Von Dr. phil. Clemens Heni, 25. Juli 2021
Die meisten Linken zählen zu den entschiedensten Unterstützer*innen des antidemokratischen, nicht evidenzbasierten und irrationalen Corona-Regimes von Scholz, Merkel, Wieler, Drosten, Lauterbach, Anne Will, Söder, Kretschmann und Laschet, Dreyer, Ramelow, allen Mainstreammedien und namentlich der Massenmedien von ARD/ZDF/RTL etc., von Fernsehen, Radio, gemaßregeltem Youtube, zensiertem Facebook und Twitter und panikgeilem Instagram und sonstigen a-sozialen Medien.
Vor diesem Hintergrund hebt sich eine Broschüre mit dem Titel „Der Erreger“ wohltuend ab:
Foto: Privat
Der Mensch ist dem Mensch ein Virus – diese Wirklichkeit ist nun etabliert.
Das ist die Ausgangsbasis der Magazin-Redaktion von „Der Erreger“, die auch treffend mit Adorno schließt, dass die Welt auch „vor zwei Wochen“ bzw. vor der präzedenzlosen Corona-Krise „nicht“ in Ordnung war, wie es in jenem legendären Spiegel-Interview von 1969 hieß.
Eine „Kleine Typologie der Coronagenießer“ stellt den „Autoritären Typ“ vor, der sich in den „a. Typ Blockwart“ und „b. Typ Moralist*_:in“ untergliedert, der von vier weiteren Typen flankiert wird: den „Fans des virtuellen Kuschelns“, dem „Angstlüstler“, dem Typ „Blaumachen“ und dem „Typ Mathias Döpfner“, der so definiert wird:
Dieser Typ versteht sich – unabhängig von seiner realen gesellschaftlichen Macht – als aufgeklärter Bürger, der alles, was geschieht, kritisch hinterfragt, und zu dem was in der bürgerlichen Welt passiert, eine Meinung hat. Er ist kritisch-rational (‚Ich zweifle. Rechtfertigt diese Grippe wirklich alle diese krassen Einschnitte?‘), aber gegenüber menschlicher Not empfänglich – zumindest, wenn es nicht die Not von Arbeits- und Obdachlosen, Geflüchteten oder irgendwo in der Dritten Welt an Hunger Krepierender ist (‚Dann wache ich auf und sehe diese schrecklichen Bilder aus Norditalien!‘). Er ist deshalb leidensbereit (‚Ich sehe es ein: Wir müssen jetzt ALLES tun, um italienische Zustände zu verhindern. Ich verzichte daher auf meine Freizeitaktivitäten‘), aber nicht sehr lange (‚Das muss bitte auch zügig wieder aufhören‘). Seinen Wunsch nach einem baldigen Ende der Maßnahmen artikuliert er nicht als Forderung, sondern als Bitte. Dieser Typ genießt die Ausnahmesituation, weil sie ihm Gelegenheit zur pathetischen Selbstdarstellung bietet – aber die Gesamtscheiße, die sonst herrscht, mag er unterm Strich dann doch lieber.
Diese treffende Charakterisierung des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE trifft jedoch auf Teile der Autoren dieser Broschüre „Der Erreger“ auch zu, die mit der „Gesamtscheiße, die sonst herrscht“, so gar keine Probleme haben, nehmen wir Trump, den Brexit oder eine Aufwiegelung gegen junge Aktivistinnen gegen den menschgemachten Klimawandel. So schreibt der Autor Horst Pankow:
Niemals zuvor hatte sich wohl eine gerade erst gegründete Erweckungsbewegung eines derartigen finanziellen und massenmedialen Zuspruchs erfeuen dürfen wie die der pickligen und magersüchtigen Mädchen von Fridays for Future. Zumindest nicht seit dem 2. Weltkrieg waren derart menschenfeindliche Ideen über internationale Kommunikationskanäle verbreitet worden, deren zentrale Aussage in der Negation des Menschen schlechthin bestand, weil der unselige Zweibeiner der Hauptverantwortliche für den globalen CO2-Ausstoß sei. Wer sich da nicht schuldig fühlte, konnte später nur Masken-Kritiker und Corona-Skeptiker werden. Der Rest aber, die treuen und zuverlässigen Empfänger*innen der von Politik und Qualitätsmedien verbreiteten Klima-Wahrheiten hatten da bereits einen Einführungskurs ins gesundheitsfreundliche Maskentragen absolviert.
Nur einer aus der globalen Herrschaftsetage hatte die Beweihräucherung jugendlicher Misanthropen wohl als etwas degoutant empfunden: der vormalige US-Präsident Donald Trump. Der hatte sich durch seine solidarische Israel-Politik und seinen Willen zur Abwehr des terroristischen Islam-Faschismus, seiner Skepsis gegen deutsch-europäische Provokationen Russlands und nicht zuletzt durch die Unterstützung des Brexit hierzulande noch mehr Feinde gemacht als er beim Amtsantritt bereits hatte. Erinnern wir uns: Trump als Präsident war für überzeugte Deutsch-Europäer jeglicher politischer Couleur der Weltfeind schlechthin. Jeder, alle Dumm- und Schlauköpfe jeglichen Alters, Geschlechts oder Bildungsgrades waren eingeladen, am allgemeinen Anti-Trump-Geheul teilzunehmen. Wie angenehm ist es da, einmal ein ‚Ach Trump, der war eigentlich ganz in Ordnung‘ zu vernehmen. Wo? Auf einer jener Demonstrationen, die von den Medien mit der Kennzeichnung ‚Querdenken-Demo‘ belegt werden.
Nun sind es nicht die Medien, die „Querdenken“ Querdenken nennt, sondern die Organisation heißt eben „Querdenken 711“ und wurde vom Stuttgarter Michael Ballweg gegründet, über dessen problematische Nähe zur extremen Rechten ich hier schon berichtet habe. Viel realitätsblinder jedoch ist Pankows Lobhudelei auf Trump, dessen aufhetzende Rede zu einer politischen Kultur des Hasses führte, die sehr viel mit Antisemitismus zu tun hat.
Ohne Trump hätte es vermutlich das schlimmste antisemitische Massaker in der Geschichte Amerikas in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh am 27. Oktober 2018 nicht gegeben, wie ich am 28.10.2018 schrieb:
Ein Neonazi hat am 27. Oktober 2018 in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania 11 Menschen massakriert. Er schrie „tötet alle Juden“ und hatte seine Tat bereits vor einigen Wochen im Internet auf dem rechtsextremen Portal „Gab“ unter einen Link zu der jüdischen NGO HIAS, der 1881 gegründeten Hebrew Immigrant Aid Society, angekündigt. Heutzutage kümmert sich HIAS um Flüchtlinge und organisiert derzeit eine Flüchtlingshilfe-Aktion oder „Karawane“.
Der Journalist Adam Server hat die enorme Bedeutung von Trumps Agitation in The Atlantic schockiert festgehalten („Trump’s Caravan Hysteria Led to This. The president and his supporters insisted that several thousand Honduran migrants were a looming menace—and the Pittsburgh gunman took that seriously„):
Ordinarily, a politician cannot be held responsible for the actions of a deranged follower. But ordinarily, politicians don’t praise supporters who have mercilessly beaten a Latino man as “very passionate.” Ordinarily, they don’t offer to pay supporters’ legal bills if they assault protesters on the other side. They don’t praise acts of violence against the media. They don’t defend neo-Nazi rioters as “fine people.” They don’t justify sending bombs to their critics by blaming the media for airing criticism. Ordinarily, there is no historic surge in anti-Semitism, much of it targeted at Jewish critics, coinciding with a politician’s rise. And ordinarily, presidents do not blatantly exploit their authority in an effort to terrify white Americans into voting for their party. For the past few decades, most American politicians, Republican and Democrat alike, have been careful not to urge their supporters to take matters into their own hands. Trump did everything he could to fan the flames, and nothing to restrain those who might take him at his word.
Für den „Erreger“-Autor Horst Pankow mag Trump „eigentlich ganz in Ordnung“ gewesen sein, für Ideologiekritiker und Kritiker des Antisemitismus und des Rassismus war Trump ganz sicher nicht in Ordnung.
Und dann noch ein Wort zu dem dümmlichen Bashing von Fridays for Future, die aus vielen Gründen (Natalismus, Familienidylle, Ökokapitalismus, Affirmation des weltweiten Imperialismus und des Corona-Totalitarismus) kritisiert gehören, aber sicher nicht wegen „Menschenverachtung“. Denn das ist sehr ungebildet: Ein Blick in das „Untier“ von Ulrich Horstmann von 1983 zeigt, dass es zuletzt viel eloquenter und zutiefst menschenfeindlich zuging, immerhin bei Suhrkamp.
Gegen die lyrische Menschenverachtung des Untiers ist die protestantische Predigt von Neubauer und die Tendenz zu autoritären Maßnahmen in der Klimakrise von FFF nicht nur weniger eloquent, sondern auch überhaupt nicht radikal. Fridays for Futures Luisa Neubauer ist eine protestantisch-erlösungssuchende calvinistische Agitatorin, wie eine Autorin in der Erreger-Broschüre luzide decodiert und kritisiert („Die Sorgen fest in der Hand. Von Calvin zum Krisenprotestantismus“). Horst Pankow aber denunziert FFF primär, weil junge vorgeblich „magersüchtige Mädchen“ da mitmachten und menschenfeindlich seien. Erbärmliches Altmännergeschwätz, das aber sehr zeitgeistig ist.
Was stand denn im Untier von 1983?
Die Apokalypse steht ins Haus. Wir Untiere wissen es längst, und wir wissen es alle. Hinter dem Parteiengezänk, den Auf- und Abrüstungsdebatten, den Militärparaden und anti-Kriegsmärschen, hinter der Fassade des Friedenswillens und der endlosen Waffenstillstände gibt es eine heimliche Übereinkunft, ein unausgesprochenes großes Einverständnis: daß wir ein Ende machen müssen mit uns und unseresgleichen, so bald und so gründlich wie möglich – ohne Pardon, ohne Skrupel und ohne Überlebende.
Was sonst trüge das, was das Untier ‚Weltgeschichte‘ nennt, wenn nicht die Hoffnung auf die Katastrophe, den Untergang, das Auslöschen der Spuren. Wer könnte eine sich Jahrtausend und Jahrtausend fortsetzende Litanei des Hauens, Stechens, Spießens, Hackens, die Monotonie des Schlachtens und Schädelspaltens, das Om mani padmehum der Greuel ertragen, ja seinerseits nach Kräften befördern, der nicht zugleich in der Heimlichkeit seiner Vernunft gewiß wäre, daß diese rastlosen Übungen ihm und seine Gattung Gemetzel um Gemetzel, Schlacht um Schlacht, Feldzug um Feldzug, Weltkrieg um Weltkrieg unaufhaltsam jenem letzten Massaker, jenem globalen Harmageddon näherbringen, mit dem das Untier seinen Schlußstrich setzt unter die atemlose Aufrechnung sich fort- und fortzeugenden Leids.
Andere Texte im „Erreger“ verstecken mögliche Ressentiments gegen Feminismus, FFF und Kritik an der Klimakatastrophe geschickt oder nicht alle Autor*innen hegen sie, haben aber wiederum kein Problem mit der Agitation von Pankow in der gleichen Broschüre.
Sprich: Das Niveau in dem „Erreger“ ist sehr heterogen, männlich-dumpfbackene und antifeministische wie den Klimawandel zumindest lächerlich machende Passagen stehen neben teils erhellenden religionsgeschichtlichen, philosophischen oder historisch-materialistischen, soziologischen, kultur- wie politikwissenschaftlichen oder allgemein links-feuilletonistischen Zugängen.
Von großer Bedeutung ist die Staatskritik und die Kritik am Impfwahn, zum Beispiel in dem Text „Wenn der Staat sich ans Durchimpfen macht“. Der Beitrag wendet sich gegen den „Staat als Penetrator“, lehnt sich an Horkheimer/Adornos Dialektik der Aufklärung (DdA) an, und kritisiert jene wirklich völlig durchgeknallten Ex-Leser*innen der DdA, die jetzt fürs patriarchal-staatliche „Durchimpfen“ plädieren, die Elektro-Punk-Band Egotronic steht dafür exemplarisch (ob die die DdA kennt, sei dahingestellt):
Komm mit uns und reih dich ein/Ärmel hoch und Spritze rein (Egotronic).
Diese und andere ZeroCovid-Wahnsinnigen werden in der Broschüre schön attackiert:
Nach einem Jahr Entbehrungen und Angst nehmen viele die von Politik und Pharmaindustrie von Anfang an als der Ausweg aus der Krise gepriesene Impfung aus einem regelrechten Erlösungsbedürfnis heraus an. Der Comic-Zeichner Ralph Ruthe wurde für folgenden Tobsuchtsanfall auf Twitter etwa tausend mal ‚geliket‘ und 3500 mal geteilt:
‚WIR! WOLLEN! JETZT! KEINE! SCHEISS! LOCKERUNGEN! IMPFT! UNS! ERST! VERDAMMTE! HACKE!!!
Könnte man jenen, die die Impfung für die Lockerungen akzeptieren, immerhin noch eine gewisse Zweckrationalität unterstellen, regiert in Ruthes Geschrei der blanke Wahn, die Angst vor einem Killervirus, von dessen Gefahr für einen selbst er trotz über einjähriger Koexistenz mit dem Virus immer noch wie selbstverständlich ausgeht. Die Fähigkeit, sich gegen die Primärerfahrung derart ideologisch zuzurichten, verweist auf die Entleiblichung von Erfahrung generell, die von den (digitalen) Medien zunehmend überlagert wird. Vertrauen ins eigene Immunsystem gilt da als fast schon esoterisch.
Nicht weniger a-sozial und antidemokratisch, ja panisch und brutal hatte sich der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung und aktuelle Ressortleiter Politik und Gesellschaft in der Zentralredaktion der Mediengruppe RTL Deutschland, Nikolaus Blome, geäußert, wie der Text von Felix Perrefort kritisiert:
‚Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all‘ jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen‘, schrieb Meinungsmacher Nikolaus Blome, ohne dass dies Entrüstung geschweige denn Konsequenzen provoziert hätte. Doch waren nicht nur Medien und Twitter-Mob für die Stimmungsmache verantwortlich; mindestens indirekt mischte auch die Bundesregierung in Person eines sie beratenden Mitglied des sogenannten Ethikrats mit, das Impfverweigerern riet, im Falle eines schweren Verlaufs doch auf das Beatmungsgerät zu verzichten. Gegen diesen erneuten Tabubruch durch Wolfgang Henn wurde dann doch vermehrt Kritik laut, sodass Christian Drosten, der sich selbst noch mehr liebt, als die Nation ihn, dem Experten für Humangenetik zur Seite sprang.
Es gibt auch eine Abgrenzungs-Broschüre der Herausgeber*innen des „Erregers“ von der ex- oder rechts-antideutschen Hauspostille Bahamas:
Darin arbeiten sie sich an ihren Übervätern von den Bahamas ab und stellen ihnen ein schlechtes Zeugnis aus, den Corona-Totalitarismus weder im März 2020, noch Anfang 2021 in seiner ganzen Tragweite erahnt oder erkannt zu haben.
Interessant ist nun ein kurzer Rückblick ins Jahr 2008, als in Gremlizas Express in Konkret eine scharfe Kritik an der rassistischen Hetze von Justus Wertmüller von den Bahamas stand. Bevor wir uns Gremliza widmen, hier der Leserbrief einiger damaliger Bahamas-Jünger, die ihren Übervater Justus W. in Schutz nahmen, der „Erreger“-Autor Horst Pankow ist mit dabei, neben einigen anderen Autoren aus dem sog. ideologiekritischen oder antideutschen Spektrum:
KONKRET 8/08: „Gremlizas Express“
(…) Weil es offenbar nicht ausreicht, den „Bahamas“-Redakteur Justus Wertmüller völlig unbegründet einen „Pfaffen der Kapitalherrschaft“, „Mehrwertmullah“ und „Exkommunisten“ zu schimpfen, um ihn zu dämonisieren, muß nach schlechter alter linker Tradition auch noch der Faschismusvorwurf aus dem Hut gezaubert werden. Hatte Wertmüller über einen deutsch-marokkanischen Kriminellen namens Salih geschrieben, der auf einem Beutezug plötzlich mit der Gegenwehr des Überfallenen konfrontiert worden war, die unbeabsichtigt zum Tod Salihs geführt hatte, so bezichtigt ihn Gremliza, den Kleingangster als „Kanaken“ dargestellt zu haben. Daß der unbestimmte Artikel vor dem Namen „Salih“ selbstredend nicht alle Deutsch-Marokkaner, Migranten etc. in Kriminelle verwandelt, sondern nur darauf verweist, daß Salih kein Einzelfall ist, entgeht Gremliza. Es soll offensichtlich um jeden Preis die schiefe Analogie zwischen „Kanake“ und „Judensau“ herauskommen, um der „Bahamas“ dann allen Ernstes vorhalten zu können, sie sei ohnehin wie der „Völkische Beobachter“. Das ist keine Polemik, sondern Hetze gegen einen ehemaligen Autor, der ein anderes Verständnis von kommunistischer Kritik hat als der Herausgeber.
– Manfred Dahlmann (Wien), Stephan Grigat (Wien), Philipp Lenhard (Köln), Horst Pankow (Berlin), Thomas von der Osten-Sacken (Frankfurt am Main), Gerhard Scheit (Wien) –
Neben obigen Leserbrief stellte die Redaktion von Konkret noch Folgendes:
‚Der innere Kern der radikalen Linken besteht ja nun aus relativ verwahrlosten Elendsgestalten … Immer noch trägt man diese schrecklichen Dreadlock-Wursthaare … Immer noch hält man sich für etwas Besseres, obwohl einen das physische und psychische Elend schier aus dem Knopfloch heraus angrinst. So gesehen ist natürlich die radikale Linke, also alles jenes, was sich autonom, antifa oder Ex-K-Grüppler (nennt), die Antirassisten und Antisexisten nicht zu vergessen, die von ganz besonderer Häßlichkeit sind, etwas Abstoßendes und schon deshalb ein Personenkreis, zu dem man auf Abstand gehen sollte.‘
Aus einem Interview mit Justus W. – Die Red.
Justus W., hör auf zu heulen, du deutsches Opfer.
– Jörn Seifert, Hamburg
Dieser „Abstand“ zu „Antisexisten“ und „Antirassisten“ ist für das Milieu der Bahamas typisch und passt auch zu Achgut, wo einige Ex-Bahamas-Fans und aktuellen „Erreger“-Autoren eine neue Heimat gefunden haben.
Was hatte Gremliza denn geschrieben (Konkret 8/08, S. 66, Gremlizas Express)?
Justus W., im Laufe der Jahre wie viele seiner Genossen zum Pfaffen der Kapitalherrschaft, ihrer Polizei und »Bildzeitung« gereift, wirft noch einmal ein Schäufelchen Kot auf Ulrike Meinhof, die »völkische Antisemitin«, der er ihr Gerede von »Israels Nazi-Faschismus« und »Israels Himmler« (Moshe Dayan) vorhält – die Halluzinationen einer im Toten Trakt mit vollständiger Isolierung Gefolterten, die, ein paar Jahre zuvor und ganz bei Sinnen, die deutsche Linke zur Solidarität mit Israel ermahnt hatte.
Wozu hingegen andere schon in ihrer gut beheizten Wohnstube fähig sind, führt der zum Mehrwertmullah konvertierte Exkommunist an sich selber vor. Über einen Mann aus Köln-Kalk, der einen türkischen Jugendlichen namens Salih mit seinem Messer tödlich verletzt hat, schreibt er:
Unvorhergesehen war für Salih, daß man als junger deutscher Kalker schon weiß, wer da nachts auf Beute ausgeht und diesmal der Überfallene, der schon mehrfach unbewaffnet Opfer eines Salih geworden war, mit einem Messer herumfuchtelte …
»Ein Salih« ist das Singularetantum für jeden Kanaken, wie im »Völkischen Beobachter« »ein Itzig« für jede Judensau. Und weiter geht’s:
Ein deutscher Feuerwehrmann, der ein kleines Kind, das ihm aus dem dritten Stock des brennenden Gebäudes in Ludwigshafen zugeworfen wurde, geschickt aufgefangen hatte, wurde z. B. von der »Hürriyet« deshalb gelobt, weil seine Eltern Türken sind und er damit auch einer zu sein hat.
Man glaubt ihm aufs Wort – wer kann schon Türkisch? Zwar gibt »Hürriyet« sich schon dadurch als chauvinistisches Drecksblatt zu erkennen, daß sie Springers »Bild«-Chef Kai Diekmann in ihren Beirat berufen hat, allerdings hat das Blatt in diesem Fall die gesamte Ludwigshafener Polizei für ihren Einsatz gelobt, bevor sie in einem weiteren Bericht tatsächlich erwähnte, daß der rettende Polizist Hakki Paker heiße und »türkischstämmig« sei.
An Justus W. lernen heißt lernen, wo Polemik (oder Kommunismus) endet und Hetze (oder Faschismus) beginnt.
Nun ist der Antisemitismus der Rote Armee Fraktion (RAF) in der Tat ein großes und lange unterbelichtetes Problem der deutschen Linken gewesen, was ja auch in der Analogie von Auschwitz und Dresden nicht nur durch Ulrike Meinhof sich äußerte. Aber der Kern der Kritik an Wertmüller (Justus W.) von Gremliza ist exakt treffend: Wer von „eines Salih“ schreibt, schreibt rassistisch. Davon zu trennen wäre eine Kritik des Islamismus, der natürlich eine Schnittmenge hat mit dem Islam.
Und so ist es eben wie erwähnt auch kein Wunder, dass einige der Autoren von „Der Erreger“ auf Achgut schreiben (Thomas Maul, Felix Perrefort) und sich nicht vom dortigen Hypen von extrem rechten Agitatoren wie Hans-Georg Maaßen oder Thilo Sarrazin oder dem patriarchal-sexistischen Superstar Jordan Peterson distanzieren, dafür aber beziehen sich die Autoren des Textes „Alle reden vom Virus – wir nicht“ positiv auf AfD-Gauland, weil dieser der einzige gewesen sei, der die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes kritisiert habe. Das ist kein Grund, sich auf den Guru und bekanntesten Vertreter einer rechtsextremen und antisemitischen wie rassistischen Partei unkritisch zu beziehen, was Maul schon vor Jahren in anderem Kontext mit dem Zitieren der AfD getan hat.
Eine ökologische-linksradikale, kapitalismus- und staatskritische Ablehnung des Corona-Regimes ist sehr wohl möglich und Gerald Grüneklee, Peter Nowak und ich sowie Rebecca Niazi-Shahabi mit einem Geleitwort haben dies als tatsächlich erste Buchautor*innen Mitte Mai 2020 versucht:
Dieses Buch wurde von den Autoren geflissentlich übersehen, aber aus psychoanalytisch zu dechiffrierenden Gründen haben die Broschüren-Macher von „Der Erreger“ uns allen drei unabhängig voneinander und ungefragt die Broschüre kürzlich zugeschickt. Warum? Wollen Sie, dass wir sehen, wie ignorant sie gegenüber einer differenzierten und sehr frühen Corona-Politik-Kritik sind, welche die Gefahr der ökologischen Katastrophe nicht leugnet, aber schon den ganz frühen Corona-Wahn des „ersten“ Lockdowns und der Zeit davor gleichsam attackierte und das Versagen der Linken schockiert konstatierte? Oder ist ihnen ihre Ignoranz nachträglich peinlich?
Sehr interessant und bewegend ist der Beitrag „In der Pflege die menschliche Würde verteidigen“ von Lydia Elmer aus Zürich:
Dennoch gelang es nicht, die am meisten Gefährdeten vor dem Corona-Virus zu schützen. Die Maßnahmen selbst nahmen etlichen von ihnen den Lebenswillen.
Die „Aktion Eigensinn“ kommt in der Broschüre mit einem Beitrag vor und ist mit Texten auf ihrem Blog und auf der Straße aktiv gegen den Coronawahnsinn, wie mit Aktionen mit Musik und Gesang im Mai 2021 in der Wilmersdorfer Straße in Berlin-Charlottenburg, einer Fußgängerzone und Einkaufsstraße. Dort sangen sie zur Melodie des in Frankreich entstandenen Protest-Songs „Danser encore“, der auf Flashmobs an verschiedenen Orten wie Bahnhöfen in Paris und in vielen Ländern gesungen wird. Die Aktion Eigensinn hat zu dieser Musik einen Text von Georg Kreisler gesungen:
Wir sind alle Terroristen
Wir sind doch alle, alle, alle Terroristen.
Es lebt in ganz Deutschland kein Demokrat.
Wir sind Terroristen gegen die Frauen,
gegen die Kinder, die uns vertrauen,
aber nicht einer gegen den Staat.Die meisten schrein schon früh am Morgen: Na, was ist denn?
Warum funktioniert nichts? Ist denn keiner auf Draht?
Wir sind Terroristen gegen die Liebe,
gegen die Faulenzer, gegen die Diebe,
aber nicht einer gegen den Staat.Dabei ist grad der Staat das größte Übel,
das alle Menschen seit Jahrhunderten versaut;
und jeder einzelne von uns ist nur ein Dübel,
in den der Staat den Nagel seiner Allmacht haut.
Und letztlich macht uns dieser Staat zu Terroristen,
denn wir sind seine Bürger und sein Fabrikat.
Wir werd’n Terroristen gegen die Stille,
gegen die Abtreibung, gegen die Pille,
gegen die Schwulen, denn um die ist’s nicht schad –
aber nicht einer gegen den Staat.
Weißt du, was das heißt: Polizeipräsident?
Weißt du, was das heißt: Infanterieregiment?
Was heißt Kommissar, Kabinett oder Bundeskanzler? Macht heißt es!
Was heißt Parlament oder Bürgermeister? Immer nur gib acht, heißt es!
Andere bestimmen, ob du stirbst oder ob du lebst;
andere bestinmmen, was du denkst und wonach du strebst –
und sie bestimmen dich zum staatlichen Terroristen.
Du kriegst einen Titel und ein Zertifikat.
Dann bist du ein Starker, und fort mit den Schwachen.
Und außerdem sagst du: Was soll ich denn machen?
Ich kann doch nicht leben ohne den Staat!
So lebst du mit dem Staat, das ist bequemer.
Du lernst die Hymne und den Badenweiler Marsch.
Du wirst Beamter, Arbeitgeber, Arbeitnehmer,
gehst in Pension und denkst: Ach, leckt mich doch am Arsch.
Ja, wir sind alle, alle, alle Terroristen.
Wir nennen’s nur anders – das ist es ja grad.
Doch wir sind Terroristen gegen das Leben,
gegen das Träumen, Lavieren und Schweben,
gegen die Dichter und gegen die Narren,
gegen die Sänger und ihre Gitarren,
gegen den Sex, gegen alles und nichts,
aber etwas gibt’s immer, weil sonst wird’s ja fad,
nur gegen eins nicht: gegen den Staat.
Schließlich ist auch ein Flugblatt einer Gruppe aus Leipzig vom Frühjahr 2021 sehr gut:
Die eigentliche Pandemie ist die Angst davor. Corona für Linke.
Darin wenden sich die Verfasser*innen gegen die „Drosten Ultras“ und ein ebensolches Graffiti, das auf der Facebook-Seite des linksradikalen Szene-Veranstaltungszentrums Conne Island aus Leipzig freudig geteilt worden war.
Mit Bezug auf den Religionsphilosophen und Mitbegründer der FU Berlin Klaus Heinrich (1927-2020) geht ein weiterer Text über „Die Universität als Geisterort“ auf die affirmativen Tendenzen im akademischen Milieu ein:
Die Digitalisierung der Bildung und des Wissens insgesamt entleiblicht hingegen dessen Medium, die Sprache, in einem bisher ungekannten Ausmaß und löst die Dialektik von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Privatsphäre und Öffentlichkeit, Schriftsprache und Gespräch oder Vortrag negativ auf. Sie setzt an die Stelle der Universität ein Netzwerk von Solipsisten.
Unterm Strich ist die Broschüre „Der Erreger“ ein sehr wichtiger Beitrag zu einer linken Kritik am Staatsfetischismus, an der irrationalen und medizinisch nicht evidenzbasierten Coronapolitik. Gleichwohl bleiben Fragezeichen ob der politischen Zuverlässigkeit der Autor*innen, die entweder aus purem Opportunismus auf Seiten wie Achgut publizieren und Trump ok finden, oder aber eine typisch rechtsantideutsche Querfrontpolitik und ein Kokettieren und Kooperieren mit dem bürgerlichen und populistischen Mainstream von Achgut, Brexit-Tories und Trump hin zur extrem rechten AfD einer luziden linksradikalen Kritik der deutschen Verhältnisse vor, während und nach Corona vorziehen.
ZeroCovid-Faschos jedoch kriegen Schreikrämpfe ob dieser Broschüre und das ist sehr schön. Danke dafür.
Update: Die Broschüre „Der Erreger“ kann unter „dererreger@posteo.de“ gegen 5€ Druckkostenspende bestellt werden.
Update 2: Auf mehrfache Nachfrage: Die beiden bislang in der Edition Critic erschienenen Bücher zu Corona können unter info@editioncritic.de bestellt werden:
NEUERSCHEINUNG: Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik – Gerald Grüneklee, Clemens Heni, Peter Nowak
Gerald Grüneklee | Clemens Heni | Peter Nowak
Corona und die Demokratie
Eine linke Kritik
Erscheinungsdatum: 15. Mai 2020
190 Seiten | 14,8 x 21 cm | Softcover | ISBN 978-3-946193-33-3 | 14€
Clemens Heni (Hg.)
Gefährderansprache
Wie die Regierungs-Politik, eine nicht evidenzbasierte
Virologie und Verschwörungswahnwichtel die demokratische Gesellschaft zerfleddern
ISBN 978-3-946193-34-0 | 380 Seiten | Literaturverzeichnis | Personenregister |
Softcover | 14,8 x 21,0 cm | 20€ |
Inhaltsverzeichnis
Erscheint am 20. Oktober 2020