Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Goebbels

Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik

 

Dieser Text ist für einige pädagogische Mainstream-Fachzeitschriften selbstredend zu kritisch, daher wird er hier dokumentiert.

Abstract:

Dieser Artikel wendet die Erkenntnisse der kritischen Antisemitismusforschung im Feld der Pädagogik an. An Hand von historischen Beispielen aus dem 19. Jahrhundert, der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus wie aus der Gegenwart werden unterschiedliche Analysefelder vorgestellt. Dabei wird Antisemitismus als primärer und sekundärer (nach 1945) analysiert. Die Thematisierung von muslimischem Antisemitismus, von dem neben dem rechtsextremen Judenhass im Alltag wie an Schulen oder auf der Straße die größte Gefahr ausgeht, gehört ebenso dazu wie die Analyse der Verharmlosung von BDS und Israelfeindschaft. Nicht zuletzt werden die großen ideologischen Bögen von Holocausttrivialisierung und Holocaustuniversalisierung, wie wir sie von der Totalitarismustheorie bzw. dem Postkolonialismus kennen, in ihrer Relevanz für eine antisemitismuskritische Pädagogik vorgestellt.

 

Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA):

Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik[1]

Einleitung: Kritik des Autoritarismus  2

1.) Was ist Antisemitismus?  4

2.) „Rembrandt als Erzieher“ und der Stolz auf die deutsche Bildungsgeschichte  4

3.) Muslimischer Judenhass an Schulen  7

4.) Antisemitismus ist keine Unterkategorie von Rassismus  7

5.) Muslimische Jugendliche da abholen, wo sie stehen?  10

6.) BDS und pädagogische Programme gegen oder für Antisemitismus?  11

7.) Postkolonialer Antisemitismus  15

8.) Totalitarismustheoretischer Antisemitismus als Herausforderung
für Schulbücher in der Europäischen Union (EU) 18

9.) Holocaust und Schuldprojektion auf „die Moderne“
in einem pädagogischen Handbuch  20

10.) Die Ideologie der „linken NSDAP“ in einem führenden Fachverlag?  21

11.) Die Rückkehr der „Volkserzieher“ im Sinne Schrebers?  23

Schluss: Kategorischer Imperativ für die Erziehung nach Auschwitz  24

Literatur 25

„Durch das Gespräch mit Herrn Wagemann wurde mir zum erstenmal der Zusammenhang zwischen ‚guten‘ Deutschen und Gaskammern klar. Es bestand eine logische Verbindung zwischen den Vernichtungslagern und August Wagemanns Haltung. Ich dachte mir, daß die Todesfabriken nicht deswegen möglich waren, weil Hitler ihre Errichtung befohlen hatte, sondern weil die Wagemanns den Befehl nicht in Frage gestellt hatten. Und wie viele Wagemanns gab es in Deutschland? Ich nahm mir vor, das herauszufinden.“ (Padover 1946: 23)

Saul K. Padover, 1944

 

Einleitung: Kritik des Autoritarismus

Was lief in diesem Land, seiner politischen Kultur, Pädagogik, Gesellschaft und Politik seit 1945 alles schief, dass es noch 2019 Orte wie Herxheim am Berg in Rheinland-Pfalz mit Bürgermeistern und einer entsprechenden Bevölkerung gibt, die „Hitlerglocken“ in ihren Kirchen hängen lassen?[2] Für eine kritische Pädagogik geht es historisch wie gegenwärtig um die emanzipatorischen Nein-Sager, um jene, die sich dem Autoritarismus verweigern und keine autoritäre Ja-Sager-Persönlichkeit haben oder selbstkritisch darauf reflektieren. Es ist wichtig, von „emanzipatorischen Nein-Sagern“ zu reden, da mit Pegida oder den „Gelbwesten“ in Frankreich derzeit jeweils höchst problematische und auch den Antisemitismus befördernde[3] vorgebliche „Nein-Sager“ auf den Straßen ihr Unwesen treiben, aber alles, nur keine Emanzipation oder Kritik am Autoritarismus im Sinn haben. Damit sind wir bei einer zentralen Ausgangsposition der Antisemitismusforschung und ihrer Beziehung zur Analyse des Autoritarismus und der Wendung aufs Subjekt durch Daniel J. Levinson, R. Nevitt Sanford wie auch Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Erich Fromm und anderen Forschern der frühen Kritischen Theorie. (Rensmann 2017) Der Psychologe und Pädagoge Friedrich Funke hat deren Analysen zum Antisemitismus in einer Studie zum Autoritarismus und Rechtsextremismus herangezogen (Funke 2003).

Dieser Text nennt sich „Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik“, was impliziert, dass alle hier aufgeführten Topoi nur angerissen werden können. Antisemitismus ist eine immer größer werdende Gefahr für Juden in der Bundesrepublik Deutschland. Der jüdische und demokratische Staat Israel wird zwar von der Politik unterstützt und der Bundestag verabschiedet Resolutionen gegen antisemitische wie israelfeindliche Aktivitäten.[4] Aber in der kulturellen, wissenschaftlichen und auch pädagogischen Elite gehört es häufig zum guten Ton, Antisemitismus nur dann zu sehen – wenn überhaupt –, wenn ältere organisierte Neonazis oder rechtsextreme Jugendliche am Werke sind. Die Zeit berichtet:

„Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt in der Hauptstadt seit Jahren an. 527 waren es der Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus zufolge allein im ersten Halbjahr 2018; vor allem körperliche Attacken gegen Juden haben zugenommen. Besonders im Fokus sind die Schulen. Immer wieder haben in Berlin Fälle von Antisemitismus für Schlagzeilen gesorgt. Ein 14-Jähriger wurde an seiner Oberschule getreten und gewürgt, nachdem er im Ethikunterricht erwähnt hatte, dass er schon einmal in einer Synagoge war. Ein jüdischer Junge verließ eine deutsch-amerikanische Eliteschule nach monatelangem Mobbing, Mitschüler hatten ihm den Qualm einer E-Zigarette ins Gesicht geblasen und gesagt, das solle ihn an seine Vorfahren erinnern. Selbst an Grundschulen wurden schon Kinder bedroht, weil sie jüdisch sind.“[5]

Judenhass auf dem Schulhof und im Klassenzimmer wird nicht nur kaum thematisiert, sondern häufig verharmlost, unabhängig wer die Täter*innen sind. Selbst Angebote, das Thema muslimischer Antisemitismus in der Schule aufzugreifen, werden von Schulleitungen bzw. Lehrer*innen nur ganz selten wahrgenommen.[6] Kaum ein jüdischer Schüler würde an einer ganz normalen deutschen Schule (aller Altersklassen) eine Kippa und kaum eine jüdische Schülerin würde ein T-Shirt der IDF (Israel Defense Forces) oder eine Halskette mit einem Davidstern tragen.

Die kritische Antisemitismusforschung, die versucht Antisemitismus in all seinen Formen zu analysieren und nicht nur bei den Nazis und Rechten, muss erst noch Einzug erhalten in die Erziehungswissenschaft. Wie eingangs erwähnt, wird dieser Artikel einige zentrale Topoi der aktuellen Antisemitismusforschung jeweils kurz anreißen, um überhaupt einen ersten Eindruck, ja eine Art Lichtkegel auf die Komplexität des Phänomens Antisemitismus zu werfen, um die ubiquitäre Vernebelung in diesem Bereich etwas zu lichten.

1.) Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus wird in der internationalen Forschung als „der längste Hass“ bezeichnet (Wistrich 1987, 1991, 2010) und zeigt sich heute in drei grundlegenden Kategorien:

1) Der „traditionelle“ oder „primäre“ Antisemitismus bzw. Judenhass seit der prächristlichen Antike, der sich gegen die Religion des Judentums wie die Beschneidung oder das Schächten wendet, den christlichen Mythos hervorbrachte, Juden seien am Tod Jesu schuld, mittelalterliche Blutbeschuldigungen oder Fantasien über Brunnenvergiftungen popularisierte und zu Pogromen führte; spätestens seit dem späten 19. Jahrhundert kommen der biologisch-rassistische und Anfang des 20. Jahrhunderts der verschwörungsmythische Antisemitismus noch hinzu, der Juden sowohl hinter dem Kapitalismus wie dem Kommunismus sieht etc.

2) Nach dem Nationalsozialismus gibt es neben dem „primären“ den „sekundären“, die Erinnerung an den Holocaust abwehrenden Antisemitismus. Er zeigt sich in der Holocaustbejahung, Holocaustleugnung und zunehmend und am weitesten verbreitet in der Holocausttrivialisierung via Vergleich, Universalisierung und Leugnung der Präzedenzlosigkeit von Auschwitz.

3) Antizionismus oder die Israelfeindschaft. Durch die Boykott-Bewegung gegen Israel (BDS, boycott divestment sanctions) ist diese Form des Antisemitismus weit verbreitet und tritt zunehmend aggressiv auf und bedroht z.B. Musiker*innen, die in Israel auftreten oder bei Veranstaltungen teilnehmen, wo auch Israelis auftreten.

2.) „Rembrandt als Erzieher“ und der Stolz auf die deutsche Bildungsgeschichte

Antisemitismus wird jedoch in der pädagogischen Forschung in weiten Teilen wahlweise ignoriert, verharmlost, bejaht oder trivialisiert. Am ehesten wird noch der historische wie der NS-Antisemitismus analysiert, und auch das erst in jüngerer Zeit von einigen Wenigen (Ortmeyer 2008; Ortmeyer 2008a). Bezüglich der Jugendbewegung, die von vielen immer noch als rührend, aufregend oder stilbildend positiv betrachtet wird, hat Christian Niemeyer die letzten Jahre Aufklärung betrieben (Niemeyer 2013; Niemeyer 2013a; Niemeyer 2015). So wurde von einem Protagonisten der Jugendbewegungshistoriographie, Werner Kindt (1898–1981), Julius Langbehn (1851–1907), der 1890 mit seinem Werk „Rembrandt als Erzieher“ einen Besteller schrieb und als „Der Rembrandtdeutsche“ in die Geschichte einging, positiv gewürdigt.

Namentlich den Mythos eines „Triumvirats“, bestehend aus dem völkischen Vordenker Paul de Lagarde, Langbehn und Nietzsche, wie den Antisemitismus von Langbehn hat der Pädagoge und Nietzscheforscher Niemeyer kritisiert (Niemeyer 2014). „Rembrandt als Erzieher“ wurde kurz nach Ende des Nationalsozialismus vom Mitglied des katholischen, jugendbewegten Bund Neudeutschland, dem Philosophen, Pädagogen und späteren ersten Intendanten des ZDF, Karl Holzamer, gleichsam als „Mahnung“ affirmativ herangezogen (Holzamer 1946: 16). Doch was steht in dieser Schrift von Langbehn?

„Paris ist die Stadt der Demimode und der zügellosen Demokratie; hier gesellt sich dem sittlichen der politische Krankheitsfall hinzu. Gerade diese beiden Faktoren aber sind dem deutschen Volke in seiner innersten Seele verhasst, trotzdem, dass es gelegentlich mit ihnen kokettierte und ko­ket­t­iert; sie sind beide als ‚französische Krankheit‘ nach Deutschland ein­ge­drungen. Sie müssen auf den Tod bekämpft werden (…).“ (Langbehn 1890: 96)

Oder, auf dem Gebiet des Gesangs: „Deutsche Lieder sind mehr wert als französische Liederlichkeit“ (Langbehn 1890: 98). Auch religionsgeschichtlich konnte sich Holzamer nach­drücklich an den antijudaistischen Antisemitismus Langbehns anlehnen, wenn dieser mahnte:

„Wenn das Alte Testament sich nicht zur rechten Zeit ins Neue Testament ver­wandelt, so wird es zum Talmud; es ist aber nicht zu wünschen, dass die deutsche Wissenschaft zur Talmudwissenschaft wird; einen Anflug davon hat sie schon.“ (Langbehn 1890: 120)

Der Hass auf Gleichheit oder „freie Meinungsäußerung“, wie wir ihn bei rassistischen, nationalistischen wie antisemitischen Demonstrationen, Pamphleten, Texten und Aktionen die letzten Jahre in Deutschland verschärft erlebt haben, hat mit Langbehn einen der berüchtigtsten und einflussreichsten Vorläufer:

„Gleichheit ist Tod, Gliederung ist Leben. Eine auch noch so große Anzahl unter sich ganz gleichberechtigter Individuen ist nie­mals ein Volk; sie ist nicht einmal ein Heer; sondern eine Herde. (…) Die Sozialdemokratie stellt mithin einen Rückfall in das Herdenprinzip des men­sch­lich­en Daseins dar; sie ist ungegliederte, unbefruchtete, unbelebte men­sch­liche Masse; es gilt deshalb sie zu gliedern, zu befruchten, zu beleben. Und zwar gerade an dem Punkt, wo sie am unfruchtbarsten ist: an dem der allgemeinen Gleichheit! Diese muß durchbrochen werden.“ (Langbehn 1890: 224)

Sowie:

„Die politischen Scheinwahrheiten des Jahres 1789 sind nachgerade veraltet; es dürften an ihre Stelle politische Realwahrheiten des Jahres x treten. Nach der französischen Revolution kommt die deutsche Reform; nach der Gleichheit die Abstufung.“ (Langbehn 1890: 225)

Vor dem ganz aktuellen Hintergrund des nationalistischen Lobes auf die deutsche Geschichte wie von der Alternative für Deutschland (AfD) und deutschnationalen, heimatverliebten Autorinnen und Autoren, ist es besonders wichtig, auf die antidemokratische, antiwestliche und antisemitische Dimension in der deutschen Bildungsgeschichte aufmerksam zu machen:

„Und der politisch mündige Deutsche sollte endlich die Kinderschuhe aus­ge­treten haben; er sollte nicht mehr wie der politisch unmündige Franzose vor dem Wort ‚Adel‘ erschrecken; er sollte bedenken, wie viel echtes Deut­sch­tum gerade im deut­schen Geburtsadel steckt.“ (Langbehn 1890: 226)

Als weitere Belegstelle für die antifranzösische Agitation, für das antiwissenschaftliche, ja im weitesten Sinne re­stau­rativ-reaktionäre Denken bei Langbehn sei folgende Passage zitiert:

„Man hat von einem ‚Gott der Deutschen‘ gesprochen; so gibt es auch einen ‚Teufel der Deutschen‘; er wohnt im modernen Paris und kehrt gern in Berlin ein. Läßt sich dieser Gast auch auf die Dauer nicht bannen, so ist es doch gut, wenn man ihn kennt. Er heißt Plebejertum. Dieses äußert sich in der Kunst als Brutalismus, in der Wissenschaft als Spezialismus, in der Politik als De­mo­krat­is­mus, in der Bildung als Doktrinarismus, gegenüber der ‚Men­sch­heit‘ als Pharisäismus. (…) Deutsche Ehr­lich­­keit ist mehr als französische Eitelkeit und deutscher Geist mehr als franz­ös­isch­er Ungeist.“ (Langbehn 1890: 380)

Auch der folgende Auszug zum Thema Bildung beim Rembrandtdeutschen ist bezeichnend für seine antisemitische und deutschnationale Ideologie:

„[B]esonders die ‚Berliner Bildung‘ französiert gern. Und hierbei sind un­ge­sund-jüd­­ische Einflüsse besondere tätig; (…) Durch galloromanischen Ein­fluß, der zu­rück­­zu­schlagen war, ist das deutsche Kaiserreich gegründet worden; durch galloromanischen Einfluß, wenn er zurückgeschlagen wird, läßt sich auch die neue deut­sche Bildung gründen. Siegt deutsches über – im schlechten Sinne – franz­ös­isch­es, gesundes eingebornes über krankes fremd­art­iges Wesen, so ist das Vat­er­land gerettet.“ (Langbehn 1890: 358)

Das zeigt, wie wichtig es wäre, sich in Zukunft kritisch mit der Geschichte der Jugendbewegung, ihren antisemitischen Anteilen und dem Antisemitismus in der Pädagogik vor und nach 1933 zu befassen.

3.) Muslimischer Judenhass an Schulen

„Du Jude“ ist seit vielen Jahren zu einem Schimpfwort auf Schulhöfen und in Klassenzimmern geworden. Nicht selten sind muslimische Mitschüler*innen dafür verantwortlich. Folgender Fall wurde bundesweit bekannt:

„An der Berliner Paul-Simmel-Schule drohte ein muslimischer Mitschüler einem jüdischen Mädchen mit dem Tod. Der Schulleiter entschuldigt sich für die Verharmlosung der Tat und räumt weitere Vorfälle ein. Der Fall sorgte in ganz Deutschland für Aufregung. An der Berliner Paul-Simmel-Schule in Tempelhof drohte ein muslimischer Mitschüler einem jüdischen Mädchen mit dem Tod, ‚weil es nicht an Allah glaubt‘. Schon zuvor soll es zu Anfeindungen gekommen sein. Antisemitismus in einer deutschen Grundschule!“[7]

Wie kommt ein Kind wie dieser Junge zu einem solchen Fanatismus? Was für ein Elternhaus hat er und was für ignorante oder gegen Judenhass tolerante Lehrer*innen und andere Mitschüler*innen gibt es an so einer Schule, die nur exemplarisch steht? In einem Gespräch mit der Wochenzeitung Die Zeit reden im Herbst 2018 zwei Lehrer aus Nordrhein-Westfalen über Antisemitismus an Schulen, vor allem bei rechtsextremen und muslimischen Jugendlichen.[8] Aber auch antisemitische Stereotype (die viele Linke und der Mainstream der Gesellschaft teilen) wie „der reiche Jude“ „Rothschild“ kommen in Schulbüchern vor, wie einer der Lehrer schockiert festhält. Das gilt auch für antisemitische Ressentiments gegenüber Israel in deutschen Schulbüchern.[9]

4.) Antisemitismus ist keine Unterkategorie von Rassismus

Doch selbst das Ansprechen von Antisemitismus passiert selten auf differenzierte und wissenschaftliche Art und Weise. Das fängt schon bei der Definition von Antisemitismus an. Viele Studien verkennen den genozidalen Charakter des Antisemitismus, sowohl historisch wie gegenwärtig in den Vernichtungsdrohungen (wie von der Islamischen Republik Iran) gegen Israel. Häufig wird Antisemitismus nur als beliebige Form der „Diskriminierung“ betrachtet. So schreibt beispielsweise Mishela Ivanova 2017 in ihrer Dissertation:

„Begrifflich verwende ich ‚Rassismus‘ als Oberbezeichnung für an Rassialisierungsprozesse anschließende Diskriminierungspraktiken, die sich an unterschiedliche Gruppen wenden können – z.B. gegen Jüdinnen und Juden (Antisemitismus), Roma und Sinti (Antiziganismus), Musliminnen und Muslime (Antiislamismus), Personen anderer sprachlicher (Linguizismus) oder kultureller (Kulturalismus) Zugehörigkeiten sowie gegen Personen, welche als ‚schwarz‘, ‚asiatisch‘ oder ‚ausländisch‘ definiert werden.“ (Ivanova 2017: 58; ähnlich Feierl-Giedenbacher 2016: 2)

Das groteske Wort „Rassialisierungsprozesse“ universalisiert den Rasseantisemitismus der Deutschen. Damit wird die Geschichte des Antisemitismus völlig verharmlost und der ideologische Kern des Judenhasses verkannt. Solcherart Universalisierung ist aber typisch für weite Teile der Forschung in der Pädagogik wie der Sozial- und Geisteswissenschaft insgesamt. Als ob Antisemitismus nur eine Form der Diskriminierung unter anderen gewesen sei. Der rassebiologische Antisemitismus in der deutschen Geschichte bis hin zum Holocaust wird völlig lächerlich gemacht, wenn er mit angeblicher und tatsächlicher Ausgrenzung von „Personen anderer sprachlicher“ oder „kultureller“ „Zugehörigkeiten“ verglichen wird.

Ganz typisch ist auch die Diffamierung der Kritik am Islamismus, wenn „Diskriminierungspraktiken“ gegen „Musliminnen und Muslime“ nicht etwa als diskriminierend oder rassistisch, vielmehr unter der Rubrik „Antiislamismus“ kategorisiert werden. Hingegen sollte ja ein konsequenter, zivilgesellschaftlicher, wissenschaftlicher wie staatlicher Anti-Islamismus auf der Tagesordnung stehen. Anti-Islamismus wendet sich gegen die weltweit extrem gefährliche Ideologie des Islamismus, die zwar viele Schnittmengen mit der Religion des Islam hat, darin aber nicht aufgeht. Islam ist nicht gleich Islamismus. Aber anti-islamistisch sollte jeder Demokrat und jede Demokratin sein.

Zudem wird in dieser Definition von Ivanova der Begriff der Rasse auf alle möglichen Gruppen übertragen und gerade verkannt, dass die Geschichte des Antisemitismus vom rassebiologischen Antisemitismus, der in „dem“ Juden die „Gegenrasse“ sah, bestimmt ist. Die Entspezifizierung und Universalisierung des Antisemitismus ist ganz typisch für die Forschung. So schreibt Claus Melter:

„Historischer und aktueller Rassismus beinhaltet gesellschaftliche Abwertungs-, Benachteiligungs- und Ausgrenzungsverhältnisse wie Rassismus gegen als Schwarze definierte Personen, antimuslimischen Rassismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Muslime), Antiziganismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Sinti und Roma), Antisemitismus (Feindlichkeit gegen Menschen als Jüdinnen und Juden) und einen verwertungsorientierten Nützlichkeitsrassismus, der von der herrschenden und sich als höherwertig definierten Gruppe bestimmt wird.“ (Melter 2013: 101)

Diese kritisch gemeinte Definition von Antisemitismus verkennt, dass Antisemitismus gerade keine Unterkategorie, nichts Abgeleitetes von Rassismus ist. Rassismus besteht auf der Höher- und Niederwertigkeit von Menschen. So sahen sich im Kolonialzeitalter Weiße allen Nicht-Weißen als überlegen an, als Herrenmenschen wie auch als herrschende weiße Frauen.

Auch heute zeigt sich Rassismus darin, andere Menschen zu diskriminieren, sie bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche, im Alltag oder im Fußballstadion zu behindern, zu beleidigen oder anzugreifen. Antisemitismus ist davon kategorial verschieden, historisch wie gegenwärtig. Juden wurden und werden nicht als minderwertig behandelt oder herablassend auf sie geschaut. Ganz im Gegenteil wurde und wird Juden aus antisemitischer Perspektive eine unglaubliche Macht zugeschrieben. Nach den Protokollen der Weisen von Zion, eine russische Fälschung von ungefähr 1905, würden wenige Juden auf raffinierte Weise planen, die ganze Welt zu beherrschen, den Kapitalismus wie den Kommunismus, das urbane Leben (z.B. via Unterwanderung der Städte durch U-Bahnen), durch ausschweifende Sexualität, durch die Herrschaft der Intellektuellen und vieles mehr. Verschwörungsmythen sind bis heute eine enorm gefährliche Ideologie, was sich z.B. in den Reaktionen nach dem 11. September 2001 zeigte, als Bestsellerautoren fabulierten, hierbei habe es sich nicht um einen islamistischen Angriff auf die westliche Welt, sondern um einen „inside Job“ gehandelt. (Jaecker 2005)

Einer der am weitesten verbreiteten Fehler der Publizistik wie der pädagogischen, sozial- und geisteswissenschaftlichen Forschung zum Antisemitismus ist die Annahme, es handele sich hierbei nur um eine gegen Juden gerichtete Form des Rassismus. Das Genozidale, Wahnhafte und Obsessive am Antisemitismus wird nicht erkannt. Antisemitismus basiert auf der Angst vor der eingebildeten Macht der Juden. Daher rühren die Verschwörungsmythen, vorneweg die Protokolle der Weisen von Zion. (Ben-Itto 1998) Rassismus hingegen basiert auf der Herrschaft über eine als minderwertig definierte Gruppe. In Zeiten von Pegida und AfD ist es wichtig, sich dieser rassistischen Agitation entgegen zu stellen. (Salzborn 2017) Doch leider wird hierbei seit einigen Jahren der Antisemitismus zwar entgegen früheren Zeiten immerhin erwähnt, aber zumeist nur additiv hinzugefügt.

Eine analytische Untersuchung über die Spezifik fällt so gut wie immer unter den doch eher links-alternativen oder links-liberalen Wohlfühltisch, den die Studierenden vom Flohmarkt oder Sperrmüll haben (was ja sympathisch sein kann), während die Dozent*innen eher zu IKEA oder den hochwertigeren, Distinktion im Sinne Bourdieus versprechenden Einrichtungshäusern fahren. Doch auf den Tischen liegen dann sehr oft die gleichen Bücher und Broschüren oder es stehen die gleichen Computer darauf mit den gleichen PDFs oder Seiten, die sich irgendwie auch angeblich gegen Antisemitismus wenden. Dabei wird fast immer vom muslimischen Antisemitismus und vom überall anzutreffenden regelrechten Hass auf Israel geschwiegen.

Und selbst jene, die Antisemitismus thematisieren, verkennen seinen Gehalt, denn häufig geht es nur um die Themen Ausbeutung, Nutzen und Macht, um das cui bono. Das verkennt gerade den Antisemitismus, der jenseits von Nützlichkeitserwägungen existiert. Diese altbackenen linken Theoriegebäude versagen angesichts von Auschwitz komplett (Diner 1991; Diner 2007).

5.) Muslimische Jugendliche da abholen, wo sie stehen?

Ein ganz bezeichnendes Beispiel für migrantische Identitätspolitik und die Verharmlosung des Antisemitismus, der nur ein „Hass“ unter vielen sei, ist Dervis Hizarci, ein Lehrer aus Berlin, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Türkischen Gemeinde Berlin und Vorsitzender des Vereins „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIgA e.V.“. In einem Ge­spräch am 3. Dezember 2015 mit dem United States Holocaust Memorial (USHM) spricht er ganz offen aus, dass er nicht mal holocaustleugnende Jugendliche unmissverständlich und umgehend scharf in ihre Schranken weist, sondern sie erstmal „ernst nimmt“, um sie irgendwann evtl. zu üb­er­zeugen:

„I mean, if we would ask them about these topics and they would tell us that there was no Holocaust or the numbers weren’t so big or whatever, and we would judge them for that, then we wouldn’t make any developments. We wouldn’t change anything. But this is not our goal. Our goal is to bring them to a point where they start questioning themselves. And you can just achieve this when you take them from that point where they are and bring them to your side. I believe there are connections between all kinds of hatreds, because I see this as a kind of devil’s circle – hate produces more hate.“[10]

Holocaustleugnende oder den Holocaust relativierende Jugendliche mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, wäre seines Erachtens offenbar erstmal der falsche Weg. Holocaustleugnung angesichts solcher Jugendlichen sofort und dezidiert als Antisemitismus zu bezeichnen, wäre demnach auch nicht richtig. De facto müsste Hizarci als Lehrer an einer deutschen Schule natürlich erstmal sagen, dass wir in einem Rechtsstaat leben und dass Holo­caust­leugnung in der Bundesrepublik Deutschland eine Straftat ist.

Ein Pro-Contra Holocaustleugnung gibt es nicht – darüber diskutiert man nicht. Doch er behauptet: Ohne dies­en identitären Zugang – nur er als Türke (oder Deutsch-Türke oder Deutscher mit türkischem Migrationshintergrund etc.) mit einem „gemischten Hintergrund“ habe die Möglichkeit eine „gemischte“, sprich: multikulturelle Klasse zu unterrichten – könne man migrantische Antisemiten nicht überzeugen. Ohne diesen partikularistischen, antiuniversalistischen und identitären Zugang bräche offenbar sein ganzes Engagement in sich zu­sam­m­en. Eine nicht-migrantische Lehrerin, die Holocaustleugnung sofort sanktionierte, hätte demnach keine Chance. Würde er mit Rechten auch so umspringen, wenn die den Holocaust leugnen im Schulunterricht?

Wir kennen das aus der Zeit der späten 1980er und der 1990er Jahre, als „akzeptierende Jugendarbeit“ die Rechten dort abholte, wo sie standen und ihnen Kuchen mitbrachte, sie in ihren Jugendclubs besuchte, ihre Cliquen bestehen ließ und nicht fragte, was sie „für Probleme machen“, sondern „was für Probleme sie haben“.[11] Sie wurden nicht mit ihrer faschistischen Ideologie konfrontiert, sondern sozialarbeiterisch begleitet. Es wäre eine Forschungsfrage nicht zuletzt für die Sozialpädagogik, was die heutige Arbeit mit muslimischen Antisemiten aus den negativen Erfahrungen mit akzeptierender Jugendarbeit, die ja in den 1990er Jahren zu einer extremen Stärkung des Rechtsextremismus bis hin zum NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) führte, gelernt hat.

Es gehe zudem nicht darum, was man zu den Jugendlichen sagt, sondern auch, wer es sagt, so Hizarci. Er selbst spricht von hier ge­bor­en­en Schulkindern als „Türken“, das ist also keineswegs, wie oft suggeriert wird, eine Fremdzuschreibung, sondern er selbst scheint sich auch als Türke zu begreifen, obwohl er hier geboren und Deutscher ist. Der Kern des Problems ist aber die wissenschaftlich und politisch falsche Analogie von Antisemitismus und „allen möglichen Formen von Hass“. Hizarci behauptet damit, Kritik am muslimischen Judenhass, wenn man ihn so nennt, könne zu einem „Teufelskreis“ führen, denn „Hass produziert mehr Hass“. Damit wird tendenziell eine scharfe und unmissverständliche Kritik am muslimischen Antisemitismus als angeblich Hass produzierend diffamiert.

6.) BDS und pädagogische Programme gegen oder für Antisemitismus?

Repräsentativ für das Nicht-Verstehen des Antisemitismus und namentlich des antizionistischen Antisemitismus ist ein Tagungsband einer großen, mehrjährigen Veranstaltungsreihe der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft und in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts sowie dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin. Unter dem Namen „Blickwinkel“ haben diese Institutionen von 2011 bis 2017 jährliche Tagungen veranstaltet, eine Auswahl der offenbar besonders guten Beiträge der Tagungen von 2014 bis 2016 wurde 2017 publiziert.

In dem Band sind neben einem Grußwort der Geldgeber und der Einleitung der Herausgeber*inn­en Meron Mendel und Astrid Messerschmidt 14 Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Alltagskommunikation und Jugendarbeit, Religion, sozialpsychologischen Fragestellungen und „Antisemitismuskritik im Kontext von Rassismus“ abgedruckt. (Mendel/Messerschmidt (Hg.) 2017) Darunter fällt auch der Beitrag von Jihan Jasmin Dean: „Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute“. (Dean 2017) Sie ist Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) und am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies der Uni Frankfurt und postuliert:

„Insofern kann Antisemitismus als eine von mehreren, spezifischen Aus­prä­g­ungen rassifizierenden Diskurse gesehen werden, zu denen auch anti­mus­lim­ischer Rassismus, Antiziganismus und Kolonialrassismus gehören.“ (Dean 2017: 105)

Antisemitismus sei also eine von vielen Formen „rassifizierender Diskurse“. Demnach werden heute Muslime, die als Opfer von „antimuslimischem Rassismus“ eingeführt werden, so behandelt wie früher die Juden, oder wie ist das gemeint mit dem „rassifizierenden Diskurs“? Seit wann wird heute von Muslimen als „Rasse“ gesprochen? Hat sich Dean je mit der Geschichte des rassebiologischen Antisemitismus befasst? Im Text jedenfalls ist davon nichts zu merken. Im Folgenden werden von der Autorin Muslime als die eigent­lichen Opfer der heutigen Zeit seit 9/11 dargestellt.

Kein Wort des Schocks über das unglaubliche islamistische Verbrechen des 11. September 2001, als gekaperte Personenflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center flogen und 3000 Menschen lebendig verbrannten, zerfetzt und zer­quet­scht wurden und in den Tod sprangen. Kein Wort zu diesem Grund der Kritik am heutigen Islamismus.

Dass es schon seit vielen Jahren, lange vor 9/11, ordinären Rassismus gibt, gerade gegen Türken, aber noch früher gegen Italiener, die eher als „Gastarbeiter“ in die BRD kamen als Türken („Anwerbeabkommen“ der BRD mit Italien 1955, mit der Türkei 1961), das ist längst bekannt und viel diskutiert. Auch Griechen, (mittlerweile Ex-) Jugoslawen, Schwarze und viele andere sind in der BRD seit Jahrzehnten vielfältigen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Es gibt Rassismus in Deutschland – doch der ist gegen alle als nicht-deutsch definierten Menschen gerichtet. Die Muslime als besondere Opfergruppe herauszunehmen, läuft fehl. Das umso mehr, als ja der Islamismus eines der größten Probleme unserer Zeit ist, was man vom Christentum nicht behaupten kann, unabhängig davon, ob man nun die christliche Religion sinnvoll oder nicht findet. Aber es gibt keine christlichen Selbstmordattentate weltweit und keine Sicherheitsüberprüfungen an Flughäfen aufgrund von christlichen Terroristen, sondern aufgrund von Islamisten.

Die Rechten unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus, das ist ein großes Problem. Aber ebenso wenig sollte und darf das die notwendige und sehr scharfe Kritik am Jihad und Islamismus verdrängen. Die Rede von „rassifizierten Communities“ (Dean 2017: 107) ist eine sprachliche Verharmlosung, ja Leugnung der Spezifik des rassebiologischen Antisemitismus. Hier und heute wird in Deutschland keine einzige Migrantengruppe als „die Gegenrasse“ betrachtet wie früher die Juden. Das ist eine solche sprachliche Absurdität, dass man schon an der Wortwahl merkt, dass die Autorin den kategorialen Unterschied von Vernichtung und Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus nicht kennt. Schon ihr Begriff „Rassifizierung“ ist kontraproduktiv, ja universalisiert die sehr spezifische und einzigartige Konstruktion der Juden zu „der Gegenrasse“ schlechthin.

Für die Nationalsozialisten war „der“ Jude – und nicht etwa „Jüdinnen und Juden“, wie das in an diesem Beispiel grotesk anmutenden Gender-Jargon heißt – der Feind der Menschheit sowie der Deutschen. Das Kunstwort „Rassifizierung“ im Beitrag von Dean – dem längsten in dem Band – stellt eine Analogie von Juden und anderen her, die angeblich genauso oder ähnlich diskriminiert würden. Sie schreibt über Juden und den Zionismus Folgendes:

„Kritik und Anerkennung müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen. Mitt­lerweile gibt es politische Ansätze wie den radical diasporism, welche der israelischen Besatzungspolitik kritisch gegenübersteht, sich aber glei­ch­zeitig einer öffentlichen Positionierung zu dieser entziehen bzw. widersetzen will, weil sie sich in der Diaspora verorten. Aus einer theoretischen Perspektive, die Jüdische Studien mit Postkolonialer Theorie verbindet, kann der politische Zionismus als ambivalentes Projekt – als Diskurs einer anti­kolonialen nationalen Befreiungsbewegung und eines Siedlerkolonialismus zugleich – betrachtet werden“. (Dean 2017: 121)

Dean kokettiert mit dem antizionistischen Anti­semi­tis­mus gleich doppelt, indem sie sich hinter die marginale Gruppe von Juden stellt, die sich nicht als zionistisch, sondern in der Diaspora verhaftet begreift. Dazu definiert sie in einer beachtlich überheblichen Manier die welt­hist­or­ische Bewegung des Zionismus als „ambivalent“. Jihan Jasmin Dean bezieht sich hingegen positiv auf eine der derzeit erfolgreichsten und aggressivsten antisemitischen Bewegungen: die BDS-Bewegung zum Boykott Israels. Sie schreibt:

„Darüber hinaus ist es problematisch, BDS zu einer universellen Strategie zu erheben, denn es kommt auch auf den historisch-geografischen Kontext an, in dem sie angewandt wird – in Deutschland schließt eine Boykottforderung unweigerlich an antisemitische Diskurse an. Dennoch kann BDS als eine parti­ku­lare und kontextabhängige Strategie anerkannt werden, die in der palä­sti­nen­sischen Bevölkerung breiten Rückhalt hat und auch internationale Un­ter­stützung findet“. (Dean 2017: 104)

Diese positive Würdigung der weltweiten BDS-Bewegung ist skan­da­lös – in einem Band, der sich mit „antisemitismuskritischer Bildung“ befassen möchte und doch Antisemitismus unterstützt. Der von Meron Mendel und Astrid Messerschmidt edierte Forschungsband promotet somit geradezu BDS, in dem gesagt wird, BDS sei nur in Deut­schland wegen der Geschichte un­günstig, aber nicht sonst­ wo. Dabei ist die BDS-Bewegung z.B. in Großbritannien besonders aktiv und wird auch dort wie überall sonst als antisemitisch kritisiert.[12] (Nelson/Brahm (Hg.) 2015) Die Herausgeber*innen des Bandes prei­s­en den Beitrag von Dean so­gar explizit an. (Mendel/Messerschmidt 2017a: 18) Der Beitrag von Jihan Jasmin Dean ist also in viel­facher Hinsicht höchst problematisch und zeigt, warum häufig je­ne, die vorgeben, gegen Anti­semitismus zu sein, Teil des Problems sind.

Um einen zentralen Aspekt klarzustellen: Kritik an der Regierungspolitik Neuseelands oder Kanadas ist genauso wenig problematisch wie Kritik an der Regierungspolitik Israels. Sehr viele Israelis wie auch Forscher*innen zu Israel kritisieren seit Jahren die seit 1967 andauernde Besatzung des Westjordanlandes, ohne die Agitation gegen Israel und Juden von Seiten vieler Palästinenser*innen (und nicht nur von Terrorgruppen) zu ignorieren.

Ebenso wird in Israel seit Jahren die extrem rechte Regierungspolitik Benjamin Netanyahus kritisiert. (Stern 2018) Doch das ist eine immanente Kritik, die Israel gerade im Sinne des Zionismus verbessern und schützen, ja stärken möchte. Die BDS-Bewegung möchte Israel zerstören, was alleine via dem proklamierten „Rückkehrrecht“ für die 1948 im Krieg der arabischen Staaten gegen Israel aus Israel vertriebenen bzw. von selbst gegangenen Araber und deren Millionen Nachfahren inkludiert, was an Absurdität nicht zu übertreffen ist und den jüdischen Charakter Israels zerstören würde. (Nelson/Brahm (Hg.) 2015)

7.) Postkolonialer Antisemitismus

In einem Buch zu „Postkoloniale Theologien“ von 2018 heißt es in einem Text des Theologen Michael Nausner von der Theologischen Hochschule Reutlingen:

„Ich glaube, die Situation, die wir heute in Europa und nicht zuletzt in Deut­schland vorfinden, wurzelt unter anderem auch in den Umständen, die Mbembe mit conditio nigra bezeichnet. Der Antisemitismus ist in Deutschland aus­führlich und vielfältig analysiert worden. Aber diejenigen Aspekte des Antisemitismus, die im kolonialen Denken wurzeln, sind noch immer weit­gehend unbekannt. Dabei würde ein ‚Zusammendenken der Gräueltaten des Ko­lonialismus sowie des Dritten Reichs […] erheblich dazu beitragen, ein nuan­ciertes Verständnis dafür zu entwickeln, ob und inwieweit der Kolon­ialismus und die Shoah als Fehler, die das Scheitern der europäischen Aufklärung signalisieren, wahrgenommen werden können oder ob beide Ereignisse eher als Teil des Projekts der Modern[e] zu verstehen sind.‘“ (Nausner 2018: 43)

Dieses Zitat im Zitat ist von Achille Mbembe aus seinem Band „Kritik der Schwarzen Vernunft“. (Mbembe 2014) In seinem Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ analysiert und kritisiert der kameruner Politologe Achille Mbembe die Gewalt des Kolonialismus und des Rassismus. Zu Recht attackiert er sowohl den Islam wie das Christentum und den Kolonialismus als universalistische Ideo­logien, die Afrika unter sich aufteilt­en, auch wenn das Wort „Ideologie“ kaum auftaucht. Die Ge­walt­för­mig­keit des „Neger“-Daseins, Mbembe verwendet absichtlich das Nomen „Neger“, wird plastisch und bedrückend dargestellt. Es ist nur so, dass Mbe­m­be im Rassismus und Kolonialismus die einzige und die Welt beherrschende Ide­o­logie sieht.

Für die Antisemitismusforschung gilt es, Mbembe kritisch zu lesen. Es geht um folgende Stelle in seinem Band „Kritik der schwarzen Vernunft“, die alles auf den Punkt zu bringen scheint. Er bezieht sich auf den auf der karibischen Insel Martinique geborenen Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der „Négritude“ Aimé Césaire (1913–2008), und schreibt:

„Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei ‚nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen […], nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren‘“. (Mbembe 2014: 290, Anm. 9)

Dieses Zitat steht für weite Teile der postkolonialen Forschung und indiziert einen postkolonialen Antisemitismus: Es leugnet, dass die Shoah ein nie dagewesenes Verbrechen war. Zudem wurden Juden demnach nicht als Juden, sondern als „Weiße“ ermordet. Das ist eine weitere Form des Antisemitismus, die Juden das Jude-Sein abspricht und fantasiert, Juden seien nicht als Juden von den Deutschen im Holocaust ermordet worden.

Frantz Fanon (1925–1961) ist eine zentrale Quelle Mbembes. Fanon verglich in seinem Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“ den Rassismus gegenüber Schwarzen mit dem Antisemitismus und erinnerte an seinen Philosophielehrer von den Antillen, der meinte, er sollte achtgeben, wenn jemand etwas gegen Juden habe, da Antisemiten unausweichlich auch Rassisten seien. Das ist wissenschaftlich problematisch und ignoriert, dass auch viele Schwarze Antisemiten sind und sein können, ohne zwingend rassistisch zu sein. Darüber und zu den Schwierigkeiten für Juden in der postkolonialen Theoriedebatte schreibt 2016 der israelische Literaturwissenschaftler Efraim Sicher. (Sicher 2016)

Neben seiner Analyse von Fanon geht er auf den amerikanischen Menschenrechtsaktivisten W.E.B. Du Bois (1868–1963) ein, der von einem Jahrhundert des Rassismus sprach (1850–1950) und damit offenkundig den Holocaust mit einbegriff, was falsch ist und den Holocaust in seiner Präzedenzlosigkeit negiert. Der britische Soziologe Paul Gilroy sehe ebenso „Affinitäten zwischen Schwarzen und Juden“ und stelle Vergleiche von „Kolonialismus“ mit dem „rassischen Antisemitismus“ an. (Sicher 2016: 81)

Seit den 1980er Jahren hat der Postkolonialismus die Debatte über die Geschichte auf den Kopf gestellt. (Sicher 2016: 82) Antisemitismus wird seither und bis heute in Schul- und Lehrbüchern international als ein „Modell des europäischen Rassismus“ betrachtet, der wiederum aus dem „Nationalstaat“ und „totalitärer Ideologie“ entstanden sei. Und so argumentiert die postkoloniale Ideologie, der Zionismus sei schuldig, weil er ein „exklusiver Nationalismus“ sei.

Wie Sicher analysiert, basieren weite Teile postkolonialer Theoriebildung auf der Annahme, der Holocaust habe nicht primär etwas mit der Geschichte des Antisemitismus, sondern mit dem europäischen Kolonialismus zu tun. Das ist grundfalsch und leugnet wiederum jedwede Spezifik des Antisemitismus wie die Präzedenzlosigkeit der Shoah. Für die „soziale Erziehung“ hatte schon 1991 der Historiker Dan Diner versucht, das Nie Dagewesene von Auschwitz bei der Analyse des Nationalsozialismus in das Zentrum zu rücken, was aber kaum Widerhall erfuhr. (Diner 1991; Diner 2007)

Es gab jüngst eine öffentlichkeitswirksame Kontroverse über die Spezifik der Shoah und zur Kritik bzw. Affirmation der postkolonialen Position. Es geht hier um die Kritik an der Verharmlosung der Shoah durch den Postkolonialismus. In einem Gespräch des Journalisten Alan Posener mit dem Historiker Jürgen Zimmerer, organisiert von der Wochenzeitung Freitag, dessen Herausgeber Jakob Augstein und dem Journalisten Michael Angele, lehnen sich die beiden Freitag-Journalisten an eine antisemitische Ideologie an und sagen:

„Man kann das mit der Einzigartigkeit aber auch ganz anders sehen, oder? Die aus Jamaika stammende Kulturhistorikerin Imani Tafari-Ama kümmert sich gerade in Flensburg um die Kolonialgeschichte dieser Handelsstadt, und sie hat neulich gesagt, die Europäer müssten anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels das größte Ver­brechen in der Menschheitsgeschichte sei – größer als der Holocaust. Off­en­bar hängt der Blick auf die Geschichte auch davon ab, welchem Kulturkreis man angehört.“ (Augstein/Angele 2018)

Darauf antwortet Posener:

„Es gibt keinen ‚weißen‘ oder ‚schwarzen‘, ‚jüdischen‘ oder ‚christlich­en‘ Blick auf den Holocaust; es gibt, wenn wir von Wissenschaft reden, und hier ist von einer Wissenschaftlerin die Rede, nur den wissenschaftlichen Blick auf den Holocaust. Und ‚das mit der Einzigartigkeit‘ des Holocausts kann man eben nicht ‚ganz anders sehen‘, bloß weil man aus Jamaika stammt.(Posener 2017; vgl. auch Posener 2017a)

Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt „KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe“, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm „Fellowship Internationales Museum“,[13] wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leug­nen­den Un­ge­heu­er­lich­keit­en gegeben:

„Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unt­er­drück­ungs­maßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Men­schheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.“[14]

Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holo­caust­leugnung, der Softcore-Variante. Das „größte Verbrechen der Men­sch­heits­ge­schichte“ sei der transatlantische Sklaven­handel und der Kolonialismus ge­wes­en – und nicht der Holocaust. Das ist eine antisemitische Geschichtsumschreibung. Die Sklaverei und der Kolonialismus waren schreckliche Verbrechen, aber im Kolon­ia­lis­mus wurde kein Volk aus keinem an­der­en Grund, als es zu vernichten, ver­nichtet. Es gab außerdem gerade kein „cui bono“ in der Shoah. Die Sinnlosigkeit war das Unaussprechbare, das Unvorstellbare, der Bruch jeglichen zivilisatorischen Ver­trauens.

8.) Totalitarismustheoretischer Antisemitismus als Herausforderung für Schulbücher in der Europäischen Union (EU)

Ein weiteres Beispiel für sekundären Antisemitismus ist die Gleichsetzung von Rot und Braun, Kommunismus und Nationalsozialismus. Am 28. März 2018 gaben die „Platform of European Memory and Conscience“ und die Europäische Union (EU) bekannt, dass der britisch-chinesische Architekt Tszwai So den Architekturwettbewerb für ein „Gesamteuropäisches Denkmal für die Opfer des Totalitarismus“ gewonnen hat.[15]

Das wöchentliche Architects‘ Journal (AJ) aus London gab die Entscheidung freudig bekannt[16] und machte sich somit zu einem Sprachrohr dieser in Architektur zu gießenden Ideologie des Rot = Braun. In Brüssel wird der Jean Ray Platz nach Sos Vorstellungen geplant: es sollen in Bodenplatten tausende Briefe von Opfern des „Totalitarismus“ eingelassen werden. Diese Gleichsetzung des Holocaust mit politischen Verbrechen des Stalinismus, die kategorial verschieden sind und keine Vernichtung eines Volkes zum Ziel hatten, ist also Mainstream in Europa.

Altbundespräsident (2012–2017) Joachim Gauck war 2008 einer der Erst­unt­er­zeich­ner der „Prager Deklaration“, welche den Nationalsozialismus mit dem „Komm­u­nismus“ in Europa gleichsetzt und de facto anstelle des Holo­caust­ge­denktages am 27. Januar für einen gemeinsamen europäischen Gedenktag am 23. August plädiert – der Tag, an dem 1939 der „Hitler-Stalin“-Pakt ge­schlossen wurde.[17]

Darin wird in einem 19 Punkte umfassenden Programm der Stalinismus bzw. „der Kommunismus“ mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt. In Punkt eins heißt es, es solle an ein „gesamteuropäisches Verstehen“ ap­p­elliert werden, die „natio­nal­soz­ia­list­ischen und kommunistischen totalitären Regime jedes nach seinem Wert“ zu beurteilen, denn beide „Regime“ hätten gleichermaßen als „untrennbarer Teil ihrer Ideo­logien“ „aggressive Kriege angefangen“, beide hätten „ganze Nationen deportiert und vernichtet“ und diese beiden Regime stellten somit die „Haupt­kata­strop­h­en“ des „20. Jahrhunderts“ dar.

Zweitens sollen die vielen „Ver­brechen“, welche „im Namen des Kommunismus“ begangen wurden als „Verbrechen gegen die Menschheit“ betrachtet werden, „genauso wie die Nazi Ver­brechen vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal be­ur­teilt“ wurden. Von besonderer Bedeutung ist Punkt 9 der Deklaration, worin ge­ford­ert wird, den „23. August“ 1939 als „Gedenktag an die Opfer von natio­nalsozialistischem und kommunistischen Regimes“ einzurichten, „in genau der Art wie Europa die Opfer des Holocaust am 27. Januar erinnert“. In Punkt 17 wird schließlich gefordert, alle

„europäischen Lehrbücher anzupassen und zu überarbeiten, damit die Kind­er lernen und vor dem Kommunismus und seinen Verbrechen gewarnt wer­den können, auf die gleiche Weise wie sie gelernt haben die Nazi-Ver­brechen zu beurteilen.“

Damit ist der Kern der Prager Deklaration eindeutig: Der Holocaust soll ein vergleichbares Verbrechen sein, der Antisemitismus der Deutschen und ihrer Helfer war nichts Besonderes, vielmehr ‚typisch‘ für ‚totalitäre Regime‘. Der Holocaustgedenktag würde dadurch abgewertet werden. Während der Postkolonialismus angeblich ähnliche Verbrechen oder Vorläufer des Holocaust ins 19. oder frühe 20. Jahrhundert vorverlegt oder gar noch früher in die Zeit des frühen Sklavenhandels, so suggeriert die Totalitarismustheorie, Stalin habe vor Hitler Massenmord der gleichen oder ähnlichen Art betrieben, wie in der ukrainischen Hungernot 1932. Das war bereits ein Argument des Rechtsextremen und Geschichtsrevisionisten Ernst Nolte. (Nolte 1985; Nolte 1986)

Ähnlich läuft auch die Analogie von 1968 und 1933 wie beim Publizisten und Historiker Götz Aly. Dabei vergleicht Aly das Anzünden der hetzerischen Bild-Zeitung im Frühjahr 1968 mit der antisemitischen Bücherverbrennung der Nazis und deutschen Studenten am 10. Mai 1933. (Aly 2008; Aly 2008a; Driessen 2018)

9.) Holocaust und Schuldprojektion auf „die Moderne“ in einem pädagogischen Handbuch

Eine andere Version der Geschichtsumschreibung hat einer der einflussreichsten rechtsextremen Vordenker der Neuen Rechten seit den 1970er Jahren entwickelt, Henning Eichberg (1942–2017). Eichberg wurde unter den Fittichen des ehemaligen Nazis und Bandenbekämpfungsspezialist im Führerhauptquartier, Arthur Ehrhardt, groß, für den er noch 1971 eine Totenrede hielt. Er war 1972 Autor einer programmatischen Schrift über die Neue Rechte, einer Art Gründungsmanifest.

Wenig später schrieb er Texte für das Altnazi-Blatt „La Plata Ruf“, das in Argentinien vom ehemaligen Adjutanten von Goebbels, Wilfred von Oven, herausgegeben wurde. Wer Eichberg war, wurde spätestens 1982 einer Massenöffentlichkeit bekannt, als der Stern, der damals eines der größten politischen Magazine der alten BRD mit einer Auflage von knapp 2 Millionen war, Eichberg und einige seiner „Kameraden“ als die „Roten Nazis“ zerpflückte. (Völklein 1982) In den 1980er Jahren war Eichberg Hauptprotagonist der neurechten Postille „Wir selbst“.

Diese brachte nicht nur Joseph Beuys oder die Grünen aufs Titelblatt, sondern 1987 auch den Ex-SS-Mann („Ich war dabei“) und Vorsitzenden der rechtsextremen Partei „Die Republikaner“, Franz Schönhuber.[18] Diese Taktik nennt man in der Politikwissenschaft „Querfront“, häufig werden so rechtsextreme Inhalte als harmlos oder links präsentiert, was aber das offenkundige Kooperieren mit Rechtsextremen inkludiert.

Vor diesem Hintergrund ist ein grundlegender Artikel Eichberg in einem pädagogischen Handbuch doppelt skandalös. Erstens aufgrund der Personalie Eichberg, zweitens ist aber auch der Text selbst zu problematisieren. Eichberg hat seine These, 1945 sei „keine Zäsur“ ge­wes­en, in mehreren wiss­en­schaftlichen Beiträgen, auch in der Sportwissenschaft, seinem Haupt­ar­beitsgebiet, wiederholt und ausgebaut.

Am deutlichsten kann das an Hand eines programmatischen Arti­kels über Lebenswelten und All­tagswissen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus gezeigt werden. (Eichberg 1989) In dieser 1989 im renommierten Handbuch der deutschen Bild­ungs­ge­schichte erschienenen Abhandlung untersucht er Strukturen und Phän­o­mene der Wei­m­arer Republik und des Nationalsozialismus im Wesentlichen unter ihrem Aspekt der Kontinuität:

„Es war charakteristisch, daß die Olympischen Spiele 1936 den Höhepunkt des olympischen Zeremoniells und das letzte Thingspiel des NS-Staates brachten – und zugleich das erste Auftreten des Fernsehens in einer breiteren Öff­ent­lich­keit. Die Auto- und Fernsehgesellschaft zeichnete sich bereits im NS-Staat in Um­rissen ab, einschließlich ihrer ‚amerikanisierten‘ Elemente wie Coca-Cola-Werbung und Jazzmusik.“ (Eichberg 1989: 55)

Das antisemitische nationalsozialistische Thingspiel (Euringer 1933), von dem Eichberg völlig fasziniert war (Eichberg 1976; Eichberg 1977), sei „alltagskulturell“ „Coca Cola“ geopfert worden. Er versucht den National­soz­ia­lis­mus als Gesellschaft darzustellen, die sowohl in ihren Verbrechen dem in­du­strie­gesellschaftlichen Prinzip des „Prod­uk­ti­vis­mus“ gefolgt, als auch im Alltag ganz modern gewesen sei:

„Und während die Totalitarismuslehre im Zusammenbruch des NS-Staates eine Zäsur sieht, wird der Befund aus der Analyse der Körperkonfigurationen und der Öffentlichkeiten heraus eher fließend: Mit Motorisierung und Coca Cola, mit Mallorcareisen und Fernsehen, mit Leistungswettbewerb und Üb­er­wach­ungs­staat präformierte die Alltagskultur unter dem NS-Staat die­jen­ige der Nachkriegszeit.“ (Eichberg 1989: 59)

Der „Zusammenbruch des NS-Staates“ sei keine „Zäsur“ gewesen, Au­sch­witz demnach kein Zivilisationsbruch. Die Bundesrepublik wird vielmehr, kon­se­quent sozialhistorisch, zum Nachfolger eines „Überwachungsstaates“ erklärt, „Mallorca“ und „Coca Cola“ seien die Sieger der Geschichte und schon im „NS-Staat“ prägend, ja die BRD „präformierend“ gewesen.

Die präzedenzlosen Ver­brechen der Deutschen werden derealisiert, um die Täter in den USA zu suchen. Dieser antisemitisch motivierte, er­inn­er­ungs­abwehrende Anti­am­eri­ka­nis­mus in der Diktion der Querfront ist in seiner Struktur heftiger und zu­kunfts­trächtiger als jeder offene Rechtsextremismus.

Herausgegeben und für handbuchwürdig be­fun­den wurde dieser Revisionismus der besonders neu-rechten Art vom Tüb­inger Historiker Dieter Langewiesche, späterer Leibniz-Preisträger und Mit­glied in diversesten Historikerkommissionen und Akademikerverein­igungen, sowie einem ehemaligen Vizepräsidenten der Humboldt-Uni­versität Berlin, dem Pädagogen Heinz-Elmar Tenorth. Die Universalisierung von Auschwitz wischt die deutsche Schuld beiseite (zu der die alten Nazis, mit denen Eichberg sich umgab, beigetragen hatten) und verharmlost den Antisemitismus, je generiert eine erinnerungsabwehrende, sekundär antisemitische Reaktionsweise.

10.) Die Ideologie der „linken NSDAP“ in einem führenden Fachverlag?

2018 gab es eine Kontroverse um einen Kollegen Eichbergs, den Pädagogen und Verleger des Lit Verlags, Wilhelm Hopf. Der Lit Verlag führt dutzende pädagogische Buchreihen.[19] Hopf hatte im März 2018 die rassistische „Gemeinsame Erklärung“ unterzeichnet, die sich gegen in Europa Asyl suchende Menschen wendet und Pegida quasi einen Persilschein ausstellt. Nach massiver Kritik von Autor*innen und Herausgeber*innen von Büchern im Lit Verlag zog Hopf seine Unterschrift wieder zurück.[20]

Was er nicht mehr rückgängig machen kann, ist seine jahrzehntelange Kooperation mit dem Neuen Rechten Eichberg, der mehrere Bücher im Lit Verlag publizierte (Eichberg 1986; Eichberg 1987; Eichberg 1988; Eichberg 2011) und mit dem zusammen Hopf auch schrieb. (Planck 1898) Ganz typisch für Eichberg ist dabei die Ablehnung der Gleichheit der Menschen – er präferiert, ganz identitätsversessen, die „Unterschiede“, ein typischer Sprech des rechtsextremen Ethnopluralismus nach dem Motto „Afrika den Afrikanern, Deutschland den Deutschen“ etc.[21]

In seinem Buch „Minderheit und Mehrheit“, das 1979 gar als Schulbuch herausgekommen war, schrieb Eichberg noch 2011 im Lit Verlag – auch noch im April 2018 ist dieses Buch beim Lit Verlag erhältlich. Darin schreibt Eichberg:

„In der öffentlichen Wahlpropaganda vor 1933 und auch bei einigen linken NSDAP-Führern selbst (zum Beispiel beim linken NSDAP-Flügel um Gregor Strasser) blieb hingegen der Antisemitismus zunächst im Hintergrund.“ (Eichberg 2011: 29)

Laut dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920 konnten Juden „keine Volks­ge­noss­en“ sein. Wie kann der Lit Verlag also schreiben, der „Antisemitismus“ sei „vor 1933“ „im Hintergrund“ geblieben? Hitlers „Mein Kampf“, Erster Band, erschien 1925. Eichberg hatte sich schon früher mit Goebbels und den Strasser-Brüdern befasst, namentlich bezog er sich 1970 in seinem Text „Sozialismus von rechts“ (Eichberg 1970) positiv auf die Bro­schüre „Nazi-Sozi“ von Goebbels von 1926. Neben den Gebrüdern Strasser meint Eichberg diesen ach-so-wahnsinnig-linken Flügel der NSDAP in seiner Passage im Lit Verlag.

Gregor Strasser war mit seinem Wort von der „‚antikapitalistischen Sehnsucht des deutschen Volkes‘“ (Eichberg 1970: 16), eine führende Stimme der Nazis: „Der Radikalste des Strasserflügels aber war Joseph Goebbels, bevor er 1926 aus persönlichen Gründen zu Hitler konvertierte und damit den innerparteilichen Machtkampf gegen die Linken entschied. Er gab in seinem ‚Nationalsozialistischen Briefen‘ (ab 1925) und in der Kampfschrift ‚Der Nazi-Sozi‘ (1926) dem linken Natio­nal­sozialismus die eindeutigsten Konturen“ (Eichberg 1970: 17). Goebbels schrieb in seinem Pamphlet:

„Gewiß ist der Jude auch ein Mensch. Noch nie hat das jemand von uns be­zweifelt. Aber der Floh ist auch ein Tier, nur kein angenehmes. (…) Würden diese 60 Millionen gleich wie wir gegen den Juden kämpfen, dann brauchten sie sich nicht mehr zu fürchten, sondern dann wäre der Jude mit der Furcht an der Reihe.“ (Goebbels 1926: 8 f.)

Das soll also der gar nicht so antisemitische frühe „linke“ Flügel der NSDAP gewesen sein. Am 3. Oktober 2016, als der „Tag der Einheit“ in Dresden stattfand, agitierte ein fast pogromartiger Mob in Pegida-Manier gegen die Elite des Landes und ein „besorgter Bürger“ zeigte ein Plakat mit einem Spruch von Goebbels.[22]

11.) Die Rückkehr der „Volkserzieher“ im Sinne Schrebers?

Angesichts von Tendenzen der politischen Kultur im Zuge des Aufkommens und Erstarkens der Alternative für Deutschland (AfD) und verwandter extrem rechter Ideologeme wie der Agitation gegen Gender Mainstreaming oder gegen Chancengleichheit und Inklusion[23] sind auch Ideen wie die Prügelstrafe oder autoritäre und antidemokratische Erziehungsmethoden wieder im Gespräch. Hierbei wäre nicht nur ein Rückblick auf die erziehungswissenschaftliche Kritik der letzten Jahrzehnte von Bedeutung, sondern vielleicht auch das In-Erinnerung-Rufen eines reaktionären Klassikers wie Schreber.

Nach Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) werden bis auf den heutigen Tag die Schrebergärten bezeichnet. Er war im 19. Jahrhundert ein Volkserzieher und Naturdomestizierer ersten Ranges. Seine Bücher (Schreber 1858) erlangten hohe Auflagen, seine Ideologie war mitunter eine pädagogische Vor­weg­nahme der Carl Schmittschen (Sombart 1991) Freund-Feind Dichotomie und also sehr deutsch: „die edlen Keime der menschlichen Natur sprießen in ihrer Reinheit fast von selbst hervor, wenn die unedlen (das Unkraut) rechtzeitig verfolgt und aus­ge­rott­et werden“. (Schreber 1858: 104)

Der sprachliche Duktus lässt die im­pli­zit­en und expliziten Exegeten Schrebers als diejenigen Deutschen erkennbar werden, die prak­tisch wurden: eliminatorische Antisemiten. Wobei es kein Zufall war, dass das Tötenwollen, bei Schreber ‚ausrotten‘ genannt, in Deut­schland Juden traf, da diese häufig mit Ungeziefer und Unkraut ana­log gesetzt wurd­en, wie es ja Schrebers Vernichtungs- und Aus­merz­ungs­päda­gog­ik/-gär­t­ner­ei pro­pa­gierte und praktizierte.

Die Dimension von Natur­be­herr­schung, wie sie in der Dialektik der Aufklärung kritisiert wird (Horkheimer/Adorno 1947), hat in Schreber einen Apologeten und Protagonisten vor sich, der weiß wovon er spricht, denn die Men­sch­en­ver­suche an seinen eigenen Kindern – Ans-Bett-Binden bei nächtlicher Er­ek­tion, oder kalte Dusche beim selben ‚Vergehen‘, Ge­rad­sitz­en incl. der Her­stell­ung extra dafür entwickelter Geradehalter (Langenbach 1988; Burkard 1990) etc. – hat bei einem Sohn den Selbstmord, beim anderen ‚Wahnsinn‘ erzeugt; letzterer ist als Daniel Paul Schreber in die Geschichte der Psychoanalyse u.a. bei Freud eingegangen. (Santner 1996) Schreber bringt innere und äußere Natur­be­herr­sch­ung auf den Punkt:

„Der Mensch soll seiner hohen Bestimmung gemäß immer mehr und mehr zum Siege über die materielle Natur gelangen, der einzelne Mensch zur Herrschaft über seine eigene Natur, die Menschheit im Ganzen zur Herrschaft über die Natur im Großen“. (Schreber 1858: 121)

Für das bürgerliche Selbst hat solche innere Naturbeherrschung, die Folge einer patriarchal evozierten und die sinnlose kapitalistische Warenwelt legitimierenden Selbstkasteiung ist, die „Introversion des Opfers“ (Horkheimer/Adorno 1947: 62) zur Kon­se­quenz.

Schluss: Kategorischer Imperativ für die Erziehung nach Auschwitz

Am 18. April 1966 postulierte der Philosoph Theodor W. Adorno einen kategorischen Imperativ nach der Shoah: „Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung.“ (Adorno 1966: 674) Eine kritische Subjekttheorie könnte im Anschluss an Niemeyer versuchen, jene reformistischen Projekte eines „besser, höher, weiter, mehr“ der (allerdings ohnehin in Europa im Zerfall begriffenen und der extremen Rechten Platz machenden) Sozialdemokratie grundsätzlich in Frage zu stellen.

In neoliberal-kapitalistischen Zeiten ist es für viele auf den ersten Blick schwer vorstellbar oder gar kontraproduktiv, sich gegen die typisch gewerkschaftlichen Forderungen nach „mehr“ zu positionieren. Es kann nicht immer nur um das „bessere Leben“ gehen, nein, es sollte um das „richtige Leben“ gehen, wie Niemeyer in Anschluss an Nietzsche mit Adorno im Gepäck in seiner Abschiedsvorlesung (die auf ihre Weise eine Willkommensvorlesung für die „nächsten 25 Jahre“ ist) postuliert. Niemeyer bringt es auf den Punkt und das sollte zumal sein Metier, die Pädagogik und Sozialpädagogik, zum Nachdenken animieren:

„Vielleicht erklärt dies auch dass die via Habermas nur unzurei­chend auf Nuancen à la Nietzsche vorbereitete studierendenbewegte Grün­dergeneration der BRD-Sozialpädagogik offenbar nur unvollständig verstand, was die durch Adorno populär gewordene Vokabel ‚richtiges Leben‘ verbietet: nämlich den gleichwohl vielfach gezogenen Rückschluss, ‚richtiges‘ falle mit ‚gutem‘ Leben in eins im Sinne vorgeblicher sexueller Befreiung à la Jerry Ru­bin (1971) oder in der Linie paternalistisch herzustellender sexueller Freizügig­keit in Kinderläden und Heimen. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich um den Auftrag an jeden einzelnen, sich um ein Leben in Selbstaufgeklärtheit im ‚Denken und Handeln‘ zu bemühen mit dem Ziel, zumindest einen Part dazu beigetragen zu haben, ‚daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe‘ (Adorno 1970, S. 358) und ersatzweise, auch psychologisch tragfä­hig, ein Leben in Offenheit für das Andere und den Anderen möglich wird.“ (Niemeyer 2018: 289)

Für eine kritisch-pädagogische Antisemitismusforschung der Zukunft hat diese Aufforderung eine große Bedeutung. Wie ich zu zeigen versuchte, kann die Antisemitismusforschung eine ganz  breite Wirkung in der Pädagogik erzielen, wenn erkannt wird, auf wie vielen Feldern die Erkenntnisse der kritischen (und nicht herkömmlichen wie sich selbst immunisierenden) Antisemitismusforschung angewandt werden können. Viele Vertreter*innen der Pädagogik wie der Sozial- und Geisteswissenschaften, die meinen, irgendwie kritisch oder links oder zumindest aufgeklärt zu sein, denken von sich selbst, nicht antisemitisch sein zu können. Der Antisemitismus sei doch im Feld der Rechten beheimatet. Pustekuchen, Antisemitismus kommt in allen Teilen der deutschen Gesellschaft vor und nicht zuletzt bei den sich selbst kritisch dünkenden Forscher*innen.

Literatur

 

Adorno, Theodor W. (1966)/1998: Erziehung nach Auschwitz, in: ders., Gesammelte Schriften, Band 10/2, Kulturkritik und Gesellschaft II, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 674–690

Aly, Götz (2008): Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, Frankfurt am Main: Fischer

— Ders. (2008a): Die Väter der 68er. Vor 75 Jahren kam Hitlers Generationenprojekt an die Macht: die 33er, Frankfurter Rundschau, 30. Januar 2008

Anders, Günther [1956]/1988: Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1. Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München: C.H.Beck

— Ders. (1979)/1987: Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an?, in: ders., Günther Anders antwortet. Interviews & Erklärungen. Herausgegeben von Elke Schubert. Mit einem einleitenden Essay von Hans-Martin Lohmann, Berlin: Edition Tiamat

Augstein, Jakob/Angele, Michael (2018): Vor Auschwitz. War der Genozid an den Herero und Nama eine Blaupause für den Holocaust? Ein Streitgespräch über Rassismus und Antisemitismus, Der Freitag 34/2017, online 08.10.2017, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/vor-auschwitz (03.05.2018)

Ben-Itto, Hadassa (1998)/2001: „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Anatomie einer Fälschung, Berlin: Aufbau Verlag

Burkard, Maria (1990): Zur Geradheit verkrümmt. Die Orthopädie des Moritz Schreber, in: Ludwig Uhland Institut Tübingen (Hg.), Der aufrechte Gang. Zur Symbolik einer Körperhaltung, Tübingen: TVV, S. 53–60

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— Ders. (1988): Leistungsräume: Sport als Umweltproblem, Münster: Lit (Sport: Kultur, Veränderung Bd. 16)

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Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (1947)/1969: Dialektik der Aufklärung. Philo­sophische Fragmente, Frankfurt am Main: Fischer

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Ortmeyer, Benjamin (2008): Erich Weniger und die NS-Zeit. Forschungsbericht, Frankfurt am Main: Johann Wolfgang Goethe-Universität

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Planck, Karl (1898)/1982: Fußlümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Nachwort H. Eichberg/W. Hopf, Fußball zwischen Turnen und Sport, Münster: Lit, S. 49–87

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Rensmann, Lars (2017): The Politics of Unreason: The Frankfurt School and the Origins of Modern Antisemitism, Albany: State University of New York Press

Salzborn, Samuel (2017): Meinungsfreiheit ist nicht beliebig. Die Politikwissenschaft hat die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus vernachlässigt. Das zeigt sich im Umgang mit AfD und Pegida, 23.10.2017, https://taz.de/!5456062/ (09.04.2018)

Santner, Eric L. (1996): Mein ganz privates Deutschland: Daniel Paul Schrebers geheime Geschichte der Moderne, in: Jörg Huber/Alois Martin Müller (Hg.), Die Wiederkehr des Anderen, Basel u.a.: Stroemfeld und Museum für Gestaltung Zürich, S. 169–196

Schreber, Daniel Gottlob Moritz (1858): Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit durch naturgetreue und gleichmäßige Förderung normaler Körperbildung, lebenstüchtiger Gesundheit und geistiger Veredelung und insbesondere durch möglichste Benutzung specieller Erziehungsmittel, Leipzig: Fleischer

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Sombart, Nicolaus (1991)/1997: Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos, Frankfurt am Main: Fischer

Stern, Yedidia Z. (2018): Hmm, tell me again: which is the country of the Jewish people?, 23. Juli 2018, https://blogs.timesofisrael.com/hmm-tell-me-again-which-is-the-country-of-the-jewish-people/ (12.08.2018)

Völklein, Ulrich (1982): Die „Roten Nazis“, STERN, 4. März 1982

Wistrich, Robert S. (1987): Der antisemitische Wahn. Von Hitler bis zum Heiligen Krieg gegen Israel. Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber, München: Verlag Max Hueber

— Ders. (1991): Antisemitism. The Longest Hatred, London: Methuen; New York: Pantheon Books

— Ders. (2010): A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad, New York: Random House

 

[1] Dieser Text war für einige pädagogische Mainstream-Fachzeitschriften selbstredend zu kritisch, daher wird er hier dokumentiert.

[2] „‘Hitler-Glocke‘ darf hängen bleiben“, 22.10.2018, http://www.spiegel.de/panorama/justiz/herxheim-hitler-glocke-darf-haengen-bleiben-a-1234565.html (13.01.2019).

[3] „The Ugly, Illiberal, Anti-Semitic Heart of the Yellow Vest Movement. The protests have combined legitimate economic grievances with the worst of far-right politics. And the French left has been happy to go along“, 7. Januar 2019, https://newrepublic.com/article/152853/ugly-illiberal-anti-semitic-heart-yellow-vest-movement (13.01.2019).

[4] „Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Antisemitismus entschlossen bekämpfen, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/444, 17.01.2018“, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/004/1900444.pdf (13.01.2019).

[5] „Ein Schüler sagte: ‚Israel gibt es doch gar nicht‘“, 24. November 2018, https://www.sueddeutsche.de/bildung/antisemitismus-an-schulen-ein-schueler-sagte-israel-gibt-es-doch-gar-nicht-1.4220606 (13.01.2019).

[6] Von 30 angefragten Schulen zum Thema muslimischer Antisemitismus haben sich nur 5 bzgl. eines Seminars rückgemeldet, Arnfried Schenk (2018): „Hitler war ein guter Mann“, sagt die Mitschülerin, Die Zeit, 17/2018, 19. April, https://www.zeit.de/2018/17/antisemitismus-juden-muslime-schule-deutschland/komplettansicht (13.01.2019).

[7] „Antisemitismus: Schulleiter entschuldigt sich für Verharmlosung“, 29. März 2018, https://www.bz-berlin.de/berlin/antisemitismus-an-paul-simmel-grundschule-schulleiter-raeumt-weitere-vorfaelle-ein (13.01.2019); „Berliner Grundschülerin soll antisemitisch gemobbt worden sein“, 25. März 2018, https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2018/03/vorwurf-antisemitismus-schule-berlin-tempelhof.html (13.01.2019).

[8] „‘Schon wieder Holocaust?‘ Rechtsradikale Schüler mobben jüdische Kinder, arabischstämmige loben Hitler. Was können Schulen gegen Antisemitismus tun? Zwei Lehrer berichten von ihren Erfahrungen”, 12. September 2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2018-09/diskriminierung-antisemitismus-rechtsextremismus-juden-schulen-mobbing/komplettansicht (13.01.2019).

[9] „Verzerrtes Israel-Bild in deutschen Schulbüchern“, 4. Juni 2018, https://blogs.faz.net/blogseminar/der-nahost-konflikt-deutschen-schulbuechern/ (13.01.2019).

[10] https://www.ushmm.org/confront-antisemitism/antisemitism-podcast/dervis-hizarci (29.07.2018).

[11] Siehe dazu Michael Lausberg (2015): Akzeptierende Jugendarbeit, 28.11.2015, https://de.indymedia.org/node/6745 (31.07.2018).

[12] „Groups condemn ‚appalling‘ anti-Israel motion which claims to be ‚protecting Jewish students’“, 21. November 2018, https://www.thejc.com/news/uk-news/jewish-students-slam-appalling-anti-israel-motion-which-claims-to-be-protecting-jewish-students-1.472884 (13.01.2019).

[13] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/programme/fellowship_internationales_museum/kultur_transfer.html (23.07.2018).

[14] „Koloniale Amnesie geht nicht“, 11.06.2017, http://www.taz.de/!5416099/ (30.04.2018).

[15] „British­‐Chinese Architect Tszwai So Wins Platform’s Competition for a Proposal of a Pan­‐European Memorial for the Victims of Totalitarianism in Brussels“, 28. März 2018, https://www.memoryandconscience.eu/wp-content/uploads/2018/03/press_release_28.3.2018.pdf (30.05.2018).

[16] „Spheron chief wins contest for monument to totalitarianism’s victims“, 9. April 2018, https://www.architectsjournal.co.uk/news/spheron-chief-wins-contest-for-monument-to-totalitarianisms-victims/10029849.article (30.05.2018).

[17] http://www.praguedeclaration.eu/ (07.08.2018); http://defendinghistory.com/wp-content/uploads/2012/01/Prague-Declaration-Declaration-Text.htm (07.08.2018).

[18] Heft 1/1987, Siehe eine Abbildung hier: http://www.wir-selbst.de/1987/01/ (13.01.2018).

[19] http://www.lit-verlag.de/cgi-local/suchbuch (Stand 12.01.2019).

[20] „Verleger zieht Unterschrift zu ‚Erklärung 2018‘ zurück“, 10. April 2018, https://www.tagesspiegel.de/kultur/wilhelm-hopf-verleger-zieht-unterschrift-zu-erklaerung-2018-zurueck/21160718.html (13.01.2019).

[21] Eichberg 2011, 116: „Wer von einer bestehenden oder/und gewollten Gleichheit der Menschen ausgeht, wird dazu neigen, sowohl Diskriminierung als auch Sondergruppenbildung von Minderheiten für überflüssig oder anachronistisch zu halten. Er wird eine ‚Gesellschaft ohne Hautfarbe‘ (Rolf Italiaander) anstreben.“

[22] „So viel Hass“, 3. Oktober 2016, Stuttgarter Zeitung, https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.einheitsfeiern-in-dresden-so-viel-hass.32ed59d3-90dd-45ee-9063-345d75e5f9f1.html (13.01.2019)

[23] http://www.news4teachers.de/2016/03/auf-krawall-gebuerstet-wie-die-afd-auch-mit-der-bildungspolitik-stimmung-macht/ (11.01.2019).

©ClemensHeni

Clemens Heni – Eine Alternative zu Deutschland. Essays

Clemens Heni

Eine Alternative zu Deutschland. Essays

 

Berlin: Edition Critic, 2017

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten, Band 2

ISBN 978-3-946193-17-3 | Softcover | 14,8x21cm | 262 Seiten | Personenregister | 15€

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei direkt beim Verlag:

info[at]editioncritic.de

 

Dieses Buch ist eine intellektuelle Zeitreise von Juli 2006 bis September 2017.

Es zeigt auf, wie es vom »Sommermärchen« 2006 über die Rede vom »Inneren

Reichsparteitag«, Pegida, den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit), die

Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bis hin zum Aufstieg der AfD kommen

konnte. Betont wird die Verantwortung der Medien und des Fernsehens für

diesen Aufstieg. Die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag müssen

sich das erste Mal in der Geschichte mit neonazistischen Positionen im Parlament

befassen – doch sind sie darauf vorbereitet?

 

»Wer nach einer Vergewisserung sucht, wo Deutschland heute steht, wird sie in diesem Buch finden. Mit scharfem Verstand und mit angespitzter Feder zeichnet Clemens Heni funkelnde Momentaufnahmen der letzten elf Jahre. Heraus kommt, wie bestürzend sich die zivile Achse des zuvor offenen Selbstverständnisses nach rechts verschoben hat. Wer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft teilt, muss die Gegenwart schonungslos kritisch beleuchten. Daraus mag ›eine Alternative zu Deutschland‹ entstehen.«

Gert Weisskirchen, 1976–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB), 1999–2009 außenpolitischer Sprecher SPD Bundestagsfraktion, 2006–2008 persönlicher Beauftragter des OSZE Vorsitzenden im Kampf gegen  Antisemitismus, Prof. (em.).

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Prof. Dr. Micha Brumlik, 2000–2013 Professor für »Theorien der Bildung und Erziehung « am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main, 2000–2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust an der Goethe Universität.

»Wo nationalistische Töne sich erheben, ein Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts gefordert und Judenhass zu einer scheinheiligen Kritik an Israel sublimiert wird, holt Clemens Heni zum grossen Rundumschlag aus: gegen Zyniker, Großaffirmatoren, Antihumanisten und Holocaustverharmloser im Deutschland der Gegenwart. Selbst wenn man ihm nicht immer folgen mag, schreibt er doch mit viel Scharfsinn und Sachkenntnis. Fazit: Unbedingt lesenswert und gerade vor dem Hintergrund der Bundestagswahl von brennender Aktualität.«

Dr. phil. Michael Kreutz, Politologe und Orientalist

»Clemens Heni ist ein Ein-Mann-Korrektiv zum andauernden deutschen Geschichts-Roll-Back, wach, intelligent, unerlässlich in Zeiten der schwächelnden Demokratie.«

Georg Diez, Spiegel-Online-Kolumnist, Buchautor, 2016/17 Nieman Fellow der Harvard Universität, USA

Clemens Heni Eine Alternative zu Deutschland 2017 Inhalt Einleitung (PDF):

Einleitung  7

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig Deutschland wurde  12

Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002:  ein Küchlein mit Folgen  13

Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006:
Ich bin deutsch und was bist du?  14

Walk of Ideas, Berlin 2006  15

„Die Nazis wurden doch sportlich, 1936“ – Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus  16

Weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren  Verharmlosung der deutschen Verbrechen  21

Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze“  „deutsches Vaterland“ –
von Diem zu Klinsmann  22

Keine „Reue“ zeigen: Gegen „amerikanischen Messianismus“ –  Matusseks nassforsche Invektiven oder wie funktioniert  sekundärer Antisemitismus?  25

Joachim Fests Kampf: Über Historismus und Antisemitismus  26

Ästhetizistische Parallelwelten: K.H. Bohrer möchte wieder ein stolzes Deutschland …   29

Deutsche Lust: Zusammen, was zusammengehört: Nation und Sozialismus – „Volkslust“… 32

Kritik an Broders Rechtsruck 2007  35

Martin Mosebach: Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus  39

„Rheinischer” Revisionismus? Journalisten verlegen Beginn des Zweiten Weltkriegs auf 1935  41

Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“  45

Karl Rössel, der Mufti, und die Aporien des Antiimperialismus  45

Merkwürdiger Komparatismus: Harald Welzer  50

Antisemitismus trivialisieren? Fragen an den Facebookexperten Götz Aly  52

Das ZDF oder wenn Deutsche zu sehr lieben: „Innerer Reichsparteitag“  56

Das grüne Ressentiment: Die Grünen, Paul Bonatz, die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, Stuttgart 21    59

Stuttgart ist keine „Vorstadt von Jerusalem“… Paul Bonatz, der NS und Die Grünen (K21)  61

Erinnern, um zu vergessen: Alfred Grosser  66

„Ausgerechnet Billy Wilder“ – Christian Wulff, die „deutsche Kultur“ und der Holocaust 68

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren  69

Antisemitismus und die Prager Deklaration  75

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013  78

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer  83

Özgida – eine antirassistische Antwort auf Pegida  86

32 Thesen: Pegida zeigt den Extremismus der deutschen Mitte  90

2014: Ein Land gefangen zwischen Islamismus und dem Extremismus der Mitte  95

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?  96

Auschwitz, 27. Januar 1945  98

Eike Geisel und die Erinnerung an den Holocaust 103

Die „Klimaverschärfung“ – AfD und Pegida machen das Land peu à peu unbewohnbar  108

Das Ende des Ludwig-Börne-Preises – Der „post-humanistische Denkraum“ Peter Sloterdijks  116

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“  127

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016  133

Gegen das Brexit-Volk des 23. Juni 138

Deutsche Männer mit Schnappatmung – Zur Kampagne gegen die
Amadeu Antonio Stiftung  142

Von der SED zur AfD? Für die Neue Rechte war die DDR schon
1981 besonders „deutsch“  145

16 Jahre NSU, 15 Jahre 9/11: Deutschland zwischen braunem und grünem Faschismus  150

Schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und der Mob in Berlin vor dem Einzug ins Parlament 152

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke bekommt den Friedenspreis  159

Ein Präsident für die antiwestliche Internationale  167

Die neue Querfront – Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump … 175

Stalingrad, „monströser Zivilisationsbruch“ –

Die Wiedergutwerdung der Deutschen in Aleppo  184

Der Trumpismus, die Fratze des Philoisraelismus und die Chance
des säkularen Zionismus  188

Amerikas 1933 und die „identitäre Demokratie“ (=Faschismus)  192

Locker bleiben. Es ist lediglich der mächtigste Mann der Welt, der
den Faschismus intoniert 194

Erlösendes Gedenken, Norbert Lammert, die „wechselvolle“ deutsche Geschichte  200

Freiheit für Deniz Yücel – Jetzt sofort! Power durch die Mauer, bis sie bricht! 204

G20-Proteste: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Brecht)  206

Koscherstempel für faschistische Autoren: Die Berliner Buchhandlung „Topics“  209

Holocaustopfer, schwarzrotgold: Gerhard Richter im Bundestag  214

„Ist doch für einen guten Zweck“: Mafia-Methoden im politischen Diskurs  214

TV-Duell: AfD-Propaganda-Show führender TV-Journalist*innen in
ARD, ZDF, RTL und Sat1  217

Endnoten  223

Personenregister  256

Lesprobe:

Einleitung

Für „Otto Normalvergaser“ wie die Politiker*innen und Wähler*innen der Alternative für Deutschland (AfD) „ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen“.[1] Das zeigt sich an der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die das Wort „völkisch“ wieder verwendet, an dem ehemaligen (1973–2013) CDU-Mitglied und AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017, Alexander Gauland, der „stolz“ ist auf die deutschen Soldaten im „Ersten und Zweiten Weltkrieg“ und an Björn Höcke, für den das Holocaustmahnmal ein „Mahnmal der Schande ist“. Die Welt am Sonntag berichtete am 9. September 2017 über einen E-Mail-Wechsel der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel von 2013, worin es über Mitglieder der Regierung Angela Merkel heißt:

„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“[2]

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 führt das erste Mal dazu, dass Neonazis im Deutschen Bundestag sitzen werden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach im Vorfeld von der Gefahr, dass „echte Nazis“ im Parlament vertreten sein werden.[3] Der 24. September 2017 war der schlimmste Tag für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Die 12,6% Stimmen für die AfD zeigen die Fratze des Volkes. Die Millionen AfD-Wähler*innen wissen, wie völkisch, rassistisch, nationalistisch, agitatorisch und antisemitisch diese Partei ist und haben sie gerade deshalb gewählt.

Dieses Land braucht eine Alternative zu Deutschland. Es war noch vor fünf Jahren undenkbar, dass eine Partei in den Bundestag einziehen wird, die „Deutschland erwache“ twittert,[4] so wie damals die Nazis mit diesem Spruch agitierten. Eine Partei, die Politiker hat, die so reden wie Goebbels und die Erinnerung an den Holocaust nicht nur abwehren, sondern im Kokettieren mit dem damaligen Propagandaminister die Shoah gar nicht so klammheimlich affir­mieren. Eine Partei, die deutschen Staatsbürgerinnen die Staatsbürgerschaft abspricht und diese in „Anatolien entsorgen“ will. Schließlich eine Partei, die Mitglieder hat, welche die gefährlichste aller antisemitischen Verschwörungsmythen, die Protokolle der Weisen von Zion, unterstützen.[5] Der Mob schreit „Volksverräter“, „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD passierte, und möchte die Kanzlerin wegputschen und die Demokratie zerstören. Solche Neo-Nazisprüche und -Ideologie gibt es schon seit Jahrzehnten – aber niemals im Deutschen Bundestag als Teil der Ideologie einer ganzen Partei. Dazu kommen eine ungeheuerliche Agitation gegen die Demokratie und Gewaltfantasien, die rechte Aktivisten von Pegida und Politiker*innen der AfD und deren Anhängerschaft in den sozialen Medien äußern.[6] Wie Bundesjustizminister Heiko Maas knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl schreibt, ist die AfD „in Teilen verfassungswidrig.“[7] Doch die Alternative für Deutschland (AfD) entstand nicht in einem Vakuum, sondern ist Ausdruck eines lang andauernden Prozesses der Renationalisierung dieses Landes wie auch Europas und des Westens. Rassismus, Separatismus und die Hinwendung zum „Eigenen“ sind schockierender Aus­druck sowohl des Brexit im Juni 2016, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wie der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten im November 2016.

Die deutsche Renationalisierung kann hier nicht in allen Einzelheiten untersucht werden. Die jüngste Form der Renationalisierung war ein Epochenbruch: 2006. Eine Kernthese dieses Bandes lautet: Ohne das „Sommermärchen“ von 2006 und den schwarzrotgoldenen Taumel, ohne die „inneren Reichsparteitage“ und gegenintellektuelle Stimmungsmache für mehr Nation und weniger Reflektion, mehr Stolz auf die deutsche Geschichte und weniger Gesellschaftskritik, wäre es nicht zu Pegida und zur Katastrophe der völkischen AfD gekommen. Die AfD hat am Wahlabend die deutsche Nationalhymne gesungen,[8] es ist die gleiche Hymne, die schon zu Nazizeiten gesungen wurde.

Es sind krasse Zeiten. Wir können mittlerweile wählen, ob wir den braunen, nazistischen, oder lieber den grünen, islamistischen Faschismus bevorzugen. Zwischen diesen beiden Polen ist der Westen derzeit gefangen. Der jihadistische Terrorismus, der Islamismus, das Ressentiment auf die westliche Welt, der Antiamerikanismus, der Antisemitismus und der Israelhass des 11. September 2001 veränderten die Welt. Seit jenem Tag wachen wir jeden Morgen auf, und wissen nicht, ob wieder ein jihadistischer Anschlag passierte, ob auf Bali, im Irak, in Syrien, Afghanistan, den USA, Frankreich, Dänemark, Berlin, Tel Aviv, Jerusalem, Brüssel, Toulouse, London, Manchester, Madrid, Djerba, Barcelona, Nizza und unzähligen weiteren Orten. Seit über 16 Jahren geht das so und es ist kein Ende in Sicht. Weltweite massive Sicherheitsvorschriften an Flughäfen, das unwillkürliche Aufmerksamwerden auf isoliert herumstehende Koffer, Taschen oder Rucksäcke an Bahnhöfen, Flughäfen und sonst im öffentlichen Raum waren vor 9/11 nicht denkbar. Unser Blick auf die Realität hat sich verändert. Dazu kommt in der Bundesrepublik ein noch viel heftigerer, massenwirksamerer und seit dem 24. September 2017 auch bundespolitisch mit enormen Konsequenzen und einem Machtzuwachs nie geahnten Ausmaßes ausgestatteter nationalistischer, rechtsextremer und neonazistischer Aufbruch.

Das Volk ist nicht „abgehängt“ oder „perspektivlos“, nein, das Volk ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend. Das zeigt sich nicht nur an Tomaten- wie Verbalattacken auf Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten während des Bundestagswahlkampfes 2017 oder bei den Pegida Demonstrationen seit Oktober 2014, sondern zum Beispiel auch im Sommer 2017, als in einem ganz normalen westdeutschen Dorf bekannt wurde, dass dort seit 83 Jahren eine „Hitlerglocke“ im Kirchturm hängt und der Pfarrer (aus musikalischen Gründen, klar) wie der Bürgermeister total „stolz“ sind auf ihre Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland. Adolf Hitler“ und darunter befindet sich ein dickes Hakenkreuz. Das hat seit 1945 keinen Menschen in diesem ganz normalen deutschen Dorf in Rheinland-Pfalz (Herxheim am Berg) gestört.

Diese beiden Großthemen, Jihad und der stolzdeutsche Aufbruch, das „nationale Apriori“ der Deutschen, bestimmen in weiten Teilen die politische Kultur, möchte man meinen. Wer aber am 3. September 2017 das einzige TV-Duell der beiden Kanzlerkandidat*innen zur Bundestagswahl am 24. September auf den vier größten Fernsehkanälen ARD, ZDF, RTL und Sat1 gesehen hat, traute seinen Augen und Ohren nicht mehr. Da wurde weit über die Hälfte der Sendezeit nur gegen Nicht-Deutsche gleichsam agitiert, die Fragen hörten sich an, als wären alle vier Fragenden direkt von der AfD bestellt gewesen. Die Gefahr des Rechtsextremismus wurde verleugnet. Die Medien haben eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD. Der Journalist Georg Diez resümiert am Vormittag des 24. September 2017:

Die Erfolge der AfD haben auch die Plasbergs dieser Welt mitzuverantworten. Denn die öffentlich-rechtlichen Talker haben den reaktionären Kräften schon früh und dann immer wieder eine Bühne geboten.“[9]

Die AfD hat es in zwei Jahren, seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ Anfang September 2015, geschafft, dieses Thema als das zentrale Thema des ganzen Landes durchzusetzen, auch wenn im Spätsommer 2017 kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland und Europa durchkommen, da die Abschottung jetzt schon in Afrika beginnt. Die Renationalisierung, die in dieser Aggressivität nie dagewesene nationalistische Rede, wurde von der AfD in den Mainstream gebracht und die Medien nahmen das geradezu dankbar und begierig auf. Aufgrund dieses In-die-Zange-Nehmen der westlichen Welt durch den braunen und grünen Faschismus verschwinden andere Themen oft. Der Klimawandel, der von US-Präsident Donald Trump und seinen deutschen Fans geleugnet wird, aber auch viel weiter gefasste Themen wie Entschleunigung, Ökologie und das Mensch-Natur-Verhältnis, vom Atomausstieg über Braunkohleabbau, Windkraft oder Solarenergie hin zum Dieselskandal, der nur die Wahrheit auf den stinkenden Punkt bringt, dass der Kapitalismus nicht zum Vergnügen da ist, sondern zur Profiterzielung. Themen wie das Grundeinkommen, ungebremste Mietsteigerungen in Großstädten und Ballungsräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse für die gut und sehr gut Ausgebildeten, Minijobs und Mehrfachjobs für alle und sicherlich die neoliberale Deregulierung vieler Ge­sell­schaftsstrukturen wie die Internalisierung der Imperative des Kapi­ta­lis­mus: Das wären alles sehr wichtige Themen, die aber seit 9/11 und dann seit 2006 sowie später weltpolitisch durch die Wahl Trumps wie den Aufstieg der AfD massiv überlagert werden durch diese beiden Großthemen brauner versus grüner Faschismus.

Dazu kommt: Die Entpolitisierung ist prägend für weite Teile dessen, was früher einmal als „bürgerliche Mitte“ wie auch „die Linke“ (jenseits der Partei) bezeichnet wurde. Unabhängig von bezahlten Jobs in NGOs gibt es nur noch sehr wenige politisch aktive Menschen, die grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft stellen und nicht nur Einpunktbewegungen anhängen. Jene, die sich in den letzten Jahren massiv politisiert haben, sind die Völkischen oder „besorgten Bürger“. Der Antisemitismus wird äußerst selten zu einem zentralen Thema der Kritik gemacht. Daher versuchen die Essays in diesem Band ganz unterschiedliche Aspekte des heutigen Antisemitismus zu thematisieren und sie am Beispiel von teils zentralen Akteuren oder Ereignissen im politischen, wissenschaftlichen wie kulturellen Feld zu analysieren. Wenn zum Beispiel ‚linke‘ Aktivisten oder Künstler aktiv werden, sieht das heute so aus: Auf der documenta14 in Kassel sollte es im Sommer 2017 eine Aktion geben mit dem Titel „Auschwitz on the Beach“. Dabei sollten Salzwasser mit Zyklon B und Flüchtlinge mit Juden verglichen und gleichgesetzt, sowie darüber hinaus die europäischen Gesellschaften und Israel als neue „Gauleiter“ zu den Nazis von heute gemacht werden.[10] Diese Abwehr der Er­inn­er­ung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah geschieht mit dem best­en linken Gewissen, was sich darin zeigte, dass der Event zwar aufgrund von Protesten abgesagt wurde, aber ohne eine inhaltliche Distanzierung der documenta-Leitung von diesem doppelten Antisemitismus. Es handelte sich um einen Antisemitismus, der die Erinnerung an den Holocaust für politische Zwecke instrumentalisiert und zudem noch antizionistisch agitiert. Dann gibt es mittlerweile ‚Linke‘, selbst Kritiker solcher Events auf der documenta, welche die Agitation gegen den Islam als fortschrittlich empfinden und den Rechtsextremismus der AfD schlicht verdrängen. Das ist auch bei vielen Trump-Anhängern so, die sich zuvor als liberal oder links tarnten.

Wie der Spiegel Online Kolumnist Georg Diez wenige Wochen vor der Wahl schrieb, kann man sehen, wie seit Jahrzehnten in Deutschland

„der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde, von Martin Walsers Paulskirchenrede über Thilo Sarrazin bis zu den Untergangsfantasien von Botho Strauß. In der Sprache von Peter Handke könnte man sagen, es waren Zurüstungen für die Unmenschlichkeit.“[11]

Die Essays in diesem Band spannen einen Bogen vom „Sommermärchen“ 2006 über den „Inneren Reichsparteitag“ (2010) hin zu Pegida (2014), den Brexit, die Wahl Trumps (2016) und den Aufstieg der AfD zur ersten Partei mit Neonaziideologie im Deutschen Bundestag (2017). Während es Hunderte ehemaliger NSDAPler im Bundestag und anderen Parlamenten seit 1949 gab,[12] werden ab September 2017 erstmals neue Nazis im Bundestag sitzen. Die Essays[13] in diesem Band umfassen eine Zeitspanne von Juli 2006 bis September 2017 und können als eine Art intellektuelles Tagebuch betrachtet werden. Mögen sie zur Kritik und Reflektion, zum Nachdenken über eine Alternative zu Deutschland anregen.

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, 69.

[2] Sven-Felix Kellerhoff/Martin Lutz/Uwe Müller (2017): „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte“, Die Welt, 09.09.2017, https://www.welt.
de/politik/deutschland/article168480470/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten-der-Siegermaechte.html (18.09.2017); „Die WELT AM SONNTAG hält an ihrer Berichterstattung über die Mail in vollem Umfang fest. Der Redaktion liegt eine eidesstattliche Versicherung des E-Mail-Empfängers vor. Um Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auszuräumen, könnte Weidel ihrerseits bei Gericht eine eidesstattliche Versicherung einreichen, in der steht, was zuvor schon der Anwalt behauptet hatte: Dass sie den Text nicht verfasst hat. Doch dies hat sie bisher nicht getan. Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet“, Martin Lutz/Uwe Müller (2017): AfD-Spitzenkandidatin Weidel spricht nicht mehr von Fälschung, Die Welt, 15.09.2017, https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandidatin-Weidel-spricht-nicht-mehr-von-Faelschung.html?wtrid=socialmedia.
email.sharebutton (18.09.2017); „AfD-Spitzenkandidatin Weidel plötzlich kleinlaut. Ein Bericht über eine Wut-Mail hat die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel erzürnt. Sie sprach von einer Fälschung. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/wut-mail-afd-spitzenkandidatin-weidel-ploetzlich-kleinlaut-15202774.html (18.09.2017).

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl/alle-schlagzeilen/gabriel-attackiert-afd-echte-nazis-am-rednerpult/20315768.html (16.09.2017).

[4] http://www.jc-courage.de/wp-content/uploads/2017/02/Die_AfD_in_Koeln.pdf (16.09.2017), 11; http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koelner-hauptmann-und-afd-politiker-soll-ns-parole-getwittert-haben-aid-1.6807113 (15.09.2017): „Die Linken-Politiker werfen [Hendrik] Rottmann vor, am 29. Januar auf Twitter eine Meldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mit den Worten ‚Deutschland erwache‘ kommentiert zu haben – eine Parole, die im Dritten Reich von der Nazi-Organisation SA benutzt wurde. Ein Screenshot des Tweets liegt unserer Redaktion vor – der Twitter-Account, von dem der umstrittene Spruch abgesetzt worden sein soll, existiert nicht mehr.“

[5] So Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg, siehe dazu meine Analyse: Germany’s Hot New Party Thinks America Is ‘Run by Zionists’, Tablet Magazine, 1. August 2016, http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/209243/germanys-hot-new-party (24.09.2017).

[6] „Alle Tünche, die Pegida am Anfang noch trug, war in den sozialen Netzwerken schnell hinfällig. In der scheinbaren Anonymität des WorldWideWeb oder in geschlossenen Facebook-Gruppen, in denen man sich unter sich glaubte, nahmen Mitglieder des Pegida-Orgateams kein Blatt mehr vor den Mund. Verfolgte man Bachmanns inzwischen gelöschten Twitter-Account, der auch in die Zeit vor Pegida zurückreicht, so stieß man auf vulgären Rassismus und Homophobie. Beispielsweise twitterte er am 6. September 2013 über die Grünen: ‚Gehören standrechtlich erschossen diese Öko-Terroristen! … allen voran Claudia Fatima Roth!‘“ (Lucius Teidelbaum (2016): Pegida. Die neue deutschnationale Welle auf der Straße, Münster: Unrast, 31); Die Hannoversche Allgemeine berichtet am 10. September 2017: „Von der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel soll eine E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aufgetaucht sein. Die AfD bestreitet allerdings in Weidels Namen, dass sie die Autorin ist. Die ‚Welt am Sonntag‘ berichtet jedoch, ihr liege eine eidesstattliche Versicherung des Mail-Empfängers, eines früheren Bekannten Weidels, vor. Der Zeitung zufolge heißt es in der E-Mail vom 24. Februar 2013 in Originalschreibweise: ‚Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden.‘ Zudem werde in dem Schreiben die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) verunglimpft: ‚Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen‘, zitiert das Blatt weiter“, http://www.haz.de/
Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten (11.09.2017). Der Ex-AfDler Holger Arppe aus Mecklenburg-Vorpommern hat Pro-Nazi und zur Gewalt aufrufende Nachrichten verschickt und war jahrelang eng verbunden mit führenden AfDlern. Sein Austritt aus der Partei ist rein taktisch. Der NDR berichtet über ihn: „Arppes Chatverläufe dokumentieren auch, wie nah die AfD in Mecklenburg-Vorpommern offenbar an die rechtsextreme ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) herangerückt ist – obwohl es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei gibt. Über Monate hinweg chattete Arppe ausweislich der Protokolle mit Daniel F., einem der führenden Köpfe der IB. F. war früher bei der NPD engagiert. Im Juli 2015 schrieb Arppe: ‚Diesen Revoluzzergeist brauchen wir! Der [Daniel F.] ist ein absolutes Muss für unsere Partei. Seine Vergangenheit interessiert mich einen Scheißdreck.‘ Die Dokumente zeigen auch, dass Arppe die IB darum bittet, als Ordner für eine Demonstration zur Verfügung zu stehen. ‚Daniel, könnten von Euch welche als Ordner fungieren bei unserer Demo am Samstag? Wir brauchen noch ein paar ordentliche Nazis als Freiwillige‘, schrieb Arppe demnach im Oktober 2015. Der IB-Mann sichert daraufhin drei Helfer aus seinen Reihen zu“, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistische-Chats-Fraktionsvize-verlaesst-AfD,afd1204.html (11.09.2017). Das Handelsblatt vom 9. September 2017 ergänzt diese Analyse des rechtsextremen Netzwerkes, in das Arppe eingebunden ist: „Arppe war, wie andere umstrittene AfD-Politiker auch, schon früher wegen seiner deutschnationalen Gesinnung aufgefallen. Er übte mit Wissen der Bundespartei offen den Schulterschluss mit der ‚Identitären Bewegung‘, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und pflegte Kontakte zum Chefredakteur des rechten Monatsmagazins ‚Compact‘, Jürgen Elsässer. Bei einer entsprechenden Veranstaltung im vergangenen Jahr war das AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg mit dabei. Arppe nahm auch schon am sogenannten ‚Kyffhäuser-Treffen‘ in Thüringen teil. Veranstalter ist die rechtsnationale AfD-Gruppierung ‚Der Flügel‘ der AfD-Fraktionschefs Björn Höcke (Thüringen) und Poggenburg (Sachsen-Anhalt). Am vergangenen Wochenende kamen nach Polizeiangaben 550 bis 600 Teilnehmer zu der Kundgebung am Kyffhäuserdenkmal. Unter ihnen waren neben AfD-Chef Jörg Meuthen auch Vize-Parteichef Gauland und Pegida-Chef Lutz Bachmann“, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/
bundestagswahl/alle-schlagzeilen/der-fall-arppe-und-die-folgen-staatsrechtler-bringt-afd-beobachtung-ins-spiel/20302334.html (11.09.2017).

[7] http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/heiko-maas-afd-ist-in-teilen-verfassungswidrig-a-1348338?GEPC=s5 (11.09.2017).

[8] https://twitter.com/maria_fiedler/status/911984268355805185 (24.09.2017).

[9] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-wie-der-rechtsruck-herbei-geredet-wurde-a-1169404.html (24.09.2017).

[10] https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2017/08/auschwitz-am-strand-die-documenta-ueber-den-einsatz-von-zyklon (18.08.2017).

[11] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rechtsruck-in-deutschland-die-geistig-moralische-wende-zum-schlechten-a-1166689.html (11.09.2017).

[12] Eine inoffizielle Liste ehemaliger Nazis, die nach 1945 politisch aktiv waren (wie z.B. als Abgeordnete im Bundestag) findet sich hier: https://de.wikipedia.
org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%
A4tig_waren (21.09.2017).

[13] Bis auf die Einleitung und den Text „Ist doch für einen guten Zweck…“ sind alle Texte dieses Bandes online auf verschiedenen Portalen erschienen und wurden für diese Publikation überarbeitet. Die Datumsangaben am Ende von URLs zeigen das Datum des letzten Abrufs der Seite an.

Was Hitler anti-capitalist? Are liberals fascists? Fantasies by contemporary scholars, politicians and journalists

Von Dr. phil. Clemens Heni, 29. Dezember 2016

Times of Israel (Blogs)

October 3, 2016, the German “Re-Unification Day” was held in the Saxony capital Dresden. Dresden is infamous for the right-wing extremist Pegida movement (“Patriots against the Islamization of the Occident”). On that day, one of the most pro-Nazi and anti-establishment rallies in recent decades took place in Dresden, with hundreds of aggressive “protesters,” verbally attacking and threatening the entire political and cultural elite that had gathered in that city.

One “protester” had a sign with a Nazi Party quote from Joseph Goebbels, indicating that the Nazi movement is left and against the “bourgeois national bloc.” Goebbels, in his 1929 fiction “Michael,” promoted Nazi ideology, based on anti-Semitism and unity. Self-sacrifice was a core element for him, and he wrote, “the Jew has no understanding [for the self-sacrifice for a goal].”[i] In his 1925 pamphlet “Nazi-Sozi”, Goebbels wrote, “Marxism will die, for nationalism to prosper.”[ii]

After the Holocaust, many people are eager to distort German anti-Semitism. Post-colonial theory is one crucial aspect, equating colonialism, imperialism, capitalism, and their cui bono to the senselessness of the Shoah. This Holocaust universalization is common among many people and scholars.

Others equate red and brown, like the infamous Prague Declaration, as Professor Dovid Katz from Lithuania has shown in uncounted pieces and lectures since 2008. Most recently, some people equated the horrible situation in Aleppo, Syria, to the Holocaust. Among those who did so, is the Muslim Brotherhood, like its Mahmoud Ezzat, but also the leading German-Jewish weekly Jüdische Allgemeine and its author Michael Wuliger. Leading German daily Süddeutsche Zeitung compared Stalingrad to Aleppo – Stalingrad is THE Second World War trauma for all proud ordinary German families.

Today, we can find the trope that Hitler, Stalin and Putin are equal by a leading German revisionist politician, Erika Steinbach, former head of the “Federation of Expellees,” who has not too many friends in Poland. Until the 1990s, if not later, she rejected Poland’s western border, the Oder-Neisse border. She is known for obfuscating Nazi Germany and right-wing extremism. For her, Hitler, Stalin and Putin were “socialists,” as she once tweeted. Before, Steinbach already argued that Hitler and the Nazis were “socialist” and “left.” Several scholars and authors of course rejected this absurd trope in 2012 and 2014.[iii] But Steinbach, who since 1990 is a member of Parliament (the German Bundestag) and a member of a leading body of Angela Merkel’s Christian Democratic Union, has followers in the UK and the US, or she is following them, directly or indirectly.

Take Jonah Goldberg as an example, a senior editor at the National Review. In 2008, I have seen his New York Times #1 Bestseller “Liberal Fascism” at an airport bookstore in New York.[iv] Airport bookstores usually just offer a tiny amount of books, most often bestsellers. For Goldberg, Hitler was a “man of the left” as one chapter reads. Here is a quote from the promotion for the book on the cover by the publisher Doubleday, which is a company of the world leading publishing house Random House:

„The quintessential liberal fascist isn’t an SS storm trooper; it is a female grade-school teacher with an education degree from Brown or Swarthmore.”

This sounds like Breitbart News, Trump or Frontpage Magazine, but the quote is from Goldberg. This outrageous statement is a trivialization of the Shoah. It is also a typical misogynist or antifeminist trope. It indicates that misogynist ideology has a very long history in America (and around the world) and was not an invention by Donald Trump. Comparing a female liberal to the SS is not criticism of supposedly liberal anti-Zionism or the failure to deal with jihad after 9/11 – this is claptrap and male propaganda. It obfuscates intentionally what happened in Auschwitz and Sobibor in order to defame liberals. Goldberg and his followers have done huge damage to the pro-Israel and anti-Islamism camp in our post-9/11 world by distorting Nazi Germany and the Holocaust for political, extreme right-wing purposes.

For him and many of his allies the left is more or less fascist and even Hitler and the Nazi Party were leftist, despite facts and historical accuracy. There was no party more on the extreme right-wing than the NSDAP (Nazi Party) in the Weimar Republic. If Goldberg was interested in the politics of the Nazis in Weimar Germany, he could now read the doctoral dissertation by historian Susanne Wein at Free University Berlin.[v] This groundbreaking study shows the antidemocratic, anti-Semitic and anti-leftist policies of the Nazis, particularly aiming at the Social Democrats and Democrats.

Historian Brendan Simms from Cambridge in the UK is a book author, academic advisory board member of the Human Security Center in London and is President of the Henry Jackson Society in London. He argues in a similar vein than Erika Steinbach or Jonah Goldberg. For Simms, anti-Semitism was not the core of Hitler’s ideology, but a result of his “anti-capitalism.”[vi]  In an article in International Affairs in March 2014, he wrote a summary of his approach.[vii] His outdated research becomes obvious at the beginning of his article, on page three:

„Very little is certain about Hitler’s political views before he left for the war. Given his cordial childhood personal relations in Linz with the family’s Jewish doctor Eduard Bloch, whom Hitler respected—and with several Jews in Vienna—and the absence of any other contemporary evidence, it is unlikely that he was particularly anti-Semitic.”[viii]

In another piece in 2014, Simms writes:

„Adolf Hitler, for example, came to anti-Semitism via anti-capitalism, particularly of the ‚international‘ Anglo-American variety, which he accused of reducing post-First World War Germany to the status of a ‚colony‘. Senior figures on the Left saw the connection to anti-capitalism: the German Social Democrat leader August Bebel referred to anti-Semitism as a form of socialism, albeit ‚a socialism of fools‘.“

Brendan Simms is not just a follower of the very old fashioned Great Man Theory, which dates back to the 19th century and was never ever really fascinating, as it ignores that a society is based on much more than just one person, regardless if it is someone like Hitler or not. However, Simms completely fails to understand anti-Semitism when he claims that Hitler cannot have been too much an anti-Semite prior to 1914 because of the Jewish doctor of his family. This is ridiculous, as scholarship has shown. Ignoring the entire scholarship on German anti-Semitism and Nazi anti-Semitism — take Robert Wistrich,[ix] Daniel Goldhagen,[x] Saul Friedländer,[xi] Yehuda Bauer[xii] or Jeffrey Herf[xiii] as examples who dealt extensively with the topic of Nazi anti-Semitism – Brendan Simms writes the following:

„The ‘Gemlich letter,’ which is the first surviving political text of any length by Hitler, has been picked over by generations of historians, but they have almost invariably focused on Hitler’s presentation of the Jewish problem as a racial  issue — a ‘racial tuberculosis of the peoples’ (Rassentuberkulose der Völker) — rather than a question of mere personal distaste. They have also emphasized his belief that the Jews had been ‘driving forces of the revolution’ (die treibenden Kräfte der Revolution) that had laid Germany low. What has been almost entirely missed is the fact that Hitler’s initial anti-Semitism was profoundly anti-capitalistic, rather than anti-communist, in origin.”[xiv]

That kind of downplaying and obfuscating of anti-Semitism is remarkable. Jew-hatred and genocidal anti-Semitism as form of “personal distaste”? This is bordering to a complete denial of the genocidal dimension of anti-Semitism, the lethal obsession – for Simms just a personal distaste of Hitler?

This obfuscation of anti-Semitism might be the reason why Brendan Simms has so many fans in Germany, including daily newspapers who praised his article, like Die Welt[xv], the Frankfurter Allgemeine Zeitung[xvi] and Der Tagesspiegel[xvii]. Simms thanks several colleagues for their advice, the best known among them is German historian Wolfram Pyta. Again, Brendan Simms wants to rewrite history and to indoctrinate his students with foolish arguments like the one, Hitler was anti-capitalist, anti-British/anti-American and then anti-Semitic:

„In short, Hitler became an enemy of the British — and probably also of their American cognates — before he became an enemy of the Jews. Indeed, he became an enemy of the Jews because of his hostility to the Anglo-American capitalist powers.“[xviii]

This is not true and is again bordering to the denial of anti-Semitism as an ideology sui generis. Brendan Simms represents a substantial part of UK and America based conservatism and neo-conservatism that is so extremely full of hatred of the left that they ignore scholarship and promote the most absurd theories. Downplaying of anti-Semitism as central element of German (and Hitler’s) ideology is at the core of that right-wing ideology and a master example of how not to study anti-Semitism.

Brendan Simms‘ fantasy about England, America and capitalism being at the core of Hitler’s and therefore the National Socialist movement’s ideology can also be rejected if we look at the debates in the Weimar Reichstag in the 1920s. Susanne Wein has shown the importance of all kinds of anti-Semitic speech, whether open or coded, by the nationalist parties, the conservatives, the German National People Party (DNVP) and the Nazi Party itself (NSDAP). She has no blind eye on anti-Semitic speech and tendencies in some parts of the left-wing parties like the Communist Party (KPD) and the Social Democrats (SPD). She emphasizes, though, that the Nazis and DNVP, were the main enemy of Jews, democracy, and that Hitler was a man of the Far Right.[xix]

At the time, Social Democrats were considered and considered themselves as socialist, by the way.  The quote from the cover of Goldberg’s book indicates that he has no idea what he is talking about: the term “SS storm trooper” is a misnomer. SS storm troopers did not exist. He confuses “Sturmabteilung” (SA storm troopers) with the SS, which means “Schutzstaffel” or protection unit.

Every historian who ever studied Nazi Germany knows the difference between the SA and the SS during National Socialism. Of course this might just be a linguistic problem and Goldberg confused SA and SS — but a serious writer, let alone a historian, should not confuse the both of them, although both were of course core elements of the Nazis, before and after 1933. While the SA was imperative to kill leftists and the political enemy prior to 1933, the SS became a core opponent of the SA after 1933 and the leading organization for the Holocaust.

The SS wanted to ‘protect’ the Germans from ‘the Jew’, and Nazis indeed feared in a pathological way that “the” Jew rules the world, both capitalism and communism, and Germans and Nazis to some degree even feared that they were Jewish inside (!). Just read one of the leading Nazi anti-Semites, who later became an Egypt based Muslim, Johann von Leers, who wrote about the necessity to ‘dejudaize Germany from within’, including the mind of Nazi Germans.[xx] All this was based on a long history or extreme right-wing German and Austrian anti-Semitic and nationalistic ideology, going back to the 19th century if not before. Von Leers liked America but saw ‘the Jew’ behind all evil in America and Roosevelt driven by Jewish power.[xxi] So much about Goldberg’s fantasy that Hitler and the Germans were driven by hatred of the West, England and America, and therefore became anti-Semitic. It is vice versa.

For those interested in a serious analysis of the origins of National Socialism, I’d like to remind you to the concept of “German Socialism.” “German Socialism” was based on capitalism, private property and small business (and sometimes big German business as well, take Mercedes, Deutsche Bank, IG Farben, Krupp, Thyssen etc.) and a strong state. An essential component was anti-Semitic resentment against the international big trusts and ‘finance capital’ while embracing the “German worker” and in particular the German middle class and the German peasants of course. National Socialism was about capitalism, German way, based on anti-Marxism as Klaus Fritzsche has shown in 1976 in his study of the “Tat-Kreis” around Hans Zehrer.[xxii] One could also analyze the völkisch concept of socialism and anti-Roman thinking by Ernst Niekisch and his German-Protestant national revolutionaries, whose main enemy was ‘the Jew’ and the working class likewise.[xxiii]

In my doctoral dissertation in 2007 about today’s New Right, German political culture and Henning Eichberg, a leading theorist of the New Right since the late 1960s, I myself [xxiv] dealt with the anti-Semitic ideology of Joseph Goebbels in his Nazi pamphlet Der Nazi-Sozi from 1926, which was a major anti-Semitic booklet and portrayed Jews as “flea.”[xxv] Here you can find the eliminationist Nazi ideology even prior to National Socialism as a state.

As already said, Hitler grew up politically in his Vienna years prior to World War I. As book authors Friedrich Paul Heller and Anton Maegerle have shown in 1995,[xxvi] the völkisch occultism was a core element of Nazi ideology. Just think of people like Guido von List, who once buried several bottles in the form of a swastika at a place dedicated to remember the Germanic victory over the Romans in the year 9 CE (the Varus Battle).[xxvii] Capitalists like the owner of a Prague metal cooperation, Friedrich Oskar Wannieck, were members of the 1908 established Guido-von-List-Society. No meat, no alcohol and no smoking were essential components of Hitler and parts of the völkisch movement.[xxviii] Or recall Jörg Lanz von Liebenfels, who founded the racist Ostara journal. Hitler himself admitted in Mein Kampf that he bought one of his first anti-Semitic pamphlets during his Vienna time.[xxix] Hitler was also joining meetings of the “Ordi novi templi,” which was founded by Lanz von Liebenfels in 1900. Members were not allowed to even touch Jews without using a sword.[xxx]

This gives you a first insight view of Hitler’s anti-Semitic circles, friends, allies and ideological points of departure. Before the First World War Hitler was an anti-Semite. Brendan Simms ignores scholarship in that respect, which is remarkable for a professor at Cambridge. Looking at people like Erika Steinbach or Jonah Goldberg, though, Simms indicates a trend in contemporary distortions of anti-Semitism and the rise of anti-Semitism, Hitler’s ideology and the Nazi movement.

[i] Joseph Goebbels (1929): Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblätter, quoted after Claus-Ekkehard Bärsch (1995): Der junge Goebbels. Erlösung und Vernichtung, Munich (Klaus Boer), 126.

[ii] Joseph Goebbels (1926)/1930: Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten für den Nationalsozialisten, Munich (Verlag Frz. Eher Nachf.), 23.

[iii] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/steinbach-eklat-auf-twitter-die-nazis-waren-eine-linke-partei-a-812950.html (accessed December 27, 2016).

[iv] Jonah Goldberg (2007): Liberal Fascism. The Secret History of the American Left from Mussolini to the Politics of Meaning, New York: DoubleDay (Random House).

[v] Susanne Wein (2014): Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik, Frankfurt/Main: Peter Lang.

[vi] http://www.standard.co.uk/comment/brendan-simms-antisemitism-is-an-international-threat-once-again-9087757.html (accessed May 13, 2014).

[vii] Brendan Simms (2014): Against a ‘world of enemies’: the impact of the First World War on the development of Hitler’s ideology, International Affairs, 90: 2 (2014), 317–336.

[viii] Simms 2014, 320.

[ix] Robert S. Wistrich (2016): Der antisemitische Wahn, Berlin (Edition Critic); Robert S. Wistrich (2001): Hitler and the Holocaust, New York: Modern Library Chronicles Book.

[x] Daniel Jonah Goldhagen (1996): Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust, New York: Knopf.

[xi] Saul Friedländer (2007): The Years of Extermination. Nazi Germany and the Jews, 1939–1945, New York: HarperCollins.

[xii] Yehuda Bauer (1978): The Holocaust in Historical Perspective. The Samuel and Althea Stroum Lectures in Jewish Studies, Seattle: University of Washington Press; Yehuda Bauer (2001): Rethinking the Holocaust, New Haven: Yale University Press; Yehuda Bauer (2010): “Remembering accurately on International Holocaust Remembrance Day,” January 25, Jerusalem Post, http://www.jpost.com/Features/InThespotlight/Article.aspx?id=166776 (accessed August 29, 2012)

[xiii] Jeffrey Herf (2006): The Jewish Enemy. Nazi Propaganda during World War II and the Holocaust, Cambridge (MA)/London: The Belknap Press of Harvard University Press.

[xiv] Simms 2014, 329–330.

[xv] Sven Felix Kellerhoff (2014): Hasste Hitler “den” Westen mehr als “die” Juden?, 14 March 2014, http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article125813854/Hasste-Hitler-den-Westen-mehr-als-die-Juden.html (accessed December 27, 2016). Kellerhof insinuates, „it might time for new questions“ concerning Hitler and antisemitism: „Thomas Weber ist denn auch vorsichtig: ‚Ob sich Simms’ Forschungsergebnisse und Hypothesen nun teilweise oder ganz bestätigen‘, schreibt er in der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘, sei nicht entscheidend: ‚Sie werden grundlegend und bahnbrechend die Art und Weise verändern, wie wir über Hitler denken.‘ Gut möglich, dass sich daraus ein neuer veritabler Historikerstreit entwickelt. Denn Hitler und speziell die Ursachen seines Antisemitismus sind von entscheidender Bedeutung für die Gesamtgeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. Eine halbe Generation nach Ian Kershaws zweibändiger Hitler-Biografie könnte es Zeit sein für neue Fragen.“

[xvi] Thomas Weber (2014): Die Quellen seines Hasses, 14 March 2014, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/die-quellen-seines-hasses-woher-kam-hitlers-antikapitalismus-12845914.html (accessed December 27, 2016).

[xvii] Malte Lehming (2014): Über links, rechts, Klassen und Rassen hinweg, 14 April 2014, http://www.tagesspiegel.de/meinung/
antiamerikanismus-und-antisemitismus-ueber-links-rechts-klassen-und-rassen-hinweg/9747690.html (accessed December 27, 2016).

[xviii] Simms 2014, 330.

[xix] Wein 2014.

[xx] Johann von Leers (1941)4: Rassische Geschichtsbetrachtung. Was muß der Lehrer davon wissen, Langensalza/Berlin/Leipzig: Verlag von Julius Beltz.

[xxi] Johann von Leers (1942)3: Kräfte hinter Roosevelt, Berlin: Theodor Fritsch Verlag (first edition 1940).

[xxii] Klaus Fritzsche (1976): Politische Romantik und Gegenrevolution. Fluchtwege in der Krise der bürgerlichen Gesellschaft: Das Beispiel des ‚Tat‘-Kreises, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

[xxiii] Michael Pittwald (2002): Ernst Niekisch. Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium, Cologne: PapyRossa.

[xxiv] Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum, 135–150.

[xxv] Joseph Goebbels (1930): Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten für den Nationalsozialisten, Munich: Frz. Eher Nachf. (first edition 1926).

[xxvi] Friedrich Paul Heller/Anton Maegerle (1995): THULE. Vom völkischen Okkultismus bis zur Neuen Rechten, Stuttgart: Schmetterling.

[xxvii] Heller/Maegerle 1995, 20.

[xxviii] Heller/Maegerle 1995, 20.

[xxix] Heller/Maegerle 1995, 22–23.

[xxx] Heller/Maegerle 1995, 23–26.

©ClemensHeni

„Recht und Ordnung“

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. Dezember 2016

„Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um“ (Die Goldenen Zitronen)

 

 „Ich bin der Recht-und-Ordnung-Kandidat“ (Trump)

Sicherheit durch Recht und Ordnung“ (NPD)

„Recht und Ordnung“ (Zeitschrift der „Aktion Neue Rechte“, 1972)

„Es ist kein Makel, rechts zu sein, so wie es kein Makel ist, für Recht und Ordnung zu sein.“ (Broder, Achgut)

 

Die konformistische Revolte, die der sexistische, rassistische Megakapitalist Donald J. Trump vulgär intoniert, bekommt tagtäglich ein lauteres Echo auch in Europa, Deutschland vorneweg. Noch nie seit 1945 hatten Nazis so viele Möglichkeiten, ihre antisemitische, rassistische, völkische, deutschnationale und Kinder-Küche-Mutterkreuz Ideologie heraus zu schreien. Grenzen zu und Migranten raus, Hirn raus für die Dumpfdeutschen, nur noch Alt-Yuppie-Fatzkes mit Abitur haben das Recht, Politiker oder Kolumnist zu werden und alles wird gut. Das ist die Message.

Als am 3. Oktober 2016 Pegida-Aktivist*innen, inklusive einem besonders auffälligen Nazi (einem ganz normalen „besorgten Bürger“) in Dresden die versammelte Elite des Landes empfing, die zu den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag in die sächsische Landeshauptstadt kommen musste, war die Stimmung kurz vor einem Pogrom. Politiker*innen wie Angela Merkel, Claudia Roth oder Norbert Lammert wurden mit „Volksverräter“, „Fotze“ und einem NSDAP-Plakat mit einem Goebbels-Spruch darauf empfangen, wie die Journalistin Katja Bauer in der Stuttgarter Zeitung berichtete.

Dresden, 03.10.2016, Foto: Katja Bauer, Stuttgarter Zeitung

Das Goebbels-Zitat zeigt gerade den antibürgerlichen Kern des Nationalsozialismus und heutiger Nazis. Und nun spielen sich Achgut-Betreiber Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner als Retter des „deutschen“ Bürgertums auf. Bekanntlich waren die deutschen Bürger 1933 voll auf Nazilinie, der antibürgerliche Mob der SA paktierte mit der Elite von Thyssen, Krupp, Oetker, IG Farben usw. usf. Und heute? Wir werden es weiter unten sehen.

Dieser Nazimob vom 3. Oktober 2016 in Dresden wurde im Fernsehen auf N24 vom Publizisten Henryk M. Broder in Schutz genommen. Broder verhöhnte den jüdischen Dichter Heinrich Heine, indem er dessen Worte benutzte und sagte „Das Volk schuldet der Regierung keinen Dank“. Da lacht die NPD und die Aktion Neue Rechte (ANR), die 1972 eine Zeitung mit dem Titel „Recht und Ordnung“ publizierte, bekommt Jahrzehnte später von einem ihrer damaligen Erzfeinde nachträglich Applaus. So ändern sich die Zeiten. Wer hätte das gedacht? Früher war Broder gegen Nazis und Deutschland, aber sicher. Wenn das Pegida wüsste.

Der NPD-Landesverband Bayern warb auf seiner Homepage im Internet am 14.09.2010 in seiner Rubrik „Zitat der Woche“ mit einem alten Spruch von Franz-Josef Strauß (1915–1988), dem langjährigen Vorsitzenden der CSU (1961–1988) und bayerischen Ministerpräsidenten (1978–1988), der 1969 sagte: „‚Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen‘“. Da toben AfD und Pegida vor Freude! Ein echter Schenkelklopfer, der alte Strauß, Gott hab ihn selig.

Broder hatte Strauß schon vor Jahrzehnten auch wegen eines weiteren Zitats kritisiert, das bezeichnenderweise in einer ägyptischen Zeitung publiziert worden war, wie Broder und René Böll in einem am 16. Dezember 1978 von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Leserbrief schrieben: „‚Wir wollen von niemand mehr … an unsere Vergangenheit erinnert werden.‘ Verglichen mit dem Auschwitz-Zitat von 1969 ist dies eine ganz frische Äußerung. Sie stammt aus einem Interview, das Strauß dem Korrespondenten der Kairoer Zeitung Al Ahram, Hassan Suliak, im Oktober 1977 gegeben hat“.[i]

Und noch ein Zitat dieses „antideutschen Volksverräters“, der heute der Neuen Rechten Nahrung gibt, aber früher so schrieb:

„In einer Erklärung zum 40. Jahrestag der ‚Reichskristallnacht‘ sagte Walter Scheel[ii] über Funk und Fernsehen unter anderem auch den folgenden Satz: ‚Das deutsche Volk wurde zum Instrument nationalsozialistischer Gewalt erniedrigt.‘ Zum gleichen Anlaß erschien in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung eine Reihe von Gedenkartikeln. In einem dieser Artikel hieß es: ‚Die Masse des deutschen Volkes verabscheute die Ausschreitungen der Parteiorgane … Der Haß gegen das Judentum wurde von den nationalsozialistischen Diktatoren entfesselt und geschürt. Die Deutschen sahen keinen Anlaß, ihren jüdischen Mitbürgern, die deutsch fühlten und dachten und denen sie viel verdankten, Feindseligkeiten entgegenzubringen.‘ Die beiden Parteien sind sich also einig. Die Nazis fielen über Deutschland her wie eine Rockertruppe über ein friedliches Dorf, ‚erniedrigten‘ das deutsche Volk, das ein willenloses ‚Instrument‘ war und alles mit sich machen ließ; aber immerhin, das Volk ‚verabscheute‘, was die ‚Parteiorgane‘ anstellten, die ‚Ausschreitungen‘ wurden nicht von Menschen begangen, sie fanden auch fern vom deutschen Volk statt. Den Judenhaß hat es vor der NS-Zeit nicht gegeben, er wurde erst von den Diktatoren ‚entfesselt und geschürt‘, auch damit hatten die Deutschen nichts zu tun, denn erstens ‚verdankten‘ sie den Juden viel, und zweitens dachten und fühlten die Juden genauso deutsch wie die eigentlichen Deutschen. Dieses Gewebe aus Schwachsinn und Lüge ist die Grundlage der deutsch-jüdischen Nachkriegsmesalliance.“[iii]

Wären obige Zitate zum Beispiel von Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung (AAS), würde es einen weiteren Shitstorm gegen eine „antideutsche Volksverräterin“ geben. Seit Monaten läuft eine Medienkampagne gegen die AAS und Kahane, federführend von Achgut und Broder ausgehend.

Die obigen Zitate sind nun aber nicht von Kahane, sondern von Henryk M. Broder, der sich selbst und seine frühere Kritik an Deutschland verleugnet. Heute paktiert er ganz offen mit dem Mob. Die Neue Rechte ist im wirklichen oder eingebildeten Salon (N24, Welt, Achgut etc.) angekommen. N24 ist neben der Jungen Freiheit, dem russischen Propagandasender RT Deutsch oder Focus Online eines der beliebtesten Medienportale für die Facebook-Gruppe Pegida Nürnberg, wie eine Recherche des Bayerischen Rundfunks ergeben hat. Das mag pars pro toto für die postfaktische, von antisemitisch konnotierten Verschwörungsmythen und rassistischer Agitation gespeiste, nationalistische Neue Rechte in diesem Land stehen.

Broder sieht offenbar seit Langem die Zeit gekommen, wieder NSDAP-Plakate in Kauf zu nehmen, wenn es doch gegen Gendermainstreaming, Flüchtlinge, Linke, ‚den‘ Islam (und nicht etwa den islamistischen Faschismus), selbstbestimmte Frauen und für Nationalismus, Vaterland, Kinder, Küche, Kirche, Dackel und antisemitische Verschwörungsmythen, postfaktische Agitation und Rassismus geht. Schon 2007 wurde er für sein Liebäugeln mit der Neuen Rechten (wie mit Eva Herman) kritisiert.

Broder möchte den grünen, islamistischen Faschismus mit dem braunen bekämpfen, dabei wird er von beiden Faschismen ins Visier genommen werden. Eine antifaschistische Haltung sollte sich gegen den Jihad richten, gegen den Iran, islamistischen Antisemitismus und dessen linken Freund*innen und BDS, die säkular, ‚post-orientalistisch‘ oder kosmopolitisch-universalistisch gegen den Judenstaat agitieren – und ebenso gegen braune Nazis, AfD, Pegida und „besorgte Bürger“ aktiv werden.

Spätestens wenn der Pegida-Volkszorn wieder das Thema (nicht nur der Zeitung für Deutschland, FAZ) Beschneidung entdeckt, wird der Antisemitismus seine alte brutale Kraft entwickeln, auch verwirrte pro-israelische aber antijüdische Leute werden mit dabei sein, wir haben das ja schon 2012 erlebt.

Nun gibt es eine Medienkampagne des neuen Politaktivisten und PR-Strategen Gerald Hensel. Er möchte, dass die rechtsextreme Agitationsplattform Breitbart, die Trump mit zum Wahlsieg verholfen hat und die ein Medium der neonazistischen Alt-Right-Bewegung in USA ist, in Deutschland massiv Gegenwind bekommt, sollte sie hier an den Start gehen. Unter dem Hashtag #KeinGeldfuerRechts geht es gegen die Neue Rechte. Hensel hat eine Blacklist erarbeitet mit neu-rechten Seiten, an Hand derer Firmen sich zweimal überlegen könnten, dort Werbung schalten zu wollen. Das Vorbild sind die USA. Dort hat allen voran der Cornflakesriese Kellogg sich bereits gegen Breitbart positioniert.

Im Internet läuft Online-Werbung heutzutage in Echtzeit („Real-Time Advertising“), sprich: Computer berechnen nach bestimmten Parametern, auf welcher Seite welche Werbung am besten ankommt und dann werden Werbeplätze „versteigert“, vollautomatisch. Doch natürlich werden nicht alle Seiten für Werbung genutzt, Blacklists gibt’s schon lange. Jetzt auch Blacklists gegen die Neue Rechte wie Breitbart et al., die die wahren bürgerlichen Bürger Bürger sein lässt. Motto: keine antidemokratische und völkische Hetze, nicht schon wieder.

Never is Now, wie die Anti Defamation League (ADL) in USA unter ihrem neuen Präsidenten Jonathan Greenblatt vor wenigen Wochen in New York City sagte. Die ADL ist die einzige große jüdische Organisation, die sich eindeutig gegen den Antisemitismus und Rassismus von Trump und Breitbart stellt.

Das wirklich Bemerkenswerte oder Paradoxe an der Aktion von Gerald Hensel ist: diese Aktion ist immanent, sie ist kapitalistisch und spielt zudem gerade mit dem anonymen System der heutigen Onlinewerbung, die super schnell agiert, aber auch nicht auf dem direkten Kontakt von Werbekunden und Werbeseite basiert.

Es gibt eine Ironie an der Sache: Man erkennt bei den Werbekampagnen der Firma Scholz & Friends, für die Hensel arbeit, wenn er nicht als Politikaktivist gegen die Neue Rechte aktiv ist, vielmehr einen sehr pro-deutschen Drive, vor allem Stolz auf das deutsche „Handwerk“ („Ich braue kein Bier. Ich verteidige den Ruf Deutschlands“) und auf Mercedes-Benz und viele andere allzu deutsche Marken ist dort angesagt. Das ist Affirmation pur und müsste der stolzdeutschen Achse des Guten eigentlich gefallen.

Das nationale Apriori des unerträglichen, fanatischen, schwarzrotgoldenen Sommers 2006 wird gerade durch solche Werbekampagnen mit evoziert – und ein solcher PR-Fritze ist jetzt gegen den von anderen PR-Fritzen und Normaldeutschen aus der Flasche gelassenen nationalistischen Ungeist. Ohne 2006 keinen Matussek, keinen Sarrazin, kein Pegida und keine AfD.

Aber angesichts eines Neonationalsozialismus, Rechtsextremismus und der Neuen Rechten, von Brexit, Orban und vor allem Trump, dessen Bruder-im-Geiste Putin und den Trumpianern hierzulande kann offenbar auch eine solche Werbefirma ein bürgerlicher Schutzschild vor der extremen Rechten sein. Das zeigt sich an den Aktivitäten Hensels (angenommen dessen politische Einstellung deckt sich an diesem Punkt mit jener von Scholz & Friends), der gleichwohl als Privatperson und nicht im Namen dieser Werbefirma aktiv ist.

Angesichts der vielen Firmen, die auch auf Achgut oder Breitbart etc. Werbung geschalten haben, indirekt via Real-Time Advertising: Ob diesmal tatsächlich das kleine, mittelgroße und große Kapital gegen die Nazis und Neuen Rechten sich einsetzt? Trump  ganz sicher nicht, und ExxonMobil auch nicht.

Doch andere Firmen? So wie Kellogg? In Germany wäre das wirklich mal was Neues. Bürger für die Demokratie und nicht für das dumpfe Danebenstehen, Mitlaufen und Klatschen. Das wäre wirklich neu in diesem Land, jenseits von Lichterkette und Wohlfühlgottesdiensten da anpacken, wo es wehtun kann, vorne reingehen, in den Strafraum, den Sechzehner. Attackieren. Einen Shitstorm riskieren und sich nicht abwenden ins innere, konsumistische oder mallorquinische Exil.

Viele meinen, es sei schon eine Rettung des ach-so-tollen Abendlandes („deutsch-jüdische Symbiose, Auschwitz, Theresienstadt, Majdanek“), das „Wacken der Bürofachangestellten“ (Weihnachtsmärkte) vor der Scharia zu retten und sehen gar nicht, dass einem Isolationisten wie Trump der Jihad in Europa oder der muslimischen Welt völlig egal ist. Schließlich behandeln Islamisten und die Scharia Frauen auf ihre Weise auch nicht schlechter als Trump („grap her by the pussy“).

Oberschlaule sehen in Trump möglicherweise Hegel’s „List der Vernunft“, was der Politologe Lars Rensmann luzide zerpflückt und resümiert: „Die Verharmlosung eines autoritären Bullies zeugt von einer konformistischen Sehnsucht, der starke Mann werde es schon richten.“

Es gibt viele Ähnlichkeiten von Islamisten und Trump(isten), wie der Islamforscher Shadi Hamid analysiert, namentlich das Sich-zum-Opfer-Stilisieren des armen Trump-, Brexit- oder Pegida-Volkes. Täter seien die böse „Elite“, das „Establishment“ oder „die da oben“, in Berlin, D.C. oder Brüssel. Wir kennen das, jeder „besorgte“ Nazi meint, ihm oder ihr sei es nicht erlaubt, seine oder ihre reaktionäre Ideologie kundzutun, weshalb gleich mehrfach pro Woche AfDler oder Pegidisten und ihre Wortführer*innen in den TV-Talkshows sitzen. Sarrazins Agitationsband „Deutschland schafft sich ab“ wurde so massiv unterdrückt und der Autor so sehr isoliert, dass er zum Millionenbestseller wurde.

Die bürgerliche Kritik der antibürgerlichen Reaktion, die bürgerliche Kritik so antibürgerlicher Medien wie Achgut ist was Neues. Der Publizist Michael Miersch machte den Anfang, als der Mitbegründer von Achgut das immer unerträglicher werdende Autorenblog im Januar 2015 endlich verließ.

Diese Kritik wie von Miersch oder heutzutage von Hensel wäre keine Revolution, sondern Konservieren des Bestehenden. Es geht wieder darum eine braune Revolution zu verhindern, das Undenkbare ist denkbar geworden. Also wäre das Konservieren in diesen Zeiten schon ungeheuerlich viel, wenn die Chancen für eine Emanzipation geringer als schwindend sind. Wer heute von der sozialen Frage redet, meint die nationale, also die AfD im Original oder in Kopie (Linkspartei).

In USA wurde die Reaktion und Konterrevolution à la Trump gewählt. Das darf sich in Europa nicht wiederholen. Ein Brexit war schon zuviel. Die Niederlage des FPÖlers Hofer ist wunderbar, aber die Tatsache, dass fast 50% der Wähler*innern in Österreich einen extrem rechten, völkischen Hetzer gewählt haben, bedeutet die absolute Katastrophe für die politische Kultur. Aber die Macht haben die Völkischen in Österreich diesmal eben nicht bekommen. Und in Deutschland geht es darum, alles zu tun, damit die AfD nicht in den Bundestag kommt bzw. mit einem niedrigen Ergebnis. Wer von „völkisch“ redet, von „Schießbefehlen“ an der Grenze und Politiker in seinen Reihen hat, die wie Goebbels das Volk aufwiegeln, ist jenseits des demokratischen Spektrums.

Die heutige zutiefst bürgerliche und deshalb so Erfolg versprechende Medienkampagne von Hensel ist also interessant. Er hat Achgut gar nicht mal auf eine solche Liste bzw. Blacklist für Werbeabteilungen von Unternehmen gesetzt, aber deutlich gemacht, dass Broder und Achgut Multiplikatoren im neu-rechten Diskurs sind. Offenbar hat das nicht wenige Firmen, deren Werbung auch auf Achgut erschien, massiv irritiert, so dass der Mitbetreiber von Achgut, Dirk Maxeiner, einen massiven Kontrollverslust erleidet und das „deutsche Bürgertum“ in Gefahr sieht. Achgut hat Werbekunden verloren und das ist auch gut so. Auch die ähnlich weit rechts wie Achgut stehende Seite „Tichys Einblick“ hat einen Verlust ihrer Werbeeinnahmen zu beklagen.

Dabei ist Achgut gerade Ausdruck und Sprachrohr der antibürgerlichen Internationale und kein bürgerliches Medium, wie Maxeiner fantasiert. Der vulgärste Führer der antibürgerlichen und antiwestlichen Internationale ist Trump. Wer Trump verehrt und schätzt ist zutiefst antibürgerlich und verlässt jeden zivilisatorischen und demokratischen Grundkonsens. Hierzulande wird dieses antidemokratische Spektrum von Frauke Petry, Alexander Gauland oder Björn Höcke und der AfD sowie Pegida, Tichy, oder der Jungen Freiheit repräsentiert. Oder vom Compact Magazin des Ex-Linken Jürgen Elsässer, der bis vor kurzem noch strammer Antiamerikaner war (wie nicht nur Compact-Poster auf der AfD-Demo in Berlin am 7.11.2015 zeigten), aber wenn die Alt-Right im Weißen Haus mit Steve Bannon Einzug erhält, traut der völkisch-deutsche Agitator kaum mehr seinen Augen. Mit Amerika gegen den Westen.

Schon Anfang der 1990er Jahre erkannte der Publizist Eike Geisel Ressentiments gegen Holocausterinnerung wie gegen Amerika. Broder hatte einen Artikel im Spiegel geschrieben (16/93) und Geisel wollte gar nicht wahrhaben, dass dieser deutschnationale Text von seinem alten Freund Broder stammte. Geisel nahm sich also den Spiegel-Autor Broder und dessen deutsche Volksgenossen vor und schrieb in Konkret, Heft 6/1993 (S. 38):

„Für Otto Normalvergaser ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen. (…) Anläßlich der Eröffnung zweier Museen (im Februar 1993 das ‚Museum of Tolerance – Beit Hashoah‘ in Los Angeles und Mitte April das ‚Holocaust Memorial Museum‘ in Washington), die ohne deutsche Vorarbeiten nie entstanden wären, zeigte sich das bekannte Dilemma. Man grollte den Amerikanern und der amerikanischen Judenheit. Die Museen seien antideutsch, das ‚andere Deutschland‘ werde ignoriert; die Nachkriegszeit werde ausgeblendet, die Wiedergutmachung verschwiegen. Doch statt erleichtert darüber zu sein, daß die Museen nicht zeigen, wie das ‚andere Deutschland‘ über die Juden dachte, nämlich gar nicht so sehr viel anders; statt froh zu sein, daß die Museen keine Wendehalsgalerien der Nachkriegszeit enthalten; statt von Herzen dankbar zu sein, daß es dort keine Abteilung mit dem Thema ‚Wiedergutmachung‘ gibt, wo die Pensionszahlungen an alte Nazis mit den Entschädigungen der KZ-Häftlinge verglichen werden; statt also rundum zufrieden zu sein, ignorierte das bessere Deutschland in Gestalt seines Bundespräsidenten die Einweihungsfeierlichkeiten. Zu Recht, schrieb der Spiegel, der meinte, deutsche Politiker hätten dabei mit einem ‚Spießrutenlauf‘ rechnen und sich innerlich ‚ducken‘ müssen.“

Broder wiederum macht sich heute vollends zum koscheren Wortführer der Neuen Rechten, er bedient mit Achgut und seinem eigenen Auftreten den „Code der Neuen Rechten“ und die AfD wird zudem von Anne Will, Sandra Maischberger oder Frank Plasberg vermutlich weit in den Bundestag katapultiert werden im September 2017. Die Achgut-Autorin Vera Lengsfeld kann im Fernsehen bei Sandra Maischberger ungestraft Unwahrheiten behaupten, wie der Medienkritiker und Rechtsextremismusexperte Patrick Gensing kritisierte; Spiegel Online und Stefan Niggemeier analysierten auch andere Mythen und Lügen der Achgut-Autorin wie jene über eine Unterstützung Hillary Clintons im US-Wahlkampf durch die „Clinton Foundation“ oder deutsche Ministerien. Dabei ist alleine schon die Übernahme des Naziwortes „Lügenpresse“ von Maischbergers Team in jener Sendung ein medienpolitischer Skandal. Das Wort ist so angesagt, dass selbst in Washington D.C. die Nazis um Richard Spencer vom National Policy Institute das Wort auf Deutsch verwenden und mit dem Hitlergruß feiern.

Hensel fordert nun Agenturen und Werbefirmen auf, nicht mehr „unpolitisch“ zu sein. Wir leben in sehr krassen Zeiten und wegschauen ist der exakt falsche Weg.

Der Redaktionsleiter Online Frank Zimmer von „Werben und Verkaufen“ (W & V), einem offenbar völlig angepassten bürgerlichen Portal, das aber eben ein Problem mit Agitation und Diffamierung hat (und keineswegs mit spezifisch politischen, rechten Inhalten, by the way!), stellt sich hinter seinen Autor Gerald Hensel. Zimmer schreibt: „Achse des Guten: Wie sich ein Blog zu Tode empört“ und resümiert:

„Und selbst ein geschätzter Kollege, der für die Achse schreibt [Ben Krischke, CH], muss dort persönlich werden:

‚Ich glaube – reine Spekulation! –, dass es ihm (Gerald Hensel, d. Red.) eigentlich darum geht, sich ein wenig zu profilieren und so ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen, die er anderswo ganz doll vermisst. Der Arme‘.

Ich glaube – reine Spekulation! –, dass dieser Sound Werbungtreibende abschreckt. Und nicht die inhaltliche Ausrichtung. Broders gepflegte Aggressivität wirkte in den 90er Jahren noch originell und erfrischend. Heute, im Zeitalter der vernetzten Hysterie, empört er sich und seine Seite zu Tode.“

Broders Kontrollverlust ob der offenbar ausbleibenden Werbekunden ist mit Freud zu analysieren: Nicht seine prospektiven Opfer (die ja auch im Visier der Nazis der Identitären Bewegung sind) werden bald „fertig“ sein, sondern er selbst ist fertig, mit sich und Achgut. In seiner Suada gegen Hensel und die (damit offenbar überhaupt gar nicht in Verbindung stehende) Amadeu Antonio Stiftung heißt es:

„Es sind drei Beispiele, ein Beitrag von Thilo Sarrazin, einer von Gunnar Heinsohn und einer von Vera Lengsfeld. Mehr hat Simone Rafael nicht gefunden. Nicht einmal was Rassistisch-Völkisches von mir. Dafür gibt sie unserer Autorin den Rat, ‚Ihre Zeit in sinnvollere Aktivitäten zu investieren‘, statt Fragen an die Kahane-Truppe zu stellen.

Was mich angeht, kann ich ihr, ihrer ungustiösen Chefin und auch dem genialen Strategen von Scholz & Friends nur einen Rat geben. Seht Euch vor, ihr seid an den Falschen geraten. Euch mache ich, wenn es sein muss, am frühen Morgen fertig, noch bevor ich meinen Hund Gassi geführt habe.“

Wer weiß, wie kritisch Broder früher einmal denken konnte, versteht die idiosynkratischen Abwehrreaktionen auf jedwede Kritik an Deutschland, die dieser wildgewordene stolzdeutsche Kleinbürger seit Jahren schamlos öffentlich zeigt. Es ist auch die Abwehr gegen das Über-Ich, gegen den Broder der 1970er und 1980er Jahre. Broder erträgt es nicht, einmal Broder gewesen zu sein, „Ich liebe Karstadt“[iv].

 

Der Verfasser, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, Chefredakteur des Journal of Contemporary Antisemitism (JCA, Academic Studies Press, Boston, USA), Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Verleger (Edition Critic), Publizist und hat 2006 über die „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ an der Universität Innsbruck promoviert.

 

 

[i] Henryk M. Broder (1978): Deutschland erwache. Die neuen Nazis. Aktionen und Provokationen. Mit Beiträgen von Ossip K. Flechtheim, Heiner Lichtenstein, Warner J. Poelchau, Klaus Thüsing. 3. Auflage, Köln: Lamuv Verlag, ohne Paginierung.

[ii] Altbundespräsident (1974–1979) und Ex-Bundesaußenminister (1969–1974) Walter Scheel (Jg. 1919) war Mitglied der NSDAP und später der FDP wie der langjährige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (Jg. 1927), „FDP soll Nazi-Aufklärung behindert haben“, Spiegel Online, 29.10.2010, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,725900,00.html; – deutsche Karrieren.

[iii] Henryk M. Broder (1980)/1982: Zur Demokratie angetreten – ein Volk macht Dienst nach Vorschrift, in: Lea Fleischmann (1982): Dies ist nicht mein Land. Eine Jüdin verläßt die Bundesrepublik. Mit einem Nachwort von Henryk M. Broder, 4. Auflage, Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 251–272, 255f.

[iv] Henryk M. Broder (1987): Ich liebe Karstadt und andere Lobreden, Augsburg: Ölbaum-Verlag.

©ClemensHeni

Kampf der „Deutschomanie“

Zuerst erschienen auf Heise.de/Telepolis, am 8.10.2016, hier ein Auszug:

 

Die deutsche Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hat ein enorm wichtiges, kritisches und mutiges Buch geschrieben – Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Berlin: Rowohlt, Oktober 2016 –, aufgrund dessen sie jetzt Morddrohungen von ganz normalen „besorgten Bürgern“, ergo: rassistischen Deutschen bekommt. Sie hat deshalb vorübergehend ihren Schuldienst als Islamlehrerin bis nächsten Sommer ausgesetzt.

Kaddor sagt: „Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Lasst uns endlich öffentlich darüber reden.“ (S. 23) Kaddor wurde in Westfalen geboren. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten aus Syrien eingewandert. Sie ist eine junge, weibliche, muslimische Deutsche und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

(…)

Lamya Kaddor hat die großen Linien der politischen Kultur und des Rassismus in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren im Blick. Sie kritisiert die Verharmlosung der AfD-Wähler, die in der Tat häufig von „gruppenbezogener Mensschenfeindlichkeit“ (egal ob man diesen Begriff nun für sinnvoll hält oder eher nicht) geprägt seien. Ja, viel mehr noch, wie Hermann L. Gremliza schreibt („Wir sind ein völkisch Volk“):

„Keiner – bis auf ein paar Freaks und mich, Leute, die allen stolzen Deutschen als bösartig oder verrückt gelten – nennt die AfD, ihre Wähler oder die Pegida, was klingt wie Napola, Nazis.“ (Konkret 10/16, S. 9)

(…)

Kaddor zitiert zwei Textpassagen heran, die beide den Publizisten Henryk M. Broder aufgrund dessen ‚Islamkritik‘ positiv rezipieren und promoten. Beide Zitate sind ganz ähnlich positiv. Das eine jedoch kommt von der (angeblich) antideutschen Postille „Bahamas“, das andere von der NPD Chemnitz. (S. 102) Das ist die neue „Querfront“

Auch wenn Kaddor das nicht zu ahnen vermag: selbst antideutsche Kritiker*innen werden an ihrer Seite stehen gegen die AfD, Broder, Tichy, Pegida und all die neu-rechten, rechtsextremen („rechtspopulistischen“ und von „besorgten Bürgern“ betriebenen) und neonazistischen Netzwerke, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie von weitem die Antifa sehen oder die politische Elite des Landes, die sich jeweils ja gar nicht mögen. Aber der Feind steht rechts und das hat auch ein Norbert Lammert erkannt, auch wenn sein Tonfall immer noch ruhig ist, der Lage nicht unbedingt angemessen.

Wie schreibt Gremliza in seinem Suhrkamp-Band:

„Die Lage des Kritikers korrespondiert mit der Lage der Menschheit vorzüglich. Beide sind hoffnungslos.“ (S. 7)

 

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

 

Der Autor, Clemens Heni (Jg. 1970), hat neben einer Grundausbildung im „Antifaschismus-Komitee Tübingen/Reutlingen“ von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre universitäre Abschlüsse in Empirischer Kulturwissenschaft (B.A.) und Politikwissenschaft (B.A., Diplom) erlangt, 2006 in Innsbruck mit einer Arbeit über die Kritik an der „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ promoviert (Dr. phil, bei Prof. Anton Pelinka), war sodann Post-Doc an der Yale University in USA und gründete 2011 das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) wie auch den Verlag Edition Critic. Er ist Autor von fünf Büchern und vielen Artikeln in Deutsch und Englisch zu Rechtsextremismus, Neuer Rechter, Antisemitismus, politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Holocaust, Kritischer Theorie, Israel und Islamismus.

 

 

2014: Ein Jahr der Klarheit

Die Bundesrepublik zwischen grünem (Hamas) und braunem (HOGESA) Nazismus und dem schwarzrotgoldenen Extremismus der PEGIDA-»Mitte«. 

Mit einem Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?

 

Das Jahr 2014 brachte Klarheit. Eine schreckliche Klarheit. Soviel Antisemitismus, soviel Pro-Hitler und Pro-Holocaust Statements, Hetze gegen Juden und Israel, muslimischen Judenhass, aber auch soviel Islamhass und Rassismus und soviel Deutsch-Nationalismus gab es selten so offen in einem Jahr. Niemand außer den Deutschen kann aufrecht gehen, dafür sind sie Weltmeister, das beliebteste Land der Welt, Angela Merkel wird zwar vom rechten »wir träumen-reden- lachen-und-fühlen-deutsch« Rand der CDU/CSU verabscheut, aber weltweit als führende Politikerin geehrt. Wenngleich Merkel sich in ihrer Neujahrsansprache von PEGIDA explizit abgrenzt, sind ihr weltpolitisches Hin- und Herschwanken, ihre Standpunktlosigkeit und die Affirmation des Bestehenden erfolgreich.

Dabei ist das Bestehende eine Mischung aus deutsch-iranischen Geschäften, sozialer Krise und Kapitalismus in Europa sowie politischen Konflikten über die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zwischen Lobhudelei für Nazis wie den Ukrainer Stepan Bandera, einer Derealisierung der Präzedenzlosigkeit der Shoah und der Stilisierung der Deutschen zu ganz normalen »Opfern« der bösen Nazis (»Unsere Mütter, unsere Väter«), was wiederum gewissen germanophilen Kreisen der weltweiten kulturindustriellen Elite gefällt (»International Grammy Award«).

Jene Kritiker, die 1989 Wi–dervereinigung ohne »e« schrieben, wurden von Helmut Kohl und der SPD, die nicht erst damals die deutsche Hymne anstimmte, diffamiert. Heute geht es so gut wie niemand mehr um eine »Alternative zu Deutschland«. Dafür gibt es die »Alternative für Deutschland« (AfD). Die Mehrheit sei a priori gut drauf, so lautet das Mantra der »Extremismustheorie« vom Schlage Uwe Backes‘, Eckhard Jesses oder Werner Patzelt, wie der Politologe Miro Jennerjahn in Anlehnung an Gesine Schwan analysierte.

 

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?

Der Historiker Peter Viereck (1916–2006) hat in seiner Dissertation 1942 – Metapolitics. From Wagner and the German Romantics to Hitler – gezeigt, dass Deutschland nicht Teil des Abendlandes war beziehungsweise immer wieder antiwestliche »Revolten« hervorbrachte. Seine Doktorarbeit, die bereits 1941 publiziert und von Thomas Mann belobigt wurde, analysiert das antiwestliche Denken der Deutschen. Viereck macht fünf »Revolten« aus, die Deutschland vom Westen trennen. Das macht die Rede von der »Rettung des Abendlandes« gerade in Deutschland oder Dresden so ahistorisch und grotesk. Dabei schrieb Viereck seine Arbeit vor Auschwitz.

 

Die erste »Revolte«: Deutschland, das es natürlich unter diesem Namen damals gar nicht gab, kämpfte als »Germanien« gegen den »römischen Universalismus«, was sich exemplarisch in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 CE zeigte. Heinrich von Kleists »Hermannsschlacht« von 1808 setzte dieser allzu deutschen Schlacht ein literarisches Denkmal. Der Politik- und Literaturwissenschaftler Andreas Dörner hat die »Entstehung des Nationalbewußtseins der Deutschen» am Beispiel des »Hermannsmythos« untersucht. Dabei spielt die »schwarze Fahne« eine wichtige Rolle, da sie »als Zeichen totaler Zerstörung das Ende des Kampfes« anzeigt. Der antirömische Zug Deutschlands zeigte sich auch beim antisemitischen Agitator in Österreich Ende des 19. Jahrhunderts, Georg von Schönerer, der proklamierte: »Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Germaniens Dom«. Für den Nationalbolschewisten Ernst Niekisch war Hitler zu »mittelmeerisch«, er habe als Österreicher ein zu »sonniges Gemüt« und sei quasi »römisch«. Für den Antisemiten Niekisch (»Hitler – ein deutsches Verhängnis«, 1932) stand Hitler nicht rechts, deutsch und preußisch genug da. Auch Niekisch-Jünger wie die »ethnopluralistische«, rassistische Neue Rechte in der Folge von Henning Eichberg sind konsequent antirömisch. Rom steht für »Reich« analog zu den USA heute.

Das steht in direkter Beziehung zu Peter Vierecks zweiter »Revolte« der Deutschen: die Abwehr des Christentums durch die mittelalterlichen Sachsen und der Einsatz des heidnischen »Wotan«. Drittens steht für einen »deutschen Weg« die lutherische Reformation, die ja offenkundig anti-römisch war. Viertens analysiert Viereck die »Revolte gegen das römische Imperium, wie es sich in der westlichen Welt« zeigte. Der deutsche »Sturm und Drang« und die Neoromantiker wandten sich gegen 1789 und Frankreichs Universalismus. Das Ressentiment gegen »zuviel« Vernunft, das Promoten von Gefühlsduselei, Heimat und Ideologeme von Klopstock, Herder, vielen anderen und das »Volkslied«, das bei PEGIDA so beliebt ist wie bei Hansi Hinterseer und den schmalzigen »Volksmusikanten«, die seit Jahrzehnten ein Millionenpublikum bedienen, stehen dafür exemplarisch. Die fünfte »Revolte« war der »radikalste Bruch jemals mit der westlichen Zivilisation«:

der Nationalsozialismus.

Selbst nazistische Termini wie »Lügenpresse« evozieren nicht die Erinnerung an die übelste braun-schwarze, antiintellektuelle, reaktionäre Moderne der völkischen Bewegung, von Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg, sondern lösen Begeisterung aus. Das ist nicht nur Unwissen und Dummheit. Vielmehr ein gewolltes Liebäugeln. Für Cora Stephan ist es lediglich ein »Trick« Nazis bei PEGIDA und ähnlichen völkischen Aufmärschen als solche zu bezeichnen. Kluge »Bürger« wie Lutz Bachmann oder NDR-Autorin Cora Stephan haben hingegen erkannt, dass es bei der Kritik an PEGIDA um ein »Ablenkungsmanöver« handele. Auch Forderungen wie »Deutschland raus aus der NATO«, die auf PEGIDA-Demonstrationen großformatig propagiert werden, stören den neoliberalen, konservativen, angeblich pro-amerikanischen Kurs von Blogs wie Achgut gar nicht.

Henryk M. Broder kokettiert mit dem Extremismus der Mitte, den (nicht nur) ostdeutschen Spießbürgern, den Nationalisten, Rechtsextremisten, Neonazis und Rassisten und Antisemiten von PEGIDA und seine Gefolgschaft wie Matthias Matussek, der Kritiker der völkischen Dresdner Bewegung mit der Hitlerjugend (HJ) vergleicht, Hamed Abdel-Samad, der auch auf Facebook eine »irrationale Angst« der PEGIDA-Kritiker sieht, oder Cora Stephan sekundieren die Agitation gegen »den« Islam oder entwirklichen die rechtsextreme Gefahr. Broder ist blind ob der Teilnahme von antijüdischen Beschneidungsgegnern an den PEGIDA oder HOGESA Aufmärschen – wie Michael Stürzenberger, Bundesvorsitzender von der Kleinstpartei Die Freiheit, oder der großen Website Politically Incorrect (PI) – und schreibt:

»Wenn sich aber eine nationale Einheitsfront formiert, in der die christlichen Kirchen, der Zentralrat der Juden, die Gewerkschaften, das Handwerk, die Arbeitgeber und die üblichen Verdächtigen aus dem Kulturbetrieb Seit an Seit marschieren und alle, die an dieser Prozession nicht teilnehmen wollen, zu Dumpfbacken, Nationalisten, Rassisten, Nazis und einer ›Schande für Deutschland‹ erklärt werden, dann stimmt irgendetwas nicht mit der gelebten Demokratie in unserem Land.«

Wenn Nazis und Nationalisten, die mit Nazi-Vokabular und Deutschlandfahne »Wir sind das Volk« grölen, nüchtern im Gegensatz zu PEGIDAs Zwillingsbruder HOGESA (Hooligans gegen Salafisten), erhebt sich Broders Stimme gegen Kritiker und nicht gegen den rassistischen Mob. Er sieht gar nicht, dass es PEGIDA nicht um die islamistische Gefahr wie aus Iran oder den Judenhass von Islamisten geht. Viele PEGIDA-Aktivisten sind selbst Antisemiten und waren seit 9/11 auf Demonstrationen gegen Antisemitismus und Islamismus nicht zu sehen, und jene wenigen, die kamen, wie mit einer neonazistischen, Anti-Antifa »German Defence League (GDL)«-Flagge, hätten von den Organisatoren pro-israelischer und anti-islamistischer Kundgebungen besser des Platzes verwiesen gehört.

Dabei ist Broders Kritik an der antiamerikanischen Schadenfreude ob des 11. September und der Trivialisierung des Islamismus so aktuell wie zuvor. Denn weiterhin schreiben Altlinke wie der Herausgeber der einzigen linken Publikumszeitschrift in diesem Land, Konkret, Hermann L. Gremliza, im Dezember 2014 über den islamistischen Massenmord im World Trade Center am 11. September 2001 und die islamistischen Enthauptungen, Pogrome und Massenmorde in den letzten Jahren:

»Der Krieg, der seit dem Ende des Kalten geführt wird, spielt sich nicht da ab, sondern dort, wo die USA von Natur aus zuständig sind: weit hinten in der globalen Türkei. Er heißt war on terror und hat eine sechs-, bald siebenstellige Zahl an Menschen jeden Alters und Geschlechts umgebracht. Nicht Menschen im engeren Sinn, versteht sich, um die ein Aufhebens zu machen sich lohnte wie um die drei bis vier in Allahs Namen abgeschlachteten Amerikaner, Briten und Franzosen, die tagelang die Bildschirme füllten.« (Konkret 12/14)

Nach einer knappen Übersicht über weltweite »Sprenggürtel«-»Märtyrer«, »failed states«, »Islamisten und Mörderbanden« von »Nord- und Zentralafrika«, Erdogan, Syrien, Irak, Pakistan, Hindukusch, Hongkong bis hin nach Korea resümiert Gremliza:

»Überall legen die USA Lunten, ziehen sie ›rote Linien‹, stellen Ultimaten, schicken Drohnen, werfen Bomben.«

Dieses perfide, antiamerikanische, den Jihadismus und Islamismus als Phänomene sui generis negierende, delirierende, linke Gerede bekommt im antiwestlichen, die USA dämonisierenden Verschwörungswahnsinn der »Russia Today« / »Friedenswichtel«-Szene um das »Compact«-Magazin und Jürgen Elsässer, der früher als quasi Nachfolger Gremlizas aufgepäppelt worden war, ehe es zum Bruch kam, ein Echo.

Viele, die im Sommer angesichts des Pro-Hitler- und Pro-Holocaust-Gebrülle von (organisierten) Islamisten und (unorganisierten) Muslimen und ihren extrem rechten und linken Freunden schwiegen, sind jetzt lautstarke Kritiker von PEGIDA. Doch warum nur Nationalismus und Rassismus kritisieren und zum Antisemitismus schweigen? Linke zelebrierten mit ihren islamistischen und neonazistischen Kolleg_innen ein antizionistisch-antisemitisches Hassfestival auf den Straßen EUropas.

Was viele in der »Pro-Israel«-Szene sich jedoch weigern zu sehen: es gibt eine zunehmende Zahl von Leuten, die gegen Antisemitismus und Israelhass wie auch gegen PEGIDA, Nationalismus, Rassismus, Agitation gegen »den« Islam und Muslime und Flüchtlinge sich wenden.

2014 war somit ein Jahr der schrecklichen Klarheit: Viele Kritiker des antizionistischen Antisemitismus schweigen nicht nur zu PEGIDA, sondern stimmen in den völkischen Chor gegen Flüchtlinge, Muslime, »den« Islam, »die Lügenpresse«, »die Parteien« und »das System« mit ein, sei es offen, verbrämt oder klammheimlich.

Schließlich haben sich einige Liberale und Linke als Kritiker sowohl des Antisemitismus als auch des Rassismus, Deutsch-Nationalismus und Islamhasses erwiesen.

Wer vom Extremismus der deutschen Mitte und von PEGIDA nicht reden will, soll von der islamistischen Gefahr schweigen.

 

Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, promovierte 2006 über »Ein völkischer Beobachter in der BRD. Die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme am Beispiel Henning Eichberg« an der Universität Innsbruck; 2011 publizierte er die Studie »Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11«, 2013 das Buch »Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism«.

Sozialdemokratischer Antisemitismus: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte im Jahr 2007

Zuerst publiziert auf www.hagalil.com am 10.09.2007

 

Kritik am Antisemitismus ist nicht beliebt. Klar, bis 1945, unter den Nazis, da gab es irgendwie Judenfeindschaft. Dagegen sind fast alle. Aber seitdem? Sind die Juden jetzt nicht wirklich mächtig, haben einen Staat und eine große Armee? Wurde nicht aus den Opfern ein ‚Täter‘, so böse das klingen mag? Sind nicht gerade ‚wir Deutschen‘ aufgefordert dem Einhalt zu gebieten und diesmal auf der richtigen Seiten zu stehen, jener der ‚Opfer‘, also der Palästinenser bzw. der Araber und Muslime? Ist nicht eine gleichsam „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ am Werke, die sowohl ökonomisch schlechter gestellte Leute, als auch Obdachlose, Frauen, Homosexuelle, Muslime („Islamophobie“) oder auch Juden gleichermaßen diskriminiere? Wieso wollen die Juden immer eine ‚Extrawurst‘ sein und weigern sich mit den genannten vergleichsweise harmlosen ‚Diskriminierungsfacetten‘ in einen großen Topf geworfen zu werden? Wieso reagieren viele Publizisten oder Wissenschaftler so allergisch, zumal im neuen Deutschland, wenn es um das Spezifische am Antisemitismus geht?

Im folgenden wird eine antisemitische Rezension in einer der bekannten sozialdemokratischen Theoriezeitschriften untersucht und jenes abgewehrte Buch neu gelesen und besprochen. Ich hatte eine Professorin für Soziologie an einer bundesdeutschen Universität angefragt, ob sie meine Dissertation[i] rezensieren wolle. Da in meiner Studie der Antizionismus wie auch der Antiamerikanismus nicht nur nach 9/11 kritisiert werden[ii], könnte sich mit einer Rezipientin eine interessante Diskussion ergeben, hoffte ich. Die Professorin[iii], Expertin in Sachen ‚Rassismus‘, ‚Nationalismus‘ etc., welche mir schrieb, dass sie „beeindruckt“ von der „Fülle des Materials und der Analysen“ meiner Studie sei, wollte eigentlich in dem sozialdemokratischen Hausblatt Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte die Rezension unterbringen.

Die jedoch sei skeptisch, da vor kurzem eine dort publizierte Rezension für Wirbel gesorgt habe und der Chefredakteur bzw. die Redaktion besonders alarmiert seien. Die Rezension könne sie jedoch auch für eine andere Zeitschrift schreiben. Um diese (mögliche) Besprechung geht es mir jedoch gar nicht. Das ist lediglich der Aufhänger für etwas ganz anderes. Denn was für ‚Wirbel‘ in der NG/FH ist gemeint? Was für eine Rezension? Die Soziologin schrieb mir folgendes:

„Zum Konflikt in der NG/FH folgendes: in H 6-2007 hatte der Journalist Rudolf Walther eine recht israelkritische Rezension zu einem Sammelband geschrieben. Daraufhin kam großer Protest von Arno Lustiger (…).“

Was mag „recht israelkritisch“ heißen? Es handelt sich um den Band Neu-alter Judenhass. Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik.[iv] Die Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte ist die einzige renommierte sozialdemokratische Theoriezeitschrift. Sie wird im Namen der Friedrich-Ebert-Stiftung von der SPD-Politikerin Anke Fuchs, dem Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), Klaus Harpprecht, dem langjährigen Professor für Geschichte in Bielefeld bzw. der FU Berlin und Präsidenten des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung Jürgen Kocka[v] sowie dem Chefredakteur Thomas Meyer, zugleich Professor für Politikwissenschaft an der Universität Dortmund, herausgegeben.

Ein Blick in den Redaktionsbeirat ist auch interessant. Dort sitzen neben Tissy Bruns, Frank Benseler, Iring Fetscher, dazu der jungdeutsche Protagonist eines Kampfes gegen den amerikanischen „Freiheits-Bolschewismus“[vi], Eckhard Fuhr, die Historikerin Susanne Miller, Sigmar Mosdorf, Wolfgang Thierse, Herfried Münkler (Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität) und einige andere. Das zeigt den bemerkenswerten Einflussradius in Politik, Wissenschaft, Forschung, Publizistik, Partei (SPD) und Gesellschaft dieser monatlich erscheinenden Zeitschrift. Es ist also kein linkes Miniblatt, bei dem es sinn- und nutzlos wäre die Ressentiments monatlich, täglich oder wöchentlich alle einzeln zu sezieren. Doch eine solche mainstream-Zeitschrift verdiente es schon einmal exemplarisch untersucht zu werden. Rezensionen zumal haben einen durchaus exponierten Gehalt in NG/FH, da es pro Ausgabe nur wenige gibt.

Die hier in Frage stehende Rezension macht schon im Titel deutlich, worum es ihr geht: „Rhetorik des Verdachts. ‚Neu-alter Judenhass. Ein Sammelband von Klaus Faber u.a. macht es sich sehr einfach“.[vii] Der erste Satz wiederum versetzt den Rezensenten in den Stand eines Opfers der Verhältnisse:

„Wer sich mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt, betritt nicht nur vermintes Gelände, sondern bewegt sich auch in einem ideologisch vergifteten Klima.“[viii]

Weder Titel der Buchkritik noch der erste Satz lassen ahnen, dass es sich hier um seriösen Journalismus handelt. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Texte in einer Zeitschrift wie NG/FH gewiss nicht nur einmal kurz überflogen, vielmehr gründlich redigiert werden, wird es noch beachtlicher. Fast schon ironisch ist es, dass zumindest einer der Herausgeber des rezensierten Bandes, Klaus Faber, ein der Sozialdemokratie höchst aufgeschlossener Politiker ist, der auch selbst schon öfters in NG/FH geschrieben hat.

In geradezu zynischer Diktion stellt Rezensent Walther die Frage, ob es Zufall sei, dass die Berichterstattung über Israel so schlecht sei:

„Soll die ARD-Tagesschau über Heirats- und Schulfeste in Israel berichten, um das von einer rechtsradikalen, gelegentlich rassistischen Politik heruntergewirtschaftete Image des Landes aufzumöbeln oder über das, was tatsächlich und tagtäglich geschieht in den besetzten Gebieten?“[ix]

Demokratisch gewählte Politiker wie Ehud Olmert oder Zipi Livni werden als „rechtsradikal“ denunziert um Israel per se ein „heruntergewirtschaftetes Image“ anzuheften. Von der NPD oder den linksextremistischen Antizionisten vom Schlage der Nationalbolschewisten der jungen Welt ist man das gewöhnt. Doch in einer seriösen Zeitschrift einen völlig argumentationslosen Diffamierungsschwall gegen Israel lesen zu müssen, das ist einmal mehr bemerkenswert. Dass Walther den Politikwissenschaftler Lars Rensmann so wenig leiden kann wie den Journalisten Tobias Kaufmann oder den Wissenschaftler Yves Pallade, mag an seiner grundsätzlichen Weigerung liegen, Kritik am Antisemitismus nicht 1945 aufhören zu lassen. Fast schon komisch wird es, wenn Walther zentrale Begriffe der modernen Politik- und Sozialwissenschaft bzw. der Zeitgeschichte in puncto Antisemitismusforschung, als ‚Erfindung‘ abtut, ja so tut, als ob diese Begriffe völlig unbekannt seien:

„Keiner der Autoren gibt sich die Mühe, etwas präziser zu beschreiben, was ‚Neu-alter-Judenhass‘ oder hybrid-spekulative Konstrukte wie ‚Schuldabwehr-Antisemitismus‘, ‚medialer Sekundär-Antisemitismus‘ bedeuten.“[x]

Seit Adornos Studie Schuld und Abwehr aus dem Jahr 1955 haben sich einige Studien mit dem Schuldabwehr-Antisemitismus, dem sekundären Antisemitismus nach Auschwitz beschäftigt. Solche Analysen haben Sozialdemokraten und ihre Theorieorgane offensichtlich weiträumig gemieden. Ja, mehr noch: wie Schuldabwehr-Antisemitismus funktioniert, wie Amerikanern (‚Bush denkt so wie Hitler oder Bin Laden‘), Engländern (‚Bomben-Holocaust‘), Russen, Tschechen, Polen (‚Vertreibungs-Holocaust‘), Israelis und Juden (‚Holocaust an den Palästinensern‘, wie die linksradikale Zeitschrift iz3w schon 1982 schrieb) oder Franzosen (‚1789 und der Gleichheitswahn bzw. die Erfindung ‚der Menschheit‘ sind Schuld an Auschwitz‘) die deutsche Schuld an den präzedenzlosen Verbrechen pathisch projektiv zugeschrieben wurde und wird, das zeigt Rudolf Walther selbst exemplarisch.

Die Bedeutung Walthers für NG/FH wird dadurch untermauert, dass er einen weiteren Artikel in der gleichen Ausgabe von Juni 2007 schreiben kann, in dem es heißt:

„Ein Kapitel für sich sind jene 68er, die längst in die warmen Stuben des juste milieu und des gemütlichen Konformismus zurückgekehrt sind. Sie denunzieren jetzt Kritik an der israelischen Besatzungspolitik in Palästina als ‚Antisemitismus‘, sie verdammen Kritik an kapitalistischen Strukturen als Vorstufe zum Terrorismus, sie halten Muslime für potentielle Mörder, und sie sehen im Protest gegen völkerrechtswidrige Kriege den ‚Antiamerikanismus‘ am Werk. Diese Helden sind ihrem primitiven, an Carl Schmitt orientierten Freund-Feind-Schematismus treu geblieben, sie haben nur die Vorzeichen ausgetauscht – was sie früher kritisch sahen, affirmieren sie heute – umgekehrt umgekehrt.“[xi]

Der Realitätsverlust Walthers, der sich darin ausdrückt, dass er das existenziell bedrohte und zuletzt 2006 von der islamistischen Hezbollah angegriffene Israel wiederum pathisch-projektiv zum Aggressor stempelt und ein imaginäres Land herbeihalluziniert („Palästina“; es gibt bekanntlich völkerrechtlich solch ein Land nicht und er kokettiert damit auch mit dem beliebten antizionistischen Sprachspiel unter ‚Besatzung‘ die bloße Existenz Israels zu meinen und nicht nur die tatsächliche Besatzung im Westjordanland), ist offenkundig. Auch hier möchte er einen Nazi, Carl Schmitt, als Freund heutiger Antisemitismus- und Antiamerikanismuskritiker herbeireden. Dass Schmitt Pate heutiger Amerika- und Judenhasser ist, fällt unter den SPD-Tisch dieser Zeitschrift.

Die Geschichte geht weiter: jene Soziologin, die mein Buch rezensieren will, schrieb mir also, eine „recht israelkritische“ Rezension sei in den NG/FH erschienen und die Redaktion sei „vorsichtig“ geworden. Immerhin musste das Blatt in der folgenden Nummer, Juli 2007, eine längere, gleichwohl gekürzte und teils entkontextualisierte Kritik an der Walther-Buchkritik von Arno Lustiger abdrucken.[xii] Wie teilt mir die arrivierte Wissenschaftlerin diesen Sachverhalt mit?

„Daraufhin [auf die Rezension von Walther in NG/FH] kam großer Protest von Arno Lustiger, einem schon recht betagten jüdischstämmigen Publizisten aus Frankfurt.“

Dazu kommt noch der Hinweis, Lustiger habe lediglich als „Strohmann“ gehandelt, da irgendein namentlich nicht genannter Mensch irgendwie böse sei auf die NG/FH, weil dessen Artikel mehrfach abgelehnt worden seien und jetzt Lustiger gleichsam lospoltere. Besonders abstrus ist natürlich die Verwendung von „jüdischstämmig“. Offenbar gehört die Soziologin zu jenen Deutschen, die immer noch oder schon wieder ein Problem damit haben einen Juden Juden zu nennen. Noch abstruser wird dies, als die Soziologin in meinem Buch die scharfe und häufige Kritik des Stammesdenkens der Neuen Rechten hätte lesen können.[xiii] Arno Lustiger wird als „recht betagt“ – was hat das mit der analytischen Kraft seiner Kritik zu tun? – , „jüdischstämmig“ und „Strohmann“ tituliert.

Bevor ich mich weiter dem kleinen e-mail-Wechsel mit der Soziologin widme, sei ein intensiverer Blick in diesen vom sozialdemokratischen Zentralorgan NG/FH inkrimierten Band geworfen.

Die Beiträger sind sehr vielfältig und für eine deutschsprachige Publikation zum Thema ‚Nahost-Konflikt‘ und Antisemitismus bemerkenswert. So schreibt darin der Nationale Direktor und Vorsitzender Der Anti-Defamation League (ADL) Abraham H. Foxman, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Dieter Graumann, Journalisten des Kölner Stadtanzeigers (Tobias Kaufmann), der taz (Philipp Gessler), Yedioth Achronoths (Eldad Beck), Rabbi Andrew Baker, Direktor der Abteilung für Internationale Jüdische Angelegenheiten beim American Jewish Committee (AJC), Staatssekretäre a.D. wie Klaus Faber oder der langjährige Diplomat Israels, Mordechay Lewy, Fernsehleute wie Georg M. Hafner und Esther Schapira vom Hessischen Rundfunk, der Nahost-Korrespondent Ulrich Sahm, der kürzlich von der Universität Göttingen im Fachbereich Politikwissenschaften hinausgeekelte, weltweit renommierte Politologe und Islamwissenschaftler Bassam Tibi, die Politikwissenschaftler Lars Rensmann, Yves Pallade, Matthias Küntzel und Wahied Wahdat-Hagh, der Bundestagsabgeordnete und außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Gert Weisskirchen oder auch aktive bzw. ehemalige FDP-PolitikerInnen wie der aktuelle Berliner Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Markus Löning bzw. Katrin Kemmler. Das sind noch nicht alle Beiträger, aber diese Aufzählung mag Beweis sein für das vielfältige, kontinent- , disziplinen- und generationenübergreifende Spektrum der Beteiligten an diesem Sammelband zu aktuellen Fragen des Antisemitismus.

Das lavierende und zumeist höchst anstrengende deskriptive Verharren in Äquidistanz, von unverhohlener Freude ob des neu entfachten Antisemitismus ganz zu schweigen, wie es viele Bücher zum Thema ausmacht, wird von den 30 Artikeln und 31 AutorInnen zumeist gekonnt durchbrochen. Dabei sind die Beiträge ziemlich unterschiedlich in Länge und Stil, essayistisch, wissenschaftlich oder journalistisch. Aufgeteilt ist der Band in drei große Abteilungen, „Deutsche Medien und der Nahostkonflikt“, „Islamischer Antisemitismus in Nahost und Europa“ und „Perspektiven“. Das Buch ist außen schön aufgemacht in den Farben Blau und Weiß, in Hardcover, innen mit recht angenehmem Satzspiegel, wenngleich ohne goldenen Schnitt, mit übersichtlichen Kopfzeilen mit jeweiligen Autorennamen und Aufsatztiteln. Für 24,90 € ist das Buch bei dieser Ausstattung vergleichsweise günstig. Interessant sind die ausführlichen biographischen Angaben zu den Autoren, sehr wichtig ist die Dokumentation im Anhang III der Hamas-Charta in englischer Übersetzung. Dort kann jede und jeder Interessierte die antijüdische Basis, wie sie in der Charta am 18. August 1988 von der Terrororganisation beschlossen wurde, nachlesen. Da das Buch vor der militärischen Übernahme der Macht im Gazastreifen durch die Hamas erschienen ist, ist der Weitblick der Herausgeber, dieses Dokument einer womöglich größeren interessierten Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, auffallend.

Yves Pallade kritisiert den Antizionisten Ludwig Watzal, der immer noch ein Mitarbeiter der weit verbreiteten Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte ist. Watzal hatte bezüglich der Verhandlungen von Palästinensern und Israelis in Camp David im Jahr 2000 von einem „palästinensischen Versailles“ gesprochen. Dazu Pallade:

„Denn wenn die von Watzal als für die Palästinenser ungerecht wahrgenommenen Verhandlungen einem ‚Diktatfrieden‘ à la Versailles entsprechen, wie er auch von deutschen Nationalisten häufig als Ursache für den Aufstieg des Nationalsozialismus, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und in letzter Konsequenz auch die Shoah angeführt wird, dann erscheint nicht nur das Ausbleiben eines Friedensschlusses im Nahen Osten, sondern auch die fortwährende antisemitische Hetze in der palästinensischen Öffentlichkeit und der Terrorismus als verständlich, zumal der Versailler ‚Schmachfrieden‘ selber gerne auf gegen Deutschland gerichtete jüdische Machenschaften zurückgeführt wird. Der Nationalsozialismus in all seinen Implikationen wird demgemäß zur logischen – gar zwingenden – Folge der harten Politik der Sieger des Ersten Weltkriegs gegenüber den Deutschen.“[xiv]

Treffend ist der Verweis auf den ubiquitären Vergleich von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, welchen er mit Bezug auf Henryk Broders Hinweis abschmettert, dass diese beiden Idiome „’so viel miteinander gemeinsam haben wie Äpfel und Birnen'“.[xv] Kritisch ist ebenso der Beitrag von Rolf Behrens, der u.a. den Spiegel seziert und dessen langjährigen, konstanten und gern goutierten Antisemitismus dechiffriert. 1981 hat der Spiegel die Zerstörung eines irakischen Atomreaktors durch israelische Kampfjets grotesk umgedreht und das nicht als Aktion gegen einen geplanten zweiten Holocaust des bekanntermaßen judenfeindlichen Baath-Regimes in Bagdad, vielmehr als „‚Entwicklung, die in einem größeren Holocaust enden könnte: dem Atomtod durch Millionen…‘, interpretiert.“[xvi]

Lars Rensmann analysiert sogenannte „politisch-kulturelle Gelegenheitsstrukturen antisemitischer Ideologeme“[xvii], sieht Parallelen von rechts und links und entdeckt auch über die Grenzen hinweg eine europäische antijüdische Publizistik, wie er an Beispielen der Süddeutschen Zeitung, welche raunte, ob nicht „‚der Zionismus der wahre Feind der Juden'“ sei, Le Monde, El Pais, wo ein Cartoon den damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon mit Hitler-Bart ‚kostümierte‘ oder die italienische La Republica, welche 2001 „auf ihrer Website die antisemitischen ‚Protokolle der Weisen von Zion‘, ohne jegliche historische Erklärung“ abdruckte, um gegen den War on Terror zu agitieren, untermauert.[xviii] Ulrich Sahm untersucht[xix] wie Agenturen, Journalisten und Zeitungen Berichte verfassen, Überschriften Sinn entleeren bzw. in Kontrast zum Text der Meldung setzen und ähnliches mehr.

Luzide zeigt er, dass häufig eine israelische Militäraktion vermeldet wird, ohne die Ursache zu benennen bzw. diese herunterspielend. Unterm Strich bleibt Israel der Angreifer, auch wenn es in Wirklichkeit nur auf einen Mordanschlag von palästinensischen Terroristen reagiert hat. Oft werden Palästinenser „getötet“ während Israelis als lediglich irgendwie „tot“ in der Presse erscheinen:

„Dann stellt sich die Frage, wieso manche Berichte so eigentümlich verstellt sind und wieso in der Überschrift fast durchgehend die Israelis aktiv töten, extrem selten aber die Palästinenser. Wenn Palästinenser töten, dann erscheint in der Überschrift im Passiv ‚Israelis wurden getötet‘, ohne zu erwähnen von wem. Und im Text findet man gelegentlich Formulierungen wie ‚mutmaßliche Extremisten‘ hätten geschossen oder eine Bombe gelegt. Das ‚mutmaßlich‘ bei ‚Extremisten‘ legt nahe, dass sich vielleicht auch ‚Gemäßigte‘ im Bus oder im Restaurant in die Luft sprengen könnten.“[xx]

Esther Schapira und Georg M Hafner ergänzen diese Medienkritik, wenn sie erwähnen, dass nach der gezielten Tötung des Massenmörders Scheich Jassin, der die Ermordung von mindesten 377 Israelis zu verantworten hat, deutsche Medien ihn verharmlosten, als Opfer stilisierten, das im Rollstuhl hilflos gesessen habe und der ach so nette Scheich lediglich „Hamas-Gründer“ (Der Spiegel) und kein Mörder gewesen sei.[xxi] Ein weiteres äußerst aufschlussreiches Beispiel liefert Katrin Kemmler in einer sprachwissenschaftlichen Analyse eines Ausspruchs Winston Leonard Spencer Churchills.[xxii] Er stellte sich in den1930er Jahren u.a. die Frage, was denn gegen die jüdische Einwanderung nach ‚Palästina‘ sprechen würde.

Vom Recht der Juden auf ein Land ganz abgesehen, was spräche gegen Einwanderung, wenn sie dieses karge, wüste Land fruchtbar machten, seien doch sogar die Araber Gewinner. Diese jedoch verweigerten sich aggressiv, wie ein Hund, der Esel und andere Tiere nicht an eine Futterkrippe herankommen ließe, obwohl er doch Heu gar nicht selbst essen würde! Das ist die Umschreibung eines in der englischen politischen Kultur bekannten Sprichwortes „the dog in the manger“ – „der-Hund-in-der-Krippe-Politik“. Kemmler zeigt wie dieses Wort eine lange Reise angetreten hat, verdreht wurde und heute z. B. in Büchern palästinensischer Frauen auftaucht, wo ein Oskar Lafontaine im Nachwort die Palästinenser in den Worten eben Churchills als ‚Hunde‘ vorstellt, die kein „unwiderrufliches Recht auf den Futtertrog“ hätten.[xxiii]

Bei Lafontaine und einer ganzen Kompanie von Sprachverdrehern, welche eine „Churchillphobia“ begründen und von Clive Ponting, ehemaliger Berater im britischen Verteidigungsministerium, über den Holocaust-Leugner David Irving bis hin zum jüdischen Antisemiten Norman Finkelstein und der indischen Antiamerikanerin und Antizionistin Arundhati Roy reicht, wird also eine Metapher zu einer rassistischen, menschenverachtenden Ideologie Churchills.[xxiv]

„In England setzte sich der ‚dog in a manger‘ besser durch und wurde zu einer bis heute verwendeten Metapher vor allem in der politischen Auseinandersetzung. Die ‚Hund-in-der-Krippe-Politik‘ wird bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Beispiel für grammatikalisch verkürztes, modernes Englisch aufgeführt. (…) Der spätere Literaturnobelpreisträger Churchill hatte sich also einer Tiermetapher bedient, die auf einer von Aesops Fabeln beruht. Für seine Worte eignet sich weder der Neidhammel noch der Spielverderber, denn er meinte mit diesem Vergleich, dass die palästinensischen Araber den Juden etwas verwehrten, von dem sie selbst keinen Vorteil hätten.“[xxv]

Kemmlers Analyse ist ein Meisterstück kritischer Sprachwissenschaft, ein Text der jedem Lektor und jeder Übersetzerin als Lektüre dringend empfohlen sei.

Ein ganz anderer Punkt kommt in dem Sammelband auch zur Sprache; kurz möchte ich deshalb auf eine Bemerkung von Klaus Faber eingehen, der en passant in seinem Beitrag; wo es um das „was tun“ gegen heutigen Antisemitismus geht, feststellt, dass in den Exil-Berichten der SPD ab 1933 Antisemitismus keine Rolle spielte, da er nur als „Begleiterscheinung von Kapitalismus“ wahrgenommen wurde.[xxvi] Wohl wahr.

Fabers Kurzschluss jedoch, die „deutschen Sozialdemokraten waren während der hitlerdeutschen Zeit in ihrer großen Mehrheit (…) wenigstens keine Antisemiten“[xxvii] ist schwer haltbar. 1.) Allein die Analyse des Polizeibataillons 101 durch Daniel Goldhagen zeigt, dass ganz normale, auch der in Hamburg traditionell starken Sozialdemokratie verpflichtete deutsche Polizisten am Holocaust aktiv mitgemacht haben.[xxviii] 2.) Bei der ‚Arisierung‘ waren bekanntlich alle Teile der nicht-jüdischen deutschen Gesellschaft wie im volksgemeinschaftlichen Rausch insgesamt aktiv dabei. Lediglich danach zu schauen, welche SPDler zur NSDAP übergetreten sind, ist wenig analytisch und stichhaltig. Zurückhaltung mit apodiktischen Einschätzungen bezüglich linken Antisemitismus’ im Nationalsozialismus – und nicht nur dort – ist ein Gebot der Stunde. Dabei ist 3.) wichtig die politisch-kulturellen Fäden der Weimarer Republik in puncto Antisemitismus und Linke zu verfolgen und auch hier nicht per se davon auszugehen, die Sozialdemokraten oder – noch schlimmer – die Kommunisten und alle anderen Linken seien nicht antijüdisch gewesen. Bisherige Forschungen in dieser Richtung beweisen eher das Gegenteil.[xxix]

Bei Konservativen, Rechten und auch Liberalen wird diese ‚Vorsicht‘ bzw. a-priori-Exkulpation ja zurecht auch nicht gelten gelassen. Sehr richtig hingegen ist Fabers Verweis auf das „Zusammenspiel von deutschem Schuldabwehr- und arabisch-islamischem Antisemitismus“.[xxx] Am Beispiel der Beziehungen der Europäischen Union und der Palästinensischen Autonomiebehörde veranschaulicht Ilka Schröder nachdrücklich, wie enorm die PA von der EU profitierte, und zwar gerade zur Zeit der zweiten Intifada seit Herbst 2000. Allein in der Zeit 2000 bis 2003 erhielt die PA mehr als 945 Millionen Euro, nationale Extrazahlungen noch nicht einberechnet.[xxxi] Schröder analysiert die Ideologie der Road Map und des mainstream-deutschen bzw. europäischen Blicks auf Nahost wie folgt:

„Die der ‚Road-Map‘ zu Grunde liegende Ideologie ist vollständig europäisch. Sie betrachtet den aggressiven Nationalismus und Antisemitismus auf palästinensischer Seite als Folge der Politik Israels und verbreitet die alberne Überzeugung, zum Frieden in Nahen Osten fehle nichts als ein bisschen guter Wille, ein bisschen Vertrauen und ein eigenen Staat Palästina.“[xxxii]

Dieser Text korreliert mit einem Aufsatz Matthias Küntzels, der jene ‚Road-Map‘ als deutsches Projekt analysiert.[xxxiii] Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröders Weigerung bei einem Gespräch mit Jassir Arafat am 1. November 2000 klipp und klar zu sagen, dass weitere Zahlungen an die PA mit einem Kampf gegen palästinensischen Terror und antisemitische Propaganda aus der PA, ihren Schulbüchern, Fernsehanstalten, Moscheen gekoppelt sind, war ein Zeichen, zu Beginn der zweiten Intifada: weiter bomben, hetzen und morden, die Deutschen honorieren das. Gerade Ex-Außenminister Joschka Fischer wird als lediglich rhetorisch gewandter untersucht denn seine Kollegen in Europa. Auch er unterstützte mit seiner Außenpolitik die militanten Palästinenser in Hamas, Hezbollah oder Islamischem Djihad, deren Namen z. B. in allen 54 Presseerklärungen, welche das Auswärtige Amt zwischen Januar 2001 und August 2003 zum Nahostkonflikt herausgab, selbstredend nicht auftauchten.[xxxiv]

„Während die USA den Waffenstillstand zur Vorbedingung jeder Friedenslösung machen (und die Zerschlagung des islamistischen Terrors zur Voraussetzung jedweder palästinensischer Staatlichkeit), sieht es die deutsche Politik gerade umgekehrt.“[xxxv]

Dem unreflektierten Nachplappern der neuen Lieblingsvokabel „Islamophobie“, welche ein Propagandainstrument des politischen Islam aus dem Iran ist und heute weltweit gerne eingesetzt wird, durch Cem Özdemir[xxxvi] stehen substantiellere und sinnvollere Analysen der beiden Wissenschaftler Mohammed Schams und Wahied Wahdat-Hagh gegenüber:

 „Wie groß der Konsens des muslimischen Antisemitismus ist, sollen folgende Beispiele zeigen: Mohsen Kadiwar, ein Reformislamist, der mit Menschenrechten argumentiert und selbst eine Zeitland im Gefängnis der Islamischen Republik Iran gesessen hat, weil er die ‚rote Linie‘ der Diktatur überschritten hatte, verteidigte islamische Selbstmordattentäter als Widerstandskämpfer, die Märtyreraktionen durchführten“.[xxxvii]

Der Holocaustüberlebende Abraham H. Foxman befasst sich mit islamischem Antisemitismus.

„Das Leben war für Juden unter islamischer Herrschaft nicht so grausam wie im christlichen Europa. Doch es war auch niemals so frei von Verfolgung, wie es dies in den USA oder in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg ist. Das historische Protokoll belegt, dass islamische Gesellschaften die Vorstellung von Juden als einer tolerierten Minderheit mit gewissen Rechten und Pflichten akzeptieren können. (Allerdings ist dieser Gedanke für manche Schulen islamischen Denkens, wie z. B. den Wahhabismus, schon zu viel des Guten.) Doch was nicht akzeptiert wird, ist der Gedanke, dass Juden die gleichen Rechte wie Muslime haben oder dass Juden ihre Souveränität in Form einer Nation legitim durchsetzen können.“[xxxviii]

Ähnlich stellt auch Yigal Carmon fest, dass der Islam womöglich toleranter als das christliche Mittelalter Europas gewesen sei, aber eben nur im Vergleich, nicht als positive Toleranz auf Augenhöhe. Es ist zu konstatieren, dass der Islam „auf der privilegierten Überlegenheit der wahren Gläubigen in dieser wie auch in der nächsten Welt“ beharrte.[xxxix] Drei Kernelemente sind für Foxman für den „modernen arabischen Antisemitismus“ auszumachen. Erstens die Propaganda der „großen Lüge“, welche die ungeheuerlichsten Unwahrheiten über Juden verbreitet. ‚Vorbild‘ für die Islamisten ist implizit oder auch explizit NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.

Der zweite Punkt korreliert damit und beinhaltet die Holocaust-Leugnung. Drittens ist schließlich das massenhafte Auftauchen der gefälschten ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ im arabischen (und allgemein muslimischen) Raum zu nennen. Foxman verweist auf große 41-teilige Serien wie ‚Ritter ohne Pferd“, welche im ägyptischen, syrischen oder auch libanesischen Fernsehen 2002 ausgestrahlt wurden, die als Vorlage diese Lüge von der Weltverschwörung der Juden haben. Ähnlich hetzerisch sind Serien, die das „Blutritual“ darstellen, einem bekannten Topos auch europäischen Judenhasses.

„Gleichzeitig wird man mit einer schwierigen Wahrheit konfrontiert, wie der arabische Journalist Abdel Rahman al Rashed nach den Gräueltaten von Beslan im Jahr 2004 aufzeigt: ‚Es ist eine sichere Tatsache, dass nicht alle Muslime Terroristen sind, doch es ist genauso sicher und außergewöhnlich schmerzhaft, dass beinahe alle Terroristen Muslime sind.'“[xl]

Man muss der These, dass Judenfeindschaft fast ausnahmslos Import aus Europa bzw. dem Westen sei, wie sie Bassam Tibi[xli] in Anschluss an seinen Lehrer Bernard Lewis formuliert, keinesfalls zustimmen, um seine Analyse des islamistischen Ideologen Sayyid Qutb als sehr interessant zu erkennen. Qutbs Hetzschrift „‚Ma’rakatuna ma’a al-Yahud/Unser Kampf gegen die Juden'“ ist heute zu einem zentralen Anker islamischen Antisemitismus’ geworden. Zugleich verweist Tibi auf die geradezu tragische Ironie, dass es häufig jüdische Historiker waren, welche das sog. „Cordoba-Modell“ der Zeit um 1000 als Zeichen eines eher judenfreundlichen Islam, geprägt haben und gerade antizionistische Apologeten des politischen Islam wie Edward Said dieses Faktum schlicht unterschlagen.[xlii] Sehr wichtig ist das Résumé von Tibi:

„Die Herrscher des saudischen Hauses sind klüger als der neue iranische Staatspräsident Ahmadinedschad und unterlassen jede Aggressionsrhetorik; sie sprechen nicht aus, was Ahmadinedschad gewagt hat zu äußern, wenngleich sie über die Juden und Israel so denken wie er. Das ist nicht mehr der berüchtigte Import aus Europa, den Bernard Lewis anspricht, sondern der neue Antisemitismus, der leider zu einer in der Welt des Islam verbreiteten Ideologie geworden ist.“[xliii]

Eldad Beck geht in seinem knappen, aber umso anregenderen Beitrag einen Schritt weiter und exkulpiert nicht per se den Islam von Judenfeindschaft.[xliv] Drei Fragen stellt er sich. Erstens ob der Antisemitismus im islamischen Raum ein neues Phänomen sei. „Nein“, antwortet Beck, denn der „Prophet Mohammed hat den Juden in Arabien nie verziehen, dass sie nicht zum Islam übertreten wollten“.[xlv] Zweitens die Frage, ob „Juden von Muslimen wirklich nie verfolgt“ worden seien:

„Mohammed haben wir schon erwähnt, aber es gibt auch genug Fälle in der modernen Geschichte. Pogrome gab es zum Beispiel in Tetuan, Marokko im Jahre 1790, in Mashdad, Iran 1839, in Bagdad, Irak 1828 und danach auch dort den von den Nazis inspirierten Pogrom im Jahre 1941. Pogrome gab es auch in ‚Palästina‘ – in Hebron, in Safed, in Jerusalem – vor der Gründung Israels.“[xlvi]

Beck sieht eine direkte Beziehung von erstarkendem Antisemitismus und einem „Pro-Islamismus“ im heutigen Europa. Dem schliesst sich Mordechay Lewy[xlvii] an, dessen Verteidigung des Philosophen Jacques Derrida, der angeblich von links und rechts häufig missverstanden wurde, zwar nicht sehr überzeugt, jedoch die Kritik am europäischen Versagen vor allem nach 9/11 maßstabsetzend sein wird. So spricht Lewy vom „Zeitalter der postmodernen Unvernunft im Westen“ und geißelt die unfassbare Derealisierung der Massenmorde von New York und später in Djerba, Istanbul, Madrid und London. Er spricht von „westlicher Selbstverleugnung“[xlviii], dem feigen, aber auch strategischen Zurückweichen vor dem politischen Islam, der „Terrorismus“ wird demnach „vorzugsweise zerredet“[xlix]. Gekonnt rekurriert er auf die Debatte im Historismus seit Ende des 19. Jahrhunderts, wo „Verstehen“ mit „Verständnis“ interpretiert werden konnte. „Verstehen“ und „Verzeihen“ werden in diesem Kontext untersucht. Die naiven Toleranzideen à la ‚was ich verstehe, schätze ich auch und davon geht dann keine Gefahr aus‘ werden kritisiert:

„Eine entgegengesetzte Weisheit lässt Pierre Corneille (1606-1684) in seinem Bühnenstück ‚Cinna ou la clémence d’Auguste‘ durch Augustus sagen: ‚qui pardonne aisement invite a l’offense‘ (wer leicht verzeiht, lädt zum Angriff ein). Dieser Spruch stammt wohlgemerkt aus einer Epoche vor der Aufklärung. Heute würde er gewiss nicht als politisch korrekt gelten.“[l]

Lediglich Nietzsche hatte die Statur eines zivilisationskritischen Pessimismus, und verwahrte sich dagegen, alles zu tolerieren, bloß weil es herzensgut sei, sich nicht zu wehren, keinen Standpunkt zu haben. Kulturrelativismus nennt man letzteres, und der ist bei der Neuen Rechten so beliebt wie bei der Linken oder in der Mitte der Gesellschaft wie an der Humboldt-Universität Berlin, wo Bücher geschrieben werden, welche die Verschleierung der Frau im Islam mit dem angeblich ‚zwanghaften‘ Zeigen von Busen, Bauch und Po von westlichen, bikinitragenden Frauen gleichsetzen. Individuelle Freiheit sei auch mit Schleier möglich.

Solche Märchen aus 1001 Uni-Seminaren sind zumal in Deutschland beliebt. Lewy kritisiert das Fehlen einer Erkenntnis in Europa nach einem „Handlungsbedarf“, vielmehr werde durch ein islamophiles Gerede ein „Verständnisbedarf“ kreiert.[li] Weiterhin liegt ihm viel an einer säkularen, durchaus europäischen Perspektive, da ihm zumal christlich motivierte Politiken der USA mißfallen.[lii] Aber entscheidend ist, dass die USA im Gegensatz zu Europa nicht versagt haben im Kampf gegen den Antisemitismus und Terrorismus. Sie stellen sich der größten gegenwärtigen Gefahr mit enormer Anstrengung und unter großen Opfern.

„Auch politisches Kalkül der Europäer spricht dafür, so wenig wie möglich Partei zu ergreifen. Es nimmt also nicht wunder, dass in der Öffentlichkeit ein Hinweis, sich auf eine längere Konfrontation mit dem Islamismus einzurichten, noch immer als politisch unkorrekt gilt.“[liii]

Diese etwas ausführlichere Rezension sollte zumindest andeuten, welch Potential in diesem Sammelband zu ’neu-altem Judenhass‘ steckt. Vielfältige, teils sich widersprechende Thesen, spannende Inspirationen, wissenschaftliche Analysen und journalistische Kritik sind darin enthalten, um zu dechiffrieren wie sich historisch und gegenwärtig Antisemitismus zeigt, wie er produziert und generiert wird, von Übersetzern, Aktivisten, Wissenschaftlern, Publizisten, Politikern und anderen mehr.

Für Rudolf Walther hingegen ist die „hemdsärmelige Art und Weise, wie manche Autoren den ’neu-alten Judenhass‘ analysieren“[liv] unerträglich.

Er poltert undifferenziert und pauschal drauf los: „Alle Beiträge durchzieht eine bis ins Groteske reichende apologetische Grundierung.“[lv] Daran sieht man, dass dieser sozialdemokratischen Vorzeigezeitschrift an einer Auseinandersetzung mit Antisemitismus überhaupt nicht gelegen ist. Da Walther ja in der gleichen Nummer noch einen Beitrag schreiben darf und auch da aggressiv jedwede substantielle Kritik an Antiamerikanismus und Antisemitismus abwehrt, ja dieser Text gleichsam die Vorbereitung für die noch dreistere Rezension im hinteren Teil dieser Ausgabe von NG/FH ist, möchte die Redaktion unterstreichen, dass Walther damit eine wichtige Position dieser Zeitschrift auf den links-deutschen Punkt bringen soll.

Die Selbstverständlichkeit mit der die NG/FH diese Rezension druckte, ist das bezeichnende. Das wird goutiert und gern gesehen und gerade nicht als Provokation herausposaunt, oder als Tabubruch gefeiert. Es ist sozialdemokratischer Alltag, der diesen Antisemitismus nährt. Antisemitismus? Nochmals Walther:

„Dieter Graumann räumt ein, dass ‚man sich gar nicht so leicht tut damit, … genaue Definitionen und präzise Kriterien dafür zu benennen‘. Das hindert ihn freilich nicht daran, den Zweihänder zu schwingen. Wie die (fiktive) Figur eines Nazi-Offiziers in einem grandiosen Film von François Truffaut Juden förmlich riecht, so wittert Graumann frei daher spekulierend rundum deutsche Kinder und Enkel, ‚getragen vom Wunsch, die Schuld der Väter und Großväter zu verkleinern‘ und ruft deshalb dazu auf, die Reihen fest zu schließen ‚im weltanschaulichen Krieg‘ gegen ‚Terrorismus und Islamismus‘.“[lvi]

Da sprudelt es nur so aus ihm heraus. Gerade und gezielt wird ein Jude, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, mit einem cineastischen Nazi verglichen. Während der Nazi Juden ‚riecht‘, so wittert demnach der Jude Graumann arme junge Deutsche heutiger Tage, die wieder stolz auf Deutschland sein wollen und die unermessliche Schuld ihrer Väter, Großmütter und Großväter nicht mehr hören wollen. Der ‚witternde Jude‘ – das ist ein sozialdemokratischer Antisemitismus der reinhaut, ein Schenkelklopfer in jeder ver.di- oder GEW-Mitglieder-Versammlung und diverser linker Redaktionskonferenzen.

SPD-Schuldprojektions-Antisemitismus kann man das auch nennen. Graumann wird analog zu dem Nazi in diesem Streifen angedichtet, er würde die heutigen ‚Juden‘ ‚wittern‘. Der Jude als Täter und die Deutschen als Opfer. So sieht die Choreographie heute aus, explizit hier in den NG/FH. Damit wird Graumann zu einem Tier erniedrigt, denn Menschen wittern nicht. Und arme junge Deutsche werden schwupsdiewups zu Juden, zu Opfern der heutigen Nazis – eines Juden! Rudolf Walther ist also ein Antisemit, wenn er so schreibt. Mehr noch: die Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte protegiert und propagiert so einen Antisemitismus.

Was hatte Graumann geschrieben? Er betont, dass der Islamismus mit Religion gar nichts zu tun habe, „ja der Islam muss im Grunde vor ihm geschützt werden“.[lvii] Interessant sind darüber hinaus seine Bemerkungen über den Konnex von Nahostkonflikt und Islamismus:

„Zu warnen ist allerdings auch vor Illusionen allenthalben. Eine der gängigen Illusionen etwa, insbesondere im naiven Europa, wo man sich die Welt oft so gerne schön denkt, ist jene, dass mit einer eventuellen Lösung des Nahost-Konflikts der gesamte Islamismus plötzlich verschwinden und sich gleichsam über Nacht und für immer in Luft auflösen würde.“[lviii]

Graumann geht auf die unfassbaren Dämonisierungen ein, welchen Israel ausgesetzt ist und zur „größten Gefahr für den Weltfrieden“ herbei fantasiert wird, während wirklich gefährliche Staaten wie der Iran, Libyen, Syrien, die ihr Potential an Mord und Totschlag seit Jahrzehnten unter Beweis stellen, und zwar innen- wie außenpolitisch, toleriert und hofiert werden. Ebenso interessant sind Graumanns Hinweise auf die deutsche Schuldprojektion:

„Und auch um eine Entschuldungsdebatte geht es, ganz speziell natürlich in Deutschland. Sie wird getragen vom Wunsch, die Schuld der Väter und Großväter zu verkleinern, indem die Kinder und Enkel der Opfer von damals zu den Tätern von heute gemacht werden. Daraus spricht die Fantasie – oder sogar die Wunschvorstellung – dass Israelis und Juden irgendwie doch auch wie die Nazis sein mögen. Das wäre eine bequeme moralische Entlastung für die Nachkommen der Täter und die Nachkommen jener in Europa, die die Täter seinerzeit gewähren ließen.“[lix]

Die NG/FH jedoch diffamiert Graumann und somit auch den Zentralrat der Juden in Deutschland als Nazis, die ihre Opfer, arme deutsche Kinder und Enkel, „wittert“ und ihnen Antisemitismus unterstellt.

Was wird der presserechtlich Verantwortliche für diesen Antisemitismus, der Chefredakteur und Mitherausgeber der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Thomas Meyer, sich gedacht haben? Er ist Professor für Politikwissenschaft und hat sich mit politischer Kultur, Fundamentalismus und Nationalismus beschäftigt. Ob er auch Seminare zum Thema ‚wie kreiere ich als guter linker Deutscher Judenhass ohne ihn so nennen zu müssen‘ angeboten hat oder anbieten wird an der Universität Dortmund, ist nicht bekannt.

Auch nach der ausführlichen und angemessenen Kritik Arno Lustigers hat er sich nicht dazu verpflichtet gesehen, selbst einige Worte zu dieser antijüdischen Rezension seines Kollegen Rudolf Walther zu sagen. Da Meyer im oben zitierten Band von 2006[lx], in welchem Kocka eher den Kampf gegen den Terror als diesen selbst zur größten Gefahr der Zukunft herbeiredet, unter anderem ein von ihm mitherausgegebenes Standardwerk, das Lexikon des Sozialismus von 1986, anführt, sei zumindest am Rande vermerkt, dass in diesem Lexikon der wichtigste Vordenker des modernen Rechtsextremismus in Deutschland, der Neuen Rechten, Henning Eichberg, einen Artikel über „Freidenker“ schreiben durfte, wo er u.a. paganistische Ideologie verbreitete.[lxi]

Die Soziologin antwortete mir mit überraschender Deutlichkeit, also ganz un-verschämt, auf meine Frage, ob diese Rezension von Rudolf Walther in NG/FH 6/07 als nicht antisemitisch bezeichnet werden könne, wie folgt:

„Außerdem scheint es mir wenig sinnvoll, per Email darüber zu debattieren, was unter antisemitisch zu verstehen ist und ob der Artikel des von Ihnen abschätzig ‚dieser‘ R.W. genannten Autors antisemitisch ist oder nicht. Ich verweise darauf, dass es inzwischen in den angelsächsischen Ländern eine Kritik an bestimmten Zügen der israelischen Politik gibt, vorgetragen von Autoren, die sich selbst als Juden bezeichnen, unabhängig davon, ob sie der jüdischen Religionsgemeinschaft angehören oder nicht. Dabei denke ich nicht nur an Norman G. Finkelstein, sondern auch an Tony Judt u.a., denen man schwerlich Antisemitismus unterstellen kann.“[lxii]

Wie bitte? Gerade Norman Finkelstein, der wie Neonazis von einer „Holocaust-Industrie“ spricht und auch Tony Judt könne man „schwerlich Antisemitismus unterstellen“? Das erinnert mich an das Heft der Satirezeitschrift Titanic von Juli 2002, wo Hitler auf das Cover kam mit dem Titel: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“ Nun aber zu Tony Judt, der in der Tat gern gelesen wird in Europa und einer der bekannten englischen (und in USA lehrenden) Historiker derzeit ist. Die aktuelle Debatte über Antisemitismus, Antizionismus und ’neuen Antisemitismus‘ hat jüngst eine neue Facette erhalten, als Alvin H. Rosenfeld in einem Text für das American Jewish Committee jüdischen Antisemitismus untersuchte.[lxiii] Eine Kritik an Judt ist Bestandteil seiner Analyse:

„Der Historiker Tony Judt beispielsweise veröffentlichte in den letzten drei Jahren eine Reihe von zunehmend verbitterten Artikeln in der Nation, in der New York Review of Books und in der Ha’aretz, in denen er Israel als arrogant, aggressiv, anachronistisch, infantil bis hin zur Dysfunktionalität, als unmoralisch und als eine primäre Quelle des heutigen Antisemitismus bezeichnete. ‚Israel heute ist schlecht für die Juden‘, so Judt, und es würde sowohl ihnen als auch allen anderen Menschen einen Dienst erweisen, wenn es aufhörte zu existieren. ‚Die Zeit ist gekommen, das Undenkbare zu denken‘, und das sei, laut Judt, ‚den jüdischen Staat durch einen einzigen, integrativen, binationalen Staat der Juden und Araber zu ersetzen.'“[lxiv]

Das ist ein antijüdischer Vorschlag, denn es würde bedeuten, dass Juden in so einem Staat alsbald die Minderheit wären und höchstens von der islamisch-arabischen Mehrheit toleriert würden, von Schlimmerem ganz zu schweigen. Es gibt eine ganze Reihe arabischer Staaten, die sich beharrlich seit 60 Jahren weigern das Flüchtlingsproblem der Palästinenser zu lösen. Das einzige Ziel ist Israel zu destabilisieren, eine bekannte Facette hierbei ist die Propaganda für einen binationalen Staat.

Die Initiativen Judts und anderer ‚Progressiver‘ oder ‚Liberaler‘ zu wirklich wichtigen Fragen wie dem Völkermord in Sudan (Darfur), dem suicide bombing von Hamas oder Islamischem Djihad, den Massenmorden im Irak durch al Quaida und den unterschiedlichsten islamistischen, antidemokratischen oder arabisch-nationalistischen Splittergruppen, dem Vernichtungswillen der Hezbollah gegenüber Israel, der Gefahr für den Weltfrieden durch das Atomprogramm des Iran, sind hingegen nicht bekannt. Judts Obsession gegen Israel ist – exemplarisch – bei einer Soziologin in Deutschland angekommen, die mir schreibt, Judt oder selbst Finkelstein sei „schwerlich Antisemitismus“ nachzuweisen.

Sich wohlfeil mit Rechtsextremismus zu befassen, wie es die SPD macht, ohne einen Blick auf die komplementäre Gefahr von links und der Mitte der Gesellschaft zu schauen, ist billig und weit verbreitet.

Wer Juden mit Nazis vergleicht und ihnen tierisches „Wittern“ ihrer Opfer unterschiebt, wie es die Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte getan hat im Juni 2007, sollte von Antisemitismus schweigen. Solchen Sozialdemokraten, ihren Beratern und Freunden sei geraten, einmal in sich zu gehen und dort eine ganze Zeit lang zu verweilen. Prof. Meyer würde ein „sabbatical year“ eventuell helfen.

Anmerkungen:
[i] Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neue Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970-2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum.
[ii] „Der Antizionismus gilt als Teilgruppe des Antisemitismus. Die neu-rechte Liebe zum Islam, namentlich zu den Moslembrüdern, aber auch zu anderen Facetten des internationalen Islamismus, sind Zeichen einer zunehmenden Konvergenz“ (ebd.: 25). Zur Genese des Antiamerikanismus und der anti-römischen Ideologie vgl. insbesondere das Kapitel „Vom Kampf gegen ‚Rom‘ zum Hass auf die USA“, ebd.: 324-334.
[iii] Da der hier geschilderte Fall paradigmatisch für die Linke in Deutschland ist, werde ich ihren Namen nicht nennen, vielmehr geht es um eine offenbar typische Reaktion einer ‚kritischen‘ Akademikerin im Jahr 2007 in Europa.
[iv] Klaus Faber/Julius H. Schoeps/Sacha Stawski (Hg.) (2006): Neu-alter Judenhass. Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg (Eine Publikation des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam).
[v] Kocka ist ein typischer ‚Alteuropäer‘ und neudeutscher Vertreter des beliebten Antiamerikanismus in seinen vielfältigen Formen, wenn er den War on Terror als potentiell gefährlicher für ‚die Freiheit‘ einschätzt als den massenmörderischen Djihad des politischen Islam: „Times are changing. The totalitarian challenge that, in the final analysis, gave rise to the renewal and resuscitation of freedom is a matter of the last century, increasingly moving into the past. In Germany and most other parts of Europe, the so-called ‚war on terrorism‘ has not gained the importance that the fight against totalitarianism had in the twentieth century. Terrorism is morderous, it is unacceptable, and it is a transnational challenge. But sometimes one wonders whether the war on terrorism can become a bigger threat to freedom than terror itself. In any event, the relationship between terrorism, opppostion to terrorism, and freedom is very different from the relationship between totalitarianism, opposition to totalitarianism, and freedom“ (Jürgen Kocka (2006): The idee of freedom in German history, in: Thomas Meyer/Udo Vorholt (Hg.) (2006): Freiheit und kulturelle Differenzen, Bochum/Freiburg: projekt verlag (Dortmunder politisch-philosophische Diskurse, Band 3), S. 94-101, hier S. 101). Die Bedeutung gerade Deutschlands für eine Stärkung des Terrorismus, indem Geschäfte mit Staaten wie Iran gemacht werden und zwar in sehr großem Umfang und staatlich unterstützt mit Hermes-Bürgschaften oder Wirtschaftsprojekten wie dem Transrapid, den deutsche Firmen in Iran bauen sollen, wird mit solch einer grotesken Verkehrung der Gefahr für den Frieden und die Freiheit hinweggefegt. Realitätsgetreuer als Kocka bezüglich der Einschätzung des Terrorismus ist der amerikanische Historiker Jeffrey Herf, der den heiligen Krieg des Islamismus als neuen Totalitarismus erkennt. Wichtig ist der Hinweis, dass im Rahmen einer Analyse des ‚Totalitarismus‘ der politische Islam selbstverständlich im 21. Jahrhundert die größte Gefahr ist, derzeit, vgl. Jeffrey Herf (2004): Die neue totalitäre Herausforderung, in: Doron Rabinovici/Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hg.) (2004): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 191-210. Entgegen den oft selbsternannten ‚Linken‘ wie Kocka oder Thomas Meyer, der Zeitschrift NG/FH insgesamt, schätzt Herf die mögliche Positionierung zweier der bedeutendsten Linken des 20. Jahrhunderts treffend ein, gerade am Punkt ‚Freiheit‘ und ‚Individuum‘: „Ich bin überzeugt, dass Theodor Adorno und Max Horkheimer, die zu den Kronjuwelen der Suhrkamp-Kultur gehören, gewusst hätten, welche Gesellschaften die Freiheit des Individuums verteidigen und welche Formen eines totalitären Kollektivismus etablieren, wer die wirklichen Gegner von Rassismus und Antisemitismus sind und welche Gesellschaften Massenmord vorbereiten. Sie würden gewiß heute gegen Antisemitismus und Antiamerikanismus protestieren“ (ebd.: 209).
[vi] Eckhard Fuhr (2005): Wo wir uns finden. Die Berliner Republik als Vaterland, Berlin: Berlin Verlag, S. 110.
[vii] Rudolf Walther (2007): „Rhetorik des Verdachts…“, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 54. Jahrgang (2007), Heft 6, S. 75-77. Die bibliographischen Angaben sind teilweise falsch, so schreibt Walther, das Buch sei 2007 erschienen und habe 430 Seiten. Es erschien jedoch in erster (und bislang einziger) Auflage 2006 und hat 424 Seiten.
[viii] Ebd.: 75.
[ix] Ebd.: 76.
[x] Ebd.
[xi] Rudolf Walther (2007a): Normalisierung nicht möglich. Vor vierzig Jahren: Der zweite Juni, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefe, 54. Jg. (2007), H. 6, S. 11-15, hier S. 15, Herv. im Original.
[xii] Arno Lustiger (2007): Leserbrief zu Rudolf Walthers Buchkritik in NG/FH 6/2007, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 54. Jg., Heft 7+8, S. 109-111.
[xiii] Vgl. nur Heni 2007: 75, 107, 196.
[xiv] Yves Pallade (2006): Medialer Sekundärantisemitismus, öffentliche Meinung und das Versagen gesellschaftlicher Eliten als bundesdeutscher Normalfall, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg) (2006), S. 49-66, hier S. 58.
[xv] Ebd.: 59.
[xvi] Rolf Behrens (2006): „Sie schießen, um zu töten.“ Die Berichterstattung über Israel bedroht das „besondere Verhältnis“, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 19-31, hier S. 21.
[xvii] Lars Rensmann (2006): Der Nahost-Konflik in der Perzeption des Rechts- und Linksextremismus, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 33-47, hier S. 46.
[xviii] Ebd.: 44f.
[xix] Ulrich Sahm (2006): Deutsche Medien und der Nahostkonflikt, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 127-137.
[xx] Ebd.: 129.
[xxi] Esther Schapira/Georg M Hafner (2006): Entlastungsantisemitismus in Deutschland, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 67-77, hier S. 73.
[xxii] Katrin Kemmler (2006): Die antiimperialistische Stille Post. Traue keinem Zitat, das Du nicht selbst interpretiert hast, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 139-153.
[xxiii] Ebd.: 139f.
[xxiv] Vgl. ebd.: 141-144.
[xxv] Ebd.: 141.
[xxvi] Klaus Faber (2006a): Was ist zu tun? Antisemitismus, Israel und die deutsche Politik, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 331-341, hier S. 332.
[xxvii] Ebd.
[xxviii] Vgl. Daniel Jonah Goldhagen (1996): Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin: Siedler Verlag, S. 243-252.
[xxix] Vgl. Susanne Wein (2003): Bremer Arbeiterbewegung und Antisemitismus 1924 bis 1928. Von „…trotzdem es unter der Decke daran nicht gefehlt hat“ bis zu offenem Antisemitismus von links in der Bremer Arbeiterpresse, Bremen (unveröffentlichte Magistraarbeit, Fachbereich 8);
[xxx] Faber 2006a: 333.
[xxxi] Ilka Schröder (2006): Liaisons dangereuses. Die EU und ihre Destabilisierungspolitik gegen Israel, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 279-300, hier S. 280.
[xxxii] Ebd.: 294.
[xxxiii] Matthias Küntzel (2006): Joschka Fischer, die „Road Map“ und der Gaza-Abzugsplan, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 252-264.
[xxxiv] Ebd.: 252.
[xxxv] Ebd.: 264.
[xxxvi] Cem Özdemir (2006): Muslimische Migranten und Antisemitismus, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 219-223, hier S. 219.
[xxxvii] Mohammad Schams/Wahied Wahdat-Hagh (2006): Der khomeinistische Antisemitismus, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 211-217, hier S. 215.
[xxxviii] Abraham H. Foxman (2006): Muslimischer Antisemitismus zwischen Europa und dem Nahen Osten, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 171-177, hier S. 173.
[xxxix] Yigal Carmon (2006): Was ist arabischer Antisemitismus?, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 203-210, hier S. 204.
[xl] Foxman 2006: 177.
[xli] Bassam Tibi (2006): Die Mär des Islamismus von der jüdischen und kreuzzüglerischen Weltverschwörung gegen den Islam, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 179-202, hier S.
[xlii] Ebd.: 187. Zu einer grundsätzlichen Kritik am „Modell von Cordoba“ und der bisherigen Forschung dazu, wie den Schriften Bernard Lewis’ z. B., vgl. Hans-Peter Raddatz (2007): Allah und die Juden. Die islamische Renaissance des Antisemitismus, Berlin: wjs Verlag, S. 69-114. Zu einer kritischen, interessanten Rezension von Raddatz vgl. jetzt Hannes Stein, http://www.welt.de/…
[xliii] Tibi 2006: 202.
[xliv] Eldad Beck (2006): Islam und Antisemitismus, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 233-238.
[xlv] Ebd.: 235.
[xlvi] Ebd.: 237.
[xlvii] Mordechay Lewy (2006): „Denn wer einmal uns versteht, wird uns auch verzeihen.“ Kritik der Selbstverneinung im Zeitalter der postmodernen Unvernunft des Abendlandes, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 239-244.
[xlviii] Ebd.: 240.
[xlix] Ebd.: 243.
[l] Ebd.
[li] Ebd.
[lii] Ebd.: 244.
[liii] Ebd.: 242.
[liv] Walther 2007: 75.
[lv] Ebd.
[lvi] Ebd.: 77, Herv. im Original.
[lvii] Dieter Graumann (2006): Islamismus – das friedensresistente Monster, in: Faber/Schoeps/Stawski (Hg.) (2006), S. 319-324, hier S. 320.
[lviii] Ebd.: 319.
[lix] Ebd.: 323.
[lx] Vgl. Anm. 5.
[lxi] Vgl. Heni 2007: 348f., Anm. 1465.
[lxii] Diese, wie auch die anderen e-mails befinden sich im Besitz des Verfassers.
[lxiii] Alvin H. Rosenfeld (2007): „Fortschrittliches“ jüdisches Denken und der neue Antisemitismus, New York: American Jewish Committee, Dezember 2006, deutsche Fassung von März 2007.
[lxiv] Ebd.: 12.
hagalil.com 10-09-2007

Die Achse der Frommen

Achgut, 25.04.2007

Gestern starb der Gründer des ZDF, Karl Holzamer, im Alter von 100 Jahren. Ein echter Deutscher, ja ein „Neudeutscher“ war er, was jedoch gern verschwiegen wird, ist doch der katholische Bund Neudeutschland eher Signum fanatischer Religiosität, dem auch Nazis wie Hans Filbinger die Treue schworen. Vielmehr wird so an Holzamer erinnert: »Während des Zweiten Weltkrieges kam er als Bordschütze der Luftwaffe und Hörfunk-Korrespondent in viele Länder. Das habe seinen Horizont sehr erweitert, sagte er selbst, aber auch: ›Nur mit meiner absolut christlichen Haltung konnte ich Front machen gegen die schrecklichen Erlebnisse im Krieg‹«, wie die Augsburger Allgemeine stolz verkündet. Was ist von einem Menschen zu halten, der den Zweiten Weltkrieg als ›Bereicherung seines Horizonts‹ grotesk überhöht und affirmiert?

Durch ein Zeltlager in Oranienstein 1931 wurde der

»Zusammenhalt der Neudeutschen bestimmt und die Mitträger der Politik der Bundesrepublik direkt oder indirekt beeinflußt (Rainer Barzel, Bernhard Vogel, Hans Filbinger, Josef Jansen, Hans Puhl, Josef Stingl, Peter Nellen, Bruno Heck – wieder nur einige aus dem eigenen Erfahrungsbereich vor und nach dem Kriege). An anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang von einem Erlebnis berichtet, das ich während des Krieges als Luftwaffenangehöriger in Sizilien hatte (1942). Bei einer Meldung bei einem Gruppenkommandeur auf einem mir noch nicht bekannten Flugplatz sprach mich ein Fähnrich, der mit anderen Offizieren dabeistand, an: ›Ich kenne Sie, Herr Leutnant, vom Leuchtturm‹ [einer Zeitschrift dieses Bundes Neudeutschland]. Eine eindeutige Erkennung zwischen uns, ein Geheimcode für die anderen.«

»Die nachwirkenden Erfahrungen des Kaiserreichs, zumal bei den Eltern vieler Neudeutscher, die Ungerechtigkeiten des Diktatfriedens von Versailles und das Drängen der Jugendbewegung nach freier natürlicher Entfaltung schufen ein z. T. gebrochenes Verhältnis zur Weimarer Republik – auch innerhalb des Bundes (…)«.

Dieses gebrochene Verhältnis, an welches der nun 100jährig verstorbene Karl Holzamer, erster und langjähriger Intendant des ZDF, 1985 erinnerte, hat die von ihm bewunderten Leute wie Hans Filbinger zu echten Nazis gemacht. Klar, dass auch der Neudeutsche Katholik Karl Holzamer nur Gutes über sich hören wird beim Abschied in der Kirche. Was seinen katholischen Bund Neudeutschland ideologisch kennzeichnete wird in dem folgenden Beitrag deutlich.

»Schutz der Volksgemeinschaft« vor »Glück«, der »Denkweise des Liberalen« und »gutem Essen an beliebigem Ort« oder:

Hans Filbinger war ein Nazi

Wenig bekannte Quellen des katholischen Bundes Neudeutschland

Von Dr. Clemens Heni

»›Der Nationalsozialismus hat weder im Individualismus noch in der Menschheit den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, seiner Stellungnahme und seiner Entschlüsse. Er rückt bewusst in den Mittelpunkt seines ganzen Denkens das Volk.‹ (Adolf Hitler beim Erntedankfest auf dem Bückeberg, 1. Okt. 1933)«.

So heißt es in einem Vorspann zu dem Artikel »Volk als Begriff und Aufgabe« von Rolf Fechter (Jg. 1912) in den Werkblättern von Neudeutschland Älterenbund.1 In der gleichen Ausgabe schreibt auch Hans Filbinger seine ersten persönliche Betrachtungen über diese Neudeutschen, vgl. unten. Fechter betont, dass Hitler oder Goebbels dem Begriff Volk wieder einen gleichsam ›deutschen‹ Sinn gegeben haben:

»›Volk‹ meint in dem Sinn, in dem heute das Wort wieder erwacht ist, nicht mehr ›Untertanen‹, nicht mehr ist ›Volk‹ politisches Gegenstück zur Obrigkeit, auch nicht mehr soziales Gegenstück zu den ›oberen Zehntausend‹, — es ist weder Untertanenschaft, noch verfassungspolitische Gruppe, noch Klasse.«2

Prima, endlich erhält das Wort Volk seine positive Bestimmung wieder, jubilieren nicht nur deutsche Katholiken. Ein längerer Abschnitt befasst sich daran anschließend mit der »Judenfrage«, na klar. Ist wirklich jeder Deutscher ein Deutscher, fragt man sich nicht nur aber vor allem im Jahr 1933:

»Katholizismus ist Religion, nie Volkstum – Judentum aber ist Volkstum (Judentum ist das als Nation ›auserwählte Volk‹!). Ist nun dieses Volkstum Bereicherung oder Schaden, Sprengkörper für die Nationen?«

Das ist doch mal eine freundliche Offenheit, nicht wahr? Ganz diskursiv wird hier katholischerseits im Filbinger-Blättle Werkblätter des Bundes Neudeutschland gefragt ob Juden harmlos, deutsch oder vielleicht Sprengkörper seien. Weiter geht’s im Text:

»Zweifellos zeigt die Praxis, dass es viele Juden gibt, die echt deutsch sind und fühlen, die für das Deutschtum, für deutsche Wirtschaft und Wissenschaft viel getan und die auch ihr Blut geopfert haben – man würde bitteres Unrecht tun, wolle man dies leugnen, – aber wer objektiv ist, sieht auch, dass gerade bei den Mächten, die Sitte, Volksgesundheit und Volkstum unterhöhlen und vernichten (wie etwa bei einer gewissen Presse, beim internationalen Kapital us.), das jüdische Element in ganz hervorragendem und in ganz auffällig starkem Maße beteiligt ist. Das sind Dinge, die zu denken geben«

und denken, ja nachdenklich werden ist doch was Gutes, oder nicht? Diese Katholiken liegen ihrem „Denken“ 1933 jedenfalls voll im Trend. Der Zeitgeist hat einen Namen: »Bund Neudeutschland«, ob explizit unter diesem Banner fahrend wie anno 1933 – oder etwas verbrämter, verdruckster, evangelischer oder antiimperialistischer ausgedrückt: »Für eine Welt ohne G8«….

Doch bleiben wir jetzt einmal bei den ›völkischen Aufgaben‹ im Jahr 1933: Diese zitierten antisemitischen Fragen stellt ein guter Kollege, ›Kamerad‹ oder ›Bruder‹ Hans Filbingers ganz zu Beginn des Nationalsozialismus. Heute wollen der Öffentlichkeit nun die CDU und ihre Freunde weismachen, Filbinger sei tief im Herzen – trotz späterer NSDAP-Mitgliedschaft – kein Nationalsozialist gewesen, wie der Leiter des Studienzentrums Weikersheim, ein Prof. Bernhard Friedmann, im Fernsehen am 19. April 2007 faselte. Denn was anderes als faseln ist es? Es ist ganz etymologisch »Wirrwarr« oder auch »dummes Zeug« oder auch »Herumgeblasenes« was dieser Leiter von Weikersheim da aus seinem Mund hat kommen lassen auf Phönix.

Die glühenden Herzen Filbingers oder Fechters oder anderer im Bund Neudeutschland sollten jedoch wahr- und ernstgenommen werden in ihrem die ›Deutsche Revolution‹ unterstützenden Einsatz für Deutschland und gegen die Juden, ›Wehrkraftzersetzer‹, Kommunisten, Sozialdemokraten, Anarchisten, Liberalen, Areligiösen, Unternehmer und andere, die nicht ›arteigen‹ drauf waren. Wer ernst genommen werden möchte (also nicht Oettinger, Schönbohm, Pflüger, Kauder, Mappus, Schavan oder gar Brunnhuber heißt) bei der Beurteilung der politischen Stimmung im neuen Deutschland seit dem 30. Januar 1933 muss sich diese Quellen anschauen.

Die Neudeutschen denken rassebiologisch:

»Aufgaben nach innen. Die Träger des Volkstums sind Menschen, gesunde körperliche Grundlage ist Vorbedingung gesunden Volkstums. Hier liegt die ›völkische Aufgabe‹ der Ärzte. Das von der Reichsregierung jüngst erlassene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses darf vom Standpunkt der Volksgesundheit aus nur begrüßt werden.«3

»Wer an den Volksgedanken glaubt, der glaubt an die Aufteilung der Welt in Völkern, von denen jedes seine Aufgabe hat, von denen jedes wieder Glied eines großen Ganzen ist. Der Reichsgedanke wird nur dann leben können und nicht in Utopie oder Imperialismus ausarten, wenn er den Volksgedanken bejaht und in sich schließt«.4

Jetzt aber möchte ich zum ersten Mal Han[n]s Filbinger selbst zu Wort kommen lassen, als Teenager:

»Aus einem ›Jüngerenkreis‹ (…) Du fragst nach dem tatsächlich Stattgehabten in unserm Kreis? Zuviel darfst Du da nicht erwarten: Was wir getan haben, war ein Anfangen, wesentliche Menschen zu werden. Darum suchten wir Beziehung zu finden zu Ganzheitswerten wie Kunst, Gemeinschaft, Natur, Religion. Alles war bescheidenes Beginnen«.5

»Es ist schon sehr spät, da zieht die gleiche Gruppe – manche stecken schon im Schlafanzug mit Mantel drüber – auf den Schloßberg. Unterwegs wirds immer stiller, keiner spricht mehr. Es ist eine sternenhelle Nacht. Unten in Freiburg brennen nur noch wenige Lichter, der Münsterturm steht wie ein ragender Schatten. Wirklich andächtig singen wir vom Gipfel aus unsere schönsten Lieder. – Romantik und Ausgelassenheit, – auch das ist zuweilen notwendig und schön. Zum Abschluß unseres Einführungskreises sitzen wir im Hof unseres Heims in der Laube. Alles klingt noch einmal zusammen, was der Kreis gewollt hatte in seiner Mittlerrolle zu Gruppe und Bund und echtem Menschsein. Mannheim/Freiburg i. B. Dein Hanns Filbinger.«6

Filbinger auf dem Weg zu ›echtem Menschsein‹ auf dem Freiburger Schlossberg. Der ›Max‹, an den Filbinger, oder das kleine Hänslein diese Eindrücke adressierte, ist Dr. Max Müller, Neudeutscher wie Hans, der spätere Marinerichter.

In der nächsten Nummer der Werkblätter, im Herbst 1933, schreibt Müller:

„Echtes Soldatentum aber hebt nicht die Freiheit personaler Entscheidung für uns auf, sondern setzt sie voraus. Der Neudeutsche Hochschüler ist nicht nur SA-Mann, er ist SA-Student: d.h. mit der soldatischen Unterordnung unter den Führer und seinen Befehl verbindet er das Wissen um den geistigen Auftrag, den er nicht aufgeben kann, ohne sich aufzugeben. Nationalsozialistische Staatsform: das bedeutet nicht ›autoritärer Staat‹, ›Absolutismus‹ und ›Diktatur‹, sondern das bedeutet in erster Linie ›Völkisch-Sozialistischer Staat‹. In ihm ist die politische Autorität und Verantwortung wohl in einem unerhörten Maße beim Führer, der sie sich in 14-jährigem Kampfe erkämpft hat.“7

In der heutigen Diskussion über Filbinger, seinen Enkel Oettinger wird überhaupt nicht erkannt, welch völkische Weltanschauung dieser katholische Bund Neudeutschland propagiert hat in der Zeit des Nationalsozialismus bzw. schon davor. Es wird meist von der ideologischen Vordenkerfunktion dieses Bundes abgesehen.

Zudem: Gerd Langguth z.B. meinte auf Phönix am 19.04.2007, dass nach »unseren heutigen moralischen Maßstäben« Todesurteile für Deserteure »nicht tragbar seien«. ›Nach unseren heutigen moralischen Maßstäben‹, na dann. Bettina Gaus hätte auch gerne, dass Filbinger »in Ruhe« im Grabe liegen möge, Oettinger hätte einfach den Nazismus Filbingers auf sich beruhen lassen sollen und nicht irgendetwas zu dieser Zeit sagen. Dann wäre alles gut, auch für die jedweder Hetze gegen Israel und die Juden von heute so aufgeschlossene taz.

Eine Etymologie des Deutschen harrt immer noch ihrer ideologiekritischen Ausarbeitung. So wäre zu überdenken, ob nicht das Wort ›eigenartig‹ eine völkische Kampfvokabel ist und nichts anderes, abgeleitet von seinem Nomen:

»Ohne Gemeinschaft mit dem Volk, ohne ein Wissen um die Eigenart des Volksgeistes und der ihm eigentümlichen Kräfte kann der Aufbau einer neuen Kultur und eines neuen Reiches nicht erfolgen. Deshalb sagten bei einer Feier ›Das deutsche Volk im deutschen Raum‹ die Vertreter der wichtigsten deutschen Stämme und Landschaften, was diese an wertvoller Eigenart aufweisen und heute zu geben haben.«8

Ein Karl Giess sagt bereits gegen Ende der Weimarer Republik im Jahr 1932, offenbar den NS-Staat gedanklich vor Augen, in einer völkischen Hetze gegen gutes Essen:

»In der Sache z.B. stärkere Berücksichtigung von Heimatboden und Volksgemeinschaft; denn meine Beziehung zum Vaterland geht über den Mutterboden, auf dem ich zu Hause bin und meine Beziehung zum Gesamt-Volk über meine engere und weitere Nachbarschaft. Die Hinkehr des Volkes zum Nationalismus ist zugleich eine Abkehr vom Sozialismus-Bolschewismus, der den Menschen zu einem internationalen (außerhalb der Nation stehenden) aus Boden und Familie entwurzelten Allerweltsbürger macht, dessen Grundsatz lautet: ›Wo ich gut zu essen bekomme, fühle ich mich zu Hause‹ (Ubi bene, ibi patria).«9

Dieser gleichsam auch orale Kosmopolitismus (welcher wortwörtlich nicht unbedingt ›Essen‹ heißen muss), der aus dem Spruch Ubi bene, ibi patria Ciceros zu hören ist und auch von dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (1466-1536) positiv übernommen wurde, wird hier bereits zu demokratischen, Weimarer Zeiten, rabiat abgewehrt und ein Nationalismus auch beim Essen eingefordert. Eine Hetze gegen ›entwurzelte Allerweltsbürger‹ kennzeichnet also diesen Bund Neudeutschland schon vor 1933! Ein Nationalismus der Alltäglichkeiten, wie er Hans Filbinger gefallen hat. Singen, Jauchzen, Essen, alles nur auf katholischer, ›reiner‹ deutscher Erde, so soll es offenbar sein.

Im ersten Heft des 7. Jg., im Mai 1934 heißt es dann in den Werkblättern:

»Es stärkt uns dabei das Wissen, dass die echte Form des Nationalsozialismus, wie ihn der Führer vertritt, ›auf dem Boden positiven Christentums steht‹ (so auch Reichsminister Dr. Goebbels wörtlich in einer Rede in Düsseldorf am 25. April 1934).«

In einer längeren Buchbesprechung des Werkes »Der Individualismus als Schicksal« von Otto Miller, 1933 erschienen, schreibt Rolf Fechter:

»Das Zeitalter des Individualismus, dessen Anfänge man mit dem spätmittelalterlichen Nominalismus einsetzen lassen kann, ist in seine vielleicht entscheidende Krisis gekommen. Einsichtigen, vor allem Katholiken, war es von Anfang an nicht ungewiß, dass diese Krisis kommen musste, ob auch solche Gewissheit bis vor kurzem von vielen, die heute am lautesten davon reden, weidlich verspottet und hochmütig belächelt wurde. Mit dem Durchbruch des Nationalsozialismus ist ein entscheidender Schlag geführt worden. Aber man darf nicht glauben, dass der Geist des Individualismus schon ausgetrieben sei: zu viele sind es, die – falls sie nicht dem andern Extrem, dem aus gleicher Wurzel kommenden Kollektivismus, verfallen sind – ihren alten Adam in die neue Zeit hinüberzuretten verstanden, wenn sie ihm auch ein andersfarbiges Mäntelchen umgehängt haben.«10

Der Nationalsozialismus wird hier gefeiert in seinem Kampf gegen den Individualismus im Jahr 1934, bei Filbinger heißt es dann im Jahr 1998 im Studienzentrum Weikersheim, einem Think-Tank, welches immer noch nicht geschlossen ist:

»Die Stichworte ›Emanzipation‹, ›Demokratisierung‹, ›Selbstverwirklichung‹, ›Verweigerung‹, ›antiautoritäre Erziehung‹ u.a. verwirrten die Köpfe der Studenten und führten zu den bekannten Exzessen.«11

Eine »Feierstunde« von 20 Seiten Umfang (von Emil Maubach, »Rheinisches Christentum«) lobt der spätere Botschafter der BRD, Rolf Fechter, 1934 und jubelt:

»Sie wären es wert, in einer echten ›Stunde der Nation‹ dem ganzen deutschen Volk zugänglich gemacht zu werden (zumal da die ganze Anlage den Anforderungen des Rundfunks ausgezeichnet entspricht). Die Feierstunde bringt es jedem Unvoreingenommenen wieder deutlich zum Bewusstsein, wie sehr germanisches mit christlichem Wesen gerade im Rheinland zu einer großartigen Synthese verschmolzen ist.«12

Auch das ist ein Hinweis darauf, dass germanische Religiosität, Katholizismus, Protestantismus und andere Facetten im Nationalsozialismus auf ihre je unterschiedliche Weise die antijüdische Volksgemeinschaft zu kreieren vermochten.

Dieser Emil Maubach hat darüber hinaus in einem weiteren Beitrag Vorschläge zur Erziehung der Jugend zu bieten, die aufhorchen lassen:

»Sicherlich ist Jazz Zeichen und Frucht einer Krisenzeit. Aber ein Mensch mit Fleisch und Blut und Herz kann seelisch nicht dauernd in Krise und Destruktion leben. Im Tanz zeigt sich das an der Hartnäckigkeit, mit der sich die alten Wienerwalzer neben dem Jazz behaupten oder an dem Erfolg der ›Dorfmusik‹ im vergangenen Winter.«

Und weiter:

»Wenn wir bei unseren geselligen Zusammenkünften nur modernen Gesellschaftstänze tanzen, so muß das auf die Dauer eine Überbetonung der Erotik und vor allem eine Verkümmerung echt tänzerischen Empfindens zur Folge haben. Es soll hier nicht einer einseitigen und engherzigen Ablehnung der Jazztänze das Wort geredet werden. Sie enthalten oft eine treffliche Art Humor und Karikatur. Hier steckt ihr offensichtlicher Wert. Wenn man aber bedenkt, dass neben diesem positiven Gehalt den modernen Tänzen große Mängel tänzerischer, seelischer und volklicher Art anhaften, so erscheinen sie als höchst ungeeignet, jungen Menschen als Mittel der oft ersten engeren Fühlungnahme mit dem anderen Geschlecht zu dienen. Die erotische Belastung der modernen Tänze läßt allzuschnell eine Atmosphäre aufkommen, die die Ehrlichkeit dieser ersten Begegnung der beiden Geschlechter gefährdet. Das Streben nach seelischem Kontakt wird allzu leicht umgebogen in den Wunsch nur noch Befriedigung oberflächlicher Reize zu suchen. Demgegenüber schaffen die Volks- und Jugendtänze durch den unbedingten Vorrang ihrer tänzerischen Werte und der darin symbolisierten Gemeinschaft und volkbildenden Werte einen Raum, in dem sich junge Menschen beiderlei Geschlechts unter Wahrung ihrer wesensgemäßen Eigenart begegnen können, was zur seelischen Reife des einzelnen Menschen von großem Wert ist.«13

Auch in diesem Zitat zeigt sich das Sendungsbewusstsein dieser katholischen Weltverbesserer und radikalen Ideologen des Bundes Neudeutschland, die sich anschickten den Alltag, Feste und Feiern ›deutsch‹ werden zu lassen, ja die ›wesensgemäße Eigenart‹ hervorzukitzeln. Wer sich anschaut, welche prominenten Positionen bekannte Vertreter dieses Bundes Neudeutschland z. B. in der Bundesrepublik einnahmen, an Universitäten, bei der Caritas, der Redaktion des Rheinischen Merkur, dem Bürgermeisteramt der Stadt Münster, der Bayerischen Akademie der Wissenschaften über das Auswärtige Amt14 bis hin zur Regierungsbank, dem wird bewusst wie stark so ein völkischer Jugendbund auch die politische Kultur im Post-Nazismus prägte.

Der spätere Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Syrien (1959-1963), Äthiopien (1969-1973) und Irland (1973-1977), Rolf Fechter, den ich schon mehrfach zitierte, sagt im typischen Duktus dieser fanatischen, katholischen Neudeutschen im Jahr 1934:

»Die nationalsozialistische Revolution hat der von uns immer bekämpften Vermanschung von Religion und Politik ein Ende bereitet, – darüber darf man sich nur freuen.«15

»Möge die innere Erneuerung, deren Ziele sich weithin mit denen des echten Nationalsozialismus decken, nicht wieder zugunsten einer falschen Frontstellung hinausgezögert werden, – die Lage ist so ernst wie schon einmal in der Geschichte der Kirche, da es zu jener unseligen Glaubensspaltung kam für die vielleicht mehrmals der offizielle Ketzer andere Menschen die Verantwortung tragen, denen die Augen zu spät aufgingen.«16

Dr. Max Müller, der Herausgeber der Werkblätter, selbstredend auch Heideggerverehrer, wiederum agitiert gegen französischen Universalismus und gegen Glück:

»Und wie das ideale Pathos der französischen ›Zivilisation‹, das Pathos der ›ewigen Menschenrechte‹ als absolut antipersonales, individualistisches ein gemeinsames Werk unmöglich macht, braucht auch nicht weiter geschildert werden. Dieses Naturrecht der französischen Revolution ist die Vollendung der liberalen Haltung. Es fordert nur für den Einzelnen, kennt weder ›Werk‹ noch Pflicht noch Bindung, nur ›Freiheit von‹ und Glück sowie eine alle Stände zerstörende Gleichheit.«17

Wer gegen ›Glück‹ und ›Zivilisation‹ hetzt ist natürlich ein Freund des und der Deutschen:

»Erst in der Staatsentwicklung und im Staatsdenken der neuesten Zeit wird der seit dem Ausgang des Mittelalters bestehende liberale Individualismus allmählich überwunden, und in einem neuen, völkisch fundierten Universalismus der echte Zusammenhang von Volk und Staat wieder echt erkannt und Staat wieder als die Erfüllung bestimmten Volkstums begriffen. Dadurch wird dem Staat seine hohe Würde zurückgegeben und er dennoch an das Wesen der Menschen, die ihn aufbauen, unlöslich normativ gebunden. (…) Im heutigen Deutschland sind verschiedenartige Ansätze zu einem neuen völkischen und ständischen Staatsdenken, wie wir es schon andeuteten, in den Werken Moeller von den Brucks, M.H. Boehms, Othmar Spanns, Rudolf Smends, Carl Schmitts, Otto Koellreuters und Reinhard Hoehns, sowie in dem Buch Adolf Hitlers ›Mein Kampf‹ vorhanden.«18

Neben späteren SS-Männern oder Mitgliedern des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes ist Hitlers Mein Kampf Basislektüre für diese Neudeutschen, somit auch für den gar nicht mehr so kleinen Hans Filbinger, immerhin bald 21 Jahre alt im Jahr 1934.

1935 schreibt Hans Filbinger einen programmatischen Artikel Nationalsozialistisches Strafrecht. Kritische Würdigung des geltenden Strafgesetzbuches und Ausblick auf die kommende Strafrechtsreform in den Werkblättern, aus welchem ich nun ausführlich zitiere. Die nationalsozialistische Ideologie Filbingers wird hier klar und unmissverständlich ausgebreitet:

»Schon seit Jahrzehnten ist eine lebhafte Problematik um unser geltendes Strafgesetzbuch entstanden. Das Gesetzbuch trat im Jahre 1871 in Kraft und ist durch die Entwicklung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens längst überholt. Das Bedürfnis nach einem Strafrechtsneubau wurde immer dringender, die Reformliteratur schwoll mehr und mehr an und schließlich wurde im Jahre 1925 dem Reichsrat ein Entwurf vorgelegt. Aber es kam nicht zum Gesetz und das war gut so. Denn dem Entwurf fehlte, genau so wie dem Reichsstrafgesetzbuch, die einheitliche weltanschauliche Grundlage. Es musste Forderungen der verschiedensten Weltanschauungsgruppen berücksichtigen und dies geschah auf Kosten der Klarlinigkeit und Geschlossenheit. Erst der Nationalsozialismus schuf die geistigen Voraussetzungen für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts und in der Tat sind die Arbeiten schon so weit vorgeschritten, dass das deutsche Volk in Bälde sein neues Strafgesetzbuch erhalten wird.«19

»Das geltende StGB, das von liberalem Geiste geschaffen wurde, stellte in den Mittelpunkt seiner Schutzbestimmungen das Individuum. Die Existenz des freien Einzelnen, dessen größtmögliche Freiheit von staatlichen Eingriffen und seine gesicherte wirtschaftliche Betätigung war das Ziel des alten StGB. Das nationalsozialistische Strafrecht. Für das nationalsozialistische Strafrecht dagegen wird der Schutz der Volksgemeinschaft an erster Stelle stehen. Der Einzelne wird nicht mehr als Einzelner, sondern als Glied der Gesamtheit gesehen und erhält als solches nur seinen strafrechtlichen Schutz.«20

»Diese Denkweise war dem Liberalen unbekannt. (…) Das Verbrechen gegen den Staat ist darum kein Schlag gegen eine bürokratische Institution, sondern Angriff gegen den Bestand der Volksgemeinschaft, also schwerstes Verbrechen, das die Rechtsordnung überhaupt kennt. ›Die erstarkte Staatsgewalt sieht in der Wachsamkeit gegenüber Angriffen auf ihren inneren und äußeren Bestand und in der Bereitstellung einer wirksamen Abwehr ihre erste Aufgabe.‹ Daher wurden die Hoch- und Landesverratsbestimmungen noch vor Erscheinen des Reformgesetzbuches durch Novellengesetze neugefasst. Sie enthalten gegenüber früher bedeutende Verschärfungen, vor allem durch die Androhung der Todesstrafe und die Schaffung neuer Tatbestände.«21

»Schutz der Blutsgemeinschaft.

Die Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat schützen den Staat als rechtlich organisierte Volksgemeinschaft. Darüber hinaus muß diese aber auch in ihrem natürlichen Bestande und ihrem religiösen und sittlichen Anschauungsleben gesichert werden. Die Volksgemeinschaft ist nach nationalsozialistischer Auffassung in erster Linie Blutsgemeinschaft (d.h. das Blutselement gilt als fundierender als das geschichtliche, völkisch oder sprachlich-kulturelle Element). Diese Blutsgemeinschaft muß rein erhalten und die rassisch wertvollen Bestandteile des deutschen Volkes planvoll vorwärtsentwickelt werden. Die Denkschrift des preußischen Justizministers fordert daher Schutzbestimmungen für die Rasse, für Volksbestand und Volksgesundheit, darüber hinaus aber auch für die geistigeren Element des Volksseins: für Religion und Sitte, schließlich für Volksehre und Volksfrieden. Im Zusammenhang damit erhält auch die Familie im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Volksgemeinschaft einen umfassenden strafrechtlichen Schutz. Höhnische Herabsetzung der Ehe in Wort, Bild oder Schrift läuft dem Sittlichkeitsempfinden des Volkes ebenso zuwider, wie willkürliche Eingriffe in die Zeugungskraft oder das keimende Leben und wird daher unter Strafe gestellt werden.«22

»Der liberale Eigentumsbegriff, der eine unumschränkte Verwendungsfreiheit zum Inhalt hat, wird eine starke Einschränkung erfahren.«23

»Schädlinge am Volksganzen jedoch, deren offenkundiger verbrecherischer Hang immer wieder strafbare Handlungen hervorrufen wird, werden unschädlich gemacht werden. Das bisher geltende Strafrecht hat gegenüber solchen Schädlingen offenkundig versagt. Man vertiefte sich in das Seelenleben des Verbrechers, fand dieses durch Erbanlagen, Erziehung und Umwelt ungünstig beeinflusst und war mehr auf Besserung des – meist unverbesserlichen – Täters, als auf eine eindrucksvolle und scharfe Strafe sowie wirksamen Schutz der Gesamtheit bedacht.«24

Im Schlussabsatz dieses Artikels des späteren Marinerichters und noch-späteren langjährigen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik Deutschland heißt es:

»Über all dem Einzelnen der Strafrechtsreform darf aber nicht vergessen werden, dass ein Gesetz nur dann Eingang beim Volke findet, wenn es durch lebendige Richterpersönlichkeiten gesprochen und verkörpert wird. Das Richterideal der Aufklärungszeit vom ›Subsumptionsautomat, der bei Einwurf der Sachlage das Urteil abgibt, oder dem Manne, der nur Mund des Gesetzes ist‹ [Zitat von Heinrich Henkel: Strafrichter u. Gesetz im neuen Staat, S. 18] – besteht für uns nicht mehr. Das neue Recht verlangt den neuen Juristen, der aus Kenntnis und Verbundenheit mit dem Volke des Volkes Recht spricht. Mannheim. Hanns Filbinger.«25

Hans Filbinger ist wenige Jahre später dieser ›neue Jurist‹. Er kämpfte für ein ›rassereines‹ Deutschland, autoritär, völkisch und unerbittlich aggressiv. Sein ethnopluralistisches bzw. ›rassebasiertes‹ Verständnis von Recht sticht stark hervor und sekundiert natürlich Carl Schmitt. Aus so einem Filbinger, welcher den ›Schutz der Blutsgemeinschaft‹ einforderte, einen Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat herbei zu fabulieren, wie es der immer noch amtierende Ministerpräsident von Baden-Württemberg getan hat – denn es gibt nichts Lächerlicheres als eine Rede oder einzelne Worte daraus zurück zu nehmen – ist an Absurdität, Lüge, Infamie, Bevölkerungsverdummung und Geschichtsklitterung nicht zu überbieten.

Wer weiterhin behaupten möchte, und sei es z. B. als Berliner Antisemitismusforscher der Technischen Universität, die Bundesrepublik sei peu à peu weniger antisemitisch geworden die letzten Jahrzehnte, mag das weiterhin behaupten. Ernst nehmen muss man solche Forscher in Zukunft nicht mehr. Denn nur eine politische Kultur der Erinnerungsverweigerung lässt einen Oettinger vor 700 geladenen Gästen inclusive dem Bundesinnenminister das sagen, was er gesagt hat in Freiburg im Breisgau.

Im Heft Oktober 1937/Januar 1938 ist auf der Rückseite der Werkblätter wiederum Werbung für das Winterhilfswerk abgedruckt, diesmal mit Reichsadler und Hakenkreuz und dem Spruch »Der Sammler und Helfer des WHW steht freiwillig im Dienste des Volkes. Achte ihn durch dein Opfer!« oder aber: »Ein Volk hilft sich selbst« Winterhilfswerk 1938/39, wie es wenig später treffend heißt…

Ein Volk hilft sich selbst – das ist doch ein toller Wahlspruch auch für das post-NS-Deutschland. Kurt Georg Kiesinger, Nazi und Bundeskanzler der BRD, machte den Weg frei für den begeisterten Nazi und katholischen Bündler Filbinger als so called Landesvater im Ländle, dem wiederum von Günther Oettinger, definitiv kein NSDAP-Mitglied jemals, wie die jüngere Forschung erwiesen hat, durch dessen Totenrede geholfen wurde, die ›Eigenart‹ zu wahren und alles ›Volksfremde‹ abzuwehren, im Dom zu Freiburg. Die späteren salamitaktischen Rückzieher Oettingers konnte Filbinger nicht mehr hören. Er genoss die warmen, ihn und das Neudeutschland incl.

Weikersheim von jedem Fanatismus, Antisemitismus, Nazismus und Nationalismus exkulpierenden Worte seine Nach-Nach-Nachfolgers Oettinger. Wer exkulpiert alsbald Oettinger, der nicht nur die erste Strophe des Deutschlandliedes gerne singt, vielmehr 1998 gegen die kritische Wehrmachtsausstellung hetzte? Wer mag das bewerkstelligen in diesen schwierigen Zeiten, wo es für alle Zufriedenen und Affirmativen gilt die Erinnerung an die präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen ein für alle Mal wegzuwischen, das Unvergleichbare zu vergleichen, zu bagatellisieren, nicht nur aber auch um Teheran seine Rechtfertigung für den kommenden Judenmord zu geben?

Wer also mag diese große Aufgabe in Angriff nehmen? Das schaffen nur die Baden-Württemberger. Bestimmt. Die können wirklich alles.

1 Rolf Fechter (1933): Volk als Begriff und Aufgabe, in: Werkblätter von Neudeutschland Älterenbund, Heft 7/8, 6. Jahrgang, Okt./Nov. 1933, S. 160-169, hier S. 160.
2 Ebd.: 161.
3 Ebd.: 167.
4 Ebd.: 169.
5 Hanns Filbinger (1933): Aus einem ›Jüngerenkreis‹, in: Werkblätter von Neudeutschland Älterenbund, Heft 7/8, 6. Jahrgang, Okt./Nov. 1933, S. 204-205, hier S. 204.
6 Ebd.: 205.
7 Max Müller (1933): Zum Geleit, Werkblätter 9/10, 6. Jg., Dez 33/Jan 34, S. 209–214, hier S. 211.
8 Rolf Fechter (1933a): Das Deutsche Volk im Deutschen Raum, in: Hans Puhl (Hg.) (1933): Bund Beruf Reich. Die Vorträge des Bundestags von Neudeutschland im Limburg a.d. Lahn 1932, herausgegeben im Auftrage der Bundesleitung, Godesberg: Neudeutschland-Älterenbund, S. 135–141, hier S. 135.
9 Karl Gies (1932): Nationale Haltung, in: Werkblätter, Heft 3, 5. Jg., Juni 1932, S. 55–63, hier S. 61.
10 Rolf Fechter (1934): Besprechung von Otto Miller…, in: Werkblätter, 1. Heft, 7. Jg, Mai 1934, S. 21-24, hier S. 21.
11 http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/clemens_heni/
12 Rolf Fechter (1934a): Besprechung von Emil Maubach, »Rheinisches Christentum«, in Werkblätter, 1. Heft, 7. Jg, Mai 1934, S. 32.
13 Emil Maubach (1934): Kritisches über das Tanzen, in: Werkblätter, Mai 1934, S. 36-41.hier S. 40.
14 Vgl. die Angaben am Ende des Bandes Rolf Eilers (Hg.) (1985): Löscht den Geist nicht aus. Der Bund Neudeutschland im Dritten Reich, Mainz (Matthias-Grünewald-Verlag).
15 Rolf Fechter (1934b): Kulturkampf oder innere Erneuerung?, in: Werkblätter, H. 2, Juli 1934, S. 55-58, hier S. 55.
16 Ebd.: 58.
17 Max Müller (1934): Bemerkungen über Liberalismus und Antiliberalismus, in: ebd., 3. Heft, Oktober 1934, S. 111-127, hier S. 127.
18 Max Müller (1934a):Staat, in: ebd.: 129-141, hier S. 140f.
19 Hanns Filbinger (1935): Nationalsozialistisches Strafrecht. Kritische Würdigung des geltenden Strafgesetzbuches und Ausblick auf die kommende Strafrechtsreform, in: Werkblätter, 7. Jg., H. 5–6, März/April 1935, S. 265–269, hier S. 265.
20 Ebd.: 266.
21 Ebd.: 267.
22 Ebd.
23 Ebd.: 268.
24 Ebd.
25 Ebd.: 269.

 

 

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig ‚Deutschland‘ wurde

Original auf www.hagalil.com, 07.07.2006

Das Nationale ist zum deutschen Apriori geronnen. Während die NPD und andere Nazis jahrzehntelang für das massenhafte Tragen von Deutschlandfahnen, Wimpeln, schwarzrotgold umrandete Untertassen und andere Embleme ‚der Deutschen‘ geworben haben, schweigt diese Partei heute, fast.

Zu sehen sind nun die propagierten Accessoires in Millionenausfertigung, ganz Deutschland schwelgt, klatscht, schreit, jubelt und singt „blühe deutsches Vaterland“ wie früher nur die NPD im Hinterstübchen der Deutschen Klause in Delmenhorst (bzw. zeitgleich die SED, die vom „sozialistischen Vaterland“ sprach).

Ein deutscher Stürmer, Podolski, hat die Strophen der Nationalhymne in seinen Fußballschuh, in das Leder einschreiben lassen. Jetzt ist die Fanmeile in Berlin am Brandenburger Tor (das ja jetzt geöffnet ist) zur einhellig getätschelten „patriotischen“ Liebeserklärung geworden, ohne Wenn und Aber, eine Art Bildzeitung in Riesenformat. Wenige Hundert Meter weiter liegen die neu-deutschen Frauen im schwarzrotgoldenen Bikini im Liegestuhl am Holocaust-Mahnmal – tote Juden als Aussichtspunkt des Neuen Deutschland; diese ach so friedlichen ‚Jungdeutschlandregimenter‘ setzen des Altkanzlers Schröders Wort vom Holocaust-Mahnmal als „Ort, an den man gerne geht“, lediglich in die Praxis um.

Schon seit Anfang der 1950er Jahre Adorno seine empirische Reise zu den post-nazistischen Deutschen unternommen hat – Schuld und Abwehr – ist bekannt, dass es keineswegs bei den (West)Deutschen nur um Holocaustleugnung geht. Gerade auch die Annahme der Schuld („Wir Deutschen…“ oder „Das macht uns so schnell keiner nach…“) an der Vernichtung der europäischen Juden war möglich, indem Beethoven, Kleist, Luther und Fontane, Sekundärtugenden, C.D. Friedrich und Verwandtes beschworen wurden. Später, in den 1980er Jahren, sagte der erste Vorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, dass „Deutschland der Welt viel mehr geschenkt“ habe, „als Auschwitz je kaputtmachen könnte“.

Vom holocaustleugnenden Konjunktiv ganz zu schweigen spricht Schönhuber hier eine deutsche Befindlichkeit aus, welche die letzten 20 Jahre, nach der ‚Wiedervereinigung‘ und verschärft seit Rot-Grün 1998ff., immer mehr Einfluss gewinnt, ja von einem Bestandteil rechtsextremer ‚Deutungskultur‘ (Karl Rohe) zu einer gesamtgesellschaftlichen ‚Soziokultur‘ geronnen ist. Wissenschaftstheoretisch ist dabei das Paradoxon zu analysieren wie gerade eine Abkehr von Nationalgeschichte einer Verharmlosung und Universalisierung der spezifisch deutschen, präzedenzlosen Menschheitsverbrechen Vorschub leistet.

An sieben Punkten werde ich darstellen, wie sich diese Bewusstseinslage oder Befindlichkeit, die neue deutsche Ideologie äussert und was daran bemerkenswert ist.

1) Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002: ein Küchlein mit Folgen

Als Ausgangspunkt mag ein Treffen von Nachwuchswissenschaftlern, alles StipendiatInnen eines großen Graduiertenförderungswerkes, von Juli 2002 dienen. Dort hat ein kleines Küchlein, ein am Bahnhof gekaufter Muffin mit Mini-US-Fahne dazu geführt, die Fronten zu klären. Eigentlich als Zuckerl gedacht, entpuppte sich das Gebäck zu einem Objekt der Abwehr seitens typisch deutscher, linker JungakademikerInnen, die dieses US-Fahne – nach 9/11 zumal – unerträglich fanden. Zufällig wurde zu dieser Zeit im TV ein Interview Michel Friedmans mit dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon gesendet. Lediglich zwei der 17 Teilnehmenden hatten daran Interesse, die anderen pflegten ihre Ressentiments gegenüber Juden im Allgemeinen, Israelis im Besondern.

Wohlgemerkt: die Stimmung war schon so deutlich gegen Friedman, dass Möllemanns Flugblatt von September 2002 zur Bundestagswahl, auch gewisse Töne dieses Treffens vornehmlich linker, durchaus gewerkschaftsnaher Akademiker aufgreifen konnte. Dass es genau diese Stiftung bzw. ihre Doktoranden war, die wenige Monate später einen handfesten Antisemitismus-Skandal erlebte (als dessen Konsequenz immerhin eine Tagung zur Kritik des linken Antisemitismus stand), als ein migrantischer Doktorand nassforsch antiisraelische Töne durchs weltweite Netz jagte, überrascht nicht mehr. Fazit: Ressentiments gegen kleine amerikanische Fahnen, Juden und Israelis gehörten zum guten Ton dieses akademischen Nachwuchses. Das führt mich zum zweiten Beispiel.

2) Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006: ich bin deutsch und was bist du?

Mitten in der nationalen Paranoia im Juni 2006, als Siege der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen schwache, schwächste oder unmotivierteste Teams die Stimmen der Moderatoren sich überschlagen und Millionen von Individuen zu einer homogenen Masse zusammenfinden lässt, eine weitere Tagung eines anderen, kleineren Graduiertenförderungswerks. Zu einem Spiel der deutschen Mannschaft wurde extra Party-Material gekauft, um einen Raum zu schmücken. Nicht etwa, um allgemein Fußball-Fan-Artikel der WM ganz allgemein zu drapieren, nein: ausschließlich schwarzrotgold war angesagt, noch nicht einmal die Farben der gegnerischen Mannschaft waren im Horizont der Vorbereitungsgruppe dieses Abends.

Erwachsene Akademiker malten sich mit Schminke die Farben des ‚deutschen Vaterlandes‘ ins Gesicht – wie sollen diese Persönchen in Zukunft noch ernst genommen werden als Wissenschaftler, Intellektuelle gar oder einfach nur interessante Individuen? So etwas war noch vor 12, 8 oder auch 4 Jahren undenkbar.

Dass keineswegs nur typische, ich-schwache und autoritär sozialisierte Personen dazu neigen sich mit einer Nation zu identifizieren, zeigen solche Beispiele wie auch die folgenden. Gleichwohl ist jede nationale Identifikation in Deutschland Zeichen eines persönlichen Defizits, das zu kompensieren aufgebrochen wird.

3) Walk of Ideas, Berlin 2006

Mitten in Berlin stehen sechs mega große Skulpturen, die zeigen sollen, dass Deutschlands „größtes Kapital“ „die Ideen der Menschen“ seien. Erfindungen werden hier nicht als Erbe der Menschheit, vielmehr als nationales Gut, als ‚volksmässig‘ akkumuliertes Kapital betrachtet. Vom Automobilismus, der Medizin, der unvermeidlichen Bemächtigung Einsteins Relativitätstheorie über den Fußballschuh, der Musik hin zum Buchdruck.

Letzterer ist ein gutes Beispiel, wie Deutschland heute funktioniert:

„Die Verbreitung des gedruckten Wortes beschleunigte Reformation und Aufklärung und unterstützte die Alphabetisierung. Dichter und Denker nutzten die neue Technik und ließen die deutsche Buchlandschaft erblühen – Zensur und Barbarei hätten sie fast zerstört: Am 10. Mai 1933 verbrannten Nationalsozialisten überall in Deutschland Werke moderner und regimekritischer Autoren. Die Bücherverbrennung setzte 500 Jahren deutscher Buchkultur ein vorläufiges Ende.“

So steht es auf einer Tafel zu dieser Skulptur am Bebelplatz in Berlin, Unter den Linden. Da stutzt man gewaltig: die Bücherverbrennung als „Ende“ „deutscher Buchkultur“? Waren die Werke Carl Schmitts, Richard Euringers, Eberhard Wolfgang Möllers, Martin Heideggers oder Erwin Guido Kolbenheyers nicht gedruckt worden in den Jahren 1933–1945? Was verbirgt sich hinter der Chiffre „moderner und regimekritischer Autoren“?

Wenn die Werke Heines aus dem 19. Jh. verbrannt wurden, wurde dann ein „NS-regimekritischer“ Autor verbrannt? Typisch ist die Auslassung des Antisemitismus, der jedoch de facto in Goebbels hetzerischer Ansprache an jenem 10. Mai 1933 auf diesem Platz deutlich zu hören war, als er vom „jüdischen Intellektualismus“ sprach, der ein Ende nehmen müsse. Dass sich gerade die Deutschen über die Jahrhunderte hinweg gerade nicht als Gesellschaft, die Büchern aufgeschlossen gegenüber steht, entwickelt hat, vielmehr Juden als Vertreter einer „Buchkultur“ oder „Gesetzesreligion“ angeprangert wurden, wird einfach derealisiert.

Wer sich die Geschichte des Antiintellektualismus anschaut, d.h. insbesondere die bis heute prägende Studie von Dietz Bering von 1978, weiß, dass der Affekt gegen das Buch in Deutschland von links bis rechts Tradition hat. Die Skulptur des Jahres 2006 suggeriert den Millionen Besuchern Berlin bzw. der Bundesrepublik: fast wäre das Buch an sich zugrunde gegangen, aber es ging noch mal gut. Dazu gesellt sich natürlich das Automobil, unter Hitler wären es die Autobahnen gewesen, welches der Welt vor dem Brandenburger Tor präsentiert wird.

Dass Audi, deren Modell nun überdimensional vor dem Brandenburger Tor steht, heute eine Tochter des Volkswagenkonzerns ist, der 1938 in der „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ gegründet wurde, wird klammheimlich bejaht, ja verbreitet Stolz im Neuen Deutschland wie annodazumal.

4) „Die Nazis wurden doch sportlich, 1936!“ Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus

Auch in der Wissenschaft ist seit Jahren ein Trend bemerkbar, den Nationalsozialismus als ganz normale Gesellschaft – hier am Beispiel des Sport – darzustellen, Antisemitismus und Volkstumsideologie werden entweder offen oder subkutan affirmiert. Dazu dient als brillantes Beispiel die häufig zitierte und auch von linken Zeitschriften wie Konkret positiv angeführte Historikerin Christiane Eisenberg, die insbesondere deshalb in gewissen Kreisen einen Namen hat, weil sie Fußball-Analyse als wissenschaftliche Disziplin anerkannt habe.

Wichtig für ein Verstehen Ihres Ansatzes ist der Kulminationspunkt ihrer Habilitationsschrift aus dem Jahr 1997, eine Analyse der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin. In dieser Schrift versucht sie zu zeigen, wie Deutschland durch den Sport eine bürgerlich(er)e Gesellschaft nach dem Vorbild Englands wurde, die Studie heißt auch entsprechend „“English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800–1939″.

Eisenberg versucht dem Sport ein Eigenleben auch und gerade unter den Bedingungen eines Herrschaftssystems wie dem Nationalsozialismus, welchem damit gleichsam ein ganz normaler Platz im Pantheon der (Sport-)Geschichte gesichert werden soll, zuzugestehen.

„Für die Atmosphäre der Spiele war es darüber hinaus von kaum zu überschätzender Bedeutung, daß es reichlich Gelegenheit zur internationalen Begegnung und freien Geselligkeit außerhalb der Arenen gab. Gemeint sind hier weniger die Restaurants auf dem Reichssportfeld und auch nicht die zahllosen Empfänge und Partys der Nazigrößen. Das Urteil gründet sich vielmehr darauf, daß der Großteil der männlichen Athleten in einem Olympischen Dorf untergebracht wurde, so wie es erstmals bei den vorangegangenen Spielen in Los Angeles 1932 versucht worden war. Hatte das OK [Olympische Komitee C. H.] zunächst geplant, dafür eine bereits bestehende Kaserne zu renovieren, so ergab sich 1933 auf Vermittlung Walter v. Reichenaus die Chance, Neubauten zu bekommen. In der Nähe eines Truppenübungsplatzes in Döberitz/Brandenburg wurden in einem landschaftlich reizvollen Gelände 140 ‚kleine Wohnhäuser‘ für das Infanterie-Lehrregiment gebaut, deren Erstbezieher 3.500 Sportler wurden. Es gab Sporthallen, ein offenes und ein überdachtes Schwimmbad, Spazierwege, Blumenbeete und Terrassen mit Liegestühlen. Zu den Gemeinschaftsräumen gehörten eine vom Norddeutschen Lloyd bewirtschaftete Speiseanstalt mit internationaler Küche und ein Kino.“

Eisenberg will einer neuen Sicht auf den Nationalsozialismus den Weg ebnen. In gezielter Negierung gesellschaftlicher Totalität isoliert sie Momentaufnahmen aus ihrem Kontext, um deren Allgemeingültigkeit, ja Universalität, kurz, das moderne Moment zu würdigen. Denn „Blumenbeete und Terrassen mit Liegestühlen“ sind ja eine feine Errungenschaft, in Berlin 1936 wenigstens so lobenswert wie in Los Angeles 1932, will sie suggerieren.

Sie kritisiert die kritischen Reflexionen und Analysen bekannter und renommierter Sportwissenschaftler wie Hajo Bernett, Thomas Alkemeyer oder Horst Ueberhorst. Auch die Untersuchungen des Politikwissenschaftlers Peter Reichel über den Schönen Schein des Dritten Reichs qualifiziert Eisenberg ab:

„Diese Interpretation der Spiele vermag aus drei Gründen nicht zu überzeugen. Erstens ist das zugrundeliegende Argument methodisch fragwürdig, weil es nicht falsifizierbar ist. Wer immer das Gegenteil behauptet, daß Berlin 1936 ein Ereignis sui generis und der schöne Schein auch eine schöne Realität gewesen ist, riskiert es, als Propagandaopfer abqualifiziert zu werden.“

Die Olympiade in Berlin 1936 sei ein ‚Ereignis‘ ’sui generis‘ gewesen, gleichsam eine ’schöne Realität‘. Diese positivistische Abstraktion von jeglicher Gesellschaftsanalyse ist für nicht geringe Teile der Mainstream-Wissenschaft typisch. Ihre Argumentation steigert Eisenberg noch, indem sie Reichels Analyse im Reden von den vermeintlichen ontologischen Zwittern Sport und Propaganda untergehen lässt:

„Zweitens ist das Argument unergiebig, weil Sport und Propaganda wesensverwandt sind. Beide sind nach dem Prinzip der freundlichen Konkurrenz strukturiert, beide verlangen von den Akteuren eine Be-Werbung um die Gunst von Dritten (‚doux commerce‘). Daß dabei geschmeichelt, poliert, dick aufgetragen, ja gelogen und betrogen wird, überrascht niemanden, weder in der Propaganda noch im Sport. Olympische Spiele sind, so gesehen, immer Illusion und schöner Schein; eben das macht ihre Faszination aus. Daraus zu folgern, daß Berlin 1936 eine umso wirksamere Werbemaßnahme für den Nationalsozialismus gewesen sein müsse, wäre jedoch kurzschlüssig. Denkbar wäre auch, daß Nutznießer der Propaganda der Sport war. Diese Möglichkeit hat jedoch noch keiner der erwähnten Autoren geprüft.“

Eisenberg will sagen: So schlimm kann der Nationalsozialismus doch nicht gewesen sein, wenn ein so zentrales Moment für moderne, freizeit- und spaßorientierte Gesellschaften wie der Sport, gar ein ‚Nutznießer‘ dieses politischen Systems war. Diese eben zitierte Passage ist Ausdruck eines Wandels politischer Kultur in der BRD. Ungeniert lässt sie den Nationalsozialismus, am Beispiel der Olympischen Spiele von 1936, im Kontinuum bürgerlicher Gesellschaft, die eben im Sport ‚wesenhaft‘ lüge, dick auftrage und schmeichele, aufgehen.

Wie soll es nach der auf internationale Verständigungspolitik“ ausgerichteten Weimarer Republik möglich gewesen sein,

„daß die Olympiapropaganda nach 1933 plötzlich eine Nazifizierung der Athleten und des sportinteressierten Publikums bewirkte? Mußte nicht zuvor eine Versportlichung der Nazis erfolgt sein?“

Bei dieser Olympiade wurde ein ‚Weihespiel‘, die „Olympische Jugend“ von Carl Diem uraufgeführt. Es geht in diesem olympischen Weihespiel um „‚Kampf um Ehre, Vaterland'“. Die Jugend sieht ihrem Selbst-Opfer ins Gesicht: „Allen Spiels heil’ger Sinn: Vaterlands Hochgewinn. Vaterlandes höchst Gebot in der Not: Opfertod!“ Eisenberg ordnet diesen Opfertod folgendermaßen ein: das Diemsche „Festspiel“ werde

„in der sport- und tanzhistorischen Literatur als Verherrlichung des ‚Opfertodes‘ für die nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘ interpretiert – was nicht zu überzeugen vermag. Erstens gehörte die Opferrhetorik schon in der Weimarer Republik zum spezifisch deutschen Sportverständnis (…) Zweitens haben die Zeitgenossen des Jahres 1936 die Szene ohne Zweifel mit dem Ersten Weltkrieg und nicht mit dem bevorstehenden Zweiten in Verbindung gebracht.“

Auch wenn sich die Historikerin ganz sicher ist („ohne Zweifel“), bleibt zu betonen: die Erinnerung an die deutschen Toten des I. Weltkriegs war sehr wohl die Vorbereitung auf den II. Der ‚Langemarck-Topos‘ der Jugend, des Opfers und des Nationalen kommt hierbei zu olympischen Ehren. Die internationale Anerkennung der Spiele ist Zeichen des Appeasements dem nationalsozialistischen ‚Aufbruch‘ gegenüber. Wenn in einem Buch von 1933 ausgeführt wird:

„‚Daraus erhellt, daß bei Ausbruch des Krieges der Zukunft die Ausbildung künftiger Langemarckkämpfer um ein mehrfaches verlängert und die Material- und Munitionsmenge für heutige Schlachten um ein Vielfaches vermehrt werden muß'“,

so muss gerade eine solche Interpretation des Langemarck-Topos ernst genommen und nicht, wie bei Eisenberg, als quasi Weimarer Tradition, die zufällig 1936 wieder hervortritt, verharmlost werden. Dagegen ist die Kontinuität von ’33 bis ’36 zu sehen, die soeben zitierte Passage von ’33 bekommt im Festspiel von Diem eine internationale Beachtung findende Weihe, wie Eisenberg unschwer in der Forschungsliteratur hätte nachlesen können:

„So wurde im Glockenturm des Berliner Olympia-Stadions eine Gedächtnishalle für die Toten von Langemarck eingerichtet, und Carl Diems Eröffnungsspiel der Olympiade von 1936 endete mit ‚Heldenkampf und Totenklage‘; eine Division des Hitlerschen Ost-Heeres bekam den Namen ‚Langemarck'“.

Ein weiterer Kritikpunkt, ganz eng am Diemschen Spiel und seinen Protagonisten wie der Ausdruckstänzerin Mary Wigman orientiert, ist folgender: es lässt sich gut zeigen, wie Wigmans Auffassung von Opfertod Diems Weihespiel in diesem Punkt inhaltlich bzw. choreographisch bereits vor ’33 antizipiert hat, so am „Stück ‚Totenmal‘, einem Drama von Albert Talhoff, welches von Talhoff und Wigman 1930 gemeinsam inszeniert wurde, wobei Wigman die tänzerische Choreographie übernahm.

Das Werk wurde zum Gedenken an die Gefallenen des 1. Weltkriegs geschrieben. (…) [Zudem] ist dieses Werk ein Prototyp nationalsozialistischer Inszenierungen, zum einen wegen des Themas (Verehrung der gefallenen Soldaten) zum anderen wegen der Form (die Inszenierung stellt eine Kombination aus Sprechchor und Bewegungschor dar).“ Waren schon die „Tanzfestspiele 1935“ eine „Propagandaveranstaltung für den deutschen Tanz nationalistischer Prägung“, so kulminierte das im olympischen Jahr im Weihespiel von Diem, an dem Wigman aktiv beteiligt war. Ein Sportwissenschaftler, Micha Berg, weist auf die zentrale Bedeutung von Symbolik für das nationalsozialistische Deutschland hin und zitiert den völkischen Vordenker Alfred Baeumler:

„Das Symbol gehört niemals einem Einzelnen, es gehört einer Gemeinschaft, einem Wir. Dieses Wir ist nicht ein Wir des gesinnungsmäßigen Zusammenschlusses von Persönlichkeiten, ist nicht ein nachträgliches Wir, sondern ein ursprüngliches. Im Symbol sind Einzelner und Gemeinschaft eins. (…) Das Symbol ist unerschöpflich, in ihm erkennt sich sowohl der Einzelne wie die Gemeinschaft.“

Dieses ‚ursprüngliche Wir‘ kehrt heute im deutschen Feuilleton wieder, gerade am Beispiel der deutschen Hymne, wie weiter unter an einem weiteren Beispiel gezeigt werden wird. Es bleibt zu konstatieren, dass Eisenberg darauf beharrt: Diems Festspiel ende doch mit Beethovens „Schlußchor der IX. Sinfonie mit der ‚Ode an die Freude‘ von Friedrich Schiller“, was Ausdruck von ‚Kunst‘ sei. Sie schließt ihre Arbeit, indem sie nicht nur dem Sport unterm NS mehr Möglichkeiten als noch in der Weimarer Republik attestiert, sondern auch, den II. Weltkrieg als „Beeinträchtigung des Wettkampfbetriebs“ euphemisierend, dem Nationalsozialismus bescheinigt, er habe den „Sport“ zuungunsten des Turnens gewinnen lassen, was sie als „Rahmen für den Sport in der Bundesrepublik“ für gut erachtet.

Besser hätte es die Neue Rechte oder jeder Konservativismus auch nicht hinbekommen: Die Nazis wurden im NS sportlich und nicht umgekehrt. Damit werden der NS verharmlost, Juden gedemütigt und Deutschland gerettet, die Habilitations-Mission ist erfüllt.

Dieser etwas ausführlichere Ausschnitt mag verdeutlichen, wie gegenwärtige Geistes- und Sozialwissenschaft in der Bundesrepublik funktioniert (wenn sie erfolgreich sein will im affirmativen Sinne, Eisenberg bekam alsbald eine Professur an der Humboldt-Universität). Es ist gerade bei politisch angeblich unverdächtigen Personen Mode geworden, den Nationalsozialismus einzubetten in ein Kontinuum, um auf jeden Fall den Zivilisationsbruch, den Auschwitz bedeutet, zu verdecken oder zu leugnen.

Die bürgerliche Gesellschaft wird gerade in Deutschland so dargestellt, als sei die Gesellschaft im NS 1936 ganz ähnlich strukturiert gewesen wie die der USA bei den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles. Das, was das nationalsozialistische Deutschland sehr spezifisch kennzeichnete, wird gezielt weggewischt, als irreal abgetan oder schlicht und ergreifend gar nicht analysiert. Vielmehr soll gelten: Die Existenz von Liegestühlen und Blumenbeeten für Sportler wiegt den Antisemitismus und Ausschluss jüdischer SportlerInnen auf. Dieser Antisemitismus ist erst auf den zweiten Blick erkennbar, ein Blick, der allzu selten vorgenommen wird.

5) Drei weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren Verharmlosung der deutschen Verbrechen

In der Dissertation des heutigen Konstanzer Juniorprofessors Sven Reichardt wird diese Position am Beispiel eines Vergleichs deutscher und italienischer ‚faschistischer‘ Geschichte deutlich:

„Der in dieser Arbeit zugrundegelegte Faschismusbegriff stellt eine eigene praxeologische Analyse der faschistischen Bewegung vor, die nicht an die marxistische Deutung und nur selektiv an die neuesten angloamerikanischen Arbeiten und Noltes Definition anknüpft“.

Antisemitismus wird zwar als Differenz von italienischen Squadristen und deutscher SA erwähnt, aber als wenig bedeutsam klein geredet, zudem als bloßer ‚Rassismus‘ verkannt. Das ist Folge des bei Reichardt paradigmatisch für weite Teile heutiger Historiografie hervortretenden komparatistischen Zugangs, der die Präzedenzlosigkeit der deutschen Verbrechen und ihrer Vorgeschichte gezielt negiert.

Konsequent ist es, wenn u. a. Reichardt dem Altlinken Karl Heinz Roth Rat gab bei der Verabschiedung einer Analyse des Nationalsozialismus zugunsten eines ubiquitären Faschismusbegriffs, vgl. Roths Aufsatz aus dem Jahr 2004 „Faschismus oder Nationalsozialismus? Kontroversen im Spannungsfeld zwischen Geschichtspolitik, Gefühl und Wissenschaft“.

Roth exkulpiert die Deutschen in althergebrachter Diktion von ihrem Antisemitismus, wenn er schreibt:

„Weitaus gebräuchlicher ist indessen der Begriff ‚Nationalsozialismus‘: Es handelte sich zunächst ebenfalls um eine affirmative Selbstdefinition, die aber elementare Prämissen, nämlich den militanten Antisozialismus, verschleiert. Darüber hinaus ist der Begriff nicht vergleichsfähig, weil er seine faschistischen Kontexte und Varianten per definitionem ausschließt. Er schließt aber auch alle anderen Bezüge zur europäischen und Weltgeschichte aus oder unterwirft den Blick auf Europa und die Welt der affirmativen Selbstkonnotation. Auch die kritisch distanziert gemeinte Analyse des ‚Nationalsozialismus‘ vermag nicht über einen germanozentrischen Blickwinkel hinaus zu gelangen“.

Bezeichnend ist, dass Roth nicht von einer deutschen Spezifik bei der Analyse des NS spricht, vielmehr einer „transnationale[n] und komparative[n] Sichtweise auf die faschistische Epoche“ das Wort redet. Das wird von einem weiteren Juniorprofessor sekundiert, wenn Kiran Klaus Patel ohne mit einem Wort den eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen und die Präzedenzlosigkeit der Shoah analysierend, „transnational“ Phänomene wie den NS betrachten möchte und zum Schluss kommt:

„Gerade für das NS-Regime verspricht eine transnationale Perspektive neue Erkenntnisse. (…) Denn die Distanz zwischen NS-Regime und New Deal war weniger tief als häufig angenommen“.

Solche Perspektive hat durch Arbeiten der Neuen Rechten – exemplarisch sei der wichtigste Neue Rechte in der Bundesrepublik seit Anfang der 1970er Jahre bis heute, Henning Eichberg, erwähnt – über die Jahrzehnte hinweg den Boden bereitet bekommen.

6) Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze deutsches Vaterland“ – von Diem zu Klinsmann

Jürgen Klinsmann wird zu Unrecht als wenig typisch deutscher Sportler betrachtet. Zwar war er in England bei den Spurs eine Kultfigur geworden, weil er als Deutscher so nett erschien und die Fans zu sangen begannen „Juergen was a German now he is a Jew“, was auf die umgepolte Selbststilisierung zum „Judenklub“ Tottenham Hotspurs anspielt, aber analytisch ist das nicht tief gehend.

Vielmehr war es Klinsmann, der das Deutsche evozierte, aggressiv zu werden, trotz kalifornischem Wohnort und internationalem Habitus. Er war es, der die deutsche Nationalmannschaft fast einhellig dazu brachte, lauthals die Nationalhymne zu trällern, den jungen Deutschen ein positives Gefühl für ihr Deutschland zu geben. Dass es so ein Gefühl nach Auschwitz in Deutschland nie wieder geben sollte, fällt da natürlich unter den volksgemeinschaftlichen Tisch. Dass keinem es auffällt oder zu peinlich oder widerlich ist, eine Hymne zu singen, die wortwörtlich auch im Nationalsozialismus gesungen wurde, ist doch schockierend, nicht?

Weit mehr: in einem Artikel der wiederum eher links-liberal daherkommenden Frankfurter Rundschau steht am 27. Juni 2006 folgender Text, der sich anhört als wäre er 1936 geschrieben worden, lange bevor der Autor geboren wurde:

„Wir wissen, schon in zwölf Jahren wird fast keiner mehr erzählen können, wie er sich als Kriegsteilnehmer in einem Kreis von Kriegsteilnehmern gefühlt hat, als der Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Bern durch den europäischen Äther ging. Wir wissen zugleich: Schon in ein paar Wochen wird unsere Erinnerung an die schönsten Spiele dieser Weltmeisterschaft merkwürdig transparent und ausgeblichen sein, als vertrüge unsere tägliche Gedächtnispraxis das heftige Licht des Geschehenen auf Dauer nicht. Die Gegenwart muss sich einhaken. Anders gesagt: Unsere stärksten Gefühle lassen uns für eine kurze Spanne spüren, dass wir die kommenden Toten sind. Deshalb ist es schön, sie zu zweit, und besonders rührend, sie in einer Gemeinschaft von ähnlich Gestimmten durchleben zu dürfen. Gemeinsam singend, genießen wir uns als die baldigen Toten.“

Diese Propaganda ist nichts anders als die Beschwörung einer Gemeinschaft von Deutschen, die sich in völkischer Tradition sehen wollen. Es hört sich wirklich genuin nationalsozialistisch an, ist aber ein Text eines jüngeren Autors, Georg Klein, Jahrgang 1953 und Ingeborg-Bachmann-Preisträger.

Dieser Feuilleton-Text zeigt die Ungeniertheit, die das nationale Apriori ermöglich, hervorkitzelt und zum Ausdruck bringt. Eigentlich wäre bisher bei so einer Zeile, dass die stärksten Gefühle jene seine, die mir sagen, dass ich, nein: wir die „kommenden Toten“ sein werden, ein Aufschrei durch das Land gegangen. Heute nicht. Es geht nicht um die Sterblichkeit der Menschen.

Es geht um die Konstruktion eines homogenen Ganzen, eines Volkskörpers, das jeden einzelnen nur unter dem Aspekt dieses Körpers, des Volkes sieht und nicht – gleichsam katholisch gedacht – als Kind unter „Gottes Hand“. Muss man wirklich Katholik werden um solch völkische Rede der Frankfurter Rundschau zu kontern? Gut, Klein möchte als Deutscher sterben, soll er das.

Es wird auch weiterhin Leute geben, die lieber als Menschen, als ganz spezifische Individuen mit Macken, Vorlieben, Träumen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Enttäuschungen, Freuden und Ekel, denn als Deutsche sterben.

Dazu passt, dass der ehemalige Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse, fordert, doch noch mehr Strophen dieser deutschen Hymne zu verfassen. Nicht etwa dass der ehemalige DDR-Bürger Thierse die Abschaffung eines nationalen Symbols forderte, wo kämen ‚wir‘ hin? Wer in Berlin in den Stadtteil Lichtenberg im Osten fährt weiß wie aktuell die Gefahr des Umkippens vorgeblich harmlosen Singens der deutschen Hymne in Hetze und Gewalt durch Nazis ist. Dort gibt es Straßen, wo die Reichskriegsflagge in Eintracht mit der schwarzrotgoldenen am Haus hängt.

Vor wenigen Wochen, vor der WM, wurde in dieser Gegend ein bekannter deutsch-türkisch-kurdischer Kommunalpolitiker schwer verletzt. Nazis haben hier die Hoheit, schwarzrotgoldene Hosenträger, Markenzeichen schon seit eh und je der dickbäuchigen Nazis, schon zu BRD-Zeiten, sind ja heute in Mode, wo alle deutsche Welt schwarzrotgold trägt, als Armkettchen, Rock, T-Shirt oder Gürtel aus biologisch abbaubarer Wolle.

All diejenigen, die jetzt das Deutsche hochleben lassen sind politisch für solche Gewalttaten von Nazis mitverantwortlich zu machen. Das ist ja auch nichts Neues: früher haben auch Liberale und Linke Konservativen bzw. Rechten die Mitschuld am immer stärker werdenden Rassismus gegeben, am deutlichsten und treffendsten vielleicht 1992/1993 bei der de facto Abschaffung des individuellen Asylrechts durch CDU/CSU/SPD und ihren Helfern in anderen Parteien, Medien und Verbänden.

Geschichtspolitisch wurde immer auf die Vordenkerfunktion der geistigen Elite hingewiesen, nicht erst zum Historikerstreit 1986ff. Bereits Ende der 1970er Jahre, Anfang der 1980er Jahre, als in der BRD das Nationale offen aufs Tableau kam – nicht zufällig schon damals übrigens von Jürgen Habermas, der 1979 zwei Bände herausgab, welche die „nationale Frage“ auf die Tagesordnung setzten und Martin Walser davon sprach, lediglich wenn „wir Auschwitz bewältigen könnten, könnten wir uns wieder nationalen Fragen zuwenden“ – wurde z. B. von Wolfgang Pohrt auf diese nationale Vordenkerfunktion zumal der Linken, Alternativen und Grünen verwiesen.

Schon damals also wurde deutlich dass das Einfordern universalistischer Prinzipien von Staatsbürgerschaft und politischem Gemeinwesen, für das Habermas steht, einher gehen kann mit einer Verharmlosung der deutschen Geschichte, ja ein nationales Narrativ gleichsam als Grundlage auch eines nicht blutsmässigen Staatsdenkens zu erkennen ist.

Wer also heute im Schwenken der deutschen Fahne nichts Gefährliches sieht, weil er oder sie nicht die Nazis auf der Straße, die fast komplett ’national befreite Zone‘ Ostdeutschlands sieht, weil doch lediglich Party gemeint sei und ein ‚Patriotismus‘ nie und nimmer mit Nationalismus verwechselt werden dürfe, irrt gewaltig. Das wird im folgenden Punkt noch deutlicher.

In einer Radiosendung des SWR in Stuttgart vor wenigen Tagen ging es um diesen neuen ‚Patriotismus‘, die Fahnenmeere etc. Hermann Bausinger, emeritierter und wohl dekorierter Kulturwissenschaftler aus Tübingen legte die Pace dieser nationalen Debatte vor. Er meinte ganz freudentrunken, dass das neue nationale Pathos völlig harmlos und schön sei, gerade weil alles Militärische daran fehle. Und dieses Fehlen des Militärischen sei Konsequenz der deutschen Verweigerungshaltung im Irak-Krieg, ja die deutsche Friedenssehnsucht sei Prämisse eines neuen, zurecht stolzen Deutschland. Der Hass auf die USA, der Antizionismus, das Appeasement und die klammheimliche Freude ob des Djihad sind dieser friedlichen Hetze inhärent.

7) Keine „Reue“ zeigen: gegen „amerikanischen Messianismus“ – Matusseks nassforsche Invektiven oder Wie funktioniert sekundärer Antisemitismus?

Der Spiegel Kultur-Ressort-Leiter Matthias Matussek hat mit seinem Bestseller „Wir Deutschen – Warum uns die anderen gern haben können“ ein offen nationalistisches Buch geschrieben, das in vielerlei Hinsicht ohne Walsers Tabubruch von 1998 im Mainstream-Journalismus nicht so ohne weiteres zu denken war. Der Bezug zu Bausingers Friedensliebe der Deutschen ist ganz offenbar in einem Interview Matusseks mit Peter Sloterdijk. Matussek gibt dem TV-Philosophen eine neu-deutsche Steilvorlage, wenn er fragt:

„Sichtbar wird vielmehr ein neues deutsche Selbstbewusstsein, zumindest in der Außenpolitik, die sich sogar den Widerstand gegen den amerikanischen Messianismus erlaubt hat.“

Das Ressentiment gegen „jüdischen“ Messianismus, wie er in antisemitischen Texten überall auftaucht, bekommt hier völlig selbstverständlich, aber rhetorisch kaschiert, seine Weihen. Der alte SPD-Mann Egon Bahr nennt das in einem Büchlein dann logisch „den deutschen Weg“ – gegen den „amerikanischen“ – und der Wirtschaftswissenschaftler Werner Abelshauser stimmt als einer unter vielen in diesen nationalen Chor ein.

Matussek ergeht sich nicht nur in Allgemeinplätzen, die er oft selbst erfindet wie folgenden „Die Liebe zum Vaterland ist eine Kraft, schon seit der Antike“ – aber sein Ton ist so ungeheuerlich aggressiv, schwülstig deutsch, durchsetzt von antienglischen Invektiven, dass deutlich wird, wie stark ein stolzer Deutscher auf Feinde und Gegner eingestellt ist.

Da werden Engländer zum „unsympathischsten Volk auf Erden“ erklärt, der deutsche „Bildungsbürger“ beschworen und gegen die „englische Klassengesellschaft“ gesetzt und Klaus von Dohnanyi, ein Altpolitiker der SPD aus Hamburg, phantasiert demokratische Traditionslinien der Deutschen herbei, die angeblich älter seien als die Englands ohne zu betonen, dass es in Deutschland keine erfolgreiche und konsequente demokratische Revolution je gegeben hat. Ein Hinweis auf deutsche Verbrechen trotz „Bildung“ gereicht den beiden Gesprächspartnern Dohnanyi und Matussek dazu, Englands Sklavenhandel und Nordamerikas Sklavenhaltergesellschaft zu geißeln. Diese deutschen Schuld-Projektionsleistungen sind zwar häufig analysiert worden, aber treten heute umso reflexhafter, ungenierter hervor als je zuvor. 9/11 hat da Dämme brechen lassen.

Und so kulminiert das Gespräch der beiden Stolzdeutschen in einem Satz, der an Antisemitismus und Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus nicht deutlicher ausfallen könnte:

„Die Juden hatten es ja sogar in Deutschland in den ersten Nazi-Jahren besser als damals die meisten Schwarzen im Süden.“

So spricht Klaus von Dohnanyi und Matthias Matussek hats gefreut! Solche Tabubrüche, den Nationalsozialismus mit seiner Braunen Revolution von 1933 als Beginn zu loben, sind heute eine Bestsellergarantie und kein Fall mehr für einen Skandal. Der Verlag der solche antijüdische Propaganda druckte heißt auch nicht Grabert-Verlag, vielmehr S. Fischer, einer der ganz großen Verlage in der Bundesrepublik.

An anderer Stelle untermauert Matussek seinen (nun sekundären) Antisemitismus, seine Erinnerungsabwehr ist Walser nach dem Munde geredet:

„Bei uns wurde der Holocaust, nach einer lähmenden, brütenden Phase der Verdrängung, in eine übereilfertige, nicht mehr versiegende, immer glattere und abgeschliffenere Beschuldigungs- und Verachtungs- und Selbstverachtungsphraseologie überführt, in der ständig nach dem politischen Vorteil geschielt wird.“

Vor 30 Jahren hätte jeder Leser sofort an einen Revisionisten gedacht bei solchen Zeilen, aber nein: Matussek ist kein Holocaustleugner, gewiss nicht. Er ist ein typischer sekundärer Antisemit, der immer, wenn es um die deutschen Verbrechen geht, jene zwar nicht leugnet aber als Bagatelle abtut, ja er spricht – wörtlich – bezüglich des Holocaust, der als Thema auf einem Empfang oder einer Party vorkam, von einem „Stimmungskrepierer.“

Diese neu-deutsche Selbstverständlichkeit gerade als Deutsche stolz zu sein, zu betonen, ja zu brüllen: die deutsche Geschichte war im Kern was sehr Schönes, etwas ganz Einzigartiges, „Hitler“ war lediglich ein „Freak-Unfall der Geschichte“ (O-Ton Matussek), ist die neue Befindlichkeit, die neue, deutsche Ideologie im 21. Jahrhundert.

„Ich bin nicht tief traumatisiert, denn ich denke nicht oft an die deutsche Schuld und an den Holocaust“ sagt Matussek, er kämpft wie Walser und Konsorten gegen die „moralische Keule“.

Das sind die Töne des nationalen Apriori.

hagalil.com 07-07-2006

 

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