Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Ukraine

Linker russischer Putinkritiker Nikolai Platoschkin wendet sich gegen den Krieg, gegen die Nazis in der Ukraine, gegen Antisemitismus und die Sanktionen gegen Russland

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. März 2022

Eine weitere Leserin meiner Seite wies mich vorhin auf dieses höchst aufschlussreiche Video des sehr beliebten linken russischen Diplomaten, Wissenschaftlers und Politikers Nikolai Platoschkin hin. Platoschkin wurde 2021 zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt, weil er den russischen Staat verunglimpft und zu Massenprotesten aufgerufen habe. Zuvor war er fast ein Jahr lang mit seinen beiden Mitbewohner*innen, seiner Frau und seiner Katze und 5000 Büchern unter Hausarrest gestellt worden. Er geht in Berufung.

Platoschkin war von Ende der 1980er Jahre bis Anfang der 2000er Jahre Diplomat, unter anderem in Deutschland. Er spricht fließend deutsch und ist Autor von 18 Büchern. Sein russischer YouTube Kanal hat 715.000 Abonnent*innen.

In seinem 20-minütigen Video in deutscher Sprache erläutert Platoschkin, dass er wie viele Russen eng mit der Ukraine verbunden ist, verwandtschaftlich, freundschaftlich, über Bekannte. Er will dass der Krieg beendet wird. Doch der Krieg im Donbas hat 14.000 Tote gefordert, seit 2014, und dieser Krieg scherte die Europäer überhaupt nicht! Es ging ja auch gegen die 90 Prozent Russen, die dort leben.

Er betont aber auch die Erinnerungsabwehr an den Holocaust und den Nazi-Terror in der Ukraine, wo jetzt Straßen nach Judenschlächtern benannt werden, und damit meint er nicht nur Stepan Bandera.

Über seine politischen Positionen gegen Putin und für eine linke, sozialistische Stimme in Russland, haben 2021 verschiedene Medien berichtet.

Für Amnesty International sind die Vorwürfe gegen Platoschkin „haltlos und politisch motiviert“. Auf dem Portal der Organisation erklärt Natalia Zviagina, Chefin des Moskauer Amnesty-Büros: „Das Urteil gegen Platoschkin ist ein weiterer Nagel im Sarg der Rede- und Versammlungsfreiheit in Russland.“

Staatsanwaltschaft und Gericht hätten Kritik an der Regierungspolitik mit Anstachelung zu Aufruhr und Verbrechen gleichgesetzt. Vor der Parlamentswahl im September gebe es immer härtere Repressalien gegen Andersdenkende. Das Regime sperre Kri­ti­ke­r*in­nen aus dem ganzen politischen Spektrum ein und mache sie mundtot.

Werden die Berliner Zeitung oder die taz auch jetzt von seinem Video, das explizit an ein deutsches Publikum sich richtet, von seiner Distanz zu Putin und seiner Distanz zur pro-ukrainischen Agitation, von seiner Kritik an der Erinnerungsabwehr an die Nazi-Verbrechen und den Holocaust in der Ukraine und seiner Kritik an den anti-russischen Sanktionen, die gerade Menschen wie ihn treffen, berichten?

Das wäre mal eine Stimme, die im Gegensatz zu allen deutschen Talkmastern (w/m/d) auch eine differenzierte Ahnung von den russischen Gegebenheiten hat, eine Stimme zudem, die von Mut und Kritik zeugt, zwei Eigenschaften, die man in Deutschland, dem Land der großen Volksgemeinschaft gegen Corona und jetzt gegen Russland, nicht kennt.

Also: Schaut euch dieses Video von Nikolai Platoschkin an, es lohnt sich.

Warum lieben die Deutschen die Bundeswehr, die Ukrainer und vor allem den Frieden so sehr wie kein anderes Land? Liegt es an „dem“ Russen?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. März 2022

Es gibt kein Volk auf Erden, das so sehr den Frieden liebt wie die Deutschen. Das sehen wir dieses Wochenende wieder an den Demonstrationen „für die Ukraine“, doch das sahen wir auch im ganzen zwanzigsten Jahrhundert. 1914, 1933/39 und dann 1989 wollten die Deutschen doch immer nur Frieden und Freiheit, es hat zwar nicht immer optimal geklappt, aber der Wille war da und schließlich gibt es doch nur einen Autor, der gar einen „Weltfrieden“ vordachte: Klar, Immanuel Kant.

Aber mal im Ernst: Das Beste wäre, der Ukraine-Krieg endet noch heute. Der Krieg Putins ist völkerrechtswidrig, er ist ein Angriffskrieg und durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht durch klar belegbaren Nazi-Tendenzen in der ganzen ukrainischen Gesellschaft. Auch nicht dadurch, dass die NATO z.B. 1999 auch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zusammen mit Gerhard Schröder, Joschka Fischer und den Deutschen gegen Serbien durchführte mit Tausenden Toten, auch in Belgrad.

Die Ukraine wird ’neutral‘, verzichtet auf NATO- und EU-Mitgliedschaft, beendet die Kooperation mit Neo-Nazi-Mitgliedern in Bataillonen und Regimentern (Azow) sowie Regierungsbänken aller Art, erklärt (wenigstens formal), dass sie die Holocaust-Kollaboration ihres Nationalhelden Stepan Bandera, nach dem Plätze, Straßen, Briefmarken, ja ganze Jahre benannt wurden und werden, schrecklich findet und sich einen neuen Nationalhelden sucht.

Die Falken in den USA drehen komplett hohl und ziehen das ganze Land mit. Der Dollar könnte als weltweite Leitwährung abdanken, wenn der Handel mit Russland komplett ausgesetzt wird. Es wird ganz neue Bündnisse geben, Russland-China-Indien, riesige Märkte. Das wird nicht gerade ökologisch zugehen und wenigstens Russland und China sind keine Demokratie-Champions, um das vorsichtig zu formulieren. Dabei wollten die USA die Ukraine noch nie Europa zuführen, das „Fuck the EU“ in einem Telefonat der führenden US-Außenministeriumsmitarbeiterin Nuland im Gespräch mit dem US-Botschafter in der Ukraine 2014 zeigte nicht nur wie unglaublich offensiv und aggressiv die USA versuchten, die neue antirussische Regierung in Kiew zu bestimmen, sondern es zeigte eben auch, wie die USA Europa verabscheuen. Da geht es in der Tat um kapitalistische Einflusssphären, Kämpfe innerhalb der Bestie.

Das Öl-Embargo gegen russisches Öl von Seiten der USA und die Panik an den Öl-Börsen sorgt für die aktuell höchsten Spritpreise weltweit. Das ist hinterhältig, weil ja alle denken, das liege am Krieg Russlands. Doch daran liegt es nicht primär. Würde Russland seine Öllieferungen nach Europa einstellen, dann gäbe es hier mal so ne richtige Krise. Doch entgegen dem Westen sanktioniert Russland bislang kaum, Öl und Gas werden weiter täglich in den vertraglich vereinbarten Mengen und Preisen geliefert.

Glauben McDonald’s und alle möglichen amerikanischen und europäischen Firmen tatsächlich, dass es die Opposition in Russland stärkt, wenn sie ihren Betrieb in Russland einstellen und auf nie dagewesene Weise ein ganzes Land vom westlichen Weltmarkt abkoppeln wollen? Merkt jemand, was für ein Wahnwitz das ist, wie irrational, sinnlos und brutal? Gerade jene, die gegen Putin sind und gerne zu McDonald’s gehen werden jetzt doch eher denken, wie absurd der Westen hier überdreht und gar nicht versucht, diplomatisch die Krise zu beenden, sondern das ganze Land – ganz Russland! – soll „ruiniert“ werden. Eine seriöse Reaktion wäre es, weder Waffen an die Ukraine zu liefern, noch die Beziehungen zu Russland vollständig abzubrechen und jeden einzelnen Russen (m/w/d) als regelrechten Feind der Menschheit zu definieren, sondern weltoffen und zart zu bleiben. Nur: der Westen war nie weltoffen und zart!

Die mediale Hetze gegen alles Russische hat unglaubliche Formen genommen, man kann das gar nicht glauben – doch dann besinnt man sich und merkt, dass es in Deutschland außer Israel und Juden noch einen zweiten Hauptfeind gibt: die Russen. Die Rede von Schröder, Scharping, Fischer und jetzt von Scholz, dass 1999 Auschwitz oder ein Genozid im Kosovo hätte verhindert werden müssen, war eine widerwärtige Lüge, auch Putins Rede von einem Genozid im Donbas ist eine Lüge. Doch während Putin von der ganzen Welt gehasst wird, wird Scholz verehrt und darf seinem Militarismus und somit Deutsch-Nationalismus frönen wie kein Kanzler (m/w/d) vor ihm.

Im US-Fernsehsender MSNBC sagte jetzt der ehemalige US-Botschafter in Russland und Professor an der Stanford Universität Michael McFaul in Bezugnahme auf einen Kommentar im ukrainischen Fernsehen, dass doch Hitler im Gegensatz zu Putin nicht die eigenen Leute getötet habe, Hitler habe „keine deutsch sprechenden“ Menschen bzw. „ethnischen Deutschen“ ermordet. Diese Holocaustleugnung an den deutschen Juden, diese Leugnung des Mordes an Linken, Gewerkschaftern, Behinderten, Sinti und Roma, Konservativen und vielen anderen, kam live im TV in der Rachel Maddow Show. Es gab einen Aufschrei und der Clip wurde aus der Mediathek gelöscht – aber er wurde gesendet und das spricht doch Bände für den Holocaust verharmlosenden, antisemitischen und antikommunistischen Wahn, den viele in den USA und im Westen aktuell verspüren!

Es reicht nicht, einen schrecklichen Krieg abzulehnen, nein: es muss zwingend Hitler ins Spiel kommen. Das zeigt nicht nur das unterirdische historische Wissen (hier in den USA), sondern vor allem die psychische Notwendigkeit, sich selbst als das absolut Gute darzustellen, Putin als das absolut Böse und das immer am allerbesten, indem man den Holocaust verharmlost. Mission accomplished!!

Interessant ist, dass der oberste außenpolitische Sprecher der Europäischen Union jetzt zugibt, dass es ein historischer Fehler war, der Ukraine eine mögliche NATO Mitgliedschaft schmackhaft zu machen, da dies nicht geschehen werde. Sehen wir das als Beschwichtigung der EU oder nur als weiteren perfiden Schachzug, weil es mal wieder nicht ernst gemeint ist? Hoffen wir mal, der Mann meint es ernst.

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, der auf seine alten Tage (89 Jahre alt) geradezu liberale Züge zu entwickeln scheint, hat wie schon bei Corona auch jetzt eine sehr reflektierte und de-eskalierende Meinung. So wie Schily sich vehement gegen die Impfpflicht ausspricht, so plädiert er jetzt in der WELT für ein Schweizer Modell für die Ukraine: verschiedene Landesteile, starker Gegensatz von Ost und West, unterschiedliche Sprachen und Kulturen, aber ein zusammenhängendes Staatsgefüge. Ob mit oder ohne Krim sollte dann auch verhandelt werden.

Es gab es seit dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr, dass in Deutschland – und diesmal sogar auf der ganzen Welt außer in Asien und Afrika, also nur im reichen und besonders fanatischen Teil der Welt: Europa und Nordamerika – eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen zum Abschuss freigegeben wird: Russen. Alle Russen werden verdächtigt, Pro-Putin, also Pro-Krieg zu sein. Dass es sogar ehemals Putinanhänger*innen geben mag, die gegen den Krieg sind, weil der Russland beschädigt, ist denkunmöglich, solange diese Menschen nicht öffentlich (!) Abbitte leisten. Das Verhalten der Bundesregierung und der ganzen Gesellschaft gleicht einem mittelalterlichen Ablasshandel – wer sich von Putin distanziert, obwohl er oder sie russisch ist, hat evtl. noch eine Chance, Teil der Menschheit zu bleiben. Für alle anderen gilt laut Facebook:

Mordaufrufe sind OK, solange sie gegen Putin oder Russen adressiert sind und von Leuten kommen, die das a-soziale Medium Facebook in den baltischen Staaten, Ungarn und einigen anderen namentlich genannten Staaten verwenden. Vor wenigen Jahren sprach die ARD noch von der Nato als Kriegstreiber in der Ukraine … Ein aktueller Text auf Telepolis betont unter Bezugnahme auf mehrere Bundeswehr-Vertreter, einen Oberst a.D. und andere, dass die NATO eine sehr große Verantwortung hat für diesen Krieg, sie hat aggressiv und antirussisch agiert und das seit vielen Jahren. Die politikwissenschaftliche Schule des „Realismus“, die sogar Pro-USA und Pro-NATO ist, hat sich seit den 1990er Jahren scharf gegen jede NATO-Osterweiterung ausgesprochen – aber sie wurden nicht gehört, der Fanatismus im Weißen Haus wie in Europa war und ist grenzenlos.

Wie der Spectator schreibt, sind jetzt Todesdrohungen gegenüber Russen auf Facebook wieder erlaubt, solange man in angrenzenden Ländern wie dem Baltikum, Ungarn, Ukraine etc. lebt. Explizite Todesdrohungen sind keine Hassrede mehr für Facebook, weil es ja nachvollziehbar scheint und gegen Russen geht. Kein Witz!

Selbst linke und vorgeblich ansonsten antimilitaristische Ukrainer werben jetzt für mehr Waffen für die Ukraine. Dabei betont der Interviewpartner der linken Zeitung Analyse und Kritik, dass es angeblich 2014 mehr Nazis in der Ukraine gegeben habe als heute, ohne das zu spezifizieren. Aufmärsche von Hunderten bewaffneten Kämpfern des rechtsextremen Azow-Bataillons in den letzten Jahren allein in Mariupol machen doch skeptisch, wie ungefährlich Neonazis aktuell in der Ukraine sind. Das heißt übrigens überhaupt nicht, dass nicht auch bei den pro-russischen Aktivist*innen Rechtsextreme oder/und Dugin-Anhänger*innen aktiv sind. Wir werden unten sehen, wie wichtig es hingegen ist, die längeren politisch-kulturellen Entwicklungen zu betrachten, hier bezüglich von Erinnerungspolitik und Neonazismus in der Ukraine.

Es darf offenbar in der Bundesrepublik Deutschland nur noch eine Meinung geben, die Reihen fest geschlossen, die Volksgemeinschaft geeint. Zuerst gab es Corona, wo jede, wirklich jede substantiell abweichende Meinung diffamiert und die Kritiker*innen zum Abschuss freigegeben wurden, jetzt ist es der Ukraine-Krieg Russlands, der die Deutschen wieder zu einem Kumpen Blei zusammen geschrumpft, mit nur einem Ziel: „Russland ruinieren“.

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Der Diplomatie-Historiker, Publizist und Buchautor Ted Galen Carpenter, Jahrgang 1947, Senior Fellow am Cato Institut, verurteilt den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine, aber er stellt klar, dass es eine unerträgliche Heuchelei ist, wenn Amerika und der Westen so tun, als ob imperialistische und völkerrechtswidrige Kriege seit 1945 Tabu gewesen wären. Es ist eine Lüge, wie Carpenter betont.

Er führt die völkerrechtswidrigen Kriege und Angriffe der NATO in Ex-Jugoslawien 1995, gegen Serbien 1999, in Afghanistan und dem Irak nach 9/11, in Libyen 2011 an. Genauso völkerrechtswidrig die aktuell Putin und Russland agieren, agierte die NATO in den letzten Jahrzehnten auch.

Eine deutsche Frau, deren Großvater nach ihrer eigenen Erzählung im April 1945 mit der Nazi-Wehrmacht gegen die Rote Armee kämpfte und somit vermutlich Russen tötete und Hitler zum Sieg verhelfen wollte, spricht Bände, wenn sie wiederum Russland „ruinieren“ möchte.

Verschiedene psychologische Reaktionsweisen kann man hier analysieren. Handelt es sich bei Baerbock um einen „Wiederholungszwang“? Oder um eine „Projektion“?

In einem aktuellen Text auf den NachDenkSeiten (NDS), die ich ja schon oft und mit triftigen Gründen kritisiert habe, der viel vulgärmarxistische Phrasen drischt, aber auch etwas Freud anwendet und insofern durchaus Nachdenkenswertes andenkt, steht:

Wenn ich sehe, wie mit Schaum vor dem Mund Russland und sein Präsident verbal immer weiter in die Nähe von Hitlerdeutschland geredet werden, dann ist das meines Erachtens nichts anderes als eine Projektion, um die Verdrängung der eigenen Geschichte nicht wahrnehmen zu müssen! Man leugnet etwas bei sich selbst und unterstellt es dem Gegenüber. Das entlastet.

Der Text verkennt zwar die Bedeutung Hitlers für den Nationalsozialismus, ja lehnt den Begriff „Nationalsozialismus“ in typisch vulgär-marxistischer Weise ab und macht auch Max Horkheimer keinen Gefallen, indem er mit seinem verkürzten Zitat über die enge Beziehung von Kapitalismus und Faschismus herum wedelt, hat aber doch den einen oder anderen interessanten Gedanken:

Projektion ist nicht die einzige mögliche Reaktion auf die Abspaltung und Verdrängung der deutschen Geschichte. Ein anderer psychischer Mechanismus ist der Wiederholungszwang: Alles, was nicht integriert wurde, wird so lange wiederholt, bis es bewusst begriffen und integriert worden ist. So wundert es nicht, dass seit Corona der Totalitarismus in neuem Gewande aufersteht und Deutschland dabei den Scharfmacher in Europa gibt. Im Zuge dessen ähnelt die deutsche Gesellschaft immer mehr dem, was sie Russland vorwirft: Untertanengeist und Blockwartmentalität blühen, der Meinungskorridor verengt sich zunehmend, alternative Medien werden diffamiert oder verboten und die Ideologie einzelner Interessenvertreter bestimmen in offenbarungsreligiöser Weise die öffentliche Meinung, wogegen der rationale Diskurs der Meinungsvielfalt weitgehend unterdrückt wird. Die Gesellschaft wird holzschnittartig in Gut und Böse unterteilt und die Politik wird immer undemokratischer. Das Land wurde in den letzten Jahre hauptsächlich von einer Einzelperson dominiert, die ähnlich lange an der Macht war wie Wladimir Putin, und niemand kann garantieren, dass es unter Olaf Scholz anders wird.

Der Journalist Peter Nowak hat 2018 die Ukraine-Russland Krise und die deutsche Haltung am Beispiel eines typischen deutschen Politikers kritisiert:

Über eine grassierende Geschichtsvergessenheit bei der Debatte über Russland in Deutschland

„Jetzt reicht es aber. Verlassen Sie den Donbaz“, herrschte der CDU-Politiker Elmar Brok seinen Diskussionspartner Dmitri Tultschinski an. Der ehemalige Leiter des russischen Senders Rossiya Sevodnya in Berlin sollte mit Brok und der Direktorin des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien, Gwendolyn Sasse, im Deutschlandradio die Frage „Steht Putins Russland zu Recht am Pranger?“ diskutieren.

Am Pranger stand aber schnell der „Putinversteher“ Tultschinski, dem zwei Diskussionspartner gegenüberstanden, die den sogenannten Westen vertraten, die in Russland die Gefahr sehen, die gestoppt werden muss. Dass Brok da manchmal eher wie ein General wirkte, der gegen die Russen den Krieg doch noch gewinnen will, war eine besonders unangenehme Begleiterscheinung. Die wird aber kaum noch diskutiert. Die deutschen Verbrechen an Bürgern der Sowjetunion und Russlands werden heute nicht mehr erwähnt.

Ganz offenkundig baut der aktuelle Russenhass auf eine sehr lange und tiefe Tradition in Deutschland auf. Während Russland in den letzten 200 Jahren nicht einmal Deutschland angegriffen hat, aber teils sehr positive intensive Beziehungen pflegte, haben die Deutschen Russland allein im 20. Jahrhundert zweimal angegriffen und im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Sowjets getötet.

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Wie willkürlich die deutsche Politik ist, zeigen die aktuellen Demonstrationen gegen Russland bzw. für die Ukraine. Da dürfen Zehntausende auch ohne Abstand und Maske herumlaufen, während schon ein paar Spaziergänger*innen an einem Montag die Bullen zum Glühen bringen. Dass Russland keine freie Meinungsäußerung zulässt, ist schrecklich, wir kennen das antiliberale, antidemokratische Regime in Moskau. Doch wer spricht vom seit acht Jahren dauernden Krieg im Donbas und den Gewalttaten der ukrainischen Regierung und den mit ihr verbundenen Milizen?

Wer spricht von der antirussischen politischen Kultur und Politik in der Ukraine seit dem gewaltsamen Sturz der Regierung 2014, die vom CIA ganz offen unterstützt wurde? Schließlich jedoch ergänzen sich Putin und zumal die Deutschen wieder in ihrer unfassbaren Panik vor Corona. Wer spricht von der objektiven Gefahr der NATO-Osterweiterung für Russland? Wo bleibt eine emanzipatorische Kritik am Antidemokraten, Nationalisten und Großmachtträume hegenden Putin und die Kritik an der nationalistischen, antisemitischen, neo-nazistischen Gegenwart in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit 1991?

Es marschieren in der Ukraine seit Jahren Neo-Nazis auf, wie z.B. in der jetzt heftig umkämpften Stadt Mariupol die Azow-Brigaden bzw. das Azow-Regimente, das regulärer Teil der ukrainischen Armee ist. Da sind viele Neonazis mit dabei, die mit Hakenkreuzfahnen für sich werben, gegen Roma oder Russen Pogrome veranstalten und auch brutal antiliberal, antifeministisch und patriarchal auftreten. Wo bleibt da die Kritik unserer ach-so-westlich-weltoffenen Medien? Wie sieht es mit der nationalistischen Sprachpolitik, die sich gegen das weit verbreitete Russisch wendet, in der Ukraine aus?

Wie sieht es mit dem Antifeminismus in Russland aus, wo eine aggressive Kampagne für mehr Kinder von Putin seit Jahren läuft und die Unabhängigkeit von Frauen torpediert wird? Wo sind die Berichte über die täglichen Angriffe auf die russische Bevölkerung im Donbass seit 2014, und zwar militärische wie politische und sozialpolitische Angriffe – Menschen bekommen nur Sozialleistungen auf ukrainischem Gebiet, jenseits des Donbas, und da hinzukommen ist ein Spießrutenlauf, da rechtsextreme Banden wie die Azow-Brigaden diese Gegend kontrollieren, siehe auch Mariupol.

Wie sieht es mit der Meinungsfreiheit in Kiew aussieht, sagen wir für russische Anti-Putin Leute, die sowohl gegen den Krieg als auch gegen Selenskyi und seine Unterstützung von Neo-Nazis sind? Doch wie schon bei Corona und der Impfpflicht werden in den Massenmedien kaum kritische Stimmen vernommen, Zeitungen wie Die Welt bringen zwar dissidente Positionen, die aber kaum mehr als Alibicharakter haben und die extreme antirussische Hetze der Bild-Zeitung nicht verdecken können.

Es gibt viele wissenschaftliche Artikel zur Gedenkpolitik, zu Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Ukraine. Die Politikwissenschaftlerin und Slavistin Laura Schultz hat 2017 eine Aufsatz zur Kritik rechter Tendenzen in der Ukraine publiziert (S. 183-197).

Schultz geht gleich zu Beginn auf die typische Reaktion im Westen ein, wenn das Thema Rechtsextremismus auf den Tisch kommt. Da wird abgewiegelt, entwirklicht und geleugnet, was für eine tiefe politisch kulturelle Bedeutung der Rechtsruck hat und wie stark der Einfluss der Neonazis auf dem Maidan tatsächlich war. Eine Gruppe von anti-linken oder die Rechten verharmlosenden Forscher*innen hat auf der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung eine solche Warnung an linke Kritiker*innen der Nazis im Jahr 2014 publiziert, weil diese Kritik nur Putin Vorschub leisten würde. Exakt das erleben wir auch heute. 2014 hießt es:

Obwohl wir den rechten Aktivitäten auf dem Euromaidan kritisch gegenüberstehen, sind wir besorgt über eine unerfreuliche Erscheinung in zu vielen internationalen Medienberichten über die jüngsten Ereignisse in der Ukraine. In etlichen Reportagen und Kommentaren wird in der einen oder anderen Weise die Rolle, der Stellenwert und der Einfluss ukrainischer Rechtsradikaler in Kiew überbewertet bzw. fehlinterpretiert. Einigen Berichten zufolge wird die ukrainische proeuropäische Bewegung von ultranationalistischen Fanatikern unterwandert, getragen oder gar übernommen. Bestimmte Kommentare erwecken den irreführenden Eindruck, dass die ukrainischen Proteste von derartigen Kräften erzeugt wurden oder gesteuert werden.

Zwei der Unterzeichner sind die Historiker Andreas Umland und Timothy Snyder. Snyder ist ein typischer Vertreter der den Holocaust verharmlosenden Rot=Braun These. Sein zumal in Deutschland preisgekrönter Bestseller „Bloodlands“ ist eine Art Bibel für Rechtsextreme im Osteuropa und hat mit seriöser Holocaustforschung wenig zu tun. Ich habe mich ausführlich mit dieser Schrift beschäftigt, unter anderem in dem Kapitel „Ernst Nolte’s ‘grandson?’ – Timothy Snyder“ in meiner Studie „Antisemitism: A Specific Phenomenon“ von 2013 (S. 313-372).

2017 schrieb ich („Die Heinrich-Böll-Stiftung hat ein Antisemitismus-Problem“) über Snyder:

2013 bekam der Holocaustverharmloser Timothy Snyder, ein enger Freund Judts, ebenfalls den Arendt-Preis, den die Stiftung zusammen mit dem Senat der Hansestadt Bremen seit 1994 jährlich verleiht. Snyders Bestseller Bloodlands ist eines der ungeheuerlichsten antijüdischen Bücher überhaupt, er macht sich geradezu einen Spaß daraus, zu betonen, wie klein die Gruppe der deutschen Juden gewesen sei, die im Holocaust ermordet wurde. Snyder schrieb, dass die meisten deutschen Juden, die 1933 lebten, eines „natürlichen Todes“ gestorben seien – warum also die Aufregung wegen des 9. Novembers 1938, Bergen-Belsen, den Wäldern von Litauen, Babi Yar oder Auschwitz?

Snyder ging noch weiter und meinte, der Westen, vor allem Europa, hätte die westeuropäischen Juden, die nach Auschwitz deportiert und dort vergast wurden, deshalb erinnert, weil das die „bourgeoisen Juden“ gewesen seien (!). Die armen osteuropäischen Juden würden hingegen vergessen, was an Infamie schwerlich zu überbieten ist, denn wenn jemand die Juden als die Opfergruppe der Shoah vergisst und klein redet, dann ist es Timothy Snyder.

In seinem Buch Bloodlands fantasiert er von einem Territorium, das es als solches natürlich gar nicht gab, in dem 14,5 Millionen Menschen ermordet worden seien – von Stalin und dann von Hitler. Es geht für den Revisionisten Snyder mit Stalin und der Hungerkrise in der Ukraine 1932 los, Auschwitz ist für ihn viel später, kein Zivilisationsbruch und nur ein Puzzleteil im Morden der beiden Diktatoren, als die er Stalin und Hitler in dieser völlig veralteten Forschung, die der Great Man Theory des 19. Jahrhunderts anhängt, präsentiert.

Völlig konsistent mit dem linken Geschichtsrevisionismus war die Preisverleihung des Arendt-Preises an Joachim Gauck 1997, einem Vorläufer von Snyder.

In meiner Studie von 2013 zitierte ich auch einige andere scharfe Kritiker des Ansatzes von Timothy Snyder, wie den israelischen Holocausthistoriker Prof. Dan Michman, den Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München Dr. Jürgen Zarusky oder den deutsch-israelischen Historiker Prof. Dan Diner. Diner hat seine Position gegen Snyder zugespitzt formuliert. Für Snyder, der auf aggressive und unwissenschaftliche Weise Stalin und Hitler analogisiert und einen völlig abstrusen, fiktiven Raum mit dem Namen „Bloodlands“ bezeichnet, der grob zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer sowie zwischen Ostpolen und der Ukraine liegt, entwirklicht vollkommen das Nie-Dagewesene und Spezifische von Auschwitz und dem eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen. Der Holocaust hat für Snyder nur als Teil dieser irrationalen Konstruktion von „Bloodlands“ Bedeutung, und die beginnen nicht zufällig 1932 mit der ukrainischen Hungersnot, die überhaupt gar nicht mit der gezielten Vernichtung eines ganzen Volkes auch nur im Ansatz verglichen werden kann. Diner schreibt:

Es bleibt dabei: Die Leiden eines an Hunger zugrunde gehenden ukrainischen Kindes unterscheidet sich keinen Deut von dem eines jüdischen Kindes im Getto oder angesichts der Gaskammer. Indes galt es nicht, alle Ukrainer als Ukrainer und überall zu Tode zu bringen. Zudem war der von Stalin zu verantwortende, wenn nicht gar willentlich herbeigeführte Hungertod in der Ukraine und nicht nur in der Ukraine, vielmehr im gesamten sowjetischen Schwarzerdebereich ebenso wie im Nordkaukasus, nicht wesentlich ethnisch begründet, sondern zog all jene ins Verderben, die ebendort ansässig waren – in der Ukraine vornehmlich ethnische Ukrainer, aber auch dort lebende Polen, Juden und Angehörige anderer Nationalitäten. Für Juden als Juden war der ihnen von den Nazis vorbehaltene Tod gleichwohl regelhaft, Überleben allein dem Zufall geschuldet. Diese und andere an diesen fundamentalen Umstand gemahnende Unterscheidungen sind Timothy Snyder selbstverständlich geläufig. Er lässt sie auch ständig und immer wieder in seinem Buch zu Worte kommen. Gleichwohl sind sie eher von salvatorischer Bedeutung, will heißen: Sie sind für die von ihm konstruierte Erzählung eigentlich folgenlos.

Lara Schultz geht in ihrem Bericht auf jene Erklärung auf der Seite der Böll-Stiftung ein und schreibt:

Auf dem Maidan versammelte sich, darauf legten auch ukrainische Berichterstatter*innen großen Wert, ein Querschnitt der Bevölkerung. Das heißt natürlich: auch Nazis. Von Anfang an fehlte in der Protestbewegung eine Abgrenzung und Distanzierung von der extremen Rechten. Eine enge Kooperation mit Neonazis wurde so normalisiert, mit der Folge, dass Nazis anschließend in wichtige politische Ämter kamen und eigene Bataillone aufstellten, um im Osten des Landes zu kämpfen. Dies zu äußern, so wurde der Autorin und anderen Journalist*innen vorgeworfen, sei Wasser auf die Mühlen Putins, der sowieso die gesamte Ukraine als ‚faschistisch‘ diffamiere. Nur deshalb nicht über die ukrainische Rechte zu berichten, wie es im Februar 2014 in einem prominenten offenen Brief von Sozial- und Geisteswissenschaftler*innen gefordert wurde [hier der Link zu Seite der Böll-Stiftung, CH], wäre dennoch falsch: Don’t shoot the messenger! (S. 184)

Sie attackiert den Slavisten und Politologen Andreas Umland, der mit Snyder und Dutzenden anderen diesen die rechte Gefahr verharmlosenden Brief bei der den Grünen nahestehenden Böll-Stiftung publizierte, da Umland schon damals Putin mit Hitler verglich und „Parallelen zum Nationalsozialismus“ herbei fantasierte (S. 185). Sie kritisiert weitere pro-westliche einseitige Schuldzuweisungen, aber auch einseitige anti-westliche Vorwürfe wie an Jörg Kronauer, der 2014 ein Buch über die Ukraine und den deutschen Einfluss bei diesem „Expansionsprojekt des Westens“ extrapoliert. (Ebd.)

Sie erwähnt, dass die Ukraine in ihrer heutigen Gestalt als Staatsgebilde erst seit 1991 existiert (S. 188), im Gegensatz zu den baltischen Staaten. Ein Großteil der Bevölkerung spricht Russisch, erst seit 1991 gilt Ukrainisch als Amtssprache (S. 187f.). Sie geht auf die Spaltung der 1929 gegründeten „Organisation Ukrainischer Nationalisten (Orhanizacija ukrains’kich nacionalistiv, OUN)“ im Jahr 1940 ein, fortan gab es die OUN-M (für Melnyk) und OUN-B (für Stepan Bandera).

Schultz geht auf die Erinnerungs- und Gedenkpolitik in der heutigen (Stand 2017) Ukraine ein. Und das ist bezeichnend, was man dort vorfindet:

Auf dem zentralen Platz des Lycakivs’kyi Friedhofes in L’viv (Westukraine) stehen meterhohe weiße Kreuze, die, durch Jahreszahlen kenntlich gemacht, an die Opfer des Holodomor erinnern. Daneben findet sich ein Gedenkstein für die ukrainische Armee (inklusive der 14. Waffen-Grenadier-Division, also der SS-Division Galizien), daneben Gräber von nach dem Krieg verstorbenen Mitgliedern der OUN-UPA. (S. 191)

Wenn heute überall Stepan Bandera, die OUN und die Ukrainische Aufständige Armee (Ukrajins’ka Povstans’ka Armija, UPA) (S. 192) als Helden gefeiert werden, muss man wissen, wofür die OUN stand (S. 192f.):

Jaroslav Stec’ko, Vize der OUN-B, ließ in seiner autobiografischen Schrift von 1941 keinen Zweifel am eliminatorischen Antisemitismus der OUN:

‚Moskau und die Juden sind die größten Feinde der Ukraine. Als Hauptfeind betrachte ich Moskau, welches die Ukraine mit Gewalt in Unfreiheit gehalten hat, nicht weniger beurteile ich die Juden als ein schädliches und feindliches Schicksal, die Moskau helfen, die Ukraine zu verknechten. Daher beharre ich auf dem Standpunkt einer Vernichtung der Juden und der zweckdienlichen Einführung deutscher Methoden der Extermination der Juden in der Ukraine, ihre Assimilation ausschließend‘ (Berkhoff/Carynnyk 199: 162). [Das ist ein wissenschaftlicher Artikel aus den Harvard Ukrainian Studies von 1999, CH]

2013/14 wurde Bandera zu einem Schlüsselsymbol der Proteste auf dem Maidan. (…) Diese Wertschätzung [Banderas, CH ] wurde nun auch gesetzlich verankert: Mit dem Gesetz über die rechtliche Stellung und die ehrende Erinnerung an die Kämpfer für die Unabhängigkeit der Ukraine im zwanzigsten Jahrhundert, No. 314-VIII vom 9. April 2015 kann strafrechtlich belangt werden, wer Kritik an der wohlwollenden Einschätzung der OUN-UPA äußert. Kontroversen sind somit ausgeschlossen.

So wie überall in Europa, von Finnland über Schweden, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Holland, Ungarn, Österreich gibt es eben auch in der Ukraine extrem rechte Tendenzen, die immer mehr im Mainstream andocken. Sicher gibt es nicht überall so viele Neonazis in der Regierung wie in der Ukraine in den letzten Jahren (der Artikel ist wie gesagt von 2017). Aber die großen Linien der politischen Kultur sind klar: Es geht seit 1991 in der Ukraine um einen sehr starken Nationalmythos, um Nationalismus und eine Abwehr der Erinnerung an die Verbrechen Banderas und der OUN/UPA, die Tausende Juden und Zehntausende Polen ermordeten.

***

Was heißt das? Wir müssen der Diplomatie eine Chance geben, sie ist die einzige, die wir haben. Russland muss den Krieg beenden, aber das wird nur mit einem Kompromiss gehen, die Ukraine muss klare Zugeständnisse machen, primär eine Abkehr von einer NATO-Mitgliedschaft. Was würden die USA tun, wenn ein neues Militärbündnis in Mittelamerika, bestehend z.B. aus Mexiko, El Salvador und Nikaragua als neues Mitglied plötzlich Kanada einladen möchte und dort regelmäßig Kampfübungen mit Zehntausenden Soldaten unweit von Toronto abhalten würde? Diesen Gedanken hat der oben zitierte Diplomatiehistoriker, der Putins Krieg scharf verurteilt, ihn aber kontextualisiert:

One can readily imagine how Americans would react if Russia, China, India, or another peer competitor admitted countries from Central America and the Caribbean to a security alliance that it led—and then sought to add Canada as an official or de facto military ally. It is highly probable that the United States would have responded by going to war years ago. Yet even though Ukraine has an importance to Russia comparable to Canada’s importance to the United States, our leaders expected Moscow to respond passively to the growing encroachment.

They have been proven disastrously wrong, and thanks to their ineptitude, the world is now a far more dangerous place.

 

Wenn jetzt selbst in der Ukraine linke Gesellschaftskritiker mehr Waffen vom Westen fordern, aber nicht etwa – was viel naheliegender wäre – für einen Gebärstreik plädieren, dann zeigt sich, dass in Russland, wo der Protest gegen den Krieg offenbar schwach ist, aber auch mit Gefängnis bedroht wird, wie in der Ukraine vorwiegend junge Männer als Kanonenfutter in den Krieg geschickt werden. Es gibt keine patriarchalere Institution wie eine Armee, Befehl, Gehorsam, Männerbund und Gewalt, inklusive sexueller Gewalt auf allen Seiten, sind die schrecklichen Konsequenzen. Diese jetzt auch noch mit mehr Waffen für die Ukraine zu verlängern oder aber in Deutschland die Bundeswehr so stark aufzurüsten wie noch nie seit ihrem Bestehen, das zeigt, wie ähnlich sich die Politiker*innen weltweit doch sind.

Der Rechtsruck aber, die Liebe zu „Heimat“ und Nation, ‚Sommermärchen‘ 2006, die AfD, Pegida, die Liebe zum Eigenen und der Hass auf Andere ist seit Jahrzehnten auch in der Ukraine angekommen, nachdem sie 1991 als neuer Staat in seiner heutigen Form entstand. Die Stadt Dniproperovs’k hörte sich zu sowjetisch an und wurde im Mai 2015 umbenannt in Dnipro. (Schultz 2017, S. 194) So lief es ja auch mit Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), während Straßen und Plätze in der BRD weiter fröhlich nach Hindenburg, Bismarck oder Richard-Wagner benannt sind. Honni soit qui mal y pense.

Der geradezu idiosynkratische Hass auf alles Russische ist schockierend. Da scheint etwas ganz tief im deutschen Unbewussten angetriggert zu werden. Massenmorde in Ruanda und anderen Teilen Afrikas oder ganz aktuell im Yemen, das von den Saudis zerbombt wird und einen Stellvertreterkrieg mit dem Iran erlebt, all das interessiert so gut wie kein Schwein. Da geht es nicht um blonde Frauen, die Opfer eines Krieges werden, sondern um Nicht-Weiße. Vor allem aber ist da jeweils „der“ Russe nicht involviert. Nicht mal die Amerikaner und Trump hatten es geschafft, eine solche Ablehnung an allem Amerikanischen zu stiften und das will was heißen beim so ubiquitären Antiamerikanismus in diesem Land. Auch Israel hat es nicht geschafft, so uneingeschränkt und total abgelehnt zu werden wie aktuell Russland und alle Russen weltweit.

Dieser Russenhass muss sofort aufhören. Russen und die Sowjetunion haben Europa von den Deutschen und Nazis befreit. Und es ist eine unerträgliche Ironie der Geschichte, ein Wiederholungszwang offenbar, dass gerade das Land, dessen Nationalisten so eng mit den Nazis, der SS und der Wehrmacht kooperierten, die Ukraine, Bandera, die OUN und UPA heute Nationalhelden in der Ukraine sind und die Deutschen dieses Land unterstützen wie sie noch nie etwas unterstützt haben seit 1945.

Selbst ungeimpfte Ukrainer*innen dürfen ungetestet Zug fahren und werden dafür bejubel, auf Demos für die Ukraine gelten plötzlich keine Abstandsregeln mehr und keine Maskenpflicht. Es ist ja für eine gute Sache und diese Seuche Corona ist irgendwie doch nur dann besonders schlimm, wenn es um Demonstrationen von Kritiker*innen der verfassungsfeindlichen, irrationalen, unwissenschaftlichen und antidemokratischen Coronapolitik geht.

Aber während eine Kritik an Russland auf allen Ebenen erwünscht, ja eingefordert wird von der stramm geschlossenen Volksgemeinschaft der Friedensfreunde, die jetzt 100 Milliarden extra locker machen für die Zukunft der Friedens-Bundeswehr, die nur mit Konfetti und Broschüren mit Kants „Ewigem Frieden“ schießt, ist die so not-wendige Kritik am Nationalismus, an der Erinnerungsabwehr an die Shoah und die Beteiligung von Bandera, der OUN und UPA am Holocaust verpönt.

Seit Jahren wird der Kriegshaushalt in Deutschland erhöht und hat jetzt mit dem Wahnsinns-100-Milliarden-„Sondervermögen“ von Scholz den Gipfel dessen erreicht, was wir „autoritäre Demokratie“ nennen könnten, wie der Freitag in Analogie zum SPD-Verhalten bei den Kriegskrediten 1914 schreibt.

Dieser Autoritarismus, Nationalismus und eine politische Kultur der Stolzdeutschen sind ein längerer Prozess, der nicht erst mit 1989 begann, aber natürlich durch den Mauerfall unglaublichen Auftrieb erhielt. Hunderte Morde an Migrant*innen, Walsers Paulskirchenrede gegen die Erinnerung an Auschwitz, seine Einladung ins Bundeskanzleramt zu Schröder am 8. Mai 2002, das „Sommermärchen“ mit Jürgen Klinsmann 2006, der schwarz-rot-goldene Rausch 2014 mit seinem anti-argentinischen Rassismus („so laufen die Deutschen…“) am Brandenburger Tor hin zur rassistischen Pegida-Bewegung, dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag 2017 hat jetzt seit der Coronapolitik und dem Ukraine-Krieg seine volksgemeinschaftliche Vollendung gefunden.

Schauen wir abschließend nochmal, wer so in der Politik in der Ukraine in den letzten Jahren mitmischte und was das für die dortige politische Kultur bedeutet, auch sprachlich. Laura Schultz schreibt:

Dass Nazis und extreme Rechte, die sich auf dem Maidan profiliert hatten, später mit politischen Ämtern bedacht würden, war abzusehen. So war es dann auch im Kabinett Jacenjuk I: Der stellvertretende Ministerpräsident Oleksandr Sic, Verteidigungsminister Ihor Tenjuch, Umweltminister Andrij Mochnik und Landwirtschaftsminister Ihor Svajka hatten damals alle ein Svoboda-Parteibuch. [Fußnote der Autorin: „Die ‚Allukrainische Vereinigung Svoboda‘ (dt. Freiheit) ist eine extrem rechte und nationalistische Partei unter dem Vorsitz von Oleh Tjanybok. 1991 wurde sie unter dem Namen ‚Sozial-nationale Partei der Ukraine‘ gegründet“] Auch Generalstaatsanwalt Oleh Machnickij war Mitglied der Partei Svoboda. Bildungsminister Serhij Kvit wurden Sympathien für den Rechten Sektor nachgesagt. Dmytro Bulatov, Minister für Jugend und Sport, war Mitglied der neonazistischen Ukrainischen Selbstverteidigung UNA-UNSO, ebenso Tetjana Cornovol, damalige Vorsitzende der nationalen Anti-Korruptions-Kommission. Der damalige Chef des Rats für die nationale Sicherheit und Verteidigung, Andrij Parubij, war Mitbegründer der Svoboda Vorgängerpartei, der Sozial-nationalen Partei der Ukraine. Und Dmytro Jaros, ehemaliger Majdan-Kommandant, ‚Führer‘ der neonazistischen Organisation Dreizack und Rechter Sektor, war Parubijs Stellvertreter im Rat. Dieser Erfolg von faschistischen Gruppen und eine derart hohe Regierungsbeteiligung von extremen Rechten war in europäischem Maßstab einmalig. Derzeit ist beispielsweise Andrij Parubij Parlamentspräsident, während der ehemalige Kommandant des Azov-Bataillons Vadym Trojan Polizeichef in Kiew ist. (S. 194)

All das rechtfertigt keine Sekunde einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands – aber es zeigt, mit was für einem Land wir es mit der Ukraine zu tun haben. Schultz schreibt:

Die Majdan-Revolution war unter anderem Ausdruck einer nationalen antirussischen Identität. Der ukrainische Dreizack, Blumenkränze im Haar, reich bestickte Blusen und Hemden waren Symbole, die auch die Fernsehaufnahmen prägten. Dass sich Teile des Majdans positiv auf den ja nach Sichtweise Freiheitskämpfer oder NS-Kollaborateur zu bezeichnenden Bandera beriefen, dass der OUN-Schlachtruf ‚Ruhm der Ukraine – den Helden Ruhm!‘ und die Beteiligung von organisierten Neonazis auf dem Majdan gängig waren, war Wasser auf die Mühlen Russlands, dessen Propaganda auf dem Majdan eine neue faschistische Junta sah oder eine direkte Parallele zur historischen, mit Nazis kollabierenden OUN ziehen konnte. (S. 195)

Ironischerweise beendet sie ihren instruktiven Artikel, indem sie betont, dass es doch ironisch oder „zynisch“ ist, dass die Ukraine insofern tatsächlich sich nach Europa orientiert, weil wir in Europa doch seit Jahren einen starken Rechtsruck haben.

Wie beendete der ukrainische Präsident und vormalige Fernseh-Clown Selenskij seine Rede vor der Münchener Sicherheitskonferenz – das war einige Tage vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine:

Ruhm der Ukraine.

Wir aber sollten uns mit der jahrzehntelangen Erinnerungsabwehr in Deutschland beschäftigen, mit der mehr oder weniger offenen, mehr oder weniger schamlosen Bezugnahme auf ‚unsere‘ Großväter und Urgroßväter wird heute wieder gefordert, „Russland zu ruinieren“.

In einem aktuellen Radiokommentar für das freie Radio Flora aus Hannover kritisiert der Historiker Hubert Brieden die „Kriegsrhetorik“ und „Karrieregeilheit“ von Scholz, Merz oder Habeck. Er setzt dann etwas vorschnell beide Weltkriege im 20. Jahrhundert unter die Rubrik „Einflusssphäre“, also intoniert die kapitalistisch-imperialistische Dimension, was beim Nationalsozialismus scheitert, Auschwitz hatte keinen Grund, kein Ziel, war kein Interesse des Kapitals. Es ging um die Vernichtung der Juden um der Vernichtung willen, wie ich in Bezug auf die internationale Forschung in meinem zitierten Band „Antisemitism: A Specific Phenomenon“ quellenbasiert zeigte.

Aber Brieden resümiert in einem autobiografischen Rückblick auf seinen Vater, der als Wehrmachtssoldat in der Ukraine war, und meint damit auch die aktuelle Bundesregierung:

Der Hauptfeind steht im eigenen Land.

„Not one Inch“, Ukraine und NATO-Osterweiterung im Kontext oder: Amerika plante 1959 „91 Atombomben auf Ost-Berlin zu werfen“ … und die UdSSR wurde im Februar 1990 von Baker, Bush sen. und Kohl „ausgetrickst“

Von Dr. phil. Clemens Heni, 13. Februar 2022 (überarbeitete Version, 13.04.2024)

Wer  politikwissenschaftlich und politisch die aktuelle Ukraine-Krise verstehen will, muss noch etwas tiefer schürfen. Für den antikommunistischen Mainstream ist alles klar: Putin ist ein Diktator und Antidemokrat, die Ukraine hat noch nie Straßen oder Plätze nach Massenmördern und Nazi-Freunden benannt und ist nur das Opfer einer kommenden russischen Aggression. Das habe alles nichts mit den USA oder der NATO-Osterweiterung zu tun. Das jedoch sind Mythen, die Fakten sehen anders aus.

Jenseits einer Verharmlosung des Putinismus sollte es darum gehen, faktenbasiert und gesellschaftskritisch mit der geopolitischen Situation seit 1989 umzugehen. Dazu helfen uns sehr aufschlussreiche Dokumente der Diplomatiegeschichte. Es geht um den Februar 1990. Darauf weisen jüngst mehrere Publizist*innen und Wissenschaftler*innen hin, darunter Peter Beinart, das Magazin Vox oder die amerikanische Professorin Mary Elise Sarotte. Letztere hat 2021 sogar ein Buch zu dem Thema publiziert:

„Not one Inch“ – damit ist gemeint, dass die Vereinigten Staaten der Sowjetunion im Februar 1990 die Zusage oder das Angebot gemacht hatten, dass ein vereinigtes Deutschland bzw. ein von BRD und DDR wie auch immer ausgehandelter Status auf keinen Fall eine Osterweiterung der NATO über das Territorium der BRD hinaus bedeuten würde. Das hatte Sarotte 2010 in einem wissenschaftlichen Artikel detailliert ausgearbeitet:

In ihrem Artikel in Diplomatic History, Vol. 34, No. 1 von Januar 2010 (S. 119-140) geht Sarotte auf Außenminister Hans-Dietrich Genscher ein, der am 31.01.1990 in Tutzing sagte, dass es keine Osterweiterung der NATO geben wird. Sodann beschreibt sie bilaterale Treffen des amerikanischen Außenministers James Baker mit Genscher am 02. Februar 1990 in Washington, D.C. Dabei übernimmt Baker die Position, dass es keine Osterweitung der NATO geben solle, was Genscher auf einer gemeinsamen Pressekonferenz auch bestätigte. Zu dieser Zeit, so Sarotte, gab es starke Spannungen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Genscher (FDP). Während nämlich Baker und Genscher sich auf eine demilitarisierte DDR einigten, sahen das der CDU-Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) und das National Security Council (NSC) in den USA völlig anders.

Das zweite von Mary Sarotte untersuchte bilaterale Treffen fand am 9. Februar 1990 in Moskau zwischen James Baker und dem sowjetischen Generalsekretär der KPdSU Michael Gorbatschow statt. Gorbatschow hatte unter anderem die Idee eines Europas ohne den Warschauer Pakt und ohne NATO. Bei diesem Treffen am 9. Februar 1990 in Moskau schrieb James Baker handschriftlich als Zusage bzw. klare Richtlinie für die amerikanische Position Folgendes für Gorbatschow und die Sowjetunion auf:

End result: Unified Germ. anchord in a *changed (polit.) NATO – *whose juris. would not move *eastward!

Das ist die zentrale Zusage der USA an die Sowjetunion – aber eben nur handschriftlich von Baker. Es gab keine offizielle schriftliche Bestätigung, keinen Vertrag zu exakt diesem Aspekt. Es war aber exakt und primär oder ausschließlich diese mündliche und handschriftliche Zusage – wie wir sehen werden, auch als offizielles Protokoll! – des amerikanischen Außenministers James Baker am 9. Februar 1990, die Michael Gorbatschow dazu brachte, am 10. Februar ebenfalls in Moskau Helmut Kohl die offizielle Zusage zu machen, dass die Sowjetunion sich nicht in die internen Angelegenheiten Deutschlands bzw. von BRD und DDR einmischen würde. Kohl hat das sogleich am selben Abend in einer Pressekonferenz in Moskau kundgetan. Zuvor war Kohl von Baker in einem Memorandum, das dem deutschen Botschafter in der Sowjetunion Klaus Blech übergeben worden war, diese Position der USA mitgeteilt worden. Kohl sah es also als Position der USA an – de facto war es nur die Position des US-Außenministers James Baker, wie sich herausstellen sollte. Dabei wusste Kohl, dass US-Präsident George H. W. Bush gegen das Nein zu einer möglichen NATO-Osterweitung war – denn Bush hatte Kohl ebenso informiert. Kohl jedoch übernahm raffinierter Weise die Position von Baker, obwohl Kohl ahnen konnte, dass Baker sich kaum gegen den US-Präsidenten durchsetzen würde.

Nun, ich persönlich war bislang immer für eine NATO-Mitgliedschaft der BRD, da somit deutsche Alleingänge, die zweimal im 20. Jahrhundert die halbe Welt verwüstet haben und zum Holocaust führten, unmöglich erschienen. Aber noch viel besser wäre es natürlich gewesen, hätten es nach 1945 niemals wieder eine deutsche Armee gegeben. Daher verweigerte ich auch (nur ein paar Jahre später, aber immer noch zu Zeiten des Kalten Kriegs) wie der linke Coronapolitik-Kritiker Michael Sailer – den Kriegsdienst. Im Gegensatz zu Mary Elise Sarotte, die nur zwei Jahre älter ist als ich (sie ist Jg. 1968) war ich im November 1989 keineswegs euphorisch ob des Mauerfalls. Ich kämpfte politisch gegen den Anschluss der DDR an die BRD. Es gab damals auch linke Bündnisse, die sich für eine DDR ohne SED einsetzten. Dazu gab es die „Nie wieder Deutschland“-Bewegung, wobei nicht wenige der damaligen Protagonist*innen heute entweder zu Zeugen Coronas, grünen Bundesminister*innen oder rechtsextremen Agitatoren (wie beim Compact-Magazin) mutierten.

Die linken Kritiker*innen des umgehend einsetzenden nationalistischen Taumels sahen die Gefahr des Rechtsextremismus, der dann zu Hunderten Toten Migrant*innen, Flüchtlingen, Obdachlosen, Linken, Behinderten, zu Anschlägen auf Juden, jüdische Friedhöfe, Synagogen etc. in den 1990er Jahren führte. Sodann sahen wir mit 9/11 dass das Ende des Kalten Krieges den heißen Krieg des Jihad beförderte, weil sich niemand mehr zuständig fühlte in Nahost. Diese Leere füllten Bin Laden & Co. in den 1990er Jahren, wobei der Islamismus in Bosnien-Herzegowina auch eine wichtige Rolle spielte. Der NATO-Angriffskrieg wiederum auf Serbien 1999 war der erste deutsche Krieg seit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939. Der Antisemitismus zeigte sich im Trivialisieren von Auschwitz, das mit dem Kosovo in einer Linie auftauchte, so bei Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Schließlich war der Sieg der USA über die Sowjetunion, von West über Ost, auch ein Fanal für den weltweiten Siegeszug des Kapitalismus. Von alledem, von politischer Kultur in der BRD, dem nationalistischen Klima vor 1989 und den Folgen nach 1989, namentlich auch der zunehmenden Erinnerungsabwehr an die Shoah in der BRD, was sich exemplarisch in Martin Walsers Paulskirchenrede im Oktober 1998 anlässlich der Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zeigte, ist bei Sarotte wenig bis nichts zu lesen oder hören.

Sarotte hat für ihre kritische Diplomatiegeschichte – die keine politische Kultur Analyse und keine Ideologiekritik ist – empirisches Material zuhauf auf ihrer Seite. Es geht darum, dass Baker und Kohl Gorbatschow ausgetrickst haben, Baker durchaus contre coeur. Mit viel Empathie geht Sarotte nämlich auch auf die Biographien von James Baker und Michael Gorbatschow ein. Beide sind fast gleich alt, Baker wurde 1930, Gorbatschow 1931 geboren. Baker wuchs behütet und gut bürgerlich auf, während Gorbatschow als kleiner Junge 1937/38 Zeuge der Großen Säuberungen von Stalin wurde. Sein Großvater wurde verschleppt, gefoltert und starb kurz danach. Dem Großvater seiner späteren Frau Raissa erging es ähnlich, er wurde ermordet. Gorbatschow hatte also bereits als Junge erlebt, wie eine Diktatur mordet. Das mag ein Aspekt sein, weshalb er später die Entspannungspolitik vorantrieb. Baker wiederum scheint einer amerikanischen Tradition des Containment zu entstammen, die zwar aggressiv gegen die UdSSR arbeitete, aber sie nicht zerstören und nach 1989 nicht als großer Sieger auftreten wollte.

Darauf weist auch Peter Beinart hin. Ihm zufolge sind einige der bekanntesten konservativen, Pro-NATO, aber Anti-NATO-Osterweiterungsdenker der USA wie Baker auf dem Standpunkt geblieben: „not one inch“, nicht einen Zentimeter sollte die NATO nach Osten sich erweitern:

Back to the generation gap over Russia and Ukraine. It sounds bizarre today but in the late 1990s, when the Clinton administration was considering expanding NATO to include merely Poland, Hungary, and the Czech Republic—barely anyone at that time was proposing admitting Ukraine—titans of American foreign policy cried out in opposition. George Kennan, the living legend who had fathered America’s policy of containment against the Soviet Union, called NATO expansion “a strategic blunder of potentially epic proportions.” Thomas Friedman, America’s most prominent foreign policy columnist, declared it the “most ill-conceived project of the post-Cold War era.” Daniel Patrick Moynihan, widely considered the most erudite member of the US Senate, warned, “We have no idea what we’re getting into.” John Lewis Gaddis, the dean of America’s Cold War historians, noted that, “historians—normally so contentious—are in uncharacteristic agreement: with remarkably few exceptions, they see NATO enlargement as ill-conceived, ill-timed, and above all ill-suited to the realities of the post-Cold War world.”

Peter Beinart ist jedoch ein Befürworter der Einstaatenlösung, einer elaborierten Form des antizionistischen Antisemitismus, wie die Forschung sagen würde. Das ist deshalb auch paradox, weil in obigem aktuellen Zitat von Januar 2022 er sich auf Daniel Patrick Moynihan bezieht – angesichts der katastrophalen NATO-Osterweiterung. Moynihan jedoch ist eine Legende im Kampf für den Zionismus in Amerika. 1975 war Moynihan, der später einer der einflussreichsten und legendärsten US-Senatoren (Demokraten) werden sollte, als UN-Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen (UN) vehement gegen die „Zionismus ist Rassismus“ Resolution aufgetreten. Das hat zumal den Juden in New York viel Kraft gegeben, wie Gil Troy in seiner Widmung für sein Buch betont:

Es ist also alles etwas komplizierter bezüglich Putin und der Ukraine. Putin unterstützt rechtsextreme oder neu-rechte Kreise im Westen und in Deutschland, er hat in Alexander Dugin einen gefährlichen, antiliberalen, antidemokratischen und militaristischen Einflüsterer. Das macht das Über-den-Tisch-Ziehen Gorbatschows durch Bush sen., Baker und Kohl nicht besser, aber es kontextualisiert. Darauf weist auch ein Zebra hin, das bei Corodoks Artur kommentiert und dankenswerterweise auch die NachDenkSeiten (NDS) attackiert:

Das Wissenschaftsverständnis von Mary Elise Sarotte, die sich für mehr Diplomatie und das Verstehen-Wollen Putins sehr wohl stark macht – ohne eine substantielle Kritik an der NATO zu haben und auch nicht mal die NATO-Osterweiterung abzulehnen, was sehr bedenklich ist, ist etwas obskur. Sie vertritt eine Art „Zufälligkeitstheorie“, der zufolge einzelne Ereignisse, die wie ein Kometeneinschlag einfach so passieren, den ganzen Weltlauf ändern können. Dabei stellt sie in einem aktuellen Podcast von Dezember 2021 tatsächlich in Anlehnung an einem Evolutionsbiologen einen Vergleich der Theorie von einem Naturereignis mit dem Mauerfall an: Ein Asteroid knallte demnach vor ca. 60 Millionen Jahren auf die Erde, löste Verwüstungen und eine Verdunkelung aus, ja die Dinosaurier und fast alle Lebewesen wurden ausgerottet (bis auf Wasserschildkröten und Krokodile). Das hört sich grotesk an und das ist es auch. Was soll ein Naturereignis mit menschengemachten, sozialen, philosophischen, politischen etc. Gesellschaftsproblemen zu tun haben? Das ist ein anti-sozial- und geisteswissenschaftlicher Reduktionismus.

Da ist es nicht weit vom Gerede von Macron, der vom „Krieg gegen ein Virus“ faselt oder zu Joe Biden, der die Toten, die an oder doch nur mit Covid-19 starben mit vom jeweiligen Gegner getöteten amerikanischen Soldaten auf eine Stufe stellte, gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft im Januar 2021. Das verharmlost die Gewalt des Nationalsozialismus auf unerträgliche Weise, doch Joe Biden merkt das nicht und alle klatschen ihm Beifall.

Man konnte in den 1970er und 1980er Jahren viele Späße über Kohl machen, auf meinem Gymnasium war ich zwar fast der einzige, der „Über Italien lacht die Sonne – über Kohl lacht Deutschland“ als Aufkleber hatte (und dafür Schläge von einem knapp 2 Meter-Junge-Union-Boxer angedroht bekam, der aber den Aufkleber nie wegbekam). Nach 1989 verging uns das Lachen. Wie wird es uns mit der SPD-„Ausschussware“ Olaf Scholz ergehen?

Kohl hatte auch schon ehemaligen SS-Männern gespendet…

Und wenn es um Abschreckung und Krieg geht, ist sehr aufschlussreich, wie das National Security Archive über den Freedom of Information Act berichtet. So hat es ein Bürger erreicht, dass bislang geheime Unterlagen zu konkreten Kriegsplanungen von 1959 offengelegt werden mussten. Allerdings dauerte der Prozess knapp 10 Jahre. In diesem unfassbaren Dokument – das einen nach Hiroshima nicht wirklich überrascht, aber dennoch schockiert – steht zum Beispiel, wie viele Atom- oder Neutronenbomben auf Moskau oder Ost-Berlin geworfen werden sollten. Für Ost-Berlin waren es 91. In einem sarkastischen Ton erläutert der Direktor des National Security Archives Tom Blanton wie einfach unglaublich absurd und massenmörderisch diese Planungen waren. Als ob mit 91 Atombomben auf Ostberlin nicht auch jeder Mensch in West-Berlin ermordet worden wäre etc. pp.:

Bezüglich der NATO-Osterweiterung hat sich Tom Blanton 2017 zusammen mit seiner Kollegin Dr. Svetlana Savranskaya mit den diplomatischen Quellen jener Treffen von Baker, Gorbatschow und Kohl und anderen im Jahr 1990 beschäftigt. Es geht um die Frage, ob Gorbatschow von Baker eine Zusage bekommen hat, dass es nicht einen Zentimeter Osterweiterung der NATO geben würde, wenn Deutschland das Ende der DDR besiegelt hätte.

In ihrem Artikel zitieren die beiden Quellen, die eindeutig belegen, dass Baker Gorbatschow wie oben bereits von Professorin Sarotte zitiert, die Zusage machte, dass es keine Osterweiterung der NATO je geben würde. Bei dem Treffen von Gorbatschow mit Kohl am 10. Februar 1990 gab Kohl Gorbatschow ganz klar zu Protokoll, dass er gegen jede Osterweiterung der NATO ist:

 

Kohl sagte wörtlich in englischer Übersetzung, wie es im schriftlichen Protokoll steht:

We believe that NATO should not expand its scope.

Kohls Statement, das sich als große Lüge erweisen sollte, sekundierte nur, was einen Tag zuvor US-Außenminister James Baker zum Generalsekretär der KPdSU Michael Gorbatschow und dem sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse gesagt hatte. Wörtlich sagte Baker auf dem Treffen, das zwischen 13 und 15 Uhr im Kreml stattfand:

If we maintain a presence in a Germany that is a part of NATO, there would be no extension of NATO’s jurisdiction for forces of NATO one inch to the east.

Also die NATO wird „nicht einen inch“ (=2,54 Zentimeter) „nach Osten“ expandieren. Punkt. Das wäre es gewesen. Das wäre das Versprechen gewesen. Aber es wurde zu keinem Versprechen, Bush senior verhinderte es und Kohl ebenso. Daher beschwerte sich auch Gorbatschow bei Kohl in einem Telefonat am 7. September 1990, dass diese Zusagen von Baker und ihm nicht eingehalten wurden, wie Sarotte in ihrem 2010er Artikel festhält.

Es gibt antiliberale und sehr problematische Konservative, ja Agitatoren wie Tucker Carlson, der Montag bis Freitag über drei Millionen Menschen mit seiner abendlichen Show auf Fox News erreicht – ich hatte mich ja im Rahmen meiner Coronaberichterstattung auch schon mit ihm und einem überraschenden Gespräch mit der Feministin Naomi Wolf beschäftigt – und der sich gegen die antirussische Agitation von Joe Biden und den USA wendet, was die NZZ ausschlachtet. Die NZZ diffamiert somit ohne Kontext jede Kritik am westlichen Pro-Ukraine- und Anti-Russland-Kurs, wie es auch der konservative Mainstream in den USA oder die Bild-Zeitung, der Journalist Richard Herzinger und viele andere tun, die jetzt Waffen für die Ukraine fordern, wenn schon Großvater nicht den Krieg gegen die Sowjetunion gewann, dann wenigstens jetzt.

Herzinger ist besonders irrational und meint das tödliche Appeasement der Westmächte 1938 gegenüber Hitler anführen und damit pro-ukrainische und antirussische Politik machen zu können. Er tut so, als ob er damit natürlich nicht Hitler und Putin vergleichen würde, aber wenn man seinen Text liest, merkt man, dass er es eben doch tut. Da fehlt bei Herzinger, der nur pars pro toto für den antikommunistischen Mainstream steht, jedes Verständnis der amerikanischen Position von Moynihan und Baker bis Friedman und Kennan, die alle keine Gegner der NATO waren (wie viele Linken hierzulande), die aber den Unterschied zwischen einem Mächtegleichgewicht, das den Frieden erhalten konnte, und einer arroganten und brutalen Siegerhaltung des Westens nach 1989 klar erkannt hatten.

Blanton und Savranskaya betonten in ihrem mit Dokumenten gesättigten Text von 2017 mit Nachdruck, dass James Baker gleich dreimal am 9. Februar 1990 diese Zusage an die Sowjetunion und an Gorbatschow machte, dass sich die NATO keine 2,54 Zentimeter nach Osten ausdehnen würde:

Not once, but three times, Baker tried out the “not one inch eastward” formula with Gorbachev in the February 9, 1990, meeting. He agreed with Gorbachev’s statement in response to the assurances that “NATO expansion is unacceptable.” Baker assured Gorbachev that “neither the President nor I intend to extract any unilateral advantages from the processes that are taking place,” and that the Americans understood that “not only for the Soviet Union but for other European countries as well it is important to have guarantees that if the United States keeps its presence in Germany within the framework of NATO, not an inch of NATO’s present military jurisdiction will spread in an eastern direction.” (See Document 6)

Es muss um eine friedliche Lösung gehen. Die jedoch wurde durch regelmäßige Drohungen mit einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, trotz unglaubwürdiger Dementi der NATO, massiv erschwert.

Die Quellen beweisen: Gorbatschow und die Sowjetunion haben einer deutschen Wiedervereinigung nur unter der Bedingung zugestimmt, dass es keine NATO-Osterweiterung gibt. Aus Gutgläubigkeit oder Naivität von Seiten der Sowjetunion, was Gorbatschow heute abstreitet, gab es diese belegten Zusagen von Baker und Kohl nicht in einem Vertrag. Die Sowjets dachten, ihr Entgegenkommen würde im Westen zählen und verließen sich auf die nachdrücklichen und mehrfach wiederholten Zusagen von James Baker.

Darüber lachen der kapitalistische Imperialismus und deutsche Nationalismus bis heute.

Wer also heute über die Ukraine, Putin und die NATO reden will, darf vom gebrochenen Versprechen „keinen inch ostwärts“ vom Februar 1990 nicht schweigen!

StandWithUs to distort history?

This article was first published with the Times of Israel on 26 April, 2016

The pro-Israel NGO StandWithUs is an important voice in the anti-BDS camp. They are doing Israel advocacy and criticize anti-Zionist anti-Semitism. On 24 April, 2015, StandWithUs published a pictogram on Facebook that equates the horrible events of 1915 during the First World War, the killing of hundreds of thousands of Armenians by the Ottoman Empire (the Young Turks), to Nazi Germany. They equate the Young Turks to Hitler and 1915 to 1939, as if the Nazi Party (NSDAP) and Hitler came to power in 1939.

StandWithUspictogram 24 April 2016 on Facebook

September 1, 1939, the Second World War begun, but the picture by StandWithUs deliberately uses a pictogram of Hitler and his rise to power has nothing to do with 1939, but with 1933.

But there is much more behind this campaign by StandWithUs. To acknowledge the Armenian tragedy as genocide has been an international topic for decades now. Many equate genocide to the Shoah. The Holocaust is portrayed as just a genocide among others. That is a very common but dangerous trope.

In particular, post-colonial studies are eager to deny the unprecedented character of the Shoah. Take British-Nigerian broadcast of the BBC, David Olusoga’s and his Danish colleague Casper Erichsen’s 2010 book “Kaiser’s Holocaust” as an example. They make an analogy of the German massacre in South-West Africa in the early 20th century to the Holocaust. They claim the Shoah was a form of “social Darwinism.” No, the Holocaust was not a form of social Darwinism, nor were the Jews seen as the “weak.” Contrary to that, Germans saw Jews as superior, dangerous, and as preparing a world conspiracy. That is the very essence of anti-Semitism.

Post-colonial scholarship as well as post-Orientalist and genocide studies fail to understand the specificity of anti-Semitism. Anti-Semitism imagined the Jews behind all evil, as being behind capitalism in the United States and communism and the Soviet Union. There is no connection between the “People without Space,” as one chapter in Kaiser’s Holocaust reads, and the Shoah, because anti-Semitism and the Shoah had nothing to do with land gain, imperialism or any other form of political, territorial, economic, cultural, social etc. purpose. The authors simply ignore the entire scholarship on the uniqueness of the Holocaust.

German historian Jürgen Zimmerer is a leading voice in comparing and equating German colonialism to Nazi Germany and the Holocaust. In 2003, he published an article wherein he stated that “genocides in the colonies” are in the same “category” as “National Socialist murder policies.” In 2011, Zimmerer published a collection of his essays on colonialism and the Holocaust, entitled From Windhuk to Auschwitz? He insists that as early as 1947 American civil rights activist and historian W.E.B. Dubois (1868–1963) said:

There was no Nazi atrocity — concentration camps, wholesale maiming and murder, defilement of women or ghastly blasphemy of childhood — which Christian civilization or Europe had not long been practicing against colored folk in all parts of the world in the name of and for the defense of a Superior Race born to rule the world.

Zimmerer emphasizes that another author posited comparable arguments. This is the old superstar of post-colonialism-studies, Aimé Césaire (1913–2008), who wrote in 1950 that the crime of the Holocaust is (supposedly) seen as horrible not because of

the humiliation of man as such, it is the crime against the white man, the humiliation of the white man, and the fact that he [Hitler] applied to Europe colonialist procedures which until then had been reserved exclusively for the Arabs, of Algeria, the colonies of India, and the blacks of Africa.

The city of Paris dedicated a big street at the Seine, close to the Louvre, to the memory of Césaire, “Quai Aimé Césaire.”

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Then, StandWithUs should look at Yale University. The most recent example of equating the fate of the Armenians to the Holocaust and to distort anti-Semitism and the Shoah comes from Yale University’s political scientist professor Seyla Benhabib.

In a recent article in the mainstream Journal of Genocide Research (Vol. 17, No. 3, 2015), she compares the mass-murder of Armenians by the Turkish in the First World War to the Jews and the Shoah. She urges US Congress and others to call the Armenian tragedy a “genocide.” She takes aim at American and Israeli politicians who reject to frame the mass-murder a genocide. She is not a historian of the Shoah, to be sure. But her approach is very much representing vast parts of the humanities and social sciences when it comes to reject the uniqueness of the Shoah. The case of the mass-murder of the Armenians is just used by Benhabib to bolster her anti-Zionist agenda. She writes:

At a deeper level, both Zionism and Kemalism are state-building and nation-crafting ideologies and the old elites of these movements understood one another very well. David Ben-Gurion had studied law in the Ottoman Empire, and to this day Israeli law contains many elements of Ottoman law. Just as Armenian people refer to the events of 1915 as their Holocaust, with the founding of the State of Israel, it is now Palestinians who refer to that event as their ‘naqbah’. In other words, the Israelis are no longer like the Armenians, a diasporic people, spread among the nations, but a people with a modern mighty nation-state, just as modern Turkey itself is.

Benhabib and her allies, like editor Dirk A. Moses — she thanks him “for encouraging me to publish it in this form” — equate the Holocaust to completely distinct events in history like the mass-murder of the Armenian people in 1915, which was not at all the same as the industrial eradication of European Jewry by the Germans.

Benhabib’s editor and ally, historian Dirk A. Moses from Australia, professor of history at the University of Sydney, sets American slavery, colonialism and the Holocaust, the fate of blacks and Jews in one historical line. In 2002, he published an article about the “racial century (1850–1950).” He accuses the Western world and Europe for “Eurocentrism” when the Holocaust is seen as unique. Moses is applying the language, for example, of German right-wing extremists who make fun of Jewish survivors and he accuses Jewish survivors of taking the Holocaust as something “sacred.”

Moses is a contributor to the Oxford Handbook of Holocaust Studies. He claims that “colonialism and the Holocaust are linked,” and that there is a close connection between “colonial rule and anti-Semitism.” For him, the “Holocaust” was the result “of a frustrated imperial nation.” Moses promotes the controversial approaches of scholars like Césaire or Zimmerer. Hamburg University’s historian Jürgen Zimmerer is Chair Person of the International Advisory Board of the Journal of Genocide Research and its former editor from 2005–2011.

Post-colonial or pre-colonial violence, though, are not topics of scholars like Moses as it looks like. Western scholarship does not deny the huge crimes of colonialism, and imperialism, including slavery, massacres, forced land dispossession, mass rape of women, sexual abuse and so on. As long post-colonial scholars, however, are not focusing on Arab and Muslim slavery in the Middle Ages and the modern times, as well as the ongoing Islamic jihad and anti-Western propaganda, one cannot take them too seriously as scholars who really care about violence in history and our contemporary world. Is it possible that violence just counts for them when the perpetrator is white and European, Australian, Canadian or American, Christian or Zionist, but never Muslim or “native,” for example?

Mose’s ally Benhabib misses the point, that Jews and Israel are threatened today by world-wide anti-Semitism and anti-Zionism, while there is no international movement to “wipe Armenians of the map,”, for example. Benhabib’s use of the term Holocaust for the history of the Armenians as well as her analogy of Arab-Palestinian history is very troubling, too. She wants to equate Jews to Armenians and the Palestinians to Jews with the pure intention to portray both Armenians and Palestinians as still victims of history, while the Jews succeeded to get their own state (Armenians, too).

She does not even discuss that many in Europa and the US want Turkey to recognize the Armenian “genocide” — that is the topic of her article — because they are anti-Islam. There is of course also a serious awareness of Turkish crimes against the Armenians by scholars and the public who are not driven by anti-Muslim feelings. But many of that kind of people seem to be driven by Holocaust distortion. Benhabib accuses Israel and the US of “ugly geopolitical games.”  Perhaps one could take her approach more seriously, if she wouldn’t compare and even equate the Holocaust to the Armenian tragedy. But the downplaying or rejection of the uniqueness of the Shoah is the condition sine qua non of many parts of genocide research.

It is important to remember the Armenian tragedy, of course. But it is a distortion of history and a denial (!) of the unprecedented character of the Shoah to claim that without 1915 Hitler and the Nazis wouldn’t have come to power. This is a distortion of history and a denial of anti-Semitism, which has nothing to do with Ottoman or Armenian history. German anti-Semitism goes way back and was not inspired by the horrible events during the First World War in the Ottoman Empire.

It is shocking, though, to see an American NGO — StandWithUs — promoting these historical distortions, including the obfuscation of the long history of German anti-Semitism up until eliminationist anti-Semitism during Nazi Germany.

You can and should remember what happened to the Armenians. But never ever as analogy to anti-Semitism, the rise of Hitler and the Nazi Party and the Shoah. Instead, this campaign by StandWithUs speaks volumes about the knowledge of some of the smartest pro-Israel advocates in the US when it comes to the specificity of anti-Semitism, German history, and the rise of the Nazi Party (NSDAP) and Hitler to power in 1933, not in 1939.

I’d suggest to read Bernard-Henri Lévy’s 2008 study “Left in Dark Times. A Stand against the New Barbarism,” and his take on the uniqueness of the Shoah and the Armenian tragedy:

And you could take the time, with those who wonder, sometimes in good faith, about the uniqueness of the Holocaust, you could take the time to explain that this uniqueness has nothing to do with body count but with a whole range of characteristics that, strange as it may seem, coincide nowhere else in all the crimes human memory recalls.

The industrialization of death is one such: the gas chamber. The irrationality, the absolute madness of the project, is the second: the Turks had the feeling, well founded or not, and mostly, of course, unfounded, that they were killing, in the Armenians, a fifth column that was weakening them in their war against the Russians — there was no point in killing the Jews; none of the Nazis took the trouble to claim that there was any point to it at all;

and such was the irrationality, I almost said gratuitousness, of the process that when, by chance, the need to exterminate coincided with another imperative that actually did have a point, when, in the last months of the war, when all the railways had been bombed by the Allies, the Nazis could choose between letting through a train full of fresh troops for the eastern front or a trainload of Jews bound to be trans-formed into Polish smoke in Auschwitz, it was the second train that had priority, since nothing was more absurd or more urgent, crazier or more vital, than killing the greatest number of Jews.

And the third characteristic that, finally, makes the Holocaust unique: the project of killing the Jews down to the last one, to wipe out any trace of them on this earth where they had made the mistake of being born, to proceed to an extermination that left no survivors. A Cambodian could, theoretically at least, flee Cambodia; a Tutsi could flee Rwanda, and outside Rwanda, at least ideally, would be out of range of the machetes; the Armenians who managed to escape the forces of the Young Turk government were only rarely chased all the way to Paris, Budapest, Rome, or Warsaw (…).

It is tremendously important to fight Islamism and the current Erdogan regime in Turkey, including their denial of the Armenian tragedy. But there is a huge gap between denial and equation of that history to the Holocaust! It was not a forerunner of the industrial murder of Jews by Germans during the Second World War and National Socialism.

Israeli historian at Hebrew University of Jerusalem, Yitzhak Kerem, writes the following about the Armenian tragedy:

In 1915, it’s more of a conflict. Turks will exaggerate and say that more Turks were killed in the fighting from 1915 to 1923 than Armenians. They do have responsibilities towards the Armenians, but to pattern itself as a Jewish holocaust which [some Armenians] have done, they were pushed by British intelligence, is a distortion of history.

“My point is, and this is what the Armenians don’t like, is that more Kurds killed Armenians than Turks. The Turks did terrible things to the Armenians. They butchered people right and left. They raped and pillaged, but it wasn’t an organized act by the regime. It was a byproduct of hate. The Turks did terrible things to the Greek Orthodox, especially in Izmir. To call that a holocaust and a genocide when you are equating that with the Jewish holocaust is a distortion.

This, at least, should be a point of departure for a discussion. Not denial of the Armenian tragedy as Erdogan and his regime prefer. And not exaggeration and equation with the Holocaust either.

This recent campaign of StandWithUs might be considered as a symbol of contemporary activism as well as scholarship in genocide research and post-colonial studies. Holocaust distortion is not seen as a topic from that point of view. The inflation of genocide and the rejection of the unprecedented character of Auschwitz has become mainstream even in some pro-Israel circles.

I just read the other day an old critique by English Studies professor Edward Alexander about Shulamit Aloni (1928–2014), a former Israeli minister of education, leader of the Meretz Party, Israel-Prize winner and human rights activist. Her focus on the Palestinians and how they are treated has for sure some merits, as long as we ignore her blind-eye on Palestinian terrorism, both secular and Islamist, and anti-semitism. Alexander focused on Aloni’s contribution to Holocaust distortion. In my view, his criticism fits very well to the recent StandWithUs campaign and to post-colonial studies and genocide studies. In his article “What the Holocaust Does Not Teach” (1993, republished in his “Jews against Themselves,” 2015) Alexander wrote:

But Mrs. Aloni, the Israeli, the Israeli version of what East European Jews used to call ‘a cossack in a sukkah,’ has deplored the stress upon the Holocaust as regressive and nationalistic. ‘I do not take pictures of the backside of history,’ she declared on Israeli Radio. ‘The Ministry of Education must be concerned with the future.’ Even before her elevation of office, Aloni frequently denounced Holocaust education in Israel because it taught children that ‘the Nazis did this to the Jews instead of the message that people did this to people.’

Aloni’s approach might fit American inclusiveness but fails to understand anti-Semitism, let alone the Shoah.

Holocaust distortion by Seyla Benhabib and the Journal of Genocide Research when it comes to the Armenian tragedy should be a warning to pro-Israel groups like StandWithUs in the future.

Finally, there seems to be a need, even an obsession, to reject the uniqueness of the Shoah. Germans need to obfuscate German crimes and project their guilt onto Jews or the allies. That has been analyzed as early as 1960 by Peter Schönbach, a co-worker of philosopher Theodor W. Adorno, at the Institute for Social Research in Frankfurt.

Be it the fantasy of a Palestinian “Naqba” being equal to the Holocaust, be it the supposedly “Kaiser’s Holocaust” in German South-West Africa (1904–1907), be it the allegedly intentional “Ukrainian Holocaust” in 1932 or be it the propagated analogy of 1915 and 1933/39, Armenians and Jews, Turks and Nazis or Germany. This is how the Holocaust distortion movement works.

Today, we see this need to “steal the Holocaust,” as it is called, even among pro-Israel groups. StandWithUs is a case in point.

The author, Dr. Clemens Heni, is Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

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