Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Dan Diner

Mit Kojak gegen die Rot=Braun-Ideologie

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Die Bundeswehr, die Abwehr der Holocausterinnerung in Litauen und wie das kanadische Parlament einem ukrainischen Nazi-Kollaborateur stehenden Applaus zollte und wie das mit der Rot=Braun-Ideologie zusammenhängt…

 

Am Montag, 9. Juni 2025, zeigte das Karlstorkino in der Heidelberger Südstadt in Kooperation mit dem Förderverein Ehemalige Synagoge in Hemsbach e.V. den bemerkenswerten geschichtspolitischen Film „Liza ruft!“ – Doch wie steht es um die Abwehr der Holocausterinnerung in Litauen? Und was geschah am 22. September 2023 im kanadischen Parlament?

 

Der Film Liza Ruft! 

In dem knapp zweistündigen Dokumentarfilm geht es um die Holocaustüberlebende und jüdische Partisanin Fania Brantsovskaya (1922-2024), geborene Jocheles, aus Litauen. Der Film des Filmemachers Christian Carlsen ist aus dem Jahr 2015 und zeichnet in Gesprächen mit Brantsovskaya ihren Lebensweg nach.

Fania Brantsovskaya wurde in Kaunas geboren und zog mit ihren Eltern später nach Vilnius. Dort gab es eine sehr große jüdische Gemeinde, fast 50 Prozent der Bevölkerung waren Juden. Sie ging auf ein jüdisches Gymnasium, andere Überlebende, die im Film vorkommen, bevorzugten das Hebräisch sprachige Gymnasium. Nach dem Abitur arbeitete sie kurz als Dorflehrerin. Dann kam der Zweite Weltkrieg mit dem Angriffskrieg Nazideutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 („Unternehmen Barbarossa“) zwei Tage später auch in Vilnius an. Ab September 1941 zwangen die Deutschen Fania und alle Jüdinnen und Juden im Ghetto zu leben. Im Frühjahr 1942 schloss sich Fania einer Partisanengruppe an und schmuggelte Waffen und anderes in das Ghetto. Im September 1943, in einer dramatischen Nacht, floh sie mit einer Mitkämpferin und Freundin aus dem Ghetto.

Eine weitere Freundin und Genossin von Fania war schon vor ihrer Flucht aus dem Ghetto von den Deutschen ermordet worden, im Gedenken an sie nannten sie dann ihre Gruppe: „Liza ruft!“

Doch schon vor Ankunft der Deutschen am 24. Juni 1941 in Litauen begann der Holocaust schon einen Tag zuvor, am Montag, den 23. Juni 1941, wie der Holocaust- und Antisemitismusforscher Professor Dovid Katz als Kritik an der offiziellen litauischen Geschichtsschreibung in einem Text für das jüdische Tablet Magazine aus Amerika 2018 schreibt (alle englischen Zitate in diesem Text habe ich ins Deutsche übersetzt):

Die erste große dynamische historische Episode, auf die man im Völkermordmuseum [in Vilnius, CH] stößt, ist eine Reihe von Exponaten, die sich ausgiebig mit den Faschisten der Litauischen Aktivistenfront (LAF) von 1941 mit ihren weißen Armbinden befassen. Deren „zentrale Planung“ vor dem Nazi-Einmarsch kam aus Berlin kam und zu ihr gehörte auch eine Gruppe hochrangiger litauischer Nazis, Anhänger der ethnischen Säuberung (um es höflich auszudrücken), die in den Monaten vor dem Nazi-Einmarsch in der damaligen Sowjetunion am 22. Juni 1941 dort stationiert waren. Doch als die sowjetische Besatzung am Tag des Nazi-Einmarsches und vor allem am darauffolgenden Montag, dem 23. Juni 1941, in sich zusammenbrach, schlossen sich viele nationalistische junge Männer rasch den „LAF“-Milizen an, oft indem sie eine weiße Armbinde anlegten und einfach „LAFler“ wurden oder sich nach Belieben verwandten Milizen und Banden anschlossen. Ob mit oder ohne Armbinde, ob mit oder ohne dokumentierte Zugehörigkeit zur LAF, sie alle sind in den lokalen Sprachen als „White Armbanders“ bekannt geworden (litauisch Baltaraiščiai, polnisch Białe opaski, russisch Bielorukavniki, jiddisch Di Váyse Órembendlakh usw.). Begleitet von einer vorgetäuschten „Unabhängigkeitserklärung“ per Radioansprache (die den Treueeid auf Adolf Hitler enthielt – ach, diese „Unabhängigkeit“), übernahmen sie Postämter, Polizeistationen und Rathäuser, die sie von den fliehenden sowjetischen Streitkräften übernommen hatten, bevor sie sie nach einigen Tagen den eintreffenden Deutschen in aller Ruhe und mit üppiger Dienstbarkeit überließen.

Und diese Antisemitenbande wird heute in Litauen immer wieder als Gruppe von „Helden“ und „Freiheitskämpfern“ gefeiert.

Die Mutter, der Vater und die Schwester von Fania wurden im Holocaust ermordet. Insgesamt sind ca. 50 Personen aus ihrer direkten Verwandtschaft Opfer im Holocaust geworden, wie sie im Film erzählt. Viele wurden in Ponar ermordet, wo 100.000 Menschen massakriert wurden, darunter 70.000 Juden. Der Film begleitete Fania und andere zu einer Gedenkveranstaltung in Ponar, wo Fania auf Jiddisch eine Ansprache hielt. Die mit damals fast 90 Jahren enorm lebendig wirkende Fania war auch als junge Frau und Partisanin schon sehr aktiv, voller Energie und Kampfeskraft, wie andere ehemalige Partisaninnen im Film erinnern.

Nach der Befreiung von den Deutschen durch die Rote Armee im Juli 1944 hatte Fania große Hoffnungen. Doch das autoritäre Sowjetregime verweigerte selbst die Erinnerung an die jüdischen Partisaninnen und Partisanen, der Holocaust war kein Thema. Das änderte sich nach dem Ende der UdSSR 1991 auch nicht. Ja jetzt wurde der litauische Nationalismus sehr stark und führte wiederum zu einer Abwehr der Erinnerung an den Holocaust.

Im Mai 2008 suchte plötzlich die Polizei nach Fania Brantsovskaya – weil sie verdächtig wurde, als Partisanin ‚Kriegsverbrechen‘ begangen zu haben! Ein Opfer wird zum Täter gemacht. Nur Dank des enormen diplomatischen Drucks in Litauen, den unter anderem eben oben zitierte ehemalige Jiddisch-Professor der YALE Universität und Holocaustforscher Dovid Katz organisierte, wurde Fania juristisch nicht belangt, das Verfahren dann doch nicht weiter verfolgt. Dabei geht es historisch auch um Differenzen oder unterschiedliche, verschobene Erinnerungen anderer Partisaninnen wie Rachel Margolis, die darüber auch ein autobiographisches Buch geschrieben hat.

Der Film fängt diese belastende Situation gut ein und hakt nach, warum Fania plötzlich in ihren Äußerungen bezüglich des litauischen Antisemitismus zurückhaltender wurde, was auch Vertretern der jüdischen Gemeinde in Vilnius auffiel. Der Film „Liza ruft!“ bettet das alles kritisch ein. Zumal die geschichtspolitische Ideologie gerade in Osteuropa wird problematisiert. Demnach habe es zwei Holocausts gegeben – einen wirklichen und einen „des Kommunismus“. Das nennt sich Rot=Braun-Ideologie oder eben „Revisionismus“, wie ein Abschnitt des Films bezeichnet ist. Dazu gibt es seit vielen Jahren gar staatliche Kommissionen gegen den „Totalitarismus“ im 20. Jahrhundert in Litauen – International Commission for the Evaluation of the Crimes of the Nazi and Soviet Occupation Regimes in Lithuania –, die genau diese Verharmlosung des Holocaust befördern, wie im Film deutlich wird. Auch gegen den ehemalige Partisanen und späteren israelischen Holocausthistoriker Yitzhak Arad (1926-2021) wurden 2008 perfide Ermittlungen aufgenommen wegen „Kriegsverbrechen“.

Im Anschluss an die Filmvorführung stand der Filmemacher per Zoom zum Gespräch zur Verfügung, wobei Christian Carlsen nochmals verdeutlichte, dass ihnen als Team, die diesen Film machten, die heutigen innerjüdischen wie gesamtgesellschaftlichen Debatten über Erinnerung und Erinnerungsabwehr am Beispiel Litauen sehr wichtig waren und bis heute sind. Wie in der Diskussion mit dem Regisseur deutlich wurde, bekommt das nun angesichts der Stationierung deutscher NATO-Soldaten in Litauen, die offenbar unweit der damaligen Stellungen der Partisan*innen stationiert werden sollen – 5000 deutsche Soldaten – eine hohe Aktualität. Hat sich jemand von der Bundesregierung damit beschäftigt, was es für Jüdinnen und Juden heute in Litauen bedeuten könnte, wenn sie wieder Deutsche im Befehlston herumbrüllen hören (was ja in jeder Armee Usus ist)?

Es wurden so extrem viele litauischen Juden wurden in der Shoah vernichtet, weil auch sehr viele lokale litauische Antisemiten, die heute teils als Helden (im Kampf gegen die Rote Armee) in dem EU-Land gefeiert werden, beim Holocaust mitmachten, wie die Wehrmacht schon zu Beginn des Krieges auf Fotografien festhielt, wie der Regisseur Carlsen in der Diskussion betonte.

Deutsche Soldaten wieder in Litauen…

Vor diesem Hintergrund ist die Kritik an der Militarisierung in Deutschland, wie sie jetzt einige Bundestagsabgeordnet der SPD und Dutzende weitere Aktivist*innen in einem Manifest üben, von großer Bedeutung. Es ist kriegstreibend, aufzurüsten, was die NATO-Aktivitäten in der Ukraine von 2014 bis 2021 zeigen. Das entbindet Russland nicht von seiner Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine – aber ohne Analyse der Vorgeschichte und des Imperialismus der NATO ist das Bild unvollständig.

Es ist schockierend, wie nahezu unwidersprochen und völlig schamlos deutsche Politiker wie der „Verteidigungs“minister Pistorius nun deutsche Soldaten in Divisionsstärke in ein Land schicken, wo der Holocaust stattfand. Unweit jener Verstecke im Wald, wo Fania und die anderen Partisan*innen lebten und kämpften sollen wieder deutsche Soldaten stationiert werden?

So berichtet zum Beispiel die Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) aus Heidelberg in infantiler und schamloser Sprache wie folgt über deutsche Soldaten in Litauen:

Deutsche Soldaten reisen nach Litauen

Wenn du schon einmal umgezogen bist, weißt du: Da muss man ganz schön viel organisieren. Erst recht, wenn man in ein anderes Land zieht. Man braucht zum Beispiel eine Wohnung und einen Schulplatz. Ein bisschen Vorbereitungszeit schadet also nicht.

Die NATO hat sich seit 1991 imperialistisch ausgebreitet, anders kann man das ja gar nicht sagen. Und sie hat Wort gebrochen, denn es wurde ausgehandelt und im Protokoll im Februar 1990 von Gorbatschow, Baker, Bush Senior und Helmut Kohl ausgehandelt:

not one inch

werde sich die NATO ostwärts ausbreiten, wenn BRD und DDR sich irgendwie zusammen täten. Und? Was passierte wirklich?

Doch die hiesigen Ideologen aller Geschlechter nennen es eine soldatische Reise nach Litauen… Das soll Journalismus sein? Das ist Hofberichterstattung der deutschen Bundesregierung.

Die litauische Publizistin Ruta Vanagaite hat 2016 mit ihrem Buch „Die Unsrigen“ eine breitere Debatte über den Judenhass in Litauen damals wie heute ausgelöst. Das, was der Historiker Dovid Katz seit Jahrzehnten erforscht, der Holocaust in Litauen und der Geschichtsrevisionismus in Litauen wie in anderen vor allem osteuropäischen Ländern, ist Folgendes:

Die Analogie von Rot und Braun, die Holocaust verharmlosende Rede von den „zwei Holocausts“. Damit wird Auschwitz und damit werden die Holocaustmassengräber und Todesgräben wie in Ponar geleugnet oder eben in eine x-beliebige Geschichte von Verbrechen einsortiert.

Die Abwehr der Erinnerung an die Shoah wird umso lauter und brutaler verlaufen, wenn deutsche Soldaten wieder schießen – und sei es als „Übung“ – in unmittelbarer Umgebung, wo die Großväter oder Urgroßväter heutiger deutscher Soldaten wüteten.

Und jetzt besteht die große Gefahr, dass sogar das unterirdische Fort im Wald, wo die jüdischen Partisan*innen sich versteckten und dann gegen die Deutschen und die litauischen Kollaborateure zwischen Herbst 1943 und Juli 1944 kämpften, als Litauen von der Roten Armee von den Deutschen befreit wurde (litauischen Antisemiten und Nationalisten sahen das natürlich als Niederlage), beschädigt oder zerstört wird, da es womöglich in unmittelbarer Nähe liegt zu dem Ort wo jetzt der aggressive deutsche Militarismus wieder Stellung bezieht. Dovid Katz schreibt am 26. Mai 2025 aus Litauen:

Es scheinen sich alle Befürchtungen zu bewahrheiten, dass das der Litauischen Brigade Deutschlands für militärische Zwecke zugewiesene Gebiet an die Überreste einer der wichtigsten Stätten des Holocaust in Litauen angrenzt oder in unmittelbarer Nähe liegen wird: die jüdische Partisanenfestung, wie sie unter den Veteranen des Zweiten Weltkriegs und den Überlebenden des Holocaust hier allgemein bekannt war, wo etwa hundert Flüchtlinge aus dem Wilnaer Ghetto, die alle oder fast alle jüdisch waren, in unterirdischen Holzbunkern im Waldlager lebten, als Teil des antinazistischen Netzwerks von Partisanen, das von der Sowjetunion während ihres Bündnisses mit den Vereinigten Staaten, Großbritannien und den Alliierten in den großen Kriegsanstrengungen zum Sturz Hitlers unterstützt wurde. Schauplatz ist der Truppenübungsplatz Rūdninkai in der Region des Rūdninkai-Waldes  (Rudnicki forest, Lithuanian — Rūdninkų giria, Yiddish — Rudnítsker vald).

Man muss sich das vorstellen: ‚Zufällig‘ zerstören deutsche Kampfpanzer bei einer Übung 2026, 2028 oder 2031 das Fort einer jüdischen Partisanengruppe in Litauen, oder manche machen sich einen Spaß und zerstören es absichtlich, die Bundeswehr ist ja nicht gerade bekannt dafür, besonders geschichtssensibel zu sein oder solche Männer (und Frauen) anzuziehen, die vorsichtig mit der Welt umgehen, um das mal ganz diplomatisch zu formulieren. Machismus ist in jede Armee ein Riesenthema, dazu kommt der Rechtsextremismus in der Bundeswehr und die deutschen Kontinuitäten seit der Nazi-Zeit.

Täter-Opfer Umkehr in Litauen: Kampf gegen die Partisaninnen

Als 2008 diese unglaubliche Kampagne von Revisionisten in Litauen gegen ehemaligen Partisaninnen und Partisanen losging, stellten sich viele Botschaften hinter Fania und andere Partisan*innen, Dovid Katz erinnert:

Alle diese Diplomaten waren stolz darauf, mit Fania dieses Partisanen-Fort zu besichtigen und sich über den mutigen Widerstand der jüdischen Partisaninnen und Partisanen gegen die Nazis zu informieren. Darüber hinaus organisierte der irische Botschafter Denham, der die gesamten Bemühungen des westlichen diplomatischen Korps inspirierend initiiert und geleitet hatte, ein Bankett, um Fania zu ehren und ihr eine Urkunde für ihr Lebenswerk zu überreichen. Der amerikanische Botschafter John A. Cloud stellte ihr seine eigene Urkunde aus, die er bei einem von der Botschaft gesponserten Mittagessen überreichte. In der Geschichte der Diplomatie war dies das erste Mal seit dem Zusammenbruch der UdSSR, dass westliche Diplomaten in diesen Ländern energisch und öffentlich gegen den Missbrauch staatsanwaltschaftlicher Befugnisse zur Verunglimpfung und Delegitimierung von Personen protestierten, die bei den Staatsorganen in Ungnade gefallen waren. Ein Jahr später gab der deutsche Botschafter Hans-Peter Annen einen Empfang für Fania, bei dem er ihr das Bundesverdienstkreuz des deutschen Bundespräsidenten überreichte.

Die antisemitische Täter-Opfer Umkehr und Agitation gegen ehemalige Partisaninnen und Partisanen wie Fania Brantsovskaya oder Yitzhak Arad wird von dem Historiker Saulius Sužiedelis in seinem 2025 erschienen Buch Crisis, War, and the Holocaust in Lithuania erkannt.[1] Der emeritierte Professor an der Millersville University of Pennsylvania schreibt in seinem Buch eine umfassende Geschichte des Holocaust in Litauen. Den Antisemitismus der Litauischen Aktivistenfront (LAF) nennt er auch beim Namen.[2]

Rot=Braun Ideologie

Vor diesem Hintergrund ist jedoch seine aggressive Abwehr der Kritik am Antisemitismus und der Holocaustverharmlosung durch die Rot=Braun-Ideologie von Dovid Katz oder Efraim Zuroff bemerkenswert. Ja, Sužiedelis macht sich – als amerikanisch-litauischer Professor – gar nicht die Mühe, sich mit der wissenschaftlichen Analyse und Kritik wie von Dovid Katz zu befassen und schreibt faktenfrei:

In ihrem Angriff auf die Vermischung von Kommunismus und Nationalsozialismus wurde jedoch die wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema nicht erwähnt (…).[3]

Dabei zitiert er zwar zwei journalistische Beiträge von Dovid Katz von 2009 sowie von Efraim Zuroff, aber nimmt das nicht als wissenschaftliche Kritik wahr und ernst. Hätte Sužiedelis, der lediglich 30 Jahre an diesem Buch arbeitete,[4] sich etwas näher mit der Thematik der Holocaustverharmlosung und der Analogie von Rot und Braun beschäftigt, hätte er einige wissenschaftliche Artikel von Dovid Katz finden müssen.[5]

Doch Sužiedelis ignoriert diese Forschung einfach und behauptet dann, Katz würde die wissenschaftliche Literatur nicht rezipieren, dabei ist Sužiedelis ganz offenkundig der Ignorant, da er keine einzige der von mir hier zitierten wissenschaftlichen Arbeiten von Dovid Katz rezipiert hat und Katz wiederum bezieht sich ja auf viele andere wissenschaftliche Texte und bettet das jeweils in eine luzide Analyse und Kritik der Rot=Braun- oder Holocaustverharmlosungs-Ideologie ein.

Da Sužiedelis jedoch mit der umstrittenen litauischen staatlichen Kommission, der bereits oben zitierten International Commission for the Evaluation of the Crimes of the Nazi and Soviet Occupation Regimes in Lithuania zusammenarbeitet, ist das kein Wunder. Er bedankt sich in seiner Studie sogar bei Ronaldas Račinskas, der jene Internationale Holocaust Kommission leitet, sowie bei Emmanuel Zingeris aus Litauen.[6]

Es ist eine Mischung aus Perfidie und Unkenntnis, wenn Sužiedelis Dovid Katz vorwirft, diese Holocaust verharmlosende Kommission zu kritisieren, da doch deren Vorsitzender ein Jude sei, Emmanuel Zingeris.[7] Was soll das aussagen? Dovid Katz hatte offenkundig, seine Seite Defending History zeugt davon, guten und engen wissenschaftlichen, politischen und persönlichen Kontakt zum damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Vilnius, Shimon Alperovich, zu Milan Chersonski, dem Herausgeber der (viersprachigen) Zeitung der jüdischen Gemeinde in Vilnius, zum Holocaustüberlebenden Pinchos Fridberg aus Vilnius, zu Fania Brantsovksaya, zu Rachel Margolis, zu Yitzhak Arad und vielen weiteren Juden und Jüdinnen.

Sodann bezieht sich Sužiedelis in diesem Kontext bzw. der dazugehörigen Fußnote auf Timothy Snyder, ohne mit einem Hauch auf die massive wissenschaftliche Kritik an der Holocaust verharmlosenden Dimension von dessen Buch „Bloodlands“, wo er ganz typisch Rot und Braun analogisiert, einzugehen.

Neben Dovid Katz[8] waren viele weitere Historiker*innen in die Debatte involviert und haben Snyder teils massiv und scharf kritisiert, darunter waren Dan Diner[9] vom Simon Dubnow Institut in Leipzig, Yehuda Bauer[10] (1926-2024) und Dan Michman[11] von Yad Vashem aus Israel, Jürgen Zarusky[12] (1958-2019) vom Institut für Zeitgeschichte in München, der rumänische Holocaustforscher Michael Shafir (1944-2022)[13] sowie der Verfasser dieses Textes[14] und weitere Kritiker*innen.

Doch ideologisch ist eben keineswegs nur Litauern, vielmehr auch Deutschland seit vielen Jahren auf dem Kurs der antisemitischen Rot=Braun-Ideologie. Die Prager Deklaration steht dafür exemplarisch, der spätere Bundespräsident Joachim Gauck ist einer ihrer Unterzeichner. Der Kern der Prager Deklaration ist folgender:

Dabei geht es um die am 3. Juni 2008 im Prager Senat von mehreren, teils international recht bekannten Politikern, Wissenschaftlern und Aktivisten angenommene „Prager Deklaration“. Darin wird in einem 19 Punkte umfassenden Programm der Stalinismus bzw. „der Kommunismus“ mit dem Nationalsozialismus gleich gesetzt. Gleich in Punkt eins heißt es, es solle an ein „gesamteuropäisches Verstehen“ appelliert werden, dass die „nationalsozialistischen und kommunistischen totalitären Regime jedes nach seinem Wert“ beurteilt werden mögen, beide „Regime“ hätten gleichermaßen „aggressive Kriege angefangen“ (!) als „untrennbarer Teil ihren Ideologien“, beide hätten „ganze Nationen deportiert und vernichtet“ (!) und dass somit diese beiden Regime die „Hauptkatastrophen“ des „20. Jahrhunderts“ darstellten.

Zweitens sollen die vielen „Verbrechen“, welche „im Namen des Kommunismus“ begangen wurden als „Verbrechen gegen die Menschheit“ betrachtet werden, „genauso wie die Nazi Verbrechen vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal beurteilt“ wurden. Von besonderer Bedeutung ist Punkt 9 der Deklaration, worin gefordert wird, den „23. August“ 1939, den Tag an dem der „Hitler-Stalin Pakt“ unterzeichnet wurde, als „Gedenktag an die Opfer von nationalsozialistischem und kommunistischen Regimes“ einzurichten, „in genau der Art wie Europa die Opfer des Holocaust am 27. Januar erinnert“. In Punkt 17 wird schließlich gefordert, alle „europäischen Textbücher anzupassen und zu überarbeiten, damit die Kinder lernen und vor dem Kommunismus und seinen Verbrechen gewarnt werden können, auf die gleiche Weise wie sie gelernt haben die Nazi-Verbrechen zu beurteilen.“

Damit ist der Kern der Prager Deklaration eindeutig: der Holocaust war demnach kein präzedenzloses Verbrechen, der Antisemitismus der Deutschen und ihrer Helfer war nichts Besonderes, vielmehr ‚typisch‘ für ‚totalitäre Regime‘ wie dem Nazismus und Kommunismus. Der Holocaustgedenktag soll abgewertet bzw. ersetzt werden! [15]

Deutsche Panzer wieder in Litauen: Stoppt die Militarisierung Europas

Es ist absolut notwendig, dass das jüdische Partisanen-Fort erhalten bleibt und als Gedenkort des Widerstands gegen den Holocaust in diesem EU-Land gewürdigt wird.

Dovid Katz fordert:

Es ist bedauerlich, dass Bundeskanzler Merz über die Geschichte des Holocaust-Widerstandes unweit des neuen deutschen Truppenübungsplatz vielleicht nicht richtig informiert war, weshalb er am vergangenen Donnerstag bei den Eröffnungsfeierlichkeiten schwieg. Aber das kann jetzt schnell korrigiert werden durch die Entschlossenheit des deutschen Verteidigungs- und Außenministeriums und auch der Partnerstreitkräfte im NATO-Bündnis, ein Projekt zur Wiederherstellung der jüdischen Widerstandsfestung in enger Zusammenarbeit mit den litauischen Behörden und internationalen Holocaust-Gedenkorganisationen anzukündigen. Angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocaust-Völkermordes verdient die einzige erhaltene jüdische Festung auch den Schutz der UNESCO und anderer Organisationen.

Die völlig absurde Vorstellung, Russland würde ‚einfach so‘ Länder überfallen, weil es ein imperialistisches Land sei, könnte die kritische Politikwissenschaft detailliert widerlegen. Der Ukraine-Konflikt ist sehr vielschichtig, beide Seiten tragen hierbei Schuld, Russland für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, die Ukraine und die NATO für jahrelange Provokationen inklusive Rassismus gegenüber der starken Russisch sprachigen Minderheit zumal im Osten und Südosten der Ukraine.

Aber wer ist heutzutage schon an Wissenschaft und Reflektion oder Kritik interessiert, wenn sage und schreibe 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Aufrüstung und somit Kriegsvorbereitung ausgegeben werden sollen von allen NATO-Staaten?

Eine Auflösung der NATO wäre viel friedensfördernder. Sie wurde als Reaktion auf die Sowjetunion 1949 gegründet, 1955 wurde dann der Warschauer Pakt gegründet, der aber nur bis 1991 bestand. Warum gibt es die NATO weiterhin?

Und welches Militärbündnis hat sich nochmal seit 1991 extrem ausgebreitet in Europa, ist also eine imperialistische Macht?

Das macht Putin nicht weniger schlimm und autokratisch, er ist eine extreme Gefahr für die demokratische Opposition in Russland und weltpolitisch mit seiner Unterstützung des Iran (allerdings aktuell kaum, die Angriffe Israels führten zu keiner militärischen Unterstützung Russlands für den Iran), der Hamas oder auch Chinas.

Wobei sich ja bekanntlich China mit seiner äußerst brutalen, antidemokratischen, irrationalen und gesundheitsgefährdenden Corona-Politik in die Herzen aller linken und sonstigen ZeroCovid-Fanatikerinnen (oder auch von Angela Merkel, die begeistert war, wie maskiert China war und vor allem wie wenig Proteste es dort gegen die Corona-Politik anfangs gab oder geben konnte, im Gegensatz zu Deutschland!) gebrannt hat.

Autorinnen oder Verleger, die sich für eine vielfältige oder auch kinderfreie Zukunft aussprechen und die Normalfamilie (bzw. die Produktion von Kanonen- und Drohnenfutter) in Frage stellen, werden bekanntlich in Russland per Gesetz diskriminiert, ja strafrechtlich verfolgt! Russland hat Besseres verdient als Putin, so wie die USA Besseres verdient haben als Trump, by the way (siehe dazu die aktuelle Bruce Springsteen Tour in Deutschland und die No King-Proteste am 14. Juni 2025 in den ganzen USA mit ca. 5 Mio. Demonstrant*innen im ganzen Land auf ca. 2100 Demonstrationen angesichts einer unerträglichen, Nordkorea-Style Militärparade für Trumps Geburtstag).

Dazu kommt, dass aller Wahrscheinlichkeit nach, wie es selbst die New York Times mittlerweile sieht, das Virus SARS-CoV-2 vermutlich bei einem Laborunfall in Wuhan (China) freigesetzt wurde. Stichwort: BSL 2 statt BSL-3 oder 4. Wer nicht weiß was BSL heißt, hat die Jahre 2020 bis 2025 verschlafen und sieht gar nicht was für Gefahren aus solchen Laboren für die ganze Welt entspringen können. Die Gain-of-Function-Forschung ist ein weiteres Stichwort.

Der Krieg in der Ukraine muss sofort beendet werden. Doch dieser Krieg hätte ohne Gebietsverluste für die Ukraine bekanntlich im April 2022 beendet werden könne, doch fanatische NATO-Mitgliedsländer und Politiker wie Boris Johnson wollten lieber Hunderttausende Soldaten sterben sehen in der Ukraine, weil sie mit Putin nicht verhandeln. Es wird jetzt in der Ukraine auch auf eine diplomatische Lösung hinauslaufen – aber mit massiven Gebietsverlusten und Zehntausenden oder Hunderttausenden Toten für die Ukraine und noch mehr Toten für Russland, die 2022 noch verhindert hätten werden können mit einem Autonomiestatus für die östlichen Provinzen in der Ukraine.

Deutschland könnte Litauen vielmehr diplomatisch und politisch, zivilgesellschaftlich helfen, sich mit der eigenen verbrecherischen Geschichte im Zweiten Weltkrieg und während der Shoah zu beschäftigen. Doch in Litauen passiert das exakte Gegenteil. Viele litauische Täter im Holocaust waren Teil der Litauischen Aktivisten Front (LAF), Katz berichtet von einem Skandal von 2025, der keiner wurde, weil das fast niemanden interessiert, wer wie wo Nazitäter verharmlost oder feiert:

Der renommierte Harvard- und an der Universität von Chicago ausgebildete amerikanisch-litauische Professor und Analyst für öffentliche Angelegenheiten, Kęstutis Girnius, versuchte vor anderthalb Jahrzehnten, Unterstützung für eine rechtsextremistisch inspirierte Exkulpation der „Litauischen Aktivistenfront“ (LAF, Lietuvių aktyvistų frontas, „Weiße Armbänder“) zu bekommen. Das war jene Organisation von 1941, die kein einziges Kaninchen schoss [was schlimm genug gewesen wäre, CH], als die Sowjets an der Macht waren (1940-1941), aber in dem Moment, als die sowjetische Armee ihre panische Flucht nach Osten begann und es keine Behörde gab, die sie aufhalten konnte, begann, Tausende unschuldiger jüdischer Nachbarn zu ermorden.

Hitlers örtliche Schergen erklärten eine „Unabhängigkeit“, die den Treueeid auf Adolf Hitler, die Verpflichtung, Litauen von allen Juden zu befreien, und die Entfesselung eines barbarischen Mordes beinhaltete, noch bevor die Deutschen eintrafen oder ihre Kontrolle einrichteten. Jeder wahre Freund Litauens wird verstehen, dass dies die Art von pro-faschistischem Revisionismus ist, die das schöne, moderne, tolerante, demokratische Litauen wie ein Loch im Kopf braucht.

Aber wie gesagt: Wer interessiert sich schon für Politikwissenschaft, Geschichtswissenschaft, Diplomatie, Reflektion oder Kritik am Antisemitismus? Das betrifft ja sogar sehr viele Leute aus der Pro-Israel Community, die für andere Formen des Antisemitismus wie der Holocaustverharmlosung nicht nur keinen Blick haben, sondern sich lieber mit dem Bild von Selenskyi als Profilbild auf den a-sozialen Medien ‚schmücken‘ und keine rationale Analyse des Krieges in der Ukraine wollen. Denn das würde zeigen, dass es in der Ukraine exakt wie in Litauen auch Holocausttäter gab, die heute als „Helden“ erinnert werden.

Das ist ja der Grund, warum die Ukraine das Land ist – weltweit – mit den vermutlich meisten Denkmälern, Straßennamen, Plaketten etc. pp. für Holocausttäter und Nazi-Kollaborateure, wie der Journalist Lev Golinkin schon vor dem Ukraine-Krieg zeigen konnte. Und auch in Deutschland gibt es ja noch sehr viele Straßen, die nach Nazis benannt sind – bis heute, erst äußerst mühsam entscheiden sich manche Kommunen, die eine oder andere Straße umzubenennen.

Von Kojaks The Belarus File zu Standing Ovations für einen ukrainischen SS-Mann 2023 in Kanada

Dazu passt Folgendes: Eine schockierende Live-Übertragung aus dem kanadischen Parlament in Ottawa ereignete sich am 22. September 2023. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi war eingeladen, um im Parlament zu sprechen, neben dem damaligen kanadischen Premierminister Justin Trudeau, der ja eher dem „woken“ oder links-liberalen Lager zuzuordnen ist. Gegen Ende der Veranstaltung im vollbesetzten kanadischen Parlament erwähnte der Parlamentssprecher Anthony Rota, dass jemand auf der Tribüne sitzen würde, ein „kanadisch-ukrainischer Kriegsveteran aus dem Zweiten Weltkrieg“, der „die ukrainische Unabhängigkeit gegen die Russen“ erkämpft habe „und bis heute die Truppen“ – die ukrainischen Truppen – unterstützen würde. „In seinem Alter von 98 Jahren“. Das wurde damals live im Fernsehen übertragen, man kann das Video hier anschauen (ab Min 1:10:00).

Dann zeigt sich der 98 Jahre alte Kanada-Ukrainer und alle zollen ihm frenetischen stehenden Applaus und der Sprecher des Parlaments lacht dazu.

Sein Name ist Yaroslav Hunka. „Er ist ein ukrainischer Held“. „Ein kanadischer Held“. „Und wir danken ihm für all seine Dienste. THANK YOU!

Und wieder tosender stehender Applaus des gesamten Parlaments und aller Gäste, inklusive natürlich Selenskyi.

Presseagenturen nannten die Einheit, in der Hunka diente, die „erste ukrainische Division“. Das ist jedoch nur ein anderer Name für die „1. galizische SS Division“ und zugleich die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS. Lev Golinkin vom jüdischen Forward schreibt am 24. September 2023 :

Die 1943 gegründete SS Galizien setzte sich aus Rekruten aus der Region Galizien in der Westukraine zusammen. Die Einheit wurde von den Nazis bewaffnet und ausgebildet und von deutschen Offizieren befehligt. 1944 wurde die Division von SS-Chef Heinrich Himmler besucht, der von der „Bereitschaft der Soldaten, Polen abzuschlachten“ sprach.

Drei Monate zuvor verübten Untereinheiten der SS Galizien das so genannte Massaker von Huta Pieniacka, bei dem 500 bis 1.000 polnische Dorfbewohner lebendig verbrannt wurden.

Der kanadische Parlamentssprecher Rota hatte sich offenkundig mit Hunka vor dieser Veranstaltung näher befasst – aber schlichtweg ignoriert, was im Zweiten Weltkrieg „Widerstand“ oder „Befreiungskampf“ von Ukrainern hieß. Die SS organisierte den Holocaust, auch in der Ukraine. Die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS ist bekannt für ihre Morde im Holocaust und genozidale Verbrechen an Polen.

Jeder Mensch mit einem Hauch von Geschichtsbewusstsein weiß, dass gerade ehemalige Holocaust-Täter in die USA oder Kanada emigrierten nach 1945. Einer der bekanntesten und besten Filme dazu ist der Kojak Krimi „The Belarus File“. Darin geht es exakt um solche Hunkas, die in den USA untertauchten und dann mitunter auf die wenigen überlebenden Juden trafen. Am Ende wird der Nazi-Kollaborateur ausgeschaltet – von Kojak. Ein absolut beeindruckender Film, den offenbar kein Mensch dieser versammelten kanadischen Elite an jenem 22. September 2023 vor Augen hatte.

Sie applaudierten einem SS-Mann. Im Jahr 2023. Das zeigt, zu was der schier unschilderbare Pro-Ukraine Fanatismus führen kann.

Weniger später, am 26. September 2023 hat dann der bis dahin völlig naive oder historisch ungebildete kanadische Parlamentssprecher Anthony Rota Konsequenzen gezogen und trat zurück. Trudeau oder Selenskyi traten jeweils nicht zurück und die versammelte kanadische parlamentarische Elite trat auch nicht zurück. Jeder und jede Einzelne wird erinnert werden als eine Person, die einem 98-jährigen Nazi-Kollaborateur, der in einer SS-Division und im Holocaust aktiv war, frenetischen Applaus zollte.

Im Jahr 2023.

Weil ja die wenigsten Menschen seit 1945 Zeit hatten, sich mit der Geschichte des Holocaust zu befassen.

1988 wurde 20 Meilen vor Toronto in Kanada auf den Oak Memorial Gardens ein Denkmal für exakt jene 14. Waffen-SS-Division (1. Galizische) errichtet. Dieser Garten ist Teil des St. Volodymyr Ukrainian Friedhofs in Oakville. Man muss sich das vorstellen: Mehr als 40 Jahre nach dem Holocaust wurde im Jahr 1988 in Kanada, einer westlichen Demokratie, für diese Nazi-Kollaborateure ein Pro-Holocaust Denkmal errichtet!

Dieses Denkmal für die ukrainischen SS-Nazis wurde jetzt endlich nach vielen Jahrzehnten im März 2024 von dem Friedhof entfernt. Jahrzehntelange Proteste jüdischer Organisationen hatten nie etwas bewirkt – waren ja nur Juden, die protestierten, oder Überlebende. Aber jetzt, angesichts des Skandals mit den stehenden Ovationen für den 98-jährigen Nazi bzw. Nazi-Kollaborateur und SS-Mann Yaroslav Hunka im kanadischen Parlament am 22. September 2023 gab es doch eine kleine Schockwelle in Kanada.

1985 lief der erwähnte Kojak-Kinofilm „The Belarus File“. Darin geht es nicht nur um einen Holocausttäter, sondern insbesondere auch um US-amerikanische Direktive, juristisch nicht gegen diese Verbrecher vorzugehen. Die USA unterstützten viele Nazis und Nazi-Kollaborateure nach 1945, die Wernher-von-Braun Memorial Lecture in den USA („Die Karriere des Wernher von Braun. Von den Nazis zur NASA“), die 1978 das erste Mal veranstaltet wurde, ist ein typisches und obszönes Zeichen dafür. Da die USA wie damals die Nazis, die Polemik ist gar keine, weil sich die USA ja von sich aus in die Tradition des Nazis Wernher von Braun stellen!, der Expansion widmen, geht es heutzutage vor allem um das Weltall. Das zeigt sich im Expanding Exploration: From Vision to Reality. The 2024 von Braun Space Exploration Symposium im Oktober 2024 in Huntsville.

Wer die wirklich völlig fanatisch-euphorischen, enthusiastischen Gesichter dieser kanadischen Parlamentarier*innen sah, die mehrfach wie durchgedreht einem 98-jährigen Nazi-Kollaborateur Beifall klatschten, WEIL er ja gegen „den“ Russen kämpfte – der sieht, wie wenig aus der Geschichte des SS-Staates weltweit bis heute gelernt wurde. Es ist auch ein direktes Resultat der jahrzehntelangen Agitation der Propagandist*innen der Prager Deklaration und insgesamt der Gleichsetzung von Rot und Braun.

Sowjets schlimmer als Nazis: Litauen heute

Der jüdische Publizist aus Vilnius Arkady Kurliandchik, der auch den antizionistische Antisemitismus im heutigen Litauen kritisiert, bringt es im November 2024 so auf den Punkt:

Litauen hat im zwanzigsten Jahrhundert bekanntlich zwei Besatzungen erlebt: Die sowjetische und die deutsche. Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 und vor allem in jüngster Zeit hat sich die allgemeine Auffassung durchgesetzt, dass die sowjetische Besatzung „schlecht“ und die deutsche Besatzung „gut“ gewesen sei. Diese Unterscheidung wird durch Denkmäler deutlich gemacht: Statuen von Persönlichkeiten aus der Sowjetzeit, auch von solchen, die in keiner Weise mit der Unterdrückung in Verbindung stehen, werden abgebaut, während Gedenktafeln für Naziverbrecher, die für die Massenvernichtung der litauischen Bevölkerung verantwortlich sind, aufgestellt und Straßen und Schulen nach ihnen benannt werden.

Man könnte sogar zeigen, dass zwei der bekanntesten Leugner der Präzedenzlosigkeit der Shoah nahezu zeitgleich 1949/1950 aktiv wurden und sagten, dass der Holocaust gerade nichts Einzigartiges oder nie Dagewesenes sei: Martin Heidegger und Aimé Césaire.

Die Leugnung der Präzedenzlosigkeit der Shoah ist also keineswegs den postkolonialen Linken überlassen, wie viele vermuten und viele konservative bis neu-rechte und rechtextreme Publizist*innen, Parlamentarier*innen und Aktivist*innen, aber auch viele mehr oder weniger linke Wissenschaftler*innen behaupten oder zumindest insinuieren.

Deshalb mehr Geschichtsbewusstsein und weniger Militarismus wagen.

Besser Institute gründen in Litauen und überall für mehr zivile Lösungen, mehr Holocausterinnerung, mehr Diplomatie und Stopp der Aufrüstung.

Und gleichzeitig geht es um die Sicherung der jüdischen Orte des Widerstands gegen den Holocaust und die deutschen wie litauischen Antisemiten und Mörder, die die Juden im Holocaust in Litauen in einer ‚Effektivität‘ massakrierten wie an keinem anderen Ort der Welt – 95 Prozent der litauischen Juden wurden im Holocaust ermordet.

Antisemitismus ist also ein viel komplexeres Thema, als es viele wahrhaben wollen, gerade auch solche, die so tun oder immer so taten, als ob ihnen die Erinnerung an die Shoah wichtig sei.

Antizionismus ist die heute gefährlichste Form des Judenhasses. Aber viele, die diesen erkennen, sind häufig unfähig, andere Formen des Antisemitismus zu erkennen – und gerade Konservative in West- wie Osteuropa und Nordamerika, ja überall, die sich häufig pro-israelisch geben, sind mit die Schlimmsten, wenn es um die Umschreibung der Geschichte geht, von den postkolonial argumentierenden Linken abgesehen, die die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz leugnen und den Unterschied von Sklaverei und Gaskammern nicht im Ansatz begriffen zu haben scheinen.

Das Beispiel aus Kanada von 2023 sagt eigentlich alles über das komplette westliche Versagen, die Geschichte des Holocaust und der Täter und Kollaborateure aufzuarbeiten. Im Osten Europas wird in weiten Teilen nicht nur nicht oder verzerrt aufgearbeitet, sondern die Nazi-Kollaborateure werden geehrt, gerade auch nach solchen Skandalen wie in Kanada:

Der Gebietsrat von Ternopil [in der Ukraine, CH] zeichnete mit der Anordnung Nr.22 vom 6. Februar 2024 Hunka mit dem Jaroslaw-Stezko-Ehrenabzeichen „Für Verdienste um die Region Ternopil“ aus.

Wer war Jaroslaw-Stezko? Der Journalist Golinkin schreibt:

1941 stand Stetsko an der Spitze der mit den Nazis kollaborierenden Regierung der OUN-B, die den deutschen Einmarsch in die Ukraine begrüßte und Hitler die Treue hielt. Er war ein völkermordender Antisemit, der geschrieben hatte: „Ich bestehe auf der Ausrottung der Juden und der Notwendigkeit, die deutschen Methoden zur Vernichtung der Juden in der Ukraine zu übernehmen.“

Diesen Mann also würdigt und feiert die heutige Ukraine, die WIR – gerade wir Deutschen – doch mit allen, wirklich allen Mitteln verteidigen müssen.

 

[1] Saulius Sužiedėlis (2025): Crisis, War, and the Holocaust in Lithuania, Boston: Academic Studies Press (in Kooperation mit dem United States Holocaust Memorial Museum), S. 532-536.

[2] Ebd., S. X.

[3] Ebd., S. 539.

[4] Ebd. S. X.

[5] Dovid Katz (2009): “On Three Definitions:  Genocide; Holocaust Denial; Holocaust Obfuscation”, in: Leonidas Donskis (Hg.), A Litmus Test Case of Modernity. Examining Modern Sensibilities and the Public Domain in the Baltic States at the Turn of the Century [=Interdisciplinary Studies on Central and Eastern Europe 5], Bern u.a: Peter Lang, S. 259-277 ; Dovid Katz (2016): “Is Eastern European ‘Double Genocide’ Revisionism Reaching Museums?”, in: Dapim: Studies on the Holocaust, vol. 30.3, S. 1–30, 18. Nov. 2016; Dovid Katz (2017): “Free Trade Awry? The Westward Export of Double Genocide”, in: Danielle Buschinger u.a. (Hg.), Mélanges offerts à Jeff Richards par ses amis à l’occasion de son 65e anniversaire, Amiens: Centre d’Etudes Médiévales de la Picardie, S. 413-443; Dovid Katz (2018): “The Baltic Movement to Obfuscate the Holocaust” in: Alex J. Kay/David Stahel (Hg), Mass Violence in Nazi-Occupied Europe: New Debates and Perspectives (Indiana University Press: Bloomington, Indiana), S. 235-261.

[6] Sužiedėlis 2025, S. XII.

[7] Ebd., S. 538.

[8] Dovid Katz (2009a): “Prague’s Declaration of Disgrace,” 21. Mai 2009, http://www.thejc.com/comment/comment/prague%E2%80%99s-declaration-disgrace.

[9] Dan Diner (2012): “An Auschwitz vorbei. Timothy Snyder erhält für sein Buch ‘Bloodlands’ den diesjährigen Leipziger Buchpreis. Zu Recht? Jedenfalls weist seine angeblich wegweisende Arbeit Mängel auf,” March 17, 2012, http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article13927362/An-Auschwitz-vorbei.html.

[10] Yehuda Bauer (2010): Remembering accurately on International Remembrance Day, Jerusalem Post, 25.01.2010.

[11] Dan Michman (2012): Bloodlands and the Holocaust, in: Journal of Modern European History / Zeitschrift für moderne europäische Geschichte / Revue d’histoire européenne contemporainem Vol. 10, No. 4, Eugenics after 1945 (2012), S. 440-445.

[12] Jürgen Zarusky (2012): Timothy Snyders „Bloodlands“. Kritische Anmerkungen zur Kon­struktion einer Geschichtslandschaft, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 60. Jg., Nr. 1, S. 1–31.

[13] Siehe z.B. „Papers by Professor Michael Shafir (1944-2022)“, https://defendinghistory.com/papers-by-professor-michael-shafir-1944-2022/112393.

[14] Siehe das Kapitel Ernst Nolte’s ‘grandson,’ the new German President and the Prague Declaration, in: Clemens Heni (2013), Antisemitism:  A Specific Phenomenon. Holocaust trivialization – Islamism –Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin: Edition Critic, S. 313-373.

[15] Clemens Heni (2010): Die Prager Deklaration. Antisemitismus im neuen Europa, Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Jg. 49, Nr. 194 (2010), S. 106–112, hier S. 106 f.

Blätter für deutschen und internationalen Antisemitismus?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Februar 2020

 

Die Zeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“ ist eines der bekanntesten politischen und politikwissenschaftlichen Periodika im deutschsprachigen Raum. Wer ein Public Intellectual ist oder meint zu sein und sich irgendwie als „aufgeklärt“, „liberal“ oder „links“ versteht, publiziert dort. Nicht weniger als 22 Personen gehören zum „Herausgeberkreis“, von Katajun Amirpur über Jürgen Habermas und Seyla Benhabib hin zu Dan Diner, Claus Leggewie und Micha Brumlik reicht die typische Palette, angeführt von Albrecht von Lucke und der Redaktion. Die Themen reichen von Rechtsextremismus über Kapitalismus zu Ökologie, Philosophie und Antisemitismus in der DDR.

Doch wie so oft, wird es schwierig, sobald es um Juden und den Zionismus geht. Klar wird in den Blättern an die toten Juden der Shoah erinnert. Aber wie steht die Zeitschrift zu den lebenden Juden in Israel? Das zeigt sich exemplarisch in der Februar-Ausgabe 2020 der Blätter. Dort schreibt Lothar Zechlin über „Israelkritik gleich Antisemitismus?“.

Der 1944 geborene Zechlin war Professor für Öffentliches Recht und Hochschulmanager, er wäre vor einigen Jahren um ein Haar Präsident der Hochschulrektorenkonferenz geworden und unterlag in einer Stichwahl. Zu seinen Publikationen gehören „Minderheitenschutz im deutschen und französischen Aktienrecht“, „Streik, Strafrecht, Polizei. Juristischer Leitfaden für Konflikte mit der Staatsgewalt“ oder „Understanding and developing your role as a leader“ bis hin zu „Schadensersatzansprüche bei Klassenfahrten“. Als Publizist zu Antisemitismus oder Antizionismus ist Zechlin bislang nicht in Erscheinung getreten.

Zechlin geht es um die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), einem Zusammenschluss von derzeit 34 Staaten, die sich auf folgende Definition verständigt haben:

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.

Das nennt Zechlin „konturlos“. Dass sich also 34 führende Industrienationen und weitere Länder hinter diese Definition stellen, sei „konturlos“ – was ist mit den anderen gut 160 Staaten, die nicht zur IHRA gehören und für die der Hinweis auf Hass gegen Juden kein Problem darstellt, oder gar Freude evoziert? Die Indifferenz der Weltgemeinschaft war schon während des Holocaust katastrophal. Was bringen all die warmen Wort des Gedenkens, wie sie gerade von solchen Blättern kommen, wenn die lebenden Juden hier und heute im Stich gelassen werden?

Der Bundestag würde nun mit seiner Anti-BDS-Resolution von Mai 2019 die IHRA Definition gar „verfälschen“, wie die Blätter insinuieren, und Hass auf Israel als Form von Antisemitismus aufnehmen:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten.

Das ist jedoch keine Verfälschung, sondern nur eine Konkretisierung der IHRA Definition, die ja ganz absichtlich und nach vielen Jahren der Diskussion diesen Zusatz wie weitere Beispiele anfügte.

Geradezu zynisch schreibt Zechlin:

Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik stellt dazu fest: ‚Einzelne Vertreter dieser Bewegung [BDS] dürften von Judenhass motiviert sein und manche Aktionen können auch problematisch sein. Das entspricht aber nicht dem Mainstream dieser Bewegung‘.

So wird antisemitische Alltagsgewalt entwirklicht oder affirmiert. Zudem wird nicht der wissenschaftlichen Definition gefolgt, die die Ablehnung jüdischer Souveränität, den heutigen Antizionismus, als antisemitisch definiert. Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob jüdische Gruppen vor der Shoah und vor 1948 antizionistisch waren oder nach der Gründung des jüdischen Staates. Wer heute antizionistisch ist, nimmt die Zerstörung Israels und den Tod von Juden billigend in Kauf. Sodann führen die Blätter aus:

…dürfte sich die Unterstützung in aller Regel auf das nichtantisemitische Programm und nicht einzelne Exzesse beziehen.

Lothar Zechlin weiß also, dass sich BDS-Unterstützer*innen „in aller Regel“ auf das „nichtantisemitische Programm“ von BDS beziehen und „nicht“ auf „einzelne Exzesse“. Er hat jedoch überhaupt nicht definiert, dass das geforderte Rückkehrrecht, also das Programm von BDS, antisemitisch ist, weil es völkerrechtlich jüdische Souveränität in einem eigenen Staat ablehnt. In einer Fußnote hat der 75jährige Autor sich abgesichert und autoritär gesetzt, dass Judenhass kein Judenhass ist, wenn er sich „nur“ gegen den Staat der Juden richtet:

Selbst wenn man die Forderung nach Rückkehrrecht und staatsbürgerlicher Gleichheit der Palästinenser als Bedrohung der Existenz Israels als eines jüdischen Staates ansieht (was zu diskutieren wäre), handelte es sich um einen nicht aus Judenfeindlichkeit gespeisten Antizionismus.

Der BDS-Mitbegründer Omar Barghouti wendet sich konstant gegen Israel als jüdischer Staat, erst vor wenigen Monaten wieder in einem Leserbrief an die New York Times: Er möchte einen Staat für Juden und Araber und lehnt den Zionismus und den „jüdischen Staat“ kategorisch ab. Das ist antisemitisch. Das ist BDS. Barghouti schreibt am 24. April 2019:

As the philosopher Joseph Levine has written, ‚The very idea of a Jewish state [in Palestine] is undemocratic, a violation of the self-determination rights of its non-Jewish citizens, and therefore morally problematic.‘

Das ist auch die Position der Philosophin Judith Butler, die jüngst von der Barenboim-Said Akademie eingeladen wurde, wobei die Veranstaltung dann doch angeblich aus „organisatorischen Gründen“ abgesagt wurde, aber die Intention spricht Bände und die Diskussion mit Butler soll nachgeholt werden. Dabei wird Butlers völlige Ablehnung des Zionismus in Israel auch von solchen Autoren völlig zu Recht attackiert, die selbst Kritik am gegenwärtigen Zustand des Landes haben, aber sehen, dass die Ablehnung des jüdischen Staates an und für sich zu gar keiner Verbesserung führen wird – dafür Juden in Gefahr bringt.

Eine der bedeutendsten NGOs im Kampf gegen Antisemitismus ist die Anti-Defamation League (ADL) aus den USA. Sie definiert ganz eindeutig, dass es nicht anitsemitisch ist, Israel oder jedes andere Land zu kritisieren. Es ist aber sehr wohl antisemitisch, den „jüdischen Staat“ als solchen abzulehnen:

Is criticism of Israel always anti-Semitic?

No. Anti-Israel activity crosses the line to anti-Semitism when:

All Jews are held responsible for the actions of Israel.

Israel is denied the right to exist as a Jewish state and equal member of the global community.

Traditional anti-Semitic symbols, images or theories are used.

Eine Kritik an der Besatzung des Westjordanlandes gibt es seit 1967 – eine Kritik aus zionistischer Perspektive wie von Amos Oz. BDS hingegen übt keine Kritik an der Politik Israels. BDS und zwar jeder einzelne BDS unterstützende Mensch, möchte Israel als jüdischen Staat zerstören, denn das ist das Programm von BDS, egal wie diese oder jener persönlich das Programm interpretiert, es ist objektiv antisemitisch – eine subjektiv antisemitische Haltung kommt bei vielen noch hinzu.

Zechlin macht sich nicht mal die Mühe Barghoutis ablehnende Haltung gegenüber dem jüdischen Staat zu erwähnen. Diese ignorante oder unwissenschaftliche Herangehensweise ist jedoch nicht nur den Blättern für deutsche und internationale Politik vorbehalten, sie ist Mainstream unter jenen Forscher*innen, Politiker*innen und Aktivist*innen, die den Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages bekämpfen.

Dass die Blätter für deutsche und internationale Politik, die Crème de la Crème des deutschen sozial- und geisteswissenschaftlichen Establishments, sich so offen und aggressiv gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestags stellt, sagt alles über die politische Kultur und Situation für Juden und Israel in diesem Land. Es gibt eine ganz dünne Schicht von seriösen Politiker*innen, Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, darunter jedoch brodelt die Lava der antiisraelischen Elite Seite an Seite mit dem immer abrufbaren Mob („Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“, wie es zumal muslimische und arabische Hetzer*innen herausbrüllen).

 

Vortrag Islamwissenschaft und Jüdische Studien – Wie stehen sie zu Israel? TU Darmstadt, 11.6.2014

Vortrag von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) an der Technischen Universität Darmstadt, Ringvorlesung Wissenschaftskritik:

Islamwissenschaft und Jüdische Studien in Deutschland – »wie stehen sie zu Israel?«

Mittwoch, 11. Juni 2014 – 18:30 bis 20:30, Ort: Schlosskeller

Der Vortrag kann hier angehört werden.

Timeline:

Intro: FAZ und das Haus der Kulturen der Welt, Teil 1

Teil 1: Islamwissenschaft

 

1:00 Schadenfreude an 9/11

2:45 Gudrun Krämer, Professor für Islamwissenschaft, FU Berlin; in ihrer Dissertation (1982) diffamiert sie Kritik am ägyptischem (nazistischen) Antisemitismus der 1950er Jahre

5:03 Wochenzeitung jungle world promotet etwas vorschnell die Islamforscher Peter Wien und René Wildangel

9:00 „Mythos pro-faschistischer Araber“ und der „dämonisierte Großmufti“

11:09 Bettina Gräf: Yusuf al-Qaradawi

14:40 Barbara Freyer-Stowasser: Yusuf al-Qaradawi, Frauen, Gleichberechtigung und suicide bombing ohne Zustimmung von Vater/Ehemann und gar ohne Kopftuch

20.:08 Kritik an einer direkten Linie vom Koran zu Hitler/Eine Werbekampagne in USA

22:58 FAZ und das Haus der Kulturen der Welt, Teil 2: Bernd M. Scherer und das Haus der Kulturen der Welt in Berlin promoten ein Buch über al-Qaradawi: der »Global Mufti«

23:45 Der Islamwissenschaftler Peter Heine, Humboldt-Universität (HU) Berlin, und der „Kinderarzt“ und PFLP-Terrorist George Habash

28:16 Rüdiger Lohlker (Wien) und die Medien zu Israel als „Kindermörder“

33:40 Kritik an Götz Nordbruch – gibt es „Teilzeit-Nazis“?

 

Teil 2: Jüdische Studien

 

36:45 Professor Alvin Rosenfeld: progressive Juden und der neue Antisemitismus

38:50 Stefanie Schüler-Springorum und Jüdische Studien in Berlin und Brandenburg

40:20 Brian Klug im Jüdischen Museum Berlin

41:13 Deutscher Historikertag 2010 und Binationalismus für Israel/Palästina

42:30 Gershom Scholem: von der Hoffnung der Gruppe Brit Schalom auf ein binationales Zusammenleben mit den Arabern hin zum politischen, bewaffneten Zionisten auf den Dächern von Jerusalem 1936ff.

44:44 Teilungspläne für das Mandatsgebiet Palästina 1937/47

45:55 Bedeutung der Archäologie für Israel

46:30 Abbas und die PA leugnen historische Existenz der Juden im Land Israel

47:10 Dan Diner und die binationale Ideologie, 1980

48:17 „zionistische Gesetze abschaffen“ (Diner, 1980)

49:49 „Gesamtpalästina“

51:00 Prof. Christian Wiese im Leo Baeck Institute Yearbook und sein Bezug auf Jacqueline Rose

53:38 Jacqueline Roses antisemitische Fantasien: Hitler sei spätestens im Mai 1895 während eines Konzerts mit Richard Wagner-Musik in Paris dazu „inspiriert worden, Mein Kampf zu schreiben“ und Herzl dazu, „Der Judenstaat“ zu schreiben

56:40 Raphael Gross publiziert Christian Wiese

57:16 Robert S. Wistrich und die internationale Kritik an Jacqueline Rose

 

 

 

 

The Obsession to fight the Jewish state – The binational option, from Martin Buber and Hannah Arendt to Micha Brumlik and Judith Butler

The Times of Israel, September 3, 2013

On September 9 and 10, 2013, the Center for Research on Antisemitism (ZfA) at Berlin’s Technical University, together with the huge German Foundation on “Remembrance, Responsibility, and Future”, which spends up to seven million Euros a year for events (and spent over 70 million Euros since its inception in the year 2000), the group “Berlin-Kreuzberg Initiative against Antisemitism (Kiga)” and several other organizations as well as a German ministry of the Federal Government, will held a conference in Nuremberg on the Middle East conflict and its perception among immigrants in Germany.

The ZfA and its former head Wolfgang Benz have been criticized in recent years for promoting research on “Islamophobia” instead of Muslim antisemitism. In addition, Benz has been questioned about his silence about the Nazi legacy of his PhD advisor Karl Bosl, who awarded Benz a doctorate in 1968. In 1964, Bosl had compared the Holocaust to the expulsion of Germans from the East, and during Nazi Germany Bosl was on the payroll of the SS, an active historian in Nazi circles, and a member of the Nazi party NSDAP. Wolfgang Benz even collaborated with hardcore Islamist activists from the German online project Muslim Market and gave those pro-Iranian antisemites a very friendly interview in November 2010. Muslim Market is among those groups that organize the pro-Iran, pro-Hezballah and anti-Israel al-Quds rallies every year at the end of the Muslim month of Ramadan. On their homepage Muslim Market promotes the boycott of Israel with a scratched-out Star of David. Is this an appropriate place for the best known German scholar on antisemitism to be interviewed?

Then, in 2012, the new Center head since summer 2011, historian Stefanie Schüler-Springorum, appointed Edward Said follower and anti-Zionist Islamic studies scholar Achim Rohde. I analyzed the problematic tropes of Rohde’s scholarly approach and he left (or had to leave) the ZfA in 2013. Schüler-Springorum, though, is far from being an expert on research on antisemitism, let alone Israel, the Middle East, or the history of anti-Zionism. She has not published a single book on antisemitism so far, which is remarkable for the head of the leading European institute for research on that topic.

A speaker at the event in Nuremberg will be Islamic studies scholar and journalist Alexandra Senfft. In November 2012 she interviewed Wolfgang Benz and welcomed his new book on “How fear of Muslims threatens our democracies” – a strange topic for a scholar on antisemitism who is silent on jihadism and Islamist Jew-hatred. Senfft even mentioned that Benz frequently is interviewed by Muslims and Muslim journals in Germany but she had no problem and did not mention Benz’ interview with the hardcore Islamist and antisemitic Muslim Market. Senfft argues against critics of antisemitism like Holocaust survivor Ralph Giordano and journalist Henryk M. Broder because they are critics of “Islam,” in fact they are critics of Islamist antisemitism in particular and Islamism in general.

One of the best known speakers at the September 9 event, invited by Schüler-Springorum and her allies, is Professor Micha Brumlik, a pedagogue by profession. Brumlik has been known in recent decades as a critic of some forms of antisemitism in Germany. But he is even better known today for his kosher stamps for antisemitic agitators like Judith Butler who received the very prestigious Adorno-Prize of the city of Frankfurt in 2012. Butler calls Israel an apartheid state, she supports the anti-Jewish Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) movement and she is in favor of German-Jewish philosophers Hannah Arendt (1906–1975) and Martin Buber (1878–1965). Both Arendt and Buber agitated against a Jewish state of Israel and favored a binational Israel.

In the July issue of the leading left-wing German monthly, Konkret, Brumlik promoted a “Plan B.” In his article he argued against Israel as a Jewish state and followed Buber’s plans for a binational Israel. Konkret and Brumlik went so far as to say that Jews may not have a principled right of return to Zion – rather humanitarian and economic aspects should regulate immigration to Israel/Palestine.

Brumlik and Konkret are not stupid, they are not pro-Hamas or pro-Hezballah, they are rather critics of Islamist antisemitism and the Iranian threat. Konkret is even known as one of the very few self-declared pro-Israel journals in Germany. If it is pro-Israel to plead for a binational state – then you can imagine the anti-Zionist climate in Germany.

A few days after Brumlik’s piece was published by Konkret, I wrote a critique of this anti-Israel article. I said that this approach for a binational Israel, coming from a well-known Jewish professor and a self-declared pro-Israel monthly, is perhaps more dangerous than anti-Israel hatred coming from all kinds of hardcore right-wing or left-wing circles. I said that Brumlik and Konkret are perhaps more dangerous thanks to their distinguished style, their clear and calm strategy for this “Plan B” aiming at a binational Israel and rejecting Jews’ principled right of return.

Konkret became rather angry about my critique and attacked my person in a nasty and completely unprofessional way in the following editorial. Such attacks against pro-Israel scholars are normal when it comes to typical extreme right-wing or left-wing hate mongers, but Konkret always pretended to be pro-Israel. But well, Martin Buber was pro-Israel, too. He was a Zionist and this is the problem we are facing: what is Zionism?

This is a strategic question, going beyond the actual debates and conflicts.

There is the political Zionism of Theodor Herzl (1860–1904) and his followers. Herzl was not religious but desperate for a Jewish state. Others, like Achad Ha’am (1856–1927) preferred a cultural Zionism, urging Jews to become more Jewish in an inner, philosophical or religious and cultural way. This awakening of being Jewish was also a main element of Martin Buber’s approach in the early 20th century. Buber was a strong Zionist but did not want a Jewish state at all. Like Arendt, who was much younger than him and less religious, he was in favor of a homeland for Jews, but not a Jewish state. Sounds strange to today’s ears? This convoluted logic is behind today’s proposals for a binational state. And this is what we have to struggle with, in the next years and decades.

Influential German historian Dan Diner from Leipzig and Tel Aviv Universities argued for a binational Israel in his super PhD (habilitation) in 1980, too. I am not sure if this is still his point of view, but I fear it is. Historian Siegbert Wolf, known for books on Buber or anarchist and friend of Buber, Gustav Landauer (who was killed by sadistic, antisemitic, nationalistic and anti-socialist pre-Nazi German soldiers in 1919), argued for a binational Israel as well and referred to Diner. Like Diner, Konkret or Brumlik, Wolf is not stupid at all. He is aware of the Nazi collaboration of the leading Arab and Muslim politician at the time, Grand Mufti of Jerusalem Amin al-Husseini, and refers to pro-Israel and anti-Islamist critics of the Mufti like political scientist Matthias Küntzel, and historians Klaus-Michael Mallmann and Martin Cüppers. Despite these facts, Wolf supports antisemitic and so called post-Orientalist superstar Edward Said (1935–2003) and his plea for a binational Israel. Wolf’s pro-Buber article was published by the official German Martin-Buber-Society in 2011.

Butler likes the idea of a binational Israel, and therefore she refers to Arendt and Buber. For Butler, though, in her anti-Israel book from 2012, “Parting Ways. Jewishness and the Critique of Zionism,” Buber was still a problem, because he was in favor of Jewish “settler colonialism” and Jewish immigration to Palestine (prior to 1948). In fact, Buber wanted limited immigration even after the Shoah. In 1947, together with the co-founder and later President of Hebrew University, Judah Magnes (1877–1948), he wrote a pamphlet “Arab-Jewish Unity,” a “Testimony before the Anglo-American Inquiry Commission for the Ihud (Union) Association.” In it, they argued against a Jewish state of Israel and wanted a limited immigration of 100,000 Jews a year, in order to not disturb the Arabs.

In 1958, Martin Buber wrote that the “philosophy of violence” of the “national socialist evil” kept on “having an effect” “in a part of our people,” the Jewish people. This (antisemitic) comparison of Jews to Nazis was remembered, quoted and not at all criticized in 1961 in an afterword to a big study by Hans Cohn on Buber, written by the Brit Shalom member (1925–1933), co-founder of the Leo Baeck Institute and first editor of its Yearbook (1956–1978), Israeli journalist Robert Weltsch (1891–1982). Cohn’s book with Weltsch’s afterword appeared in a second printing in 1979, published by the Leo Baeck Institute New York, with a foreword by German historian Julius H. Schoeps, today head of the 1992 founded Moses Mendelssohn Center for European-Jewish Studies (MMZ) in Potsdam.

As historians and co-editors of the “New Essays on Zionism” in 2006, David Hazony, Yoram Hazony, and Michael B. Oren, observed, there is a need to justify Zionism in our times after the Cold War, an era that for Israel was relatively harmless, predictable, and largely free of today’s jihadist threat. Thanks to “European ideology,” they wrote, the “future of mankind” is seen “in the dissolution of state sovereignty.” Therefore Zionism, political Zionism and not spiritual or cultural Zionism, to be sure, needs philosophical, historical, political and religious justification.

We have to confront European and German ideology of Immanuel Kant and the end of the nation-state in the late 18th century. Kant is still very influential in philosophy and politics alike, take Yale’s Seyla Benhabib as an example. In 2012 she was awarded a prize in Germany, despite her outspoken anti-Zionist articles in recent years and her friendship with Judith Butler. Even pro-Israel young scholars embrace Benhabib and are unwilling or unable to decode the dangerous ideology of Kant, and his followers in the anti-nation-state tent.

Israel is a Jewish state and has to be a Jewish state and has to be accepted as a Jewish state. Israel as a Jewish state with unlimited immigration could have saved hundreds of thousand Jews, if not millions. Jews have by far the longest and most intense relationship to Zion and the territory of Israel. Jerusalem is of minor importance to Islam, just take the Quran as an example. Finally, no one in the humanities and social sciences is questioning the Muslim character of almost all Arab states, or of Iran.

Martin Buber and Hannah Arendt, perhaps today the two most influential Jewish anti-Israel-as-a-Jewish-state celebrities in the humanities and social sciences from the 20th century, did a bad job. They attacked and defamed the very idea of Israel as a Jewish state in the 1940s, take the time frame from 1942 until 1948, when the Holocaust happened and the Biltmore conference in May 1942 in New York City argued in favor of a Jewish state of Israel.

The question is not only if someone is pro-Israel, but also what kind of Israel. What do people refer to when they are in favor of Israel – a cultural Zionist or spiritual Judaistic Israel with no Jewish majority, a binational Israel? Or, a political Zionist Israel, the Jewish state of Israel?

It is a scandal that proponents of a binational Israel and authors who attack critics of antisemitism and Muslim antisemitism are invited to that conference to be held in Nuremberg, September 9, 2013.

Finally, even among self-declared friends of Israel there is a huge gap of knowledge about the history of Zionism and Israel as a Jewish state. There is much work to be done for serious scholarship.

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013

Von Dr. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Am 22. August 2013 gab die Senatsverwaltung der Freien Hansestadt Bremen bekannt, dass der von ihr gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung ausgelobte Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken an den 1969 geborenen amerikanischen Historiker Timothy Snyder geht. Snyder ist weltweit bekannt geworden durch sein 2010 veröffentlichtes Buch Bloodlands, mit dem er die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust neu zu schreiben versucht. Die Bremer Senatsverwaltung schreibt:

 

In seinem Buch „Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“ habe Snyder, so urteilte die Jury, ein vergessenes und verdrängtes Kapitel der europäischen Geschichte aufgeschlagen, über das Europa über ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen noch immer uneins sei. Es ist die Frage, wie das Ineinandergreifen des deutschen Genozids an den europäischen Juden, an der polnischen Elite sowie an anderen „slawischen Völkern“ und die Stalinsche Politik der Hungersnöte sowie der Vernichtung ganzer ethnischer und sozialer Gruppen zu beurteilen sei – und wie das Geschehen in die europäische Gedächtniskultur eingehen könne. „Unabhängig von den Kontroversen unter Historikern und politischen Denkern, die das Buch und sein Autor ausgelöst haben, berührt Snyder substantielle Fragen, die den Kern des europäischen Vereinigungsprojekts betreffen“ , so die Jury. Snyders streitbare historische Analyse trage damit zu einer neuen öffentlichen Debatte um die politische Gestalt Europas bei.

Die Jury für diesen Preis setzt sich wie folgt zusammen: Prof. Antonia Grunenberg (Berlin/Oldenburg), Dr. Otto Kallscheuer (Sassari/Berlin), Marie Luise Knott (Berlin), Dr. Willfried Maier (Hamburg), Prof. Karol Sauerland (Warschau), Joscha Schmierer (Berlin), Prof. Christina Thürmer-Rohr (Berlin).[i]

 

Timothy Snyder

Das Elend und die Antiquiertheit der Studie Snyders wird schon im Vorwort von Bloodlands unumwunden deutlich; geradezu lapidar spricht er davon, dass die “meisten deutschen Juden, die Hitler 1933 die Wahlen gewinnen sahen, eines natürlichen Todes starben”:

Hitler was an anti-Semitic politician in a country with a small Jewish community. Jews were fewer than one percent of the German population when Hitler became chancellor in 1933, and about one quarter of one percent by the beginning of the Second World War. During the first six years of Hitler’s rule, German Jews were allowed (in humiliating and impoverishing circumstances) to emigrate. Most of the German Jews who saw Hitler win elections in 1933 died of natural causes.[ii]

Wenn die meisten deutschen Juden, die 1933 in Deutschland lebten, gar nicht ermordet wurden, warum dann diese ‚enorme Erinnerungskultur an die Shoah‘, möchte der Nachwuchshistoriker insinuieren. Mehr noch: Jeder dieser soeben zitierten Sätze aus Bloodlands benennt Hitler. Diese Obsession Snyders mit der sog. Great Man Theory von Mitte des 19. Jahrhunderts ist auffällig und zeigt, dass er wissenschaftsgeschichtlich nicht auf der Höhe der Zeit ist.

 

Heute wird nicht mehr nach ‚großen Männern der Geschichte‘ geforscht, vielmehr nach strukturellen Beziehungen, nach ideologischen, alltäglichen, kulturellen oder religiösen und vielen anderen Spezifika und Entwicklungen. Bezüglich des Zweiten Weltkriegs wird ganz entgegen Synder seit Jahren in der Forschung ein Schwerpunkt auf die einzelnen Täter gelegt, auf Einheiten der Wehrmacht, der Schutzstaffel (SS, Waffen-SS), des Sicherheitsdienstes (SD), der Polizeibataillone etc.

 

Doch schockierend an diesem zentralen Satz aus Snyders Buch Bloodlands ist die Eiseskälte mit welcher er über die deutschen Juden schreibt. Für ihn geht es nicht darum, dass sich die deutschen Juden nicht vorstellen konnten, in Eisenbahnwaggons gepfercht, tagelang transportiert und dann an der Rampe selektiert und in Gaskammern vernichtet zu werden. Pogrome waren aus der Geschichte des Judenhasses seit Jahrhunderten bekannt. Doch der Zivilisationsbruch, den Auschwitz darstellt, war präzedenzlos, ohne Vergleich in der Geschichte. Für Snyder alles kein Problem, er geht über das Schicksal der deutschen Juden hinweg, machten sie doch für ihn geradezu läppische 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung 1939 aus. Für einen Mann der großen Zahlen, für einen, der mit 14,5 Millionen Toten jongliert und rot und braun ganz kategorial gleichsetzt, sind so wenige Menschen, 165.000 deutsche Juden, so gut wie nichts.

 

Entgegen aller wissenschaftlichen und historischen Kenntnis behauptet Snyder sodann, der Zweite Weltkrieg habe am 1. September „with friendship between Nazi Germany and the Soviet Union”[iii] begonnen. Er leugnet also die Alleinverantwortung der Deutschen und des Nationalsozialismus für den Beginn des schrecklichsten Krieges in der Geschichte der Menschheit. Da klatschen nicht nur die NPD und die autonomen Nationalisten, auch in nationalistischen Kreisen in Osteuropa wie in Litauen, wo Synder gern gesehener staatsoffizieller Gast ist, wird gejubelt.

 

Der litauische Außenminister (li.) und Timothy Snyder im Mai 2012

Der Historiker der Yale University, die schon bessere Zeiten gesehen hat, hat sich kaum neue oder unbekannte Quellen angeschaut. Er setzt vielmehr Bekanntes völlig neu zusammen und erfindet ein Gebiet, das zwischen den baltischen Staaten und der Ukraine auf der Nord-Süd-Achse sowie zwischen Polen und dem westlichen Russland (also vor allem Weißrussland und Ukraine) auf der West-Ost-Achse liegt: Bloodlands. Snyder geht es um folgende Verbrechen[iv]:

  • Hungersnot in der Ukraine 1932/33: 3 Millionen Tote.
  • Stalins Großer Terror 1937/38: 700.000 Tote
  • Tötungen von Polen durch Nazis und Sowjets 1939–1941: 200.000 Tote
  • Von den Nazis hervorgerufener Hunger 1941–1944: 4,2 Millionen Tote
  • Racheaktionen der Nazis: 700.000 Tote
  • Von den Nazis ermordete Juden: 5,4 Millionen

 

Insgesamt spricht der Historiker von ca. 14,5 Millionen Toten in diesem imaginären „Bloodland“.

Dabei fällt jeder Holocausthistorikerin und jedem Holocausthistoriker schon der Name Bloodlands (=Blutländer, oder blutende Länder) als völlig abwegig auf, da die Vernichtung in den Vernichtungslagern der Deutschen im SS-Staat schon sprachlich derealisiert wird: Treblinka, Sobibor, Chelmno, Majdanek, Belzec, Auschwitz-Birkenau stehen für die industrielle Vernichtung der europäischen Juden, für Vergasungen und gerade nicht für ein blutiges Schlachtfeld. Die blutige Vernichtung der Juden in den Wäldern und Feldern im Osten ist ebenso seit Jahrzehnten analysiert, nicht zuletzt von Daniel J. Goldhagen im Jahr 1996 in dessen Dissertation an der Harvard University über Hitler’s Willing Executioners.

Der Historiker Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Büros des Simon Wiesenthal Centers (SWC), kommentierte die Entscheidung der Senatsverwaltung von Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung im persönlichen Gespräch mit dem Autor sarkastisch als „exzellente Wahl“. Damit werde ein „Wissenschaftler, der die lokale Kollaboration mit den Nazis in Osteuropa herunterspielt“ einen Preis erhalten, „der nach einer Wissenschaftlerin benannt ist, die ihre osteuropäischen Brüder und Schwestern verachtete“, osteuropäische Juden, die „von genau diesen begeisterten lokalen Nazikollaborateuren ermordet wurden“:

What an excellent choice! The scholar who downplayed local collaboration with the Nazis in Eastern Europe will receive a prize named for a scholar who despised her Eastern European brethren who in many cases were murdered by those same zealous local Nazi collaborators. How fitting.[v]

Der Historiker Thomas Kühne von der Clark University (Massachusetts) stellt Snyder in Beziehung zur extremen Rechten und zur deutschen Geschichtspolitik seit Nolte.[vi] Kühne zeigt, dass Snyder bezüglich der geschichtswissenschaftlichen Forschung nicht up to date ist, wenn er sich primär auf ‚große Männer‘ bezieht:

Notwithstanding decades of research that has shown that major parts of all ranks of the Wehrmacht willingly and voluntarily joined in genocidal warfare, Bloodlands presents the German army as a mere tool n Hitler’s hands, as if the soldiers had no choices.[vii]

Der Leipziger Historiker Dan Diner kritisiert Snyder und stellt heraus, dass unterm Stalinismus jeder zu “dem anderen” gemacht werden konnte, während der Nationalsozialismus die Juden als den Feind bestimmte, rassisch gedacht.[viii] Dieser Unterschied ist einer ums Ganze.

Der Historiker Dan Michman von der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem kritisiert Snyder ähnlich scharf.[ix] Der Historiker Kenneth Waltzer von der Michigan State University meint, dass Snyder den nationalsozialistischen Antisemitismus herunterspielt und damit den Kern der deutschen Volksgemeinschaft verfehlt.[x]

Timothy Snyders Infamität und Abwehr der Präzedenzlosigkeit des Holocaust geht soweit, dass er der westlichen Welt gleichsam vorwirft, nur deshalb Auschwitz und die Shoah zu erinnern, weil in Auschwitz die ‚bourgeoisen‘ Juden ermordet worden seien, die kapitalistischen und nicht die armen osteuropäischen:

The metonym of anonymity is of course Auschwitz, which Adorno once thought should prevent us from writing and presumably from citing poetry, and Diner faults me for underestimating. The gas chambers of Auschwitz-Birkenau become widely known precisely because, unlike most important German killing sites, they were associated with a labour camp which Jews and others survived. Auschwitz is where Jews from (in Cold War terms) Western countries were killed, and thus Auschwitz was preserved as a memory during the Cold War. It helped that victims of Auschwitz were more likely to be bourgeois and thus suitable targets of comfortable identification, much more so, say, than Yiddish-speaking Jewish workers from Poland or Russian speaking Soviet Jews. But Auschwitz is in numerical terms only a fraction of the horror: five sixths of the Holocaust happened elsewhere, and, crucially, earlier.[xi]

Der englische Historiker Richard Evans, bekannt durch seine Kritik an Ernst Nolte und seiner Analyse des Historikerstreits[xii], ist schockiert über Snyders Bloodlands[xiii]. Neben der Kritik an vielen kleineren handwerklichen Mängeln in der Studie kommt Evans zum Kern: die Banalisierung des Holocaust. Die spezifische antijüdische Dimension der Shoah kommt nicht vor, weder die Demütigung und das Quälen der Juden vor ihrer Ermordung noch die ideologische Dimension, dass für die Deutschen im Nationalsozialismus die Juden der „Weltfeind“ waren und nicht die Slawen oder andere.[xiv]

Eine der bislang umfangreichsten und detailliertesten Kritiken an Timothy Snyders Bloodlands hat der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München publiziert, die mittlerweile auch in polnischer und russischer Sprache vorliegt.[xv] Wie die Historiker Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffel würde Snyder behaupten, dass sowohl Hitler als auch Stalin “kollektive”, “ethnisch” definierte “Feinde” eliminiert hätten.[xvi] Dabei hatten weder die ukrainische Hungersnot 1932/33[xvii] noch der Große Terror[xviii] unter Stalin eine essentialistisch ethnische Dimension und selbst der Stalinsche Antisemitismus unterschied sich vom Rassen-Antisemitismus im NS.

Viel Freude bei offenen wie klammheimlichen Sympathisanten von Vertriebenenideologie sowie bei Mitgliedern von Vertriebenenverbänden sowie der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, dürfte Snyders Agitation gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten nach sich ziehen, wenn Snyder die Vertreibung von Deutschen nach Ende des SS-Staates als „ethnische Säuberung“ und Teil von Stalins vermeintlichem „ethnischem Modell“ erklärt.[xix] Die Deutschen als Opfer in einem Buch über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust: das liegt im Trend, der Zeitgeist ruft.

Das Herunterspielen des Antisemitismus ist der Kernpunkt des Buches von Bloodlands. Zarusky zeigt, dass für Snyder der Holocaust nur eine Reaktion Hitlers auf den verloren geglaubten Krieg gegen die Sowjetunion spät im Jahr 1941 gewesen sei.[xx] Diesen schwerwiegenden analytischen Fehler Snyders analysiert Zarusky, wonach es lediglich einen Wechsel der Feindbilder der Nazis gegeben habe, weg von den Slawen (UdSSR, Polen etc.) und hin zu den Juden.

Doch genau dieser Geschichtsrevisionismus kommt in Deutschland, beim Bremer Senat und der Heinrich-Böll-Stiftung an.

2005 erhielt die damalige lettische Präsidentin Freiberga den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. In ihrer Dankesrede erwähnte sie mit keinem Wort den Holocaust, was der Historiker Jürgen Zarusky 2012 wie folgt einordnete:

 Das ersparte ihr auch die Erwähnung der Tatsache, daß von den 66.000 lettischen Juden die zur Zeit der deutschen Besatzung ermordet wurden, 15.000 Opfer des Erschießungskommandos des lettischen Polizeioffiziers Viktor Arajs wurden. [xxi]

1997 hatte der heutige Bundespräsident Joachim Gauck diesen Hannah-Arendt-Preis erhalten.

Alles passt ‚wunderbar‘ zusammen und wurde 2007 – wen wundert’s? – durch  Antizionismus als Element des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken ergänzt, denn mit Tony Judt wurde ein Historiker geehrt, der auf brachiale Weise antiisraelisch agitierte und 2003 schrieb, dass „Israel schlecht für die Juden sei“[xxii]. Es ließen sich weitere antizionistische Texte zitieren, in denen Judt  z.B. auf den Israelhasser und ‚Postorientalisten‘ Edward Said rekurrierte. Snyder war ein sehr enger Freund von Judt, was die Jury aus Bremen im Jahr 2013 bemerkte.

Es gibt eine ‚wunderbare‘ Bebilderung dieser Hannah-Arendt-Preis-Posse. Bundespräsident Gauck, Preisträger und Super-GAUck, erhob Anfang Juli 2013 mit süffisantem Lächeln die Rot=Braun-These in symbolischer Politik zur Normalität: Mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik posierte er vor einem revisionistischen Denkmal im „Museum der Besatzung“ in Estlands Hauptstadt Tallin. Hinter ihnen ein Tor, dessen einer Pfeiler einen roten Stern ziert (und somit alles „Linke“ oder „Rote“ und nicht ‚nur‘ die Sowjetunion, was schlimm genug wäre), den anderen Pfeiler schmückt das Hakenkreuz. Das ist die Ikonografie des Geschichtsrevisionismus der Mitte der europäischen Gesellschaften. Ernst Nolte ist längst Mainstream.

Timothy Snyder hätte hier sicher auch gerne dabei gestanden. Der nun 90jährige Ernst Nolte würde anerkennend nicken und kann zufrieden auf seinen letztendlichen Sieg im Historikerstreit blicken.

 



[i]               Mitglieder des Vorstandes des Vereins Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V. sind: Prof. Antonia Grunenberg, Peter Rüdel, Ole Sören Schulz, Prof. Eva Senghaas-Knobloch.

[ii]              Timothy Snyder (2010): Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, New York: Basic Books, viii-ix.

[iii]             Timothy Snyder (2010a): Echoes from the killing fields of the east. The second world war is often seen through western allies‘ eyes. But the real geopolitics – and worst atrocities – scarred the east, 28. September 2010, http://
www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2010/sep/27/secondworldwar-poland (eingesehen am 10. Juni 2012).

[iv]             Siehe dazu die Analyse und Kritik an Timothy Snyders Bloodlands von Dovid Katz (2011): Review Article. Detonation of the Holocaust in 1941: A Tale of two Books, East European Jewish Affairs, Jg. 41, Nr. 3, 207–221.

[v]              Efraim Zuroff in einer E-Mail vom 22. Mai 2013.

[vi]             Thomas Kühne (2012): Great Men and Large. Numbers: Undertheorising a History of Mass Killing, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 133–143, 134–135.

[vii]            Kühne 2012, 138.

[viii]           Dan Diner (2012): Topography of Interpretation: Reviewing Timothy Snyder’s Bloodlands, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 125–131, 130.

[ix]             Dan Michman (2012): Bloodlands and the Holocaust: Some Reflections on Terminology, Conceptualization and their Consequences, Manuskript [wurde im Journal of Modern European History, 2012, publiziert]; Danke an Dan Michman, der mir seinen Artikel vor der Veröffentlichung zukommen ließ.

[x]              Kenneth Waltzer (2011): Review of Timothy Snyder, Bloodlands, Holocaust Studies: A Journal of Culture and History, 188–194, 192, online at http://defendinghistory.com/wp-content/uploads/2012/02/Kenneth-Waltzers-Review-of-Snyders-Bloodlands-in-Holocaust-Studies.pdf (visited June 19, 2012).

[xi]             Timothy Snyder (2012): The Causes for the Holocaust, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 149–168, 154–155.

[xii] Richard Evans (1989): In Hitler’s Shadow. West German Historians and the Attempt to Escape from the Nazi Past, London: I.B. Tauris & Co. Ltd. Publishers; Richard Evans (1991): Im Schatten Hitlers? Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik, Frankfurt: Suhrkamp; Richard Evans (2000): Expert Report by Professor Richard Evans. Irving VS. (1) Lipstadt and (2) Penguin Books. Expert Witness Report by Richard J. Evans FBS, http://www.phdn.org/negation/irving/EvansReport.pdf (visited October 10, 2012)

[xiii]           Richard Evans (2010): Who remembers the Poles. Review of Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, by Timothy Snyder, London Review of Books, 4. November 2010, 21–22.

[xiv]           Evans 2010, 22.

[xv]            Jürgen Zarusky (2012): Timothy Snyders „Bloodlands“. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, Vierteljahreshefte für Zeit­geschichte, Jg. 60, Nr. 1, 1–31. „Krovavye zemli“ Timoti Snajdera: Kritičeskie zamečanija i k konstruirovaniju istoričeskogo landšafta [= russische, leicht gekürzte Version des Aufsatzes „Timothy Snyders ‚Bloodlands‘. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 1–31.], erschienen am 03.02.2013 auf der Internetplattform „Uroki istorii“ von „Memorial“, http://urokiistorii.ru/media/book/51683; „Skrwawione ziemie“ Timothy Snydera. Krytyczne uwagi na temat konstrukcji krajobrazu historycznego [= polnische Version des Aufsatzes „Timothy Snyders ‚Bloodlands‘. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 1-31.], in: „Studia Litteraria et Historica”. Pismo Instytutu Slawistyki Polskiej Akademii Nauk, 1/2012, S. 1–32, http://www.slh.edu.pl/content/skrwawione-ziemie-timothy-snydera.

[xvi]           Zarusky 2012, 2–5.

[xvii]          Zarusky 2012, 6.

[xviii]         Zarusky 2012, 10.

[xix]           Zarusky 2012, 13.

[xx]            Zarusky 2012, 21.

[xxi]           Jürgen Zarusky (2012a): Europäische Erinnerungskonflikte um den deutsch-sowjetischen Krieg – geschichtspolitische Spannungsfelder nach 70 Jahren, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 16. Jg., Heft 1, 45–73, hier S. 65.

[xxii]          Tony Judt (2003): Israel: The Alternative, 23. Oktober 2003, http://www.
nybooks.com/articles/archives/2003/oct/23/israel-the-alternative/ (eingesehen am 23. Mai 2012)

 

 

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