Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
Micha Brumlik starb am 10. November 2025 im Alter von 78 Jahren und hinterlässt uns das Lebenswerk eines jüdischen linken Intellektuellen, nein: eines linksintellektuellen Juden.
Seine Analysen des deutschen Antisemitismus, zumal der Romantik, sind zentral für das Verständnis dieses Landes. Absolut kennzeichnend für Micha Brumlik war sein Sich-Einmischen in den Alltag der BRD und später der Bundesrepublik.
Ein Freund und ich sprachen erst vor wenigen Monaten über Brumlik, weil wir schon seit längerer Zeit nichts mehr von ihm gelesen hatten. Und das war ungewöhnlich. Weil es seit Mitte der 1980er Jahre sicher keine einzige relevante Debatte über den Nationalsozialismus, deutschen Antisemitismus, Erinnerungsabwehr, jüdisches Leben und alsbald Israel, Nahost, Islam, Jihad und Iran gab, zu der Brumlik sich nicht geäußert hätte.
Brumlik war in seiner Kindheit und Jugend ein Zionist, ging dann nach der Schule sofort nach Israel, machte Aliyah und dachte, dort zu bleiben. Er blieb nicht. Das lag auch an einer enttäuschten Liebe, wie er indirekt in seiner frühen Autobiographie „Kein Weg als Deutscher und Jude“ 1996 schrieb.
(Micha Brumlik (1996): Kein Weg als Deutscher und Jude. Eine bundesrepublikanische Erfahrung, München, Luchterhand. Ich habe die Ullstein-Taschenbuchausgabe von 2000, die ich mir am 18. Mai 2000 in Bremen kaufte)
Mein Berliner Freund erzählte mir jetzt auch von einem Bild, das wiederum typisch war für Brumlik:
Micha Brumlik auf einer Rolltreppe am Bahnhof Zoo, unter beiden Armen je zwei, drei dicke Wälzer. Er war immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft und Publizistik, kannte sich mit dem Antisemitismus der BRD so gut aus wie mit der Kant’schen Philosophie und dem Judenhass der deutschen Romantik bis hin zu Karl Marx, dem er sehr wohl und zurecht in dessen Frühschriften auch Antisemitismus attestierte.
Micha Brumlik war links und jüdisch. Er war aber kein Linkszionist, jedenfalls war er das seit langer Zeit nicht mehr. Er changierte die letzten Jahrzehnte zwischen Anti- und Postzionismus. Und das ist bitter. Aber natürlich legitim. Es war sein Leben als Jude in Europa und in der Bundesrepublik und später ‚Deutschland‘.
Als Jude hatte er Schwierigkeiten mit den linken Deutschen, die nicht jüdisch waren, also mit fast allen. Er beschreibt das in seiner Autobiographie mit tränengetränkter Tinte. Sein Verheimlichen des Jüdischseins, dann sein stolzes Jüdischsein.
Er besetzte mit anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main eine Bühne, als das antisemitische Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt werden sollte, Mitte der 1980er Jahre. Das war die alte BRD.
Es war dann der Herausgeber der einzigen linken Publikumszeitschrift der BRD Hermann L. Gremliza, der Brumlik 2012 bat, ein Buch über Links-Sein und Antisemitismus am Beispiel des Karikaturisten und Karikatur-Historikers sowie linken Aktivisten Eduard Fuchs zu schreiben.
Brumlik hatte als Teenager, grade mal 19 Jahre alt, erkannt, wie der not-wendige Sieg Israels im Sechstagekrieg das Land verändert hat und schrieb ein Gedicht:
„Gerettet das Land, das Leben, das Brot / erkauft um siebenfachen Tod / Gekämpft in Wüste, Stein und See / erkauft um siebenfaches Weh“ (Brumlik 1996, S. 77).
In meiner Dissertation von 2006 über „Ein völkischer Beobachter in der BRD. Die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme am Beispiel Henning Eichberg“ an der Universität Innsbruck (publiziert als Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum Verlag) schreibe ich zu Micha Brumlik:
Martin Walser möchte, ja muss seine »bisher ununterbrochen bekämpfte[] Neigung«(1) zulassen, »wir selbst zu sein«(2). Damit ist die Eichbergsche Tonlage –»wir selbst« – haarscharf und exakt im Jahr 1979, als wir selbst gegründet wurde, getroffen. Eine vor allem »Ich-Überschreitende Gesellschaft« (3) fehlt Walser, alles ist zu flach, hier die DDR dort die BRD, beides reicht nicht für einen echten Deutschen, denn »in jedem der Teile fehlte es dann an Tiefe«. (4) Adorno ist das große Feindbild Walsers. Der ›eigentliche‹ Zustand nach 1945 werde nicht erkannt von einem Adorno: »Schlimmer als der geschmähte Jargon der Eigentlichkeit kommt mir der Jargon vor, in dem da geschmäht wurde.« (5) Adorno steht für die »Intellektuellen«, die nach Walser 1933 »Opfer« wurden, »unbeteiligt« gewesen seien, jedenfalls ›fein raus‹ – anders als das »Volk, das dem Verbrechen zugeschaut hatte, mitgemacht hatte, gejubelt hatte« (6); »Walser« schreibt hier eine »Kampfansage an jene«, die »gemäß antisemitischem Stereotype selbst als jüdisch gelten, nämlich die Intellektuellen« (7), wie Micha Brumlik analysiert und dabei Walsers Text von 1979 sehr treffend in die politische Kultur der BRD einordnet:
»Die Abneigung gegen Intellektualismus und Kapitalismus sind dann schließlich auch das Ausfallstor, durch das ehedem als links geltende Intellektuelle angesichts von Auschwitz wieder Anschluß an einen neu auflodernden deutschen Nationalismus finden können.« (8)
1 Martin Walser (1979): Händedruck mit Gespenstern, in: Jürgen Habermas (Hg.) (1979): Stichworte zur ›Geistigen Situation der Zeit‹. 1. Band: Nation und Republik; 2. Band: Politik und Kultur, Frankfurt/Main (Suhrkamp; edition suhrkamp), Band 1, S. 39–50, hier S. 43.
2 Ebd.: 47.
3 Ebd.: 48.
4 Ebd.: 49.
5 Ebd.: 46.
6 Ebd.: 47.
7 Micha Brumlik (1986): Die Angst vor dem Vater. Judenfeindliche Tendenzen im Umkreis neuer sozialer Bewegungen, in: Alphons Silbermann/Julius H. Schoeps (Hg.) (1986): Antisemitismus nach dem Holocaust, Köln (Verlag Wissenschaft und Politik), S. 133–162, hier S. 151.
8 Ebd.: 150.
Der erste Treffer auf meiner Homepage zu Micha Brumlik ist vom 27. Juni 2009 und betrifft einen Literaturhinweis für meinen Text Antisemitism and Germany: anti-Jewish images from 1602 to 9/11. About Ahasver (the »eternal Jew«), anti-capitalist antisemitism (»Mammon«) and blood libel (»Moloch):
Brumlik, Micha (2000): Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, Munich: Luchterhand
Am 20. März 2010 schrieb ich:
In einem neuen Dokument der Islamophilen Bewegung gegen Kritik am Islamismus sprechen sich Wolfgang Benz (Rentner in spe), Micha Brumlik (immer auf der richtigen Seite), Rita Süssmuth (Bundestagspräsidentin a.D.), Gesine Schwan (ehemalige Kandidatin), Günther Grass (früher selber Mitglied in der Waffen-SS) und auch der Tübinger Professor Karl-Josef Kuschel sowie einige weitere Personen gegen Kritik am Islamismus aus. „Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!“ heißt der zwischen Lächerlichkeit und Realitätsferne schwankende Aufruf von Pro Asyl, dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und dem „Interkulturellen Rat in Deutschland e.V.“. Namentlich Ideen von Frankreich und Italien Ganzkörperschleier, die sogenannte Burka, wenigstens in öffentlichen Einrichtungen zu verbieten, provozieren einen Aufruhr bei den Unterzeichnern. Dabei ist die Burka ein frauenverachtendes Symbol des Islamismus oder des politischen Islam.
Hier zeigte sich schon die ganze Widersprüchlichkeit Brumliks. Gegen Antisemitismus – aber immer wieder verharmlosend was den Islamismus betrifft. Warum? Was spricht dagegen, gegen die Nazis, die AfD, die Neuen Rechten und exakt mit gleicher Kraft gegen die Kopftuchideologie- und praxis und den Islamismus aktiv zu sein? Was spricht dagegen?
Am 09. April 2010 hingegen geht es um die Kritik von Brumlik an seinem Kollegen Wolfgang Benz. Das ist deshalb von einiger Relevanz, weil Brumlik eigentlich ein Kollege von Benz war, mit dem er oft kooperierte wie bei der absurden Analogie von Antisemitismus und der eingebildeten „Islamophobie“, was genauso ein Kampfbegriff ist wie die abstruse Rede von „antimuslimischem Rassismus“, worunter dann auch die Ablehnung des Kopftuchs fällt. Aber bezüglich der Nazi-Vergangenheit von Benz‘ Doktorvater, die ich skandalisiert hatte, war Brumlik alarmiert:
„Freilich haben seine Gegner Benz nun in einem Punkt getroffen, der auf den ersten Blick mit der erwähnten Debatte in keinem Zusammenhang steht. Benz wurde 1968 in München von dem Mediävisten Karl Bosl promoviert und steuerte zu dessen Festschrift 1983 [das war 1988, 1983 war Benz ‚nur‘ Teil der Tabula Gratulatoria, vereint mit Armin Mohler oder Theodor Schieder, C.H.] einen wohlwollenden Beitrag bei.
Durch die Recherchen von Clemens Heni ist jetzt bekannt geworden, dass der 1908 geborene Bosl nicht nur ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP und des NS-Lehrerbundes, später wohl auch der SA war, sondern sich 1938 für eine Mitarbeit im Forschungsprojekt des SS-Instituts ‚Ahnenerbe‘ zum Thema ‚Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte‘ bewarb und aufgenommen wurde. Bosl referierte noch im Januar 1945 auf der letzten NS-Historikertagung in Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn zum Thema ‚Landesausbau im baierischen Raum‘. 1964, Bosl war weit über fünfzig Jahre alt, nahm er eine Einladung der rechtsextremen Vertriebenenorganisation ‚Witikobund‘ an und beschuldigte bei einem ‚Sudetendeutschen Tag‘ die Tschechoslowakei ‚einer radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems‘ nach hitlerschem Modell‘.
Soweit ersichtlich, hat sich Benz (…) zu diesen Vorhaltungen nie ausführlich geäußert. Bekannt sind allenfalls beiläufige Äußerungen, Bosl sei kein ‚Nazi‘ gewesen. So scheint eine erneute Debatte unerlässlich.
Dass ein ehemaliger Doktorand einem ihm freundlich gesonnenen Doktorvater die Loyalität hält, ist verständlich. Doch der Umstand, dass sich die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Leitfiguren, etwa Theodor Schieder, der den Generalplan Ost mitentworfen hatte, oder Werner Conzes, dessen Karriere als Sozialhistoriker mit völkischen Studien zur Siedlungsgeschichte begann, auseinandersetzten, hat ihr nicht geschadet.
Wolfgang Benz‘ Schweigen, das seine anderweiten Verdienste nicht schmälern kann, stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt dar.“
Am 10. November 2010 hielt ich in einem Text zur Kritik an Alfred Grosser Brumliks Position fest und zitierte das Deutschlandradio:
„‘Der Erziehungswissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main warf Grosser außerdem vor, mit einer solchen Rede historisches Bewusstsein zu zerstören: ‚Gewollt oder ungewollt stellt er nun eine Verbindung zwischen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und den Verbrechen der Nationalsozialisten gegenüber den Juden her. Das verfestigt sich im populären Geschichtsbewusstsein und führt dann zu solchen Aussagen, wie dass die Juden auch nicht besser sind, weil sie den Palästinensern dasselbe antun wie die Nazis den Juden.‘“
Doch die ganze Widersprüchlichkeit auch von Micha Brumlik zeigte sich zur exakt gleichen Zeit. Ich schrieb nur zwei Tage später, am 12. November 2010:
Zu Grosser und „jüdischem Antisemitismus“ hat der Historiker Arno Lustiger am 18. September 2008 in der FAZ alles Nötige gesagt.
Natürlich hat Micha Brumlik, der sich mediengerecht als Kritiker von Grosser in Szene setzte, im Ernst gar kein Problem mit der Diminuierung, Derealisierung und – Infantilisierung – des Phänomens Antisemitismus.
Nur einen Tag vor Grosser sprach auch Brumlik in Hessen. Er sprach beim „Förderverein zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg“. Brumlik sagte demnach, laut einem Bericht des Lauterbacher Anzeigers:
„Der Distanzierung der Politiker [gegenüber Sarrazin, d.V.] aus allen großen Parteien stellte Micha Brumlik das Bild des von denselben Politikern geschaffenen „integrationsunwilligen Ausländers“ gegenüber, der nun als Feindbild fungieren könne – so wie in der NS-Zeit die Juden, im Stalinismus die Trotzkisten oder in der BRD der Achtziger Jahre die Asylanten.“
Das ist infantil, schon wieder. Grosser und Brumlik möchten offenbar Kindern (als welche die Gesellschaft hier imaginiert wird) sagen, dass Juden sowas wie „integrationsunwillige Ausländer“ waren. Jede Spezifik des Antisemitismus, sein Irrationalismus, seine Rede von der Weltverschwörung, der Blood Libel, den jüdischen Kapitalisten, Kommunisten, Humanisten, Liberalen, Sozialisten etc. etc., oder die Fantasie von den Juden als Christusmörder, als Brunnenvergifter, dem „ewigen Juden“ wird negiert. Brumlik hat demnach kaum Ahnung von der Spezifik und der Geschichte des Antisemitismus.
Am 08. Juni 2012 schrieb ich dann:
German professor Micha Brumlik gives Butler his Jewish kosher stamp. He is known for doing so for anti-Zionist antisemitism. He is against obvious antisemitism like that of Hamas, but he is in favor of Jewish anti-Zionism. He even equated Butler’s pro-Hezballah and pro-Hamas stand with supposedly or indeed problematic paragraphs from philosopher Adorno about jazz. Therefore criticism of music is the same as hatred of Jews and incitement to genocide from Hamas. I learned that this is mainstream in Germany; after I alerted professor Honneth to Butler’s antisemitism he replied that this is rather respectable “criticism of Israel” and he referred to Brumlik’s article.
Am 10. September 2012, einen Tag vor der Preisverleihung des Adorno-Preises an die Anizionistin Judith Butler schrieb ich:
Wurde das Gedenken an Theodor W. Adorno jemals so sehr in den Dreck gezogen wie am 11. September 2012 in Frankfurt am Main in der Paulskirche? Das deutsche Establishment, nicht nur Axel Honneth und Micha Brumlik, wird klatschen und innerlich johlen und frohlocken ob soviel Antisemitismus, Hass auf Amerika und Israel, Banalisierung von Auschwitz und Abscheu vor Theodor W. Adorno.
Am 03. Juli 2013 analysierte ich sodann die Fantasie Brumliks, die er in KONKRET veröffentlichte, Israel binational zu gestalten, also kein jüdischer Staat mehr zu sein:
Ein Kernpunkt Brumliks ist die ungeheuerliche, unfassbar antijüdische Idee, Juden das Rückkehrrecht nach Israel zu verweigern! O-Ton KONKRET:
„Einwanderung in den neuen Staat [Israel/Palästina] hingegen sollte das nationale Parlament nur nach arbeitsmarktspezifischen beziehungsweise humanitären Gesichtspunkten regeln, nicht mehr nach ethnischen Kriterien.“
(…)
Man denke an Ignatz Bubis, der von genau diesem immerwährenden Rückkehrrecht von Juden nach Israel Gebrauch machte, als er, geschlagen vom elenden Antisemitismus der Deutschen und Martin Walser, sich in Israel beerdigen ließ. Nach der umwerfenden Logik von Micha Brumlik und seinen Helfershelfern hätte eine solche Bestattung eines Juden in Israel keinen arbeitsmarktpolitischen Sinn und wäre zu verweigern. Sollen die Neonazis doch Bubis‘ Grab beschmieren, aufs Ekligste beschädigen und den Grabstein zerstören, wie sie wollen.
Auf meinem Blog bei der Times of Israel (TOI) schrieb ich daran anschließend am 3. September 2013:
On September 9 and 10, 2013, the Center for Research on Antisemitism (ZfA) at Berlin’s Technical University, together with the huge German Foundation on “Remembrance, Responsibility, and Future”, which spends up to seven million Euros a year for events (and spent over 70 million Euros since its inception in the year 2000), the group “Berlin-Kreuzberg Initiative against Antisemitism (Kiga)” and several other organizations as well as a German ministry of the Federal Government, will held a conference in Nuremberg on the Middle East conflict and its perception among immigrants in Germany.
The ZfA and its former head Wolfgang Benz have been criticized in recent years for promoting research on “Islamophobia” instead of Muslim antisemitism. In addition, Benz has been questioned about his silence about the Nazi legacy of his PhD advisor Karl Bosl, who awarded Benz a doctorate in 1968. (…)
One of the best known speakers at the September 9 event, invited by Schüler-Springorum and her allies, is Professor Micha Brumlik, a pedagogue by profession. Brumlik has been known in recent decades as a critic of some forms of antisemitism in Germany. But he is even better known today for his kosher stamps for antisemitic agitators like Judith Butler who received the very prestigious Adorno-Prize of the city of Frankfurt in 2012. Butler calls Israel an apartheid state, she supports the anti-Jewish Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) movement and she is in favor of German-Jewish philosophers Hannah Arendt (1906–1975) and Martin Buber (1878–1965). Both Arendt and Buber agitated against a Jewish state of Israel and favored a binational Israel.
In meinem Buch „Kritische Theorie und Israel“ von 2014 gibt es ein Kapitel über Micha Brumlik:
„Micha Brumliks Judith Butler“. Darin heißt es:
Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik plädierte 2007 in seinem Buch Kritik am Zionismus sowie 2013 in Konkret, der einzigen linken Publikumszeitschrift in Deutschland, gegen das grundsätzliche Rückkehrrecht der Juden sowie für eine binationale Option, in Anlehnung an eine Phantasmagorie Martin Bubers aus den 1940er Jahren.
Der Historiker Walter Laqueur, Jahrgang 1921 [26. Mai 2021-30. September 2018], war vor der Staatsgründung Israels nach eigenen Angaben ein Anhänger der binationalen Idee – rückblickend im Jahr 2012 betont er, er habe dann Ende 1947 feststellen müssen, auf der arabischen Seite bestehe gar kein Interesse an einem binationalen Staat. Der Judenhass sei schon damals sehr stark gewesen. Gemäßigte Araber wie Fakhri Nashashibi oder Sami Taha, so Laqueur, wurden von arabischer Seite ermordet, da sie mit den Juden über eine Kooperation reden wollten.
Zudem schreibe ich in meiner Studie Kritische Theorie und Israel Folgendes:
Heutzutage stellt sich eine Kompanie Kritischer Theoretiker hinter die Israelgegnerin Judith Butler, als diese sich Kritik an der Vergabe des Adorno-Preises im Jahr 2012 gegenübersah, wie vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Unter den Anhängern Butlers sind Nancy Fraser, Diedrich Diederichsen, Micha Brumlik, Hauke Brunkhorst, Alex Demirović, Albrecht Wellmer, Seyla Benhabib und Idith Zertal. Axel Honneth war, wie bereits erwähnt, als Leiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt gar Teil des Gremiums, welches Butler zur Preisträgerin kürte.
Da sind einige der engeren Freunde und Freundinnen von Brumlik mit dabei, die bis heute nicht verstehen, was das Problem mit Judith Butler und dem Antizionismus für jüdisches Leben ist. Das zeigt sich exemplarisch im Nachruf auf Brumlik im ND (früher: Neues Deutschland) von Alex Demirovic.
Was Brumlik offenbar verpasste oder herunter spielte ist das säkulare jüdische Leben, sein primär von sich selbst ausgehender religiöser Bezug zum Judentum trifft nur einen kleinen Teil der ca. 90.000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden und nur einen bestimmten Prozentsatz in Israel sowie auch nur einige jüdische Kreise in den USA. Viele Juden in den USA sind ebenfalls säkular.
Sehr viele Juden und Jüdinnen leben ihr Judentum, kulturell, auch etwas religiös, aber zentral ist die Religion nur für eine Minderheit. Trotzdem sind das alles Jüdinnen und Juden, auch ohne starken Bezug zur Religion!
Am 07. März 2016 bezog ich mich dann wieder ausgesprochen unterstützend und dankend auf Micha Brumlik:
Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat Sloterdijk im Doppelpack mit dem Althistoriker Jan Assmann im Rahmen einer Perlentaucher-Debatte kritisiert:
„Und was endlich jene – nach Sloterdijk angeblich die ‚altjüdische‘ Religion auszeichnende und schließlich auf Christentum und Islam übergehende – Phobokratie mit ihrer spezifisch israelitischen (jüdischen?) Neigung zur ‚Autogenozidalität‘ ob nicht eingehaltener sinaitischer Weisungen betrifft, so hat die rabbinische Theologie an deren Stelle die Institution des Versöhnungstages gesetzt, dessen zentrales Prinzip lautet: ‚Übertretungen zwischen einem Menschen und Gott sühnt der Versöhnungstag. Übertretungen zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nur, wenn er sich vorher mit seinem Nächsten versöhnt hat.‘
Die in der ‚altjüdischen‘ Religion angeblich – wenn auch nur spurenweise vorhandene – autogenozidale Phobokratie ist hier – im Text und in der Liturgie – vollständig in eine Lehre anerkennender, normativer Intersubjektivität überführt und vollständig in die Institutionen des Versprechens und Verzeihens transformiert. Nichts könnte vom Geist eines Gemetzels weiter entfernt sein.“
Man kann diese Kritik Brumliks angesichts der heutigen Situation zuspitzen. Wenn einer wie Peter Sloterdijk dem Judentum die Einführung eines unsäglichen Gewaltmotivs – den Bundesbruch – anhängt, Israel als „Schurkenstaat“ diffamiert, Heideggers Antihumanismus in die heutige Zeit transponiert und gleichzeitig einer Partei de facto zustimmt, die mit nazistischem Vokabular und einem Aufpeitschen der Bevölkerung gegen „den“ anderen berüchtigt ist, dann wird erkenntlich, dass der ehemalige Bhagwan-Jünger seinen nach innen gekehrten autoritären Charakter nun extrovertiert, einen „deutschen Weg“ gegen die USA fordert, Grenzen schließen möchte und gegen eine Kanzlerin agitiert, die unter Beschuss steht, wie noch nie ein Kanzler dieses Landes. Peter Sloterdijk ist die AfD für „Alphabetisierte“.
Für meine Essaysammlung „Eine Alternative zu Deutschland“, die exakt zum Einzug des AfD in den Deutschen Bundestag im Oktober 2017 erschien, schrieb Micha Brumlik einen Blurb:
»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«
Während wir uns bei den ersten Treffen in Berliner Restaurants noch mit Sie anredeten, wurde das dann alsbald zum Du. Micha hatte Lob und Tadel für mich und ich offenkundig Anerkennung wie Kritik für ihn. Das war ein Hin- und Hergerissen-Sein, wie es nicht wenigen ging. Micha erzählte mir beim Mittagessen, dass er gerade an einer Arbeit über den Vater von Julius H. Schoeps sitze. Das erinnert Julius H. Schoeps natürlich (Micha Brumlik (2019): Preußisch, konservativ, jüdisch Hans-Joachim Schoeps‘ Leben und Werk, Göttingen: Vandenoek & Ruprecht).
Julius H. Schoeps hat das in seinem bedeutenden Nachruf, dem wohl persönlichsten und intellektuell tiefsinnigsten der vielen Nachrufe auf Brumlik, am Beispiel für Michas Unterstützung der höchst problematischen Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus deutlich gemacht:
Manche von Michas eingenommenen politischen Positionen habe ich unterstützt, andere abgelehnt, häufig jedoch auch nicht verstanden. Zum Beispiel, als er 2021 die »Jerusalem Declaration on Antisemitism« (JDA) unterzeichnete, die sich gegen die Antisemitismusdefiniton der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) von 2016 wandte, waren nicht nur ich, sondern auch manche seiner Freunde einigermaßen irritiert.
Diese Unterstützung der Jerusalemer Erklärung, die Antizionismus kategorisch ausnimmt bei der Analyse des Antisemitismus oder nur eine marginale Korrelation zwischen den beiden zu sehen vermag, und somit das Changieren zwischen Kritik am Judenhass und dem Liebäugeln mit einem nicht-zionistischen Israel, war eines der Kennzeichen für das Leben von Micha Brumlik überhaupt.
Zuletzt hatte sich das seit 2018 in seiner Kollaboration mit dem Zeitschriftenprojekt Jalta und dem Publizisten Max Czollek gezeigt, den er später scharf attackierte, weil Czollek bezüglich seinen angeblich jüdischen Eltern nicht die Wahrheit gesagt hatte, was in weiten Teilen der jüdischen Community in der Bundesrepublik bis heute für Kritik sorgt. Czollek sieht sich als Jude und hat einen jüdischen Großvater. Aber der Deutschlandfunk schreibt am 06. September 2021:
Der Publizist Micha Brumlik kennt und schätzt Czollek seit vielen Jahren. Czollek sei ein interessanter Essayist und Dichter mit Mut zur Provokation. Problematisch sei jedoch, dass er in der Öffentlichkeit als repräsentativer Vertreter der jüdischen Gemeinschaft angesehen werde. Mischa [sic] Brumlik sagt: „Ich erlebe die aktuelle Debatte so, dass Maxim Biller Czollek in einer ehrabschneiderischen Weise angegriffen hat. Das betrifft aber vor allem die Form. Rein inhaltlich gebe ich Biller recht, dass Personen nicht alleine entscheiden können, ob sie der jüdischen Gemeinschaft angehören oder nicht.“
Am 05. März 2019 hatte ich in einem anderem Kontext Kritik an Micha formuliert:
Nationalismus wie die Kooperation mit europäischen Rechtsextremisten und Holocaustrevisionisten durch die aktuelle israelische Regierung (mit der Ukraine, Litauen, Polen, Ungarn) werden in Israel, aber auch von vielen Juden in USA und Europa scharf kritisiert.
Allerdings gibt es in Deutschland eine völlig realitätsferne und selbst ernannte Pro-Israel-Szene, die de facto Juden und Israel schadet, da sie extrem rechts agiert und nur nachplappert, was Netanyahu von sich gibt und linkszionistische Stimmen seit Jahren gezielt negiert und totschweigt.
Das gilt auch für Einpunktbewegungen wie „Stop the Bomb“, die sich von Trump viel verspricht und in ihm nicht die größte innere Gefahr für die westliche Welt sieht, die er darstellt. Dass der Sexismus und anti-hispanische Rassismus von Trump sie nicht anwidert, verwundert nicht. Wer sich gegen den Verschleierungszwang im Iran wendet, aber Trump nicht wegen dessen „grab her by the pussy“-Sexismus attackiert, hat gar nichts kapiert und heuchelt auf unerträgliche Weise.
Wer jedoch auf der anderen, der vorgeblich guten Seite steht wie Micha Brumlik und nun in der taz die Kritiker*innen des Antisemitismus und der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden“ diffamiert und dann auch noch zusammen mit einer Person wie Jacqueline Rose (und dutzenden weiteren problematischen, den Antisemitismus diminuierenden oder fördernden Personen) Erklärungen zur Unterstützung der Juden für einen gerechten Frieden in Nahost unterschreibt, hat jegliche Seriosität, jede Wissenschaftlichkeit, jede politische Reputation verloren und kann nicht mehr ernstgenommen werden.
Denn was schreibt Rose in ihrem Buch „The Question of Zion“? Zitat:
„It was only when Wagner was not playing at the Paris opera that he [Herzl, CH] had any doubts as to the truth of his ideas. (According to one story it was the same Paris performance of Wagner, when – without knowledge or foreknowledge of each other – they were both present on the same evening, that inspired Herzl to write Der Judenstaat, and Hitler Mein Kampf)“.
Das ist nicht irgendwie eine Meinung von Rose, das ist Fanatismus und Unwissenschaftlichkeit in Potenz.
Hitler habe sich also im Alter von 6 Jahren zu „Mein Kampf“ inspirieren lassen. Dass so etwas gelesen, lektoriert und gedruckt wurde, hätte das Ende des Verlags Princeton University Press bedeuten müssen – dass es das nicht tat, zeigt wie desolat „Forschung“ heute funktioniert.
Dass eine Person wie Jacqueline Rose, die diesen wirklichen Schwachsinn, der nichts als antisemitisch motiviert ist – nämlich Herzl und den Zionismus mit dem größten Verbrecher der Geschichte der Menschheit in direkte Verbindung zu bringen – so formuliert hat, von einem Mann wie Brumlik (oder anderen Unterzeichnern wie Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann) goutiert wird, ist bezeichnend. Es ist ja keine offene Liste von Zehntausenden Namen, wo man nie weiß, was für ein Schwachkopf sich darunter mischt.
Im Berlin Tagesspiegel hatten dann im Januar 2020 der Islamwissenschaftler und Politologe Michael Kreutz und ich antisemitische Tendenzen im Jüdischen Museum Berlin analysiert und kritisiert („Die Grenzen der Toleranz: Peter Schäfer machte das Jüdische Museum zum Inkubator für Israel-Ressentiments“. Der Ex-Direktor bot BDS-Unterstützern und Forschern, die Islamophobie und Antisemitismus vergleichen, eine Plattform. Das geht nicht. Ein Gastbeitrag“, 02. Januar 2020).
Das war zu viel Empirie und Kritik für Brumlik, der an selber Stelle erwidern durfte:
Der Beitrag von Clemens Heni und Michael Kreutz, der behauptet, dass das Jüdische Museum Berlin Anhänger der BDS-Bewegung hofiere, wimmelt von Unrichtigkeiten, diffamatorischen Unterstellungen und schlicht falschen Behauptungen.
Es war nicht falsch, was wir schrieben, sonder sehr richtig. Wir haben sehr treffend die antizionistischen Tendenzen am Berliner Jüdischen Museum decodiert und attackiert, eine Kritik, mit der wir überhaupt nicht alleine da standen.
Beim Thema Kritik an der Agitation gegen die Brit Mila (angesichts des Kölner Urteils von 2012) waren Micha Brumlik und ich wieder auf der selben Wellenlänge, wie ich am 05. Mai 2022 festhielt:
Medizinisch wurde 1896 bereits detailliert auf die häufigen und vielfältigen Erkrankungen des unbeschnittenen Penis mit Vorhaut hingewiesen. Darunter fallen „der weiche Schanker“, „Herpes progenitalis sive praeputialis“, die „katarrhalische Balanoposthitis“, die „gonorrhoische Balanoposthitis“ oder der gewöhnliche „Eicheltripper“. Doch diese damals diagnostizierten medizinischen Vorteile einer Beschneidung sind nicht die Begründung für die Brit Mila oder die muslimische Beschneidung. Es sind kulturelle und religiöse Praktiken und eine Demokratie muss Religionsfreiheit gewährleisten. Doch gerade das ach-so-gebildete Bürgertum in Deutschland hetzt seit Jahren gegen die Beschneidung.
Eine Anzeigenkampagne in Bussen, Bahnen und öffentlichen Orten der Giordano-Bruno-Stiftung war besonders perfide, wobei sie einen Jungen als Beispiel nimmt, also vermutlich einen muslimischen Jungen, und keinen neugeborenen jüdischen Jungen, denn im Judentum muss die Beschneidung bis zum achten Tag vollzogen sein.
Der Pädagoge Micha Brumlik hat damals die Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem Namensgeber kontextualisiert:
Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“.
Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft.
Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater Judenfresser“ war.
Viele Linke, auch aus der Pro-Israel-Szene, haben sich wie die FAZ, Putzke oder die Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Brit Mila gestellt, so die Postille Bahamas und ihre Autoren Thomas Maul und Justus Wertmüller, die Bahamas rief sogar ihre kleine Anhängerschaft dazu auf, im August 2012 nicht auf eine Kundgebung in Berlin zu gehen, die sich für Religionsfreiheit und das Recht auf die Beschneidung aussprach. Andere allzu deutsche Agitatoren gegen die jüdische wie muslimische Knabenbeschneidung waren die Publizisten Thomas von der Osten-Sacken, Tilman Tarach sowie das extrem rechte Portal „Politically Incorrect“.
In meinem Band „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018 ging es unter anderem auch um Micha Brumlik und dessen Diaspora-Judentum. Aus aktuellem Anlass wie der Ideologie des Philosophen Omri Boehm hatte ich dieses Kapitel am 24. Dezember 2023 online gestellt, darin heißt es:
Der israelische Philosoph Omri Boehm erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024. Darüber berichtet Ralf Balke in der Jüdischen Allgemeinen und kritisiert den antiisraelischen Ansatz von Boehm:
Mit Sätzen wie »Ich denke, es ergibt wenig Sinn, tiefer in die Debatte über den ’spezifischen arabischen Antisemitismus‹ einzutauchen« oder »Ich werde Ihnen sagen, wo der Antisemitismus nicht beginnt: Er beginnt nicht damit, Israels Existenz als jüdischen Staat infrage zu stellen« hat sich Omri Boehm ohnehin schon längst in die Herzen der postkolonialen juste milieus und BDS-Fans eingeschrieben.
Das zitiere ich und schreibe daran anknüpfend:
Doch dieses Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Grass vom April 2012, das gleichzeitig in drei führenden Tageszeitungen in der Bundesrepublik, in Italien und in Spanien erschien (Süddeutsche Zeitung, La Repubblica, El Pais), das die Vernichtungsdrohungen des Iran beiseiteschiebt, den Judenstaat attackiert und deshalb eine sehr große publizistische Resonanz erfuhr –
„Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte“,
(Günter Grass (2012): Was gesagt werden muss, Süddeutsche Zeitung, 04. April 2012, http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809)
– dieses Gedicht also war es, das einen israelischen Philosophen, Omri Boehm, veranlasste, den Sozialphilosophen Jürgen Habermas wegen seines „Schweigens“ zu Israel angesichts von Grass‘ Gedicht als zu wenig kantianisch und aufgeklärt anzugreifen. Und Brumlik wiederum zieht Boehm in seinem Band als Aufhänger für ein ganzes Kapitel heran und unterstützt dessen Ansatz, deutsche Intellektuelle wie Habermas sollten Israel kritisieren.
Brumlik ist geschickt genug und erwähnt in seinem Text nicht, dass der Aufhänger von Omri Boehm das Gedicht von Grass ist.
(Micha Brumlik (2015): Wann, wenn nicht jetzt? Versuch über die Gegenwart des Judentums, Berlin: Neofelis Verlag. Der Band erscheint in der Reihe „Relationen – Essays zur Gegenwart“, Band 3, herausgegeben wird die Reihe von David Jünger, Jessica Nitsche und Sebastian Voigt, S. 76–93)
Grass hatte nicht den islamistischen Iran, der Israel vernichten will, sondern Israel als Gefahr für den „Weltfrieden“ ausgemacht und wollte das israelische Atomwaffenarsenal unter UN-Kontrolle stellen und somit den Judenstaat schwächen und angreifbar machen. In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz äußerte Jürgen Habermas, ein Deutscher seiner Generation sage besser nichts zur israelischen Politik, er finde das Gedicht von Grass höchst befremdlich, er stelle sich gegen Grass, „sei sich aber „sicher“, „Grass sei kein Antisemit“.
(Noa Limone (2012): Germany’s Most Important Living Philosopher Issues an Urgent Call to Restore Democracy, 16.08.2012, https://www.haaretz.com/german
y-s-most-important-philosopher-issues-an-urgent-call-for-democracy-1.5285348)(…)
Brumlik und der Neofelis Verlag gehen noch weiter und zeigen ein Sendungsbewusstsein, wenn es schon auf der Rückseite des Buchumschlags von Brumliks Band heißt:
„Micha Brumliks Essay verbindet ein Plädoyer für jüdisches Leben in der Diaspora mit einer geschichtsphilosophischen Skepsis über die Zukunft des Staates Israel als eines jüdischen Staates und erwägt erneut und zeitgemäß modifiziert die Idee eines binationalen Staates Israel/Palästina durchaus im Bewusstsein der blutigen Krise der arabischen Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts. (…) Das Judentum des 21. Jahrhunderts wird – in welcher Form auch immer – ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein.“
Das ist also ein Plädoyer für das Ende Israels als Judenstaat, das harmlos daherkommt und sich pro-jüdisch anhört, was der gleiche Aufruf von Seiten islamistischer Agitatoren, die auch die „Einstaatenlösung“ wollen, so nicht erreichte. Diesen Aufruf, gekoppelt mit der Forderung, das Rückkehrrecht für Juden abzuschaffen, hatte Brumlik zuvor in der linken Monatszeitung Konkret publiziert, was ich kritisiert habe.
(Clemens Heni (2013a): Ein nüchternes Strategiepapier zur Zerstörung Israels – mit Koscherstempel. Micha Brumlik, die Evangelische Akademie Arnoldshain und KONKRET, 03. Juli 2013, http://www.clemensheni.net/allgemein/ein-nuchternes-strategiepapier-zur-zerstorung-israels-mit-koscherstempel/)
Zudem meint Brumlik das „Judentum des 21. Jahrhunderts“ werde „ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein“, was nur anzeigt, wie wenig Kontakt er mit Juden in Israel hat. Ein Großteil zumindest der Intellektuellen und der gut ausgebildeten Mittelschicht ist säkular und nicht religiös.
Dass die übergroße Mehrheit aller Juden weltweit sehr weltlich und nicht sehr religiös ist, namentlich in den USA, ja viele Zionist*innen explizit atheistisch oder agnostisch oder sonst wie skeptisch und eher gottlos leben, kümmert weder den Verlag noch den Autor. Widerspruch gibt es höchstens mal von Journalisten wie in der Jüdischen Allgemeinen, die gleichwohl für die übergroße Mehrheit der Juden in Deutschland sprechen dürfte – sie ist das offizielle Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland –, die sich Brumliks Zeuge Boehm vorknöpft:
„Wer, so lautet Boehms Botschaft im Klartext, nicht gegen eine Politik protestiere, die Boehm nur nebulös – und aufs Ressentiment vertrauend – mit ‚Einsatz von Methoden gegen die israelisch-arabische Bevölkerung Jerusalems‘ umschreibt, solle zur Schoa schweigen. Ohne es gewollt zu haben, gelingt Omri Boehm in seiner wütenden Philippika gegen Leute, die den jüdischen Staat nicht verurteilen möchten, doch noch ein bedeutendes Argument gegen Antisemitismus: Es gibt auch dumme jüdische Philosophen.“
(Martin Krauss (2015): Dem Philosoph ist nichts zu doof, Jüdische Allgemeine, 29.10.2015, https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23710 )
Wie ich mit diesen Beispielen der letzten Jahrzehnte in Ansätzen zu zeigen versuchte: Micha Brumlik war ein äußerst aktiver und ein mitunter durchaus umstrittener Autor, gerade aus jüdisch-zionistischer wie auch nicht-jüdisch zionistischer Perspektive.
Er war gegen den Antisemitismus, aber wollte oder konnte nicht sehen, dass gerade der Antizionismus hier und heute die am weitesten verbreitete Form des Judenhasses und somit Antisemitismus ist.
Er war aber auch widersprüchlich, weil er diesen antizionistischen Antisemitismus mitunter sehr wohl sah oder zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt, den zu bestimmen Historiker*innen sich mal das ganze Werk Brumliks, den Nachlass etc. anschauen werden.
Einigermaßen dramatisch war zum Beispiel seine jugendliche Zeit in Israel, als er einmal drei Wochen in einem Krankenhaus in einem Vierbettzimmer verbringen musste. Er kam als Zionist, ging als Antizionist, was er später wieder revidierte und nochmal revidierte. Brumlik hat aus mit nicht nachvollziehbaren Gründen den Islamismus massiv verharmlost, aber zugleich und völlig richtig die existentielle Gefahr für Israel durch den islamistischen Iran gesehen.
Womöglich wollte er als quasi Migrant, der in der Schweiz geboren wurde und dessen Eltern Überlebende waren, gänzlich anderen Migrant*innen zur Seite stehen, was an sich löblich wäre. Aber spätestens seit dem 11. September sehen wir dass der Islamismus zu einer der größten Gefahren für die Demokratien in Europa und für das Leben im Nahen Osten und weltweit geworden ist.
Die rechtsextreme und auf antisemitischen Verschwörungen basierende Ideologie des Trumpismus, der Familien- und Kinder-Fetisch der ganzen Neuen Rechten wie die Liebe zu Religion, Tradition und Clan eint doch Neue Rechte und Islamisten und – da würde Brumlik sofort zustimmen – auch substantielle Teile des religiös-fanatisierten Israel.
Zeitweise trug Micha Brumlik auch eine Davidsternhalskette, wie er in seiner Autobiographie 1996 schrieb. Hätte er oder hat er noch den vor allem muslimischen und auch linken Judenhass nach dem 7. Oktober 2023 erkannt, der jüdischen Frauen und Männern mit Davidsternhalskette oder Pro-Israel T-Shirt das Leben an deutschen oder amerikanischen, französischen, britischen etc. Universitäten, in der U-Bahn und im Alltag zu einer einzigen Katastrophe macht?
Er liebte es mitunter geradezu zu provozieren oder zu streiten. Als wir uns dann auch mal in meinem Lieblingsrestaurant in Kreuzberg, dem Primavera, trafen – und nicht in Wilmersdorf oder Charlottenburg -, schlug Micha nach zwei Viertele mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte recht laut „Judith Butler ist keine Antisemitin“. Dabei hatte ich Butler an diesem Abend kein einziges Mal erwähnt, ja nicht mal angedeutet. Ich wollte ja andere Themen, wie unsere gemeinsame Kritik an der schon damals offenkundigen rechtsextremen Regierungspolitik von Netanyahu oder an den auch linken Gegner*innen der Brit Mila ansprechen. Micha beruhigte sich dann ja auch wieder und der Abend verlief intellektuell vielfältig und nicht nur kontrovers.
Micha Brumlik war einer, der diese Widersprüche lebte, der die Kontroverse suchte und sein Gegenüber wahr und ernst nahm. Das sind Eigenschaften, die nur sehr wenige Intellektuelle in diesem Land haben. Es gab so gut wie niemand außer Brumlik, der sich bei Kant, Schleiermacher, Fichte, Marx, Schelling und Hegel und deren Verhältnisse zum Judentum und zur Judenfeindschaft als auch in den aktuellen Debatten zu Antisemitismus so gut auskannte und viel dazu publizierte.
Ironischerweise waren es Brumlik und Julius H. Schoeps, beide keine typischen Adorniten, die in ihrer Kritik am neu-deutschen Antisemitismus wie jenem von Martin Walser (1998 ff.) und in der Goldhagen-Debatte über einen spezifisch deutschen Antisemitismus (1996 ff.) der an Adorno orientierten antideutschen Linken am nächsten standen und mir ihr kooperierten.
Vielleicht hätte es Micha gefreut, wenn er noch miterleben hätte können, dass sein Werk wie zum Beispiel seine so eminent wichtige und bis heute notwendige Kritik an Theologen und Aktivisten wie Franz Alt und deren antijüdische Phrasendrescherei von „Jeus, der erste neue Mann“ der 1980er Jahre heute von mir an der Philosophischen Fakultät und am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg unterrichtet wird.
Schließlich war die Ruperto Carola die längste Wirkungsstätte von Micha Brumlik, von 1981 bis 2000 war er hier am Neckar Professor für Pädagogik.
Ich werde Micha vermissen.