Clemens Heni

Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Für einen besseren Wedding im Jahr 5785

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Es ist eine sehr gute Nachricht, dass die israelische Armee den Führer der Terrororganisation Hisbollah, Hassan Nasrallah, wie Dutzende weitere Führungsfiguren dieser Jihadisten, Islamisten und Antisemiten, ausgeschalten hat. Es gab Jubel darüber bei Kurden wie bei oppositionellen Arabern und Flüchtlingen in Syrien und bei Exil-Iraner*innen. Auch die internationale jüdische Community begrüßt den Tod Nasrallahs, in Israel gratulierten alle Parteien, auch die Opposition, der IDF für diesen großen Erfolg. Immerhin konnte Nasrallah über 30 Jahre als Führer der Hisbollah den Libanon destabilisieren und Israel terrorisieren. Er war quasi der zweite Führer des Iran, als dessen Angestellter er hetzte, mordete und gegen Israel und den Zionismus agitierte.

Man muss wahrscheinlich schon sehr deutsch und sehr grün sein, um darin keine positive Nachricht zu sehen, wie es Annalena Baerbock jetzt wieder zum Ausdruck brachte, indem sie lieber eine Waffenruhe hätte im Libanon, anstatt endlich diese Terrororganisation massiv zu schwächen oder gar wie die Hamas so stark zu dezimieren, dass sie ‘nur’ noch eine Guerilla-Gruppe wäre.

Und so ändert sich die Lage. Noch Mitte August 2024 schrieb ich von der Sorge des Schriftstellers Georg Stefan Troller, der die enorme Gefahr der Hisbollah sah. Jetzt ist sie geschwächt wie nie und nicht nur ihr Führer, sondern ein großer Teil der Führungsriege ausgeschalten. Dazu wurden offenkundig Zehntausende Raketen der Hisbollah durch die israelische Armee unschädlich gemacht.

Sodann griff der Iran mit knapp 200 Raketen Israel direkt an. Diesmal teils mit Raketen die nur 12 Minuten vom Iran bis Israel brauchen und nicht Stunden wie noch Drohnen und andere Geschosse im Frühjahr 2024, als der Iran erstmals Israel mit ca. 300 Raketen direkt angriff und die USA, aber auch arabische Staaten Israel beim Abschuss der Raketen und Drohnen halfen.

Die Süddeutsche und die Deutsche Presse-Agentur sprechen von der Terrororganisation Hisbollah als “Hisbollah-Miliz” und sehen primär Israel als das Problem an, da Israel angreife. Es ist schon unglaublich, dass ein Terrorstaat wie der Iran auch in Deutschland eine Botschaft haben darf, dabei gehört das Regime seit Jahrzehnten isoliert und bekämpft. Gleichwohl mag der Iran jetzt “nervös sein“, wie die Times of Israel schreibt. Denn es wird sicherlich eine israelische Antwort auf diesen in dieser Form noch nie dagewesenen Terrorangriff des Iran geben. Es ist läppisch, wenn Berlin jetzt den iranischen Botschafter einbestellt, er gehört hinausgeworfen mitsamt allen anderen Botschaftsmitarbeiter*innen und der Iran ökonomisch und diplomatisch isoliert.

Israel hingegen gehe es jetzt nicht mehr um Abschreckung und Einhegung, sondern um offensives militärisches Agieren:

After decades of a defensive deterrence and containment strategy, which failed spectacularly, after October 7 Israel finally shifted to the strategic offensive against the Iranian alliance.

Während Israel jedoch in der Lage war, Nasrallah endlich auszuschalten, ist es nicht in der Lage, die Dutzenden Geiseln der Hamas zu finden und zu befreien. Das ist die Tragödie. In Israel ist auch unvergessen, wie die IDF und die israelische Regierung am 7. Oktober 2023 versagt haben, selbst konkrete Warnungen von IDF-Soldatinnen, die nachweisen konnten, wie spezifisch und einen Angriff planend die Übungen der Hamas-Terroristen in Gaza waren, wurden nicht ernst genommen. Das wird alles irgendwann aufgearbeitet werden, kann aber die Katastrophe des 7. Oktober nicht ungeschehen machen.

Der Kern des Problems ist der Antisemitismus, der muslimische Antisemitismus und der linke Antisemitismus. Sie führten zum genozidalen Massaker vom 7. Oktober und extremistische Muslime wie Linke, aber auch weite Teile des Mainstream in der Bundesrepublik, den USA, England und weltweit haben das Massaker verharmlost, gefeiert oder alsbald, nach einen kleinen ersten Schock, kichernd zur Kenntnis genommen.

Der jüngst publizierte Band “Sind Antisemitisten anwesend”, in dem 80 jüdische wie nicht-jüdische Autor*innen Texte zur aktuellen Lage seit dem 7.10. oder Cartoons veröffentlichten, bringt einige wichtige Gedanken zum Ausdruck. So heißt es zum Beispiel über einen der drei Herausgeber*innen, der offenbar eine gewisse und typische, sehr wohl herzenswarme Naivität womöglich fast bis zum 7. Oktober sich erhalten hatte:

Heiko Werning ist in Westdeutschland aufgewachsen. Juden kannte er, ebenso wie Muslime und Migranten, in seiner Heimatstadt Münster nur aus dem Schulunterricht oder den Fernsehnachrichten. Als er vor über dreißig Jahren zum Studium nach Berlin zog und dort im Wedding landete, änderte sich das schlagartig. Plötzlich war er umgeben von muslimischen Mitmenschen, hier konnte er seine bis dahin rein theoretisch formulierte Überzeugung, jedem Menschen möglichst vorurteils- und diskriminierungsfrei zu begegnen, in der Praxis erproben. Schnell hat er seine Grundannahme bestätigt gefunden, dass es auch unter migrationshintergründischen Menschen die übliche Mischung aus liebenswürdigen Zeitgenossen, Trotteln und echten Arschlöchern gibt. Also genau wie bei den Urdeutschen seiner westfälischen Heimat, den indigenen Berlinern der x-ten Generation und den ganzen Migranten aus Schwaben, Niedersachsen oder gar aus der Zone. Und weil das so ist, hat er seine muslimischen Nachbarn stets leidenschaftlich in seinen Texten gegen die grassierende Ausländer- und Islamfeindlichkeit verteidigt. Wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte unter aufgeklärten, nicht-ewiggestrigen Zeitgenossen. Umso mehr irritierte ihn zusehends die Beobachtung, dass genau diese Zeitgenossen aber mitunter ganz merkwürdig wurden, wenn es um Juden ging.

(Lea Streisand/Michael Bittner/Heiko Werning (2024a): Vorwort, in: Dies. (Hg.), Sind Antisemitisten anwesend? Satiren, Geschichten, Cartoons gegen Judenhass, Berlin: Satyr Verlag, S. 9-25, hier S. 21f.)

Diese Irritation hatten immerhin einige seit exakt jenem Dienstag, dem 11. September 2001. Daher mein kurzer Kommentar mit so weitreichenden analytischen Folgen von September 2002 in den Gewerkschaftlichen Monatsheften, regelmäßige Leser*innen meiner Homepage kennen ihn schon längst:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.

Mich erinnert Heiko Wernings Situation im Wedding zudem an einen Besuch im Wedding im Jahr 1986, ich war logischerweise noch ein Schüler. Es gab noch unweit die Mauer und natürlich den Palast der Republik, also nicht im Wedding, aber im Osten der Stadt, doch im Wedding gab es ‘linke’ oder auch esoterische WGs, wo es heftige Konflikte gab. In unserer Urlaubs-WG residierte eine Gruppe, vermutlich Marxisten, K-Grüppler, Esoteriker oder/und Sozialpädagog*innen, der männliche Vorbeter mit Bart (kein Muslim) und beim Abendbrot hielten sich alle an den Händen und sagten (das ist kein Witz, das waren die 80er Jahre im Wedding):

Piep piep piep wir haben uns alle lieb und jeder isst, was er kann, nur nicht seinen Nebenmann.

Das war natürlich Bullshit, da ja auch Frauen anwesend waren. Also gab es vor dem Essen eine intensive Diskussion über inklusive Sprache, Frauen wurden dann inkludiert (“nur nicht seinen Nebenmenschen”), aber das wiederum war speziezistisch, da auch ein Hund im Raum war, der auch nicht gegessen werden wollte. Es war kompliziert und es dauerte, bis die Gruppe anfangen konnte zu essen, wir Gäste, die nicht Teil dieser Selbstfindungsgruppe waren, hatten da schon längst gegessen und waren schon beim Dessert (Schokopudding mit Sahne, es waren die 80er Jahre im Wedding).

Jedenfalls gab es schon damals im Wedding Probleme, aber nicht solche wie heute. Es war relativ harmlos, es war die BRD. Es war West-Berlin, bundeswehrfreie Zone.

Das änderte sich am 9. November 1989, seitdem ist nichts mehr harmlos. So schön es schließlich war, ein autoritäres Regime loszuhaben, damals, so schrecklich ist das, was danach kam. Wer möchte das ernsthaft bestreiten. Und man konnte vieles von dem, was seit 1989 passierte, fast erahnen, nicht nur die Nazi-Welle der 1990er Jahre, sondern auch 9/11 und den Krieg gegen die Juden und Israel. All das war bis 1989 eingehegter.

Zuletzt hetzten im Wedding wieder antisemitische Muslime und ihre Freund*innen gegen Israel.

Heutzutage gibt es kaum noch “liebenswürdige Zeitgenossen”, kaum noch bloße “Trottel”, dafür fast nur noch “echte Arschlöcher”…

Shana Tova u-metuka! Das Jahr 5785 wird ein besseres werden. Venceremos.

Am Israel Chai.

Georg Stefan Troller über Israel und die Welt oder: Will Netanyahu den Selbstmord Israels?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

In einem sensationellen Feuilleton-Gespräch mit dem 102-jährigen Georg Stefan Troller in Paris durch den Journalisten Harald Wieser und seinem ZEIT-Kollegen Moritz Aisslinger in der Ausgabe der ZEIT vom 15. August 2024 geht es um das “Jahrhundertleben” Trollers, seine Flucht vor den Nazis, seine Rückkehr mit den Amerikanern 1945, sein Leben in Paris, seine 200 Filme, über die Gefahr der AfD, des Rechtsextremismus und von Trump hin zu Trollers Menschenkenntnis und der Art seines Zugangs zu den Leuten, gerade den ‘einfachen’, jenen aus dem ‘Block’ oder der Gosse, wo er, wie er betont, weit mehr Einsichten in die menschliche Existenz erfuhr, als im Gespräch mit den Schönen und Reichen oder Berühmten.

Ein Interview, das man gelesen haben sollte, wenn man über das zwanzigste und das beginnende einundzwanzigste Jahrhundert sowie Grundfragen des Menschseins mitreden möchte.

Ich möchte hier nur auf eine Stelle eingehen, die natürlich realpolitisch besonders wichtig ist. Auf die Frage, ob es eine “Aussicht auf eine Lösung” des Konflikts mit der Hamas im Gazastreifen geben könnte, sagt Georg Stefan Troller:

Solange Netanyahu an der Macht ist, sehe ich keine. Er will den Konflikt nicht lösen, sondern verschärfen. Es wird nicht gelingen, die Hamas auszuradieren. Es braucht einen Kompromiss, doch daran ist Netanyahu nicht interessiert. Was mich am meisten beunruhigt, ist die Hisbollah, die es gar nicht erwarten kann, Israel anzugreifen. Ich war ja als Reporter beim Jom-Kippur-Krieg dabei und habe diese Nation im Kriegszustand kennengelernt. Man denkt, dass die Menschen dort zu gescheit sind, um Selbstmord zu begehen. Aber was im Moment passiert, ist der Selbstmord Israels vor der Welt. Sie haben all die Sympathien verloren, von denen sie früher gelebt haben.

Dieses Zitat ist von noch viel größerer Bedeutung, als viele es vielleicht ermessen. Denn weiteste Teile der Pro-Israel Szene in Deutschland sind weitgehend ignorant, was die scharfe Kritik an Netanyahu betrifft und was die Tatsache meint, dass er ja hauptverantwortlich ist auf israelischer Seite, dass es zu dem genozidalen Massaker der Hamas an 1200 Jüdinnen und Juden und dem Verschleppen von 251 Geiseln am 7. Oktober 2023 kommen konnte.

Er trägt dafür bis zum Ende seiner Tage die politische Verantwortung und ein seriöser Politiker wäre umgehend zurückgetreten im Oktober 2023.

Dass Netanyahu aber nicht seriös, sondern rechtsextrem ist, zeigte sein Verhalten das ganze Jahr 2023 bis zum 6. Oktober. Er wollte eine “Justizreform” mit aller Gewalt durchboxen und die Gewaltenteilung de facto aushebeln. Das plante oder plant er mit seinen noch weit rechtsextremeren Kräften wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir oder Finanzminister Bezalel Smotrich wie auch Justizminister Yariv Levin.

Pogrome gegen Palästinenser, bei denen die IDF wie vor wenigen Tagen einfach zuschaut, wie Autos oder Gebäude angezündet oder gar Menschen ermordet werden, erschüttern die Regierung in Jerusalem überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit in Israel ist weit kritischer und verlangte 2023 den Rücktritt des “Kriminellen” Netanyahu, der im Kern, jedenfalls bis 2023, nur Opportunist war. Doch seit der Debatte um die Justizreform und seine juristischen Probleme, die er mit der Ausschaltung der Gewaltenteilung auf seine Weise lösen wollte, wurde auch Bibi immer rechtsextremer. Er persönlich hat Israel weltweit isoliert wie wohl kein anderer Regierungschef und keine andere Regierungschefin in Israel seit 1948.

Dass viele Regierungen, namentlich im Globalen Süden, aber auch in Teilen von Europa und der EU, antizionistischen Antisemitismus goutieren oder gar befördern, kommt noch dazu. Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Denn auch wohlwollende Länder, vorneweg die USA, wurden durch das Auftreten und das völlig unkritische Verhalten gegenüber eigenen massiven Fehlern wie von Netanyahu, stark irritiert. Israel hat Besseres verdient als seine aktuelle Regierung, wobei auch das in der Tat dialektisch zu sehen ist, da die Regierung ja gewählt wurde und somit ein Großteil der Bevölkerung ähnlich rechtsextrem denken dürfte wie Netanyahu und seine Regierung. Davor kann man ja nicht die Augen verschließen.

Wenn ich immer die Ankündigungen zu Vorträgen oder Seminaren, Workshops oder Konferenzen der “Pro-Israel-Szene” in Deutschland sehe, ist das fast immer das gleiche langweilige Suhlen im “Wir sind wirklich die Guten!” Was für eine Leistung angesichts der Hamas und des Jihad. Aber zur enormen Gefahr, die Netanyahu für den Zionismus und Israel darstellt, sagten die meisten dieser Leute weder im Jahr 2023 vor dem 7. Oktober Substantielles, noch die Jahre zuvor und schon gleich gar nicht seit dem 7. Oktober 2023.

Die Art und Weise wie gerade Bibi Pro-Israel Politiker*innen in den USA vor den Kopf gestoßen hat, ist unerträglich und hat wohl so viel Schaden angerichtet wie wenig sonst in den bilateralen Beziehungen dieser beiden Länder. Die USA sind das Schlüsselland, was die militärische und diplomatische Hilfe für Israel betrifft – und zwar für alle Zeiten, denn solche Kriegsschiffe, solche geheimdienstlichen wie politisch-diplomatischen Möglichkeiten, wie sie die USA haben, wird Israel nie haben können, das weiß jeder, der oder die noch einen Bezug zur Realität hat.

Nur weil Israel von religiös-fanatischen arabischen Staaten ohne Demokratie und mit verschleierten Frauen umgeben ist, heißt das noch lange nicht, dass Israel selbst eine fabelhafte Demokratie ist, nur weil es dort freie Wahlen und keine dermaßene Frauenverachtung gibt wie in allen arabisch-muslimischen Staaten mit Kopftuchzwang und dem Propagieren oder Dulden von Burka oder Nikab (die auch in Europa bis auf Frankreich, Belgien, Dänemark, Österreich, Holland, Norwegen, Italien nirgendwo verboten sind), vom islamofaschistischen Regime in Teheran nicht zu schweigen.

Netanyahu war schon vor dem 7. Oktober 2023 zur politisch-kulturellen Katastrophe des Landes geworden und seitdem hat er das noch um ein Vielfaches verschärft. Er persönlich ist verantwortlich dafür, dass die Hamas dieses Massaker ohne nennenswerte Gegenwehr der IDF und der Polizei verüben konnte, weil er die militärischen Kräfte ins Westjordanland zu den rechtsextremen Siedlern verlegt hatte und Warnungen über die Hamas nicht ernstnahm. Ein Untersuchungsausschuss wird das die nächsten Jahre alles offenlegen, aber Israel hat nicht so viel Zeit. Das Vertrauen, das Netanyahu gerade in den USA verspielt hat, ist schwer in Worte zu fassen. Dabei ist Joe Biden ein Zionist und hat sich eisern hinter den Judenstaat gestellt. Aber das Taktieren von Netanyahu mit den Verbrechern der Hamas schadet nicht nur den Geiseln, sondern auch der internationalen Reputation Israels, die es in vielen Jahrzehnten mühsam aufgebaut hatte.

Mögen die weisen, oben zitierten Worte des scharfsinnigen Georg Stefan Troller Wirkung zeigen und möge Israel endlich einen neuen Weg beschreiten, ohne Netanyahu. Im Namen des Zionismus braucht Israel einen Neuanfang und das endlich ohne diesen unerträglichen und extrem gefährlichen Benjamin Netanyahu.

Zum Schluss nochmal Georg Stefan Troller aus dem Gespräch mit Harald Wieser und Moritz Aisslinger:

Zeit: Charlie Chaplin hat, als er auf die 90 zuging, gesagt: ‘Ab einem gewissen Alter tut auch die Freude weh.’ Würden Sie zustimmen?

Troller: Bei mir ist es andersherum: Je älter ich werde, desto positiver schaue ich auf die Welt, trotz aller Düsternisse. Im Großen und Ganzen könnte man sagen, ich bin als Pessimist gestartet und habe mich über tausend Hindernisse zum Optimisten entwickelt. Das finde ich als Fazit nicht schlecht.

 

Der sehr ehrenwerte Meron Mendel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Meron Mendel ist ein beliebter Redner und häufig Gast in Funk und Fernsehen. Er wendet sich im Februar 2024 in einem Beitrag für die Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik gegen die Sanktionierung von Antisemitismus und schreibt:

[Der Jurist] Möllers argumentiert, dass das Recht auf Meinungsfreiheit sogar antisemitische und rassistische Äußerungen schützt (solange sie nicht unter den Strafbestand der Volksverhetzung fallen). Und das Recht auf Kunstfreiheit schützt dementsprechend auch antisemitische und rassistische Kunstwerke.

„Das wirkt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wie ein Skandal, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt“, so Möllers.

Daraus leitet er ab, dass der Staat den Kulturinstitutionen keine Inhalte vorschreiben darf. Staatliche Stellen „dürfen nicht entscheiden, welche Stücke gespielt, welche Schauspieler besetzt, welche Personen zu Vorträgen eingeladen oder wessen Kunstwerke ausgestellt werden. Der Staat hat die öffentliche Einrichtung und deren Verfahren so auszugestalten, dass Kunstfreiheit in ihnen real ermöglicht wird.“ Die Auflage, eine Antidiskriminierungsklausel zu unterschreiben, um staatliche Förderung zu erhalten, ist da ein Signal in die falsche Richtung.

Ein Problem hat Meron Mendel vor allem mit dem Kampf gegen Antisemitismus, insoweit dieser nicht von Neonazis oder der AfD kommt. Namentlich der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung Felix Klein ist ihm ein Dorn im Auge, wie er in den blättern schreibt:

Eine solche Kontroverse war die „Mbembe-Debatte“ 2020. Es ging um den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe, der als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale eingeladen war. Mbembe ist einer der internationalen Philosophie Superstars und so glaubte man, mit ihm als Eröffnungsredner einen Coup
gelandet zu haben. Die Begeisterung wurde jedoch nicht von allen geteilt. So forderte der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, mit Verweis auf als antisemitisch gelesene Passagen in Texten des Philosophen dessen Ausladung.

Mendel zitiert nicht einen Satz von Mbembe, warum dieser Autor in die Kritik geriet. Er macht Mbembe umgehend zu einem Opfer böser Aktivisten wie hier Felix Klein. Doch was hatte Mbembe denn geschrieben, was für eine Ideologie vertritt er? Ich hatte mich schon vor der Mbembe-Debatte 2020 mit ihm beschäftigt und 2019 geschrieben (“Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik”):

In seinem Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ analysiert und kritisiert der kameruner Politologe Achille Mbembe die Gewalt des Kolonialismus und des Rassismus. Zu Recht attackiert er sowohl den Islam wie das Christentum und den Kolonialismus als universalistische Ideo­logien, die Afrika unter sich aufteilt­en, auch wenn das Wort „Ideologie“ kaum auftaucht. Die Ge­walt­för­mig­keit des „Neger“-Daseins, Mbembe verwendet absichtlich das Nomen „Neger“, wird plastisch und bedrückend dargestellt. Es ist nur so, dass Mbe­m­be im Rassismus und Kolonialismus die einzige und die Welt beherrschende Ide­o­logie sieht.

Für die Antisemitismusforschung gilt es, Mbembe kritisch zu lesen. Es geht um folgende Stelle in seinem Band „Kritik der schwarzen Vernunft“, die alles auf den Punkt zu bringen scheint. Er bezieht sich auf den auf der karibischen Insel Martinique geborenen Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der „Négritude“ Aimé Césaire (1913–2008), und schreibt:

„Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei ‚nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen […], nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren‘“. (Mbembe 2014: 290, Anm. 9)

Dieses Zitat steht für weite Teile der postkolonialen Forschung und indiziert einen postkolonialen Antisemitismus: Es leugnet, dass die Shoah ein nie dagewesenes Verbrechen war. Zudem wurden Juden demnach nicht als Juden, sondern als „Weiße“ ermordet. Das ist eine weitere Form des Antisemitismus, die Juden das Jude-Sein abspricht und fantasiert, Juden seien nicht als Juden von den Deutschen im Holocaust ermordet worden.

Achille Mbembe hat also überhaupt nicht verstanden, was den Holocaust kategorial von rassistischen Gewalttaten wie im Kolonialismus unterscheidet. Er leugnet offensiv, dass die Shoah präzedenzlos war. Er macht Juden zu “weißen Menschen” und das ist ein Kernelement des postkolonialen Antisemitismus weltweit.

Von daher hatte Felix Klein mit seiner Intervention völlig Recht. Doch Meron Mendel hat ganz offenkundig mit dieser Art von postkolonialem Antisemitismus kein Problem. Entweder erkennt er ihn nicht oder er erkennt ihn sehr wohl, möchte aber nichts dagegen unternehmen. Beides indiziert ein intellektuelles Versagen.

Meron Mendel jedoch wehrt jedwede substantielle Kritik wie Ausladungen oder die Drohung, den Geldhahn für antisemitische Institutionen oder solche, die Antisemitismus auf die Bühne oder in die Zeitschrift etc. pp. bringen, vehement und grundsätzlich, aber in der ihm typischen seichten Sprache ab.

Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass er natürlich ob des extrem angestiegenen Antisemitismus in Deutschland und weltweit seit dem 7. Oktober 2023 weiß, er zitiert dazu auch Zahlen. Doch er sieht nicht, wie es Juden und pro-israelischen wie pro-jüdischen Aktivist*innen in Deutschland seit dem schrecklichsten Massaker an Juden seit der Shoah geht. Was für ein Schock dieser Tag war. An diesem Tag wurden von Cola trinkenden und “Allahu Akbar” schreienden Palästinensern in einem präzedenzlosen Blutrausch und einem so seit dem Holocaust nicht dagewesenen Abschlachten, Vergewaltigen, Köpfen, Massakrieren und Verbrennen über 1200 Jüdinnen und Juden im Süden Israels ermordet sowie mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, von denen bis heute 116 weiter gefangen gehalten und misshandelt werden, Dutzende von ihnen sind schon tot und es wird befürchtet, dass viele weitere Geiseln auch nicht mehr am Leben sind.

Kein Ereignis hat die Juden weltweit seit 1945 so schockiert wie dieses Massaker der Hamas, des Islamischen Jihad und ganz normaler Palästinenser. Dass es auch liberale Palästinenser gibt, die schon zuvor aus Abscheu vor dem Islamismus der Hamas hatten, gegen die Hamas politisch kämpften und demonstrierten und am 7. Oktober schockiert waren ob der Freudentänze in Gaza oder dem Süßigkeiten verteilen ob des Massenmords an Juden wie in Berlin-Neukölln, zeigt das Beispiel von Hamza Howidy. Er steht symbolisch für den jahrzehntelangen Slogan der Pro-Israel Szene

FREE GAZA FROM HAMAS.

Dass der Antisemitismus auch nach der Herrschaft der Hamas nicht von heute auf morgen verschwunden sein wird, ist völlig klar. Man denke an die Jahrzehnte, die es dauerte, bis die Bundesrepublik anfing, sich kritisch mit der NS-Geschichte und dem Holocaust zu befassen und man denke daran, wie diese mühsame Erinnerungsarbeit mit den Reaktionen und Nicht-Reaktionen zumal der kulturellen Elite in Deutschland und weltweit nach dem 7.10.2023 komplett zunichte gemacht wurde.

Als bei der Berlinale 2024 ein Regisseur auf der Preisverleihungsfeier Israel einen wörtlich “Genozid” an den Palästinensern in Gaza vorwarf, sprang der mutigste aller Juden, die in Deutschland leben, dem mit Applaus auf der Berlinale Gefeierten heldenhaft zur Seite und sagte dem Berliner Tagesspiegel:

Während der Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnung von einem Genozid, einem Völkermord.

Mendel sieht keinen Fall von Antisemitismus. „Ich würde von antiisraelischen und einseitigen Äußerungen sprechen, aber nicht von antisemitischer Rhetorik“, bekräftigte der israelisch-deutsche Publizist im Bayerischen Rundfunk. Zur Kritik aus der Politik sagte er, es gehe nur darum, aus dem Thema „einen politischen Gewinn zu machen und eine Art von Symbolpolitik zu machen“. Solche Reden würden im Kampf gegen den Antisemitismus nicht helfen.

Damit leugnet Mendel, dass Hass auf Israel, dass antiisraelische Agitation “antisemitische Rhetorik” darstellt. Da lacht natürlich die Zeitung für Deutschland FAZ und lädt Mendel und seine Frau ein, weiterhin ihre Verdrehungen und vor allem Verharmlosungen des heutigen Antisemitismus unters allzu deutsche Volk zu bringen – denn wer liest schon FAZ?, die kulturelle Elite und sonst niemand. Doch für Mendel ist laut dem Tagesspiegel wie zitiert eine “antiisraelische” Äußerung keine “antisemitische Rhetorik”.

Es steht auch im Widerspruch zur aktuellen Rechtsprechung in Deutschland, die eine antiisraelische Parole als “Billigung von Straftaten” verurteilt hat:

Erstmals ist in Berlin der Ausruf “From the river to the sea” mit einer Geldstrafe geahndet worden. (…)

Das Amtsgericht Tiergarten hat eine 22-Jährige aus Berlin wegen Verwendung der Parole “From the river to the sea – Palestine will be free” zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Das teilte das Gericht am Dienstag mit. Rechtlich bewertete das Gericht das Rufen dieser Parole auf einer verbotenen Versammlung in Berlin-Neukölln im Oktober 2023 als Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Es sei also nicht antisemitisch, wenn mann oder frau antiisraelisch hetzt, mit solchen Thesen gibt Meron Mendel dem heutigen antizionistischen Antisemitismus einen Koscherstempel. Er gibt damit ja sogar zu, dass dies keine Kritik an einer bestimmten Politik ist, sondern dezidiert antiisraelisch. Aber das reicht dem Superforscher Mendel nicht, darin etwas Gefährliches oder Antisemitisches oder Strafbares zu erkennen. Er will es nicht sehen.

Doch in der internationalen Antisemitismusforschung wird genau das seit Jahrzehnten detailliert und kritisch dargelegt: der heutige Antisemitismus ist im Kern antiisraelisch.

Wer das leugnet, ist nicht nur nicht auf dem Stand der internationalen Forschung, sondern gibt selbst diesem gefährlichsten aller heutigen Ressentiments auch noch Feuer.

Das ist nur ein Beispiel für die groteske Art von Forschung oder Publizistik von Meron Mendel, sie mag hier pars pro tot stehen. Jemand, der nicht umgehend den Antisemitismus dieser Szene auf der Berlinale 2024 erkennt, ist ungeeignet, als Experte für den Kampf gegen Antisemitismus zu gelten.

Doch sie zahlt sich aus diese Art von Publizistik, Mendel bekommt nonstop Anerkennung für seine zu kurz geratene oder verschwommene Kritik oder Nicht-Kritik am Antisemitismus.

Als bekannt wurde, dass Meron Mendel mit seine Ehefrau Nur-Cheema die Buber-Rosenzweig Medaille 2025 des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit erhalten soll, hat intern, mit einem Brief an diesen Koordinierungsrat, der Präsident des Zentralrats der Juden sich eingeschalten. Was in dem Brief steht, ist öffentlich nur in Auszügen bekannt:

Schuster wirft jedoch Mendel »umstrittene und zum Teil untragbare Positionierungen« vor.

Die Anerkennung eines Staates “Palästina”, die Mendel befürwortet, mag ein weiteres Zeichen sein, warum Meron Mendel ganz sicher nicht im Namen der übergroßen Mehrheit der Juden in Deutschland oder auch in Israel, wo er herkommt, spricht. Angesichts eines genozidalen Massakers von Palästinensern diesen nun als quasi Dank einen eigenen Staat zusprechen – mit einer Regierung aus Hamas und Fatah? Mit Hamas-Massenmördern als Ministern und diplomatischen Vorzügen aller Art? Das ist wirklichkeitsfremd, oder aber politisch fanatisch.

Gerade liberale und antiislamistische Palästinenser wie Hamza Howidy, der mit Glück den Klauen der Islamfaschisten der Hamas entkommen konnte, betonen, dass die Palästinenser noch jahrelang überhaupt nicht reif sein werden für einen eigenen Staat. Erstmal muss es eine “Deradikalisierung” geben, die mit pädagogischen und politischen Programmen initiiert und unterstützt werden sollte, wie Howidy vor wenigen Wochen in Heidelberg auf einer Veranstaltung sagte. Howidy ist unendlich näher dran an der Realität im Gazastreifen als Meron Mendel, Howidy weiß im Gegensatz zu Mendel, wovon er spricht, wenn es um Palästina geht.

Nun haben Meron Mendel und Saba-Nur Cheema in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine ihrer Kolumnen geschrieben, wo sie völlig ernsthaft eine Linie aufmachen von islamistisch-faschistischen Regimen wie in Teheran und der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie – und sich selbst und dem Zentralrat der Juden in Deutschland und Josef Schuster.

Mit “Zweifel” hat ihr Text und haben ihre sonstigen Auslassungen nichts zu tun, dafür mit einem äquidistanten Gerede, das Antisemitismus und Islamismus nur zum Thema macht, um sie zu verharmlosen. Sie sehen sich als unterdrückte Minderheit in Deutschland – als FAZ-Kolumnist*innen. Man sieht wie absurd das ist. Sie bringen noch weitere Analogien von Minderheiten oder Dissidenten in der Geschichte und maßen sich an, hier Spinoza zu erwähnen und gerieren sich als Opfer – Opfer einer wirklich bösen Gruppe, des Zentralrats der Juden in Deutschland sei. Da lachen die Rechten aller Art aber schallend, denn den Zentralrat können die auch überhaupt nicht leiden.

Mendel und Cheema dürfen in der FAZ also Folgendes schreiben:

Als dreckige Wäsche gilt insbesondere Kritik an israelischer Politik. (…)

In der islamischen Welt hat die Praxis der Exkommunizierung, der sogenannte Takfir, eine lange Tradition, obwohl sie stark umstritten ist: Für die einen wird der – echte oder zugeschriebene – Glaubensabfall als Verbrechen gesehen, der sogar mit dem Tod bestraft werden muss. Für die anderen ist es ein Konzept, das den islamischen Prinzipien widerspricht.

Seit dem Aufblühen des Islamismus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird der Takfir allen voran von gewaltbereiten Fundamentalisten eingesetzt. Besonders bekannt ist der Fall des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie, der für seinen Roman „Die satanischen Verse“ 1989 zum Ungläubigen erklärt und mittels einer Fatwa durch den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde

Nun: es gibt weltweit keinen größeren Volkssport als “Israelkritik”. Nahezu jeder Bewohner und jede Bewohnerin ist entweder selbst in so einem Sportclub mit dem Namen “Ist doch nur Israelkritik”, “Man wird ja wohl noch sagen dürfen” oder kennt Leute, die in so einem Club drin sind. Die meisten waren schon lange vor dem 7. Oktober Mitglied in so einem Club, aber einige kamen erst nach dem 7.10. dazu, dafür umso aggressiver und engagierter. Daher die Vielzahl offener Briefe, die sich hinter antisemitische Student*innen stellen, sei es an der Columbia University in New York City oder an der FU Berlin. Seit der zweiten Intifada von Herbst 2000 und dann dem 11. September 2001 gibt es wirklich keine beliebtere Sportart weltweit als die “Israelkritik”.

Meron Mendel jedoch möchte vor allem eingeladen und vom Mainstream getätschelt werden. Daher ja auch seine und Cheemas Kolumne in der Zeitung für Deutschland. Er wird als Jude und in Israel Geborener geehrt, der es geschafft habe, ‘trotzdem kritisch’ zu bleiben. Weil ja sonst üblicherweise Juden und in Israel Geborene die größten Trottel und Fanatiker sind, das ist der Tenor oder die Motivation von all jenen, die die Mendels so loben und preisen.

Dabei ist das, was Mendel als Kritik versteht, häufig nur Ressentiment und vor allem die obsessive Abwehr jedweder luziden Islamismus-, Antisemitismus- und Antizionismuskritik. Meron Mendel sieht einfach häufig den Antisemitismus nicht, sei es der von Achille Mbembe oder der jenes des Filmemachers Ben Russel auf der Berlinale 2024. Wissenschaftlich ist das, was Mendel oft von sich gibt, einfach nur desolat, aber politisch und gesellschaftlich ist es höchst gefährlich.

Er selbst zitiert in seinem blätter-Beitrag von Februar 2024 den zionistischen Journalisten Richard C. Schneider und merkt gar nicht (oder er merkt das sehr wohl, aber ignoriert es), dass Schneider damit gerade auch Leute wie Meron Mendel und dessen “Kunst” oder die jener, die Mendel immer und immer und wirklich immer wieder, gerade nach dem 7. Oktober 2023 in Schutz nimmt, meinen könnte:

Die FAZ warf der Documenta „Dekolonisierungskunst“ vor, sie arbeite „mit der Moral – und als Reich des Bösen hat sie Israel identifiziert“. Während sich die einen als Antirassisten verstanden, vertraten die anderen die Auffassung, es gehe hier um die letzte Verteidigungslinie vor dem eliminatorischen
Antisemitismus, der den gesamten Kulturbetrieb zu dominieren drohe. Wie der Journalist Richard C. Schneider schrieb: „Solche ‚Kunst‘ kann töten. Sie hat getötet.“ (Meron Mendel, blätter 2/24)

Mendel ist ein Olympiasieger im Lavieren. Er möchte immer und überall dabei sein und wird gerne eingeladen. Er ist irgendwie schon auch gegen die antisemitische BDS-Bewegung, aber irgendwie auch nicht. Warum klare Aussagen machen, wenn man doch auch immer um den heißen Brei des Antisemitismus herum tanzen kann? Das macht viel mehr Spaß und die nächste Einladung ist ihm gewiss.

Im März 2023 schreibt der NDR:

Die BDS-Bewegung (Boykott, De-Investition und Sanktionen) ist besonders in Deutschland als antisemitisch verschrien. Meron Mendel findet die Mittel der Kampagne falsch. Aber er arbeitet überzeugend heraus, dass es sich bei der Initiative um ein loses Netzwerk mit interpretationsbedürftigen Forderungen handele. Der Generalverdacht des Antisemitismus führe häufig dazu, dass palästinensische Stimmen nicht mehr gehört werden.

Ich habe 2018 in meinem Band “Der Komplex Antisemitismus” Folgendes über Meron Mendel als Herausgeber eines Buches zu Antisemitismus geschrieben:

Einer der am weitesten verbreiteten Fehler der Publizistik und Forschung zu Antisemitismus ist die Annahme, es handele sich hierbei nur um eine gegen Juden gerichtete Form des Rassismus. Das Genozidale, Wahnhafte und Obsessive am Antisemitismus wird verkannt. Antisemitismus basiert auf der Angst vor der eingebildeten Macht der Juden. Daher rühren die Verschwörungsmythen, vorneweg die Protokolle der Weisen von Zion (um 1905).[1]

Rassismus hingegen basiert auf der Herrschaft über eine als minderwertig definierte Gruppe. Häufig geht es um Ausbeutung und Macht, es geht um das cui bono, wem nützt es. Nicht so beim Antisemitismus, der jenseits von Nützlichkeitserwägungen existiert. Repräsentativ für das teilweise Nicht-Verstehen des Antisemitismus ist ein Tagungsband einer großen Veranstaltungsreihe der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft und in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts sowie dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin. Unter dem Namen „Blickwinkel“ haben diese Institutionen von 2011 bis 2017 jährliche Tagungen veranstaltet, eine Auswahl der offenbar besonders guten Beiträge der Tagungen von 2014 bis 2016 wurde 2017 publiziert.

In dem Band sind neben einem Grußwort der Geldgeber wie der maßgeblichen Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) und der Einleitung der Herausgeber*inn­en Meron Mendel und Astrid Messerschmidt 14 Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Alltagskommunikation und Jugendarbeit, Religion, sozialpsychologischen Fragestellungen und „Antisemitismuskritik im Kontext von Rassismus“ abgedruckt.[2] Darunter fällt auch der Beitrag von Jihan Jasmin Dean: „Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute“. Sie ist Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) und am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies der Uni Frankfurt und postuliert:

„Insofern kann Antisemitismus als eine von mehreren, spezifischen Aus­prä­g­ungen rassifizierenden Diskurse gesehen werden, zu denen auch anti­mus­lim­ischer Rassismus, Antiziganismus und Kolonialrassismus gehören.“[3]

Antisemitismus sei also eine von vielen Formen „rassifizierender Diskurse“. Demnach werden heute Muslime, die als Opfer von „antimuslimischem Rassismus“ eingeführt werden, so behandelt wie früher die Juden, oder wie ist das gemeint mit dem „rassifizierenden Diskurs“? Seit wann wird heute von Muslimen als „Rasse“ gesprochen? Hat sich Dean je mit der Geschichte des rassebiologischen Antisemitismus befasst? Im Text jedenfalls ist davon nichts zu merken. Im Folgenden werden von der Autorin Muslime als die eigent­lichen Opfer der heutigen Zeit seit 9/11 dargestellt. Kein Wort des Schocks über das unglaubliche islamistische Verbrechen des 11. September 2001, als gekaperte Personenflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center flogen und 3000 Menschen lebendig verbrannten, zerfetzt und zer­quet­scht wurden und in den Tod sprangen. Kein Wort zu diesem Grund der Kritik am heutigen Islamismus.

Dass es schon seit vielen Jahren, lange vor 9/11, ordinären Rassismus gibt, gerade gegen Türken, aber noch früher gegen Italiener, die früher als „Gastarbeiter“ in die BRD kamen als Türken („Anwerbeabkommen“ der BRD mit Italien 1955, mit der Türkei 1961), das ist längst bekannt und viel diskutiert. Auch Griechen, (mittlerweile Ex-) Jugoslawen, Schwarze und viele andere sind in der BRD seit Jahrzehnten vielfältigen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Es gibt Rassismus in Deutschland – doch der ist gegen alle als nicht-deutsch definierten Menschen gerichtet. Die Muslime als besondere Opfergruppe herauszunehmen, läuft fehl. Das umso mehr, als ja der Islamismus eines der größten Probleme unserer Zeit ist, was man vom Christentum nicht behaupten kann, unabhängig davon, ob man nun die christliche Religion sinnvoll oder nicht findet. Aber es gibt keine christlichen Selbstmordattentate weltweit und keine Sicherheitsüberprüfungen an Flughäfen aufgrund von christlichen Terroristen, sondern aufgrund von Islamisten.

Die Rechten unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus, das ist ein großes Problem. Aber ebenso wenig sollte und darf das die notwendige und sehr scharfe Kritik am Jihad und Islamismus verdrängen. Die Rede von „rassifizierten Communities“[4] ist eine sprachliche Verharmlosung, ja Leugnung der Spezifik des rassebiologischen Antisemitismus. Hier und heute wird in Deutschland keine einzige Migrantengruppe als „die Gegenrasse“ betrachtet wie früher die Juden. Das ist eine solche sprachliche Absurdität, dass man schon an der Wortwahl merkt, dass die Autorin den kategorialen Unterschied von Vernichtung und Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus nicht kennt. Schon ihr Begriff „Rassifizierung“ ist kontraproduktiv, ja universalisiert die sehr spezifische und einzigartige Konstruktion der Juden zu „der Gegenrasse“ schlechthin. Für die Nationalsozialisten war „der“ Jude – und nicht etwa „Jüdinnen und Juden“, wie das in an diesem Beispiel grotesk anmutenden Gender-Jargon heißt – der Feind der Menschheit sowie der Deutschen. Es geht um das „jüdische Prinzip“, wie es sich in der antisemitischen Ideologie zeigt, sei es Mammon, Moloch, Ahasver (vgl. Kapitel 1) oder andere Topoi. Das Kunstwort „Rassifizierung“ im Beitrag von Dean – dem längsten in dem Band – stellt eine Analogie von Juden und anderen her, die angeblich genauso oder ähnlich diskriminiert würden. Sie schreibt über Juden und den Zionismus Folgendes:

„Kritik und Anerkennung müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen. Mitt­lerweile gibt es politische Ansätze wie den radical diasporism, welche der israelischen Besatzungspolitik kritisch gegenübersteht, sich aber glei­ch­zeitig einer öffentlichen Positionierung zu dieser entziehen bzw. widersetzen will, weil sie sich in der Diaspora verorten. Aus einer theoretischen Perspektive, die Jüdische Studien mit Postkolonialer Theorie verbindet, kann der politische Zionismus als ambivalentes Projekt – als Diskurs einer anti­kolonialen nationalen Befreiungsbewegung und eines Siedlerkolonialismus zugleich – betrachtet werden“.[5]

Dean kokettiert mit dem antizionistischen Anti­semi­tis­mus gleich doppelt, indem sie sich hinter die marginale Gruppe von Juden stellt, die sich nicht als zionistisch, sondern in der Diaspora verhaftet begreifen. Dazu definiert sie in einer beachtlich überheblichen Manier die welt­hist­or­ische Bewegung des Zionismus als „ambivalent“.

Jihan Jasmin Dean bezieht sich positiv auf eine der derzeit erfolgreichsten und aggressivsten antisemitischen Bewegungen: die BDS-Bewegung zum Boykott Israels. Sie schreibt:

„Darüber hinaus ist es problematisch, BDS zu einer universellen Strategie zu erheben, denn es kommt auch auf den historisch-geografischen Kontext an, in dem sie angewandt wird – in Deutschland schließt eine Boykottforderung unweigerlich an antisemitische Diskurse an. Dennoch kann BDS als eine parti­ku­lare und kontextabhängige Strategie anerkannt werden, die in der palä­sti­nen­sischen Bevölkerung breiten Rückhalt hat und auch internationale Un­ter­stützung findet“.[6]

Diese positive Würdigung der weltweiten BDS-Bewegung ist skan­da­lös – in einem Band, der sich mit „antisemitismuskritischer Bildung“ befassen möchte und doch Antisemitismus unterstützt. Die Berliner Land­es­reg­ier­ung, repräsentiert durch den Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), spricht sich klipp und klar gegen BDS und gegen internationale BDS unterstützende Künstler*innen aus, was angesichts der nun jährlich auf­tret­en­den BDS Kam­pag­nen gegen das große Pop-Kultur-Festival in Berlin von großer Be­deut­ung ist (vgl. Kapitel 5.3). Hingegen promotet der von Meron Mendel und Astrid Messerschmidt edierte Forschungsband BDS, in dem gesagt wird, BDS sei nur in Deut­schland wegen der Geschichte un­günstig, aber nicht sonst­ wo.

[1] Hadassa Ben-Itto [1998]/(2001): „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Anatomie einer Fälschung, Berlin: Aufbau Verlag.

[2] Meron Mendel/Astrid Messerschmidt (Hg.) (2017): Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Unter Mitarbeit von Tom David Uhlig, Frankfurt/New York: Campus. Mendel ist Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Messerschmidt Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Wuppertal, wie das Buch die beiden bewirbt.

[3] Jihan Jasmin Dean (2017): Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute, in: Mendel/Messerschmidt (Hg.), S. 101–129, hier S. 105.

[4] Ebd., S. 107.

[5] Ebd., S. 121.

[6] Ebd., S. 104.

So viel aus meiner Studie “Der Komplex Antisemitismus”. Ich hatte also schon 2018 Meron Mendel im Visier und spürte, was für eine höchst problematische Art von Wissenschaft und Publizistik er betreibt. Das Publizieren dieses hier analysierten Texte von Jihan Jasmin Dean durch Meron Mendel und seine Kollegin Astrid Messerschmidt zeigte schon 2017, wie antisemitische Topoi wie selbstverständlich und in einer akademischen Diktion Mainstream sind.

Die Leugnung der Spezifik des genozidalen Antisemitismus, während Rassismus völlig andere Formen annimmt und auf Ausbeutung und Abwertung, aber nicht auf Vernichtung zielt, zeigt sich hier exemplarisch. So ein Text, den Mendel hier co-edierte, steht ganz typisch für den fast gesamten postkolonialen, postmigrantischen oder migrantischen und selbst ernannten antirassistischen Diskurs. Wer die BDS-Bewegung nur in Deutschland irgendwie problematisch findet, aber ansonsten völlig OK, der oder die trägt zur Dämonisierung Israels bei und gibt dem Judenhass letztlich Vorschub. Der Kern der BDS-Bewegung ist ja das “Rückkehrrecht” der 1948 vertriebenen Palästinenser, so wie wenn Neonazis und Vertriebenenverbände bis heute die Rückkehr von Millionen Vertriebenen die Rückkehr nach Polen oder in die Tschechische Republik fordern würden und natürlich das inklusive aller bis heute Nachgeborenen, also jenen “Vertriebenen”, die 2024 in Berlin-Neukölln geboren wurden.

Kritik an der aktuellen israelischen Regierung ist absolut notwendig und in Israel demonstrieren täglich und wöchentlich Hunderttausende gegen die Regierung. Bis zum 6. Oktober 2023 waren dies sehr wichtige und notwendige Demonstrationen gegen eine geplante “Justizreform”, die der rechtsextremen Regierung Netanyahu noch mehr Möglichkeiten der Herrschaftsabsicherung gegeben hätte. Aktuell und seit Monaten sind die Proteste gegen die Regierung für die Freilassung der Geiseln und für einen Deal mit den Monstern der Hamas. International, nicht zuletzt in Washington, D.C., wird völlig zu Recht Netanyahu als ganz großes Hindernis für so einen Deal erkannt. Joe Biden sagte letzte Woche in einem Telefonat zu Netanyahu, er solle aufhören, Bullshit zu reden:

stop bullshitting us.

Das ist aus dem Munde eines erklärten Zionisten wie Joe Biden eine Kritik unter Freunden. Biden weiß, dass entgegen dem Mossad, dem Shin Bet, der IDF oder dem Verteidigungsminister Gallant Netanyahu ein Kernproblem ist, warum es keinen Deal zur Freilassung der Geiseln gibt.

Die Position von Joe Biden ist das pure Gegenteil dessen, was ein Meron Mendel tut, wenn er nicht mal bei Filmemachern, die Israel auf der Berlinale “Genozid” vorwerfen, glasklaren antizionistischen Antisemitismus wie erinnerungsabwehrenden Antisemitismus – Abwehr der Erinnerung an das schlimmste Massaker seit der Shoah – zu erkennen vermag.

Gleichzeitig – auch das sieht Joe Biden – gibt es eine massive Siedlergewalt im Westjordanland, die in Israel selbst von Linken und Liberalen auch kritisiert wird, auch wenn diese Kritik seit dem 7.10. hinter dem Ruf “BRING THEM HOME NOW” zurücksteht. Auch antisemitische Ultraorthodoxe die angesichts ihrer Einberufung in die IDF von “Auschwitz” faseln verbreiten eine widerwärtige Form des heutigen Antisemitismus, sie sind ein Zerrbild des antizionistischen Antisemitismus der Linken im Westen. Ultraorthodoxe antisemitische Hetzer schreien aktuell:

Hundreds of  Haredim block the entrance to an army job fair for yeshiva students, shouting: ‘The soldiers in Gaza are not protecting us, the Torah protects us’, ‘You are Auschwitz’.

Kritik an diesen unerträglichen religiösen Zuständen in Israel ist von größter Bedeutung. Aber das wird meist nicht gemeint, wenn von “Israelkritik” dahergeredet wird. Vielmehr wird unter “Israelkritik” meistens jener Hass schön geredet, der die komplette Ablehnung Israels als jüdischer und demokratischer Staat meint und für eine Einstaatenlösung plädiert: “from the river to the sea” – es gibt auch expansionistische, irrationale und fanatische Juden und Jüdinnen, die so etwas fordern, ein Israel im gesamten Gebiet, was das politische Ende Israels bedeuten würde, da Juden keine Mehrheit mehr im Land hätten, die aber der Kernpunkt zionistischer Souveränität ist.

Schließlich: Psychoanalytisch gesprochen hat jemand, der nach dem 7. Oktober 2023 Israelhass nicht als Antisemitismus erkennt und auch nicht so scharf wie nur möglich sanktionieren will, einen Realitätsverlust. Meron Mendel bezieht sich in seinem mit Cheema verfassten Text in der FAZ perfiderweise auch auf Eva Illouz, die Linkszionistin. Die beiden FAZ-Kolumnist*innen meinen, deren Kritik an Bibi oder der politischen Kultur in Israel wäre genau das, was sie hier auch machten in Deutschland. Und das ist eben ein Realitätsverlust.

Eva Illouz kämpft vehement gegen ihre ehemalige linke Genossin Judith Butler und Illouz kämpft gegen Netanyahu – aber sie kämpft Seite an Seite mit Millionen linkszionistischer Israelis.

Aber sie agiert nicht in einem vor Antisemitismus triefenden Land wie der Bundesrepublik Deutschland, wo nur noch ein Teil der politischen Elite sich gegen Antisemitismus stellt – wie Felix Klein und einige führende Politiker*innen -, aber die kulturelle Elite dermaßen antisemitisch ist, dass ein äquidistantes Geschwätz von wegen man sei sowohl gegen Rassismus als auch gegen Antisemitismus, man sei sowohl für Israel, als auch für Palästina (als Staat, hier und heute), man sei für postkoloniale Kritik und für Mbembe, aber trotzdem nicht für Holocaustverharmlosung, wie es Meron Mendels Tagesgeschäft ist, dem Antizionismus, der Holocaustverharmlosung und dem Antisemitismus Tür und Tor öffnet.

Dass sich dann Anfang August 2024 Meron Mendel mit Saba-Nur Cheema in der FAZ als Opfer darstellen des Zentralrats der Juden in Deutschland, so wie Salman Rushdie ein Opfer des Iran ist, das ist an Geschmacklosigkeit und Perfidie wirklich nicht zu toppen. Der Iran plant Israel auszulöschen und deutsche Kolumnist*innen der Zeitung für Deutschland sehen den Iran als so große Gefahr international wie es der Zentralrat der Juden in Deutschland hierzulande sei. Es ist schon eine Unverschämtheit, wenn sie Mendel und Cheema mit Rushdie in Beziehung setzen, da sie alle drei dissident seien.

Doch es ist politisch höchst gefährlich, wenn sie zugleich ein auf den Genozid an Juden gerichtetes Regime und dessen islamistische Politik mit der Kritik des Zentralrats an problematischen Autoren auf eine Stufe stellen – das ist eine dermaßen ungeheuerliche Trivialisierung des Jihad und Dämonisierung des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass man es kaum glauben mag, dass dies im konservativen Mainstream, der sich immer so pro-israelisch dünkt, sagbar ist.

Wir erleben derzeit geradezu “esoterische Formen der Politik” und eine “rituelle Vergemeinschaftung”, die zu einer Lagerbildung führen, sagt Lars Henrik Gass, Autor, Filmschaffender und Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage seit 1997, in einem sehr interessanten Gespräch mit Felix Klein.

Es ist bezeichnend, dass Meron Mendel sich im Februar 2024 gerade gegen Felix Klein und dessen konsequente Kritik des Antisemitismus wendet und es indiziert, wie wenig Mendel verstanden hat, wie der Antisemitismus gerade in der Kulturszene hier und heute vorherrschend ist.

Die Erklärung GG5.3., die von Meron Mendel in oben zitierten Artikel in den blättern verteidigt wird, kritisiert Lars Henrik Gass im Gespräch mit Felix Klein, weil auch mit dieser Kampagne Antisemitismus geduldet werde, namentlich die antisemitische BDS-Kampagne. Die Pointe ist darüber hinaus, dass zu der Zeit, als diese Erklärung GG 5.3 publiziert wurde, im Dezember 2020, das Grundgesetz nur noch in Teilen galt.

Während der Coronapolitik vertraten weiteste Teile der Anti-Israel-Szene die genau gleiche irrationale, unwissenschaftliche, nicht evidenzbasierte und antidemokratische Coronapolitik wie weiteste Teile der Pro-Israel Szene. Daher schrieb ich am 31. Januar 2021 in einem working paper:

Erstmal ein paar Bemerkungen zum Begriff „Weltoffenheit“ und „GG“ (Grundgesetz) im Herbst und Winter 2020/2021: Im Dezember 2020 so zu tun, als ob Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes in Kraft wäre, ist ein Hohn: „(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind im Dezember 2020 so wenig frei wie im November 2020 oder im Januar 2021: es herrscht der antidemokratische Lockdown, sämtliche Bildungseinrichtungen sind geschlossen (seit Mitte Dezember auch die Schulen), es finden keine Vorlesungen statt, Bibliotheken sind zu bzw. nur äußerst begrenzt offen gewesen (bis Mitte Dezember).

Neben Artikel 5 waren und sind viele andere Grundrechte derzeit ausgesetzt: GG Art. 4 (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Es gibt keine ungestörte Religionsausübung, Kirchen, Synagogen, Moscheen und alle anderen religiösen Einrichtungen sind de facto geschlossen, es darf nicht gesungen werden (!), und es dürften nur minimal Besucher teilnehmen. GG 2, Absatz 1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Auch dieses Grundrecht ist ausgesetzt, wir sind z.B. abends eingesperrt (!) in Wohnungen und Häuser (Ausgangssperre mindestens in Bayern und Baden-Württemberg), man darf sich nicht mit anderen Menschen ungestört treffen, nicht den Beruf ausüben etc. Art. 8, Absatz (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Auch das ist ausgesetzt bzw. nur sehr begrenzt möglich, Teilnahmebegrenzung, Maskenzwang, Abstandspflicht etc. Das widerspricht jedem Verständnis von Demokratie.

Art. 9, Absatz (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Auch das ist de facto ausgesetzt, da man sich – Stand Januar 2021 – nicht mit mehr als einer Person aus einem anderen Haushalt treffen darf. Art. 11, Abs. (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Auch dieses Grundrecht ist de facto ausgesetzt durch die 15 km Bestimmung von Merkel & Co., auch wenn sie nicht umgesetzt werden sollte, bundesweit – in Sachsen gilt diese verfassungsfeindliche Regelung schon jetzt. Art. (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Auch das gilt nicht mehr – Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte, die nicht als essentiell gelten (also alle außer Lebensmittelmärkten, Apotheken, Tankstellen) – sind zwangsweise geschlossen.

All das macht es geradezu zu einer Farce, dass sich diese Initiative GG 5.3 nennt, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, dass exakt dieses Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 3, aktuell ausgesetzt ist, wie die erwähnten anderen ausgewählten Grundrechte. Aber entscheidend an dem Aufruf ist die Verharmlosung der für Juden und Israel gefährlichen Bedeutung von BDS, dem Boykottaufruf gegen den jüdischen Staat.

Schluss:

In dem Gespräch von Felix Klein mit Lars Henrik Gass geht es um die “Verrohung der Gesellschaft inmitten der Kultur”, wie Gass resümiert. Um dem entgegen zu treten braucht es klare Definitionen von Antisemitismus und kein WischiWaschi-Gerede, das bei der Frage nach dem steigenden Antisemitismus seit dem 7. Oktober mit einer angeblich oder tatsächlich steigenden “Muslimfeindlichkeit” antwortet, wie es viele tun.

Die Tatsache, dass Meron Mendel in seinem blätter-Text gleich mehrmals Felix Klein und die scharfe Antisemitismuskritik als Negativbeispiel anführt, zeigt uns, warum der sehr ehrenwerte Meron Mendel so viel Anerkennung erfährt.

“Kinderfreie Katzenfrauen” werden Kamala Harris wählen – und warum die angelsächsische Presse viel fortschrittlicher ist als die deutsche

Von Dr. phil. Clemens Heni

Der reaktionäre Politiker und Vizepräsidentschaftskandidat des Sexisten Donald Trump, JD Vance, hat 2021 in einem Fernsehinterview mit dem US-Sender Fox News gesagt, dass die USA von einem “Haufen kinderloser Katzenfrauen” regiert und beherrscht werde. Wörtlich sagte er:

“We are effectively run in the country, via the Democrats, via our corporate oligarchs, by a bunch of childless cat ladies who are miserable at their own lives and the choices that they’ve made, and so they want to make the rest of the country miserable, too”.

Die rechtsextreme Sprache fällt schon in der Begrifflichkeit “corporate oligarchs” auf und steigert sich dann in der narzisstischen Selbstliebe eines daddiots, der meint, dass Frauen ohne Kinder unglücklich seien und ihr Unglück mit Hilfe der Politik auf den Rest des Landes übertragen wollten. So hört sich ja auch die Politik aus Italien von Meloni und von vielen anderen Rechten an. Es ist an Peinlichkeit zudem schwer zu überbieten, dass die EU nicht nur von einer politisch desolaten Frau repräsentiert wird, sondern auch von einer, die sieben Kinder hat.

Nur Zynikerinnen pflanzen sich in einer Welt voller Kriege, islamistischer Gewalt, Antisemitismus, Klimawandel, Rechtsextremismus und reaktionärer Familienideologie fort. Und dabei haben wir das philosophische Problem des Existentialismus und des Natalismus noch gar nicht angesprochen.

Während in Deutschland, dem traditionellen Land des “Mutterkreuzes” seit 1938, natürlich gleich ein “Faktencheck” gemacht wird, ob das auch stimmt mit den kinderfreien Frauen bei den Demokraten (Ausgburger Allgemeine) – wobei die gesamte Presse das Adjektiv “kinderlos” verwendet statt “kinderfrei” und schon sprachlich der sehr großen Gruppe selbstbstimmt kinderfrei lebender Frauen keine Stimme gibt – oder in der Boulevard-Presse (Gala) betont wird, dass Kamala Harris, der die Attacke von Vance 2021 unter anderem galt, doch immerhin “Stiefmutter” sei, und schließlich das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die Reaktion der Hollywood-Schauspielerin Jennifer Aniston – die  bekanntlich 2021 eine fanatische Anhängerin der irrationalen, undemokratischen und unwissenschaftlichen Corona-Politik wie der Covid-Gentherapie war und ernsthaft glaubte, wie auch der Mainstream in Deutschland von Spahn über Lauterbach bis Merkel und Steinmeier, dass “Geimpfte” das Virus (SARS-CoV-2) nicht übertragen könnten und daher einige Freund*innen entfreundete und Hetze gegen Ungeimpfte machte –  in den Mittelpunkt rückt und schreibt:

Aniston, die keine Kinder hat und zuletzt immer wieder über ihre unfreiwillige Kinderlosigkeit gesprochen hatte, kommentierte auf Instagram unter dem Video: „Mr. Vance, ich bete, dass Ihre Tochter das Glück hat, eines Tages eigene Kinder bekommen zu können. Ich hoffe, dass sie sich nicht einer künstlichen Befruchtung als zweite Option unterziehen muss. Denn Sie versuchen, ihr auch diese zu nehmen“

, geht es in England viel feministischer und gesellschaftskritischer zu. In der Tageszeitung The Guardian erschien am 20. Juli 2024 ein Text von Arwa Mahdawi, in dem die Autorin Vance luzide angreift und betont, dass es doch schön sei, dass es immer mehr kinderfreie Frauen gebe und dass wissenschaftlich betrachtet kinderfreie Frauen oft glücklicher und gesünder seien.

Mahdawi betont, dass in den USA nur etwas mehr als ein Viertel der Abgeordneten im Kongress Frauen sind, dass es mehr Männer mit den Namen “John” gibt, die eine große Firma leiten, als alle Frauen zusammen in solchen Führungspositionen und dass es offenkundig bis heute seit dem 18. Jahrhundert noch keine einzige Präsidentin in den USA gegeben hat.

Doch Mahdawi geht vor allem auf das Thema kinderfrei ein und befast sich mit den Millionen Frauen, die selbstbestimmt auf das Mitmachen im Patriarchat via Kinderkriegen verzichten. Mahdawi schreibt im Guardian:

No, what I’m really here to say is that, rather than being the insult conservatives seem to think it is, “childless cat lady” is a state that more women actually ought to aspire to. Rather than being “miserable”, as Vance said, women who are childfree by choice are often happier and healthier than men and married women with children. This isn’t my opinion; there’s data that backs this up. Back in 2019, Paul Dolan, a professor of behavioural science at the London School of Economics, made headlines when, during a speech at Hay festival, he cited evidence that women are happier without kids or a spouse.

Hier wird entgegen der stumpfen deutschen Presse auch selbstverständlich das Adjektiv “childfree” verwendet.

Das Thema “kinderfrei” positiv zu besetzen ist in Deutschland durch die Autorin Verena Brunschweiger gelungen. In ihrem Buch “Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!” von 2023 schreibt sie:

Über Virginia Woolf wurden zahlreiche Bücher und Artikel geschrieben. Schon zu Studienzeiten hatte ich ein anglistisches Proseminar, dessen einziger Inhalt ihr Oeuvre war. Kein Zweifel, sie war faszinierend, sie war beliebt. Das ist durchaus eher ungewöhnlich, sie ist ja gerade kein weiblicher Oscar Wilde, obwohl sie ebenso wunderbar mit Worten umgehen konnte, bisexuell war und auf der Insel wohnte. Anders als Wilde, der eine große Anzahl Dramen schuf, war sie nicht ständig im Dunstkreis des Theaters zu finden, wo eigene Stücke aufgeführt wurden. Sie war eine Frau.

Und sie war kinderfrei.

In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie, dass sie überzeugt war, kein Paar wäre so glücklich gewesen wie sie und ihr Mann Leonard, dennoch liest man immer wieder, die beiden wären trotz ihrer Kinderlosigkeit zufrieden gewesen…

Das ist ein Paradebeispiel für den pronatalistischen Bias, der in unserer Welt so omnipräsent ist. Ich möchte da lesen: Weil sie kinderfrei waren, war ihr Glück ungetrübt. Gut, das ist einfach das „andere Extrem“, könnte man meinen. Es ist aber allein schon mal eine kritische Stimme, die den Mainstream anzweifelt, die sogenannte allgemeine Wahrheiten oder Tatsachen mit einem Fragezeichen versieht.

Es ist unglaublich, dass trotz gegenteiliger Expertise wie beispielsweise von Glücksforscher Professor Paul Dolan, sich im Volk immer noch hartnäckig der Fehlmeinung hält, Paare ohne Kinder wären unglücklicher. Nein. Im Gegenteil. Aber da die kinderbesitzende Mehrheitsgesellschaft das nicht anerkennen will, wird gelogen und gebogen, was das Zeug hält. Denen muss doch einfach was fehlen, das kann doch gar nicht sein, dass die glücklicher sind als wir, hört man förmlich die Gedankenblasen dauerempörter Eltern.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren frauenmörderische Hexenjagden oft mit dem Bild einer Katze verbunden, da Katzen so gut klettern können und zum Beispiel über Dächer in Häuser einsteigen würden, um den bösen Willen einer Hexe umzusetzen.

Das Magazin Forbes schreibt daher zu Vances Agitation:

Malleus Maleficarum, a book published in 1486 by German Catholic clergyman Heinrich Kramer, includes the story of witches who transformed themselves into cats to attack people, notes Jan Machielsen, a historian of early modern religion at the U.K.’s Cardiff University whose next book examines one of Europe’s most notorious witch hunts.

“Cats were also killed in public spectacles for entertainment,” he added in an interview.

Forbes betont ebenso, dass viele Frauen stolz sind, kinderfrei zu leben und deshalb Kamala Harris wählen werden, wie eine Facebook-Gruppe es offen kundtut:

Laut dem Sender MSNBC aus den USA ist jede sechste Frau im Alter von 40 ohne Kinder, 50 Prozent der Frauen sind geschieden oder leben alleine. Bei der US-Präsidentenwahl 2020 wählten 63 Prozent unverheirateter Frauen Joe Biden, wobei hier jene verheirateten kinderfreien Frauen noch gar nicht mitgezählt sind. Auch MSNBC betont, dass Frauen ohne Kinder oder ohne Partner zu den glücklichsten Gruppen der Gesellschaft zählen.

Und rein immanent kapitalistisch gedacht, sind kinderfreie Frauen wie die S.I.N.K. (single income no kids) Teil der wirtschaftlichen Elite, die zu ignorieren nur ziemliche Volltrottel sich anmaßen:

And contrary to Vance’s argument that these women having “no stake in America,” single women in the U.S. are contributing in a big way. Lauren Napier, founder of the SP1NSTER — a lifestyle brand that harnesses the collective spending power of single women — said “child-free women have money and time. There are trillions of dollars circulating the U.S. economy completely powered by single women. There’s even is a movement called “S.I.N.K.”, single income no kids.”

Die Juristin (Solicitor) Louis Vance aus Belfast wiederum erzählte schon 2017, dass sie bereits als Kind nicht mit Puppen Mama spielte und als Teenagerin im Alter von 16 auch so gar kein Interesse hatte, später einmal Kinder zu bekommen:

I ‘ve never felt the biological clock ticking and I never expected it to, either. Even when I was a little girl I didn’t play at being mummy with my dolls – I wasn’t interested.

Motherhood wasn’t something I thought much about, but when I was about 16, I realised that everyone else did.

All my school friends were discussing the names of their future children, yet that wasn’t something I had even considered.

Insofern: Mit Louis Vance gegen JD Vance, für die Freiheit, den Feminismus und gegen patriarchale Zumutungen und Erwartungen.

Enttäuscht, aber nicht überrascht …

Von Dr. phil. Clemens Heni

Update, 30. Juli 2024

Wer frühzeitig Nietzsche, Montaigne, Horkheimer, Günther Anders (“Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an?”) oder Adorno gelesen hat, sagen wir mit 18 oder 19 Jahren, wird vom Leben zwar enttäuscht sein können, aber nicht überrascht.

So ergeht es womöglich auch diesem Hund auf einem Aufkleber in der Heidelberger Weststadt:

Disappointed, but not surprised.

Foto: privat

Drei Mega-Krisen der letzten Jahren mögen die Gemütslage des kleinen Hundes verdeutlichen: Die Corona-Pandemie/Corona-Politik, der Ukraine-Krieg und der weltweite antisemitische Krieg gegen Israel und die Juden.

Wer vor einigen Wochen den Vortrag von Prof. Michael Wolffsohn in Heidelberg am Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) über die 3000jährige Geschichte des Antisemitismus hörte, war ob des heutigen Antisemitismus enttäuscht, wütend und angewidert, aber nicht überrascht.

Der Antisemitismus der UN-Palästinenserbeauftragten Francesca Albanese, die jüngst mit zwei Bildern Hitler mit Netanyahu verglich, ist widerlich und politisch höchst gefährlich, aber er überrascht nicht, da die Vereinten Nationen eine Ansammlung auch vieler antisemitischer Staaten und übelster Mitarbeiter*innen ist und das seit Jahrzehnten.

Es ist widerlich und politisch höchst gefährlich, dass ein antisemitischer und islamistischer Terrorstaat wie der Iran bei den Olympischen Spielen in Paris dabei sein darf, aber es überrascht nicht bei einer Sport-Weltgemeinde, die auch die FIFA umfasst, die 2022 die Fußball-WM im islamistischen Terrorstaat Katar durchführte, wo einige der führenden Hamas-Terroristen ein Luxusleben führen.

Moderate und anti-islamistische Palästinenser wie Hamza Howidy spielen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle, Antisemiten hingegen wird immer wieder Raum gegeben, es wird äquidistant bis wohlwollend über sie berichtet und Universitäten sind äußerst zurückhaltend, Doktoranden oder Studentinnen, die als Hamas-Freund*innen oder -Verharmloser*innen berüchtigt sind, von der Universität zu werfen und zwar hochkant.

Doch auch hier gilt, dass unser enttäuschter Hund zwar angewidert sein mag von solchen anti-israelischen Hetzer*innen, die alles sind, nur nicht “Pro-Palästina”, aber nicht überrascht.

Doch es geht noch viel weiter, denn die Welt hat noch viele andere Konflikte, ja existentialistische Grundfragen zu bieten, die zu stellen vielen schon schwer fällt. So sind viele, die gegen Antisemitismus und Antizionismus aktiv sind, plötzlich blind, was den komplexen Krieg in der Ukraine betrifft und verwerfen seit dem Frühjahr 2022, als eine diplomatische Lösung und ein kompletter Rückzug Russlands greifbar waren, jedwede Kritiker*in an Waffenlieferungen an Kiew als “Putinversteher”, denn das Motto ist zwar nicht bei der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, aber bei den Herrschenden ganz klar: “Nie wieder Krieg ohne uns…“.

Dabei ist die Kritik am Putinismus von höchster Bedeutung, nicht zuletzt für meinen Verlag, die Edition Critic. Die FAZ schrieb im Dezember 2023:

In den Lehrmitteln für das neue Hochschulpflichtfach „Grundlagen der russländischen Staatlichkeit“ wird die Entscheidung zur Kinderlosigkeit als „Todeskult“ bezeichnet. Präsident Putin selbst kritisiert regelmäßig die Haltung des „Für-sich-Lebens“ als Ausdruck westlichen Egoismus, der der sozial orientierten Zielsetzung des Staatsaufbaus widerspreche. Das Aufbrechen des binären heterosexuellen Rahmens ohne reproduktive Verantwortung wird als „Bedrohung“ für die nationale Sicherheit angesehen. LGBTQ-Vertreter und Feministen werden als „Agenten des Westens“ und „fünfte Kolonne“ stigmatisiert und zu Extremisten erklärt.

Das betrifft somit auch die Edition Critic und die Autorin Verena Brunschweiger mit ihrem wegweisenden Band “Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!“:

Ironischerweise treffen sich bei der rabiaten Abwehr kinderfreier Intellektueller oder unorthodoxer und weltlicher künstlerischer Darstellungen, wie einer lockeren Interpretation des Bildes “das letzte Abendmahl” von Leonardo da Vinci bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris am 26. Juli 2024, der Vatikan, rechtsextreme französische Politiker*innen, spanische Reaktionäre, Victor Orbán (“moralische Leere des Westens“), Magazine wie “Tichys Einblick”, die russische Orthodoxe Kirche und viele andere Traditionalisten, Reaktionäre oder Rechte.

Update: Laut Aussagen des künstlerischen Direktors der Olympia-Eröffnungsfeier war gar nicht jenes Bild von da Vinci gemeint, sondern eine antike griechische Analogie:

Thomas Jolly, der künstlerische Direktor der Eröffnung, hat inzwischen bestätigt, dass die kritisierte Szene ein antikes griechisches Bacchanal darstellen sollte und äußert sich verwundert über den Mangel an Bildung, der sich in der Kritik daran spiegelt. Kurienerzbischof Vincenzo Paglia hatte von der „blasphemischen Verspottung eines der heiligsten Momente des Christentums“ gesprochen, und der deutsche Sportbischof Stefan Oster fuhr auf X (ehemals Twitter) noch schwereres Geschütz auf.

Gleichwohl machen sich reaktionäre Katholiken und Christen sehr lächerlich mit ihrer Diffamierung dieser lustigen Szenerie.

Es ist frappierend, wenn Ungarn oder Russland den “Untergang des Westens” verspüren angesichts einer weltoffenen und dem französischen Ideal der Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit verpflichteten Eröffnungsfeier der Olympiade.

1968 wurde die linke Analyse des Kapitalismus und einer herrschaftsförmigen Angepasstheit, die sich revolutionär dünkte, breit diskutiert, auch wenn solche SDS-Protagonisten (Männer) oft selbst Tyrannen wie Mao oder antiisraelischen 68ern wie Rainer Langhans huldigten und von Feminismus so was von gar keine Ahnung hatten und Frauen an den Rand drängten oder benutzten. Themen waren damals und sollten es bis heute sein, “repressive Toleranz” (Herbert Marcuse) oder “repressive Entsublimierung” (Reimut Reiche aus Esslingen am Neckar).

Der Spiegel (Rudolf Augstein persönlich) schrieb 1968:

Wenn die Unzucht mit gleichgeschlechtlichen oder mit beliebig vielen Erwachsenen oder auch mit Tieren nicht länger strafbar, wenn die Pille rezeptfrei, die Ehescheidung Formsache, die Abtreibung erlaubt wäre, wenn Verhütungsmittel überall angepriesen und Sex-Partys ohne Furcht vor dem Staatsanwalt veranstaltet werden dürften; wenn die Arbeitszeit auf vier Stunden täglich verkürzt, der Arbeitslohn verdoppelt und die Sexual-Aufklärung zum beliebtesten — oder auch langweiligsten — Schulfach avanciert wäre: hätte die sexuelle Befreiung dann stattgefunden, oder, anders herum, könnte von einer »sexuellen Unterdrückung im Spätkapitalismus« dann noch die Rede sein?

Liest man die Schrift von Reimut Reiche, dem heute 27jährigen SDS-Vorsitzenden von 1966 auf 67, so möchte man daran zweifeln. Sie betitelt sich »Sexualität und Klassenkampf — Zur Abwehr repressiver Entsublimierung«.

Die Gesellschaft in der Bundesrepublik, so erklärt uns Reiche, ist, solange kapitalistisch, notwendig eine. die verhindert, daß die Menschen je die Freiheit erlangen, ihre sexuellen Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln. Vielmehr bleibt diese Freiheit, wenn auch in recht verstümmelten Erscheinungen, ein Privileg der Herrschenden.

Die Boulevard-Presse im Jahr 2024 fabuliert angesichts der frivolen oder aber freiheitlichen Darstellung des “Abendmahls” auf der Pariser Olympiaeröffnung dann auch vom “Woke-Wahnsinn”, hier ist keinerlei Dialektik oder Kritik mehr vorhanden:

 

Im Gegensatz zu frauenverachtenden Ländern ist es in Frankreich verboten, als Sportlerin ein Kopftuch zu tragen, was Amnesty International so was von auf die Palme bringt.

Ein Kopftuch ist kein Recht, sondern eine frauen- wie männerverachtende Zwangsmaßnahme. Nur Frauen mit extrem wenig Selbstbewusstsein und vor allem mit reaktionären Vätern, Ehemännern, Brüdern, Cousins und natürlich reaktionären Müttern haben Panik, dass Männer oder Frauen (lesbische!, bisexuelle!) Ihr Haar sehen und dadurch durchdrehen oder sich sexuell nicht im Griff hätten, wenn sie das Haupthaar einer Frau sehen.

Selbstredend wäre es noch besser gewesen, wenn die Organisator*innen der Eröffnungsfeier eine scharfe öffentliche Kritik am Islamismus geübt hätten, der in Frankreich ja überall zu finden ist wie auch der muslimische Antisemitismus.

Doch – nächste Paradoxie, enttäuschend, aber nicht überraschend -, gerade viele Aktivist*innen aus dem Pro-Israel Lager haben auch ein Problem mit Gender oder Religionskritik oder “woke”. Dabei wissen sie, dass es doch viele LGBTQI-Aktivist*innen gibt, die zionistisch sind und Unterstützung dringend nötig haben, da eben Queers for Palestine (=Selbstmord) immer noch sehr stark und super aggressiv sind, wie ein antisemitischer Mob in Berlin auf einer Soliparty vor wenigen Wochen zeigte:

Allerdings zeigt der Vorfall auf der Soliparty, wie tief sich miefiger antisemitischer stalinistischer Sowjet-Agitprop festgefressen, queeren Aktivismus gar gekapert hatnicht nur in der Berliner Szene. Auch beim Dyke March in New York fühlen sich jüdische Lesben nicht mehr sicher und machen nun getrennte Veranstaltungen, wie das Portal „Mena-Watch“ berichtete. Die Organisatorinnen des US-Pendants solidarisierten sich offen mit antisemitischen Gruppen und sammelten gar Geld für diese.

Sehr viele Leute schaffen es nicht, mehrere gefährliche Tendenzen in der Gesellschaft gleichzeitig zu hinterfragen. Viele waren entweder für Israel oder gegen die irrationale Coronapolitik und ignorierten die israelische Kritik an der Coronapolitik, die es unter Fachwissenschaftler*innen wie Aktivisti*innen 2020 bis 2023 sehr wohl gab, Stichwort “Pandemic Turn“.

Wieder andere hatten ein klares Gespür für die Absurdität der Coronapolitik, aber badeten dafür jeden Morgen bauchnabeltief in antisemitischer Brühe und prahlten damit auch noch.

Und nochmal andere sind zwar gegen Antisemitismus und sogar gegen den konservativen Backlash, aber hegen doch tiefe Ressentiments gegen ihre kinderfreien Nachbarn, vor allem gegen die Frauen, dabei gibt es derer immer mehr – vorneweg Kamala Harris. Das wäre eine Überraschung, wenn auch Amerika endlich einmal eine Frau als Präsidentin hätte und noch dazu eine unkonventionelle, jedenfalls was die doch lebensprägende Frage nach einem eigenen Kind, der narzisstischen Delegation betrifft.

Trump dreht schon jetzt durch und wütet gegen Abtreibung und setzt die Lüge in den Raum, dass Harris Kinder töten wollen würde. Er hat aber gleichwohl und seit Jahren auch in der Pro-Israel Szene viele Freund*innen, nicht zuletzt in der Bundesrepublik.

Und wieder andere sind kinderfrei und gegen Waffen für die Ukraine, aber auch ohne jede Moral und Ethik und schließen sich dem säkularen Jihad gegen den Judenstaat an, während manche Schwule sich für $100.000 eine Leihmutter in den USA kaufen (aus Kolumbien zum Beispiel) oder Lesben die Pointe des Lesbisch-Seins verpassen und selbst unbedingt Mama werden wollen… Da würde unser Hund dann wohl schon sagen:

enttäuscht und überrascht.

Schließlich gilt es in Zeiten von Gentechnik und Klimawandel, fehlendem klarem Wasser für Millionen Menschen, KI-Überwachungskapitalismus, der auch auf der Eröffnungsfeier der Olympiade gefeiert wurde, eine zukünftige Gesellschaftskritik zu antizipieren.

Eine solche Gesellschaftskritik würde sich sowohl gegen Antizionismus und Antisemitismus in all seinen Formen einsetzen. Zugleich würde sie Herrschaftstendenzen wie die herkömmliche Familienideologie, den Natalismus wie auch den autoritären Glauben an technische und posthumanistische Lösungen, KI und High-Tech in Frage stellen.

Darüberhinaus würde eine solche Gesellschaftskritik den Irrationalismus der Corona-Politik wie Lockdowns, Maskenpflicht, das totalitäre 2G oder gar das geradezu religiöse Anbeten eines ‘Impfstoffs’, der gar keiner ist, sondern eine “Gentherapie” (so die Firma Bayer ganz ehrlich), attackieren und eine scharfe und luzide unabhängie Aufarbeitung der Corona-Vergangenheit einfordern. Denn was nicht aufgearbeitet ist, kann sich wiederholen …

Und natürlich würde eine solche zukünftige Gesellschaftskritik die brüllenden (Talkshow-) Absagen an eine diplomatische Lösung wie beim Ukraine-Krieg scharf kritisieren und sich gegen Putin, gegen Waffen für die Ukraine und allgemein für Emanzipation, Individualität und Freiheit einsetzen, ohne naiv pazifistisch herum zu dümpeln, da zum Beispiel Waffen für Israel existentiell wichtig sind. Man kann gegen die NATO-Osterweiterung sein und für Israel, dazu braucht man nur etwas Fantasie und rationales Denkvermögen.

Eine Welt ohne Waffen und ohne Militär wie ohne Grenzen ist in vielen Teilen der Welt vielleicht eine Utopie, doch in Nahost würde es den Genozid an den Juden bedeuten (“Die Juden ins Meer treiben”, wie viele Araber nicht nur früher immer dachten und sagten).

Die Welt ist also schlecht und die Menschheit übel. Und doch liegt in solcher Anthropologisierung immer auch die Entpolitisierung, da es egal sei, ob mann oder frau was macht oder nicht. Doch das ist ein Trugschluss.

Denn schließlich hat sicher jeder Hund auch solche Momente:

glücklich und überrascht…

 

 

Freiheit für Palästina: Hamza Howidy

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Mittwoch, den 24. Juli 2024 sprach der Palästinenser Hamza Howidy auf einer Veranstaltung der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) und des Bundes Jüdischer Studierender Baden im Hannah-Arendt-Saal dieser Hochschule.

Foto: Privat

Im Gespräch mit einer Studentin der Hochschule ging es über seine Flucht aus dem Gazastreifen 2023, seine scharfe Ablehnung von Jihad und Islamismus in Gaza wie auch über seine Kritik an der “peinlichen israelischen Regierung” und den “peinlichen pro-palästinensischen Protesten” wie in Deutschland.

Hamza wuchs im Gazastreifen auf und hatte zeitweise ein recht schönes Leben, wie er betonte. Der jihadistische Putsch der Hamas 2007 war jedoch ein prägender Einschnitt, da war er gerade mal neun Jahre alt. Frauen wurden umgehend angehalten, sich zu verschleiern, selbst Männer durften sich nicht mehr mit kurzen Hosen zeigen, erinnert Hamza. Die Zeit unter der Fatah mit all den mörderischen Selbstmordanschlägen in Israel war jedoch für Hamza noch unerbittlicher und brutaler als die Anfangszeit mit der Hamas, obwohl er sich nie den Islamisten anschloss. Er ging dann auf eine von der Hamas kontrollierte Universität.

Doch die Lebensqualität im Gazastreifen nahm unter der Terrorherrschaft der Hamas konstant ab. So ging Hamza mit vielen anderen erstmals 2019 gegen die Hamas protestieren. Er wurde festgenommen und wie ein Krimineller behandelt, geschlagen und gefoltert. Er demonstrierte wie Amin Abed für ein “besseres Leben“, wie die Times of Israel berichtet. Auf der Veranstaltung in der Heidelberger Altstadt betonte Hamza, dass er noch nicht mal was Positives zu Israel gesagt habe, was die Islamisten der Hamas provoziert haben könnte.

Das wiederholte sich 2023, als er bei Anti-Hamas Protesten wiederum festgenommen wurde. Er konnte dann im August 2023, wie die Times of Israel schreibt, fliehen. Hamza erzählte, dass er über Ägypten und die Türkei fliehen konnte und über die “übliche Flüchtlingsschiffroute”, wie er es nannte, nach Griechenland kam. Dort war er mit vielen anderen Palästinensern in einem Flüchtlingscamp, darunter waren auch Jihadisten und Hamas-Islamisten.

Er suchte Hilfe und erkundigte sich nach einem besseren Zufluchtsort und ein Israeli riet ihm, nach Deutschland zu gehen, das wäre für Juden wie für Palästinener ein sicherer Ort. Via Twitter bzw. X ist Hamza international vernetzt und hat über 21.000 Follower auf X. Er bekommt auch Drohungen, wie er erzählte. Nicht zuletzt seine Erfahrungen mit den Hamas-Terroristen, die als Flüchtlinge verkleidet in Griechenland um Asyl in der EU anfragten, zeigen, wie kompliziert es ist, echte Flüchtlinge wie ihn von Terroristen oder islamistischen Sympathisant*innen der Hamas zu unterscheiden.

 

Foto: privat

Es war ein sehr bewegendener und inspirierender Abend an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Die ca. 60 Zuhörer*innen diskutierten im Anschluss an das Gespräch mit ihm sehr angeregt, auch wenn einige Fragen sich dann wiederholten und gleich mehrere Nachfragen über die Queers in Gaza keinen neuen Erkenntnisgewinn brachten, da Hamza schon zuvor die überall vorherrschende Homophobie betont hatte. Noch abwegiger war ein Statement einer Zuhörerin, die krampfhaft die Situation in Gaza mit der nun wirklich nicht vergleichbaren Situation in Russland in Beziehung setzen wollte, dabei ist ja Russland im gesamten Westen total isoliert und wird boykottiert – wie bei der heute beginnenden Olympiade in Paris – , während die Palästinenser ja sehr viele Fürsprecher haben, gerade in der EU, aber auch weltweit. Dass Demonstrieren auch in Russland lebensgefährlich sein kann, ist schrecklich, doch der Konflikt mit der Ukraine geht nun weit darüber hinaus und zeigt auch die Mitschuld des Westens und der NATO, doch das wäre jetzt ein anderes Thema.

Auf der Veranstaltung in Heidelberg wollten viele einfach Hamza auch nach der Veranstaltung noch direkt ansprechen und mit ihm kommunizieren und ihm ihre Solidarität ausdrücken. Hamza Howidy ist in der Tat die Zukunft Palästinas. Es wird oder besser: es sollte ein freies Palästina geben, ohne die Hamas und andere Terrorgruppen, mit einer weltoffenen Gesellschaft ohne religiösen Fanatismus. Er möchte einen Staat Palästina Seite an Seite mit dem jüdischen Staat Israel. Hamza ist verständlicherweise kein Freund der IDF, die unter anderem auch das Haus seiner Eltern bei einem Angriff getroffen haben. Mittlerweile lebt seine Familie laut der Times of Israel in Ägypten.

Viele der Informationen, die Hamza nur zwei Wochen zuvor der Times of Israel (TOI) in Berlin erzählte, kamen in Heidelberg nicht zur Sprache, es war auch “kein politikwissenschaftliches” Setting, wie die Moderatorin der Hochschule für Jüdische Studien und auch Hamza selbst betonten. Dabei ist Hamzas Betonung, dass der Gazastreifen erst einmal einige Jahre eine “Deradikalisierung” benötigt und bis dahin sollten auch keine Wahlen stattfinden, sehr politikwissenschaftlich und durchdacht.

Die Hamas sei so etwas wie “der Islamische Staat IS, nur mit einer besseren PR-Abteilung” sagte Hamza mehrmals auf der Veranstaltung. Ihm haben die Hamas-Terroristen im Gefängnis wahlweise vorgeworfen, für Israel zu spionieren, mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter einer Decke zu stecken oder mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) zu kooperieren, so die Times of Israel. Nur aufgrund der Lösegeldzahlung von $3000 konnte er 2019 nach drei unendlich langen Wochen der Ungewissenheit und der Schläge der Hölle des Gefängnisses entkommen. 2023 musste seine Familie schon $5000 zahlen, um ihn nach zwei Wochen Gefängnis frei zu bekommen. Seine Familie lebte im relativ wohlhabenden Stadtteil Rimal in Gaza-City, nur 15 Minuten fußläufig entfernt wohnte der Hamas-Chef in Gaza Sinwar, so wiederum die Times of Israel.

Durch einen Kommentar in Newsweek am 25. April 2024 war Hamza Howidy international bekannt geworden. Darin wendet er sich gegen den Islamismus und die Hamas und sagt klipp und klar:

I do not accept hateful speech or terrorist chants, and all of these foolish dreams about eradicating Israel are disgusting—and will never be achieved. Both of us—Palestinians and Israelis—are here to stay.

Hamza ist nun eine Stimme der liberalen Palästinenser im Exil. Muhammad Ali Taha ist ebenfalls ein Anti-Hamas und Pro-Frieden Vertreter der Palästinenser, er sprach am 1. Juli 2024 in Tel Aviv auf einer Friedenskonferenz, wie das Magazin +972 schreibt:

A moving speech by the Palestinian writer Muhammad Ali Taha, which was full of humor and compassion but sharp in its criticism of both Israel and Hamas, captured the essence of what the conference seeks to re-activate. He spoke of the horrors of the current war, the principles of a political solution, and a distant imagined future where both nations play football, listen to music, and celebrate life “in West Jerusalem, the capital of Israel, and in East Al-Quds, the capital of Palestine, as well as Tel Aviv, Ramallah, Beer Sheva, and Gaza.”

Taha may be a dreamer, but in the words of Lennon, and as the conference shows, he is not the only one.

Von Tel Aviv zurück nach Heidelberg: Hamza Howidy und die liberalen Palästinenser*innen haben an diesem Abend in Heidelberg viele neue Freund*innen gewonnen. Ob sein Mut und jener seines Freundes Amin Abed sich in absehbarer Zeit auszahlen werden, bleibt zu hoffen. Für die “pro-palästinensischen” und de facto antisemitischen Hetzer*innen hat der Palästinenser Hamza nur Verachtung übrig oder ein müdes Lächeln – sie sind wie gesagt für ihn genauso “peinlich” wie es die aktuelle israelische Regierung für Israel ist. Die Palästinenser wie die Israelis haben jeweils Besseres verdient. Hamza betonte auch völlig richtig, dass es in Deutschland keine “pro-palästinensischen Demonstrationen” gebe, das seien “anti-israelische” Demonstrationen und Kundgebungen. Ganz genau! Ob das die Lokalpresse wie die Rhein-Neckar-Zeitung oder die FAZ, die taz und die Süddeutsche, Spiegel und ZEIT noch lernen werden oder gar die dpa und andere Presseagenturen?

Vorgestern die Veranstaltung mit Hamza Howidy, das war eine pro-palästinensische Veranstaltung. Pro-Palästina und Pro-Israel!

Die ganzen Hilfsorganisationen, die es ohne Ende in Gaza gibt, sieht Hamza sehr kritisch. Es ist für eine Gesellschaft nicht nachhaltig, wenn Lebensmittel und ein Großteil der alltäglichen Güter importiert oder geschenkt werden. Das gibt kein Selbstbewusstein, kein Vertrauen auf die eigene Stärke. Politikwissenschaftlich gesprochen: Hilfe zur Selbsthilfe.

Da könnten historische Seminare mit Palästinenser*innen und Zionist*innen über die Anfänge des jüdischen Staates Israel sicher sehr erhellend sein, würde ich ergänzen.

Hamza betonte insbesondere, dass es in der Post-Hamas-Zeit einen Paradigmenwechsel braucht: eine freiheitliche, emanzipatorische Idee. Nur so könnte man die fanatisierten Palästinenser*innen überzeugen, auch wenn heute schon mehr als 50 Prozent gegen die Hamas sein sollten. Er betonte, dass eine freiheitliche oder gar emanzipatorische Idee die Leute begeistern könnte, endlich etwas Neues anzufangen.

Wie wäre es mit Free Palestine from Jihad? Oder Tourismus mit solarbetriebenen kleinen Schifflein im Mittelmeer? Oder zukünftige neue Entsalzungsanlagen gemeinsam mit Graffiti besprühen mit optimistischen Bildern?

Doch dazu braucht es auch die Empathie beider Seiten, wie Hamza betonte. Er sieht das Leid der Juden und er hofft, das es auch Juden und Israelis gibt, die das Leid in Gaza sehen. Vielleicht könnte Kamala Harris da auch hilfreich sein und im November eine weltweite Bewegung für mehr Emanzipation und Freiheit anregen, obwohl sie keine Linke ist, aber immerhin für Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, was ja Gaza auch so enorm bitter nötig hat.

 

Vom aristotelischen Drama hin zum Nationalismus? Politikwissenschaftliche und sportwissenschaftliche Kritik an der Löschung von nationalismuskritischem Video der Bundeszentrale für Politische Bildung, mit Anmerkungen über das NS-Thingspiel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 13. Juli 2024

Den größten nationalistischen Taumel bei der EURO24 veranstalteten bislang sicher die türkischen Fans. Das Zeigen des rechtsextremen „Wolfsgrußes“ störte viele Fans gar nicht, ja Tausende zeigten den Gruß wenig später ebenfalls. Dabei sind die Grauen Wölfe die größte rechtsextreme Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, wie der Verfassungsschutz festhält:

Rechtsextremismus stellt in Deutschland eine der größten Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Kernelemente rechtsextremistischer Agitation – wie ein übersteigerter Nationalismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Rassismus und Antisemitismus – prägen auch die Ideologie der türkischen „Ülkücü“-Bewegung.

Ihre in Deutschland mehr als 12.000 Anhänger, die „Ülkücüler“ oder auf Deutsch „Idealisten“, sind bislang umgangssprachlich eher als „Graue Wölfe“ (auf Türkisch „Bozkurtlar“) bekannt.

Gleichwohl steckt natürlich im Wörtchen “übersteigert” auch schon die nationale Falle drin, denn gibt es zumal in Deutschland oder auch in der Türkei einen nicht übersteigerten, also harmlosen “Nationalismus”?

Der Autor Burak Yilmaz sagt in einem Interview mit der ARD-Sportschau:

Der Wolfsgruß war bei Feiern nach den Siegen der Mannschaft bei der EM praktisch in jeder größeren deutschen Stadt zu sehen. Die “Grauen Wölfe” nutzen den Fußball, um neue Anhänger zu finden. Im Umfeld der Spiele der Nationalmannschaft versuchen sie, ihre Symbole zu normalisieren. Merih Demiral hat mit dem Gruß bei seinem Torjubel maßgeblich dazu beigetragen.

Nationalismus und Islamismus sind Kennzeichen der Grauen Wölfe und sie ergänzen auch im Sport und der Fanszene weitere Formen des Islamismus wie die seit Jahren verstärkte Verschleierung von Frauen und insbesondere antisemitische Demonstrationen und Kundgebungen von türkischen Rechtsextremisten in Deutschland („Innenministerium alarmiert über Antisemitismus unter türkischen Rechtsextremen“, Der Spiegel, 10. November 2023) seit den Massakern der Hamas und des Islamischen Jihad am 7. Oktober 2023 im Süden Israels an 1200 Zivilistinnen und Zivilisten sowie dem Entführen von 240 Menschen durch die Hamas, wovon bis heute über 100 gefangen gehalten werden (und Dutzende schon tot sein könnten).

Über die Beziehung des Influencers Tarek Baé zum türkischen Nationalismus wie zum Antisemitismus und zu den Grauen Wölfen berichtete das ZDF. Die Anwesenheit des türkischen Präsidenten Erdogan beim Spiel Niederlande gegen die Türkei in eben jenem Berliner Olympiastadion war ein weiterer Tiefpunkt der EURO24 und ohne das sehr gute Spiel der Holländer wäre die Türkei (2:1 für die Niederlande im Viertelfinale) weiterhin im Turnier. Die massiven Demonstrationen von türkischen Fans auf deutschen Straßen zeigen die enorme Mobilisierung von Nationalismus gerade im Kontext von Sportereignissen und namentlich bei Fußball-Events. Die „Werde Deutscher, bleibe Türke“-Ideologie der Grauen Wölfe und türkischer Nationalisten wie Islamisten ist eine sehr große Gefahr für die Demokratie, worauf die Amadeu Antonio Stiftung 2020 hinwies.

Zwar wurde der türkische Rechtsextremismus und das Zeigen des Wolfsgrußes von der UEFA sanktioniert – der Spieler bekam aber nur eine Sperre von zwei Spielen -, doch im Alltag ist die Ideologie des Grauen Wölfe offenkundig weit verbreitet, es gab jedenfalls keine Massendemonstrationen von Türken in Deutschland gegen die Grauen Wölfe auf der EURO24.

Viele nationalismuskritischen Fußballfans wie Ultras werden froh sein, wenn die EURO24 am Sonntagabend wieder zu Ende gehen wird. Manche Fans sahen schon zu Beginn der EURO24 das Problem von nationalen Wettkämpfen, wie Fans des FC St. Pauli:

Wer als Patriot*in losläuft, kommt als Faschist*in ins Ziel“

 

Wenn nun Zehntausende englische Fans am morgigen Finaltag in Berlin im Spiel gegen Spanien wieder singen werden, wie nur Engländer in Fußballstadien singen, dann wäre es vielleicht eine letzte Möglichkeit, mit dem Song „Ten German Bombers“ dem alten Nazi-Stadion („Olympiastadion“) einen letzten Gruß zu geben.

Die taz schrieb Anfang Juni 2006, noch vor Beginn der WM, die mit Kampagnen wie “Du bist Deutschland” seit Monaten Stimmung gemacht hatte für ein stolzes Deutschland, Folgendes über die antideutsche Adaption dieses beliebten englischen Fansongs – eine Version des Songs von der Band Egotronic um Torsun (1974-2023) kann man hier hören -:

Der 32-jährige Torsun hatte seine erste Punkband mit 13 Jahren und ist ein Kind der hessischen Autonomenbewegung von Anfang der 90er-Jahre. Sein Ziel ist es, irgendwann von der Musik zu leben. Heute singt er im Berliner Elektropopduo Egotronic, deren Texte zwar weitgehend unpolitisch sind, die sich aber trotzdem dem kommunistisch-israelsolidarischen „antideutschen“ Teil der deutschen Linken zuordnen. Ausgerechnet die bevorstehende Weltmeisterschaft, die er wegen des wachsenden Nationalgefühls in Deutschland verabscheut, und eine musikalische Koalition mit den englischen Fans haben ihn nun seinem Musikertraum näher gebracht. Denn seine Techno-Coverversion des provokanten englischen Fangesangs „Ten German Bombers“ erscheint heute auf dem Fußballparty-Sampler „Die Weltmeister – Hits 2006“. Gemeinsam mit Jürgen Drews’ Hit „FC Deutschland“ und Diana Sorbello, die auf dem Cover ihrer Solo-CD in Ballmusterbikini vor der Deutschlandflagge posiert.

Der Song „Two World Wars and One World Cup“ passt ebenfalls zum morgigen Spiel, auch wenn der Gegner Spanien heißt, es findet schließlich im Nazi-Stadium in Berlin statt:

Dass gerade die englische Fußballvereinigung FA den Song „Ten German Bombers“ respektlos und unangebracht findet und Fans, die ihn singen, mitunter Stadionsperren verpasst, ist nicht nachvollziehbar. Ist England etwa nicht dankbar für die Royal Air Force (RAF) und den gewonnenen Krieg gegen Nazi-Deutschland? Ohne Waffengewalt und ohne das Abschießen von deutschen Kriegsflugzeugen wären die Deutschen des SS-Staates nicht zu stoppen gewesen. Wo also liegt das Problem?

Das Berliner Olympiastadion wurde im Zweiten Weltkrieg leider nicht zerstört.

Das Internationale Olympische Komitee vergab dann die XI. Olympischen Sommerspiele im Jahr 1936 erneut an Berlin. Nach anfänglichen Überlegungen zum Umbau des Stadions ordnete Adolf Hitler den kompletten Neubau eines Großstadions an gleicher Stelle an. Den Auftrag erhielt Werner March, Sohn des Architekten vom Deutschen Stadion, Otto March. Das monumentale Bauwerk ist ein Beispiel für verbliebene Architektur der NS-Zeit in Berlin.

Es ist eine nationalistische und den Nationalsozialismus verharmlosende, ja seine Architektur feiernde Veranstaltung, dass es exakt dieses Stadion mitsamt den Plätzen drum herum weiterhin gibt und dort im Olympiastadion gespielt wird.

Gleichzeitig drehte letzte Woche die Bundeszentrale für Politische Bildung ziemlich durch. Sie hat ein von ihr selbst publiziertes und in Auftrag gegebenes Reel oder Kurzvideo zum „Sommermärchen 2006“ – das in einem Text des österreichischen Express verlinkt ist – auf Druck von rechten, extrem rechten, nationalistischen wie Mainstream-Kreisen wieder gelöscht. Das Video wurde produziert von einer Firma im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung und moderiert von der Influencerin Susanne Siegert, die mit ihren Videos Hunderttausende junge Menschen erreicht und Aufklärung bezüglich des Nationalsozialismus und des Holocaust betreibt. Das Video bezieht sich auf meine Kritik in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 16./17. Dezember 2017, Printausgabe, Feuilleton, S. 34/35, Titel: „Der Hitler-Stalin-Vergleich hat eine enorme Entlastungsfunktion“, Online-Version leicht verändert vom 4. September 2019, Titel „Sommermärchen bereitete der AfD den Boden“, wo ich die These aufstelle:

Ohne 2006 wäre es nicht in diesem Ausmaß zu Pegida gekommen, und ohne Pegida gäbe es keine AfD in dieser Form. Die Deutschland-Fahne bei der WM hat eine unglaubliche Bedeutung für das Zusammenschweißen von atomisierten Einzelnen, die sich zu großen Teilen gar nicht für Fußball interessiert haben. Insofern war das Thema nicht Sport, sondern nationale Identität.

Darauf bezieht sich die Bundeszentrale für Politische Bildung in ihrem Video und Nationalisten können das nicht ertragen und bringen die Bundeszentrale dazu, das Video nach knapp zwei Tagen online am Donnerstag, den 4. Juli 2024 wieder zu löschen.

Ein Shitstorm von NIUS, der WELT, t-online, der Jungen Freiheit, Reitschuster.de, Journalistenwatch, dem Compact Magazin und vielen weiteren teils obskuren oder randständigen, aber teils eben auch Mainstream-Medien sowie Aussagen von ein paar wenigen Bundestagsabgeordneten sorgten dafür, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung nicht etwa eine weitere Diskussion über das Thema „Sommermärchen“ und Nationalismus anregte, wie es eine demokratische Einrichtung tun würde, sondern sie zensierte ihr eigenes Video und distanziert sich davon.

Das RTL-Nachtjournal (Freitag, 05. Juli 2024, ab 0:20 Uhr) berichtete auch vollkommen tendenziös und bettete, wie zu erwarten, eine kurze Stellungnahme von mir, die der TV-Sender wenige Stunden zuvor aufgenommen hatte, in einen deutsch-nationalen Trommelwirbel ein, der von kritischer Sportwissenschaft oder von Nationalismuskritik noch nie etwas gehört hat. Das wunderschöne Kopfballtor des Mittelfeldspielers Mikel Merino einige Stunden später, am Freitagabend zum 2:1 Sieg Spaniens, dürfte auch der deutsch-nationalen Dekoration des RTL-Studios wie von Kameras wieder die nüchterne Realität vor Augen geführt haben. Ende Gelände für die deutsche Elf, die ja primär nur gegen wirklich schwache Teams wie Schottland (5:1 gleich im ersten Spiel der EURO24) gut aussah, wobei die teils lustigen Dudelsack spielenden schottischen Fans den schlechten sportlichen Eindruck ihres Teams jenseits des Platzes zu kompensieren suchten.

Über das skandalöse Löschen des eigenen Videos durch die Bundeszentrale für Politische Bildung berichten Medien wie Telepolis („Nun muss man sich einerseits fragen, warum ein Shitstorm von konservativen und extrem rechten Kreisen ausreicht, damit die BPB einknickt“), der Merkur („Nun beweisen die in der Vergangenheit durchgeführten Studien tatsächlich, dass ein Zusammenhang zwischen Fußball-Patriotismus und Nationalismus besteht“), Der Spiegel („Die WM 2006, so also der Konsens, habe maßgeblich dazu beigetragen, Nationalstolz und nationale Symbolik zu normalisieren. Das Bild vom Harmlosen ‚Party-Patriotismus‘ wird in der Forschung dabei mit Skepsis gesehen.“), das ND (“Kritik an Nationalstolz gelöscht”) oder die taz (“Bundeszentrale für politische Bildung: Vor den Rechten eingeknickt”). All diese Medien diskutieren meine These, kontextualisieren sie oder nehmen Bezug auf andere Forscher*innen, die ähnliche Kritik am schwarzrotgoldenen „Overkill“ von 2006 hatten oder haben.

Die ARD-Sportschau hatte schon vor einem Jahr über meine These berichtet und selbstverständlich diese These zur Diskussion gestellt, auch neben anderen Thesen, die dem zuwiderlaufen. So etwas nennt man Demokratie:

Dr. Clemens Heni war einer derjenigen, die sich an dem schwarz-rot-goldenen Overkill mit kleinen Flaggen an Autospiegeln, gedruckten Flaggen auf Chipstüten und Backwaren, geschminkten Flaggen im Gesicht und großen Stoffflagen schon damals störten. Heni ist Politikwissenschaftler. Er forscht mit Schwerpunkten über Antisemitismus und die Neue Rechte.

“Das war damals kein gesunder Patriotismus, wie immer behauptet wird. Der ist in Deutschland auch schwer denkbar, weil er immer mit einer Abwertung des Gedenkens an den Holocaust einhergeht”, so Heni.

These: Ohne WM 2006 kein Erstarken der AfD

Seine These: Ohne die WM 2006 wären weder die rechtsextreme Pegida (“Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes”) noch die AfD so stark geworden.

Auch der Berliner Tagesspiegel berichtete 2023 noch über meine These:

Der Politikwissenschaftler Clemens Heni stellte kürzlich einem Interview mit der „Sportschau“ zudem die These auf, dass die AfD ohne die WM 2006 nicht so stark geworden wäre und bezeichnete Nationalismus und Fußball als „eine toxische Mischung in Deutschland“.

Und diese These der Beziehung von 2006 zum deutschen Nationalismus soll nur ein Jahr später, jetzt im EURO24-Jahr ein Grund sein, dass die Bundeszentrale für Politische Bildung ihr eigens hergestelltes Video wieder löscht? Ernsthaft?

Die Beziehung von Sport und Politik, um die es ja in dem gelöschten Video der Bundeszentrale geht, hat in Deutschland eine lange Tradition. In meiner Doktorarbeit von 2006 habe ich mich mit einem der einflussreichsten Vordenker der Neuen Rechten, Henning Eichberg (1942–2017), befasst. Dabei geht es auch um die Sportwissenschaft und die Beziehung von Sport und Politik. Zu diesem Zweck zitiere ich einige Seite aus meiner publizierten Dissertation (“Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‘Nationale Identität’, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970-2005: Henning Eichberg als Exempel, S. 154-165).

Zur Nazi-Olympiade und dem NS-„Thingspiel“ schreibe ich:

 

Eichbergs Habilitation und das Thingspiel (1976)

Für die politische Kultur der Bundesrepublik ist die Stellung zum Nationalsozialismus ein zentrales Moment. Dabei positionierte sich die alte Rechte in etwa so: Hitler war irgendwie die ganze Sache mit dem Krieg aus dem Ruder gelaufen, aber die Idee des Nationalsozialismus war im Kern richtig. Die Neue Rechte, die sich gegen diese apologetischen, einfachen alt-rechten Antworten zu sträuben versucht, ist nun keineswegs anti-nationalsozialistisch. Die Analyse des Thingspiels, einem nicht unwesentlichen kulturpolitischen Baustein der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, kann zeigen, wie eine antihitleristische Neue Rechte die ›guten Seiten des Nationalsozialismus‹ begründen möchte. Weiter wird gezeigt werden, wie fahrlässig bis affirmativ Eichberg am Beispiel des Thingspiels bis heute in der Wissenschaft rezipiert wird.

Eichberg konnte sich 1976 an der Universität Stuttgart habilitieren. Sein Habilitationsvortrag vom Juni hatte das nationalsozialistische Thingspiel zum Thema. Dieser Vortrag war Basis des im Dezember desselben Jahres erschienen Artikels,[1] um den es hier wesentlich geht.

Die Geschichte des Thingspiels mit den Stadionspielen als direkten Vorläufern wird hier nicht dargestellt. Dies haben bereits die beiden Deutschlandfunk-Redakteure Klaus Sauer und German Werth 1971[2] geleistet. Erwähnt sei kurz der wichtige Programmatiker und Stückeschreiber der Stadionspiele, Gustav Goes. In dessen Stück »Opferflamme der Arbeit. Ein Freilichtspiel«[3] wird »Ahasver«, Abgesandter des »internationalen Judentums«, vorgestellt:

»Ahasver: Deutschland? …Kenne ich nicht! Ausgestrichen ist es aus der Karte! Wozu noch Deutschland? International Sind wir alle geworden Seit jenem Tag von Versailles …«.[4]

Wer ist Ahasver? Der ›Ewige Jude‹.[5] Dieser antisemitische Topos Goes’ ist Sinnbild auch des NS-Thingspiels.

a) Euringers Deutsche Passion (1933)

Gleich zu Beginn intoniert Eichberg, der Goes en passant erwähnt und dessen Rolle als Wegbereiter des Thingspiels durch Ablösung der »Guckkastenperspektive zugunsten eines Zuschauerrunds um ein Freilichtfeld herum« gut findet[6], mit dem ersten als Thingspiel des Nationalsozialismus betrachteten[7] Stück von Richard Euringer Deutsche Passion 1933. Hörwerk in sechs Sätzen.[8] Die »blutrote Nacht« am Ende des 1. Weltkrieges, lässt den »bösen Geist« jubilieren.

Doch ein Kind klagt:

»Not.—Not.—Not.—

Hunger und kein Brot.

Herd, und kein Brand.

Und kein Vaterland.«[9]

Da werden

»die Gefallenen unruhig. Chöre der Toten fragen aus der Tiefe, Chöre der Jungdeutschlandregimenter aus der Ferne. Da ›der Arbeitslose‹ die Klagen über das ökonomisch zerrüttete und von fremden Mächten geknechtete Land bestätigt, erhebt sich ›der Gefallene‹, der ›namenlose Soldat‹, um – als Mahnender – seine ›Passion‹ zu leiden und das Volk zu retten. Der böse Geist, eine Mischung aus Kriegsgewinnler, Umsturzpartei, Landesverrat und Kapitalismus, ruft gegen ihn zum totalen Konsum auf und hetzt unter dem Beifall des ›Hauptaktionärs‹ die Massen auf den ›namenlosen Soldaten‹. Aber sie können ihn nicht fassen und schließen sich ihm (…) an. Eine neue Welt der Arbeit entsteht.«[10]

Mehr wird Eichberg zu diesem Stück nicht sagen.

Dieser Bezug zu Euringer ist allerdings Anlass genug, die ganze Passion unter die Lupe zu nehmen und Eichbergs Auslassungen (…) deutlich werden zu lassen.

Der Antisemitismus Euringers steht dabei in direktem Verhältnis zum Judenhass bei Eberhard Wolfgang Möller, dessen Thingspiel Frankenburger Würfelspiel von 1936 Eichberg gleichfalls so darstellt, dass der Kontext Möllers, dessen nationalsozialistisches, parteipolitisches Engagement und seine antisemitischen Texte bewusst und gezielt verschwiegen werden (…). Für meine Kritik ist konstitutiv, dass das, was Eichberg zum Thingspiel sagt, so anti-individualistisch und pro-nationalsozialistisch ist, dass das Aufdecken der Auslassungen nur ergänzenden Charakter hat. Seine rhetorische Mimikry jedoch basiert auf solchen Auslassungen, mit explizit antisemitischen Texten eines Euringer oder Möller hätte er vermutlich nicht in zwei linken Zeitschriften reüssiert. Neben Ästhetik&Kommunikation übernahm auch die linke US-amerikanische Zeitschrift new german critique Eichbergs Aufsatz.[11]

Ziel seiner Beschäftigung mit dem NS-Thingspiel ist das Aufmachen einer fiktiven Opposition: hier das massengesättigte, revolutionäre, nationalsozialistische Thingspiel, dort das elitäre, hierarchisch, führermäßig gesteuerte Herrschaftssystem und die Kulturpolitik des NS-Staates. Sowohl »NS-Kulturfunktionäre« als auch »germanistische Autoren des Nachkriegs«[12] haben in seinen Augen den spontaneistischen Charakter der Thingspielbewegung negiert. Diese Gleichsetzung von germanistischer Kritik nach 1945 mit nationalsozialistischer Politik während des NS verharmlost letzteren in traditionell rechtsextremer Art und Weise. Somit hält sich Eichberg vor Angriffen schon einmal geschützt, stellt er doch NS-Kulturpolitik und Germanistik nach ‘45 auf eine Stufe und sich selbst abseits davon.

Der deutsche Hörer, Leser und später Zuschauer dieser Deutschen Passion 1933 wird nicht enttäuscht. Deutsch ist das Stück bis in die Kinderstube hinein, in die neben dem Schrei nach Brot der nach dem Vaterland hineinprojiziert wird. Der »Gefallene« war »Soldat«, jedoch: »Und bin ich gefallen, so richt’..ich..mich..auf. Deutschland muß leben. Ihr Toten, herauf!«[13]

Die christliche Symbolik von Dornenkrone und Leidensweg sticht stark hervor – »Der Gefallene ›Ob Stacheldraht, ob Dornenkron: ich will sie leiden, die Passion«[14] – und verleiht dem Stück eine christlich-endzeitliche Dimension: das Dritte Reich als Wiederkehr des (anti-jüdischen) Heilands nach 2000 Jahren. »Der Auswurf bin ich. Der Prolet, ein Fraß für Trust und Kapital, verschachert international«.[15] Und es ist der »Teufel, der dies getan«. Geradezu als Epitaph einer ganzen Generation werden die Täter herbeihalluziniert:

»Man lag da an der Somme und so, vor Ypern, Verdun, ich weiß nicht wo, da haben sie’s angezettelt, Phantasten und Literaten, Verbrecher und Demokraten, Juden und Pazifisten, Marxisten und Himbeerchristen. (…) Sie organisieren den Volksverrat. (…) Sie zerbrachen uns das Genick«.[16]

Juden sind also neben Marxisten, Demokraten und ›Himbeerchristen‹ die expliziten Feinde des Thingspiel-Autors Richard Euringer. Die komplette nationalsozialistische Kampftirade seit Anbeginn der Weimarer Republik wird in der Deutschen Passion in Szene gesetzt. Der tapfere Soldat wurde hinterrücks verraten – »Der Feind, er saß im eigenen Land«[17] –, doch nicht nur der Dolch im Rücken, auch das Ausland vor der Brust trägt Schuld:

»Als Rechtsanwalt ein Völkerbund der ungeheuren Lüge«.

Schließlich, in der Mitte des Stückes:

»So wahr ich lebe, mitten im Tod: ein Mann, ein Mann tut Deutschland not«.[18]

Doch der ›böse Geist‹ hintertreibt diese Ode an Hitler mit allen Mitteln:

»Bedarf an Damen! Wir führen aus. Europa wird ein Freudenhaus. Export in alle Lande. Gefragt ist Rassenschande«.[19]

Es wird immer »reeperbahnmäßiger«[20] und eine weitere bis unsere Tage hinein beliebte Formulierung hat ihren Auftritt, als »Kreischen der entfesselten ›Sieger‹«[21]:

»Am Ellbogen erkennt ihr den Mann, der das Rennen machen kann. Es reicht nicht für die Massen.«[22]

Ganz im Einklang mit völkischer und nationalsozialistischer Ideologie wird der »böse Geist«, der nur wenige Seiten bzw. Augenblicke zuvor klar und deutlich als »Jude« benannt wurde, mit seinen ›irdischen Materialisierungen‹ kenntlich gemacht:

»Der ist’s, der aus Warenhäusern gleißt, der hockt an der Börse als böser Geist«.[23]

Die antiurbane, antijüdische Abwehr von Warenhäusern und die häufig verschwörungstheoretisch argumentierende Angst vor ›zirkulärem Kapital‹, das an der Börse gehandelt wird, werden hier wie selbstverständlich theatralisch aufgeführt und sind deutlicher Ausdruck der ›Deutschen Revolution‹ im Jahr 1933.

Dieses erste Thingspiel hat einen alles vereinigenden Kristallisationspunkt, der ›namenlose Soldat‹[24] spricht es vor (und das »Echo aus der Menge«[25] wird immer hörbarer): er will die ›Rachsüchtigen‹ und ›Gierigen‹ »ackern lehren«, der Bauer soll auch die Stadt ehren, der Adel seine Herkunft nicht verachten, »[d]er Höfling war die welsche Schand«.[26] Der Bürger wird ermahnt, nicht nur zu »raffen«, und die Jugend beschworen:

»Von dir, du deutsche Jugend, erbitt ich eine Tugend: dein Leib und Leben ist nicht dein. Stirb, und du wirst unsterblich[27] sein!«, sodann, »mit offenen Armen«, die Arbeiterbewegung implizit für tot erklärt und propagiert: »du Klassenkämpfer und Prolet, tritt aus deiner Wolke! Sei wieder Volk vom Volke!«[28]

Von oben herab verkünden die »seligen Krieger« im Chor: »Mutter, klag nicht, daß wir geendet! Es war nicht umsonst: wir sind vollendet«[29] – und die himmlischen »Stimmen der Jungdeutschlandregimenter«[30] untermalen das effektiv. Der »böse Geist«, kurz vor dem ›tosenden Niedergang‹ in die »Tiefe«[31], hält es nicht mehr aus: »Das auch noch! Da zerplatz doch gleich! Das also gibt’s: ein drittes Reich!!?!!«[32], wobei der ›himmlische Orgelton‹[33] »rhythmisch und harmonisch vermählt dem irdischen Marschlied«[34] erklingen soll.

Damit endet die Deutsche Passion 1933[35] von Richard Euringer.[36]

Die Agitation gegen Warenhäuser, Sexualität und Nachtleben – »immer reeperbahnmäßiger« – und die Anklage gegen die ›Verräter‹ – »Juden, Marxisten, Himbeerchristen« – ist in ihrer explizit und implizit antisemitischen Diktion evident.[37] Dass das Thingspiel keineswegs vom Himmel fiel, so wenig wie der Nationalsozialismus, sondern auf der Akzeptanz weiter Teile der Bevölkerung aufbauen konnte, macht Eichberg in seiner Stil- oder Formfragen zentrierten Apologie dieser Frühform nationalsozialistischer Theaterkultur und -politik vergessen, er rehabilitiert vielmehr diesen Resonanzboden.

Die Schuldumkehr Euringers, schon kurz nach dem Ende des Nationalsozialismus, macht ihn für die Neue Rechte bedeutsam. Er, der Deutsche aus Passion, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus von den Alliierten zumindest vorübergehend interniert, schreibt in seiner

»dreisten Rechtfertigungsschrift ›Die Sargbreite Leben‹ eine lange Liste von ›pathologischen‹ Auswüchsen und ›Phantasien einer keimenden Psychose‹ unter den Häftlingen auf: ›Die Ausrottung im Westen erfolgt nicht durch Massenerschießungen, sondern westlich humanitär mit feineren, unsichtbaren Methoden, und zwar in Etappen: (…) Preisgabe der Frauen an die Besatzung. Ruinierung der Frauen durch Überbürdung, Infizierung, Prostitution aus Not, künstliche Vermischung mit Fremdrassen (…). Systematische Verderbung durch ›Umerziehung‹ mittels Kino, Radio, Presse und Broschüren. (…) Ruinierung der Gesundheit der Internierten durch systematische Entziehung der notwendigen Aufbaustoffe‹«.[38]

Heutige Neonazis sprechen vom »›Massenmord an deutschen Kriegsgefangenen‹«.[39]

»Das heißt: In den Veröffentlichungen neonazistischer Gruppen wird das Wort Völkermord systematisch aus seinem gemeinsprachlich konventionalisierten Gebrauchszusammenhang herausgelöst; man deutet es um, transformiert es in ein ideologiespezifisches Schlagwort, indem man unterm dem Lexem Mord, das Bestandteil des Kompositums ist, nicht mehr die gewaltsame Vertreibung von Gruppen oder die Tötung von Menschen versteht, sondern das Resultat von Rassenmischung und die Vernichtung einer rassisch definierten Identität. Diese Umdeutung ist es, die das Schlagwort Völkermord in das Zentrum der für diese Gruppe spezifischen Geschichtsverdrängung und –verleugnung hineinrückt. Es ist ein Zeugnis der offensiven Selbststilisierung als Opfer.«[40]

Eichberg ist ein Freund und Anwalt des Things, denn »in den Schriften der Thingspieltheoretiker« werde »der Wille zum Bruch mit dem Bestehenden in revolutionärem Pathos immer wieder herausgestellt.«[41] Der ›Wille zum Bruch mit dem Bestehenden‹, der gewalttätige, mörderische Drang, namentlich der SA vor 1933, wird von ihm als kulturelles, ›revolutionäres Pathos‹ in die Frühphase des Nationalsozialismus an der Macht transportiert. Er stilisiert die Thingspielbewegung zum Opfer der NS-Führung, wenn er in den Raum wirft, dass

»das Thingspiel vom NS-Staat letztlich als zur ›Manipulation‹ untauglich angesehen und schon 1935/37 fallengelassen oder gar unterdrückt wurde.«[42]

Eichberg konstruiert das Thingspiel als quasi Gegenspieler des SS-Staates, um nicht als Apologet des Nationalsozialismus zu gelten. Die Marxisten von Ä&K wie auch die Editoren von New German Critique nahmen ihm diese Mimikry ab. De facto war das Thingspiel jedoch eine Bündelung genuin nationalsozialistischer Ideologeme.

Der Kampf gegen Versailles, das Pathos des nicht umsonst gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges, das den Zweiten mit vorbereiten hilft, die Sehnsucht nach Erlösung und nach dem Retter, dem ›namenlosen Soldaten‹, der Hass auf den Westen, die Moderne, das Heterogene, Sexualität, Marxismus, (christlichen) Universalismus und Juden ist konstitutiv für die völkische Paranoia. Der anti-bürgerliche Affekt, der in Deutschland Tradition hat, ist hier auf der Ebene des Theaters konkret geworden. Eichberg unterstreicht dies:

»In dem Augenblick, in dem jedoch in unseren Tagen die liberale Totalitarismustheorie in die Krise geriet, entdeckte man auch, daß das Thingspiel als Formierungsinstrument des NS-Staates nur die eine Seite war. Die andere war eine bisher übersehene Spontaneität der Weihespielbewegung in den ersten Jahren nach 1933. Die Baupläne des NS-Staates (1934: 66 Thingstätten im ersten Bauprogramm) wurden weit übertroffen durch Anträge, die von lokaler Seite her an die Ministerien und Behörden gesandt wurden (1934: 500). Als 1933 die Deutsche Arbeitsfront ein Thingspiel-Preisausschreiben veranstaltete, sollen über 10 000 Einsendungen eingegangen sein. (…) Auch wäre das Thingspiel ohne ein spezifisches Rezeptionsverhalten breiter Volksschichten nicht realisierbar und wohl nicht einmal konzipierbar gewesen.«[43]

Das deutsche Volk konstruierte sich weitgehend homogen, was nicht nur die Leugnung des Klassencharakters einer kapitalistischen Industriegesellschaft impliziert und im Zerschlagen freier Gewerkschaften sowie im Kampf gegen die organisierte Arbeiterbewegung mörderisch zu Tage trat, vielmehr im ›Ausscheiden‹[44] des als »fremd« und »undeutsch« Imaginierten, Jüdischen, aus dem Deutschen, die Volksgemeinschaft kreierte. Eichberg möchte zu Euringer zurück und Strukturen einfordern

»mit denen das NS-Thingspiel die neue Theaterform hervorbringen wollte: Gesamtkunstwerk aus Bewegungs-, Sprech- und Musikformen, Freilichttheater, Vermengung von Darstellern und Publikum. Rhythmisierung durch musikalische und chorische Techniken, Massenhaftigkeit, agitatorische Typisierung der agierenden Gestalten und ihre Einfügung in ein duales Muster, im dem die politische Entscheidung für eine bessere Zukunft fällt.«[45]

Die »bessere Zukunft« heißt Deutsche Revolution, meint den nationalen Sozialismus an der Macht – er bezieht sich ja ganz explizit auf das NS-Thingspiel, das für ihn »für eine bessere Zukunft« steht – und verteidigt somit den Nationalsozialismus. Er hebt die antiuniversalistische und antiindividualistische Dimension hervor in der schwelgerischen Betonung der volksgemeinschaftlichen ›Vermengung von Darstellern und Publikum‹.

b) Zenit des ›kulturellen Things‹[46]: Möllers Würfelspiel (1936)

Die Kontinuität der extremen Weimarer Rechten in den NS hinein wird in dem Bezug Eichbergs auf Eberhard Wolfgang Möllers Thingspiel Das Frankenburger Würfelspiel noch deutlicher. Möller war schon vor seinem Eintritt in die NSDAP im Jahr 1932 SA-Mitglied geworden.[47]

Möllers Würfelspiel wurde am 2. August 1936, einen Tag nach der Eröffnung der Olympischen Sommer-Spiele in Berlin, auf der Dietrich-Eckart-Bühne als Thingspiel uraufgeführt. Das dem Stück zugrunde liegende historische Ereignis ist Teil der Gegenreformation im 17. Jahrhundert. Graf Herbersdorf, Gesandter Kaiser Ferdinands II., obliegt es, die Bauern in Oberösterreich zu rekatholisieren. 36 dieser Bauern sollen um ihr Leben würfeln, um die restliche Bevölkerung einzuschüchtern. Doch schließlich dreht sich alles gegen Graf Herbersdorf selbst; es fallen in diesem Bauernkrieg bis zu 7000 Bauern.[48] Möller bezieht die Klage der toten Bauern auf das nationalsozialistische Deutschland. Wie bei Euringer spielt die Klage über die Toten bzw. der noch Nicht-Toten eine große Rolle:

»Gebt uns die Todgeweihten wieder her, die uns auf unserm Weg vorangezogen! Wir sind nicht Kinder und nicht Bettler mehr, wir sind ein neues Volk, ein neues Heer, und wehe denen, welche uns betrogen. Wir sind ein Wille, und wir sind ein Schrei, und kein Versprechen kann uns mehr entzweien. Wir wollen uns von aller Schinderei von allem Joch und aller Tyrannei in Gottes Namen endlich selbst befreien«.[49]

Nicht nur 20 000 Zuschauer verfolgten die Aufführung, sondern auch 1200 Laiendarsteller und 27 Sprechrollen bestimmten »das Verhältnis von Individuum und Gesamtheit neu«.[50] Eichberg schwelgt:

»Auch wenn zu einer Aufführung in Erfurt 1937 fast 2000 Arbeiter und Mitglieder der Parteiformationen aufgeboten und eine ganze Stadt beschäftigt wurde, war die Grenze zwischen Akteuren und Publikum gleitend geworden.«[51]

Es handelt sich hier um seinen Habilitationsvortrag an der Universität Stuttgart vom 02. Juni 1976, der in der linken Szene-Zeitschrift Ästhetik&Kommunikation veröffentlicht[52] wurde, und Eichberg führt sich als der auf, der er sein möchte: als völkischer Beobachter.

Zu Möller, dessen Antisemitismus völlig offen zu Tage liegt[53], sagt er nicht mehr als in folgendem Zitat, Distanz oder gar Kritik entfallen im Schwärmen ob der ›Neubestimmung im Verhältnis von Individuum und Gesamtheit‹:

»Dieser Massenhaftigkeit standen auf dem Spielfeld nicht Individuen in ihrer Besonderheit gegenüber, sondern Typen, abstrakte Gestalten, häufig ohne Namen. Die Schauspieler des ›Frankenburger Würfelspiels‹ 1936 wurden sogar auf Kothurne[54] gestellt. Nicht individuelle Moral oder Psychologie wurde vorgeführt, sondern ein politisches Lehrstück. Nicht um persönliches Schicksal, Schuld und Sühne ging es, sondern um das Volk und um abstrakte Gegebenheiten, wie sie in ›dem Arbeitslosen‹, ›dem Bonzen‹ oder ›dem namenlosen Soldaten‹, in ›dem Richter‹ oder ›der Gestalt in schwarzer Rüstung‹ in Erscheinung traten.«[55]

Das Frankenburger Würfelspiel als »Weihe der Machtübernahme von 1933«[56] führt Möllers Sprache von vor ’33 fort, als er sie in den »Dienst der Massenmobilisierung durch Mobilisierung der Ressentiments der Masse gegen das ›System‹«[57] einspannte. (…)

Für Eichberg zeigt sich im ›olympischen Zeremoniell‹ die Kontinuität der mit »Weihe- und Feierspiele« »zusammenhängenden Verhaltensformen« über die »Veränderungen um 1937/45« hinaus.[58] Deshalb geht er gegen Ende seines Beitrages im Thingspiel-Band auf das während der Olympiade uraufgeführte ›Weihespiel‹ »Olympische Jugend« von Carl Diem ein.[59] Die verschiedenen Bilder dieses Spiels mit über 10.000 Teilnehmern werden dargestellt und einige zentrale Stellen ausführlich zitiert. Es geht in diesem olympischen Weihespiel um »›Kampf um Ehre, Vaterland‹«[60] (im ersten Bild), was ihn bei der Analyse des dritten Bildes unter Hinzuziehung einer zeitgenössischen Darstellung ausführen lässt:

»Während sich die Mädchen zum weiten Rand der Arena zurückziehen und diesen säumen, stürmen von der Ost- und Westtreppe Tausende von Knaben in das Spielfeld, lassen die Romantik aller Jugend aufklingen, indem Jugendgruppen verschiedener Nationen um Lagerfeuer geschart Volkslieder ihrer Heimat singen«.[61]

Gerade vor dem Hintergrund Eichbergs politischer Biografie, zu denken ist an sein Zeltlager 1966 in Südfrankreich (…), ist die Beschreibung einer weihevollen, heimatumwobenen (jugendlichen) Zeltlager-Stimmung des Jahres 1936 im nationalsozialistischen Deutschland bezeichnend. Die Jugend sieht ihrem Selbst-Opfer ins Gesicht:

»Allen Spiels heil’ger Sinn: Vaterlands Hochgewinn. Vaterlandes höchst Gebot in der Not: Opfertod!«[62]

 

Soviel zu Henning Eichberg und der Salonfähigkeit der Neuen Rechten schon in den 1970er Jahren bis heute. Wen wird es morgen Abend schon stören, dass das Berliner Olympiastadion ein Nazi-Stadion ist und dort antisemitische und das deutsche Opfer einfordernde Thingspiele aufgeführt wurden? Das ist eine historische Analyse der Beziehung von Sport und Politik.

Wen wird die Beziehung von NS-Stadion und NS-Thingspiel zum heutigen Berliner Olympiastadion stören in einer Zeit des Aufrüstungswahnsinns (für die Ukraine, für die NATO, für den Militarismus) und einer Zeit, wo noch jeder Magenta- oder ARD/ZDF-Moderator (m/w/d) von „wir“ gleichsam faselt und von einer nüchternen Betrachtung zumal der Spiele mit deutscher Beteiligung nicht ansatzweise die Rede sein kann? Wenn bei einer klaren Regel, die nicht jede Berührung mit der Hand als einen Regelverstoß sieht, die halbe Republik durchdreht und nur am Rande in sachlichen Berichten wie in der Sportschau („Das vermeintliche Handspiel erfolgte in der 106. Minute. Cucurella hatte den Arm draußen und berührte den Ball mit der Hand. Dass es in solchen Situationen keinen Strafstoß geben wird, hatte Roberto Rosetti, der Schiedsrichter-Chef der UEFA, vor dem Turnier angekündigt.“) auf deren Homepage die Sachlage korrekt dargestellt wird?

Vor 17 Jahren konnte man angesichts der Fußball-WM 2006 oder dem „Party-Patriotismus“ Folgendes lesen:

„Ein aktueller Anlaß der Analysen dieses Beitrags waren Identitätskampagnen und die nationale Euphorie während der Fußballweltmeisterschaft [2006]. (…) Während viele Menschen der Meinung sind, ein gesunder patriotischer Nationalstolz sei positiv, zeigen die vorliegenden Befunde, daß es sich hierbei um eine Fehleinschätzung handelt. Auch der während der Fußball-Weltmeisterschaft zu beobachtende  ‚Party-Patriotismus‘ zieht keine positiven Effekte nach sich – im Gegenteil, es zeigt sich ein Anstieg des Nationalismus.“[63]

So heißt es 2007 in einem Beitrag in der Langzeitstudie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, die unter anderem im Suhrkamp Verlag in der Reihe „Deutsche Zustände“ publiziert wurde, die der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer von 2002 bis 2012 herausgegeben hat. Abgesehen davon, dass dieses Konzept der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ insbesondere in der kritischen Antisemitismusforschung skeptisch betrachtet wird, da jedwede Spezifik des Antisemitismus verwässert wird und er im Orkus x-beliebiger Vorurteile oder Ressentiments untergeht, und namentlich aufgrund des problematischen Begriffs der „Islamophobie“, der auch von islamistischen Kreisen gerne verwendet wird, ist dieser Forschungsansatz generell nicht unumstritten. Das heißt logischerweise nicht, dass dort nicht auch wichtige und relevante Forschungsergebnisse herausgekommen sind.

Nehmen wir das Beispiel Fußball-WM 2006, das allseits gehypte „Sommermärchen“, das dann 2024 bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer doch nicht wirklich eine Wiederauflage bekam, jedenfalls nicht, was das exzessive Aufhängen von Fahnen und Wimpeln an Häusern, Balkonen oder Autos betrifft. Gefühlt nur ein Prozent der Anzahl der Fahnen wie 2006 waren zu sehen, auch schon vor dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft im Viertelfinale gegen Spanien am Freitag, den 5. Juli 2024 (2:1 für Spanien nach Verlängerung).

Der Professor für Sozialwissenschaften des Sports an der Justus-Liebig-Universität Giessen Michael Mautz und sein Co-Autor Markus Gerke untermauern die Kritik am ach-so-harmlosen deutschen Fußball-„Patriotismus“:

Gunter Gebauer (1996) hat in einem kurzen Beitrag über die Olympischen Sommerspiele 1992, bei denen zum ersten Mal nach der deutschen Wiedervereinigung eine gesamtdeutsche Auswahlmannschaft an den Start ging, einen fundamentalen Wandel der Sportberichterstattung diagnostiziert. Er beschreibt einen Wandel von einer „aristotelischen“ zu einer „nationalistischen“ Logik der Darstellung. Die aristotelische Logik der Inszenierung – entlehnt aus Aristoteles‘ Dramentheorie – basiert auf der In-sich-Geschlossenheit einer Handlung und der Einheit von Ort und Zeit. Bezogen auf den Sport wäre der einzelne sportliche Wettkampf eine geschlossene Handlungsepisode, die vom Beginn bis zum Ende am gleichen Austragungsort präsentiert wird. Die Dramatik ergibt sich hier aus der steigenden Spannung, die dem sportlichen Wettbewerb inhärent ist, sich in der Regel von den Vorkämpfen bis zum Finale langsam aufbaut und sich ruckartig löst, wenn die Siegerin oder der Sieger am Ende feststeht. Diese Inszenierungslogik wurde, so Gebauer, durch eine nationalistische Dramaturgie abgelöst, bei der die Regie schnell zwischen verschiedenen Wettbewerben, Orten und Zeiten hin und her springt und zwar immer dorthin, wo gerade deutsche Sportlerinnen und Sportler an den Start gehen. Die Einheit der TV-Berichte sind nicht mehr einzelne sportliche Wettbewerbe, sondern die Einheit wird dadurch konstruiert, dass entlang der Nationalität berichtet und selektiert wird.[64]

Mutz und Gerke resümieren:

Darüber hinaus zeigen unsere Daten – einschließlich der flankierenden Experimente –, dass Patriotismus und Nationalismus benachbarte, eng korrelierte Einstellungen sind, sodass jede Verstärkung patriotischer Bindungen immer auch mit nationalistischen Ressentiments assoziiert ist. Von der Liebe zum eigenen Land zur Überzeugung, das eigene Land sei besser und mehr wert als alle anderen, ist es kein langer Weg, sondern nur ein kurzer Schritt.[65]

Schließlich:

Zudem haben andere Studien zeigen können, dass sportbezogener Nationalstolz mit einer ethnisch-kulturell fundierten Vorstellung des Nationalen stärker korrespondiert als mit der Idee der zivilen Staatsnation.[66]

Das alles sind wissenschaftliche Analysen, die zeigen wie wichtig es ist, sich kritisch mit der Beziehung von Massenbewegungen wie den obsessiven „Party-Patrioten“ von 2006 ff. zu befassen.

Angesichts der Tatsache, dass bei der Europawahl 2024 die rechtsextreme AfD auf den zweiten Platz nach der CDU und vor der SPD kam, hätte man erwarten können, dass auch die Bundeszentrale für Politische Bildung sich kritisch und diskursiv mit den Folgen von 2006 und dem Fußball-Nationalismus beschäftigt. So wie es zum Beispiel die ARD-Sportschau 2023 unter anderem anhand meiner Thesen auch getan hat. Und diese Kritik war ja offenkundig auch die Intention der Produktionsfirma für das Video und der Serie „Politik raus aus den Stadien“.

Doch ein kleiner Shitstorm von rechten Kreisen reicht heutzutage schon aus, dass eine große Institution wie die Bundeszentrale einknickt und der kritischen Wissenschaft keinen Platz mehr einräumt und eine gesellschaftskritische Publizistik diffamiert.

Selbstbewusstes Handeln sieht anders aus.

Ob es morgen Abend auch nur ein Moderator oder eine Kommentatorin schaffen wird, ein aristotelisches Drama von Spanien gegen England zu übertragen, ohne auf die morgen beim Finale völlig irrelevante Situation der deutschen Nationalmannschaft in diesem Turnier zu rekurrieren oder diesen oder jenen Pass, Freistoß oder Kopfball geradezu zwanghaft obsessiv mit diesem oder jenem Pass, Freistoß oder Kopfball eines x-beliebigen deutschen Nationalspielers der letzten Jahrzehnten irgendwie in Beziehung zu setzen (wie es auch Co-Moderatoren wie Michael Ballack oder Lothar Matthäus gerne tun), um ganz sicher zu betonen, dass „wir“ ja auch so toll Fußball spielen können (nur halt “leider, leider” diesmal wieder frühzeitig ausgeschieden sind), das ist zu bezweifeln.

Viele Fußball-Fans schauen ja ohnehin solche Spiele ohne Ton an oder haben eine Technik, nur die Stadiongeräusche zu hören, aber nicht die geschwätzigen und a priori pro-deutschen Kommentator*innen oder Moderator*innen.

Das Video über das Sommermärchen und den Nationalismus entspricht exakt dem “Beutelsbacher Konsens” von 1976, der bis heute immer angeführt wird in der politischen Bildung:

I. Überwältigungsverbot.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren

Das Video entspricht genau diesem Standard, es überwältigt nicht, sondern regt zu Diskussionen an, es zeigt sowohl nationalistische Symbole, also auch die Kritik daran, also beide Seiten. Das Thema “Sommermärchen” wird “kontrovers” diskutiert, in aller Kürze der Zeit eines Reels oder Kurzvideos, und die Schüler*innen oder eben Rezipient*innen werden in die Lage versetzt, “eine politische Situation” und “eigene Interessenlagen” “zu analysieren”. Aufgrund dieses Videos ließe sich vortrefflich diskutieren, was die Beziehung von Nationalismus und Sport mit der politischen Kultur eines Landes macht, denn wegreden wird ja wohl niemand, dass es nach 2006 den Beginn und Aufstieg sowohl Pegida als auch der AfD gegeben hat und bis heute gibt, die nun mal beide, auch das wird niemand abstreiten, die deutsche Fahne als eines ihrer zentralen Symbole verwendet.

Was bleibt? Die Bundeszentrale für Politische Bildung muss das zensierte Video bzw. die zensierten Videos wieder online stellen und zeigen, dass es eine demokratische Institution ist, die sich umfassend, kritisch und wissenschaftlich mit Phänomenen beschäftigt, hier mit der Beziehung von Sport und Politik.

 

 

[1] Henning Eichberg (1976): Das nationalsozialistische Thingspiel. Massentheater in Faschismus und Arbeiterkultur, in: Ästhetik und Kommunikation, Jg. 7. (1976), H. 26, S. 60–69, hier S. 68.

[2] Klaus Sauer/German Werth (1971): Lorbeer und Palme. Patriotismus in deutschen Festspielen, München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

[3] Gustav Goes (1934): Opferflamme der Arbeit. Ein Freilichtspiel, Berlin, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 177. Goes hat auch den Aufsatz »Vom Stadion zum Thingspiel«, in: Bausteine zum deutschen Nationaltheater verfasst, der die »maßlose Wut« der Deutschen zum Thema hatte und den Konnex von Stadion- und Thingspiel beleuchtete, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 176. Ohne Eichberg substantiell zu kritisieren oder seine Mimikry, im Reden über den Nationalsozialismus eine subkutane Apologie desselben zu leisten, zu erfassen, ist der Anspruch, die Bedeutung der Stadionspiele weniger als Vor- als vielmehr ›Nach‹läufer der Thingspielbewegung zu analysieren von Bernhard Helmich zu erwähnen, vgl. Bernhard Helmich (1989): Händel-Fest und »Spiel der 10.000«. Der Regisseur Hanns Niedecken-Gebhard, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXX, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Bd. 32), hier S. 12 f. (u. a. im Bezug auf Eichberg).

[4] Goes 1934, zitiert nach Sauer/Werth 1971, S. 181 f.

[5] Vgl. Clemens Heni (2006): Ahasver, Moloch und Mammon. Der ‘ewige Jude‘ und die deutsche Spezifik in antisemitischen Bildern seit dem 19. Jahrhundert, in: Andrea Hoffmann et al. (Hrsg.) (2006), Die kulturelle Seite des Antisemitismus zwischen Aufklärung und Shoah, Tübingen: TVV, S. 51–79.

[6] Eichberg 1976, S. 62.

[7] Es wurde offiziell nie als Thingspiel bezeichnet, doch das tut hier nichts zur Sache. Über solche Kompetenzstreitigkeiten und inner-nationalsozialistischen Machtspiele werde ich hier nicht berichten. Beispielsweise verwahrte sich in einer Presseanweisung vom 23.10.1935 die NS-Führung dagegen, zukünftig Worte wie »Thing« zu verwenden. Eine solche Position ist selbstredend nicht anti-germanisch oder antivölkisch, vielmehr machtpolitisch motiviert gewesen, vgl. Wolfgang Emmerich (1971): Zur Kritik der Volkstumsideologie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (edition suhrkamp), S. 146 ff.

[8] Richard Euringer (1933): Deutsche Passion 1933. Hörwerk in sechs Sätzen, Oldenburg i. O./Berlin: Gerhard Stalling, Verlagsbuchhandlung. Es handelt sich um Band 24 der von Werner Beumelburg herausgegebenen Schriftenreihe »Schriften an die Nation«. Sie wirbt im Bandumschlag damit, » …hat die Schriftenreihe im stärksten Maße dazu beigetragen, die deutsche Revolution vorzubereiten«. Auch Euringer hat die deutsche Revolution antizipiert: »Entworfen Weihnacht 1932. Vollendet Frühmärz 1933. Urgesendet in der ›Stunde der Nation‹, Gründonnerstag, 13. April 1933, über alle deutschen Sender« (ebd., S. 4). Dieses Werk erhielt am 1. Mai 1934 durch den Reichspropagandaminister Goebbels den ›nationalen Buchpreis‹ als bestes Buch des Jahres, vgl. Umschlag.

[9] Euringer 1933, zitiert bei Eichberg 1976, S. 60.

[10] Eichberg 1976, S. 60.

[11] New german critique, 1977, H. 11, darin Henning Eichberg (1977b): The Nazi Thingspiel, in: New German Critique, No. 11, S. 133–150. In dem Standardwerk Sachwörterbuch der Literatur taucht in der Auflage von 1979 erstmals das Stichwort »Thingspiel« auf, und auch Eichbergs erst kurz zuvor erschienenen Texte, sowohl seine Monografie als auch sein englischer Aufsatz werden hierbei aufgeführt, vgl. Gero von Wilpert (1955)/1979: Sachwörterbuch der Literatur, 6. Aufl., Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 836 f.

[12] Eichberg, Henning u. a. (1977a): Massenspiele. NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell, Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog (problemata 58), S. 158.

[13] Euringer 1933, S. 16.

[14] Ebd. Auch auf dem Umschlag des schmalen Euringer-Bandes ist eine große Dornenkrone abgebildet.

[15] Ebd., S. 20.

[16] Ebd., S. 22.

[17] Ebd., S. 24.

[18] Ebd., S. 25.

[19] Ebd., S. 28.

[20] Ebd., Regieanweisung.

[21] Ebd., S. 29, Regieanweisung.

[22] Ebd., S. 29.

[23] Ebd.

[24] Dass das ›Führerprinzip‹ erst mit Möllers Würfelspiel (vgl. unten) 1936 eingeführt worden sei – so Henning Rischbieter (Hg.) (2000): Theater im ›Dritten Reich‹. Theaterpolitik Spielplanstruktur NS-Dramatik, Seelze-Velber: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung, S. 41 – ist also schon bei Betrachtung des ersten de facto Thingspiels zu revidieren: »Die Legende bezieht ihre mythische Qualität aber nicht nur aus ihrer Analogie zur Christuspassion, sondern bemüht zusätzlich den Mythos vom ›Unbekannten Soldaten‹, mit dem Euringer eindeutig auf Hitler verweist. Hitler nannte sich selbst gern den ›unbekannten Gefreiten des Weltkriegs‹« (Hannelore Wolff (1985): Volksabstimmung auf der Bühne? Das Massentheater als Mittel politischer Agitation, Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang (Europäische Hochschulschriften, Reihe 30, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Bd. 23), S. 198). Wolff nimmt Eichbergs Thingspiel-Aufsatz (Eichberg 1976) in ihr Literaturverzeichnis auf, ohne sich jedoch näher mit ihm zu befassen, also auch nicht seine Apologie des Thingspiels, zu erfassen.

[25] Euringer 1933, S. 34, Regieanweisung.

[26] Ebd., S. 35.

[27] Vgl. unten zu den Unsterblichen/Toten auch Diems »Weihespiel«.

[28] Euringer 1933, S. 34 f.

[29] Ebd., S. 46.

[30] Ebd., Regieanweisung.

[31] »Mit Getöse in die Tiefe« (ebd., S. 47, Regieanweisung).

[32] Ebd., S. 47.

[33] »Aus den Himmeln Orgelton« (ebd., Regieanweisung).

[34] Ebd., Regieanweisung.

[35] Von den 1920er bis in die 1950er Jahre war Hanns Niedecken-Gebhard Intendant und Regisseur, eine prägende Figur im Theaterleben der Nazis, zuvor und unmittelbar danach. Er durfte Euringers Passion in deutsche Szene setzen. Helmichs pure Deskription kann ich nicht anders als affirmativ lesen: »Statt der ›stumm vorbeiziehenden Jüngsten‹ hätte der Kritiker des ›Völkischen Beobachter‹ lieber ›stramme Hitler-Jugend oder SA‹ aufmarschieren sehen. Immerhin erreicht Niedecken, dass die fast 2.000 Zuschauer sich am Ende – beim Erklingen von volkstümlicher Musik und gleichzeitigem Entrollen von Hakenkreuzfahnen – spontan von ihren Plätzen erheben und die Arme zum ›Deutschen Gruß‹ in die Höhe strecken« (Helmich 1989, S. 180). Was für ein ›immerhin‹!

[36] Allgemein lässt sich zu den Thingspielen sagen: »Die Aufführungen endeten fast immer nach dem gleichen Schema, das häufig bereits in den Texten vorgegeben war: am Schluß des Spiels zogen nationalsozialistische Formationen, die Kolonnen der SA, der SS, des Arbeitsdienstes oder anderer Verbände mit ihren Fahnen und Standarten und begleitet von Marschmusik durch die Zuschauerreihen hindurch in das Theaterrund ein. Das Singen des Horst-Wessel- oder des Deutschland-Liedes, in das alle Versammelten, Mitwirkende und Zuschauer, einfielen, war in der Regel Höhepunkt und Abschluß eines Thingspiels« (Wolff 1985, S. 225).

[37] Scheits Interpretation, die das Fehlen eines offenen Antisemitismus in diesen Stücken betont, ist gleichwohl aufschlussreich. Sie sieht in dem »bösen Geist« die Gegenfigur zum »namenlosen Soldaten« bei Euringer: »Schon der erste große Erfolg in diesem Genre [dem ›Thingspieltheater‹, C. H.] – Richard Euringers Deutsche Passion 1933 – hatte nicht zufällig die Dramaturgie des Passionsspiels adaptiert; zugleich ist dieses Thingspiel der ersten Stunde so etwas wie eine trivialisierte und proletarisierte Version des Parsifal – mit deutlichen Anleihen beim deutschen Expressionismus. Es fällt auf, dass der Antisemitismus des Stücks dabei kaum konkreter wird als der von Wagners Musikdramen: Kontrahent des gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs, der als Wiederauferstandener Deutschland erlöst wie Christus die Menschheit und Parsifal die Ritter, ist nicht ›der Jude‹, sondern ein »Böser Geist«, der nicht deutlicher auf das Judentum anspielt als etwa Alberich, Kundry oder Klingsor. (…) Die Christus- und Parsifalfigur der Deutschen Passion, der gefallene und wiederauferstandene Soldat, bedeutete eine unmittelbare und für jeden verständliche Anspielung auf Adolf Hitler. Näher wagten sich Theater und Spielfilm nie wieder an den ›Führer‹ heran« (Gerhard Scheit (1999): Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus, Freiburg: ça ira, S. 358).

[38] Zitiert nach Stefan Busch (1998): »Und gestern, da hörte uns Deutschland«. NS-Autoren in der Bundesrepublik. Kontinuität und Diskontinuität bei Friedrich Griese, Werner Beumelburg, Eberhard Wolfgang Möller und Kurt Ziesel, Würzburg: Königshausen & Neumann (Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte Band 13), S. 206, Anm. 180.

[39] So ein Flugblatt des »Freundeskreises Freiheit für Deutschland«, zitiert nach: Bernhard Pörksen (2000): Die Konstruktion von Feindbildern. Zum Sprachgebrauch in neonazistischen Medien, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 143. Seit 02.09.1993 ist der »Freundeskreis Freiheit für Deutschland« eine verbotene Organisation.

[40] Pörksen 2000, S. 144; vgl. zum Topos ›Völkermord‹ bzw. ›Volkstod‹ III.4.e [in meiner Dissertation].

[41] Eichberg 1976, S. 62.

[42] Ebd., S. 61.

[43] Ebd.

[44] Vgl. bezüglich Achim von Arnims Antisemitismus und dem ›Ausscheiden‹ alles Fremden Susanna Moßmann (1994): Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der ›Christlich-deutschen Tischgesellschaft‹, in: Hans Peter Herrmann/Hans-Martin Blitz/dies. (1994): Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a. M.: Suhrkamp (suhrkamp taschenbuch wissenschaft), S. 123–159.

[45] Eichberg 1976, S. 65.

[46] Das ›kulturelle Thing‹, d. h. das Thingspiel, wurde womöglich auch aufgrund der Konkurrenz zum ›politischen Thing‹, den Nürnberger Reichsparteitagen bzw. insgesamt der Inszenierung des Staates als »›Volksdrama‹« (Goebbels), aufgegeben, vgl. Peter Reichel (1991)/1994: Der schöne Schein des Dritten Reichs. Faszination und Gewalt des Faschismus, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag (Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Buchreihe), S. 339 f.

[47] Busch 1998, S. 148. »Zum ›Führergeburtstag‹ am 20.4.1934 schrieb Möller im Völkischen Beobachter: ›Wir sind in die S.A. gegangen, um als Soldaten die nationale Revolution durchzukämpfen, die wir an unseren Schreibtischen nicht hätten durchkämpfen können, und wir bleiben als Soldaten in unsern Stürmen, auch wenn wir schreiben‹« (ebd., Anm. 15).

[48] 25 Jahre nach seinen Thingspiellobeshymnen spricht Eichberg nebenbei und gezielt in der Diktion seiner rhetorischen Mimikry sein antiaufklärerisches Politikkonzept wieder an: »In seinem Buch ›Thing und Polis‹ versuchte der Maler Asger JORN eine politische Theorie aus dem Geiste des situationistischen Anarchismus heraus. Er setzte zwei Konfigurationen scharf gegeneinander, als historische Erfahrungen und zugleich als Ausgangspunkte zweier unterschiedlicher Auffassungen von Demokratie. Die Polis stand für das Modell der Bürgerpolitik; sie entstand historisch aus der Kombination von Burg bzw. Befestigung, stadtbürgerlicher Klassengesellschaft und Sklavenökonomie. Der Thing stand für die Selbstverwaltung ländlicher Sippen, für die Dorfdemokratie, und der Bauer wurde zum Joker zwischen urbaner Bourgeoisie und Proletariat« (Henning Eichberg (2001a): Bewegung in der Stadt – Bewegung im Labyrinth. Über fraktale Aspekte körperlicher Praxis, in: Jürgen Funke-Wiencke/Klaus Moegling (Hg.) (2001): Stadt und Bewegung. Knut Dietrich gewidmet zur Emeritierung, Immenhausen bei Kassel: Prolog-Verlag (Bewegungslehre & Bewegungsforschung Bd. 12), S. 28–44, hier S. 34 f.).

[49] Eberhard Wolfgang Möller (1936)/1940: Das Frankenburger Würfelspiel. Volksausgabe, mit einem Nachwort und einer Bühnenskizze, Berlin: Theaterverlag Albert Langen/Georg Müller, S. 52.

[50] Eichberg 1976, S. 62 f.

[51] Ebd., S. 62.

[52] Das Zeitschriftenprojekt Ästhetik und Kommunikation bot Eichberg gleich mehrmals die Gelegenheit zur Publikation seiner neu-rechten Gedanken, 1976, 1979 und 1994.

[53] »Whether in his dramatic works, poetry, or radio dramas, Möller always stressed the leitmotifs of heroism, anti-Semitism, and anticapitalism« (Jay W. Baird (1994): Hitler’s Muse: The Political Aesthetics of the Poet and Playwright Eberhard Wolfgang Möller, in: German Studies Review, Vol. XVII (1994), No. 2, S. 269–285, hier S. 270). Als Beispiel für Möllers Antisemitismus vgl. Eberhard Wolfgang Möller (1934): Rothschild siegt bei Waterloo. Ein Schauspiel, Berlin: Theaterverlag Albert Langen Georg Müller, das seine Uraufführung am 5. Oktober 1934 in Aachen und Weimar hatte. »Eberhard Wolfgang Möllers ›Rothschild siegt bei Waterloo‹ liegt eine Anekdote zugrunde, nach der aus dem Blutopfer von Zehntausenden ein Börsenmanöver gigantischen Ausmaßes gemanagt wird. Es ist die bitterernste Satire des ewig raffenden Geistes schlechthin. Verdienen statt dienen, Risiko statt Einsatzbereitschaft, Geld als Endziel aller Macht sind seine Schlagworte«, Rhein.-Westf. Zeitung, Essen, Buchumschlag Möller 1934. Entgegen dem bereinigten Stück Frankenburger Würfelspiel, das ja der internationalen Öffentlichkeit zur Zeit der Olympiade 36 galt, ist hier also der Antisemitismus offenkundig. Im September 1939 fasste Möller während der Vorbereitung zu ›Jud Süß‹ sein nationalsozialistisches Weltbild zusammen: »Wir lassen die Geschichte sprechen. Und sie zeigt nicht, daß ›der Jude auch ein Mensch‹ ist, nein, sie stellt klar, daß der Jude ein ganz anderer Mensch ist als wir, und daß ihm die uns angeborene sittliche Kontrolle über sein Handeln fehlt. (…) Keinen bösen Dämon wollten wir darstellen, aber den Abgrund zwischen der jüdischen und der arischen Haltung wollten wir dartun«, zitiert nach Busch 1998, S. 157, Herv. im Original. Allerdings verweist Busch ohne Kommentar an mehreren Stellen auf Eichbergs NS-Thingspiel Band von 1977, vgl. Busch 1998, S. 149, Anm. 21; 163, Anm. 72; 184, Anm. 133. Ein solches Rekurrieren auf Eichberg noch im Jahre 1998 halte ich gerade in einer wissenschaftlichen Arbeit für symptomatisch für die Virulenz Eichbergs rhetorischer Mimikry. Ebenfalls kommentarlos wird Eichbergs Apologie Möllers nicht gesehen, wenn Sarkowicz/Mentzer in ihrem Standardwerk Eichberg in die sehr knappe Literaturliste aufnehmen, vgl. Hans Sarkowicz/Alf Mentzer (2000): Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon, Hamburg/Wien: Europa-Verlag, S. 284 f.

[54] Kothurne sind in der Antike aufgekommene Bühnenschuhe.

[55] Eichberg 1976, S. 63.

[56] So die Darstellung bei Karl-Heinz Joachim Schoeps (1992)/2000: Literatur im Dritten Reich (1933–1945), 2., überarb. u. erg. Aufl., Berlin: Weidler Buchverlag (Germanistische Lehrbuchsammlung), S. 160. Allerdings zitiert Schoeps Eichberg ebenfalls gleich mehrfach, um ihn gar als ernstzunehmenden Historiografen der Thingspielbewegung heranzuziehen, demnach sei es evident, dass das »›Thingspiel als politisch-kultisches Massentheater den wichtigsten Beitrag darstellte, den der Nationalsozialismus zur Kunstform des Theaters und der Literatur leistete‹« (Eichberg 1977, S. 5, zitiert bei Schoeps 1992, S. 162, zu weiteren Bezugnahmen auf Eichberg vgl. ebd., S. 167 f.).

[57] Christina Jung-Hofmann (2002): Engagierte Literatur und rhetorischer Realismus. »Panamaskandal« und Weimarer Republik bei Wilhelm Herzog und Eberhard Wolfgang Möller, in: Stefan Neuhaus/Rolf Selbmann/Thorsten Unger (Hg.) (2002): Engagierte Literatur zwischen den Weltkriegen, Würzburg: Köngishausen & Neumann ( Schriften der Ernst-Toller-Gesellschaft, Band 4), S. 219–237, hier S. 236.

[58] Eichberg 1977, S. 143. Genau diese Seite führt [die Historikerin Christiane Eisenberg] abschließend an, um Eichberg Recht zu geben in seinen Analysen. Allein schon die Zeiteinteilung »1937/45«, Eichberg meint ganz offensichtlich das vermeintliche Verebben der Thingspielbewegung 1937 und mit 1945 das Ende des Nationalsozialismus, ist eine Verharmlosung nationalsozialistischer Totalität. Dieser sehr einfache Trick Eichbergs, ein vermeintlich diskontinuierliches Moment des Nationalsozialismus hervorzuheben und zu einer Periode zu stilisieren, fällt Eisenberg entweder nicht auf oder sie affirmiert diese Sichtweise.

[59] Ebd., S. 143-146.

[60] Ebd., S. 144.

[61] Ebd.

[62] Ebd., S. 145. Helmich stellt diesen Opfertod recht positiv dar: »Für Diem liegt in dieser Szene [der vorletzten von Olympische Jugend, C. H.], die die Olympische Flamme zum Sinnbild der Seele der Jugend werden läßt, der ›geistige Höhepunkt‹ des Spiels. Dessen eigentlicher Sinn aber erschließe sich im folgenden Bild, ›Heldenkampf und Totenklage‹«; es folgt die oben zitierte »Opfertod«-Passage, die weiter erläutert wird: »Für den Rezitator Joachim Eisenschmidt werden diese Verse wenige Jahre später zur Realität werden«, um schließlich mit dem »Anspruch der Tanzkunst« eines Rudolf von Laban die praktisch werdende Frage »Wann und wie darf ich töten« zu stellen, Helmich 1989: 209 f. In der Weimarer Republik war Laban »zum großen Guru des Ausdruckstanzes« avanciert, später konnte er die Olympische Jugend mit inszenieren, vgl. Horst Koegler (1980): Vom Ausdruckstanz zum »Bewegungschor« des deutschen Volkes: Rudolf von Laban, in: Karl Corino (Hg.) (1980): Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, Hamburg: Hoffmann und Campe, S. 165–179, hier S. 171 bzw. S. 176.

[63] Julia Becker/Ulrich Wagner/Oliver Christ (2007): Nationalismus und Patriotismus als Ursache von Fremdenfeindlichkeit, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 131–149, hier S. 146f.

[64] Michael Mutz/Markus Gerke (2019): Fußball und Nationalstolz in Deutschland. Eine repräsentative Panelstudie rund um die EM 2016, Wiesbaden: Springer VS, S. 26.

[65] Ebd., S. 161.

[66] Ebd., S. 161f.

Hoffnung für Israel und Nahost: vier befreite Geiseln und Saudi-Arabien reduziert den antizionistischen Antisemitismus, die Abraham Verträge sind stabil

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Es gibt Hoffnung. Heute hat die israelische Armee (IDF) vier Geiseln der Hamas, die seit dem 7. Oktober 2023 gefangengehalten wurden, befreit. Alle vier sind in guter Verfassung. Ein Freudentag:

Es ist zu hoffen, dass die IDF auch alle weiteren Geiseln befreien kann: Bring them Home Now!!!

Dazu gibt es trotz aller diplomatischen Verwerfungen auch positive Entwicklungen. So scheint sich die politische Kultur in Saudi-Arabien zu wandeln. Das autokratische Herrscherhaus hat offenkundig veranlasst, dass in Schulbüchern Juden und Israel weniger negativ und antisemitisch dargestellt werden:

Das Institute for Monitoring Peace and Cultural Tolerance in School Education (IMPACT-se) aus London hat eine Studie über die Darstellung Israels und der Juden sowie des Zionismus in saudi-arabischen Schulbüchern publiziert. So wird jetzt in dortigen Schulbüchern Israel nicht mehr so negativ präsentiert. Der Zionismus wird in saudi-arabischen Schulbüchern nun nicht mehr als “rassistische europäische Bewegung” vorgestellt, dessen Ziel es sei, die Palästinenser zu vertreiben:

According to IMPACT-SE, “Portrayals of Israel and Zionism have progressed further. Students no longer learn content which defined Zionism as a “racist” European movement that aims to expel Palestinians, or that Zionism’s “fundamental goal” is to expand its borders and take over Arab lands, oil wells and Islamic and Christian holy sites in Jerusalem.”

Solche kleinen Schritte sind von höchster Bedeutung und stehen in starkem Kontrast zu der in dieser Massivität, Aggressivität, Brutalität und Quantität noch nie dagewesenen Agitation gegen den Zionismus und Israel im Westen wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Doch die Friedensverträge Israels mit Ägypten und Jordanien wie auch die diplomatischen Abkommen (Abraham Accords) mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko halten und sind stabil. Trotz der extremen Krise, der sich Israel und der Nahe Osten seit dem genozidalen Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegenübersehen, sind die Abraham Verträge intakt.

Ja, mehr noch: die erwähnten Änderungen in den Lehrplänen und Schulbüchern in Saudi-Arabien zeigen, dass selbst in dieser größten aller Krisen, die Israel seit 1948 international durchläuft, die Kooperation mit arabischen Staaten weiterhin ein ganz neuer und zentraler Faktor für die Unterstützung Israels ist. Israel wird von diesen arabischen Staaten als normaler Teil des Nahen Ostens betrachtet und eben nicht mehr als ‘fremd’ oder gefährlich.

Frieden wird es geben, wenn Terrororganisationen wie Hamas oder die Hisbollah und deren Patron, die islamistische Republik Iran, ihre Waffen niederlegen beziehungsweise international isoliert sind. Eine feministische Revolution im Iran wäre dafür am besten geeignet, gegen den Schleierzwang, Homophobie, Antisemitismus und islamistische Ideologie und für ein freies Leben für alle Menschen im Iran.

Auch wenn ein Großteil der Akademiker*innen, der kulturellen Elite und der politisch linken Aktivist*innen in Deutschland sich gegen den Zionismus aussprechen und ihn übelst diffamieren, verändert sich ausgerechnet in der arabischen Welt der Fokus. Dort ist der Zionismus eben gerade nicht mehr der Feind der Muslime und Araber. Diesen Platz hat der Iran übernommen. Ja, die arabische Welte möchte aufstreben und ökonomisch sich öffnen, dazu gehört natürlich in erster Linie der Kampf für Frauenrechte, wovon Saudi-Arabien noch sehr weit entfernt ist. Aber die Öffnung hin nach Israel, was auch Tourismus beinhalten wird, wird auch das reaktionäre arabische Frauenbild verändern, früher oder später.

Selbstredend sind die arabischen Staaten auch deshalb diplomatisch auf Israel angewiesen, weil die USA der wichtigste Verbündete des einzigen Judenstaates ist und die arabischen Staaten sehr auf die militärische Unterstützung aus Washington angewiesen sind, da auch sie den gleichen Feind haben: Iran.

Hoffnung besteht in diesem arabischen Wandel hin zu mehr Kooperation mit Israel. Ob das bei den antizionistischen Agitator*innen in Deutschland, England, Spanien oder den USA ankommt, ist zweifelhaft. Die ironische Pointe jedoch ist: Die Unterstützer*innen Israels sind viel näher dran an der sich wandelnden politischen Kultur in vielen arabischen Staaten als jene antiisraelischen und oft arabischen oder muslimischen Aktivist*innen.

Der Linkszionismus wiederum versprüht wie immer die größte Hoffnung, da er sich gegen Netanyahu und die extreme Rechte in Israel wendet und gleichzeitig für eine Zweistaatenlösung ausspricht. Der Linkszionismus setzt sich für liberale Palästinenser*innen ein, die es weiterhin gibt und die selbst vor der Hamas geflohen sind oder in Gaza gegen die Hamas aktiv sind, oft unter Lebensgefahr.

Jene antizionistischen Aktivist*innen wenden sich somit auch gegen Anti-Hamas Palästinenser.

Die Hoffnung besteht darin, dass auch die Medien diese Entwicklungen zur Kenntnis nehmen.

Politikwissenschaftlich betrachtet sind die diplomatischen und tendenziell pro-zionistischen oder zumindest nicht mehr hardcore antizionistischen Entwicklungen in der arabischen Welt wie der Wandel der politischen Kultur im Bereich Bildungspolitik wie in Saudi-Arabien von großer Bedeutung.

Ironischerweise, und auch das ist eine Art Hoffnung, verorten sich somit Pro-Israel Aktivist*innen näher an Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten als arabische, islamistische und andere Antizionisten in Deutschland, Europa und dem Westen.

 

Was ist Antisemitismus? Eine Definition und eine Analyse der Beziehung der Israelfeindschaft zum Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) schreiben die Leiterin und der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin (TU), Stefanie Schüler-Springorum und Uffa Jensen, am 26. Mai 2024 über die aktuellen Diskussionen innerhalb der Antisemitismusforschung (“Der Dissens in der Antisemitismusforschung“).

Sie meinen, dass jene Antisemitismusforscher*innen, die Israelfeindschaft und Antizionismus – nach dem Stand der internationalen Forschung – als Antisemitismus begreifen, das vermutlich nur deshalb tun würden, um „Nebelkerzen“ zu zünden, also „um davon abzulenken, dass trotz Holocaust und deutscher Vergangenheitsbewältigung der indigene Antisemitismus fröhlich weiterexistiert?“

Der Kern ihres Textes ist Folgendes:

„Alle Formen der Israelfeindschaft oder der Kritik an israelischer Politik für antisemitisch zu erklären weitet das Feld der Antisemitismusforschung ins Politische aus und verunklart den Begriff. Darauf reagieren wir mit begründeter und begründbarer Skepsis.“

Damit gibt es für Schüler-Springorum und Jensen offenkundig Formen der IsraelFEINDSCHAFT, die nicht antisemitisch sei. Und das ist eine zwar typische, aber für einflussreiche Antisemitismus-Forscher*innen skandalöse Aussage, die dem israelbezogenen Antisemitismus Tür und Tor öffnet.

Der heutige Antizionismus wendet sich konkret gegen die Sicherheit von hier und heute lebenden Jüdinnen und Juden im Staat Israel und weltweit. Jede Form der Israelfeindschaft ist antisemitisch. Punkt.

Sie gefährdet das Leben von Millionen Jüdinnen und Juden im Staat Israel und weltweit. Wer das nicht sieht, ist nicht primär dumm, sondern ignorant, unwissenschaftlich, herzenskalt oder teilt diese Israelfeindschaft schlichtweg und ist somit politisch zu bekämpfen, da es sich hierbei um alles, nur nicht um Wissenschaft handelt, schon gleich gar nicht um Antisemitismusforschung.

Ob sich die Hamas wirklich erträumt hatte, dass sie eine dermaßen offene und aggressive Unterstützung weltweit – vom Mob wie von der Elite – erfährt nach dem unfassbarsten Massaker an Juden seit der Shoah? Hätte die Hamas gedacht, dass es weltweit die größte Anti-Israel-Welle gibt – von den Vereinten Nationen über die Kulturszene und den ESC bis hin zu Forscher*innen, die sich hinter antisemitische Pro-Hamas Student*innen stellen, zu Tausenden – seit Gründung des Staates am 14. Mai 1948?

Hätte die Hamas wirklich in ihren kühnsten Träumen gedacht, dass das blutige Abschlachten von über 1200 Jüdinnen und Juden, das Handabhacken von Kindern, das Augenausstechen von Männern, das In-den-Kopf-Schießen von wehrlosen Zivilist*innen, das Quälen von IDF-Soldat*innen, das lebendig Verbrennen ganzer Familien zu einem weltweiten Schrei nach Solidarität für einen Staat Palästina oder für die Zerstörung Israels via Einstaatenlösung oder einem binationalen Staat (“From the River to the Sea”) führen würde?

Die beiden Leiter*innen des ZfA wenden sich explizit gegen einen anderen Text in der FAZ von dem Passauer Politikwissenschaftler Lars Rensmann und seiner Kollegin und Soziologin Karin Stögner, die in der Tat den antizionistischen Antisemitismus als großes Problem betrachten, namentlich in der Wissenschaft.

Rensmann und Stögner hatten angesichts der als „Israelkritik“ codierten Form des heutigen Antisemitismus geschrieben („Antisemiten mit bestem Gewissen“, FAZ, 05. April 2024):

„Es regt sich nun Gegenwind seitens der politisch Verantwortlichen. So ruft die Kultusministerkonferenz (KMK) in einem im Dezember 2023 verabschiedeten Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit die Universitäten zu einer klaren Positionierung gegen jegliche Form des Antisemitismus auf. Sie beruft sich auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), nach der sich Antisemitismus ‚in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen‘ richtet. Auch der Staat Israel ist eine jüdische Institution, gegen die sich Antisemitismus richten kann. Die IHRA-Definition behauptet jedoch nicht, dass Kritik an der Politik Israels per se antisemitisch sei (und gerade in Israel selbst wird die Regierung Netanjahu zu Recht äußerst kritisch gesehen). Es werden vielmehr die Grenzen indiziert, an denen erkennbar wird, wenn antijüdisches Ressentiment sich als vorgebliche ‚Israelkritik‘ tarnt.“

Schüler-Springorum und Jensen jedoch lehnen die von über 35 Staaten angenommene Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) vehement ab und plädieren für ihre eigene Definition, eine „Jerusalemer Erklärung“ von 2021, in der es unumwunden heißt:

„Israel und Palästina: Beispiele, die nicht per se antisemitisch sind (unabhängig davon, ob man die Ansicht oder Handlung gutheißt oder nicht): (…) 12. Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

Nun: Wer den Zionismus und somit den Staat Israel ablehnt, handelt antisemitisch. Wer sich nach dem 7. Oktober 2023 für die Einstaatenlösung einsetzt oder diese auch nur toleriert, handelt antisemitisch, da Juden und Jüdinnen exakt wissen, wie diese Einstaatenlösung aussähe: Massenvergewaltigungen, lebendig verbrannte Israelis, abgehackte Körperteile, entführte und täglich brutal gefolterte Jüdinnen und Juden, massakrierte linkzionistische Partygänger*innen des Supernova Festivals, ermordete oder entführte Holocaustüberlebende.

Schüler-Springorum und Jensen stellen sich also als Leiter*innen des Zentrums für Antisemitismusforschung hinter eine Erklärung, die in der internationalen Forschung selbst als dem Antisemitismus Vorschub leistend kritisiert wird.

Wie der World Jewish Congress festhält, ist Antizionismus eine Form des Antisemitismus: er verwehrt Juden das Recht auf Selbstbestimmung und ignoriert die Tausende Jahre alte Verbindung der Juden mit dem Land Israel.

Lars Rensmann hat auf einer Seite der Amadeu Antonio Stiftung (AAS) 2021 die „Jerusalemer Erklärung“ kritisiert:

„Dagegen ist die ‚Jerusalemer Erklärung‘ schon in ihrem Ansatz unpräzise. Dort heißt es: ‚Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).‘ Was aber soll das heißen? Wenn jemand etwa dazu aufruft, „die Zionistenschweine“ zu ‚vernichten‘—richtet sich das überhaupt gegen Juden ‚als Juden‘ oder dann ‚nur‘ gegen ‚die Zionisten‘ und wäre demnach als ‚legitime Israelkritik‘ zu verstehen? Und wie verhält es sich beim Propagandaslogan der Neonazi-Partei ‚Die Rechte‘, ‚Israel ist unser Unglück‘? Der Definition zufolge wäre nicht mal dies antisemitisch, denn hier werden Juden und der jüdische Staat ja nicht ‚als Juden‘ angegriffen, sondern ‚nur‘ Israel—in Adaption der Parole ‚die Juden sind unser Unglück!‘ des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke—für ‚unser Unglück‘ verantwortlich gemacht. Reicht es dann dieser Definition nach, wie heute unter Antisemit:innen üblich, einfach das Wort Jude durch ‚Zionist‘ zu ersetzen, und der Judenhass wird koscher? Ist es demnach auch ‚nicht antisemitisch‘, Juden und allen Israelis ‚als Israelis‘ den Tod zu wünschen oder ihnen Gewalt anzutun?“

Die Jerusalemer Erklärung ist geradezu perfide, weil sie genau weiß, dass fast alle Juden Zionisten sind, aber es eben auch antizionistische (teils religiös durchgeknallte) Jüdinnen und Juden gibt, denen es nichts ausmachen würde, würde der einzige Judenstaat zerstört und Millionen Jüdinnen und Juden wahlweise vergewaltigt, massakriert und abgeschlachtet oder ‚nur‘ vertrieben würden.

Und exakt so handeln ja die Student*innen weltweit wie an der FU oder HU Berlin oder der Columbia University in New York City, sie hetzen gegen Juden und sagen, sie meinen Israelis und somit könnten sie gar nicht antijüdisch sein.

Einfach gesagt: schlag einen jüdischen Israeli tot und behaupte danach, das sei nur ein etwas blutig verlaufener, aber gerechtfertigter Teil des ‘antikolonialen Befreiungskampfes’ gegen einen Staat, Israel. In dieser wahnwitzigen Vorstellung ist ein toter jüdischer Israeli gar kein toter Jude.

Früher nannte man so etwas Holocaustleugnung und es war strafbar. Heute ist das der letzte Schrei und ein Schenkelklopfer nicht nur für (voll)verschleierte Musliminnen, sondern auch für säkulare Antizionisten aller Geschlechter.

Wer so argumentiert und den Antizionismus nicht hier und heute kategorial als Form des Antisemitismus begreift, ignoriert nicht nur den internationalen Forschungsstand, sondern gefährdet mit solchen sophistischen Spielchen ganz konkret das Leben von Jüdinnen und Juden auch in Deutschland.

Erst vorgestern gab es in Heidelberg eine Solidaritätskundgebung und eine Menschenkette mit ca. 300 Menschen für die jüdische Gemeinde Heidelberg, da ein versuchter Mordanschlag von zwei Deutsch-Türken bzw. Deutschen dank der Arbeit der Sicherheitsbehörden frühzeitig aufflog. Diese zwei Antisemiten wollten Juden und Jüdinnen nach dem Synagogenbesuch mit Messern ermorden und hofften, so steht es in einem Chatverlauf, dann von der Polizei erschossen zu werden. Diese Jihadideologie ist unsagbar gefährlich und zeigt die untrennbare Verknüpfung von Israel- und Judenhass.

Wer das nicht sieht, will es nicht sehen, vorsätzlich.

Die beiden Forscher*innen des ZfA hingegen tun so, als wären sie progressiv, dabei gibt es nichts Reaktionäreres, als die Auslöschung des einzigen Judenstaates zu verhandeln oder mit solchen Debatten über das Ende des Judenstaates zu liebäugeln und sie aggressiv zu forcieren.

Wer wirklich ernsthaft über das Ende Israels verhandelt und somit das Leben von Jüdinnen und Juden vorsätzlich in Gefahr bringt, handelt eindeutig antisemitisch, auch wenn es in der FAZ passiert, die auch mal nicht antisemitische Texte publiziert.

Im Folgenden definiere ich interdisziplinär und recht umfassend Antisemitismus.

Was ist Antisemitismus?

Antisemitismus ist der „längste Hass“[1], eine „tödliche Obsession“[2], wie es der bedeutendste Antisemitismusforscher unserer Zeit sagte (Robert S. Wistrich 1945–2015) und die wandelbarste Ideologie überhaupt. Es gibt heute drei unterschiedliche Kategorien von Antisemitismus:

 

1) ‚Traditionelle‘ Judenfeindschaft von der Antike über das Mittelalter bis hin zum ‚modernen‘ Antisemitismus.

Das umfasst:

a) Antijudaismus und die Ablehnung der jüdischen Religion, des jüdischen Monotheismus, der jüdischen Beschneidung[3]

b) Juden als „Christusmörder“[4]

c) Eine Denkform, die das böse Abstrakte wie die Geldzirkulation dem guten Konkreten wie der Arbeit gegenüberstellt, ein zentraler Topos der völkischen Bewegung und des Nationalsozialismus, ja bis heute (u.a. „Brechung der Zinsknechtschaft“[5], Abwehr von Warenhäusern oder dem „Finanzkapitalismus“)

d) Ressentiments gegen Intellektuelle oder das urbane Leben[6]

e) Der Topos des „ewigen Juden“ Ahasver, der immer umherwandere und nie zur Ruhe komme[7]

f) Verschwörungsmythen wie die Blutbeschuldigung im Mittelalter (Juden würden für ihre Matzen das Blut von Christen und Muslimen benötigen, wie die Damaskus Blood Libelvon 1840 fantasierte), später komplette Verschwörungsnarrative wie die „Protokolle der Weisen von Zion“[8] von 1905 (eine russische Fälschung[9]) oder heutige Verschwörungserzählungen wie unter anderem zu 9/11[10] oder reichen Juden, die Flüchtlinge und linke NGOs benutzen würden, um die ‚nationale Identität‘ in Europa oder dem Westen zu unterminieren oder zu „Bilderberger“[11]. Gleich zu Anfang der Corona-Pandemie fantasierten im Iran Mediziner wie Professor Ali Karami von der Baqiyatallah University, die von den islam-faschistischen Revolutionsgarden betrieben wird, dass Corona als „biologische „Waffe“ von den „Amerikanern und Zionisten“ benutzt würde.[12]

g) Philosemitismus (auch von Christen, die am Ende des Tages Juden taufen wollen) wie rechte Israelfreunde, die das nur sind, weil sie denken, Israel kämpfe primär gegen Muslime.

 

2) Antizionismus und Israelfeindschaft:

a) Darunter fällt die Ablehnung des Zionismus und von Israel als jüdischer und demokratischer Staat

b) Die Boykottbewegung gegen Israel BDS fällt ebenso darunter, da sie Israel nicht als jüdischen Staat anerkennt, sondern zum Beispiel mit der Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ der 1948 vertriebenen (oder freiwillig gegangenen) Araber und aller ihrer Nachkommen Israel als jüdischer Staat zerstört würde.

c) Die Einstaatenlösung (“From the River to the Sea”), da sie Juden das Recht auf Selbstbestimmung, wie sie nur der Zionismus sichert, abspricht.

d) Viele “Antideutsche” unterstützen Israel – allerdings nur bis zur kommunistischen Weltrevolution, für sie ist der Zionismus nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus (doch derzeit die einzige mögliche); was solche Pro-Israelis jedoch mit kommunistischen (aber weiterhin zionistischen) wie nicht-kommunistischen Jüdinnen und Juden nach der Weltrevolution, die eine Welt ohne Staaten und Klassen bedeutete, machen würden, ist unklar…

3) Antisemitismus nach Auschwitz, erinnerungsabwehrender oder „sekundärer Antisemitismus“[13]:

 

a) Holocaustleugnung[14]

Holocaustverharmlosung kann sich wie folgt zeigen:

b) postkolonial (Schwarze und indigene Völker seien Opfer der Weißen wie die Juden im Holocaust, „Kaiser’s Holocaust“[15])

c) rechtsextrem wie im Mainstream äußern („Bomben-Holocaust“ gegen Dresden[16])

d) feministisch (das „kleinbürgerliche“ Leben von Frauen im Haushalt sei wie ein „komfortables Konzentrationslager“ (Betty Friedan[17]); Frauen seien Opfer der Männer wie die Juden im Holocaust)

e) „goldener Holocaust“ (Rauchen[18])

f) antifeministisch bei Abtreibungsgegner*innen („Babycaust“[19])

g) antikommunistisch durch die Gleichsetzung von Rot und Braun wie in der Prager Deklaration von 2008[20] und der geplanten EU-Schul­buch­politik zur Gleichsetzung von Hitler und Stalin

h) tierrechtsmäßig („Holocaust auf deinem Teller“, PETA[21])

i) ökologisch und friedensbewegt (im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses von 1979 und der Ausstrahlung der TV-Serie „Holocaust“ 1978 in den USA und im Januar 1979 in der BRD, „atomarer Holocaust“[22], später z.B. „ökologische Kristallnacht“[23])

j) Kriegsvergleiche („Holocaust im Kambodscha“[24], „Vernichtungskrieg“ Russlands in der Ukraine, Serbien würde im Kosovo Verbrechen begehen, die „Auschwitz“ ähneln (NATO-Krieg 1999 gegen Serbien); der ukrainische Präsident Selenskyj vergleicht die Gründung der NSDAP 1920 mit dem völkerrechtswidrigen russischen Ukraine-Krieg 2022)

k) in der Corona-Pandemie (Relativierung des Holocaust durch Darstellen der Coronapolitik als „wohl größtes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“[25])

l) Straßen, Plätze, Stadien, Universitäten, Brücken, Krankenhäuser etc., die nach Nazis, Antisemit*innen oder Tätern im Holocaust benannt sind (zum Beispiel in Deutschland oder der Ukraine)

m) Auschwitzvergleiche

n) Juden oder Israel mit Nazis vergleichen (wie der russische Außenminister Lawrow, der Hitler „jüdisches Blut“ andichtet)

o) In vielen Facetten bis heute eine der häufigsten Formen von antisemitischer Erinnerungsabwehr: Auschwitz als „Moralkeule“ (Martin Walser, 1998[26]).

Diese Liste bildet nur einige der bekanntesten und folgenreichsten Formen von sekundärem, erinnerungsabwehrenden oder universalisierendem Antisemitismus ab.

 

In der heutigen internationalen Diskussion wird häufig nur der israelbezogene Antisemitismus thematisiert, die anderen Formen werden meist vernachlässigt. Die Diskussion über einen „neuen“ Antisemitismus seit knapp 20 Jahren[27] hat von Anfang an verkannt, dass es um mehr geht als um den sogenannten Israel bezogenen Antisemitismus.

Der israelfeindliche Anti­semi­tis­mus ist jedoch sicher die gefährlichste Variante des heutigen Antisemitismus. Doch es ist nicht die einzige Form des Antisemitismus, die Analyse und Kritik bedarf.

Allerdings ist die Ignoranz in Deutschland gegenüber anderen Formen des heutigen Antisemitismus weit verbreitet. So sind zum Beispiel der sekundäre, erinnerungsabwehrende Antisemitismus und die Holocaustverharmlosung durch die Gleichsetzung von Rot und Braun, wie sie sogar höchst offiziell vom späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck in der Prager Deklaration 2008 unterstützt wurde, kaum ein Thema der Antisemitismusforschung in Deutschland.

Gauck wiederum zeigte noch weitere Abgründe seiner Person auf, als er auf einer Tagung für Lehrer*innen in Rostock Ungeimpfte als „Bekloppte“ diffamierte und auf diese vulgäre Sprache auch noch stolz war, da er jetzt ja „Rentner“ sei.[28]

Der “Neue Antisemitismus” seit 1974

Der Begriff „neuer Antisemitismus“ ist nicht neu, das erste Buch zum Thema „neuer Antisemitismus“ erschien in den USA im Jahr 1974 von Arnold Forster und Benjamin R. Epstein zur Analyse und Kritik des „neuen Antisemitismus“.[29]

Foto: Privat

Epstein war seit 1947 nationaler Direktor der Anti-Defamation League (ADL), Forster stellvertretender Direktor. Sie gehen auf Antisemitismus Ende der 1960er Jahre in New York City und an öffentlichen Schulen ein, wobei es wahlweise neo-nazistische oder schwarze antisemitische Propaganda gab. Sowohl die American Nazi Party, als auch der Congress of Racial Equality von schwarzen Aktivist*innen waren damals sehr aktiv.[30]

Es sollten zum Beispiel jüdische Schulleiter oder jüdische Mitarbeiter*innen an Schulen im New Yorker Stadtteil Brooklyn vertrieben werden. In einer drohenden Sprache hieß es:

„The ‘Germans in Germany killed you Jews because you tried to control the economy of Germany and that is what you are trying to do to the black man in the United States.‘“[31]

Von hier bis zu der Attacke einer blonden weißen Frau, die einem orthodoxen Juden im September 2022 seinen Schtreimel vom Kopf schlug,[32] gibt es eine direkte Linie, nicht ohne Brüche, aber der Antisemitismus war auch in den USA nie weg, so wenig wie in Deutschland, nur gibt es in Deutschland seit der Shoah kaum noch Juden.

Die wenigen Juden, die heute in Deutschland leben (ca. 120.000), sind vor allem vom muslimischen Antisemitismus bedroht. Es gibt über 5,5 Millionen Muslime in Deutschland, wovon natürlich nicht alle Antisemiten sind, aber es gibt auch überhaupt gar keine türkischen Demonstrationen für Israel oder syrisch-irakisch-migrantische Pro-Israel oder wenigstens Anti-Hamas Demos.

Rechtsextreme Gewalttäter und Neonazis oder Parteien wie die AfD kommen als Gefahr noch additiv hinzu. Aber zumal auf der Straße, an der Universität, beim Einkaufen oder in der U-Bahn ist die Gefahr durch fanatisierte und extremistische Muslime sowie linke Ideologen angesichts einer Israelfahne, eines Israel T-Shirts, einer Kippa oder einer Davidstern-Halskette angegriffen, geschlagen oder gar (schwer) verletzt zu werden, bei weitem höher als die Gefahr in diesen alltäglichen Situationen von Rechten attackiert zu werden, auch wenn es selbstredend einen Unterschied macht, ob mann oder frau in der Provinz in Thüringen mit einem Schal von Maccabi Tel Aviv herumläuft oder als Tourist*in mit Davidstern T-Shirt nicht wusste, welche unglaubliche Gefahr zum Beispiel in der U8, der U7 oder der Sonnenallee in Berlin-Neukölln auf eine oder einen wartet.

Schon 1969 agitierten in Harlem in New York City schwarze Aktivist*innen und zogen eine Linie von der Lehrergewerkschaft zu „Zionisten“, die „in ihrem eigenen Land Schwarze töten“ würden.[33] Der radikal linke, rechtsextreme, aber auch der arabische und sowjetische Antisemitismus werden thematisiert. Oder sie kritisieren künstlerische Formen des Antisemitismus wie in der Filmversion des Musicals „Jesus Christ Superstar“, wo die Lüge, dass Juden Jesus getötet hätten, aufgewärmt wird und es sich um eine Mischung aus „Oberammergau“, dem Neo-Nazi „Gerald Smith“ und dessen „Großem Passionsspiel“ handelt.[34] Die iranische Gefahr und den iranischen islamistischen Antisemitismus gab es 1974 noch nicht, da die Islamisten erst 1979 und die folgenden Jahre die Macht an sich rissen.

Forster und Epstein gehen in ihrem grundlegenden Buch zur Analyse des Post-Auschwitz Antisemitismus, des „neuen Antisemitismus“ auch auf den schon damals erstarkenden antiisraelischen Antisemitismus ein. Sie nehmen als ein Beispiel das damals neben dem Spiegel führende wöchentliche Nachrichtenmagazin in der BRD, den Stern, der Mitte Juni 1973 eine antizionistische Kampagne im Sinne der palästinensischen Terrororganisation Al Fatah fuhr. Darin schrieb der Stern-Reporter Kai Hermann, dass Israel seit 1948 die „arabischen Bewohner“ aus ihrem Land geworfen hätte.[35] Da ist quasi ein Teil der heutigen BDS-Ideologie, die ein Rück­kehr­recht für die damals Vertriebenen und alle ihre Nachkommen fordert, schon damals im Mainstream erkennbar gewesen.

Auch auf den linksradikalen Antisemitismus wie von Georg von Rauch oder der Kommune I gehen Forster und Epstein ein, von Rauch wollte demnach die Olympiade 1972 in München angreifen und forderte eine „dir­ekte Zusammenarbeit mit Al Fatah und den Black Panthers“.[36]

Am 04. Dezember 1971 kam Georg von Rauch in einem Schusswechsel mit der Westberliner Polizei ums Leben, er hat für die linksradikale Szene in Berlin eine legendäre Bedeutung, auf dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg wurde nach seinem Tod ein Gebäude besetzt und nach ihm benannt, die Band Ton Steine Scherben machte einen Song zu seinem Andenken („Rauch-Haus-Song“).

Doch der Antisemitismus war in dieser Szene damals kein Thema für Selbstreflektion und Kritik, vielfach bis heute nicht. Antisemitische Verschwörungsmythen wie die Protokolle der Weisen von Zion und heutige Formen dieses Machwerks von Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, fanden Forster und Epstein insbesondere bei der extremen Rechten.[37] Das hat sich nicht erst, aber verschärft seit dem 11. September 2001 geändert, da jetzt auch marxistische und sonstige linke Publizist*innen an einen „deep state“ glauben und sowohl den Islamismus und Jihad negieren oder trivialisieren und an böse Drahtzieher im Dunkeln glauben.

 

Viele Kulturschaffende, aber auch Forscher*innen im Bereich Jüdische Studien und Antisemitismusforschung wie am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin weigern sich, die BDS-Bewegung als antisemitisch zu definieren. Den Konflikt hat der Journalist Thierry Chervel vom Perlentaucher im März 2021 zusammengefasst. Es geht um einen „richtigen“ und einen „falschen“ Begriff von Antisemitismus:

„Der ‚richtige‘ Antisemitismusbegriff ist schnell umrissen. Er wendet sich gegen ‚die Verbreitung des Gifts des Antisemitismus in rechten Gruppierungen und im Internet‘, schreibt [Aleida] Assmann in ihrem großen Merkur-Artikel zur Mbembe-Debatte.[38] Dieser rechte Antisemitismus nimmt laut Assmann ‚weiter zu und erfordert ein entschlossenes Handeln der Ordnungskräfte, klare Positionen der Politiker, aber auch die Wachsamkeit der gesamten Zivilgesellschaft‘. Zu den Verbrechen dieses Antisemitismus gehören der Anschlag auf die Synagoge von Halle oder der Anschlag auf die Synagoge von Pittsburgh.

Der neue und für Assmann falsche Antisemitismusbegriff aber hat, wie sie im Merkur klagt, ‚das politische Klima in Deutschland merklich verschärft‘. Geprägt wurde dieser Begriff von einer ganzen Reihe demokratischer Staaten. Es handelt sich um die Antisemitismus-Definition der ‚International Holocaust Remembrance Alliance‘ (IHRA), die auch einer Selbstverpflichtung gleichkommt.

Sie schließt israelbezogenen Antisemitismus ein: ‚Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv ver­stan­den wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden‘, heißt es da. Diese IHRA-Definition ist für Assmann an sich schon Auslöser einer sich ver­schärfenden Diskussion und hat ‚einen Prozess eingeleitet, dessen Ende noch nicht abzusehen ist‘.“[39]

Da wundert es natürlich überhaupt nicht, dass im Merkur auch Omri Boehm mit seinem antizionistischen Fantasma eines binationalen Staates angeführt wird und die Herausgeber auch noch glauben (es ist wie ein Glaubensbekenntnis), damit keinen Beitrag zum Antisemitismus zu leisten.

Die Documenta 15 mit verschiedenen antisemitischen Skandalen im Jahr 2022, der rechtsextreme Anschlag auf die Synagoge in Halle im Herbst 2019, aber auch die weniger problematisierten Tendenzen in der Forschung, wie die Erinnerungsabwehr an die Verbrechen des Nationalsozialismus im Reden über das Jahr 1942 – wie ein Foto-Projekt aus Stuttgart zeigt[40] –, sowie die immer abrufbare Diffamierung der jüdischen Religion wie der männlichen Beschneidung zeigen, dass der Antisemitismus ein bleibendes und sehr akutes Problem darstellt.

Wenn Schüler-Springorum und Jensen in der FAZ schreiben:

„Gerade zu dem Zeitpunkt, an dem sich Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Feindschaft in breiten Teilen der Gesellschaft wieder zu verfestigen scheinen, muss innerhalb der Antisemitismusforschung zu einem wissenschaftsbasierten Umgang zurückgefunden werden, weg von persönlichen Diffamierungen“,

dann sollten sie zuerst mal den internationalen Forschungsstand zur Analyse des Antisemitismus, Antizionismus und der Israelfeindschaft zur Kenntnis nehmen. Wer jedoch das Endes des einzigen Judenstaates als diskussionswürdige Idee begreift und nicht als genozidale Ideologie bekämpft, hat als Antisemitismusforscher*in versagt.

Wer jedoch erlebt hat, wie nach 9/11 das Zentrum für Antisemitismusforschung unter der Leitung des Historikers Wolfgang Benz agiert hat und „Islamophobie“ als zentrales Forschungsfeld aufnahm, sieht die klare Traditionslinie dieses Zentrums hin zu diesem hier untersuchten FAZ-Text der heutigen Leitung des ZfA. Im Sommer 2020 kritisierte Die Welt das ZfA:

„Die Historikerin Juliane Wetzel (seit 1991 beim ZfA) geht noch einen Schritt weiter: In ihrem Buchbeitrag heißt es, dass ‚etwas ziemlich schief laufe‘, wenn ‚selbst Schüler, die auf dem Schulhof ihre Mitschüler mit ‚Du Jude‘ beschimpfen, als Antisemiten tituliert werden‘. Ihre Begründung: ‚Das Schimpfwort ‚Du Jude‘ kann, muss aber keine antisemitische Konnotation haben. Es kann als Provokation eingesetzt werden und/oder es wird synonym zu ‚Du Opfer‘ verwendet.“

Wie gezeigt ist Antisemitismus der „längste Hass“ und die flexibelste Ideologie. Der antizionistische Antisemitismus ist heute die am weitesten verbreitete und gefährlichste Form des Antisemitismus.

Doch gerade Antisemitismusforscherinnen und -forscher machen sich nicht selten gemein mit der Israelfeindschaft und negieren ganz offensiv, dass hier und heute jede Form der Israelfeindschaft antisemitisch ist, egal ob sie von feingeistigen, an Hegel geschulten kalifornischen Feministinnen oder ungebildeten, Hitler verehrenden mörderischen sächsischen Neonazis oder aber schwäbisch-badisch-türkischen Islamisten ausgeht.

Schließlich gilt, was die Kolumnistin JM Sorrell aus den USA schreibt, ihr Text wurde von Verena Brunschweiger für den Band “Am Israel Chai” von Thomas Weidauer und mir aus dem Englischen übersetzt:

Mit einem Vorwort von Gert Weisskirchen und
einem Nachwort aus Amerika von JM Sorrell

187 S. | 38 Abbildungen | 12,5×19 cm | ISBN 978-3-946193-41-8 | 16€ | The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Nahen Osten, Band 7 | Dezember 2023

 

“Ich lese Elie Wiesels ‘Nacht’ noch einmal und kann es jedem im High-School-Alter oder älter wärmstens empfehlen. Wenn Sie ein Gewissen haben, werden Sie von der Gleichgültigkeit, die die Welt während des Holocaust an den Tag legte, und von den Übeln des soziopathischen Vergnügens, das darauf abzielt, Geist, Herz und Körper zu zerstören, am Boden zerstört sein. Wiesel als Teenager, der seinen Glauben an die Menschheit und Gott verliert, wird Sie bis ins Mark erschüttern. Es umfasst etwas mehr als 100 Seiten und ist dennoch keine Lektüre, die man einfach so durchblättert.

Was ich der heutigen Welt nie vergessen werde, sind die unmittelbaren weltweiten Feierlichkeiten und Versammlungen für die Rechte der Palästinenser:innen am Tag, nachdem Jüdinnen und Juden in Israel systematisch gefoltert, vergewaltigt, ermordet und entführt wurden. Dies geschah lange vor dem Bodenkrieg in Gaza, und die gezielten Opfer waren größtenteils Friedensaktivist:innen, die an die Menschlichkeit und die Rechte der Palästinenser:innen glaubten.

Antisemitismus ist zu jeder Zeit empörend, dennoch war ich nicht auf diese Gleichgültigkeit und Verachtung gegenüber israelischen Juden im Anschluss an das brutale Massaker vorbereitet. Hamas als Freiheitskämpfer? Dieselbe Hamas, die Frauen die Menschenrechte verweigert und Lesben und Schwule ins Gefängnis steckt oder hinrichtet? Dieselbe Hamas, die nicht Milliarden von Dollar an EU-Hilfe verwendet hat, um das Leben der Palästinenser:innen zu verbessern? Ja, dieselbe Hamas, deren Hauptaufgabe darin besteht, alle Juden zu töten.”

 

 

[1] Robert S. Wistrich (1991): Antisemitism. The Longest Hatred, London: Methuen; New York: Pantheon Books. Der folgende Abschnitt ist – leicht verändert – aus meiner Studie “Pandemic Turn. Antisemitismusforschung und Corona”, Berlin 2023 (The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Antisemitismus, Band 8), S. 19–26.

[2] Robert S. Wistrich (2010): A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad, New York: Random House.

[3] Alan Dershowitz (2012): Aus amerikanisch-jüdischer Sicht hat die deutsche Beschneidungsdebatte viel mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun. Eine Polemik, 04. September 2012, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/der-gute-alte-antisemitismus/; Shimon Samuels (2020): Does an international campaign to ban brit mila contribute to antisemitism? What is deemed as an attack on a fundamental ethic of Judaism can be construed as an assault on the Jewish people, 31. Mai 2020, https://www.jpost.com/opinion/does-an-international-campaign-to-ban-brit-mila-contribute-to-antisemitism-629796.

[4] Marvin Perry/Frederick M. Schweitzer (Hg.) (2008): Antisemitic Myths. A Historical and Contemporary Anthology, Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, S. 5–56, wo unterschiedliche alte antisemitische Mythen behandelt werden; Frank Stern (2005): Visuelle Passionen und das virtuelle Imperium des 21. Jahrhunderts. Von Mel Gibsons Jesus-Film zur Pax Christiana, in: Hanno Loewy (Hg.), Gerüchte über die Juden. Antisemitismus, Philosemitismus und aktuelle Verschwörungstheorien, Essen: Klartext, S. 257–269.

[5] „Orban wirft George Soros Pläne für ‚Zinsknechtschaft‘ vor“, 22.05.2020, https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article208149433/Orban-wirft-George-Soros-Plaene-fuer-Zinsknechtschaft-vor.html; Anne Kramer (2009): Antisemitismus aussitzen. Holger Knothe untersucht, wie sich der globalisierungskritische Akteur Attac zur Frage nach antisemitischen Narrativen in den eigenen Reihen positioniert, 09. Dezember 2009, https://literaturkritik.de/id/13772.

[6] Bodo Kahmann (2011): Antiurbanismus und Antisemitismus. Zur Geschichte und Aktualität eines innigen Verhältnisses, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 50. Jg., Heft 197, 1. Quartal, S. 108–113.

[7] Clemens Heni (2006): Ahasver, Moloch und Mammon. Der ‚ewige Jude‘ und die deutsche Spezifik in antisemitischen Bildern seit dem 19. Jahrhundert, in: Andrea Hoffmann et al. (Hg.), Die kulturelle Seite des Antisemitismus zwischen Aufklärung und Shoah, Tübingen: TVV, S. 51–79.

[8] Hadassa Ben-Itto (1998)/2001: „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Anatomie einer Fälschung, Berlin: Aufbau Verlag.

[9] https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/protocols-of-the-elders-of-zion.

[10] Tobias Jaecker (2004): Antisemitische Verschwörungstheorien nach dem 11. September. Neue Varianten eines alten Deutungsmusters, Münster: Lit.

[11] Carsten Koschmieder (2021): Gegen Bilderberger, Hochfinanz und Zionisten. Antisemitismus in der politischen Linken und der radikalen linken Szene, in: Alexander Deycke/Jens Gmeiner/Julian Schenke et al. (Hg.), Von der KPD zu den Post-Autonomen. Orientierungen im Feld der radikalen Linken, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 343–360.

[12] Kasra Aarabi (2020): Iran Knows Who to Blame for the Virus: America and Israel. The regime’s ideological army is spinning conspiracy theories even as it helps spread the virus among Iran’s long-suffering people, 19. März 2020, https://foreignpolicy.com/2020/03/19/iran-irgc-coronavirus-propaganda-blames-america-israel/.

[13] Clemens Heni (2008): Sekundärer Antisemitismus. Ein kaum erforschter Teil des „Post-Holo­caust“ Anti­semitismus, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 47. Jg., Heft 3, S. 132–142,
http://www.tribuene-verlag.de/TRI_Heni.pdf; Alvin Rosenfeld (2011): The End of the Holocaust, Bloomington (IN): Indiana University Press.

[14] Deborah E. Lipstadt (1993)/1996: Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode. Deutsch von Gabriele Kosack. Mit einer Einführung von Micha Brumlik, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt; Deborah E. Lipstadt (2005): History on trial: my day in court with David Irving, New York: Ecco; „Deborah Lipstadt: Anthony Julius’s key role in my trial defence“, 03. Februar 2017, https://www.theguardian.com/law/2017/feb/03/deborah-lipstadt-anthony-juliuss-key-role-in-my-trial-defence; 2016 kam der Kinofilm „Denial“ heraus, der den Prozess des Holocaustleugners David Irving gegen Deborah Lipstadt und den Verlag Penguin Press darstellt.

[15] David Olusoga/Casper W. Erichsen (2010): The Kaiser’s Holocaust. Germany’s Forgotten Genocide and the Colonial Roots of Nazism, London: faber & faber.

[16] Zur Analyse von Dresden und „Luftkrieg“ und vielen weiteren Facetten des sekundären Antisemitismus siehe Clemens Heni (2008a): Secondary Anti-Semitism: From Hard-Core to Soft-Core Denial of the Shoah, in: Jewish Political Studies Review, 02. November 2008, https://jcpa.org/article/secondary-anti-semitism-from-hard-core-to-soft-core-denial-of-the-shoah/; Autor_innenkollektiv „Diss­onanz“ (2013): Gedenken abschaffen. Kritik am Diskurs zur Bombardierung Dresdens 1945, Berlin: Verbrecher Verlag.

[17] Christopher Lasch (1984): The Minimal Self. Psychic Survival in Troubled Times, New York/London: W.W. Norton, S. 62.

[18] Robert N. Proctor (2012): “Golden Holocaust”. Origins of the Cigarette Catastrophe and the Case for Abolition, Berkeley (CA): University of California Press.

[19] Chantal Louis (2022): „Babycaust“ – Keine Volksverhetzung? Die Ärztin Kristina Hänel hat vor Gericht erneut einen Sieg gegen den fanatischen „Lebensschützer“ Klaus Günter Annen erzielt. Doch das reicht ihr nicht. Denn mit der Anzeige wollten Hänel und ihre UnterstützerInnen (darunter Alice Schwarzer) erreichen, dass Annen endlich aufhören muss, Abtreibungen mit dem Holocaust zu vergleichen, 15. Februar 2022, https://www.emma.de/artikel/babycaust-keine-volksverhetzung-339227.

[20] Dovid Katz (2009): Prague’s declaration of disgrace. A European attempt to equate Communism with Nazism will falsify history, 21. März 2009, https://www.thejc.com/news/all/prague-s-declaration-of-disgrace-1.9403?highlight=%22Dovid+Katz%22.

[21] „Gericht untersagt Plakataktion von Peta: ‚Der Holocaust auf Ihrem Teller‘ bleibt verboten“, 08. November 2012, https://www.sueddeutsche.de/panorama/gericht-untersagt-plakataktion-von-peta-der-holocaust-auf-ihrem-teller-bleibt-verboten-1.1517638.

[22] Georg Fuchs (1985)2: Von der Atombombe zum nuklearen Holocaust, Wien: Gazettaverlag; Anton-Andreas Guha (1981): Die Nachrüstung – Der Holocaust Europas. Thesen und Argumente, Freiburg: Dreisam-Verlag; N. Ranganathan (1984): Nuclear Holocaust or World Peace, New Delhi/Banga­lore/Jalandhar: Sterling Publishers; Ronald J. Sider/Richard K. Taylor (1982): Nuclear Holocaust & Christian Hope. A Book for Christian Peacemakers, Downers Grove: InterVarsity Press.

[23] Albert Gore (1989): An Ecological Kristallnacht. Listen, 19. März 1989, https://www.nytimes.com/1989/03/19/opinion/an-ecological-kristallnacht-listen.html.

[24] Ariane Barth/Tiziano Terzani (1980): Holocaust in Kambodscha, Hamburg: Spiegel-Verlag.

[25] „Das ganze kulminierte dann in einer Klage gegen den PCR-Test von Christian Drosten, die Füllmich in den USA einreichen will. Schon zuvor, in einem Video, hochgeladen am 01. Oktober 2020 auf dem Kanal von Reiner Füllmich (‚106.000 Abonnenten‘) mit dem Titel ‚Money Talks V – Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ (746.206 Zugriffe, Stand 20.01.2021) sagt Reiner Füllmich:

‚Und ich erkläre Ihnen auch, warum sich dieser Skandal zum wohl größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit entwickelt hat. Ein Straftatbestand, welcher erstmals im Zusammenhang der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des Dritten Reiches definiert wurde und heute im Völkerstrafgesetzbuch Paragraf 7 geregelt ist‘“, Clemens Heni (2021): Die unheilbar Gesunden. Ein intellektuelles Tagebuch, das Plastikwort Inzidenz und die Impf-Apartheid, Berlin: Edition Critic, S. 211 f.

[26] Ignatz Bubis/Hermann L. Gremliza (1999): „Die Haare sind mehr geworden“. KONKRET-Gespräch. Hermann L. Gremliza sprach mit Ignatz Bubis über die Suppe Deutschland und was darin schwimmt, in: Konkret 2/99, S. 12;  Joachim Rohloff (1999): Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik (konkret texte 21), Hamburg: KVV Konkret.

[27] Doron Rabinovici/Ulrich Speck/Natan Sznaider (Hg.) (2004): Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Eventuell war die Aufregung oder die Hektik damals zu groß, jedenfalls hat der Verlag auf dem Cover den Untertitel falsch geschrieben, ein Tippfehler: „Ein globale Debatte“.

[28] „Früherer Bundespräsident: Gauck nennt Impfgegner ‚Bekloppte‘“, 11. September 2021, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/joachim-gauck-greift-impfgegner-als-bekloppte-an-17532805.html.

[29] Arnold Forster/Benjamin R. Epstein (1974): The New Anti-Semitism, New York u.a.: McGraw-Hill Book Company.

[30] Ebd., S. 69.

[31] Zitiert nach ebd., S. 69.

[32] Haley Cohen (2022): Brooklyn woman knocks hat off Orthodox Jewish man. The suspect was arrested on Saturday night by NYPD with assistance from volunteer safety patrol group Boro Park Shomrim, 19. September 2022, https://www.jpost.com/diaspora/antisemitism/article-717490.

[33] Forster/Epstein 1974, S. 69.

[34] Ebd., S. 91.

[35] Ebd., S. 260.

[36] Ebd., S. 261, Übersetzung CH.

[37] Ebd., S. 292 f.

[38] Aleida Assmann (2020): Polarisieren oder solidarisieren? Ein Rückblick auf die Mbembe-Debatte, 21. Dezember 2020, https://web.archive.org/web/20201221095159/https://www.merkur-zeitschrift.de/2020/12/21/polarisieren-oder-solidarisieren-ein-rueckblick-auf-die-mbembe-debatte/.

[39] Thierry Chervel (2021): Wo der Hammer hängt, 04. März 2021, https://www.perlentaucher.de/essay/eine-antwort-auf-aleida-assmann-und-das-weltoffen-papier-der-kulturfunktionaere.html.

[40] Clemens Heni (2022): Die Stuttgarter Zeitung, die Stuttgarter Nachrichten und das Stadtarchiv Stuttgart haben ein Antisemitismus-Problem: Rekonstruktionsfotografie und das Projekt „Stuttgart 1942“, 27. September 2022, https://www.clemensheni.net/die-stuttgarter-zeitung-die-stuttgarter-nachrichten-und-das-stadtarchiv-stuttgart-haben-ein-antisemitismus-problem-rekonstruktionsfotografie-und-das-projekt-stuttgart-1942/.

 

Rationalisierter Antizionismus, akademische Attitüde und bestes Gewissen. Die Zeitschrift „Merkur“ im Mai 2024

Erschienen am 17. Mai 2024 hier

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Für Eden Golan und zur Erinnerung an Robert S. Wistrich (07. April 1945–19. Mai 2015)

Am 7. Oktober 2023 massakrierten palästinensische Terroristen auf unsagbare Weise über 1200 Jüdinnen und Juden im Süden Israels und entführten 253 Israelis und andere. Es war das schrecklichste Massaker an Juden seit dem Holocaust. Während es in Deutschland die ersten Tage danach eine kurze Solidarität mit Israel gab, wird mittlerweile, wie von der Hamas erhofft, das Ende des jüdischen Staates herbeigesehnt und verhandelt – etwa in der beliebten „Kulturzeitschrift“ Merkur, die natürlich israelische Antizionisten als Kronzeugen auffährt.

Am 7. Oktober 2023 überfielen 3000 Palästinenser Israel, durchbrachen die Grenzanlagen, ermordeten Grenzsoldat*innen und massakrierten über 1200 Jüdinnen und Juden auf eine bestialische Weise, wie wir es seit dem Holocaust nicht gesehen haben. 253 Jüdinnen und Juden sowie andere Menschen wurden zudem von den Hamas-Terroristen in den Gazastreifen entführt, wovon sie 130 immer noch gefangen halten, wobei befürchtet wird, dass schon über 30 von diesen Geiseln bereits ermordet wurden.

Das macht den 76. Geburtstag Israels vorgestern, also am 14. Mai 2024 zu einem der traurigsten Festtage des Landes.

Die Pro-Palästina-Hetzer (m/w/d) wie in den USA an der Ivy League Columbia University in New York City schreien „Death to the Jews“, „Long live Hamas“ und evozieren die blutrünstige „Intifada“ mit Sprüchen wie „Globalize the Intifada“. Die zweite Intifada war eine Terrorwelle, in der palästinensische Terroristinnen und Terroristen zwischen Herbst 2000 und dem Jahr 2005 mit Bomben und in Selbstmordattentaten über 1000 Israelis in Israel ermordeten, darunter über 700 Zivilist*innen.

Fragwürdige Solidarität von universitären Wissenschaftlern mit antisemitischen Aktivist*innen

Viele Wissenschaftler*innen der Columbia University haben sich hinter die antisemitischen Student*innen und ihre aktivistischen Freund*innen von außerhalb der Universität gestellt. In Berlin stärkten Hunderte Professor*innen und Dozent*innen den antisemitischen Aktivist*innen in Berlin den Rücken, die ihrerseits ihre Solidarität mit der Hamas und dem palästinensischen Judenhass zum Ausdruck brachten, wie auch an anderen Universitäten in Deutschland. 300 andere Professor*innen und Dozent*innen der FU Berlin hingegen kritisierten schon im Februar 2024 den Antisemitismus auf dem Campus ihrer Uni; diese Erklärung wurde auch offiziell auf der Seite der FU Berlin publiziert, was zumindest zeigt, dass die führenden Professor*innen dort keine Israelfeinde sind. Aber auf der Straße, in der U-Bahn und zwar nicht nur in Berlin-Neukölln herrscht der pure antisemitische Mob, wie Aufkleber, Sprechchöre, Fahnen, Schals zeigen. Wer sich in Berlin offen mit einer Israelfahne zeigt (wie jüngst auf dem Alexanderplatz), als Jude/Jüdin oder pro-israelischer Aktivist bekannt oder erkennbar ist, läuft sofort Gefahr, diffamiert, angegriffen oder sogar gefährlich verletzt zu werden.

Der muslimische und palästinensische wie linke Antisemitismus haben historisch-genetische Beziehungen zum nationalsozialistischen Antisemitismus – wie vor allem die Kooperation des Mufti von Jerusalem Amin al-Husseini mit Hitler und den Deutschen -, und sie stellen sich selbst in die Tradition der Nazis wenn sie, wie in den USA geschehen, „Tod aller Juden“ brüllen und „Zionisten“ nicht an die Universität lassen oder schreien: „go back to Poland“. ‚Linke‘, Postkolonialisten und woke Antiaufklärer drohen Juden mit Auschwitz. Das ist 2024!

Die deutsche „Ja, aber“-Fraktion, auch und gerade in der Zeitschrift Merkur

Anfänglich gab es auch in Deutschland nach dem 7. Oktober 2023 einen großen Schock und tatsächliche Anteilnahme und Solidarität mit Israel. Doch nach wenigen Tagen schon änderte sich das und die „ja, aber“-Fraktion begann, das Ruder zu übernehmen. Im Mai-Heft der ganz normalen bürgerlichen Zeitschrift Merkur schließlich heißt es nun:

„Auffällig ist aber auf der anderen Seite auch die Vehemenz, mit der weite Teile der deutschen Öffentlichkeit jeder Israelkritik wie auch der Sorge um das Wohl der Palästinenser begegnen: Was bedeutet es, wenn die Welt einen Podcast mit Free Palestine ist das neue Heil Hitler betiteln kann? Welche Verschiebungen und Projektionen sind hier am Werk? Wie kann es sein, dass Kinder, die ein Palästinensertuch tragen, also ein Kleidungsstück, das seit Jahrzehnten in Deutschland präsent ist, plötzlich eine solche Gefahr darzustellen scheinen, dass sie von Schulleitungen gegängelt werden müssen?“

So formuliert es der Autor Jonas Rosenbrück. Dem kann man nur entgegen: Ja, das Palästinensertuch ist seit dem 7. Oktober 2023 das Symbol der Freude ob des Judenmords. Es ist keineswegs primär ein Symbol für einen Staat Palästina, sondern seither ein Symbol für den Judenmord. Ich sah, wenige Tage nach dem 7. Oktober, eine schwarzhaarige Frau mit dem Palästinensertuch wie einem Siegessymbol über ihre Schulter gelegt, in einem Uni-Café am Universitätsplatz in Heidelberg.

Zugleich leugneten Feministinnen die sexuelle Gewalt ihrer muslimischen und palästinensischen Brüder im Geiste. Von anderen wurde das schlimmste Massaker an Juden seit Babyn Yar entweder bestritten oder sogar mit Süßigkeiten gefeiert.

Flagrante Täter-Opfer-Umkehr zu Lasten Israels

Die Täter-Opfer-Umkehr setzte damit einhergehend umgehend ein. Israel sei der Täter, die Palästinenser das Opfer. Würde die Hamas heute ihre Waffen abgeben und sich ergeben, wäre der Krieg zu Ende. Würde Israel die Waffen abgeben, würden Millionen Juden in Israel ermordet oder vertrieben, das zeigt der 7. Oktober. Das Problem heißt Iran und es heißt Islamismus und es heißt säkularer antizionistischer Antisemitismus.

Die Hamas möchte so viele zivile Opfer wie möglich, ihr sind die Palästinenser völlig egal, sie will Tote und Eskalation, daher verschanzen sie sich in Privathäusern, deponieren Waffen in Krankenhäusern, Moscheen oder Kindergärten.

Der erwähnte Welt-Podcast mit Jonathan Kalmanovich, der als Rapper Ben Salomo bekannt geworden ist, und dem Vorstandsvorsitzenden von Axel Springer, Mathias Döpfner, also der Podcast, den Merkur so schrecklich und empörend findet, ist definitiv hörenswert. „Free Palestine ist ein Vernichtungsslogan“ – exakt das hat Ben Salomo darin auf den Punkt gebracht.

Konkret geht es um die sehr alte jüdische Familie, der Jonathan entstammt und die vor 1000 Jahren aus Italien nach Worms kam, was man dort noch auf dem jüdischen Friedhof sehen kann, einem Friedhof mithin, auf dem, wie Döpfner, der Ende 2023 dort war, erzählt, die Grabsteine nicht wie üblich gen Jerusalem zeigen, sondern nach Italien, aus Dankbarkeit oder Gedenken an die Familie Kalmanovich.

Sodann geht es in dem Podcast um die Beziehung des Mufti von Jerusalem zu den Nazis und Deutschen, um Verschwörungsmythen zum 7. Oktober und um die vielen antisemitischen Kommentare, die Ben Salomo zum Beispiel auf Instagram täglich bekommt, wo sich Hetzer*innen über ihn auslassen und offen sagen, der Islam beziehungsweise der Koran würden seinen Tod rechtfertigen.

Was stört den Merkur an einem proisraelischen Podcast mit Ben Salomo und Mathias Döpfner?

Warum hat der Merkur ein Problem mit diesem Podcast? Sind es Ressentiments gegen Juden im Allgemeinen oder gegen den jüdischen Rapper Ben Salomo im Besonderen? Döpfner sagt am Ende, wie widerlich es sei, dass gerade in Deutschland, dem Land der Täter im Holocaust, die Kritik an Israel, die eine Ablehnung des Staates als jüdischer Staat Israel ist, so wahnsinnig weit verbreitet ist.

Am Ende seines Merkur-Elaborats formuliert Rosenbrück vorgeblich sachlich und ohne Aufregung eine Perspektive, die das Ende Israels geradezu herbeibeschwört, weil es die beste und einzig mögliche Lösung sei:

„In Bezug auf die langfristige Perspektive betonen palästinensische Wissenschaftler wie Ahmad Samih Khalidi und jüdische Denker wie Omri Boehm immer mehr, dass die Zwei-Staaten-Lösung, an die sich auch die deutsche Politik weiterhin klammert, realitätsfern und nicht umsetzbar ist: Wie Boehm in seinem Buch Haifa Republic dargelegt hat, sind die territorialen Verstrickungen jüdisch-israelischer und palästinensischer Menschen mittlerweile so tief, dass nur ein binationaler Staat oder eine föderale Lösung in der Lage sind, das Land zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer für alle dort lebenden Menschen zu einer friedlichen und florierenden Heimat zu machen. (…)

Nur die Gutgläubigsten der Gutgläubigen könnten so etwas ernsthaft vorschlagen, lautet die naheliegende Bezichtigung. Auf eine solche Vorhaltung gibt es nur eine Antwort: Es ist noch naiver zu glauben, dass es ohne eine föderale Lösung, die allen in Israel und Palästina lebenden Menschen gleiche Rechte verschafft, nicht immer wieder zu Gewalt und Tod kommen wird, wie wir sie heute erleben.“

Ausgerechnet in Deutschland wird der antizionistische Philosoph Omri Boehm gefeiert

Der israelische Philosoph Omri Boehm, der in den USA lehrt, ist ein bekannter Vertreter des Antizionismus. Dennoch wird er gerade in Deutschland gefeiert und prämiert. Er stellte sich jüngst hinter die Pro-Israel-Boykott Philosophin Nancy Fraser, der eine Gastprofessur an der Uni Köln zum Glück wieder entzogen wurde, weil sie einen antizionistischen Aufruf gegen Israel im November 2023 unterschrieben hat.

Wie peinlich und ahistorisch Boehms Buch Haifa Republic ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass er behauptet, noch nie wären israelische Araber an einer Regierung in Israel beteiligt gewesen, damit möchte er sozusagen Israel einen strukturellen Rassismus anhängen. Nur: diese Behauptung ist falsch, Araber waren in den 1950er Jahren, Anfang der 1990er Jahre und exakt zu der Zeit, als das antizionistische Pamphlet von Boehm erschien, im August 2021, Teil einer Regierung in Israel. Somit war das Buch Haifa Republic schon im August 2021, als es erschien, veraltet und ein Fall für die Müllhalde. Doch genau solche unwissenschaftlich arbeitenden und politisch gegen Israel agitierenden Autoren wie Boehm werden geehrt. Er erhielt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024 und er durfte gar am 7. Mai 2024 auf den Wiener Festwochen ausgerechnet auf dem Wiener Judenplatz als Redner seinem kosmopolitisch verkleideten Israelhass frönen. Dabei gibt es eine Interpretationslinie von Kants „Ewigem Frieden“ und dem Antizionismus, doch das wäre eine philosophische Diskussion, die hier zu weit führte.

Ideologen wie Boehm sind die Kronzeugen des Merkur für eine angeblich friedliche Zukunft in Nahost. Es wäre eine Zukunft ohne zionistische Juden. Islamisten würden auch antizionistische Juden massakrieren. Wer das nicht glaubt, hat nicht im Ansatz verstanden, was am 7. Oktober in Israel passiert ist. Gerade die Friedensaktivist*innen dort wurden vergewaltigt, verstümmelt, lebendig verbrannt und erschossen. Darum ging es der Hamas: gerade: die Linken zu massakrieren. Ausgerechnet also jene, die ihnen zuvor Jobs in Israel verschafft hatten oder sie zum Krankenhaus begleiteten bei einer Krebserkrankung oder mit ihnen gemeinsam zur Ernte fuhren.

Anstatt wegen der jahrzehntelangen Ablehnung eines eigenen Staates unter Anerkennung des jüdischen die Palästinenser in Haftung zu nehmen, wird deren judenhasserisches Narrativ übernommen und eine Einstaatenlösung proklamiert, wo Juden dann die Minderheit wären und unter Muslimen exakt so behandelt werden würden wie wir es am 7. Oktober von den feixenden, lachenden, brüllenden, „Allahu Akbar“ schreienden und Cola oder Soda trinkenden palästinensischen Monstern erlebt haben, sie haben es ja selbst gefilmt und teils live gestreamt.

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Wie im Merkur die Parole „from the River to the Sea” grotesk verharmlost wird

Ein weiterer Text in der Mai-2024-Ausgabe des Merkur dieses Mal von, von Avner Ofrath fällt mit sophistischen Pirouetten auf und fantasiert faktenfrei, dass die auf die Vernichtung Israels gerichtete Parole „from the River to the Sea, Palestine will be free“ in einigen Jahren angeblich ganz anders gemeint sein könnte. Da die Redaktion diesen Text als besonders wichtig empfindet, ist er sogar online frei verfügbar:

„Nur: Wenn mit der Forderung ‚Ceasefire Now‘ nicht nur ein Ende der Gewalt, sondern auch ein erster Schritt in Richtung politische Transformation gemeint sein soll, wenn mit der Parole ‚From the River to the Sea, Palestine Shall Be Free‘ kein algerisches Szenario, sondern eine auf Gleichheit und Gerechtigkeit basierende Lösung gemeint sein soll, dann führt an einer politischen Auseinandersetzung zwischen Erzfeinden, zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten kein Weg vorbei. Konstruktiv würde sie nur durch das Erkennen und Erkunden von Ambivalenzen. Die heute noch so radikal klingenden Parolen könnten morgen oder übermorgen schon leer wirken.“

Der ganze Text ist eine Rationalisierung des antizionistischen Antisemitismus. „From the River to the Sea“ meint die Zerstörung Israels. Wer das in Abrede stellen will, handelt kontrafaktisch. Auch in zehn oder 100 Jahren meint diese Parole exakt das: die Zerstörung des einzigen Judenstaates.

Es ist zudem keine neue Parole, sondern die Ideologie der Araber und Palästinenser seit 1948 und schon zuvor. Sie akzeptieren keinen jüdischen Staat – das ist das Kernproblem des antizionistischen und islamistischen oder muslimischen Antisemitismus, von den Arabern seit spätestens 1929 (Hebron-Massaker) und den Aufständen von 1936 bis 1939, als auch die bis dato Kulturzionisten und Anhänger eines binationalen Staates zu politischen Zionisten wurden, wie der 1923 aus Deutschland ausgewanderte Zionist Gershom Scholem – bis zum Iran seit 1979. Scholem schrieb in einem Brief vom 15. Dezember 1939 an seinen Freund Walter Benjamin:

„Die Nazipropaganda ist unter den Arabern sehr viel wirksamer als man gemeinhin zugibt und das ist ein bitteres Stück.“

Wenn es irgendeine große Religion gibt, hier und heute, die ganz sicher nicht auf Gleichheit und Gerechtigkeit ausgerichtet ist, dann ist es offenkundig der Islam. Das zeigt die graduell unterschiedliche, aber doch strukturell angelegte Frauenverachtung (Kopftuchzwang, Gesichtsschleier, Familienideologie), die Homophobie und der Judenhass in nahezu allen von Muslimen dominierten Gesellschaften, von Indonesien bis Marokko. Länder, die es in über 1000 Jahren nicht geschafft haben, ein säkulares Rechtssystem aufzubauen, sind eine Gefahr für die Demokratie. Und muslimische Länder sind weit überrepräsentiert unter den nicht säkularen Rechtssystemen auf dieser Welt.

Das sicher nicht nur für mich Schockierende ist die Anmaßung von Zeitschriften, Autorinnen und Autoren, Zeitungen und der Öffentlichkeit, nach dem schlimmsten Massaker an Juden seit der Shoah offen und nicht nur klammheimlich über die Zerstörung des einzigen Judenstaates zu reden und sich damit auch noch super aufgeklärt und fortschrittlich, ja emanzipiert vorzukommen.

Döpfner und Ben Salomo hingegen sagen beide sehr wichtige Dinge in dem so hörenswerten Podcast. So erwähnt Döpfner eine Harvard-Studie, derzufolge in einer repräsentativen Umfrage 51 Prozent der 18- bis 24jährigen Menschen in den USA den Massenmord an Jüdinnen und Juden durch die Hamas am 7. Oktober 2023 für „gerechtfertigt“ halten. 51 Prozent!

In einer anderen Umfrage, auch von Ende 2023, sagen 20 Prozent der jungen Amerikaner, dass sie den Holocaust für einen Mythos halten.

Wie der Antisemitismus sich unter jungen Leuten auf TikTok ausbreitet

Schließlich geht es auch um eine der übelsten antisemitischen Dreckschleudern überhaupt, TikTok. Dort gab es, Stand Dezember, der Podcast mit Döpfner und Ben Salomo ist ja wie gesagt vom 12. Dezember 2023, vier Millionen Hashtags #FreePalestine, aber nur 53.000 Hashtags #StandwithIsrael. Das zeigt, wie verbreitet der Hass zumal junger Menschen auf Juden und Israel ist. Döpfner ist schockiert – doch der Merkur möchte den Podcast offenbar verteufelt. Was ist da los beim Merkur?

Dass Israel ein Kolonisator sein soll, wie der Merkur fabuliert, ist ja historisch ohnehin grotesk, Jahrtausende vor dem Auftauchen des Islam gab es schon Juden in Jerusalem und in Israel. Der Zionismus ist nur eine Rückkehr, wenn auch eine anfangs fast ausschließlich säkulare und sozialistische, nach Israel. Israel befreite das Land von der Kolonialherrschaft der Briten.

Das ganze Versagen, die islamistische Ideologie der Hamas zu analysieren und zu attackieren zeigt sich im Merkur exemplarisch für das typische irgendwie linksliberale Bildungsbürgertum, ob nun amerikanisch oder europäisch oder postzionistisch-israelisch, wenn es in dem Text von Ofrath heißt:

„Nach den Massakern der Hamas am 7. Oktober war oft von ‚Kontext‘ die Rede – nicht ohne Grund, wenn auch nicht mit viel Anstand den Opfern gegenüber. Etwas in einen Kontext zu stellen bedeutet, nach Ursachen, Konnexen und Folgen zu fragen. Genau das versuchten israelische Regierungsvertreter durch Gleichsetzung der Hamas mit dem IS oder dem NS-Regime zu verhindern. Ihr Ziel war es, die Hamas als das Böse darzustellen, das unabhängig von Umständen agiert.“

Die Hamas mordet, weil sie morden möchte

In der Tat: die Hamas mordet, weil sie morden möchte, weil ihre Ideologie jener der Muslimbruderschaft von Hasan al-Banna seit 1929 folgt, als diese größte und gefährlichste islamistische Organisation in Ägypten gegründet wurde.

Wer angesichts des präzedenzlosen Massakers an Juden seit 1945 von „Kontext“ redet, möchte nicht über Islamismus, Antisemitismus und die auf die Vernichtung der Juden gerichtete Ideologie der Hamas reden.

Warum geht es dem Merkur offenkundig um die Abwehr luzider Antisemitismuskritik?

Es geht im Merkur in den beiden hier kritisierten Texten von Mai 2024 offenkundig um die Abwehr jedweder luziden Antisemitismuskritik, also vor allem um die Abwehr der Kritik am Antizionismus, der gefährlichsten und am weitesten verbreiteten Form des heutigen Antisemitismus. Und es geht im Merkur ebenso um das tiefe Ressentiment gegen den jüdischen Rapper Ben Salomo und diesen Podcast „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“ mit dem WELT-Journalisten Mathias Döpfner.

Der akademische Ton im Merkur indiziert lediglich eine Rationalisierung des heutigen Antisemitismus, der von Mathias Döpfner und Jonathan Kalmanovich analysiert und kritisiert wird. Die Referenz auf den Antizionisten Omri Boehm in dem zweiten hier kritisierten Text unterstreicht dies mit dicker schwarzer Tinte, die das Blut unkenntlich macht, welches die jüdischen Opfer der palästinensischen Fans der Einstaatenlösung vergossen haben.

Die israelische Regierung würde die Hamas als „das Böse“ darstellen – dabei hat die Hamas sich doch selbst als das abgrundtief Böse gezeigt am 7. Oktober und schon Jahrzehnte zuvor, aber nie so extrem und massenmörderisch wie am 7. Oktober 2023 im Süden Israels. Möchte der Merkur ernsthaft leugnen, dass die Hamas in diesem Konflikt „das Böse“ darstellt?

Der Sonnenaufgang der Aufklärung von 1789, der Einsatz für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, mit allen Defiziten einer Dialektik der Aufklärung, wie sie niemand besser untersuchte als Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, sowie das amerikanische Versprechen nach Glück für Alle sowie selbstredend der Feminismus oder die Kritik am Patriarchat und der Kinder-Moschee/Kirche-Küche-Ideologie sind die Feindbilder des Islamismus und seiner Freunde (m/w/d) weltweit. Die dümmsten der Dummen sind dabei vermutlich die Queers for Palestine, da sie mit die ersten wären, die in Gaza am Laternenmast hängen würden.

Islamisten hassen den Westen und Israel. Es ist eine wichtige und interessante Diskussion, ob Islamisten Israel wegen Amerika verabscheuen oder Amerika wegen Israel.

Was in jedem Fall sehr relevant ist, ist ein weiterer Aspekt, den Döpfner anspricht in diesem so wichtigen Podcast: Juden sind wie Kanarienvögel. Kanarienvögel wurden und werden in Kohlebergwerken eingesetzt, sie haben als erste Probleme mit zu wenig Sauerstoff. Sie sind die Frühwarnung einer Katastrophe. 9/11 zeigte, dass Islamisten die westliche Welt zerstören wollen. Und Israel ist Teil des Westens.

Warum merkt der Merkur nicht, wie sehr sich Jüdinnen und Juden in Deutschland alleine fühlen?

Doch der Merkur möchte offenbar diese Warnungen wie über die Kanarienvögel nicht hören und diffamiert den Podcast „Free Palestine ist das neue Heil Hitler“, dabei hätten gerade die Herausgeber und die Autorinnen und Autoren des Merkur es bitter nötig gehabt, ihn sich anzuhören, öffentlich zu diskutieren und darauf zu reflektieren. Ich sage das als jemand, der durchaus schon lesenswerte Texte im Merkur gelesen hat wie die Marginalie von David Wagner „27 Schritte durchs Spazieren“ im April-2024-Heft. Aber solche eloquenten, durchaus schöngeistigen Texte werden durch diese aktuellen antizionistischen Tendenzen im Merkur mehr als überschattet.

Der Merkur merkt gar nicht, wie sich Jüdinnen und Juden in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 alleingelassen, ja extrem bedroht fühlen. Und damit steht der Merkur ganz exemplarisch für die kulturelle Elite in diesem Land, selbstredend nicht so vulgär wie auf der Documenta XV in Kassel oder dem ESC in Malmö, dafür elaborierter, nüchterner und ruhiger hört sich das Verhandeln über das Ende des einzigen jüdischen Staates im Merkur an.

Und das gerade nach dem 7. Oktober. Das macht sprachlos.

Am Israel Chai

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