

 

 

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