Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 15. September 2022
Inhaltsverzeichnis
Die neue Normalität in Berlin seit den 1990er Jahren. 1
Berliner Schule statt Kritische Theorie. 2
Mbembe, das Maxim Gorki Theater und die deutsche Bundesregierung. 4
Die Barenboim-Said Akademie in Berlin. 8
Exkurs: Eskalation in der Ukraine?. 9
Ofira Henig in Berlin: Asexueller Antizionismus?. 11
Militarismus in Deutschland ist tödlich – in Israel ein notwendiges Übel 15
Einleitung
Seit August 2022 hat Israel einen neuen Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland: Ron Prosor. Schon 1986 war Prosor Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn am Rhein in der alten BRD. Ich kenne das Botschaftsgebäude Israels in Berlin, da ich 2014 den damaligen israelischen Botschafter Yakov Hadas-Handelsman für eine Zeitung interviewt habe.
Die Botschaft liegt bekanntlich abgelegen und ist wie eine Festung geschützt – die tägliche Gefahr eines Terroranschlags, sei es von Neo-Nazis, Palästinensern oder Islamisten, ist hoch. Der Neo-Nazi Anschlag auf die Synagoge und die jüdische Gemeinde in Halle liegt gerade mal drei Jahre zurück. Doch es gibt noch andere Gefahren, an Orten, wo man sie nur vermutet, wenn man die politische Kultur in diesem Land besser kennt. Daher dieser Spaziergang durch einen Teil von Berlins neuer Mitte, der natürlich subjektiv ist, aber doch womöglich Objektives über den Antisemitismus und die neu-deutsche Unbefangenheit, andere nennen es schamlose Offenheit, zu berichten vermag.
Die neue Normalität in Berlin seit den 1990er Jahren
In einem Bericht der Times of Israel (TOI) wird Ron Prosor vorgestellt. Bevor wir zum Kern des TOI-Artikels und zu einem dicken Lob fürs massiv bewaffnete Deutschland kommen, machen wir eine klitzekleine Stadtführung im Herzen des alten Berlin, in Ost-Berlin genau genommen.
Gehen wir erstmal entspannt vom ehemaligen Gebiet um das Hauptquartier der antideutschen Szene unweit vom Frankfurter Tor in Friedrichshain die Karl-Marx-Allee in Richtung Fernsehturm.[i] Wenn wir am Alexanderplatz ankommen, lassen wir die Touristenviertel der Hackeschen Höfe und der Oranienburger Straße rechts liegen und kommen auf die Karl-Liebknecht-Straße in Richtung Lustgarten. An der Ecke Liebknecht/Spandauer Str. gab es bekanntlich im November 2015 eine Antifa-Demonstration gegen eine große AfD- und Nazi-Demo, die erste große rechtsextreme Demo in der Mitte Berlins seit 1945 bzw. 1989. Die Polizei stellte sich mit Pfefferspray und körperlicher Gewalt auf die Seite der Rechten, klar, wir sind in Berlin. Man kann ja eine Demonstration im Zweifelsfall auch abbrechen, wenn man merkt, dass 1000 entschlossene Antifas den Weg zu versperren versuchen. Immerhin war der damalige israelische Botschafter Jeremy Issacharoff ein Gegner der AfD und sprach nicht mit ihr, wie die Journalistin Toby Axelrod berichtete.
Links von dieser Kreuzung liegt das Marx-Engels-Forum, das berühmte Marx-Engels Denkmal wird ja nun doch in absehbarer Zeit an seinen Originalstandort aus DDR-Zeiten zurück gebracht, aufgrund von Bauarbeiten an der U-Bahnlinie 5 wurde es 2010 entfernt und die Kommunistenfresser wollten es ganz entsorgen, was dann doch nicht klappen wird.
Den Originalblick mit dem Palast der Republik gibt es bekanntlich nicht mehr. Dafür links nach der Karl-Liebknecht-Brücke, vis-á-vis vom Dom, das reaktionäre Schloss, das jetzt Humboldt-Forum heißt und alte Kolonialgelüste der Deutschen wieder in Erinnerung ruft. Man nennt das Rekonstruktionsarchitektur, nicht gänzlich verschieden von der neuen Frankfurter Altstadt, die auf die Idee eines extremen Rechten zurückgeht, wie der Professor für Architektur Stephan Trüby erforschte.[ii] Einige Hundert Meter weiter liegt auf der rechten Seite die von Helmut Kohl deutsch-national intendierte, Opfer und Täter gleichmachende „Neue Wache“. Denn schon 1993 war die alte BRD wieder „normal“ geworden, wie der Publizist Eike Geisel erkannte:
„Die Rückkehr zur Normalität wird am 14. November 1993 symbolträchtig begangen. Mit diesem Datum beginnt in Deutschland die Vorkriegszeit, denn mit der Einweihung der ‚Neuen Wache‘ wird der offizielle Schlußpunkt hinter die Nachkriegszeit gesetzt, die nun ins Dunkel der Vergangenheit herabsinkt. Bei Nacht, sagt ein Sprichwort, sind alle Katzen grau, und so soll es nun auch den Toten gehen, die hinter der Losung ‚Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft‘ in einem Nebel standardisierter Trauer verschwinden.“ (S. 78)
Berliner Schule statt Kritische Theorie
Die Kriegszeit begann dann wenig später am 24. März 1999, als Deutschland und die NATO Belgrad und Serbien bombardierten. Einen solchen Angriff auf Jugoslawien und überhaupt einen Kampfeinsatz der Deutschen hatte es seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht gegeben. Der damalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hatte die serbische Politik mit Auschwitz verglichen und damit sowohl den NATO-Einsatz begründet, als auch eine typische sekundär-antisemitische Reaktionsweise eines Deutschen an den Tag gelegt. Obwohl ihm angeblich bewusst war, dass Auschwitz „unvergleichbar“ ist, verglich er es gleichwohl mit der Situation der Kosovo-Albaner, von denen kein einziger deportiert und vergast worden war. Der Tagesspiegel berichtete ‚neutral‘ über Fischer und den Parteitag der Grünen in Bielefeld und nannte das „Fischer redet Grünen erfolgreich ins Gewissen“.
Im Gegensatz zur Kritischen Theorie oder Frankfurter Schule gibt es seit 1989 die „Berliner Schule“, so Geisel. Es geht um die Täter-Opfer Analogie und die Täter-Opfer Umkehr, typische Muster des sekundären Antisemitismus, die Peter Schönbach und Theodor W. Adorno herausgearbeitet haben. Folgende Analyse von Eike Geisel aus den 1990er Jahren ist im Jahr 2022 noch aktueller, da jetzt auch viele angeblichen Adorno-Leser (m/w/d) in die sekundär-antisemitische Reaktionsweise einstimmen, Kolleg*innen zitieren oder an die Uni oder das Thinktank einladen, die so reden und Russen Verbrechen andichten, die damals Deutsche an den Russen und Juden verbrochen haben: „Vernichtungskrieg“. Geisel hat die ersten Formen dieses Mainstream-Antisemitismus nach 1989 decodiert:
„Es ist lange her. Zu Zeiten der Protestbewegung blickten Berliner Intellektuelle neidvoll nach Frankfurt. Und was von der Hauptstadt der Kritischen Theorie herüberdrang, das wurde in den Brustton von Funktionären übersetzt, die weniger einen Gedanken erfassen als Parteien gründen wollten. Das Ergebnis ist bekannt: ein paar hundert Kriegsgewinnler erwarben die Pensionsberechtigung, denn Intellektuelle sind immer auch Stellenanwärter. Schon Metternich hatte gegen aufmüpfige Akademiker den wirkungsvollsten Radikalenerlaß erfunden, auf den seine sozialdemokratischen Nachfolger nach einigen Fehlversuchen nur zurückzugreifen brauchten: eine feste Stelle und eine Familie. (S. 46)
Die Art von nationalistischem Rausch, wie ihn Deutschland, das erst seit 1990 so heißt und zuvor Bundesrepublik oder BRD bzw. eben DDR hieß, 2006 mit dem Fußball-Wahn um Jürgen Klinsmann erlebte („Sommermärchen“) konnte sich wohl selbst ein Geisel nur schwer vorstellen. Denn erst seit 2006 ist die deutsche Fahne überall, auf Milchtüten, Außenspiegeln bei Autos, auf Schlüsselanhängern oder gar ganze Höschen, T-Shirts, Schals oder Ball-Kleider sind in die deutschen Farben getaucht. Das gab es auch schon zuvor, aber nur als Devotionalien bei der NPD und anderen Nazigrüppchen. Saturiertheit und nationales Pathos paarten sich nach 1989 mit der Erinnerungsabwehr zur neudeutschen Ideologie der „Berliner Schule“:
„Erklärtes Ziel der Berliner Schule ist es daher, nach der Erlangung der äußeren Souveränität auch die innere Aufrichtung als Nation voranzutreiben. Jetzt liegt mit ‚Die selbstbewußte Nation‘ das erste Manifest der Neuen Aufrechten vor. Er ist im geistig durcharisierten Verlagshaus Ullstein erschienen. Und in der Zeitung Der Tagesspiegel hat die Berliner Schule nun auch ein Organ gefunden, das glücklicherweise nie auch nur den geringsten Kontakt mit Gedanken gehabt hat, die über den Horizont von Eigenheimbesitzern in Steglitz oder Parkplatzinhabern in Charlottenburg hinauswiesen.“ (S. 47)
Die Rot=Braun Ideologie wurde dann via Bundespräsident (2012) Joachim Gauck[iii] und der von ihm unterzeichneten Prager Deklaration (2008)[iv] zur Staatsreligion, was sie de facto aufgrund des totalitarismustheoretischen und zumal antikommunistischen Charakters des Grundgesetztes von Anfang an war, nur nicht so offen und prononciert:
„Tatsächlich ist die Ideologie des (vornehmlich gegen die DDR gerichteten) Antikommunismus und keineswegs nur die Faschismus und Kommunismus weitgehen identifizierende Totalitarismustheorie als die eigentliche ‚Weltanschauung des Grundgesetzes‘ anzusehen.“[v]
Mbembe, das Maxim Gorki Theater und die deutsche Bundesregierung
Weiter geht unsere kleine Stadttour durch das Herzen Ost-Berlins. Direkt hinter der neu-rechten „Neuen Wache“, die für Helmut Kohl ein nationalistisches Prestigeprojekt war, befindet sich das Maxim Gorki Theater. Wer auf Empörung statt Aufklärung, auf Ressentiment statt Kritik und natürlich auf postkolonialen, post-migrantischen Antisemitismus steht, ist hier genau richtig. Nehmen wir als Beispiel „Marta Górnicka“ und „die Spielzeiteröffnung im Gorki-Theater“ im Sommer 2021 „mit dem Stück ‚Still Life. A Chorus for Animals, People and all other Lives‘”, worüber die Journalistin Anke Schaefer berichtete.
Es geht um Tiere, Menschen und die „Biodiversität“, Ausbeutung, Gewalt und Tod. Und offenbar wurde in diesem Stück die seit vielen Jahren modische Universalisierung oder Entgrenzung der Shoah zum Schock-Topos. Die polnische Theater-Regisseurin scheint kein Problem damit zu haben, ihre Suada auch noch – oder gerade eben! – mit teils berüchtigten antisemitischen Autor*innen zu unterfüttern. Schaefer kommentiert:
“Marta Górnicka legt dem Chor gesellschaftskritische Sätze von Achille Mbembe, Judith Butler oder Donna Haraway in den Mund. Doch leider geht es oft viel zu schnell, als dass man alles verstehen könnte, da helfen auch die Übertitel über der Bühne nichts. Auch der Holocaust ist Thema. Im Programmheft wird dazu der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Rothberg zitiert, der ein Buch zum Thema ‘Multidirektionale Erinnerung’ geschrieben hat. In kurzen Szenen kommen Puppen zum Einsatz. Eine alte Puppen-Dame stellt auf dem Schoß einer Performerin die Einzigartigkeit des Holocaust in Frage: ‘Es muss einmal laut gesagt werden. Der Mechanismus der Gewalt, der dem Holocaust innewohnt ist immer derselbe.’ Deutschland liege falsch, wenn es nur den einen Holocaust als Holocaust gelten ließe, den, der in der Schule unterrichtet werde, von dem in Büchern und Zeitungen die Rede sei. ‘Alles wiederholt sich und am häufigsten Auschwitz.'”
Damit war das Maxim Gorki Theater wie immer voll hip. Denn im Sommer 2021 spielte sich auch ein Historikerstreit 2.0 ab, wie der Perlentaucher dokumentiert:
„20.06.2021. Von der Mbembe-Debatte über das Papier der ‚Initiative GG 5.3 Weltoffenheit‘[vi] bis zur ‚Jerusalem Declaration‘[vii] und A. Dirk Moses’[viii] Spott über den ‚Katechismus der Deutschen‘: Die Saison 20/21 wird nicht nur als die der Coronakrise in die Geschichte eingehen, sondern auch als Moment eines (zumindest eifrig betriebenen) Paradigmenwechsels in der Debatte über den Holocaust. Im ersten Historikerstreit hatte Ernst Nolte den Holocaust als ‚asiatische Tat‘ relativiert. Die Protagonisten des zweiten Historikerstreits stellen die Bedeutung des Holocaust von links, aus der Warte des Postkolonialismus, in Frage.“
Während es bei der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und der „Jerusalem Declaration“ primär um eine akademische Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung gegen Israel geht, so hat der Historiker Dirk Moses die Universalisierung und Trivialisierung von Auschwitz sich auf die Fahne geschrieben. Er leugnet die Präzedenzlosigkeit des Holocaust. Für ihn, wie unzählige andere, war der Kolonialismus auf einer ganz ähnlichen Ebene der Vernichtung von Menschen angesiedelt. Damit leugnet Moses wie eine ganze Heerschar von Forscher*innen im Bereich NS-Geschichte, Kolonialgeschichte, Postkolonialismus und auch mitunter in den jüdischen Studien, dass es vor der Shoah nie zuvor den Plan gab, ein ganzes Volk aus keinem anderen Grund, als diesem Volk anzugehören, zu vernichten. Sie leugnen auch, dass es vor Sobibor, Belzec, Treblinka nie eine industrielle Vernichtung von Menschen gab.
Ein zentraler Teil des „Historikerstreits 2.0“ im Jahr 2021 war der schwarze Ideologe Achille Mbembe, der im deutschen Mainstream groß gefeiert wird. Dabei hat Mbembe primär antisemitische Ressentiments, wie ein Essay von Mbembe von 2003 zeigt: „Necropolitics“, also die Politik des Todes.
Es geht darum, wer entscheidet, wer sterben soll. Es ist eine Verteidigung, ja Lobpreisung von Selbstmordattentätern. Deren Ziele waren (und sind) Juden und Israeli, neben Amerika und dem Westen allgemein. Die Beschreibung von bestimmten Anschlagsorten liest sich wie eine zynische Liste von Jihad-Selbstmordanschlägen in Israel. Mbembe ist also ein Theoretiker des Todes und des Mordens, daher auch seine Vorliebe für Heidegger. Für Mbembe hat ein/e Suizidbomber*in die „Freiheit“ im Sinn, das Ende von kolonialer Unterdrückung. Er schreibt angesichts der Situation der Palästinenser, da er an dieser Stelle ein Buch von 1996 der Autorin Amira Hass über Gaza und die Palästinenser zitiert und selbst postuliert:
Death in the present is the mediator of redemption. (Der Tod in der gegenwärtigen Situation ist ein Vermittler der Erlösung). (S. 39)
Dass der Hauptzweck eines Selbstmordanschlags das Töten von möglichst vielen Juden (oder Amerikanern) ist, das wird hier philosophisch honoriert und selbstredend gewürdigt. Zu diesem Israelhass und Pro-Jihad Einsatz von Mbembe kommt seine Erinnerungsabwehr und Geschichtsumschreibung. Im Mai 2019 kritisierte ich Mbembe wie folgt („Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik“):
Für die Antisemitismusforschung gilt es, Mbembe kritisch zu lesen. Es geht um folgende Stelle in seinem Band „Kritik der schwarzen Vernunft“, die alles auf den Punkt zu bringen scheint. Er bezieht sich auf den auf der karibischen Insel Martinique geborenen Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der „Négritude“ Aimé Césaire (1913–2008), und schreibt:
„Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei ‚nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen […], nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren‘“. (Mbembe 2014, Kritik der schwarzen Vernunft, S. 290, Anm. 9)
Diese Universalisierung von Auschwitz, diese Leugnung von Auschwitz, weil jeder kritisch und rational denkende Mensch weiß, dass es vor Auschwitz, Sobibor und Majdanek nirgendwo jemals industrielle Anlagen zur Vergasung von Menschen gab, die völkisch selektiert worden waren, diese Universalisierung ist in weiten Teilen der akademischen Elite heute Mainstream. Das ist die Katastrophe an unseren Universitäten, weltweit.
Und hier sind wir wieder beim Maxim Gorki Theater und der Regisseurin und Chorleiterin Marta Górnicka, die im Juli 2021 der Wochenzeitung Freitag ein Interview gab. Darin geht es um Transnationalität, das Atmen als Grundbedingung des Singens und Gemeinsam-Singens in Zeiten von Corona, vor allem zeigt sie auch hier das universalistische, Auschwitz völlig entgrenzende geschichtspolitische Narrativ des Postkolonialismus, das zudem vehement pro-deutsch beziehungsweise anti-antideutsch ist und jedwede, wirklich jedwede Spezifik und Einzigartigkeit des Holocaust leugnet:
„Ich setze den zeitgenössischen Diskurs über Erinnerung fort und lehne jede Form der ‘Opferkonkurrenz’, der Hierarchisierung von Leid und Tod, ab. Ich widersetze mich dem Gedanken, dass die Erinnerung etwas Begrenztes ist und deshalb in einer bestimmten hierarchischen Struktur angeordnet werden sollte. Ich betrachte diese Prozesse nicht als konkurrierende Perspektiven, Identitäten und Geschichten. Ich sehe es vielmehr als eine große Synthese, die das Verhältnis des Westens zum Leben als solchem hinterfragt.“
Weiter sagt sie:
„Ich betrachte den Holocaust als ein historisches Ereignis, das die gesamte westliche Kultur verändert hat, als ein Trauma, das andauert und auch heute noch auf vielfältige Weise Erinnerungsprozesse beeinflusst und verzerrt, und nicht zuletzt als den radikalen Inbegriff der Biopolitik des Ausnahmezustands im Agamben’schen Sinne.”
Gerade Giorgio Agamben ist es, der zwischen der Deportation von Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager und der Abschiebung von Flüchtlingen oder Asylbewerber*innen keinen Unterschied sieht. Ja, viel absurder und perfider noch, Agamben fantasiert entgegen der Wahrheit, dass Juden sogar ihre Identität behalten hätten, was den heutigen Flüchtlingen, die abgeschoben werden, nicht passiere. Ich habe das 2013 in meiner Studie „Antisemitism: A Specific Phenomenon“ analysiert:[ix]
“Then [Agamben] universalized the concentration camp and literally equated the gathering of refugees in an Italian soccer stadium in 1991 and their expulsion afterwards with the ‘Velodrome d’Hiver,’ where Vichy-France imprisoned Jews before deporting them for destruction to ‘the East.’[x] He also compared in the same context the situation of refugees in French airports with the situation of Ostjuden in the Weimar Republic, like in ‘Cottbus-Sielow,’ before they were expelled, too.[xi] Finally, Agamben equated the destruction of European Jews with the situation of ‘poor classes’ in Western countries and the peoples in the Third World.[xii] He concluded that the ‘Lager’ (camp, in the meaning of “concentration camp”) is the ‘bio-political paradigm of the Occident.’[xiii]
Dieses ahistorische Gerede ist poststrukturalistisch grundiert. Demnach tendiere die Moderne – vor allem seit 1789 und der Französischen Revolution – zu immer mehr Macht, Herrschaft, Biopolitik, Überwachung, Registrierung und so weiter. Jedweder Unterschied zwischen Herrschaft und Vernichtung, zwischen Kapitalismus und Nazi-Deutschland, geht verloren. Auschwitz verschwimmt im Orkus der Geschichte. Deutschland ist reingewaschen, wenn doch „die“ Moderne ohnehin zu Mord und Tod führe. Die biopolitische Leugnung der Präzedenzlosigkeit von Auschwitz und dem Zu-Nummern-Machen von Juden zeigt sich bei Agamben ganz exemplarisch:
„The USA Patriot Act issued by the U.S. Senate on October 26, 2001, already allowed the attorney general to ‘take into custody’ any alien suspected of activities that endangered ‘the national security of the United States,’ but within seven days the alien had to be either released or charged with the violation of immigration laws or some other criminal offense. What is new about President Bush’s order is that it radically erases any legal status of the individual, thus producing a legally unnamable and unclassifiable being. Not only do the Taliban captured in Afghanistan not enjoy the status of POW’s as defined by the Geneva Convention, they do not even have the status of persons charged with a crime according to American laws. (…) The only thing to which it could possibly be compared is the legal situation of the Jews in the Nazi Lager [camps], who, along with their citizenship, had lost every legal identity, but at least retained their identity as Jews.”[xiv]
Viel abstoßender kann man die Shoah nicht leugnen, indem man sie verallgemeinert, wie es Agamben hier macht. Juden hätten ihre Identität als Juden behalten – wir denken an die eintätowierte Nummer in Auschwitz –, während sie von heutigen Rassisten wie in Frankreich den Migranten genommen würde. Das ist Mainstream Antisemitismus, der Agamben zu einem Star beim Suhrkamp Verlag macht.
Einen schlechteren Zeugen für ihr Projekt hätte sich die Gorki-Theater-Frau Marta Górnicka kaum wählen können. Sie empfindet auch Achille Mbembe als eine seriöse Quelle:
Es gibt keine echte Gemeinschaft ohne lebendigen Atem, es gibt keine Menschheit ohne lebende, mitanwesende Körper. Es gibt keinen Chor, ohne das universelle Recht zu atmen. Doch dieses Recht wurde, worauf Achille Mbembe in den ersten Wochen der Pandemie hinwies, vielen bereits früher genommen. Wir lebten in einer Welt, die dem Ersticken nahe war, auch wenn wir im Westen es uns leisten konnten, darüber nicht nachzudenken.
Einem antisemitischen Autor wie Mbembe Sensibilität zuzubilligen, ja ihn als Theoretiker des „universellen Rechts“ vorzustellen, einen Autor, der wie zitiert, Selbstmordattentate legitimiert, da sie nur die konsequente Reaktion auf Besatzung, Kolonialismus und Herrschaft seien, das ist also Mainstream, hier im Herzen Berlins unweit Unter den Linden.
Das Maxim Gorki Theater hat somit folgerichtig ausgerechnet mit Achille Mbembe seine Veranstaltungsreihe „Berliner Korrespondenzen“, die es zusammen mit der Humboldt-Universität und dem Auswärtigen Amt veranstaltet, im Mai 2016 begonnen, Eröffnung durch Frank-Walter Steinmeier.
Die Barenboim-Said Akademie in Berlin
Unser Stadtspaziergang durch die Mitte Berlins geht weiter. Vom Maxim Gorki Theater laufen wir wieder an der „Neuen Wache“ vorbei auf Unter den Linden, lassen die Humboldt Universität rechts liegen, überqueren die Straße, ignorieren die Staatsoper Unter den Linden, gehen auf den Bebelplatz, dem Gedenkort an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 und schlängeln uns links vorbei an einer Kirche, um zu unserem letzten Zeil zu gelangen: Der Barenboim-Said Akademie. Sie liegt an der Französischen Straße, wirklich nur einen Steinwurf entfernt vom Auswärtigen Amt, das am Werderschen Markt liegt, wie die Französische Straße im Fortgang heißt.
Um es kurz zu machen. Die Barenboim-Said Akademie vergibt Stipendien, die nach einem Mann benannt sind, der maßgeblich dazu beitrug, dass es zum Nationalsozialismus, zur Bücherverbrennung, zum Zweiten Weltkrieg, zu Sklavenarbeit und zum Holocaust kommen konnte. Die Rede ist von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907–1967). Dieser letzte der Krupps war seit 1931 Förderer der Schutzstaffel (SS). Sein Vater war im Juni 1933 einer der Initiatoren der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“, womit die enge Verzahnung von deutschem Kapitalismus und den Nationalsozialisten unterstrichen wurde. Führende deutsche Firmen waren mit dabei, Krupp, AEG, Adam Opel, IG Farben und so weiter und so fort. Alfried Krupp war, so weiß es sogar Wikipedia (was keine wirklich gute Quelle ist, das ist klar), als Stellvertreter seines Vater, der Kuratoriumsvorsitzender dieses Hitler-Spenden-Clubs war, direkt involviert.
Aktuell läuft, ich habe schon darüber berichtet, eine wissenschaftliche Studie über das Wirken von Alfried Krupp, die allerdings gerade von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Doch wir wissen schon das Wesentliche über diesen Nazi. Er wurde 1948 zu zwölf Jahren Haft unter anderem wegen Sklavenarbeit verurteilt aber natürlich, wir reden von der Bundesrepublik Deutschland und dem Adenauer-Staat, 1951 vorzeitig entlassen. 18.000 alte „Volksgenossen“ feierten die Rückkehr des beliebten Nazis in seine Villa Hügel, auch sein immenses Vermögen bekam er zurück. Aus diesem Vermögen speist sich seit seinem Tod die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die es seit 1968 gibt. Ohne jede Scham wird auf der Stiftungs-Homepage die Villa Hügel, der Sitz der Nazi-Verbrecher-Familie, auf der Startseite schön inszeniert. Fotografische Derealisierung, dass hier Nazis wohnten und herrschten.
Ganz neutral heißt es:
Die Villa Hügel in Essen war von 1873 bis 1945 Wohnhaus der Unternehmerfamilie Krupp. Heute ist die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung Eigentümerin der Villa Hügel mit dem zugehörigen Hügelpark und dem Historischen Archiv Krupp. Im ehemaligen Gästehaus der Villa hat die Stiftung ihren Sitz. Villa und Park sind für die Öffentlichkeit zugänglich. Eine Dauerausstellung informiert über die Geschichte der Familie und des Unternehmens Krupp. Mit seinen reichhaltigen Beständen ist das Historische Archiv Krupp Anlaufpunkt für Wissenschaftler aus dem In- und Ausland.
Die Stiftung sichert mit ihrem Engagement den Erhalt und Fortbestand der Villa Hügel und der Archivbestände.
Das ist eine Ikonographie des Vergessens, ja der Affirmation der Nazi-Villa. Im Text dann kein Wort über den Antisemitismus, die Liebe zum „Führer“ und über die weiteren Verbrechen in der Zeit Nazi-Deutschlands wie die frühzeitige Unterstützung Hitlers und des Regimes durch die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft.
Exkurs: Eskalation in der Ukraine?
Da sowohl das Maxim Gorki Theater in Berlin als auch die Barenboim-Said Akademie mit der deutschen Bundesregierung und dem Auswärtigen Amt sehr eng verbunden sind,
ist ein Blick auf die aktuelle Geopolitik Deutschlands notwendig: die Ukraine und der neu erwachte deutsche Militarismus, der Kanzler nennt es „Zeitenwende“.
Dass nach Auschwitz und dem Zweiten Weltkrieg nie wieder Krieg von deutschen Boden ausgehen darf, das haben ganz normale Deutsche wie Lars Klingbeil, Agnes Strack-Zimmermann, Christine Lambrecht, Annalena Baerbock, Christian Lindner oder Anton Hofreiter und Olaf Scholz nie so gemeint. Jetzt ist die „Zeitenwende“ da und die Deutschen wollen wieder eine „Führungsmacht“ werden, wie die Bundeskriegsministerin völlig schamlos am 12. September 2022 vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sagte, Telepolis berichtet darüber:
Der offizielle Militärhaushalt wird sich nach gegenwärtiger Beschlusslage im Jahr 2026 auf 50,1 Mrd. Euro belaufen – zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes dürften zwischen 75 und 80 Mrd. Euro sein, ein Wert, der dann zum letzten Mal über Entnahmen aus den Sonderschulden erreicht werden kann.
Laut Lambrecht soll also dann spätestens 2027 eine Erhöhung des offiziellen Militärhaushaltes um rund 25 bis 30 Milliarden Euro erfolgen, was unter Beachtung der Schuldenbremse nur durch massivste Kürzungen in anderen Bereichen möglich sein wird. Und genau aus diesem Grund argumentierte Lambrecht dann schlussendlich auch noch dafür, man müsse bei Mitteln für die ‚staatliche Daseinsvorsorge‘ künftig zugunsten der Bundeswehr ‚umschichten‘.
Man stellt sich zudem die Frage, warum nicht Lars Klingbeil, Agnes Strack-Zimmermann, Christine Lambrecht, Annalena Baerbock, Christian Lindner oder Anton Hofreiter und Olaf Scholz und all die anderen Pro-Ukraine Agitator*innen nicht selbst an die Front gehen? Warum? Feigheit? Oder Zynismus, also Waffen für die Ukraine, aber bedienen und im Zweifelsfall im Kampfeinsatz sterben, das sollen dann bitteschön die 19- oder 21-jährigen Ukrainer.
Weniger Sozialausgaben, mehr Frieren für die fanatische Unterstützung eines Landes („Russland ruinieren“, die Ukraine bedingungslos unterstützen bis zum (bitteren) Ende, „egal, was meine Wähler denken“, Baerbock), dessen Präsident vor wenigen Jahren als Clown – und das ist kein Witz – in einer TV-Show mit einem ebenso vulgären Kumpel mit heruntergelassener Hose mit seinem ‚Dingsda‘ Klavier spielte, also die beiden Witzfiguren stehen vor einem schwarzen Flügel, das Publikum sieht nur die Oberkörper und die nackten Beine der beiden echten Männer. Da kriegt sich die Ukraine nicht mehr ein vor Lachen. Dieses Land muss unter allen Umständen verteidigt werden. Ich hatte das schon mal gehört mit dem vulgär-patriarchal-sexistisch-abgründigen ‚Niveau‘ von Selenskyi, aber erst heute auf einer Seite, die im Telepolis-Text verlinkt worden war, auch das Video gesehen.
Dass die Milliarden des Westens, der USA, Englands, Deutschlands, der EU, ohne die die Ukraine längst am Ende wäre, eine Art dritten Weltkrieg bedeuten, das macht den Deutschen nicht nur nichts aus, da jauchzen sie. Dass die Russen jetzt – erst jetzt – der Ukraine in Teilen oder Zeitweise den Strom abdrehen zeigt ja, dass die Eskalationsdynamik noch gar nicht richtig anfing. Nach diesem zitierten Blog waren die jetzt von der Ukraine zurück eroberten Gebiete gar nicht von der russischen Armee gehalten, sondern von den Paramilitärs der Luhansk Peoples Republic und aufgerüsteten Polizeieinheiten, die dann jeweils von der russischen Armee evakuiert werden mussten.
Der Kern aber in Deutschland ist der äußerst dramatische Wandel der Geschichtspolitik. Nicht weil die Deutschen die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verbrochen haben, hätte es keine Kriege mit deutscher Beteiligung nach 1945 mehr gegeben, sondern nur, weil das damals nicht Mode war, so ist der Tenor in Berlin, allerorten. Jetzt ist es Mode, wieder so richtig viel Geld für Militarismus und Nationalismus, EU-Nationalismus inklusive, auszugeben. Deutschland will seine Interessen schützen, weshalb die deutsche Industrie frohlockt, dass die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, die nur auf fünf Jahre angelegt sind, sicher verstetigt werden, so berichtet der Telepolis-Text.
Der Politologe Johannes Varwick ist eigentlich ganz normaler Mainstream. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Halle, hat Bücher zur UN oder auch zur NATO geschrieben. Als Gegner der NATO erscheint er nicht. Er hat sich aber entgegen fast dem gesamten akademischen Mainstream von Anfang an, seit dem völkerrechtswidrigen Beginn des russischen Angriffskriegs am 24.02.2022 als ein Verfechter einer diplomatischen Lösung präsentiert. Das ist von sehr großer Bedeutung und ein sehr differenzierter und rationaler Ansatz. Gerade weil ein antiliberales, autoritäres Regime wie das von Putin nicht einschätzbar ist in der Wahl seiner Mittel, ist äußerste Reflektion und Voraussicht gefragt. Nur wirklich Realitätsgestörte glauben, dass die Ukraine den Krieg gewinnt.
Dabei ist es irrelevant wie viele Milliarden die USA, Deutschland und die NATO da reinstecken und damit nur zeigen, dass es überhaupt kein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern zwischen den USA und Russland ist – die imperialistischen, perfiden und auch feigen Amerikaner haben dabei weder eine Wirtschaftskrise, noch die unmittelbare Gefahr, dass der Konflikt sich auf sie ausweitet. Solange jedenfalls die NATO nicht involviert wird oder die Amerikaner und Briten zum Beispiel die Eskalation noch erhöhen und der Ukraine Atomwaffen schicken, was selbstredend wie ein Kriegseintritt der USA oder Englands gewertet würde und die Menschheit an den Abgrund eines Atomkriegs brächte. Doch auch Russland könnte extrem eskalieren und von sich aus Atomwaffen einsetzen.
Varwick betont jetzt unter anderem im Deutschlandfunk oder der Berliner Zeitung angesichts der vorübergehenden Geländegewinne der Ukraine im Südosten des Landes, dass die Russen darauf natürlich reagieren werden. Prompt gab es umgehend einen von Russland verursachten kompletten Stromausfall in der Region. Wen wundert das? Exakt so kann der Krieg noch sehr lange dauern, Monate, Jahre. Erinnern wir und an den Irak oder Afghanistan. Der Unterschied ist diesmal: die Opfer sind keine Menschen mit etwas dunklerer Hautfarbe, sondern meistens Weiße. Dieser Rassismus fällt im Nahen Osten, in Lateinamerika, Asien und Afrika den dortigen Menschen sehr wohl auf, weshalb ja nur sehr wenige Länder des Globalen Südens die Sanktionen gegen Russland mitmachen. Sie haben zu viele Kriege erlebt, die auch Tausende, Zehntausende, nicht selten Hunderttausende Opfer forderten und es war dem Westen so was von scheißegal. Ja, der Westen hat häufig profitiert, wie auch jetzt, weil ja die Wirtschaft angekurbelt wird, jedenfalls die Rüstungsindustrie. Dass jetzt in Deutschland und Europa eine extreme Wirtschaftskrise kommt, das war nicht geplant, allerdings von Anfang an absehbar, da nun mal die Rohstoffe aus Russland kommen, Gas und Öl. Die USA sind in dieser Hinsicht autark, auch wenn das nicht für alle Rohstoffe zutrifft. Seltene Erden und bestimmte Edelmetalle gibt es nicht überall.
Was wir seit Februar 2022 erleben ist die Fortsetzung des pandemic turns von März 2020. Wenn die Politik es will, kann alles Leben eingesperrt, zwangsmaskiert und isoliert werden. Jetzt heißen die Parolen „Frieden Waffen für die Ukraine“, „Stinken gegen Putin“ oder „Pullover statt Heizung“. Es ist das primitive Comeback der Kaltduscher-Nazis.
Der pandemic turn zeigt den Primat der Politik vor dem des Kapitalismus. Auch in der Ukraine Krise. Ob Firmen pleitegehen, ist Habeck völlig egal, das wäre nur ein „nicht mehr Produzieren“ und keine „Insolvenz“, wie der fachfremde Pleitegeier im TV sagte. Vor allem aber wird der Bevölkerung wieder Panik eingetrichtert, ja intravenös verabreicht, wie zu Coronazeiten, die ja entgegen Frankreich, Schweden, Neuseeland, ja der ganzen Welt eigentlich im Land des Klabauterbach-Wahns immer noch nicht zu Ende sind. Da wird sich der neue israelische Botschafter eventuell noch wundern, wie panisch und irrational noch im Herbst 2022 in diesem Land agitiert und wissenschaftliche Forschung ignoriert wird, wobei das in Israel nicht viel anders war. Aber hier ist es immer noch so.
Ofira Henig in Berlin: Asexueller Antizionismus?
Zurück zur Barenboim-Said Akademie. Die Akademie wurde 2015 gegründet, kostete kaum mehr als 31 Millionen Euro, 2019 hatte sie einen Etat von 11,3 Mio. €, wovon 7,3 Mio. € von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien bereitgestellt wurden. Es ist also so was wie eine staatliche Akademie. Daniel Barenboim (Jg. 1942) ist ein argentinisch-israelischer Dirigent und Pianist. Wer war Edward Said (1935–2003)? Edward Said war Literaturwissenschaftler und einer der einflussreichsten antiisraelischen Theoretiker von den 1960er Jahren bis heute. In seinem Werk „Orientalismus“ (1978) möchte er dem Westen eine rassistische Politik und Kultur beweisen, die im jüdischen Staat kulminiert sei. Er war kein direkter Holocaustleugner, sondern trivialisierte den Holocaust und intonierte nonstop eine Täter-Opfer-Umkehr, wenn er wie raffiniert oder gewunden auch immer Juden beziehungsweise Israelis als Täter und die Palästinenser als Opfer darstellt und das mit dem Holocaust, also den Juden als Opfer der Nazis in Beziehung setzt.[xv]
Edward Saids Ablehnung[xvi] des jüdischen Staates Israel ist belegt.[xvii] Man darf die Frage stellen, was einen renommierten deutschen Verlag wie S. Fischer dazu bringt, die Propaganda von Edward Said in Orientalismus von 1978 im Jahr 2009 kommentarlos zu reproduzieren. Darin wird in neuer deutscher Übersetzung die Saidsche Ideologie verbreitet.
Mit dem Blogger und Antisemitismuskritiker Thomas Weidauer habe ich 2015 die musikalische Israelfeindschaft der Barenboim-Said Akademie kritisiert.
Was wir damals noch nicht erwähnten, ist die Kooperation der Akademie mit der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Diese Stiftung unterstützt die Barenboim-Said Akademie institutionell, wie man auf der Seite der Akademie sehen kann. Für September 2022 wurden Dichterlesungen mit Ghayath Al Madhoun angekündigt. Der in Syrien (Damaskus) geborene Palästinenser setzt in seinem auf der Seite der Akademie publizierten Gedicht die Reaktion auf die heutigen Flüchtlingen von Seiten Europas oder des Westens mit der antisemitischen Reaktion auf die Juden, die vor den Nazis flohen, auf eine Stufe. Daran zeigt sich, wie unwissenschaftlich und NS-verharmlosend er denkt. In einem Text in der Zeitschrift Funambulist wird Al Madhoun 2016 wie folgt zitiert:
“For both Al Madhoun and Bseiso, the dynamics of the Palestinian struggle echo and connect with all the other struggles in the world today. They practice a vibrant poetics of intersectionality. Al Madhoun declares: ‘I have been biased in favor of blacks against racism, in favor of the resistance against the occupiers, of militias against armies. I have taken the side of the Native Americans against the white men, the Jews against the Nazis, the Palestinians against the Israelis…’ This intersectionality makes them truly global poets; global in the sense of being capacious enough to compassionately engage with a multitude of our world’s problems.”
Diese antisemitische Analogie von Nazis/Juden und Israelis/Palästinenser ist sozusagen ein Klassiker des heutigen antizionistischen und schuldabwehrenden Antisemitismus. Es ist eine Täter-Opfer Umkehr. Aus den Opfern, den Juden, wurden Täter, die Israelis, so lautete das Mantra der Antizionistischen Internationale, nicht erst seit Edward Said.
Es ist aber eine allzu deutsche bittere Ironie, dass ein Nazi, der seinen massiven Teil zu Etablierung und Stabilisierung des NS-Regimes beitrug, der Sklavenarbeit benutzte, damit Hitlers Krieg gegen Juden so lange wie möglich andauern konnte, dass so ein Nazi wie Alfried Krupp mit seinem Erbe und seiner Stiftung heute, Jahrzehnte nach seinem Tod, dabei mithilft, dass diese Täter-Opfer Umkehr, diese antisemitische Ideologie an der Barenboim-Said Akademie formuliert und publiziert werden kann. Dazu kommt natürlich die massive Unterstützung durch die deutsche Bundesregierung.
Dazu gibt es ein weiteres, markantes Beispiel: Professorin Ofira Henig von der Barenboim-Said Akademie.
Die israelische Theaterregisseurin ist für ihre Israel nicht etwas linkszionistisch kritisierende, also verbessernde Position, sondern Israel dämonisierenden Ressentiments seit einiger Zeit berüchtigt. Im Ausschuss für Kultur und Medien des nordrhein-westfälischen Landtags gab es am 05. Juli 2018 eine Sitzung zum Thema „Ruhrtriennale“.
Zum Kulturfestival Ruhrtriennale unter der Leitung von Stefanie Carp war erstens die schottische Band Young Fathers eingeladen worden, welche die antisemitische BDS-Boykottbewegung gegen Israel unterstützt. Nach lautstarker Kritik wurde die Band wieder ausgeladen, um dann wieder von Carp eingeladen zu werden, was die Band ablehnte. Auf dieser Ausschusssitzung in Düsseldorf sagte Stefanie Carp folgende skandalösen Worte:
“Ich bin im Gespräch mit Ofira Henig, einer israelischen Künstlerin, die noch in Haifa und in Berlin lebt, die offen sagt: Ich halte Israel für einen faschistischen Staat.”
Das führte zu einer empörten Reaktion des CDU-Abgeordneten Dr. Günther Bergmann („Das ist unerträglich!“). Warum benutzt Carp eine jüdische Stimme, um Israel faschistisch zu nennen, also fast maximal zu diffamieren? Weiß Ofira Henig den Unterschied zwischen einer autoritären, häufig rassistischen Politik wie in der Westbank durch Israel und einem faschistischen Führerstaat wie in Italien? In einem Interview mit dem israelischen Büro der Rosa-Luxemburg Stiftung betont sie, dass sie Israel nicht mit Nazi-Deutschland vergleicht und das auch nicht tun würde. Sie vergleicht aber die Mauer der DDR mit dem Sicherheitszaun in Israel, ohne jeden Kontext – in der DDR sollten die Menschen abgehalten werden, das Land zu verlassen, namentlich Ost-Berlin in Richtung West-Berlin. In Israel sorgt der Sicherheitszaun dafür, dass es seither deutlich weniger palästinensische Selbstmord- und andere Terroranschläge in Israel gibt.[xviii]
Ungewöhnlich ist in diesem Gespräch ihre Begründung, warum sie keine Kinder hat:
„Ich wollte niemals Kinder haben, aber nicht weil ich eine Feministin war und eine unabhängige Frau sein wollte, sondern weil ich eine Künstlerin bin. Künstler*innen haben immer auch etwas Bisexuelles und Asexuelles, sie haben diese Dualität, auch die männlichen Künstler.“
Ihr kinderfreies Dasein hat also weniger politischen Charakter und ist gerade nicht als Kritik am patriarchalen Imperativ schlechthin – dem Staat und dem Kapitalismus oder dem sozialistischen Staat Kinder zu ‚schenken‘ und Frau-Sein nur via Mutter-Sein zu definieren – zu verstehen, sondern als künstlerische Ambiguität, ein Fremdwort, das sie auch benutzt. Ist es also asexueller Antizionismus? Warum sagt Ofira Henig nicht, dass sie eine linkszionistische Kritik am Rassismus gegen Araber in Israel und gegen die Palästinenser in der Westbank hat? Das wäre nachvollziehbar und würde ihre Distanz zum israelischen Mainstream betonen.
Aber ist sie eine Linkszionistin, die Kritik übt, oder hat sie Ressentiments gegen den Zionismus an und für sich? Ist Ofira Henig also nicht vielmehr eine Nicht- oder Anti-Zionistin, wenn sie gerade an der nach einem antizionistischen Antisemiten benannten Akademie wie der Barenboim-Said Akademie arbeitet, die so aggressiv den Namen Edward Said promotet, ohne der Öffentlichkeit wissenschaftlich fundiert, wie es dieser Essay versucht, zu zeigen, wie und warum Said ein antizionistischer und Holocaust verharmlosender Antisemit war? Es gibt freie Wahlen in Israel und die Palästinenser in Israel haben die gleichen Rechte wie die jüdischen Israelis, mit wenigen Ausnahmen wie dem Militärdienst, der für Juden obligatorisch ist (von Ultraorthodoxen abgesehen). Der Zeitschrift Exberliner sagt Henig 2018, dass sie „natürlich Sympathien hat für die BDS-Bewegung“.[xix]
In einer Erklärung von über 1000 jüdischen Anti-Israelis im Jahr 2021 wird die Position von Ofira Henig klar. Sie ist eine der Unterzeichnerinnen, gemeinsam mit Udi Aloni, Eyal Sivan oder natürlich Ilan Pappe. In dieser Erklärung „Israeli Jews Call: “Stop Israel’s Apartheid!”
geht es um das umstrittene israelische Nationalstaatsgesetz, die Räumung palästinensischer Häuser und Wohnungen im Ost-Jerusalem Stadtteil Sheik Jarrah, um die Besetzung des Westjordanlandes. Das sind auch für viele politisch aktive Linkszionist*innen in Israel Angriffspunkte für deren Kritik an der israelischen Politik. Ofira Henig lehnt aber mit den über 1000 anderen israelischen Juden keineswegs eine spezifische israelische, in Teilen definitiv rassistische Politik gegenüber den Palästinensern und den Arabern (oder Palästinensern) in Israel ab. Sie lehnt wie die 1000 weiteren jüdischen Israelis das Projekt Israel und den Zionismus selbst ab:
We believe that Zionism is an unethical principle of governance that inherently leads to a racist Apartheid regime that has been committing war crimes and denying basic human rights from Palestinians for over seven decades.
Das ist Antisemitismus. Es ist Antisemitismus, nach Auschwitz und der Shoah dem Zionismus an und für sich ein „inhärentes unethisches Regierungsprinzip“ zu unterstellen, das zu einem „rassistischen Apartheid-Regime“ führen muss. Kurz und knapp: das Problem dieser antizionistischen Israelis (m/w/d) ist nicht 1967, es ist 1948, die Gründung des jüdischen und demokratischen Staates Israel.
Der Berliner Senat hat nun eine Preisverleihung an eine südafrikanische antizionistisch-antisemitische agitierende Aktivistin abgesagt, wie die Berliner Zeitung berichtet:
Nach heftiger Kritik hat Berlin eine Preisverleihung im Roten Rathaus abgesagt. Eigentlich wollte die Senatskanzlei am nächsten Dienstag der südafrikanischen Juristin Navanethem (Navi) Pillay dort die Otto-Hahn-Friedensmedaille verleihen. Der 80-Jährigen wird israelbezogener Antisemitismus vorgeworfen, vor allem in den sozialen Medien war Protest gegen die geplante Veranstaltung laut geworden.
Es ist sehr gut, dass diese Preisverleihung ausfällt, dass Pillay den Preis nicht bekommt. Dabei ist es ohnehin ein Zeichen von Erinnerungsabwehr, nach einem so aktiven Nazi-Naturwissenschaftler wie Otto Hahn, dessen Forschungen zur Kernspaltung nicht anders als Pro-Nazi und wissenschaftlich als katastrophal gewertet werden können (Hiroshima, Nagasaki, die Verwandlung des Lebens in eine bloße „Frist“, Günther Anders), einen Preis zu benennen. Der Historiker Mark Walker hat sich mit Hahn beschäftigt, der Tagesspiegel zitiert ihn:
“Der Kernspaltung folgte eine Bewusstseinsspaltung, vor allem bei Otto Hahn.”
“Hahn wie auch Heisenberg hatten in mehreren populären Vorträgen vor führenden Vertretern der Industrie, des Militärs und der Nazipartei die möglichen wirtschaftlichen und militärischen Anwendungen skizziert.”[xx]
Also es dürfte die Otto-Hahn-Friedensmedaille gar nicht geben, weil damit die aktive Rolle Otto Hahns im Nationalsozialismus verleugnet und schön geredet wird.[xxi]
Doch ebenso bezeichnend ist die nächste Berliner Heuchelei: es wird diese südafrikanische Israelfeindin jetzt doch nicht geehrt, aber die Barenboim-Said Akademie, wo zum Beispiel Ofira Henig 2021 den exakt gleichen Vergleich von Israel mit Südafrika anstellte, diese Akademie wird von der Bundesregierung institutionell so massiv mit Millionen Euro pro Jahr unterstützt, dass es diese Propaganda-Akademie ohne diese Steuergelder gar nicht geben würde.
Militarismus in Deutschland ist tödlich – in Israel ein notwendiges Übel
Diese kleiner Stadtspaziergang durch einen kleinen, aber kulturell wie politisch symbolischen und wichtigen Teil des neuen Berlin sollte zeigen, wie tief antisemitische Ressentiments im kulturellen Mainstream und der politischen Elite vorherrschend sind, nicht nur bei Helmut-Kohl-Fans, sondern auch bei post-migrantischen, post-kolonialistischen oder auch jüdischen Antizionist*innen, die zudem häufig die Geschichte umschreiben und die Präzedenzlosigkeit der Shoah negieren.
Da kann die Bundesregierung noch so oft ihre Solidarität mit Israel bezeugen, wenn sie zugleich mit vielen Millionen jährlich eine Einrichtung wie die Barenboim-Said Akademie unterstützt, die wie exemplarisch gezeigt, Israelfeinde wie Ofira Henig beschäftigt, dann sieht man den Widerspruch zwischen diplomatischem politisch korrektem Sprech und der Realität in Berlin im Theaterhaus, links und rechts von Unter den Linden.
Ja, mehr noch. Wie die Times of Israel berichtet, sehen sowohl der letzte wie auch der neue Botschafter Israels in Deutschland die Scholz’sche „Zeitenwende“ mit Genuss:
Prosor’s predecessor, Jeremy Issacharoff, described in May a “different Germany, a Germany that realized they need to be very much more prepared, capable, to defend [them]selves, to project deterrence, to have credible military force that is defensive in nature… It is closer to the Israeli narrative.”
The German Green Party, traditionally seen as dovish, is now leading the campaign to send heavy weapons to Ukraine.
Das ist natürlich, sorry, totaler Blödsinn oder Bullshit. Deutschland ist überhaupt nicht bedroht! Die Ukraine ist aus ganz vielen Gründen von Russland bedroht, was am russischen Imperialismus oder reaktionären zaristischen Denken liegt, aber eben auch an der Aggression durch die NATO und die USA seit den 1990er Jahren liegt, die Russland seit Jahrzehnten provoziert.
Warum hat sich das imperialistische Militärbündnis nach Osteuropa ausgebreitet, entgegen dem Versprechen von „Not one inch“ würde sich die NATO ostwärts bewegen, wenn die DDR und die BRD zusammenkämen? Diese Zusage ist per Protokoll dokumentiert, wir haben die Dokumente von Februar 1990,[xxii] die Zusage von “not one inch” des US-Außenministers James Baker gegenüber dem kürzlich verstorbenen Michael Gorbatschow gab es (siehe dazu das neue Buch „Nie wieder Krieg ohne uns… Deutschland und die Ukraine“ von Gerald Grüneklee, Peter Nowak und mir).
Warum wurde Putins Anfrage, ob Russland Mitglied der NATO werden könne, lächerlich gemacht? Was hat die NATO in der Ex-DDR, in Estland oder Rumänien zu suchen? Darüber hinaus herrscht seit 2014 Krieg in der Ukraine, im Osten. Dabei starben über 10.000 Menschen. Die Ukraine ist das Land mit den vermutlich meisten Straßen, Plätzen und Denkmälern, die nach Antisemiten oder Nazi-Tätern und Nazi-Kollaborateuren benannt sind, wie der jüdische Forward erforscht hat („How many monuments honor fascists, Nazis and murderers of Jews? You’ll be shocked“), obwohl selbstverständlich die Konkurrenz aus Deutschland sehr groß ist (Stichwort Hans-Martin-Schleyer Brücke in Esslingen am Neckar oder Rudolf-Harbig Stadion in Dresden, Jahn Regensburg etc. pp.).
Die Kleinigkeit, dass Israel seit 1948 um seine Existenz kämpfen muss, Deutschland aber im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege verbrochen hat und sechs Millionen Juden ermordet hat, was nach 1945 wenigstens dazu führte, dass immer so getan wurde, dass es die Deutschen ernst meinen mit dem Slogan „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“, diese „Kleinigkeit“ geht in dem Bericht der Times of Israel völlig unter. Jetzt heißt das Nie wieder Krieg ohne uns … Will Israel wirklich wieder deutsche Soldaten kämpfen sehen, jetzt gegen die Russen? Wirklich? Endlich die Deutschen siegen sehen, nachdem sie im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege angezettelt und dann verloren haben, aber ihren Hauptkrieg – den gegen „den“ Juden, gewannen?
Also da sollte Ron Prosor nochmal in sich gehen vielleicht und sich den kategorialen, unüberbrückbaren Gegensatz von Deutschland und Israel klar machen. Deutschland hat nach Auschwitz nie mehr ein Recht auf ein Militär.
Israel braucht ein sehr starkes Militär, um sich vor allem gegen die Araber und den Iran zu behaupten. Das ist eine existentielle Frage. In Deutschland findet aktuell ein geschichtspolitischer Wandel statt, der die deutschen Verbrechen vergessen möchte. Das passiert ganz unverschämt, indem vom „Vernichtungskrieg“ Putins gefaselt wird, den es überhaupt nicht gibt. Ja das ist seit dem 24. Februar 2022 ein Wort geworden, das die Deutschen endgültig wieder gut macht.
Mit meinen Bezügen auf Eike Geisel wollte ich wenigstens andeuten, dass dieser geschichtspolitische Wandel hin zu einem neuen Anlauf der Deutschen auf die Weltherrschaft, nichts anderes ist gemeint, wenn jetzt alle von „Führungsrolle“ sprechen, gerade auch militärisch, die größte Katastrophe in der Geschichte der BRD ist, fast noch schlimmer als die unfassbar irrationale, brutale und menschenverachtende Coronapolitik.
Schließlich ist es natürlich pure Heuchelei, was hier Ron Prosor sagt. Israel macht bei den Sanktionen gegen Russland doch gar nicht mit, weil Millionen russischer Juden und Jüdinnen in Israel leben und Israel zudem militärisch von Russlands Goodwill bei ‚Aktionen‘ in Syrien abhängig ist.
At the end of the day gilt: Welcome Ron Prosor. Viel Glück bei den Deutschen. Am Israel chai!
[i] „Es war ein großartiger Abend gewesen. Der Renault Kangoo genoss es mindestens so sehr wie ich auf der mittleren der drei Spuren der größten und bedeutendsten aller Berliner Alleen zu kutschieren, auf der Karl-Marx-Allee Richtung Alexanderplatz, gleich nach den beiden so – für Berliner Verhältnisse – elegant in den pechschwarzen Abendhimmel ragenden kleinen runden Türmchen am Frankfurter Tor. Es war gegen 23 Uhr, mitten in der Woche, die Straße wie leergefegt. Sicher, der Kudamm ist viel mondäner, älter und BRD-mäßiger, dort war das Herz von 68, als Schlendern, Spazierengehen und Revolution so eine prickelnde Mesalliance eingingen. Aber jetzt, im 21. Jahrhundert, versprach die Karl-Marx-Allee viel mehr an räumlicher wie intellektueller Weite. Der Zuckerbäckerstil tut sein Übriges, sich irgendwo zwischen dem alten Kiew und Barcelona zu wähnen. Die Gespräche mit einem Freund an jenem Abend in Berlin-Friedrichshain waren begeisternd, auch wenn sie, wer hätte je anderes erwartet, sich um die Niederlagen der Linken drehten, sei es die Ermordung Erich Mühsams, nach dem dort (Petersburger Platz) eine Straße benannt ist (und die Plakette, die 2004 noch da war, plötzlich irgendwie verschwunden) oder um jene Kneipe und Gegend weiter unten, südlich des später nach Bersarin benannten Platzes, wo die SA-Nazis schlägerten und ihre Morde planten“, 09. Mai 2019, https://www.clemensheni.net/die-rueckkehr/.
[ii] „Stephan Trüby: Wir unterschätzen die Rechte. Sie verfügt, wie meine Forschungen belegen, auch über eine Architekturtheorie. Claus Wolfschlag, ein völkischer Architekturtheoretiker, der für ein ganzes Spektrum rechter Publikationen schreibt, hat gemeinsam mit Wolfgang Hübner, einem rechtspopulistischen Frankfurter Kommunalpolitiker, die erste parlamentarische Initiative für die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt formuliert und eingereicht.
Was geschah dann?
Der Antrag wurde zunächst abgelehnt, jedoch ein wenig später von einem breiten Parteienbündnis übernommen. Das ist ein Fakt. Das Schlimme daran ist: Die Rechten setzen die Themen, und andere Parteien setzen sie um. (…)
Man will also nicht mehr an die Nazis und den Holocaust erinnert werden.
Die Trauer um die zerbombten Altstädte in Deutschland ist historisch stark von ehemaligen Luftschutzaktivisten und anderen NS-Funktionsträgern geprägt worden. Sie relativierten frühzeitig den Holocaust mit ihrer Rede vom „Bombenholocaust“. Der britische Publizist David Irving spielte hier eine zentrale Rolle. Wer sich heute auf den Internetseiten von entsprechenden Stadtbild- und Rekonstruktionsvereinen herumtreibt, stößt zuweilen auf eine Täter-Opfer-Umkehr, die ohne Irving und Konsorten nicht zu denken ist …“, „Stephan Trüby über Architekturpolitik: „Die Vergangenheit neu erfinden“, taz, 12.08.2018, https://taz.de/Stephan-Trueby-ueber-Architekturpolitik/!5524507/; Auch zum neu-alten Schloss in Berlins neuer Mitte äußert sich Trüby in diesem Interview mit der taz: „Ich war eine Zeit lang Jurymitglied für die Museumsgestaltung des Humboldt-Forums im Berliner Stadtschloss. Als ich dort noch tätig war, dachte ich, dass man Kunstwerke, Artefakte, Fotografien und Architekturen nach dem Vorbild der Appropriation Art wiederholen und sie zu emanzipatorischen Artikulationen machen könnte. Inzwischen glaube ich aber nicht mehr daran. Nahezu jedes Rekonstruktionsprojekt geht mit einem reaktionären Geschichtsverständnis einher. Zwar hat sich meines Wissens nach keiner der Akteure hinter der Berliner Stadtschlossrekonstruktion jemals für ein „Ende des Schuldkults“ ausgesprochen. Aber auch hier soll mithilfe eines Bauwerks eine scheinbar ungebrochene deutsche Nationalgeschichte erzählt werden.“
[iii] Clemens Heni/Thomas Weidauer (Hg.): Ein Super-GAUck. Politische Kultur im neuen Deutschland, Berlin: Edition Critic; Clemens Heni (2010): Die Prager Deklaration. Antisemitismus im neuen Europa, Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, Jg. 49, Nr. 194 (2010), S. 106–112.
[iv] Dovid Katz/Clemens Heni (2009): “The Prague Declaration is Europe’s new antisemitic poison” in: Algemeiner Journal, 4. Dezember 2009, S. 10; die beste Übersicht über Texte zur Analyse und Kritik der Prager Deklaration in den Jahren 2008 bis 2014 bietet der führende Forscher zur Prager Deklaration, der seine Homepage „defending history“ bezeichnet, Professor Dovid Katz aus Litauen, https://defendinghistory.com/prague-declaration/opposition.
[v] Wolfgang Wippermann (2012): Heilige Hetzjagd. Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus, S. 29.
[vi] Vgl. zur frühen Kritik an der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ das Kapitel „Mainstream-Antisemitismus? Plädoyer der ‚Initiative GG 5.3 Weltoffenheit‘“ in Clemens Heni (2021): The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) | 10 Jahre BICSA (Gegründet im Januar 2011) | Working Paper, 31. Januar 2021 | Antisemitismus im Zeitalter von Corona, 31. Januar 2021, http://www.bicsa.org/allgemein/antisemitismus-im-zeitalter-von-corona-bicsa-working-paper-januar-2021-jubilaeum-10-jahre-bicsa/.
[vii] Zur Jerusalemer Erklärung und deren Exkulpation der BDS-Bewegung vom Antisemitismus siehe Clemens Heni (2021a): Offener Brief an das internationale Auschwitz-Komitee: “Danke Kassel” oder Antisemitismus, Rechtsextremismus und die Coronapolitik gleichermaßen bekämpfen, 29. März 2021, https://www.clemensheni.net/offener-brief-an-das-internationale-auschwitz-komitee-danke-kassel-oder-antisemitismus-rechtsextremismus-und-die-coronapolitik-gleichermassen-bekaempfen/.
[viii] Zum postkolonialen Antisemitismus und der Leugnung des Nie Dagewesenen von Auschwitz und der Shoah bei Dirk A. Moses siehe das Unterkapitel „Denial of the Uniqueness of the Holocaust and anti-Zionism: Dirk A. Moses“, in Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin: Edition Critic, S. 264–274.
[ix] Vgl. Heni 2013, insbesondere S. 375–378.
[x] Giorgio Agamben (2002): Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt: Suhrkamp, S. 183 (zuerst 1995 in Italien publiziert).
[xi] Ebd.
[xii] Ebd., S. 189.
[xiii] Ebd., S. 190.
[xiv] Giorgio Agamben (2005): State of Exception, Chicago/London: The University of Chicago Press, S. 3–4.
[xv] Edward Said (1999a): Basis for Coexistence, http://radiobergen.org/palestine/said-1.html; Edward Said (1969): The Palestinian Experience, in: Moustafa Bayoumi/Andrew Rubin (Hg.) (2001): The Edward Said Reader, London: Granta Books, S. 14–37; Edward Said (1979): Zionism from the Standpoint of its Victims, in: Bayoumi/Rubin (Hg.), S. 114–168.
[xvi] Dieser kurze Absatz ist aus meinem Buch „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018.
[xvii] Das zeigt sich auch in einem Text von 1979, Der Zionismus vom Standpunkt seiner Opfer aus betrachtet, wo Said die USA mit dem Apartheidregime in Südafrika in Beziehung setzt und schreibt, mancher Kritiker lehne zwar sowohl südafrikanischen als auch amerikanischen Rassismus ab, unterstütze aber stillschweigend die „zionistische rassische Diskriminierung gegen Nicht-Juden in Palästina“; Said verwahrt sich gegen die Analyse, der heutige Antisemitismus argumentiere antizionistisch, vgl. Said 1979, S. 118, Übersetzung CH. Said leugnet den Holocaust nicht direkt, vielmehr propagiert er eine Art Wohlfühlantisemitismus und geriert sich als Kritiker, der verstehe, was Zionismus für Juden bedeute, da sie im 20. Jahrhundert Antisemitismus erfahren hätten, vgl. ebd., S. 119. Er möchte eine Täter-Opfer-Umkehr mit gutem Gewissen – eine Position, die er mit vielen, nicht nur Linken, teilt.
[xviii] Die Anti-Defamation League erläutert im März 2022, was der Sicherheitszaun ist: „The security barrier (or fence) is a defensive measure first approved by the Israeli government in 2002 to prevent Palestinian terrorists from reaching their civilian targets inside Israel.
The decision to build the barrier was reached following more than two years of relentless terrorism by Palestinians suicide bombers who targeted Israeli buses, cafes, shopping centers and other civilian gathering points during the Second Intifada which killed over 1,000 Israelis and left thousands severely injured. Israel felt it had no choice but to take strong action to stop these terrorists from entering Israel from their operation centers in the West Bank.
The approximately 450-mile security barrier (not yet completed) is comprised 90% of chain-link fence and 10% of a concrete barrier. The entire barrier is a multi-fence system which incorporates ditches, barbed wire, patrol roads and observation systems. Contrary to anti-Israel propaganda, a very small section of the barrier is concrete, or can be described as “a wall.” The concrete sections are primarily in the area of the Palestinian cities of Qualqilya and Tulkarim, the locus of many terrorist operations, areas where there is a history of snipers shooting at Israeli civilians, and along the outskirts of municipal Jerusalem“, https://www.adl.org/resources/glossary-terms/the-security-barrier.
[xix] „Of course I feel sympathy for the BDS movement. I follow its activity and I believe in its power“, https://www.exberliner.com/stage/find-kind-of-ofira-henig/.
[xx] „Otto Hahn: Kernsprengstoff für das Dritte Reich“, 02. Juli 2001, https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/otto-hahn-kernsprengstoff-fur-das-dritte-reich-809710.html.
[xxi] Folgende Studie von 1999 blieb ohne Folgen, was das Renommee des Nazi-Naturwissenschaftlers Otto Hahn betrifft: Gine Elsner/Karl-Heinz Karbe (1999): Von Jáchymov nach Haigerloch. Der Weg des Urans für die Bombe. Zugleich eine Geschichte des Joachimsthaler Lungenkrebses, Hamburg: VSA-Verlag. Darin heißt es: „Im Februar 1939 fand ein Gespräch zwischen Otto Hahn und Carl Friedrich von Weizsäcker statt; danach soll Weizsäcker zu einem Jugendfreund gesagt haben: ‚Ich komme soeben von einem Gespräch mit Otto Hahn, der es für wahrscheinlich hält, daß wir eine Bombe konstruieren können, die geeignet ist, London zu zerstören“, ebd, S. 29f.
[xxii] Clemens Heni (2022): “Not one Inch”, Ukraine und NATO-Osterweiterung im Kontext oder: Amerika plante 1959 “91 Atombomben auf Ost-Berlin zu werfen” … und die UdSSR wurde im Februar 1990 von Baker, Bush sen. und Kohl “ausgetrickst”, 13. Februar 2022, https://www.clemensheni.net/not-one-inch-ukraine-und-nato/.