Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Pegida Seite 1 von 2

Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus (Rezension zu Norbert Frei u.a.)

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. November 2019

Die ganze Rezension auf dem „Portal für Politikwissenschaft“ lesen.

„Dieser auf Initiative des Verlags entstandene Band von Norbert Frei und seinen Koautor*innen besteht aus acht Kapiteln, von denen jeder Autor und jede Autorin zwei verfasst hat, sowie den beiden gemeinsam geschriebenen einführenden und abschließenden Abschnitten.

(…)

Zentrale Elemente des neuen Nationalismus wie das „Sommermärchen“ von 2006 oder die höchst problematische Rolle der Massenmedien im Umgang mit der AfD wie beispielsweise in Talkshows in ARD und ZDF werden in dem Band nicht touchiert.

Unter dem Strich merkt man dem Buch an, dass Frei vom Ullstein Verlag zweimal gebeten werden musste, es auf den Weg zu bringen. Einzig Tändler hat einige interessante Abschnitte, die auch für die politikwissenschaftliche Forschung zur Neuen Rechten und dem erstarkenden Nationalismus relevant sind. Entgegen den Autor*innen geht es meines Erachtens gerade nicht um die richtige „Dosis“ an „Patriotismus“ ( 216), sondern um eine klare begriffliche und ideologiekritische Analyse und Kritik gerade auch des Begriffs „Patriotismus“ in Deutschland, um dem Nationalismus in die Schranken zu weisen. Die vier Autor*innen wenden sich gegen die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ (207), wie sie von Björn Höcke und der AfD vertreten wird. Dabei unterstützen sie doch nicht weniger eine solche erinnerungspolitische Wende, wenn sie, wie gezeigt, Rot und Braun analogisieren.“

 

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Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus
Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus
Ullstein Buchverlage
Berlin

Norbert Frei und seine Ko-Autor*innen sehen die Gefahr, dass „Deutschland derzeit von rechts zusammenzuwachsen“ drohe. Viele Positionen von AfD, Pegida und der Neuen Rechten seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen und die liberale Demokratie sei durch eine neue nationalistische Formation bedroht. Mit dem Buch sollen die Kontinuitäten rechten Denkens seit 1945 und dann wieder seit 1989/90 aufgezeigt werden. Es geht dabei jedoch weniger, wie Rezensent Clemens Heni anmerkt, um die heutige Neue Rechte und deren zeithistorische Einordnung, sondern einzelne Kapitel beleuchten die Adenauerzeit, die DDR sowie rassistische Umtriebe in den 1970er und 1990er-Jahren.

 

Clemens Heni – Eine Alternative zu Deutschland. Essays

Clemens Heni

Eine Alternative zu Deutschland. Essays

 

Berlin: Edition Critic, 2017

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten, Band 2

ISBN 978-3-946193-17-3 | Softcover | 14,8x21cm | 262 Seiten | Personenregister | 15€

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei direkt beim Verlag:

info[at]editioncritic.de

 

Dieses Buch ist eine intellektuelle Zeitreise von Juli 2006 bis September 2017.

Es zeigt auf, wie es vom »Sommermärchen« 2006 über die Rede vom »Inneren

Reichsparteitag«, Pegida, den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit), die

Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bis hin zum Aufstieg der AfD kommen

konnte. Betont wird die Verantwortung der Medien und des Fernsehens für

diesen Aufstieg. Die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag müssen

sich das erste Mal in der Geschichte mit neonazistischen Positionen im Parlament

befassen – doch sind sie darauf vorbereitet?

 

»Wer nach einer Vergewisserung sucht, wo Deutschland heute steht, wird sie in diesem Buch finden. Mit scharfem Verstand und mit angespitzter Feder zeichnet Clemens Heni funkelnde Momentaufnahmen der letzten elf Jahre. Heraus kommt, wie bestürzend sich die zivile Achse des zuvor offenen Selbstverständnisses nach rechts verschoben hat. Wer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft teilt, muss die Gegenwart schonungslos kritisch beleuchten. Daraus mag ›eine Alternative zu Deutschland‹ entstehen.«

Gert Weisskirchen, 1976–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB), 1999–2009 außenpolitischer Sprecher SPD Bundestagsfraktion, 2006–2008 persönlicher Beauftragter des OSZE Vorsitzenden im Kampf gegen  Antisemitismus, Prof. (em.).

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Prof. Dr. Micha Brumlik, 2000–2013 Professor für »Theorien der Bildung und Erziehung « am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main, 2000–2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust an der Goethe Universität.

»Wo nationalistische Töne sich erheben, ein Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts gefordert und Judenhass zu einer scheinheiligen Kritik an Israel sublimiert wird, holt Clemens Heni zum grossen Rundumschlag aus: gegen Zyniker, Großaffirmatoren, Antihumanisten und Holocaustverharmloser im Deutschland der Gegenwart. Selbst wenn man ihm nicht immer folgen mag, schreibt er doch mit viel Scharfsinn und Sachkenntnis. Fazit: Unbedingt lesenswert und gerade vor dem Hintergrund der Bundestagswahl von brennender Aktualität.«

Dr. phil. Michael Kreutz, Politologe und Orientalist

»Clemens Heni ist ein Ein-Mann-Korrektiv zum andauernden deutschen Geschichts-Roll-Back, wach, intelligent, unerlässlich in Zeiten der schwächelnden Demokratie.«

Georg Diez, Spiegel-Online-Kolumnist, Buchautor, 2016/17 Nieman Fellow der Harvard Universität, USA

Clemens Heni Eine Alternative zu Deutschland 2017 Inhalt Einleitung (PDF):

Einleitung  7

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig Deutschland wurde  12

Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002:  ein Küchlein mit Folgen  13

Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006:
Ich bin deutsch und was bist du?  14

Walk of Ideas, Berlin 2006  15

„Die Nazis wurden doch sportlich, 1936“ – Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus  16

Weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren  Verharmlosung der deutschen Verbrechen  21

Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze“  „deutsches Vaterland“ –
von Diem zu Klinsmann  22

Keine „Reue“ zeigen: Gegen „amerikanischen Messianismus“ –  Matusseks nassforsche Invektiven oder wie funktioniert  sekundärer Antisemitismus?  25

Joachim Fests Kampf: Über Historismus und Antisemitismus  26

Ästhetizistische Parallelwelten: K.H. Bohrer möchte wieder ein stolzes Deutschland …   29

Deutsche Lust: Zusammen, was zusammengehört: Nation und Sozialismus – „Volkslust“… 32

Kritik an Broders Rechtsruck 2007  35

Martin Mosebach: Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus  39

„Rheinischer” Revisionismus? Journalisten verlegen Beginn des Zweiten Weltkriegs auf 1935  41

Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“  45

Karl Rössel, der Mufti, und die Aporien des Antiimperialismus  45

Merkwürdiger Komparatismus: Harald Welzer  50

Antisemitismus trivialisieren? Fragen an den Facebookexperten Götz Aly  52

Das ZDF oder wenn Deutsche zu sehr lieben: „Innerer Reichsparteitag“  56

Das grüne Ressentiment: Die Grünen, Paul Bonatz, die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, Stuttgart 21    59

Stuttgart ist keine „Vorstadt von Jerusalem“… Paul Bonatz, der NS und Die Grünen (K21)  61

Erinnern, um zu vergessen: Alfred Grosser  66

„Ausgerechnet Billy Wilder“ – Christian Wulff, die „deutsche Kultur“ und der Holocaust 68

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren  69

Antisemitismus und die Prager Deklaration  75

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013  78

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer  83

Özgida – eine antirassistische Antwort auf Pegida  86

32 Thesen: Pegida zeigt den Extremismus der deutschen Mitte  90

2014: Ein Land gefangen zwischen Islamismus und dem Extremismus der Mitte  95

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?  96

Auschwitz, 27. Januar 1945  98

Eike Geisel und die Erinnerung an den Holocaust 103

Die „Klimaverschärfung“ – AfD und Pegida machen das Land peu à peu unbewohnbar  108

Das Ende des Ludwig-Börne-Preises – Der „post-humanistische Denkraum“ Peter Sloterdijks  116

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“  127

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016  133

Gegen das Brexit-Volk des 23. Juni 138

Deutsche Männer mit Schnappatmung – Zur Kampagne gegen die
Amadeu Antonio Stiftung  142

Von der SED zur AfD? Für die Neue Rechte war die DDR schon
1981 besonders „deutsch“  145

16 Jahre NSU, 15 Jahre 9/11: Deutschland zwischen braunem und grünem Faschismus  150

Schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und der Mob in Berlin vor dem Einzug ins Parlament 152

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke bekommt den Friedenspreis  159

Ein Präsident für die antiwestliche Internationale  167

Die neue Querfront – Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump … 175

Stalingrad, „monströser Zivilisationsbruch“ –

Die Wiedergutwerdung der Deutschen in Aleppo  184

Der Trumpismus, die Fratze des Philoisraelismus und die Chance
des säkularen Zionismus  188

Amerikas 1933 und die „identitäre Demokratie“ (=Faschismus)  192

Locker bleiben. Es ist lediglich der mächtigste Mann der Welt, der
den Faschismus intoniert 194

Erlösendes Gedenken, Norbert Lammert, die „wechselvolle“ deutsche Geschichte  200

Freiheit für Deniz Yücel – Jetzt sofort! Power durch die Mauer, bis sie bricht! 204

G20-Proteste: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Brecht)  206

Koscherstempel für faschistische Autoren: Die Berliner Buchhandlung „Topics“  209

Holocaustopfer, schwarzrotgold: Gerhard Richter im Bundestag  214

„Ist doch für einen guten Zweck“: Mafia-Methoden im politischen Diskurs  214

TV-Duell: AfD-Propaganda-Show führender TV-Journalist*innen in
ARD, ZDF, RTL und Sat1  217

Endnoten  223

Personenregister  256

Lesprobe:

Einleitung

Für „Otto Normalvergaser“ wie die Politiker*innen und Wähler*innen der Alternative für Deutschland (AfD) „ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen“.[1] Das zeigt sich an der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die das Wort „völkisch“ wieder verwendet, an dem ehemaligen (1973–2013) CDU-Mitglied und AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017, Alexander Gauland, der „stolz“ ist auf die deutschen Soldaten im „Ersten und Zweiten Weltkrieg“ und an Björn Höcke, für den das Holocaustmahnmal ein „Mahnmal der Schande ist“. Die Welt am Sonntag berichtete am 9. September 2017 über einen E-Mail-Wechsel der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel von 2013, worin es über Mitglieder der Regierung Angela Merkel heißt:

„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“[2]

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 führt das erste Mal dazu, dass Neonazis im Deutschen Bundestag sitzen werden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach im Vorfeld von der Gefahr, dass „echte Nazis“ im Parlament vertreten sein werden.[3] Der 24. September 2017 war der schlimmste Tag für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Die 12,6% Stimmen für die AfD zeigen die Fratze des Volkes. Die Millionen AfD-Wähler*innen wissen, wie völkisch, rassistisch, nationalistisch, agitatorisch und antisemitisch diese Partei ist und haben sie gerade deshalb gewählt.

Dieses Land braucht eine Alternative zu Deutschland. Es war noch vor fünf Jahren undenkbar, dass eine Partei in den Bundestag einziehen wird, die „Deutschland erwache“ twittert,[4] so wie damals die Nazis mit diesem Spruch agitierten. Eine Partei, die Politiker hat, die so reden wie Goebbels und die Erinnerung an den Holocaust nicht nur abwehren, sondern im Kokettieren mit dem damaligen Propagandaminister die Shoah gar nicht so klammheimlich affir­mieren. Eine Partei, die deutschen Staatsbürgerinnen die Staatsbürgerschaft abspricht und diese in „Anatolien entsorgen“ will. Schließlich eine Partei, die Mitglieder hat, welche die gefährlichste aller antisemitischen Verschwörungsmythen, die Protokolle der Weisen von Zion, unterstützen.[5] Der Mob schreit „Volksverräter“, „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD passierte, und möchte die Kanzlerin wegputschen und die Demokratie zerstören. Solche Neo-Nazisprüche und -Ideologie gibt es schon seit Jahrzehnten – aber niemals im Deutschen Bundestag als Teil der Ideologie einer ganzen Partei. Dazu kommen eine ungeheuerliche Agitation gegen die Demokratie und Gewaltfantasien, die rechte Aktivisten von Pegida und Politiker*innen der AfD und deren Anhängerschaft in den sozialen Medien äußern.[6] Wie Bundesjustizminister Heiko Maas knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl schreibt, ist die AfD „in Teilen verfassungswidrig.“[7] Doch die Alternative für Deutschland (AfD) entstand nicht in einem Vakuum, sondern ist Ausdruck eines lang andauernden Prozesses der Renationalisierung dieses Landes wie auch Europas und des Westens. Rassismus, Separatismus und die Hinwendung zum „Eigenen“ sind schockierender Aus­druck sowohl des Brexit im Juni 2016, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wie der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten im November 2016.

Die deutsche Renationalisierung kann hier nicht in allen Einzelheiten untersucht werden. Die jüngste Form der Renationalisierung war ein Epochenbruch: 2006. Eine Kernthese dieses Bandes lautet: Ohne das „Sommermärchen“ von 2006 und den schwarzrotgoldenen Taumel, ohne die „inneren Reichsparteitage“ und gegenintellektuelle Stimmungsmache für mehr Nation und weniger Reflektion, mehr Stolz auf die deutsche Geschichte und weniger Gesellschaftskritik, wäre es nicht zu Pegida und zur Katastrophe der völkischen AfD gekommen. Die AfD hat am Wahlabend die deutsche Nationalhymne gesungen,[8] es ist die gleiche Hymne, die schon zu Nazizeiten gesungen wurde.

Es sind krasse Zeiten. Wir können mittlerweile wählen, ob wir den braunen, nazistischen, oder lieber den grünen, islamistischen Faschismus bevorzugen. Zwischen diesen beiden Polen ist der Westen derzeit gefangen. Der jihadistische Terrorismus, der Islamismus, das Ressentiment auf die westliche Welt, der Antiamerikanismus, der Antisemitismus und der Israelhass des 11. September 2001 veränderten die Welt. Seit jenem Tag wachen wir jeden Morgen auf, und wissen nicht, ob wieder ein jihadistischer Anschlag passierte, ob auf Bali, im Irak, in Syrien, Afghanistan, den USA, Frankreich, Dänemark, Berlin, Tel Aviv, Jerusalem, Brüssel, Toulouse, London, Manchester, Madrid, Djerba, Barcelona, Nizza und unzähligen weiteren Orten. Seit über 16 Jahren geht das so und es ist kein Ende in Sicht. Weltweite massive Sicherheitsvorschriften an Flughäfen, das unwillkürliche Aufmerksamwerden auf isoliert herumstehende Koffer, Taschen oder Rucksäcke an Bahnhöfen, Flughäfen und sonst im öffentlichen Raum waren vor 9/11 nicht denkbar. Unser Blick auf die Realität hat sich verändert. Dazu kommt in der Bundesrepublik ein noch viel heftigerer, massenwirksamerer und seit dem 24. September 2017 auch bundespolitisch mit enormen Konsequenzen und einem Machtzuwachs nie geahnten Ausmaßes ausgestatteter nationalistischer, rechtsextremer und neonazistischer Aufbruch.

Das Volk ist nicht „abgehängt“ oder „perspektivlos“, nein, das Volk ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend. Das zeigt sich nicht nur an Tomaten- wie Verbalattacken auf Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten während des Bundestagswahlkampfes 2017 oder bei den Pegida Demonstrationen seit Oktober 2014, sondern zum Beispiel auch im Sommer 2017, als in einem ganz normalen westdeutschen Dorf bekannt wurde, dass dort seit 83 Jahren eine „Hitlerglocke“ im Kirchturm hängt und der Pfarrer (aus musikalischen Gründen, klar) wie der Bürgermeister total „stolz“ sind auf ihre Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland. Adolf Hitler“ und darunter befindet sich ein dickes Hakenkreuz. Das hat seit 1945 keinen Menschen in diesem ganz normalen deutschen Dorf in Rheinland-Pfalz (Herxheim am Berg) gestört.

Diese beiden Großthemen, Jihad und der stolzdeutsche Aufbruch, das „nationale Apriori“ der Deutschen, bestimmen in weiten Teilen die politische Kultur, möchte man meinen. Wer aber am 3. September 2017 das einzige TV-Duell der beiden Kanzlerkandidat*innen zur Bundestagswahl am 24. September auf den vier größten Fernsehkanälen ARD, ZDF, RTL und Sat1 gesehen hat, traute seinen Augen und Ohren nicht mehr. Da wurde weit über die Hälfte der Sendezeit nur gegen Nicht-Deutsche gleichsam agitiert, die Fragen hörten sich an, als wären alle vier Fragenden direkt von der AfD bestellt gewesen. Die Gefahr des Rechtsextremismus wurde verleugnet. Die Medien haben eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD. Der Journalist Georg Diez resümiert am Vormittag des 24. September 2017:

Die Erfolge der AfD haben auch die Plasbergs dieser Welt mitzuverantworten. Denn die öffentlich-rechtlichen Talker haben den reaktionären Kräften schon früh und dann immer wieder eine Bühne geboten.“[9]

Die AfD hat es in zwei Jahren, seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ Anfang September 2015, geschafft, dieses Thema als das zentrale Thema des ganzen Landes durchzusetzen, auch wenn im Spätsommer 2017 kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland und Europa durchkommen, da die Abschottung jetzt schon in Afrika beginnt. Die Renationalisierung, die in dieser Aggressivität nie dagewesene nationalistische Rede, wurde von der AfD in den Mainstream gebracht und die Medien nahmen das geradezu dankbar und begierig auf. Aufgrund dieses In-die-Zange-Nehmen der westlichen Welt durch den braunen und grünen Faschismus verschwinden andere Themen oft. Der Klimawandel, der von US-Präsident Donald Trump und seinen deutschen Fans geleugnet wird, aber auch viel weiter gefasste Themen wie Entschleunigung, Ökologie und das Mensch-Natur-Verhältnis, vom Atomausstieg über Braunkohleabbau, Windkraft oder Solarenergie hin zum Dieselskandal, der nur die Wahrheit auf den stinkenden Punkt bringt, dass der Kapitalismus nicht zum Vergnügen da ist, sondern zur Profiterzielung. Themen wie das Grundeinkommen, ungebremste Mietsteigerungen in Großstädten und Ballungsräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse für die gut und sehr gut Ausgebildeten, Minijobs und Mehrfachjobs für alle und sicherlich die neoliberale Deregulierung vieler Ge­sell­schaftsstrukturen wie die Internalisierung der Imperative des Kapi­ta­lis­mus: Das wären alles sehr wichtige Themen, die aber seit 9/11 und dann seit 2006 sowie später weltpolitisch durch die Wahl Trumps wie den Aufstieg der AfD massiv überlagert werden durch diese beiden Großthemen brauner versus grüner Faschismus.

Dazu kommt: Die Entpolitisierung ist prägend für weite Teile dessen, was früher einmal als „bürgerliche Mitte“ wie auch „die Linke“ (jenseits der Partei) bezeichnet wurde. Unabhängig von bezahlten Jobs in NGOs gibt es nur noch sehr wenige politisch aktive Menschen, die grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft stellen und nicht nur Einpunktbewegungen anhängen. Jene, die sich in den letzten Jahren massiv politisiert haben, sind die Völkischen oder „besorgten Bürger“. Der Antisemitismus wird äußerst selten zu einem zentralen Thema der Kritik gemacht. Daher versuchen die Essays in diesem Band ganz unterschiedliche Aspekte des heutigen Antisemitismus zu thematisieren und sie am Beispiel von teils zentralen Akteuren oder Ereignissen im politischen, wissenschaftlichen wie kulturellen Feld zu analysieren. Wenn zum Beispiel ‚linke‘ Aktivisten oder Künstler aktiv werden, sieht das heute so aus: Auf der documenta14 in Kassel sollte es im Sommer 2017 eine Aktion geben mit dem Titel „Auschwitz on the Beach“. Dabei sollten Salzwasser mit Zyklon B und Flüchtlinge mit Juden verglichen und gleichgesetzt, sowie darüber hinaus die europäischen Gesellschaften und Israel als neue „Gauleiter“ zu den Nazis von heute gemacht werden.[10] Diese Abwehr der Er­inn­er­ung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah geschieht mit dem best­en linken Gewissen, was sich darin zeigte, dass der Event zwar aufgrund von Protesten abgesagt wurde, aber ohne eine inhaltliche Distanzierung der documenta-Leitung von diesem doppelten Antisemitismus. Es handelte sich um einen Antisemitismus, der die Erinnerung an den Holocaust für politische Zwecke instrumentalisiert und zudem noch antizionistisch agitiert. Dann gibt es mittlerweile ‚Linke‘, selbst Kritiker solcher Events auf der documenta, welche die Agitation gegen den Islam als fortschrittlich empfinden und den Rechtsextremismus der AfD schlicht verdrängen. Das ist auch bei vielen Trump-Anhängern so, die sich zuvor als liberal oder links tarnten.

Wie der Spiegel Online Kolumnist Georg Diez wenige Wochen vor der Wahl schrieb, kann man sehen, wie seit Jahrzehnten in Deutschland

„der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde, von Martin Walsers Paulskirchenrede über Thilo Sarrazin bis zu den Untergangsfantasien von Botho Strauß. In der Sprache von Peter Handke könnte man sagen, es waren Zurüstungen für die Unmenschlichkeit.“[11]

Die Essays in diesem Band spannen einen Bogen vom „Sommermärchen“ 2006 über den „Inneren Reichsparteitag“ (2010) hin zu Pegida (2014), den Brexit, die Wahl Trumps (2016) und den Aufstieg der AfD zur ersten Partei mit Neonaziideologie im Deutschen Bundestag (2017). Während es Hunderte ehemaliger NSDAPler im Bundestag und anderen Parlamenten seit 1949 gab,[12] werden ab September 2017 erstmals neue Nazis im Bundestag sitzen. Die Essays[13] in diesem Band umfassen eine Zeitspanne von Juli 2006 bis September 2017 und können als eine Art intellektuelles Tagebuch betrachtet werden. Mögen sie zur Kritik und Reflektion, zum Nachdenken über eine Alternative zu Deutschland anregen.

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, 69.

[2] Sven-Felix Kellerhoff/Martin Lutz/Uwe Müller (2017): „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte“, Die Welt, 09.09.2017, https://www.welt.
de/politik/deutschland/article168480470/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten-der-Siegermaechte.html (18.09.2017); „Die WELT AM SONNTAG hält an ihrer Berichterstattung über die Mail in vollem Umfang fest. Der Redaktion liegt eine eidesstattliche Versicherung des E-Mail-Empfängers vor. Um Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auszuräumen, könnte Weidel ihrerseits bei Gericht eine eidesstattliche Versicherung einreichen, in der steht, was zuvor schon der Anwalt behauptet hatte: Dass sie den Text nicht verfasst hat. Doch dies hat sie bisher nicht getan. Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet“, Martin Lutz/Uwe Müller (2017): AfD-Spitzenkandidatin Weidel spricht nicht mehr von Fälschung, Die Welt, 15.09.2017, https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandidatin-Weidel-spricht-nicht-mehr-von-Faelschung.html?wtrid=socialmedia.
email.sharebutton (18.09.2017); „AfD-Spitzenkandidatin Weidel plötzlich kleinlaut. Ein Bericht über eine Wut-Mail hat die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel erzürnt. Sie sprach von einer Fälschung. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/wut-mail-afd-spitzenkandidatin-weidel-ploetzlich-kleinlaut-15202774.html (18.09.2017).

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl/alle-schlagzeilen/gabriel-attackiert-afd-echte-nazis-am-rednerpult/20315768.html (16.09.2017).

[4] http://www.jc-courage.de/wp-content/uploads/2017/02/Die_AfD_in_Koeln.pdf (16.09.2017), 11; http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koelner-hauptmann-und-afd-politiker-soll-ns-parole-getwittert-haben-aid-1.6807113 (15.09.2017): „Die Linken-Politiker werfen [Hendrik] Rottmann vor, am 29. Januar auf Twitter eine Meldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mit den Worten ‚Deutschland erwache‘ kommentiert zu haben – eine Parole, die im Dritten Reich von der Nazi-Organisation SA benutzt wurde. Ein Screenshot des Tweets liegt unserer Redaktion vor – der Twitter-Account, von dem der umstrittene Spruch abgesetzt worden sein soll, existiert nicht mehr.“

[5] So Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg, siehe dazu meine Analyse: Germany’s Hot New Party Thinks America Is ‘Run by Zionists’, Tablet Magazine, 1. August 2016, http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/209243/germanys-hot-new-party (24.09.2017).

[6] „Alle Tünche, die Pegida am Anfang noch trug, war in den sozialen Netzwerken schnell hinfällig. In der scheinbaren Anonymität des WorldWideWeb oder in geschlossenen Facebook-Gruppen, in denen man sich unter sich glaubte, nahmen Mitglieder des Pegida-Orgateams kein Blatt mehr vor den Mund. Verfolgte man Bachmanns inzwischen gelöschten Twitter-Account, der auch in die Zeit vor Pegida zurückreicht, so stieß man auf vulgären Rassismus und Homophobie. Beispielsweise twitterte er am 6. September 2013 über die Grünen: ‚Gehören standrechtlich erschossen diese Öko-Terroristen! … allen voran Claudia Fatima Roth!‘“ (Lucius Teidelbaum (2016): Pegida. Die neue deutschnationale Welle auf der Straße, Münster: Unrast, 31); Die Hannoversche Allgemeine berichtet am 10. September 2017: „Von der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel soll eine E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aufgetaucht sein. Die AfD bestreitet allerdings in Weidels Namen, dass sie die Autorin ist. Die ‚Welt am Sonntag‘ berichtet jedoch, ihr liege eine eidesstattliche Versicherung des Mail-Empfängers, eines früheren Bekannten Weidels, vor. Der Zeitung zufolge heißt es in der E-Mail vom 24. Februar 2013 in Originalschreibweise: ‚Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden.‘ Zudem werde in dem Schreiben die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) verunglimpft: ‚Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen‘, zitiert das Blatt weiter“, http://www.haz.de/
Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten (11.09.2017). Der Ex-AfDler Holger Arppe aus Mecklenburg-Vorpommern hat Pro-Nazi und zur Gewalt aufrufende Nachrichten verschickt und war jahrelang eng verbunden mit führenden AfDlern. Sein Austritt aus der Partei ist rein taktisch. Der NDR berichtet über ihn: „Arppes Chatverläufe dokumentieren auch, wie nah die AfD in Mecklenburg-Vorpommern offenbar an die rechtsextreme ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) herangerückt ist – obwohl es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei gibt. Über Monate hinweg chattete Arppe ausweislich der Protokolle mit Daniel F., einem der führenden Köpfe der IB. F. war früher bei der NPD engagiert. Im Juli 2015 schrieb Arppe: ‚Diesen Revoluzzergeist brauchen wir! Der [Daniel F.] ist ein absolutes Muss für unsere Partei. Seine Vergangenheit interessiert mich einen Scheißdreck.‘ Die Dokumente zeigen auch, dass Arppe die IB darum bittet, als Ordner für eine Demonstration zur Verfügung zu stehen. ‚Daniel, könnten von Euch welche als Ordner fungieren bei unserer Demo am Samstag? Wir brauchen noch ein paar ordentliche Nazis als Freiwillige‘, schrieb Arppe demnach im Oktober 2015. Der IB-Mann sichert daraufhin drei Helfer aus seinen Reihen zu“, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistische-Chats-Fraktionsvize-verlaesst-AfD,afd1204.html (11.09.2017). Das Handelsblatt vom 9. September 2017 ergänzt diese Analyse des rechtsextremen Netzwerkes, in das Arppe eingebunden ist: „Arppe war, wie andere umstrittene AfD-Politiker auch, schon früher wegen seiner deutschnationalen Gesinnung aufgefallen. Er übte mit Wissen der Bundespartei offen den Schulterschluss mit der ‚Identitären Bewegung‘, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und pflegte Kontakte zum Chefredakteur des rechten Monatsmagazins ‚Compact‘, Jürgen Elsässer. Bei einer entsprechenden Veranstaltung im vergangenen Jahr war das AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg mit dabei. Arppe nahm auch schon am sogenannten ‚Kyffhäuser-Treffen‘ in Thüringen teil. Veranstalter ist die rechtsnationale AfD-Gruppierung ‚Der Flügel‘ der AfD-Fraktionschefs Björn Höcke (Thüringen) und Poggenburg (Sachsen-Anhalt). Am vergangenen Wochenende kamen nach Polizeiangaben 550 bis 600 Teilnehmer zu der Kundgebung am Kyffhäuserdenkmal. Unter ihnen waren neben AfD-Chef Jörg Meuthen auch Vize-Parteichef Gauland und Pegida-Chef Lutz Bachmann“, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/
bundestagswahl/alle-schlagzeilen/der-fall-arppe-und-die-folgen-staatsrechtler-bringt-afd-beobachtung-ins-spiel/20302334.html (11.09.2017).

[7] http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/heiko-maas-afd-ist-in-teilen-verfassungswidrig-a-1348338?GEPC=s5 (11.09.2017).

[8] https://twitter.com/maria_fiedler/status/911984268355805185 (24.09.2017).

[9] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-wie-der-rechtsruck-herbei-geredet-wurde-a-1169404.html (24.09.2017).

[10] https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2017/08/auschwitz-am-strand-die-documenta-ueber-den-einsatz-von-zyklon (18.08.2017).

[11] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rechtsruck-in-deutschland-die-geistig-moralische-wende-zum-schlechten-a-1166689.html (11.09.2017).

[12] Eine inoffizielle Liste ehemaliger Nazis, die nach 1945 politisch aktiv waren (wie z.B. als Abgeordnete im Bundestag) findet sich hier: https://de.wikipedia.
org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%
A4tig_waren (21.09.2017).

[13] Bis auf die Einleitung und den Text „Ist doch für einen guten Zweck…“ sind alle Texte dieses Bandes online auf verschiedenen Portalen erschienen und wurden für diese Publikation überarbeitet. Die Datumsangaben am Ende von URLs zeigen das Datum des letzten Abrufs der Seite an.

„Recht und Ordnung“

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. Dezember 2016

„Das bißchen Totschlag bringt uns nicht gleich um“ (Die Goldenen Zitronen)

 

 „Ich bin der Recht-und-Ordnung-Kandidat“ (Trump)

Sicherheit durch Recht und Ordnung“ (NPD)

„Recht und Ordnung“ (Zeitschrift der „Aktion Neue Rechte“, 1972)

„Es ist kein Makel, rechts zu sein, so wie es kein Makel ist, für Recht und Ordnung zu sein.“ (Broder, Achgut)

 

Die konformistische Revolte, die der sexistische, rassistische Megakapitalist Donald J. Trump vulgär intoniert, bekommt tagtäglich ein lauteres Echo auch in Europa, Deutschland vorneweg. Noch nie seit 1945 hatten Nazis so viele Möglichkeiten, ihre antisemitische, rassistische, völkische, deutschnationale und Kinder-Küche-Mutterkreuz Ideologie heraus zu schreien. Grenzen zu und Migranten raus, Hirn raus für die Dumpfdeutschen, nur noch Alt-Yuppie-Fatzkes mit Abitur haben das Recht, Politiker oder Kolumnist zu werden und alles wird gut. Das ist die Message.

Als am 3. Oktober 2016 Pegida-Aktivist*innen, inklusive einem besonders auffälligen Nazi (einem ganz normalen „besorgten Bürger“) in Dresden die versammelte Elite des Landes empfing, die zu den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag in die sächsische Landeshauptstadt kommen musste, war die Stimmung kurz vor einem Pogrom. Politiker*innen wie Angela Merkel, Claudia Roth oder Norbert Lammert wurden mit „Volksverräter“, „Fotze“ und einem NSDAP-Plakat mit einem Goebbels-Spruch darauf empfangen, wie die Journalistin Katja Bauer in der Stuttgarter Zeitung berichtete.

Dresden, 03.10.2016, Foto: Katja Bauer, Stuttgarter Zeitung

Das Goebbels-Zitat zeigt gerade den antibürgerlichen Kern des Nationalsozialismus und heutiger Nazis. Und nun spielen sich Achgut-Betreiber Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner als Retter des „deutschen“ Bürgertums auf. Bekanntlich waren die deutschen Bürger 1933 voll auf Nazilinie, der antibürgerliche Mob der SA paktierte mit der Elite von Thyssen, Krupp, Oetker, IG Farben usw. usf. Und heute? Wir werden es weiter unten sehen.

Dieser Nazimob vom 3. Oktober 2016 in Dresden wurde im Fernsehen auf N24 vom Publizisten Henryk M. Broder in Schutz genommen. Broder verhöhnte den jüdischen Dichter Heinrich Heine, indem er dessen Worte benutzte und sagte „Das Volk schuldet der Regierung keinen Dank“. Da lacht die NPD und die Aktion Neue Rechte (ANR), die 1972 eine Zeitung mit dem Titel „Recht und Ordnung“ publizierte, bekommt Jahrzehnte später von einem ihrer damaligen Erzfeinde nachträglich Applaus. So ändern sich die Zeiten. Wer hätte das gedacht? Früher war Broder gegen Nazis und Deutschland, aber sicher. Wenn das Pegida wüsste.

Der NPD-Landesverband Bayern warb auf seiner Homepage im Internet am 14.09.2010 in seiner Rubrik „Zitat der Woche“ mit einem alten Spruch von Franz-Josef Strauß (1915–1988), dem langjährigen Vorsitzenden der CSU (1961–1988) und bayerischen Ministerpräsidenten (1978–1988), der 1969 sagte: „‚Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen‘“. Da toben AfD und Pegida vor Freude! Ein echter Schenkelklopfer, der alte Strauß, Gott hab ihn selig.

Broder hatte Strauß schon vor Jahrzehnten auch wegen eines weiteren Zitats kritisiert, das bezeichnenderweise in einer ägyptischen Zeitung publiziert worden war, wie Broder und René Böll in einem am 16. Dezember 1978 von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Leserbrief schrieben: „‚Wir wollen von niemand mehr … an unsere Vergangenheit erinnert werden.‘ Verglichen mit dem Auschwitz-Zitat von 1969 ist dies eine ganz frische Äußerung. Sie stammt aus einem Interview, das Strauß dem Korrespondenten der Kairoer Zeitung Al Ahram, Hassan Suliak, im Oktober 1977 gegeben hat“.[i]

Und noch ein Zitat dieses „antideutschen Volksverräters“, der heute der Neuen Rechten Nahrung gibt, aber früher so schrieb:

„In einer Erklärung zum 40. Jahrestag der ‚Reichskristallnacht‘ sagte Walter Scheel[ii] über Funk und Fernsehen unter anderem auch den folgenden Satz: ‚Das deutsche Volk wurde zum Instrument nationalsozialistischer Gewalt erniedrigt.‘ Zum gleichen Anlaß erschien in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung eine Reihe von Gedenkartikeln. In einem dieser Artikel hieß es: ‚Die Masse des deutschen Volkes verabscheute die Ausschreitungen der Parteiorgane … Der Haß gegen das Judentum wurde von den nationalsozialistischen Diktatoren entfesselt und geschürt. Die Deutschen sahen keinen Anlaß, ihren jüdischen Mitbürgern, die deutsch fühlten und dachten und denen sie viel verdankten, Feindseligkeiten entgegenzubringen.‘ Die beiden Parteien sind sich also einig. Die Nazis fielen über Deutschland her wie eine Rockertruppe über ein friedliches Dorf, ‚erniedrigten‘ das deutsche Volk, das ein willenloses ‚Instrument‘ war und alles mit sich machen ließ; aber immerhin, das Volk ‚verabscheute‘, was die ‚Parteiorgane‘ anstellten, die ‚Ausschreitungen‘ wurden nicht von Menschen begangen, sie fanden auch fern vom deutschen Volk statt. Den Judenhaß hat es vor der NS-Zeit nicht gegeben, er wurde erst von den Diktatoren ‚entfesselt und geschürt‘, auch damit hatten die Deutschen nichts zu tun, denn erstens ‚verdankten‘ sie den Juden viel, und zweitens dachten und fühlten die Juden genauso deutsch wie die eigentlichen Deutschen. Dieses Gewebe aus Schwachsinn und Lüge ist die Grundlage der deutsch-jüdischen Nachkriegsmesalliance.“[iii]

Wären obige Zitate zum Beispiel von Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung (AAS), würde es einen weiteren Shitstorm gegen eine „antideutsche Volksverräterin“ geben. Seit Monaten läuft eine Medienkampagne gegen die AAS und Kahane, federführend von Achgut und Broder ausgehend.

Die obigen Zitate sind nun aber nicht von Kahane, sondern von Henryk M. Broder, der sich selbst und seine frühere Kritik an Deutschland verleugnet. Heute paktiert er ganz offen mit dem Mob. Die Neue Rechte ist im wirklichen oder eingebildeten Salon (N24, Welt, Achgut etc.) angekommen. N24 ist neben der Jungen Freiheit, dem russischen Propagandasender RT Deutsch oder Focus Online eines der beliebtesten Medienportale für die Facebook-Gruppe Pegida Nürnberg, wie eine Recherche des Bayerischen Rundfunks ergeben hat. Das mag pars pro toto für die postfaktische, von antisemitisch konnotierten Verschwörungsmythen und rassistischer Agitation gespeiste, nationalistische Neue Rechte in diesem Land stehen.

Broder sieht offenbar seit Langem die Zeit gekommen, wieder NSDAP-Plakate in Kauf zu nehmen, wenn es doch gegen Gendermainstreaming, Flüchtlinge, Linke, ‚den‘ Islam (und nicht etwa den islamistischen Faschismus), selbstbestimmte Frauen und für Nationalismus, Vaterland, Kinder, Küche, Kirche, Dackel und antisemitische Verschwörungsmythen, postfaktische Agitation und Rassismus geht. Schon 2007 wurde er für sein Liebäugeln mit der Neuen Rechten (wie mit Eva Herman) kritisiert.

Broder möchte den grünen, islamistischen Faschismus mit dem braunen bekämpfen, dabei wird er von beiden Faschismen ins Visier genommen werden. Eine antifaschistische Haltung sollte sich gegen den Jihad richten, gegen den Iran, islamistischen Antisemitismus und dessen linken Freund*innen und BDS, die säkular, ‚post-orientalistisch‘ oder kosmopolitisch-universalistisch gegen den Judenstaat agitieren – und ebenso gegen braune Nazis, AfD, Pegida und „besorgte Bürger“ aktiv werden.

Spätestens wenn der Pegida-Volkszorn wieder das Thema (nicht nur der Zeitung für Deutschland, FAZ) Beschneidung entdeckt, wird der Antisemitismus seine alte brutale Kraft entwickeln, auch verwirrte pro-israelische aber antijüdische Leute werden mit dabei sein, wir haben das ja schon 2012 erlebt.

Nun gibt es eine Medienkampagne des neuen Politaktivisten und PR-Strategen Gerald Hensel. Er möchte, dass die rechtsextreme Agitationsplattform Breitbart, die Trump mit zum Wahlsieg verholfen hat und die ein Medium der neonazistischen Alt-Right-Bewegung in USA ist, in Deutschland massiv Gegenwind bekommt, sollte sie hier an den Start gehen. Unter dem Hashtag #KeinGeldfuerRechts geht es gegen die Neue Rechte. Hensel hat eine Blacklist erarbeitet mit neu-rechten Seiten, an Hand derer Firmen sich zweimal überlegen könnten, dort Werbung schalten zu wollen. Das Vorbild sind die USA. Dort hat allen voran der Cornflakesriese Kellogg sich bereits gegen Breitbart positioniert.

Im Internet läuft Online-Werbung heutzutage in Echtzeit („Real-Time Advertising“), sprich: Computer berechnen nach bestimmten Parametern, auf welcher Seite welche Werbung am besten ankommt und dann werden Werbeplätze „versteigert“, vollautomatisch. Doch natürlich werden nicht alle Seiten für Werbung genutzt, Blacklists gibt’s schon lange. Jetzt auch Blacklists gegen die Neue Rechte wie Breitbart et al., die die wahren bürgerlichen Bürger Bürger sein lässt. Motto: keine antidemokratische und völkische Hetze, nicht schon wieder.

Never is Now, wie die Anti Defamation League (ADL) in USA unter ihrem neuen Präsidenten Jonathan Greenblatt vor wenigen Wochen in New York City sagte. Die ADL ist die einzige große jüdische Organisation, die sich eindeutig gegen den Antisemitismus und Rassismus von Trump und Breitbart stellt.

Das wirklich Bemerkenswerte oder Paradoxe an der Aktion von Gerald Hensel ist: diese Aktion ist immanent, sie ist kapitalistisch und spielt zudem gerade mit dem anonymen System der heutigen Onlinewerbung, die super schnell agiert, aber auch nicht auf dem direkten Kontakt von Werbekunden und Werbeseite basiert.

Es gibt eine Ironie an der Sache: Man erkennt bei den Werbekampagnen der Firma Scholz & Friends, für die Hensel arbeit, wenn er nicht als Politikaktivist gegen die Neue Rechte aktiv ist, vielmehr einen sehr pro-deutschen Drive, vor allem Stolz auf das deutsche „Handwerk“ („Ich braue kein Bier. Ich verteidige den Ruf Deutschlands“) und auf Mercedes-Benz und viele andere allzu deutsche Marken ist dort angesagt. Das ist Affirmation pur und müsste der stolzdeutschen Achse des Guten eigentlich gefallen.

Das nationale Apriori des unerträglichen, fanatischen, schwarzrotgoldenen Sommers 2006 wird gerade durch solche Werbekampagnen mit evoziert – und ein solcher PR-Fritze ist jetzt gegen den von anderen PR-Fritzen und Normaldeutschen aus der Flasche gelassenen nationalistischen Ungeist. Ohne 2006 keinen Matussek, keinen Sarrazin, kein Pegida und keine AfD.

Aber angesichts eines Neonationalsozialismus, Rechtsextremismus und der Neuen Rechten, von Brexit, Orban und vor allem Trump, dessen Bruder-im-Geiste Putin und den Trumpianern hierzulande kann offenbar auch eine solche Werbefirma ein bürgerlicher Schutzschild vor der extremen Rechten sein. Das zeigt sich an den Aktivitäten Hensels (angenommen dessen politische Einstellung deckt sich an diesem Punkt mit jener von Scholz & Friends), der gleichwohl als Privatperson und nicht im Namen dieser Werbefirma aktiv ist.

Angesichts der vielen Firmen, die auch auf Achgut oder Breitbart etc. Werbung geschalten haben, indirekt via Real-Time Advertising: Ob diesmal tatsächlich das kleine, mittelgroße und große Kapital gegen die Nazis und Neuen Rechten sich einsetzt? Trump  ganz sicher nicht, und ExxonMobil auch nicht.

Doch andere Firmen? So wie Kellogg? In Germany wäre das wirklich mal was Neues. Bürger für die Demokratie und nicht für das dumpfe Danebenstehen, Mitlaufen und Klatschen. Das wäre wirklich neu in diesem Land, jenseits von Lichterkette und Wohlfühlgottesdiensten da anpacken, wo es wehtun kann, vorne reingehen, in den Strafraum, den Sechzehner. Attackieren. Einen Shitstorm riskieren und sich nicht abwenden ins innere, konsumistische oder mallorquinische Exil.

Viele meinen, es sei schon eine Rettung des ach-so-tollen Abendlandes („deutsch-jüdische Symbiose, Auschwitz, Theresienstadt, Majdanek“), das „Wacken der Bürofachangestellten“ (Weihnachtsmärkte) vor der Scharia zu retten und sehen gar nicht, dass einem Isolationisten wie Trump der Jihad in Europa oder der muslimischen Welt völlig egal ist. Schließlich behandeln Islamisten und die Scharia Frauen auf ihre Weise auch nicht schlechter als Trump („grap her by the pussy“).

Oberschlaule sehen in Trump möglicherweise Hegel’s „List der Vernunft“, was der Politologe Lars Rensmann luzide zerpflückt und resümiert: „Die Verharmlosung eines autoritären Bullies zeugt von einer konformistischen Sehnsucht, der starke Mann werde es schon richten.“

Es gibt viele Ähnlichkeiten von Islamisten und Trump(isten), wie der Islamforscher Shadi Hamid analysiert, namentlich das Sich-zum-Opfer-Stilisieren des armen Trump-, Brexit- oder Pegida-Volkes. Täter seien die böse „Elite“, das „Establishment“ oder „die da oben“, in Berlin, D.C. oder Brüssel. Wir kennen das, jeder „besorgte“ Nazi meint, ihm oder ihr sei es nicht erlaubt, seine oder ihre reaktionäre Ideologie kundzutun, weshalb gleich mehrfach pro Woche AfDler oder Pegidisten und ihre Wortführer*innen in den TV-Talkshows sitzen. Sarrazins Agitationsband „Deutschland schafft sich ab“ wurde so massiv unterdrückt und der Autor so sehr isoliert, dass er zum Millionenbestseller wurde.

Die bürgerliche Kritik der antibürgerlichen Reaktion, die bürgerliche Kritik so antibürgerlicher Medien wie Achgut ist was Neues. Der Publizist Michael Miersch machte den Anfang, als der Mitbegründer von Achgut das immer unerträglicher werdende Autorenblog im Januar 2015 endlich verließ.

Diese Kritik wie von Miersch oder heutzutage von Hensel wäre keine Revolution, sondern Konservieren des Bestehenden. Es geht wieder darum eine braune Revolution zu verhindern, das Undenkbare ist denkbar geworden. Also wäre das Konservieren in diesen Zeiten schon ungeheuerlich viel, wenn die Chancen für eine Emanzipation geringer als schwindend sind. Wer heute von der sozialen Frage redet, meint die nationale, also die AfD im Original oder in Kopie (Linkspartei).

In USA wurde die Reaktion und Konterrevolution à la Trump gewählt. Das darf sich in Europa nicht wiederholen. Ein Brexit war schon zuviel. Die Niederlage des FPÖlers Hofer ist wunderbar, aber die Tatsache, dass fast 50% der Wähler*innern in Österreich einen extrem rechten, völkischen Hetzer gewählt haben, bedeutet die absolute Katastrophe für die politische Kultur. Aber die Macht haben die Völkischen in Österreich diesmal eben nicht bekommen. Und in Deutschland geht es darum, alles zu tun, damit die AfD nicht in den Bundestag kommt bzw. mit einem niedrigen Ergebnis. Wer von „völkisch“ redet, von „Schießbefehlen“ an der Grenze und Politiker in seinen Reihen hat, die wie Goebbels das Volk aufwiegeln, ist jenseits des demokratischen Spektrums.

Die heutige zutiefst bürgerliche und deshalb so Erfolg versprechende Medienkampagne von Hensel ist also interessant. Er hat Achgut gar nicht mal auf eine solche Liste bzw. Blacklist für Werbeabteilungen von Unternehmen gesetzt, aber deutlich gemacht, dass Broder und Achgut Multiplikatoren im neu-rechten Diskurs sind. Offenbar hat das nicht wenige Firmen, deren Werbung auch auf Achgut erschien, massiv irritiert, so dass der Mitbetreiber von Achgut, Dirk Maxeiner, einen massiven Kontrollverslust erleidet und das „deutsche Bürgertum“ in Gefahr sieht. Achgut hat Werbekunden verloren und das ist auch gut so. Auch die ähnlich weit rechts wie Achgut stehende Seite „Tichys Einblick“ hat einen Verlust ihrer Werbeeinnahmen zu beklagen.

Dabei ist Achgut gerade Ausdruck und Sprachrohr der antibürgerlichen Internationale und kein bürgerliches Medium, wie Maxeiner fantasiert. Der vulgärste Führer der antibürgerlichen und antiwestlichen Internationale ist Trump. Wer Trump verehrt und schätzt ist zutiefst antibürgerlich und verlässt jeden zivilisatorischen und demokratischen Grundkonsens. Hierzulande wird dieses antidemokratische Spektrum von Frauke Petry, Alexander Gauland oder Björn Höcke und der AfD sowie Pegida, Tichy, oder der Jungen Freiheit repräsentiert. Oder vom Compact Magazin des Ex-Linken Jürgen Elsässer, der bis vor kurzem noch strammer Antiamerikaner war (wie nicht nur Compact-Poster auf der AfD-Demo in Berlin am 7.11.2015 zeigten), aber wenn die Alt-Right im Weißen Haus mit Steve Bannon Einzug erhält, traut der völkisch-deutsche Agitator kaum mehr seinen Augen. Mit Amerika gegen den Westen.

Schon Anfang der 1990er Jahre erkannte der Publizist Eike Geisel Ressentiments gegen Holocausterinnerung wie gegen Amerika. Broder hatte einen Artikel im Spiegel geschrieben (16/93) und Geisel wollte gar nicht wahrhaben, dass dieser deutschnationale Text von seinem alten Freund Broder stammte. Geisel nahm sich also den Spiegel-Autor Broder und dessen deutsche Volksgenossen vor und schrieb in Konkret, Heft 6/1993 (S. 38):

„Für Otto Normalvergaser ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen. (…) Anläßlich der Eröffnung zweier Museen (im Februar 1993 das ‚Museum of Tolerance – Beit Hashoah‘ in Los Angeles und Mitte April das ‚Holocaust Memorial Museum‘ in Washington), die ohne deutsche Vorarbeiten nie entstanden wären, zeigte sich das bekannte Dilemma. Man grollte den Amerikanern und der amerikanischen Judenheit. Die Museen seien antideutsch, das ‚andere Deutschland‘ werde ignoriert; die Nachkriegszeit werde ausgeblendet, die Wiedergutmachung verschwiegen. Doch statt erleichtert darüber zu sein, daß die Museen nicht zeigen, wie das ‚andere Deutschland‘ über die Juden dachte, nämlich gar nicht so sehr viel anders; statt froh zu sein, daß die Museen keine Wendehalsgalerien der Nachkriegszeit enthalten; statt von Herzen dankbar zu sein, daß es dort keine Abteilung mit dem Thema ‚Wiedergutmachung‘ gibt, wo die Pensionszahlungen an alte Nazis mit den Entschädigungen der KZ-Häftlinge verglichen werden; statt also rundum zufrieden zu sein, ignorierte das bessere Deutschland in Gestalt seines Bundespräsidenten die Einweihungsfeierlichkeiten. Zu Recht, schrieb der Spiegel, der meinte, deutsche Politiker hätten dabei mit einem ‚Spießrutenlauf‘ rechnen und sich innerlich ‚ducken‘ müssen.“

Broder wiederum macht sich heute vollends zum koscheren Wortführer der Neuen Rechten, er bedient mit Achgut und seinem eigenen Auftreten den „Code der Neuen Rechten“ und die AfD wird zudem von Anne Will, Sandra Maischberger oder Frank Plasberg vermutlich weit in den Bundestag katapultiert werden im September 2017. Die Achgut-Autorin Vera Lengsfeld kann im Fernsehen bei Sandra Maischberger ungestraft Unwahrheiten behaupten, wie der Medienkritiker und Rechtsextremismusexperte Patrick Gensing kritisierte; Spiegel Online und Stefan Niggemeier analysierten auch andere Mythen und Lügen der Achgut-Autorin wie jene über eine Unterstützung Hillary Clintons im US-Wahlkampf durch die „Clinton Foundation“ oder deutsche Ministerien. Dabei ist alleine schon die Übernahme des Naziwortes „Lügenpresse“ von Maischbergers Team in jener Sendung ein medienpolitischer Skandal. Das Wort ist so angesagt, dass selbst in Washington D.C. die Nazis um Richard Spencer vom National Policy Institute das Wort auf Deutsch verwenden und mit dem Hitlergruß feiern.

Hensel fordert nun Agenturen und Werbefirmen auf, nicht mehr „unpolitisch“ zu sein. Wir leben in sehr krassen Zeiten und wegschauen ist der exakt falsche Weg.

Der Redaktionsleiter Online Frank Zimmer von „Werben und Verkaufen“ (W & V), einem offenbar völlig angepassten bürgerlichen Portal, das aber eben ein Problem mit Agitation und Diffamierung hat (und keineswegs mit spezifisch politischen, rechten Inhalten, by the way!), stellt sich hinter seinen Autor Gerald Hensel. Zimmer schreibt: „Achse des Guten: Wie sich ein Blog zu Tode empört“ und resümiert:

„Und selbst ein geschätzter Kollege, der für die Achse schreibt [Ben Krischke, CH], muss dort persönlich werden:

‚Ich glaube – reine Spekulation! –, dass es ihm (Gerald Hensel, d. Red.) eigentlich darum geht, sich ein wenig zu profilieren und so ein bisschen Aufmerksamkeit zu bekommen, die er anderswo ganz doll vermisst. Der Arme‘.

Ich glaube – reine Spekulation! –, dass dieser Sound Werbungtreibende abschreckt. Und nicht die inhaltliche Ausrichtung. Broders gepflegte Aggressivität wirkte in den 90er Jahren noch originell und erfrischend. Heute, im Zeitalter der vernetzten Hysterie, empört er sich und seine Seite zu Tode.“

Broders Kontrollverlust ob der offenbar ausbleibenden Werbekunden ist mit Freud zu analysieren: Nicht seine prospektiven Opfer (die ja auch im Visier der Nazis der Identitären Bewegung sind) werden bald „fertig“ sein, sondern er selbst ist fertig, mit sich und Achgut. In seiner Suada gegen Hensel und die (damit offenbar überhaupt gar nicht in Verbindung stehende) Amadeu Antonio Stiftung heißt es:

„Es sind drei Beispiele, ein Beitrag von Thilo Sarrazin, einer von Gunnar Heinsohn und einer von Vera Lengsfeld. Mehr hat Simone Rafael nicht gefunden. Nicht einmal was Rassistisch-Völkisches von mir. Dafür gibt sie unserer Autorin den Rat, ‚Ihre Zeit in sinnvollere Aktivitäten zu investieren‘, statt Fragen an die Kahane-Truppe zu stellen.

Was mich angeht, kann ich ihr, ihrer ungustiösen Chefin und auch dem genialen Strategen von Scholz & Friends nur einen Rat geben. Seht Euch vor, ihr seid an den Falschen geraten. Euch mache ich, wenn es sein muss, am frühen Morgen fertig, noch bevor ich meinen Hund Gassi geführt habe.“

Wer weiß, wie kritisch Broder früher einmal denken konnte, versteht die idiosynkratischen Abwehrreaktionen auf jedwede Kritik an Deutschland, die dieser wildgewordene stolzdeutsche Kleinbürger seit Jahren schamlos öffentlich zeigt. Es ist auch die Abwehr gegen das Über-Ich, gegen den Broder der 1970er und 1980er Jahre. Broder erträgt es nicht, einmal Broder gewesen zu sein, „Ich liebe Karstadt“[iv].

 

Der Verfasser, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, Chefredakteur des Journal of Contemporary Antisemitism (JCA, Academic Studies Press, Boston, USA), Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Verleger (Edition Critic), Publizist und hat 2006 über die „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ an der Universität Innsbruck promoviert.

 

 

[i] Henryk M. Broder (1978): Deutschland erwache. Die neuen Nazis. Aktionen und Provokationen. Mit Beiträgen von Ossip K. Flechtheim, Heiner Lichtenstein, Warner J. Poelchau, Klaus Thüsing. 3. Auflage, Köln: Lamuv Verlag, ohne Paginierung.

[ii] Altbundespräsident (1974–1979) und Ex-Bundesaußenminister (1969–1974) Walter Scheel (Jg. 1919) war Mitglied der NSDAP und später der FDP wie der langjährige Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (Jg. 1927), „FDP soll Nazi-Aufklärung behindert haben“, Spiegel Online, 29.10.2010, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,725900,00.html; – deutsche Karrieren.

[iii] Henryk M. Broder (1980)/1982: Zur Demokratie angetreten – ein Volk macht Dienst nach Vorschrift, in: Lea Fleischmann (1982): Dies ist nicht mein Land. Eine Jüdin verläßt die Bundesrepublik. Mit einem Nachwort von Henryk M. Broder, 4. Auflage, Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag, 251–272, 255f.

[iv] Henryk M. Broder (1987): Ich liebe Karstadt und andere Lobreden, Augsburg: Ölbaum-Verlag.

©ClemensHeni

Kampf der „Deutschomanie“

Zuerst erschienen auf Heise.de/Telepolis, am 8.10.2016, hier ein Auszug:

 

Die deutsche Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hat ein enorm wichtiges, kritisches und mutiges Buch geschrieben – Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Berlin: Rowohlt, Oktober 2016 –, aufgrund dessen sie jetzt Morddrohungen von ganz normalen „besorgten Bürgern“, ergo: rassistischen Deutschen bekommt. Sie hat deshalb vorübergehend ihren Schuldienst als Islamlehrerin bis nächsten Sommer ausgesetzt.

Kaddor sagt: „Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Lasst uns endlich öffentlich darüber reden.“ (S. 23) Kaddor wurde in Westfalen geboren. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten aus Syrien eingewandert. Sie ist eine junge, weibliche, muslimische Deutsche und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

(…)

Lamya Kaddor hat die großen Linien der politischen Kultur und des Rassismus in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren im Blick. Sie kritisiert die Verharmlosung der AfD-Wähler, die in der Tat häufig von „gruppenbezogener Mensschenfeindlichkeit“ (egal ob man diesen Begriff nun für sinnvoll hält oder eher nicht) geprägt seien. Ja, viel mehr noch, wie Hermann L. Gremliza schreibt („Wir sind ein völkisch Volk“):

„Keiner – bis auf ein paar Freaks und mich, Leute, die allen stolzen Deutschen als bösartig oder verrückt gelten – nennt die AfD, ihre Wähler oder die Pegida, was klingt wie Napola, Nazis.“ (Konkret 10/16, S. 9)

(…)

Kaddor zitiert zwei Textpassagen heran, die beide den Publizisten Henryk M. Broder aufgrund dessen ‚Islamkritik‘ positiv rezipieren und promoten. Beide Zitate sind ganz ähnlich positiv. Das eine jedoch kommt von der (angeblich) antideutschen Postille „Bahamas“, das andere von der NPD Chemnitz. (S. 102) Das ist die neue „Querfront“

Auch wenn Kaddor das nicht zu ahnen vermag: selbst antideutsche Kritiker*innen werden an ihrer Seite stehen gegen die AfD, Broder, Tichy, Pegida und all die neu-rechten, rechtsextremen („rechtspopulistischen“ und von „besorgten Bürgern“ betriebenen) und neonazistischen Netzwerke, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie von weitem die Antifa sehen oder die politische Elite des Landes, die sich jeweils ja gar nicht mögen. Aber der Feind steht rechts und das hat auch ein Norbert Lammert erkannt, auch wenn sein Tonfall immer noch ruhig ist, der Lage nicht unbedingt angemessen.

Wie schreibt Gremliza in seinem Suhrkamp-Band:

„Die Lage des Kritikers korrespondiert mit der Lage der Menschheit vorzüglich. Beide sind hoffnungslos.“ (S. 7)

 

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

 

Der Autor, Clemens Heni (Jg. 1970), hat neben einer Grundausbildung im „Antifaschismus-Komitee Tübingen/Reutlingen“ von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre universitäre Abschlüsse in Empirischer Kulturwissenschaft (B.A.) und Politikwissenschaft (B.A., Diplom) erlangt, 2006 in Innsbruck mit einer Arbeit über die Kritik an der „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ promoviert (Dr. phil, bei Prof. Anton Pelinka), war sodann Post-Doc an der Yale University in USA und gründete 2011 das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) wie auch den Verlag Edition Critic. Er ist Autor von fünf Büchern und vielen Artikeln in Deutsch und Englisch zu Rechtsextremismus, Neuer Rechter, Antisemitismus, politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Holocaust, Kritischer Theorie, Israel und Islamismus.

 

 

Why Jihad and neo-Nazis embrace Brexit and „Bullshit 9.0“

The Times of Israel, June 30, 2016

Honestly, I was shocked about the pro-Brexit decision in Britain. Shocked, no less than that. Then, I became even more speechless when I learned how many of my Facebook friends and others in the UK, Germany, the US and elsewhere joined the nationalistic and racist wave of Brexit. How can educated or at least partly educated people vote for – or support from outside the country – the most stupid, ridiculous and outrageous lies ever heard in a UK political campaign in recent decades?

As Spiegel Online columnist Sascha Lobo points out, following Washington Post columnist Anne Applebaum’s term “post-fact-world,” we are living in the “Bullshit 9.0” time. Truth and reality do not matter anymore. Tablet’s James Kirchick puts it like this – “post-truth politics”:

“Whether or not he can beat Hillary Clinton, Trump and Brexiteers have struck similar populist chords – namely, unease with globalization, immigration and elites. There’s also a deeper, and deeply worrying, phenomenon connecting the two: an utter disregard for facts. Call it “post-truth politics.”

The Brexit campaign lied about many facts. But the people on the pro-Brexit side, the “leave”-side, didn’t care at all. The silence after the vote from the protagonists, mainly Boris Johnson, speaks for itself. He knows that he is a liar and among the worst propagandists in recent British history.

And now some of the anti-Islamist activists pretend to be smart and think Brexit will help Britain against Islamism. Well: Britain is not part of the EU-Schengen treaty, which people allows to move freely inside that area in continental Europe. But Britain did not sign that treaty. Let’s have a look at the number of asylum seekers in the EU as of the first quarter of 2016 (these numbers a way lower compared to 2015, by the way). Among one million residents in the following countries there are these numbers of asylum seekers:

  • Germany: 2155
  • Austria: 1619
  • Malta: 904
  • EU: 565
  • Slovenia: 236
  • Great Britain: 155
  • Spain: 62
  • Lithuania: 13

Germany has almost 14 times more asylum seekers compared to Great Britain in that time frame. This was before Brexit. Brexit voters thought they will close the doors for asylum seekers from Syria, so that anti-ISIS people, victims of jihad, may not enter the UK. These extremely low numbers even before Brexit show: this was a lie, it was not at all about Muslims coming to the UK. Now, we have a huge increase in racist attacks in England and Britain, often directed against Polish people or citizens from Slovakia, who work in the UK.

Middle East Forum’s Tarek Fatah ignores all these facts. In the Toronto Sun he published an article about anti-Islamism being behind the Brexit vote – he couldn’t be more wrong than that. As shown, Britain already had a very low number of incoming asylum seekers before Brexit. Fatah ignores facts and seems to be embracing the “post-truth-world” so many fanatics are living in these days, mainly Brexit voters in our case.

Tablet’s Liel Leibovitz gets it equally wrong and blames the Israeli left – Zionists, to be sure – for Brexit and the ignorance of the will of the people. As if  racism, nationalism and post-truth politics get more accurate when the majority of voters like it! The people is dangerous, quite often. Therefore we have parliamentary democracies in most parts of the Western world and many other parts of the world.

But there is much more behind it. Stupidity, propaganda and internet-based misinformation is one thing. And it is horrible and very dangerous. But nationalist ideology comes in addition. The rise of the New Right in Europe is a case in point. While a nation-state is essential in an extreme hostile area like the Middle East and Jews are facing persecution and antisemitism worldwide, to different degrees, Zionism is a crucial point for a nation-state. This was also the case for Herzl in 1896.

But nation-states in Europe and nationalism were the main reason for violence and war in Europe. Europe faced the most horrible wars in the twentieth century. The unprecedented crime of the Holocaust was done by the Germans (and their allies). Therefore, a supranational body is important, cosmopolitanism can at least reduce German nationalism and other forms of bigotry.

Until the horrible wars in Yugoslavia in the 1990s, Europe was a peaceful continent, based on cooperation, more or less (even during the Cold War, which was harmless compared to our jihad driven world). Cosmopolitanism is fine and important for Europe – a nation-state is essential for Jews and Israel. Applying the nation-state concept for the entire world is misleading and very dangerous, too. Learn about European history (which is a hard thing for many on the political Right who tend to ignore reality) and you understand what I mean.

No surprise, then, that German neo-Nazis and the Far Right hail Brexit. After a rally last Monday in the infamous city of Dresden, where the weekly “Pegida” rallies take part ever since fall 2014, a neo-Nazi showed up with his T-shirts displaying acronyms of “swastika” (in German). Others at the rally had posters with “Thank you Brexit” and nationalistic speakers applauded Brexit, too.

Jihadist embrace Brexit as well, as this indicates the decline of Europe. Brexit stands for a divided Western world and three major powers want to fill the gap: Russia and Putinists, Iran and jihadists, and the New Right, Far Right, right-wing populist and neo-Nazis all over Europe.

A few weeks ago, Austria faced a right-wing extremist candidate for Presidency from the extreme right-wing FPÖ. They lost the election, but the country is divided into extreme right-wing and liberal mainstream.

The German Alternative for Germany (AfD) party has a member of Parliament in the state of Baden-Württemberg, Wolfgang Gedeon, who follows the antisemitic Protocols of the Elders of Zion, the worst conspiracy theory ever. This kind of neo-Nazi propaganda is ignored by many of my friends and allies in the UK, the US and elsewhere. They believe anybody who is not on the left is fine or at least a possible partner to talk to. That is a huge mistake. A huge mistake.

Most people in the AfD are enthusiastic about Brexit and wants Germany to leavie the EU, too.

Promoting Brexit, nationalism, racism and separatism will just help jihad to destroy Europe and/or neo-Nazis and the Far Right to take power. Obviously, the Far Right has no problem with Islamist antisemitism, they have the same enemy: Israel and the Jews, and America. On rallies of the AfD anti-American posters have been displayed.

The “Islamic State” or ISIS praises Brexit:

Isis has welcomed Britain’s vote to leave the European Union in its Arabic language propaganda newspaper, hailing a “political crisis” and the prospect of referendums in other nations.

The article in al-Naba claimed the Brexit “threatens the unity of Crusader Europe”, according to a translation by Shiraz Maher, the deputy director of the International Centre for the Study of Radicalisation.

“It’s clear they want a weakened Europe and they see this as helping,” he wrote on Twitter.”

I make the following prediction: Europe will become either a more or less brown fascist continent (and island, taken the UK) in a few years, 5, 10, or 15 years, or it will become, slowly, a green, Islamofascist continent and region.

These are the choices as long as the democratic, sleeping mainstream in Europe does not awake. Brexit indicates a very fast turn to brown fascism. Islamist motivated attacks in Paris, Brussel, Toulouse, Copenhagen, but also Turkey and other countries, show the jihadist future for Europe, whether murderous or legally Islamist, Sharia-based and non-violent (as if Sharia is not violent).

It is not about antisemitic members of Parliament in the EU who applause antisemitic speeches by Abbas. It is not about strange rules about bananas or cucumber by Brussels. It is about the ideal of a supranational body, destroying toxic European nationalism or at least making it less dangerous. Destroying the EU from inside will be a win-win-situation for jihad – they will have even more options to kill Europeans as long as Europe is struggling with itself instead of looking for anti-Islamist policies!

Brexit-followers take aim at (mainly Christian, to be sure) Polish people. This indicates the pure racism of many citizens in the UK, Great Britain and England, plain and simple.

To praise the Far Right and Brexit as many in the anti-Islamist camp now do, is a historical mistake. It will destroy serious scholarship on Islamism as no one will take scholarship and activism against Islamism seriously, as long as the very same people embrace brown fascism, racism, nationalism or German-style Nazism, Pegida, the Alternative for Germany and their predilection for the Protocols of the Elders or Zion or Brexit.

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer

Für Karl-Hans

 

Wenn selbst „Linke“, die früher einmal das Spezifische an den deutschen Verbrechen zu erkennen in der Lage waren und dafür vom Mainstream wie dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin Ende der 1990er Jahre gedisst wurden, heute nun voll auf „Kurs“ sind und die Shoah im Orkus der Geschichte „totalitärer Regime“ in rot und braun untergehen lassen, indiziert das die gegenwärtige politische Kultur der geschwätzigen, permanent das Wort „Holocaust“ im Munde führenden Erinnerungsverweigerung an die von Deutschen begangenen präzedenzlosen Verbrechen im Nationalsozialismus.

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Der Soziologe Helmut Dahmer, der bei Adorno und Horkheimer in Frankfurt studierte und der u.a. durch eine Lektüre von Freud und Marx in den 1970er Jahren ein typischer Vertreter der Neuen Linken war, schrieb noch 1998:

»Nicht die in Tätern, Mittätern und Sympathisanten wirksame antisemitische Disposition ermöglichte die ›Implementierung des Holocaust‹, sondern das, was Goldhagen sich weigert, ›erkennen zu wollen‹: die ›Mischung von ideologischem Fanatismus, psychopathologischer Verirrung, moralischer Indifferenz und bürokratischem Perfektionismus, eben (die) ›Banalität des Bösen‹. Diese wissenschaftliche Erklärung der ›Ursachen für den Holocaust‹, offenbar so etwas wie die Summe des derzeitigen Wissens deutscher Universitäts-Historiker, bietet den außerordentlichen Vorteil, keine zu sein. Sie ›gilt‹ für die ›Endlösung‹ wie für den Pyramidenbau, für den Albigenser-Kreuzzug wie für den Stalinschen gegen die ›Kulaken‹. Sie ist banal, weil historisch unspezifisch. Der (deutsche) Antisemitismus kommt in ihr – unter diesem Namen – gar nicht vor«.[i]

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Diese Kritik an deutschen „Universitäts-Historikern“ war treffend und sie ist es noch heute. Allerdings hatte Dahmer schon damals kein Problem damit auch extrem rechte Publizisten zu zitieren wie Robert Conquest, einem Ukraine-„Experten“, der im ebenso rechten Verlag Langen-Müller 1986 das Buch „Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929–1933“[ii] publiziert hatte. Das hatte Dahmer nicht kritisiert, wo doch die Trivialisierung der Shoah in diesem Buch, das mit einer Gleichsetzung von Buchenwald und der Situation in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre einsetzt und es offenkundig das strategische Ziel des Verlages war, die deutsche „nationale Identität“ einzufordern, wie bereit 1978 ein im selben Verlag erschienenes Buch des Vordenkers der Neuen Rechten, Henning Eichberg, hieß, offenkundig ist.[iii] Dahmer hat mittlerweile vollends seinen Frieden mit der Umschreibung der Geschichte und der Universalisierung des Holocaust gemacht, wie es scheint, denn im August 2014 schreibt er Folgendes:

 

„Die heutige Ukraine hat mehr als andere Gesellschaften an der unbewältigten Erbschaft des barbarischen 20. Jahrhunderts zu tragen. Mit den baltischen Staaten, Polen und Weißrussland gehörte sie zu den – von Timothy Snyder so genannten – ‚bloodlands‘ oder ‚killing fields‘, in denen die beiden großen Menschenfresser-Regime des vorigen Jahrhunderts, das deutsche und das russische, die diese Länder untereinander aufteilten und abwechselnd besetzt hielten, ihre entsetzlichen Untaten verrichteten, die etwa 14 Millionen zivile Opfer forderten.“

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Aus Hitlers willigen Vollstreckern und dem Nationalsozialismus wird also eines von mehreren „Menschenfresser-Regimen“. Kein Wort von der Spezifik der Shoah. Dieser affirmative Bezug auf Timothy Snyder und dessen weltweiten Bestseller „Bloodlands“ ist Symptom des Niedergangs kritischer Analyse und des Mainstreaming von Holocaustverharmlosung. Warum? Snyder behauptet, es hätte ein (fiktives) Territorium gegeben, das er „Bloodlands“ nennt, zwischen dem Baltikum im Norden, der Ukraine im Süden, Ostpolen im Westen und Westrussland im Osten gelegen, in dem zwischen 1932 (!) und 1945 14 Millionen ermordet worden seien. Der Holocaust und die Ermordung von sechs Millionen Juden ist nur ein Teil dieser monströsen Zahl.

 

Die Forschung hat Snyders These scharf kritisiert, namentlich die Historiker Dan Michman von Yad Vashem[iv], Dan Diner[v] oder Jürgen Zarusky[vi] vom Institut für Zeitgeschichte aus München. Das alles kümmert Helmut Dahmer gar nicht, er goutiert dieses obszöne und die Shoah nicht als präzedenzlos darstellende Gerede des Yale Superstars. Man muss sich nicht wundern, dass Historiker wie Michael Wildt oder Jörg Baberowski[vii] kein Problem mit Snyder haben bzw. ihn hofieren, aber bei einem Helmut Dahmer hätte man Kritik erwarten können, ja einen Schock ob der Leugnung des Präzedenzlosen, was Deutsche verbrochen haben. Dieses Goutieren, ja Promoten von „Bloodlands“, diese Bloodlandisierung der Linken und der Gesellschaft insgesamt macht diesen Text von Dahmer von 2014 so symptomatisch für unsere Zeit. Eine adäquate Erinnerung an die Shoah ist nicht mehr angesagt, und selbst ehemalige Kritiker deutscher Gedenkkultur und herkömmlicher, entlastender, den deutschen Antisemitismus diminuierenden historiographischen Ansätze im Zuge Hans Mommsens und einer ganzen Phalanx von Anti-Goldhagen-Historikern der Jahre 1996ff. stimmen heute in den revanchistischen rot=braun-Chor mit ein, und zwar lauthals. Da lacht Joachim Gauck.

 

Im März 2016 gibt es nun ein Porträt des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center im „Jerusalem Report“:

 

„According to Zuroff and his long-term academic colleague and Lithuania-based Yiddish scholar Dovid Katz, history in the Baltics, Ukraine, Hungary and elsewhere in the region is being rewritten to suggest equivalence between the crimes of the Nazis and the communist Soviet Union and to whitewash the role of local Nazi collaborators.“

Zuroff sagt:

„They are determined to undermine the uniqueness of the Shoah. We finally convinced the world that the Shoah was unique. Then along came the Eastern Europeans who say, ‘No, you got it all wrong. It wasn’t unique. The Shoah was terrible, but communism was just as bad.’ It is a very insidious, very sophisticated agenda. If a country has the choice between being a country of victims or a country of killers, it’s a no-brainer. Of course everyone wants to go along with this.“

Seit Jahren analysieren und kritisieren Efraim Zuroff wie auch Dovid Katz die die Shoah trivialisierenden Thesen Timothy Snyders, die Gleichsetzung von rot und braun, die Verharmlosung des Holocaust nicht nur in Osteuropa sondern durch viele Autorinnen und Autoren, AktivistInnen, PolitikerInnen oder WissenschaftlerInnen weltweit, darunter auch den deutschen Bundespräsidenten, den „Super-GAUck“, wie der „Jerusalem Report“ vom März 2016 bezüglich Efraim Zuroff festhält:

„It’s a damning allegation, but one that is rarely heard with the exception of the small minority of voices in Europe who opposed the 2008 Prague Declaration, a document that appears to legitimize many elements of the double genocide theory. It was a declaration whose individual signatories include the now president of Germany, Joachim Gauck, one-time Federal Commissioner for the Stasi archives.“

Helmut Dahmer hingegen schließt sich völlig schamlos und unumwunden Timothy Snyder an und schreibt:

„‘Das Gebiet der heutigen Ukraine war während der ganzen Epoche der Massenmorde sowohl das Zentrum der stalinistischen wie der nationalsozialistischen Mordkampagnen‘ schreibt Timothy Snyder. ‚Etwa 3.5 Millionen Menschen fielen den stalinistischen Mordmaßnahmen zwischen 1933 und 1938 zum Opfer und weitere 3.5 Millionen deutschen Mordmaßnahmen zwischen 1941 und 1944. Noch einmal rund drei Millionen Ukrainer fielen im Kampf oder starben infolge des Krieges.‘“

Damit wird jedwede Spezifik der Shoah und des eliminatorischen Antisemitismus hinweggefegt, Stalin und Hitler sind austauschbar, beide hätten analoge „Mordkampagnen“ durchgeführt. Ob der eine Auschwitz errichtete und betrieb und der andere es befreien ließ, ist völlig egal, das geht in dieser komparatistischen Obsession unter. Allein schon in der obszönen Zahlenspielerei, jeweils 3,5 Millionen Opfer werden präsentiert, wird jedwede Spezifik und Unvergleichbarkeit der Shoah negiert.

Dahmer meint, er würde damit die „Putin-Versteher“ kritisieren. Man verharmlost das autoritäre, mit Iran kungelnde, Dissidenten kaltstellende und in vielfältiger Hinsicht brutale und gefährliche Regime in Moskau nicht einen Augenblick, wenn man glasklar unterscheidet zwischen Tätern (Deutsche) und Opfern (die Sowjetunion). Die Wehrmacht griff die Sowjetunion an und nicht andersherum, die Deutschen planten die Vernichtung der europäischen Juden und, ja, Stalin war das Schicksal der Juden mehr oder weniger egal, aber de facto kämpften Rotarmisten und Rotarmistinnen gegen die SS und die Wehrmacht und befreiten Auschwitz.

Einer, der das 1998 offenbar noch wusste, war Helmut Dahmer. Heute weiß er es nicht mehr oder vernebelt frühere Erkenntnisse, er schwimmt im Mainstream der Holocausttrivialisierer, deren Stromschnellen seit Jahren der quasi Enkel von Ernst Nolte, Snyder, vorgibt.

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20160305_101101Bald werden sich womöglich wieder fast alle Bundestagsparteien unisono auf eine zweite Amtszeit jenes Ex-DDR-Pfarrers einstimmen. Und alle tanzen nach dieser Pfeife von Timothy Snyder, es ist der große Sieg des Geschichtsrevisionismus, der größte aller geschichtspolitischen Siege: nicht Auschwitz war präzedenzlos, sondern Stalin hat angefangen! Es geht um einen Zeitraum von 1932 bis 1945, so Snyder, für den die ukrainische Hungerkrise 1932 der Beginn der „Bloodlands“ ist, der viel spätere Holocaust ist da nur ein Puzzlestück unter vielen. So funktioniert heute Revisionismus. Das ist die Wiedergutwerdung der Deutschen. Es war nicht einzigartig was in Auschwitz, Sobibor und Majdanek passierte, das ist der Tenor. Irgendwie vergleichbar sei das mit Stalins Verbrechen eben schon, insinuieren der reaktionär-avantgardistische Snyder und sein Fußvolk. Das soll die Message sein, früher bei Nolte, der von der „asiatischen Tat“ redete und heute von Snyder, der von „Bloodlands“ spricht um von der industriellen Vernichtung der Juden zu schweigen und sie zu trivialisieren. Und diese Rede von rot=braun gibt es eben schon lange nicht mehr nur bei der FAZ oder der Springer-Presse (die natürlich, Herbert Marcuse lässt grüßen, auch mal anderslautende Texte publiziert, „repressive Toleranz 2.0“), sondern auch im Bundespräsidialamt oder „Linken“. Für die nationale Identität der Deutschen ist es eine Grundvoraussetzung, die deutschen Verbrechen am allerbesten nicht vollends zu leugnen, sondern diesen dreckigen Job der Nazis durch Komparatistik mainstreammäßig zu machen und zu adeln. Martin Walsers antisemitische Erinnerungsabwehr von 1998 in seiner Paulskirchenrede wird durch die Ideologie des rot=braun ergänzt und flankiert.

Und wer sich ein bisschen mit den Moden der Sozial- und Geisteswissenschaften auskennt, weiß wie angesagt diese Holocaustvergleiche in der Geschichtswissenschaft, dem Postkolonialismus, der vergleichenden Literaturwissenschaft, der „Genozidforschung“ oder der Islamforschung („Muslime als die neuen Juden“ etc.), der transnationalen Forschung[viii], welche den Holocaust gerade nicht als spezifisch deutsches, von Deutschland geplantes (aber auch mit Hilfe zumal osteuropäischer Einheiten durchgeführten), sondern europäisches Phänomen betrachtet, und vieler weiterer Felder sind. Spätestens seit 1949 und Heideggers Bremer Vorträge ist die Universalisierung des Holocaust der Topos vieler Deutscher, die Schuld abwehren und das deutsche Verbrechen entspezifizieren, ja universalisieren.[ix]

Pegida ist übrigens auch eine Bewegung der Holocausttrivialisierung, was kaum jemand je analysiert hat, da sie auf ihrem Logo Hakenkreuz und Sowjetstern bzw. die Antifa (und den Islam) gleichsetzen.

Diese Gleichsetzung von rot und braun findet man auch in Museen in Estland:

Israelfeinde vergleichen den Judenstaat mit Nazis, eine Taktik, die man mitunter auch bei Publikationen gewisser Zentren für jüdische Studien sehen kann, wie noch zu zeigen sein wird in diesem Jahr. Das ist die widerwärtigste Form von Antisemitismus, eine Trivialisierung der deutschen Verbrechen, eine Schuldprojektion und die Verkehrung von Opfer und Täter. Doch nicht weniger beliebt ist der rot=braun-Reflex und die Trivialisierung der deutschen Verbrechen und das nicht nur bei Konservativen und Stolzdeutschen, sondern selbst bei Leuten, die noch vor gar nicht so vielen Jahren solcher unwissenschaftlichen und politisch reaktionären Rede unverdächtig waren. So ändert sich die politische Kultur dieses Landes. Und niemand fällt es auf, da selbst die wenigen Kritiker des Antisemitismus immer „nur“ den antizionistischen im Blick haben, aber bei der Analyse der Holocaustverharmlosung kläglich versagen.

Nicht nur deshalb sind Stimmen wie die von Efraim Zuroff so unsagbar wertvoll.

 

[i] Helmut Dahmer (1998): Holocaust und Geschichtsschreibung. Nachlese zur Goldhagen-Kontroverse, in: Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit, Nr. 15, Fernwald (Annerod), S. 441–462, hier S. 456. Dieser Artikel von Dahmer wurde bezeichnenderweise deshalb von Heil/Erb als Beitrag für den von diesen konzipierten Sammelband (Johannes Heil/Rainier Erb (Hg.) (1998): Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch) abgelehnt, weil sie keinen »Band nach Pro-Contra-Muster« wollten (ebd.: 441).

[ii] Robert Conquest (1988): Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929–1933, München: Langen-Müller (erste Auflage 1986).

[iii] Henning Eichberg (1978): Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft, München/Wien: Langen-Müller.

[iv] Dan Michman (2012): “Bloodlands and the Holocaust: Some Reflections on Terminology, Conceptualization and their Consequences,” ich beziehe mich auf das Manuskript, das mir der Verfasser vor der Publikation im Journal of Modern European History schickte.

[v] Dan Diner (2012): “Topography of Interpretation: Reviewing Timothy Snyder’s Bloodlands,” Contemporary European History, Vol. 21, No. 2, 125–131; Dan Diner (2012a): “An Auschwitz vorbei. Timothy Snyder erhält für sein Buch ‘Bloodlands’ den diesjährigen Leipziger Buchpreis. Zu Recht? Jedenfalls weist seine angeblich wegweisende Arbeit Mängel auf“, 17. März 2012, http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article13927362/An-Auschwitz-vorbei.html (eingesehen am 4. März 2016).

[vi] Jürgen Zarusky (2012): “Timothy Snyders „Bloodlands“. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 60. Jg., Nr. 1, 1–31.

[vii] Michael Wildt (2012): “Ist der Holocaust nicht mehr beispiellos? Neue Forschungen zu Stalin und Shoah“, Süddeutsche Zeitung, May 23, 2012, http://www.sueddeutsche.de/kultur/neue-forschungen-zu-stalin-und-shoah-ist-der-holocaust-nicht-mehr-beispiellos-1.1364122 (eingesehen am 4. März 2016); Jörg Baberowski (2012): “Once and for all: The encounter between Stalinism and Nazism. Critical remarks on Timothy Snyder’s Bloodlands,” Contemporary European History, Vol. 21, No. 2, 145–148.

[viii] Siehe nur den höchst problematischen Text von Peter Fritzsche (2009): “Holocaust,” in: Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (Hg.), The Palgrave Dictionary of Transnational History, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 499–500.

[ix] Martin Heidegger (1949): “Einblick in Das Was Ist”, in: Martin Heidegger (1949a), Bremer und Freiburger Vorträge, Frankfurt: Vittorio Klostermann, Gesammelte Werkte, Band 79, 3–77, 27: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“

„Pegida ist nicht speziell anti-islamisch“

Deutschlandradio Kultur – Interview mit Clemens Heni, 14.01.2016 06:50 Uhr

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Islamfeindlichkeit „Pegida ist nicht speziell anti-islamisch“

Clemens Heni im Gespräch mit Nana Brink

Pegida sei nicht nur gegen Muslime, sondern gegen alle Flüchtlinge, meint der Politologe Clemens Heni (imago/Sven Ellger)

Eine Konferenz in Osnabrück befasst sich seit Donnerstag mit Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa. Dabei werde unterstellt, dass jeder Kritiker des Islamismus ein Gegner des Islam sei, kritisiert der Politikwissenschaftler Clemens Heni.

Ist jeder Kritiker des Islamismus ein „Islamfeind?“ Nein, meint der Politikwissenschaftler Clemens Heni, Gründer und Direktor des Berlin Center for the Study of Antisemitism. Genau das unterstelle aber die internationale Konferenz „Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa“, die ab Donnerstag an der Universität Osnabrück stattfindet.

„Es gibt keine spezielle Islamfeindlichkeit“

Man müsse differenzieren zwischen dem Islam als Religion und dem „problematischen, ideologischen Gehalt des Islamismus, den man bekämpfen muss auf allen Ebenen“, sagt der Politikwissenschaftler. „Und da gibt es nicht nur den Dschihad, sondern auch den sogenannten legalen Islamismus, also die Muslimbrüder, Islamrat in Deutschland, da gibt es verschiedene Organisationen, die auf legale Weise Scharia implementieren wollen.“

Auch sei Pegida keine speziell anti-islamische Bewegung, sondern eine, die grundsätzlich rassistisch und völkisch sei. Pegida wende sich nicht nur gegen Muslime, sondern gegen alle Flüchtlinge, betont Heni.

„Das wird beispielsweise bei der Konferenz in Osnabrück, denke ich, fälschlicherweise so eingeordnet, als ob es eine spezifische Islamfeindlichkeit geben würde, wo ich denke, das gibt es nicht.“

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Es ist gerade nicht leicht, nüchtern über das zu reden, über das wir natürlich reden müssen, nämlich die Rolle des Islams und die Rolle, die er in vielen arabischen Ländern spielt, aus denen auch die mutmaßlichen Täter kommen, die in der Silvesternacht sich brutal an Frauen vergangen haben. Es ist auch deshalb nicht leicht, weil diese Taten ja dumpfe, islamfeindliche Reaktion provoziert haben, das haben wir wieder an diesem Montag in Leipzig bei der Pegida-Demonstration gesehen.

Heute nun beginnt in Osnabrück eine dreitägige internationale Konferenz zum Thema antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland. Das wird organisiert vom Institut für Islamische Theologie in Osnabrück und auch finanziert vom niedersächsischen Kultusministerium und der Bundesregierung. Ich freue mich sehr jetzt, dass bei mir der Politikwissenschaftler Clemens Heni, Direktor des Berlin Center for the Study of Antisemitism hier zu Gast in „Studio 9“ ist. Guten Morgen, ich grüße Sie!

Clemens Heni: Ja, guten Morgen, Frau Brink!

Islamismus und arabische Alltagskultur

Brink: Bevor wir uns über die islamfeindlichen Strömungen hierzulande unterhalten, wollte ich noch mal auf das zurückkommen, was ja in der Silvesternacht passiert ist. Die Journalistin Julia Gerlach hat ja gestern bei uns eindrücklich geschildert, wie in Ägypten die Gewalt gegen Frauen ein Gesellschaftsspiel ist. Aber sie hat davor gewarnt, das einfach auf Deutschland zu übertragen. Hat sie recht?

Heni: Also, ich denke, es wäre wichtig, dass die feministische Kritik, die es ja nun gibt in dem Land, an sexualisierter Gewalt sehr wohl in Beziehung gebracht wird mit dem Islam. Also mit der islamischen Kultur. Es gab in der „Frankfurter Allgemeinen“ die letzten Tage einige Texte, die versucht haben, denke ich, ganz interessant, Ursula Scheer gestern zum Beispiel, eine Beziehung zu bringen zwischen der alltäglichen Gewaltstruktur gegenüber Frauen in der arabischen und islamischen Welt, die wir jetzt eben hier in Teilen auch erlebt haben, und zwar auf präzedenzlose Weise. Also, man muss ja sehen: So was gab es in der Form eben noch nicht. Und da, denke ich, muss man schon auch das Thema Islam, Islamismus und arabische Alltagskultur in Deutschland thematisieren.

Pegida ist „völkisch und rassistisch“

Brink: Schüren denn solche Vorkommnisse die Islamfeindlichkeit hier?

Heni: Also, Islamfeindlichkeit ist so eine Frage. Also, Pegida ist nun einer meiner Schwerpunkte meiner Forschung die letzten Jahre und da würde ich nun mal grundsätzlich sagen, dass Pegida eine rassistische Bewegung ist, eine völkische Bewegung, die sich beispielsweise gegen alle Flüchtlinge wendet. Muslime sind ein Teil der Flüchtlinge, aber ja keineswegs alle. Also, wenn wir Brandanschläge haben auf Flüchtlingsheime, dann zielen diese Nazis und anderen Gewalttäter auf alle als nicht deutsch kategorisierten Menschen und keineswegs nur auf Muslime. Das wird beispielsweise bei der Konferenz in Osnabrück, denke ich, fälschlicherweise so eingeordnet, als ob es eine spezifische Islamfeindlichkeit geben würde. Wo ich denke, das gibt es nicht.

Im Gegensatz dazu würde ich sogar betonen, dass viele Muslime in der arabischen Welt, in der muslimischen Welt insgesamt sich ja durchaus distanzieren vom Islamismus, das hier aber gar nicht vorkommt. Und genau diejenigen, die in Deutschland nun die Islamfeindlichkeit als das große Thema meinen erkennen zu können, negieren häufig, dass es in der islamischen und arabischen Welt ja dissidente Muslime und Muslimas gibt, die genau den Islamismus bekämpfen und sich freuen würden, wenn es mehr Kritik über die problematischen Aspekte des Islam geben würde.

Gegenstimmen aus der islamischen Welt werden nicht gehört

Brink: Warum ist das so? Warum kommen wir oder warum sehen Sie diese Entwicklung oder dieses Blindsein auf dem einen Auge, wie Sie es ja gerade geschildert haben?

Heni: Also, dieses Blindsein, denke ich, wenn ich jetzt Ihren Aufhänger, die Konferenz in Osnabrück nehme, wenn da beispielsweise der Hauptredner eher Israel mit KZs und Nazis vergleicht und nicht thematisiert, dass es in der muslimischen Welt sehr wohl moderate Muslime gibt, beispielsweise Abu Dhabi oder Vereinigte Emirate, da gibt es eine Menge von Muslimen, die selber sich gegen die islamistische Kultur wenden, die aber hier beispielsweise aufgrund dessen, dass in Konferenzen eben solche Stimmen nicht gehört werden, sondern genau die Gegenstimmen, nicht vorkommen. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt des Ganzen.

Brink: Ja, solche Stimmen kommen natürlich bei der Konferenz schon vor, sie dauert ja drei Tage. Aber ich möchte noch mal auf einen ganz interessanten Zusammenhang kommen, der auch bei Ihnen, bei Ihren Forschungen ja eine große Rolle spielt: Islamfeindlichkeit auf der einen Seite und natürlich so etwas wie der selbst ernannte Islamische Staat. Also das Vordringen dieser Terrororganisation, das ja auch schürt, also sozusagen schürt, diese Ressentiments gegen Muslime!

Heni: Also, ich meine, der Islamische Staat, das ist ganz wichtig in der Tat, hat nun auf ungeheuerliche Weise letztes Jahr in Frankreich mehrfach Terrorattentate verübt, zum ersten Mal in massivem Maßstab in Europa, im November mit über 130 Toten in Paris. Und ich denke, Islamfeindlichkeit lenkt ja eigentlich genau davon ab, dass die Leute denken, nun würde der Islam – in Anführungszeichen – zum Feindbild aufgebaut. Hingegen geht es ja darum, den Islamismus zu bekämpfen. Also, diese Trennung finde ich auch ganz wichtig, auch in der Forschung zu trennen zwischen Islam als Religion, den man nicht diffamieren darf und sollte, und Islamismus als Ideologie, den man sehr wohl diffamieren muss und bekämpfen muss. Und deshalb, denke ich, Islamfeindlichkeit lenkt so ein bisschen ab von der Thematik, um die es eigentlich geht.

Muslimbrüder und Islamrat vertreten einen „legalen Islamismus“

Brink: Was ist denn die Thematik, um die es eigentlich …

Heni: Die Thematik, denke ich, ist: Islamismus versus Islam. Dass man eine Differenz macht zwischen dem problematischen, ideologischen Gehalt des Islamismus, den man bekämpfen muss auf allen Ebenen – und da gibt es nicht nur den Dschihad, sondern auch den sogenannten legalen Islamismus, also die Muslimbrüder, Islamrat in Deutschland, da gibt es verschiedene Organisationen, die auf legale Weise die Scharia implementieren wollen –, und da gibt es eben andere, die meinen, den Islam an sich damit diskreditieren zu können.

Brink: Also, wir trennen nicht sauber genug hier in Deutschland in der Diskussion auch? Würden Sie so weit gehen, das zu sagen?

Heni: Richtig, das würde ich absolut so sagen. Und leider tun Konferenzen wie in Osnabrück eigentlich genau davon ablenken, dass diese Trennung zwischen Islamismus und Islam notwendig wäre, davon ablenken, indem sie tun, als wenn alle Kritikerinnen und Kritiker des Islamismus Islamfeinde wären. Und das ist nicht der Fall.

Brink: Herzlichen Dank! Der Politikwissenschaftler Clemens Heni, schönen Dank für Ihren Besuch hier in „Studio 9“. Und er hat es mehrfach angesprochen, die dreitägige Konferenz in Osnabrück zum Thema antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland, und hier in „Studio 9“ ab 17:00 Uhr wird der Berliner Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz auch noch mal darauf was antworten, was sie vorhaben auf der Konferenz in Osnabrück.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

„Gaza sieht immer mehr wie ein KZ aus“ – Obskurer Islamforscher zu Gast bei der Uni Osnabrück

Von Clemens Heni und Michael Kreutz

Dieser Text erschien zuerst auf Ruhrbarone

Im Jahr 2015 gab es alleine in Frankreich zwei islamistisch motivierte Massaker mit fast 150 Toten, am 7. bzw. 9. Januar in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris bzw. einem jüdischen Supermarkt und am 13. November im Club Bataclan, mehreren Cafés sowie am Stade de France, wo gerade ein Fußballfreundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfand. Daraufhin wurde wenige Tage später erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus Terrorangst ein Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft in Hannover abgesagt.

Doch all diese spezifisch mit dem Islamismus und Jihadismus zusammenhängenden Ereignisse führen eben in der Wissenschaft, der Islamforschung wie der Islamischen Theologie, offenbar weiterhin kaum dazu, Kritik am Islamismus und Antisemitismus zu üben. So wird der Präsident der Uni Osnabrück, Prof. Wolfgang Lücke, am 14. Januar 2016 die Konferenz „Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ begrüßen. Es ist eine dreitägige, große Konferenz mit über vierzig Referentinnen und Referenten, organisiert vom Institut für Islamische Theologie der Uni Osnabrück und finanziert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie sowie der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Hier kommt eine Opferhaltung zum Ausdruck, die den Islamisten letztlich nur in die Hände spielt. Kein einziger Vortrag ist der jihadistischen und islamistischen Gewalt und Ideologie gewidmet. Sicher, angesichts eines unübersehbaren rassistischen Klimas in Deutschland, von Pegida über die AfD bis hin zu Neonazis, die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verüben, ist eine Kritik am Rassismus notwendig. Doch was soll „antimuslimischer Rassismus“ sein? Rechtspopulisten mögen ein besonderes Problem mit dem Islam haben, allgemein hetzen sie aber gegen die Zuwanderung insgesamt. Sie wollen ein völkisch homogenes Deutschland.

Der eigentliche Skandal der Konferenz ist der Hauptredner, der amerikanische Islam- und Nahostforscher John L. Esposito, Jg. 1940. Er hat einen von Saudi-Arabien (mit)finanzierten Lehrstuhl und ist einer der umstrittensten Nahostforscher in Amerika. Acht Jahre ist es her, seitdem der amerikanische Nahostkenner Martin Kramer darauf hingewiesen hat, dass mit den Berechnungen bezüglich der Zahl von radikalisierten Muslimen von John Esposito etwas faul ist.

Demnach hatte Esposito eigene Umfragen unter Muslimen dahingehend interpretiert, dass nur 7% der Befragten als radikalisiert bezeichnet werden können. So gering nämlich sei der Anteil derer, die der Aussage zustimmen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 „völlig gerechtfertigt“ seien. Dabei fiel aber unter den Tisch, dass anderthalb Jahre zuvor Esposito und seine Co-Autorin auch solche Befragten zu den Radikalisierten zählten, die der Aussage zustimmten, dass die Anschläge „weitgehend gerechtfertigt“ seien. Viele von denen, die vorher noch als radikal gegolten hatten, wurden plötzlich zu Moderaten verklärt.

Selbst Islamisten, die in der Forschung für ihre gefährliche Ideologie seit Jahren analysiert und kritisiert werden, wie die Gülen-Bewegung, Tariq Ramadan aus der Schweiz, Yusuf al-Qaradawi aus Katar oder Mustafa Ceric aus Bosnien werden von Esposito als wunderbare Beispiele für einen „moderaten“ Islamismus betrachtet. Doch es gibt keinen „moderaten“ Islamismus, wie schon der Politik- und Islamwissenschaftler Bassam Tibi in einer Kritik an Esposito vor Jahren betonte. Ein Yusuf al-Qaradawi, der Selbstmordattentate gegen Israelis für religiös rechtmäßig erklärt, wird nicht dadurch moderat, dass er ihre Durchführung auch Frauen ohne Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner zubilligt!

In seinen Büchern und Texten zeigt sich die ganze Ideologie von John Esposito. Für ihn ist der islamische „Fundamentalismus“ im Iran, dem zigtausende Menschen zum Opfer gefallen sind, das gleiche wie ein christlicher in den USA, der reaktionär sein mag, aber nicht mörderisch ist. Ebenso verglich er George W. Bush mit dem Dschihadisten, Massenmörder und Mastermind des 11. September 2001, Osama bin Laden. Solche Vergleiche mögen im Westen in manchen Kreisen populär sein, sie sind aber grundfalsch, weil beide Personen für entgegengesetzte Werte stehen.

In seinem Buch „The Future of Islam“ (Die Zukunft des Islam) von 2010 vergleicht Esposito die Situation im Gazastreifen mit KZs und somit Israel mit Nazis – eine klare antisemitische Diffamierung, nach Definition des amerikanischen Außenministeriums und der internationalen Antisemitismusforschung.

Mehr noch: im August 2014 beschuldigte Esposito auf Twitter den Holocaustüberlebenden Elie Wiesel, dieser spiele angesichts der Ereignisse in Gaza eine „Holocausts-Trumpfkarte“ aus. Wiesel hatte zu Recht betont, dass die islamistische Terrororganisation Hamas endlich aufhören solle, Kinder als Schutzschilde zu missbrauchen. Er wies darauf hin, dass Juden schon vor über 3500 Jahren dem Menschenopfer eine Absage erteilt hatten und solche Praktiken für einen zivilisatorischen Rückfall hielten. Für Esposito aber war das kein Grund nachzuhaken, sondern Anlass zur Diffamierung. So reden in Deutschland üblicherweise nur Neonazis und extreme Rechte.

Schließlich hat Esposito in seinem Buch „Die Zukunft des Islam“ auch dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, ohne jeden Beleg (!) die Aussage unterstellt, „Muslime wollen die Welt beherrschen“. Solche Aussagen wie auch andere Verdrehungen in seiner Darstellung disqualifizieren Esposito als Redner. Frisch hat das Behauptete aber nicht nur nicht gesagt, sondern sich dezidiert dagegen gewandt, Muslime zu diffamieren. Davor warnt er nachdrücklich. Esposito dagegen versucht eine deutsche Bundesbehörde, die den Islamismus beobachtet und vor ihm warnt, zu diskreditieren.

Wollen der Präsident der Uni Osnabrück, die über vierzig Referentinnen und Referenten wie auch die involvierten Landes- wie Bundesministerien einer solchen Rabulistik, diesem Antisemitismus und dieser Verharmlosung des Islamismus wirklich Vorschub leisten?

 

Clemens Heni Nassau Inn Princeton 05252009

Dr. phil. Clemens Heni

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

 

 

 

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Dr. phil. Michael Kreutz

Dr. phil. Michael Kreutz ist Arabist und Islamwissenschaftler in Münster

Auschwitz, 27. Januar 1945

Am 27. Januar 2015 wird in Auschwitz der 70. Jahrestag der Befreiung durch die Rote Armee der Sowjetunion (UdSSR) begangen. Während die Befreier von Auschwitz nicht vertreten sein werden, jedenfalls nicht mit dem russischen Staatspräsidenten Putin, wird die Täternation dabei sein. In einer aufgeheizten Stimmung in Europa und dem Westen wird so getan, als ob „Steven Spielberg oder die Amerikaner“ Auschwitz befreit hätten, wie es der Journalist und ZEIT-Korrespondent in Berlin Mark Schieritz auf Phönix im Fernsehen überspitzt auf den Punkt brachte und einforderte, doch gerade jetzt die Rolle Russlands bzw. der Sowjetunion zu würdigen bei der Niederschlagung Nazi-Deutschlands und der Befreiung von Auschwitz-Birkenau.

Götz Aly wiederum, das getätschelte enfant terrible der deutschen Mainstream-Geschichtswissenschaft, tut so als ob ihn die Nicht-Einladung Putins stören würde, dabei hat doch Aly durch seine eigene Forschung seit Jahrzehnten einer Ökonomisierung des Holocaust das Wort geredet („Vordenker der Vernichtung“), 2008 rot und braun analogisiert, Kritik am Springer-Konzern 1968 mit der Bücherverbrennung 1933 gleichgesetzt und somit geholfen, das antikommunistische und die Shoah trivialisierende Feld vorzubereiten, das heute gegen „die Russen“ zurückschießt.

Dabei ist dieser Jahrestag US-Präsident Barack Obama völlig wurscht, er hatte den Termin nicht eingeplant (woher hätte er von diesem für ihn x-beliebigen x-ten Jahrestag auch vorab wissen sollen?) und ist in Indien. Nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung wollen 81% der Deutschen nichts mehr vom Holocaust hören, den Blick in die schwarzrotgoldene Zukunft gerichtet.

Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) wird beim Gedenken in Auschwitz durch zwei ehemalige DDR-Bürger vertreten. Nachdem es mit dem „Triumph des Willens“ nicht in jeder Hinsicht klappte, siegt heute der „Triumph des guten Willens“ (Eike Geisel) auf allen Kanälen, die „Nationalisierung der Erinnerung“ hat oberste kulturindustrielle Priorität.[1]

Bundespräsident Gaucks Behauptung, die ganz normalen Deutschen hätten 1945 als „Befreiung“[2] verstanden, widerlegt er in seiner Autobiografie 2009 hingegen selbst: dort beschreibt er, wie er zu Weihnachten 1944 vom „Weihnachtsmann“ einen hölzernen Panzer bekommen hat, weil er „ohne zu haspeln“ ein Gedicht aufsagen konnte.[3] Seine Eltern fürchteten die Rote Armee und die Sowjets („Russen“) und sehnten keineswegs eine Befreiung – von was, dem antisemitischen, völkischen, nationalsozialistischen Selbst? – herbei. Gauck setzt nicht nur obsessiv und mit System die DDR mit dem Nationalsozialismus gleich, nein: er fantasiert zudem, die Nazis seien ganz wenige böse Leute gewesen, die das ‚deutsche Volk‘ beherrscht hätten.

Der Bundespräsident steht im Trend einer neuen, zukunftsträchtigen Verharmlosung des Holocaust. In seinen längst bekannten und dokumentierten Reden und Publikationen diminuiert Gauck den Holocaust gleich mehrfach: Er setzt den Nationalsozialismus mit der DDR gleich und banalisiert dadurch ersteren zu einem bloßen ‚Unrechtsregime‘; er unterstellt Kritikern, welche die Shoah in ihrer Präzedenzlosigkeit und Einzigartigkeit analysieren, einen „psychischen Gewinn“, womit die modernen Gottlosen ein ‚inneres Loch‘ stopften. Gauck ist als politischer Aktivist bei der Veröffentlichung des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ (1998)[4], der „Prager Deklaration“ (2008) und der Initiative „23. August 1939“ (2009) an vorderster Front mit dabei. Angesichts der „Prager Deklaration“ und der Gleichsetzung von rot und braun sprechen Experten in Jüdischen Studien wie Alvin H. Rosenfeld aus USA vom „Ende des Holocaust“[5], was auch die kulturindustrielle Verkitschung Anne Franks betrifft und viele weitere Facetten der Trivialisierung und Universalisierung der Shoah.

In Auschwitz wurden ca. 1,3 Millionen Menschen industriell vernichtet, darunter ca. 1,1 Millionen Juden. Die Opfer des präzedenzloses, nie dagewesenen Verbrechens, werden durch Gauck geradezu verhöhnt, wenn dieser Mann davon redet, jene, die gerade den präzedenzlosen Charakter der Shoah betonten, würden das als „psychischen Gewinn“ in einer gottlosen Welt verbuchen.[6]

Man kann also super stolzdeutsch den „Antikommunismus“ hochleben lassen und de facto die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz und die Alleinschuld des Nationalsozialismus am Zweiten Weltkrieg zerreden – ja, zerreden – wenn man es nur wirklich will. Und Richard Herzinger will es und tut es und Springer freut es. Damit entwirklicht Herzinger die historische Leistung der Roten Armee, am 27. Januar 1945 das KZ und Vernichtungslager Auschwitz befreit zu haben. Für ihn ist die Betonung der Leistung der Roten Armee reine Propaganda der Kommunisten, da Stalin schon vor der Shoah ähnlich schlimme Verbrechen begangen habe. Herzinger schreibt im Geiste von Ernst Nolte und natürlich dessen Enkel/Sohn Timothy Snyder (Yale), dem Bestsellerautor von „Bloodlands“, einem Gebiet mit über 14 Millionen Toten zwischen 1932 und 1945, das Snyder erfindet, um die Einzigartigkeit des Holocaust zu leugnen bzw. zu trivialisieren.

Es gibt ein Denkmal in Israel, das in Gedenken an die heroische Leistung der Roten Armee und der jüdischen Soldaten in der Roten Armee errichtet und 2012 eingeweiht wurde:

“This is an opportunity to thank the Red Army,” said Peres. “Had it not defeated the Nazi beast then it is doubtful we would be standing here today. In World War II the Soviet Union prevented the world from surrendering.”

Memorial für die Rote Armee in Netanya, Israel, 2012

Zum obsessiven Antikommunismus der Liberalen, Bürgerlichen, Konservativen und Reaktionäre kommt jedoch noch ein Element hinzu. Die Kritik am Islamismus und seiner Pro-Nazi-Geschichte ist bedeutsam, gerade in Zeiten des Jihad, des muslimischen Antisemitismus und des Islamischen Staates (IS). Doch man kann es auch unwissenschaftlich und politisch grotesk machen. Und dann geht es um Geschichtsklitterung und die Stilisierung des Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husaini, zum Obernazi, der Hitler erst zum Holocaust inspirieren musste. So schreiben die Nahostforscher Barry Rubin (1950–2014) und Wolfgang G. Schwanitz 2014 in einem Buch bei dem renommierten Verlag Yale University Press, es sei für Hitler bis zum Besuch von al-Hussaini am 28. November 1941 nicht klar gewesen, ob die Juden nur abgeschoben oder vernichtet werden sollten:

„But there was another consequence of the al-Husaini-Hitler meeting [28. Nov 1941, d.V.] to cement their alliance. A few hours after seeing the grand mufti Hitler ordered invitations sent for a conference to be held at a villa on Lake Wannsee. The meeting’s purpose was to plan the comprehensive extermination of all Europe’s Jews. Considerations of Muslim and Arab alliances, of course, were by no means the sole factor in a decision that grew from Hitler’s own anti-Semitic obsession. But until that moment the German dictator had left open the chance that expulsion might be an alternative to extermination.”[7]

Die beiden Autoren ignorieren großzügig nahezu die gesamte Holocaust- und Antisemitismusforschung, man denke nur an Hans Safrians Studien über Eichmann[8], Daniel J. Goldhagens Doktorarbeit über „Hitler’s Willing Executioners“ mit ihrem zentralen Satz „No Germans – No Holocaust“[9], oder Jochen Böhlers Dissertation „Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939“, in der er z.B. anhand von Bundesarchivakten Einträge von deutschen Soldaten dokumentiert, die in antisemitischer Diktion ihre Eindrücke beim Einmarsch in Polen 1939 zum Ausdruck brachten.[10] Auf diesem antisemitischen Feld baute später der Vernichtungskrieg der Wehrmacht gegen die Sowjetunion und die Juden ab Juni 1941 („Unternehmen Barbarossa“) auf.

Doch nun wie Rubin und Schwanitz den Großmufti al-Husaini, ein ausgewiesener Antisemit und Freund Hitlers, als Stichwortgeber für die „Endlösung“ herbei zu fantasieren, das entbehrt jeder Grundlage und desavouiert sowohl die Holocaust- wie die Islamismusforschung.

Bedeutend und von herausgehobenem Interesse sind hingegen die Erkenntnisse der jüngsten kritischen Antisemitismusforschung. In ihrer Studie „Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik“ analysiert die Historikerin Susanne Wein[11] erstmals die Protokolle der Reichstagsdebatten, bettet sie in die politische Kultur der Zeit ein und zeigt wie offen und auch codiert der Antisemitismus in der Weimarer Republik von rechts bis links und der Mitte war. Sie schreibt über Zeitungsberichte bezüglich eines der großen Skandale der Republik, den „Barmatskandal“ Ende 1924/1925, und die antisemitischen Implikationen:

 

„Die Artikel der Barmatskandalisierung verwenden das physiognomische antisemitische Stigma der großen Nase nicht explizit, doch z.B. der Satz ‚Kutisker […] riecht herum‘ zentriert auf das Olfaktorische und degradiert die Person wiederum zu einem Tier, das herumschnüffelt. Die Bildsprache rekurriert demnach neben dem vorherrschenden Bezug auf die Botanik auch auf identifizierende Metaphern aus der Zoologie. Drittens steckt Gestank im Bild des kranken Volkskörpers. Dieser hat je nach Dramatisierung des jeweiligen Artikels eine eiternde Stelle oder ist mit Eiterbeulen übersät und entsprechend gering werden die Heilungschancen eingeschätzt, wobei in jedem Fall sofort reagiert werden muss. Alle Artikel dieser Art beinhalten den dringenden Aufruf zum Handeln, um die Krankheit zu bekämpfen, bevor es zu spät ist und die drastischen Bilder greifen auf Vernichtungsvokabular zurück. Der korrumpierende ‚(ost-)jüdische‘ Kapitalist wird vermischt mit dem Bild des ‚fremden Ostjuden‘, der Seuchen einschleppe. Beide Figuren ‚hängen‘ am bereits durch den Krieg geschwächten deutschen Volkskörper und ‚saugen ihn aus‘. Dieses aggressiv-antisemitische Bild aus der Medizin, das ‚den Juden‘ als Erreger und Überträger von Krankheiten entmenschlicht und ihn zum lebensunwerten Parasiten macht, bewegte sich noch auf der verbalen Ebene, hatte jedoch eine Kompatibilität zur künftigen nationalsozialistischen Tat.“[12]

 

Diese Analyse ist entscheidend, um die Vorgeschichte von Auschwitz und der Shoah besser verstehen zu können. Das erklärt nicht Auschwitz, aber den Weg dahin.

Auch Forschungen über den auf die Vernichtung der Juden zielenden Antisemitismus eines Achim von Arnim in seiner Rede „Über die Kennzeichen des Judentums“, den er vor der „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“ im Frühjahr 1811 gehalten hat, der von dem Literaturwissenschaftler Heinz Härtl als der „schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ bezeichnet wurde, worauf die Historikerin Susanna Moßmann hinweist, sind von enormer Relevanz.[13]

Hier zeigte sich das christliche deutsche „Abendland“ und jeder einzelne Teilnehmer und jede einzelne Teilnehmerin oder Sympathisant und kuschelnder, sie „ernst“ nehmender Gesprächspartner der völkischen PEGIDA (und verwandter)-Aufmärsche und des Extremismus der Mitte ist in Haftung zu nehmen für diese antisemitische Tradition im Geschwätz vom schönen deutschen „Abendland“. Und jene Anti-PEGIDAisten, die ihren Judenhass als Antizionismus kaschieren, sind die andere Seite des gleichen, heutigen Deutschlands. Verschwörungswahnsinnige agitieren immer häufiger auch offen gegen Juden, Geldwirtschaft oder das „Finanzkapital“.

Das sind nur einige Aspekte, die angesichts der 70. Wiederkehr der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz in den Blick zu nehmen wären.

Von einigen wenigen Forscherinnen abgesehen, sind es heute fast nur noch Satiriker, die in der Lage sind und die den Mut haben, die Realität in Worte zu fassen, hier die Satire-Redaktion von SpiegelOnline:

„Bundespräsident Gauck wird dagegen selbstverständlich bei der Gedenkveranstaltung vertreten sein. Schließlich waren es deutsche Soldaten, die sich den Okkupanten heroisch entgegenwarfen. Außerdem wären Auschwitz und somit auch alle damit verbundenen Feierlichkeiten ohne Deutschland niemals möglich gewesen.“

 

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung. Hg. von Klaus Bittermann, Berlin: Edition Tiamat.

[2] Joachim Gauck (2005a): Schuld und Schuldverarbeitung in Übergangsgesellschaften, in: Rektor der Universität Augsburg (Hg.) (2006), Gesellschaftspolitisches Engagement auf der Basis christlichen Glaubens. Laudationes und Festvorträge aus Anlass der Ehrenpromotionen von Prof. Dr. Andrea Riccardi und Dr. h.c. Joachim Gauck am 17. Juni 2005 an der Katholisch-Theologischen und an der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg, Augsburg: Selbstverlag, 45–58, 52.

[3] Joachim Gauck (2009): Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen, in Zusammenarbeit mit Helga Hirsch, München: Siedler, 21: „Weihnachten 1944 bestand ich meinen ersten öffentlichen Auftritt auf einer wahrscheinlich von der nationalsozialistischen Frauenschaft veranstalteten Weihnachtsfeier. Ich vermochte ein ganzes Weihnachtsgedicht aufzusagen, ohne mich zu verhaspeln und ohne zu stocken: ‚Von drauß, vom Walde komm ich her…‘ Der Weihnachtsmann war so gerührt, dass er versprach, nach der Feier noch bei mir zu Hause vorbeizukommen und mir ein spezielles Geschenk zu übergeben. Er hielt sein Versprechen: Ich bekam einen weiteren Panzer aus Holz.“ Wer sich im Alter so scheinbar wehmütig an die nazistischen Kriegszeiten erinnert, hat keine Distanz zur deutschen Geschichte. Denn das Narrativ wird nicht beispielsweise mit einer Reflexion gebrochen, was vierjährige jüdische Jungen und Mädchen zur gleichen Zeit erleben mussten.

[4] Stéphane Courtois (Hg.) (1997)/1998: Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. Mit dem Kapitel „Die Aufarbeitung des Sozialismus in der DDR“ von Joachim Gauck und Ehrhardt Neubert, München/Zürich: Piper. Die Originalausgabe erschien 1997 in Paris bei der Editions Robert Laffont; Joachim Gauck (1998): Vom schwierigen Umgang mit der Wahrnehmung, in: Courtois (Hg.), 885–894.

[5] Alvin H. Rosenfeld (2011): The End of the Holocaust: Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press.

[6] „Unübersehbar gibt es eine Tendenz der Entweltlichung des Holocaust. Das geschieht dann, wenn das Geschehen des deutschen Judenmordes in eine Einzigartigkeit überhöht wird, die letztlich dem Verstehen und der Analyse entzogen ist. Offensichtlich suchen bestimmte Milieus postreligiöser Gesellschaften nach der Dimension der Absolutheit, nach dem Element des Erschauerns vor dem Unsagbaren. Da dem Nichtreligiösen das Summum Bonum – Gott – fehlt, tritt an dessen Stelle das absolute Böse, das den Betrachter erschauern lässt. Das ist paradoxerweise ein psychischer Gewinn, der zudem noch einen weiteren Vorteil hat: Wer das Koordinatensystem religiöser Sinngebung verloren hat und unter einer gewissen Orientierungslosigkeit der Moderne litt, der gewann mit der Orientierung auf den Holocaust so etwas wie einen negativen Tiefpunkt, auf dem – so die unbewusste Hoffnung – so etwas wie ein Koordinatensystem errichtet werden konnte. Das aber wirkt ‚tröstlich‘ angesichts einer verstörend ungeordneten Moderne. Würde der Holocaust aber in einer unheiligen Sakralität auf eine quasi-religiöse Ebene entschwinden, wäre er vom Betrachter nur noch zu verdammen und zu verfluchen, nicht aber zu analysieren, zu erkennen und zu beschreiben.“ (Joachim Gauck (2006): Welche Erinnerungen braucht Europa?, http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/downloads/Stiftungsvortrag_Gauck_fuer_Internet.pdf (eingesehen am 25. Januar 2015, S. 14f.)).

[7] Barry Rubin & Wolfgang G. Schwanitz (2014): Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East, New Haven: Yale University Press, ohne Seitenangabe (E-Book). Nun: Der Holocaust war Ende November 1941 längst im Gang, wie in der Ukraine in Babi Yar, unweit von Kiew, wo am 29./30. September 1941 in einem der größten Massaker der Shoah über 30.000 Juden ermordet wurden. In Litauen gab es Pogrome an den Juden noch bevor die Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 überall angekommen war, wie erwähnt sind auch Morde an Juden im Zuge des Überfalls auf Polen 1939 Teil des Holocaust. Im Februar 2014 hat David Mikics den Autoren wegen dieser These, der Mufti habe Hitler quasi die Idee zur „Endlösung“ und zur Wannseekonferenz gegeben, scharf kritisiert. Schwanitz‘ Replik entkräftet die Kritik überhaupt nicht.

[8] Hans Safrian (1993)/1997: Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt a.M.: Fischer.

[9] Daniel Jonah Goldhagen (1996): Hitlers willige Vollstrecker: ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin: Siedler.

[10] Jochen Böhler (2006): Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt a.M.: Fischer, 46–48.

[11] Susanne Wein (2014): Antisemitismus im Reichstag. Judenfeindliche Sprache in Politik und Gesellschaft der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. u.a.: Peter Lang (Zivilisationen & Geschichte, hg. von Ina Ulrike Paul und Uwe Puschner, Band 30; zgl. Diss. FU Berlin 2012).

[12] Wein 2014, 197.

[13] Susanna Moßmann (1996): Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der »Christlich-deutschen Tischgesellschaft«, in: Hans Peter Herrmann/Hans-Martin Blitz/Dies. (1996): Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main: Suhrkamp Taschenbuch, S. 123–159, 152.

 

 

Eine, die es „geschafft“ hat – Die pro-iranische Soziologin Naika Foroutan und die „jüdische Lobby“ in Amerika

 

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Albert Einstein

 

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Für die Soziologin Naika Foroutan war der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon ein „Staatsterrorist“, der frühere iranische Präsident Khatami, der von Israel als einem „krebshaften Tumor“ spricht, ein wundervolles Zeichen für einen „Kulturdialog“ des Islams mit dem Westen. Der 11. September wird von Foroutan rationalisiert, da die „Erniedrigung der Palästinenser“ Movens gewesen sei. So steht es in ihrer Dissertation von 2004. 2010 pushte Maybrit Illner die Agitatorin, Anfang Januar 2015 kam die „Expertin“ Foroutan zusammen mit ihrem Kollegen Andreas Zick in der Hauptausgabe der Tagesschau zu Wort, da sie sich gegen den Rassismus und Nationalismus von PEGIDA wende. Doch Andreas Zick von der Amadeu Antonio Stiftung scheint gar nicht zu wissen, mit wem er es bei Foroutan zu tun hat. Auf der Homepage zum 50jährigen Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen wird Foroutan auch publiziert. Foroutans Doktorvater an der Universität Göttingen, der bekannte Politologe Bassam Tibi, scheint ihre Arbeit womöglich nicht en detail gelesen zu haben. Oder teilt er ihre Ideologie?

Das Beispiel der Soziologin Naika Foroutan, stellvertretende Leiterin des angesagten Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung an der Humboldt Universität (HU) Berlin, kann exemplarisch zeigen, dass gerade auch Migranten, die es „schaffen“, die sehr gut gebildet sind und einen tollen Job im Mainstream der Gesellschaft haben, politisch zu kritisieren sind wie alle anderen, die es „schaffen“.

Damit soll der Fokus verschoben werden: es geht nicht immer nur um jene, die als „Versager“ oder Vertreter eines „Terrors der Verlierer“ (Der Spiegel) dastehen, wie Kämpfer des Islamischen Staates (IS) oder die Jihadisten von Paris. Denn als „Versager“ werden jene von den großen Medien und im Diskurs gesehen. Es gilt aber ebenso einen Blick auf die Sieger zu wagen. Technische Teile für Atombomben in Iran werden von jenen Ingenieuren entwickelt, die es „geschafft“ haben und nicht von „Versagern“ oder „Verlierern“, wobei zivilisationskritisch „Versager“ ein ganz problematischer Begriff ist. Eher ginge es um jene, die nicht ganz mitgekommen sind mit dem Fortschritt oder dem Leben, aus welchen Gründen auch immer. Doch das wäre ein eigenes großes Sujet, das hier nicht vertieft werden kann. Jihadisten haben die Wahl zwischen Töten und Nicht-Töten und es ist eine bewusste Entscheidung für das Töten der „Ungläubigen“ oder vom Glauben „Abgefallenen“ etc.

Grob gesagt geht es um Folgendes, der Journalist Michael Miersch hat das am 20. Januar 2015 in seinem Abschiedsschreiben an die Leserinnen und Leser und vor allem seine beiden Ex-Kollegen des Autorenblogs Achgut (Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner), den er selbst mit gegründet hat vor fast 11 Jahren, so in Worte gefasst:

„Das politische Spektrum in Deutschland verengt sich auf zwei Pole: Die, die ein Problem mit dem Islam abstreiten und am ‚Elefanten im Zimmer‘ vorbei gucken. Und die, deren Antwort auf die islamische Herausforderung lautet: Scharen wir uns um Kreuz und Fahne und verteidigen wir unsere deutsche Identität.“

Erste Position trifft auf Naika Foroutan zu und viele andere, letztere auf Mierschs Kollegen Henryk M. Broder und dessen Umfeld.

Mehr noch: Naika Foroutan ist eine Kritikerin von Thilo Sarrazin und das könnte sie ja zu einer sympathischen Zeitgenossin machen. Sie tut jedoch so, als ob „der Islam“ oder „die Muslime“ das Hauptthema von Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ seien. Wer das Buch gelesen hat, weiß jedoch, dass es nur am Rande um Muslime geht. Doch nicht nur ihre „Zahlenspiele“ zeigen ihre Konfusion an, vielmehr merkt sie gar nicht, dass es bei Sarrazin um Stolz auf Deutschland geht, um die Ex-Nazi-Bürokraten, die in den 1950er Jahren das Land wieder „aufbauten“. Sarrazin hasst Menschen, die HartzIV beziehen und diffamiert nicht-promovierte wie promovierte Sozialhilfebezieher, wenn diese sich beschweren über zu wenig Heizgeld, möge doch ein zweiter Pulli reichen. Um den Islam geht es im Millionenbestseller des Möchtegern SPD-Stars „Deutschland schafft sich ab“ nur am Rande. Dafür hantiert Sarrazin mit dem philosemitischen Antisemitismus und findet Juden ganz besonders super schlau. Und Intelligenz sei vererbbar etc. Das ganze gegenaufklärerische Programm wird ausgebreitet, auf sprachlich ziemlich desolatem Niveau.

Foroutan wiederum ist stolz auf viele Türken mit Abitur. Bildung ist auch wichtig, ja. Ein unterbelichteter Aspekt ist jedoch: sind nicht gerade die gebildeten Leute, ob nun „biodeutsch“ oder nicht, das Problem, wenn es um Antisemitismus, Antiamerikanismus und die Verharmlosung des Islamismus geht?

Sind nicht viele mit Abitur wie Hochschuldozenten im Bereich Islamwissenschaft gerade Teil des Problems? 2010 rezensierte ich Sarrazins Buch für die Zeitschrift „Tribüne“ und schrieb:

„Es geht Sarrazin um Deutschland, nicht um Islamismus. Ginge es ihm um letzteren, dann würde er die herrschende Elite an Unis, Think Tanks, in der Politik, den Medien etc. angreifen müssen. Es geht dem Sozialdemokraten um die bessere Verwertung der Menschen im System. Nur wer arbeitet, soll auch essen, ein Spruch, den wir aus der deutschen Geschichte allzu gut kennen. Was letztlich in den Fabriken, den Call-Centern, den Bürovielzweckgebäuden und easy-listening-Großraumbüros so produziert wird, die Ware, ist völlig egal. Kritik ist notwendig, nicht Lob fürs deutsche Gymnasium, dem diejenigen die für die nationale wie Weltlage mit verantwortlich sind, jene die mit Iran Geschäfte machen, den Jihad gewähren lassen und Antisemitismus auf unterschiedlichster Stufe und in vielfältigster Form produzieren oder verharmlosen, entspringen. (…) Das Buch von Sarrazin hat gar nicht die Intention Jihadismus und Islamismus zu kritisieren, das ist nur ein kleines Nebenprodukt in einem seiner Kapitel. Dies haben offenbar weder Verteidiger noch Gegner verstanden. Es geht ums Kinderkriegen, um die deutsche Volksgemeinschaft der Intelligenten. Es geht um störungsfreien Betrieb im sozialdemokratischen Musterland. Es geht um Hierarchie, stolze Traditionen, um Ethno-Nationalismus und um ‚Wanderers Nachtlied‘, nicht um Reflexion und Kritik an Islamophilie, Antisemitismus und deutschen Traditionen, die zur deutsch-islamischen Liebe von Hitler und dem Mufti führten.“

Das wäre also eine Kritik an Sarrazin, die sich nicht auf Zahlenspiele oder Statistiken kapriziert, wie Foroutan es tut. Sie und ihre sechs Kolleginnen und Kollegen, die im Dezember 2010 eine Broschüre über Sarrazin publizierten, gehen mit keinem Wort auf den Antisemitismus und verwandte Ideologeme bei Sarrazin ein. Sie haben nicht bemerkt, dass Sarrazin in der Einleitung seines Buches den Islam nicht einmal touchiert, da er für seine Agitationsschrift nicht zentral ist. Unterm Strich sind beide stolz auf Deutschland, Sarrazin in der völkischen Variante, Foroutan in der den Jihad trivialisierenden Variante. Foroutan schreibt 2011 in einer Projektbeschreibung für ihr „Heymat“-Projekt an der Humboldt-Universität Berlin:

„Während internationale Konfliktereignisse wie der 11. September, der Afghanistan-Konflikt, der Irak- oder der Libanon-Krieg, samt der täglichen Berichterstattung über Terroranschläge islamistischer Fanatiker, die außenpolitische Ebene dominieren, findet auf der nationalen Ebene eine schleichende gesellschaftliche Vergiftung statt. Begriffe wie Parallelgesellschaft, Home-Grown-Terrorism, Hassprediger, Zwangsehe und Ehrenmord überlagern die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft zum Thema Islam und führen zu ansteigender Islamophobie und anti-muslimischem Rassismus.“

Sorge vor jihadistischer Gewalt hört sich irgendwie anders an.

In einer 2011 erschienenen Festschrift für Bassam Tibi schreibt die Autorin:

„Zu der Angst vor einem ‚Zivilisationsfeind‘ Islam gesellt sich die These der Bedrohung durch ‚Schurkenstaaten‘ wie z.B. Iran als Legitimation erneuter weltweiter Verteidigungs- und Aufrüstungsbereitschaft.“

Naika Foroutan Dissertation 2004

Foroutans Dissertation aus dem Jahr 2004 – Kulturdialoge zwischen dem Westen und der islamischen Welt. Eine Strategie zur Regulierung von Zivilisationskonflikten – deutet bereits an, in was für eine problematische Richtung ihre Forschung geht. Foroutan geht von der zentralen Bedeutung von „Kultur“ für die ganze Welt aus und schreibt angesichts des War on Terror, den sie ablehnt:

„Kulturdialog wird der regulative Grundsatz der post-bipolaren Weltordnung sein, trotz anachronistischer Überlebenskämpfe der neokonservativen Politik oder gerade deswegen.“

So beendet Foroutan ihre Arbeit und plädiert für den „Kulturdialog“, so als ob al-Qaida, die führende jihadistische Kraft im Jahr 2004, als die Studie beendet bzw. publiziert wurde, an einem solchen Dialog Interesse hätte. Und was für einen essentialistischen oder kulturrelativistischen Kulturbegriff hat die Autorin? Sie benutzt den schwammigen Begriff „Dialog“ nur dafür, auf alle Fälle eine militärische Antwort auf jihadistischen Massenmord zu verhindern. Für die Autorin sind Muslime und der Islam im Fokus des Westens und sie möchte keinen Krieg gegen den Jihad, sondern interzivilisatorischen Dialog, einen Dialog zwischen den Zivilisationen, vor allem der muslimischen mit dem Rest der Welt – als ob der Jihad oder Islamismus eine Kultur unter anderen sei und nicht der Feind jedes Dialogs, was vor allem für die Islamische Republik Iran gilt, die Foroutan wiederum besonders am Herzen liegt.

 

Tibis Schülerin verharmlost und rationalisiert die Terrorangriffe auf Amerika vom 11. September 2001 in vielerlei Hinsicht und sucht permanent Gründe für den „islamischen Fundamentalismus“. Dabei verwechselt sie auch Hass auf den Westen mit aufklärerischer Kritik aus dem Westen am Westen und schreibt:

„So argumentierten fundamentalistische Denker des Islam wie Seyyed Qutb oder Hassan al Turabi, sie wollten von der liberalen Regierungsform, wie sie der Westen propagiert abweichen. Sie sahen die liberale Regierungsform des Westens als gescheitert an, da sich nach Ihrer Ansicht die moderne westliche Gesellschaft offensichtlich in einer Krise befindet. Hier finden sich Parallelen zu Ideen der französischen Existentialisten, ebenso wie zu Vorstellungen deutscher Philosophen, wie Horkheimer oder Heidegger.“

Die Nachwuchsforscherin setzt islamistische, antisemitische Vordenker des weltweiten Jihad wie Sayyid Qutb und Nazis wie Martin Heidegger mit einem Dialektiker und kritischen Theoretiker wie Max Horkheimer gleich. Das ist an Perfidie schwer zu überbieten: Nur zufällig – weil er rechtzeitig fliehen konnte – überlebte der Jude Horkheimer den Holocaust. Man merkt auch wie wenig wissenschaftliche Ahnung sie von der Kritischen Theorie hat, die den Westen und die Aufklärung in der Kritik verteidigte, während Heidegger oder Qutb antiwestliche Hetzer waren.

 

Es kommt noch heftiger. Foroutan rechtfertigt den Antizionismus der arabischen Welt und fantasiert in ihrer Dissertation von einer „jüdischen Lobby“, die die USA dazu gebracht habe, im September 2001, vor 9/11, die so genannte UN-Antirassismuskonferenz im südafrikanischen Durban zu boykottieren. Foroutan schreibt in ihrer Doktorarbeit:

„Hier drängt sich für die islamische Welt, die in der Palästinafrage sehr sensibilisiert ist, die Frage auf, welche Macht die jüdische Lobby in den USA tatsächlich hat, wenn sie die Supermacht dazu bringen kann, eine Teilnahme an einer UN-Konferenz abzusagen, weil Israel dort kritisiert werden sollte.“

Wer von der „jüdischen Lobby“ und der imaginierten Macht der Juden daher redet, bedient eine typisch antisemitische Denkfigur. „Der“ Jude stecke hinter Amerika, wie es schon die Nazi-Propaganda sah, man denke nur an Johann von Leers Hetzschrift „Kräfte hinter Roosevelt“ von 1940. Für Naika Foroutan scheint es denkunmöglich, dass sich Politiker aus eigenen Stücken gegen antirassistisch verkleideten Antisemitismus wie auf der Durban-Konferenz wenden. Es muss schon die „jüdische Lobby“ dahinter stehen. Foroutan versteckt sich dabei hinter dem Ausdruck „islamische Welt“, womit sie wiederum essentialistisch die gesamte islamische Welt als pro-palästinensisch, antiamerikanisch und antiisraelisch präsentiert. „Die“ islamische Welt würde von der „jüdischen Lobby“ schwadronieren. Damit homogenisiert sie gerade „die“ islamische Welt, eine Homogenisierung, die sie sonst liebend gern den Islamismuskritikern unterstellt.

Johann von Leers gegen die „jüdische Lobby“, 1940

 

Kein Wunder, dass Foroutan den Massenmord von 9/11 rationalisiert – wohlgemerkt, so steht es nicht etwa auf einem Blog, sondern in der von Bassam Tibi angenommenen und mit einem überschwänglichen Vorwort gewürdigten Dissertation von Foroutan:

„Noch schmerzlicher mussten die USA diese Erfahrung jedoch am 11. September 2001 machen, als die Terrorakte der islamischen Fundamentalisten das Land heimsuchten. Nicht nur in der islamischen Welt wurde dabei eine direkte Verbindung zu der Erniedrigung der Palästinenser durch den Staatsterror Scharons in Israel hergestellt, auch in Europa und den USA wurde ein solcher Zusammenhang erkannt.“

Sie bezieht sich in ihrer Studie mehrfach auf Muhammad Khatami, den zum Zeitpunkt ihrer Dissertation amtierenden iranischen Präsidenten:

„Auch Kofi Annan und der iranische Staatspräsident Mohammad Chatami gelten auf internationaler Ebene als Wortführer des Dialogs zwischen den Zivilisationen. Der Begriff Kulturdialog bleibt in diesen Werken immer ein moralischer, normativer Begriff, was mit dem folgenden Zitat Chatamis verdeutlich wird.“

Diese Lobhudelei eines Islamisten wie Khatami gereicht zum Doktortitel einer deutschen Universität. Sie erwähnt den Antisemitismus Khatamis nicht. Unter seiner Präsidentschaft gewährte Teheran „nicht nur [Jürgen, d.V.] Graf Asyl, sondern auch Wolfgang Frölick [Fröhlich, d.V.], einem österreichischen Ingenieur, der vor Gericht unter Eid aussagte, dass Zyklon-B nicht zum Töten von Menschen benutzt werden konnte“, wie der Islamforscher George Michael in der Fachzeitschrift Middle East Quarterly 2007 schrieb.

 

Für Naika Foroutan ein gutes Beispiel für den „Kulturdialog“ von Islam und dem Westen? Antizionistischer Antisemitismus bei Khatami im Jahr 2000

Im Dezember 2000 nannte Khatami Israel einen zu beseitigenden „krebshaften Tumor“, und am 24. Oktober 2000 hatte Khatami im iranischen Staatsfernsehen erklärt, die islamische Welt solle sich auf eine harte Konfrontation mit dem „zionistischen Regime“ einstellen. 2011 spricht Foroutan nicht etwa vom Jihad und der Gefahr des Islamismus für Juden oder den Westen, nein, die Muslime seien die armen Opfer einer „zivilisatorischen Abgrenzungsrhetorik“.

 

Foroutans Doktorarbeit wurde prämiert, was als Resultat einer politischen Kultur des Antiamerikanismus und Antizionismus sowie einer Abwehr von Kritik am Islamismus nach 9/11 nicht verwundert:

„02/2006 Preisträgerin des Friedrich-Christoph-Dahlmann-Preises 2006, verliehen von der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg-August-Universität-Göttingen für die beste Dissertation 2005. 11/2005 Preisträgerin des Forschungspreises 2005 für Auswärtige Kulturpolitik der Alexander Rave Stiftung, verliehen vom Institut für Auslandbeziehungen ifa.“

 

Sie derealisiert jeglichen Aufruf zum Mord an den ‚Ungläubigen‘ von Seiten des Iran, der Islamisten und Jihadisten, wenn sie 2011 schreibt:

„Im Westen gilt die viel verbreitete Meinung, dass der Krieg der Islamisten gegen die Werte der westlichen Welt gerichtet sei, sprich gegen Pluralismus, Demokratie, Freiheit und offene Gesellschaften. In der islamischen Welt ist man vielfach der Überzeugung, der Terror richte sich gegen Fremdherrschaft, Korruption, versteckte Kriegstreiberei, Unterstützung diktatorischer Regime, Ausbeutung der islamischen Länder aus machtpolitischen und energiepolitischen Motiven und zer­fallende moralische Strukturen – daher distanzieren sich viele Muslime auch nicht so eindeutig von den Terroranschlägen.“

Damit rechtfertigt die Forscherin die klammheimliche und auch offene Schadenfreude zahlreicher Muslime über 9/11. Die Liebe zum Islam und zum Tod, die Mohammed Atta und seine jihadistischen Freunde motivierte, schockiert Foroutan anscheinend nicht. Sie rationalisiert den Islamismus und den Jihadismus, das heißt: Sie sucht rationale Gründe für das irrationale Morden. Sie möchte verstehen, wo nichts zu verstehen ist. Gegen welche „Fremdherrschaft“ richteten sich die Jihadisten in Paris im Januar 2015, die die Redaktion von Charlie Hebdo massakrierten und Juden in einem jüdischen Supermarkt ermordeten?

Hauptsache schwarzrotgold

Die deutsch-israelische Homepage aus Anlass von 50 Jahren deutsch-israelische diplomatische Beziehungen. Der Kern scheint zu sein, möglichst viele deutsche Fahnen unterzubringen und den deutschen Nationalismus als „koscher“ zu präsentieren.

 

Für ihre den Jihad trivialisierenden, entwirklichenden, als Phänomen sui generis leugnenden und den antizionistischen Antisemitismus fördernden Einsatz wird Foroutan nun (im September 2014) auf der Homepage der Israelischen Botschaft in der Bundesrepublik, dem israelischen Außenministerium, der Deutschen Botschaft Tel Aviv, dem Auswärtigen Amt und dem Goethe Institut anlässlich des 50. Jahrestages des Beginns der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen publiziert. Dort ist sie ganz euphorisch ob des (anscheinend) extrem hohen Anteils der Kleinkinder unter sechs Jahren in Frankfurt am Main mit einem migrantischen Familienhintergrund. Sie fordert einen neuen deutschen Nationalismus („Der lange Weg zum neuen deutschen Wir“), der gerade auf den migrantischen Anteil setzt. Sie ist auf ihr Herkunftsland Iran so stolz wie auf Deutschland; Amerika und Israel mag sie dagegen gar nicht, zumindest nicht, solange sie den Jihad bekämpfen (George W. Bush, Ariel Scharon).

 

Mit ihrem Hype um Fußball und das WM-Jahr 2006 macht sich Naika Foroutan gerade gemein mit dem deutschen rassistischen Mainstream, somit hat sie geholfen PEGIDA Mainstream werden zu lassen mit ihren schwarzrotgoldenen Fahnenmeeren, die direkt vom Sommer 2006, den Foroutan so liebt, herrühren. Nicht der Hauch einer Analyse oder Kritik am sekundären Antisemitismus, der mit deutschem Nationalismus immer einhergeht. Foroutan bejaht das nationale Apriori des Sommers 2006, ganz ähnlich wie Matthias Matussek, der Schriftsteller Georg Klein oder fast alle andere Deutschen.

 

Hauptsache nationalistisch und schwarz-rot-gold

Der Kern von Naika Foroutans Ideologie jedoch ist die Abwehr der Islam- und Islamismuskritik, ihr Verhöhnen der Opfer des 11. September 2001 und ihr Ressentiment gegen Ariel Scharon und die israelische Abwehr des Judenhasses. Auch hier, beim Antiamerikanismus und Israelhass, hat Naika Foroutan bei PEGIDA viele Gesinnungsgenossen. Foroutans Rede von der „jüdischen Lobby“ schließlich zeigt, wie verbreitet Antisemitismus im deutschen Mainstream an den Universitäten ist. Er wird einfach goutiert.

 

Das sind wahrlich gute Gründe für die Israelische Botschaft in Deutschland sowie das Auswärtige Amt Naika Foroutan als gelungenes Beispiel für Integration zu nehmen und ihr im 50. Jahr der deutsch-israelischen Beziehungen eine Plattform zu bieten.

 

 

 

Der Verfasser promovierte 2006 an der Universität Innsbruck mit einer Arbeit unter dem Titel „Ein völkischer Beobachter in der BRD. Die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme am Beispiel Henning Eichberg.“ (Gutachter: Prof. Dr. Anton Pelinka, Prof. Dr. Andrei S. Markovits.)

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