Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Monat: August 2024

Georg Stefan Troller über Israel und die Welt oder: Will Netanyahu den Selbstmord Israels?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

In einem sensationellen Feuilleton-Gespräch mit dem 102-jährigen Georg Stefan Troller in Paris durch den Journalisten Harald Wieser und seinem ZEIT-Kollegen Moritz Aisslinger in der Ausgabe der ZEIT vom 15. August 2024 geht es um das „Jahrhundertleben“ Trollers, seine Flucht vor den Nazis, seine Rückkehr mit den Amerikanern 1945, sein Leben in Paris, seine 200 Filme, über die Gefahr der AfD, des Rechtsextremismus und von Trump hin zu Trollers Menschenkenntnis und der Art seines Zugangs zu den Leuten, gerade den ‚einfachen‘, jenen aus dem ‚Block‘ oder der Gosse, wo er, wie er betont, weit mehr Einsichten in die menschliche Existenz erfuhr, als im Gespräch mit den Schönen und Reichen oder Berühmten.

Ein Interview, das man gelesen haben sollte, wenn man über das zwanzigste und das beginnende einundzwanzigste Jahrhundert sowie Grundfragen des Menschseins mitreden möchte.

Ich möchte hier nur auf eine Stelle eingehen, die natürlich realpolitisch besonders wichtig ist. Auf die Frage, ob es eine „Aussicht auf eine Lösung“ des Konflikts mit der Hamas im Gazastreifen geben könnte, sagt Georg Stefan Troller:

Solange Netanyahu an der Macht ist, sehe ich keine. Er will den Konflikt nicht lösen, sondern verschärfen. Es wird nicht gelingen, die Hamas auszuradieren. Es braucht einen Kompromiss, doch daran ist Netanyahu nicht interessiert. Was mich am meisten beunruhigt, ist die Hisbollah, die es gar nicht erwarten kann, Israel anzugreifen. Ich war ja als Reporter beim Jom-Kippur-Krieg dabei und habe diese Nation im Kriegszustand kennengelernt. Man denkt, dass die Menschen dort zu gescheit sind, um Selbstmord zu begehen. Aber was im Moment passiert, ist der Selbstmord Israels vor der Welt. Sie haben all die Sympathien verloren, von denen sie früher gelebt haben.

Dieses Zitat ist von noch viel größerer Bedeutung, als viele es vielleicht ermessen. Denn weiteste Teile der Pro-Israel Szene in Deutschland sind weitgehend ignorant, was die scharfe Kritik an Netanyahu betrifft und was die Tatsache meint, dass er ja hauptverantwortlich ist auf israelischer Seite, dass es zu dem genozidalen Massaker der Hamas an 1200 Jüdinnen und Juden und dem Verschleppen von 251 Geiseln am 7. Oktober 2023 kommen konnte.

Er trägt dafür bis zum Ende seiner Tage die politische Verantwortung und ein seriöser Politiker wäre umgehend zurückgetreten im Oktober 2023.

Dass Netanyahu aber nicht seriös, sondern rechtsextrem ist, zeigte sein Verhalten das ganze Jahr 2023 bis zum 6. Oktober. Er wollte eine „Justizreform“ mit aller Gewalt durchboxen und die Gewaltenteilung de facto aushebeln. Das plante oder plant er mit seinen noch weit rechtsextremeren Kräften wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir oder Finanzminister Bezalel Smotrich wie auch Justizminister Yariv Levin.

Pogrome gegen Palästinenser, bei denen die IDF wie vor wenigen Tagen einfach zuschaut, wie Autos oder Gebäude angezündet oder gar Menschen ermordet werden, erschüttern die Regierung in Jerusalem überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit in Israel ist weit kritischer und verlangte 2023 den Rücktritt des „Kriminellen“ Netanyahu, der im Kern, jedenfalls bis 2023, nur Opportunist war. Doch seit der Debatte um die Justizreform und seine juristischen Probleme, die er mit der Ausschaltung der Gewaltenteilung auf seine Weise lösen wollte, wurde auch Bibi immer rechtsextremer. Er persönlich hat Israel weltweit isoliert wie wohl kein anderer Regierungschef und keine andere Regierungschefin in Israel seit 1948.

Dass viele Regierungen, namentlich im Globalen Süden, aber auch in Teilen von Europa und der EU, antizionistischen Antisemitismus goutieren oder gar befördern, kommt noch dazu. Aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Denn auch wohlwollende Länder, vorneweg die USA, wurden durch das Auftreten und das völlig unkritische Verhalten gegenüber eigenen massiven Fehlern wie von Netanyahu, stark irritiert. Israel hat Besseres verdient als seine aktuelle Regierung, wobei auch das in der Tat dialektisch zu sehen ist, da die Regierung ja gewählt wurde und somit ein Großteil der Bevölkerung ähnlich rechtsextrem denken dürfte wie Netanyahu und seine Regierung. Davor kann man ja nicht die Augen verschließen.

Wenn ich immer die Ankündigungen zu Vorträgen oder Seminaren, Workshops oder Konferenzen der „Pro-Israel-Szene“ in Deutschland sehe, ist das fast immer das gleiche langweilige Suhlen im „Wir sind wirklich die Guten!“ Was für eine Leistung angesichts der Hamas und des Jihad. Aber zur enormen Gefahr, die Netanyahu für den Zionismus und Israel darstellt, sagten die meisten dieser Leute weder im Jahr 2023 vor dem 7. Oktober Substantielles, noch die Jahre zuvor und schon gleich gar nicht seit dem 7. Oktober 2023.

Die Art und Weise wie gerade Bibi Pro-Israel Politiker*innen in den USA vor den Kopf gestoßen hat, ist unerträglich und hat wohl so viel Schaden angerichtet wie wenig sonst in den bilateralen Beziehungen dieser beiden Länder. Die USA sind das Schlüsselland, was die militärische und diplomatische Hilfe für Israel betrifft – und zwar für alle Zeiten, denn solche Kriegsschiffe, solche geheimdienstlichen wie politisch-diplomatischen Möglichkeiten, wie sie die USA haben, wird Israel nie haben können, das weiß jeder, der oder die noch einen Bezug zur Realität hat.

Nur weil Israel von religiös-fanatischen arabischen Staaten ohne Demokratie und mit verschleierten Frauen umgeben ist, heißt das noch lange nicht, dass Israel selbst eine fabelhafte Demokratie ist, nur weil es dort freie Wahlen und keine dermaßene Frauenverachtung gibt wie in allen arabisch-muslimischen Staaten mit Kopftuchzwang und dem Propagieren oder Dulden von Burka oder Nikab (die auch in Europa bis auf Frankreich, Belgien, Dänemark, Österreich, Holland, Norwegen, Italien nirgendwo verboten sind), vom islamofaschistischen Regime in Teheran nicht zu schweigen.

Netanyahu war schon vor dem 7. Oktober 2023 zur politisch-kulturellen Katastrophe des Landes geworden und seitdem hat er das noch um ein Vielfaches verschärft. Er persönlich ist verantwortlich dafür, dass die Hamas dieses Massaker ohne nennenswerte Gegenwehr der IDF und der Polizei verüben konnte, weil er die militärischen Kräfte ins Westjordanland zu den rechtsextremen Siedlern verlegt hatte und Warnungen über die Hamas nicht ernstnahm. Ein Untersuchungsausschuss wird das die nächsten Jahre alles offenlegen, aber Israel hat nicht so viel Zeit. Das Vertrauen, das Netanyahu gerade in den USA verspielt hat, ist schwer in Worte zu fassen. Dabei ist Joe Biden ein Zionist und hat sich eisern hinter den Judenstaat gestellt. Aber das Taktieren von Netanyahu mit den Verbrechern der Hamas schadet nicht nur den Geiseln, sondern auch der internationalen Reputation Israels, die es in vielen Jahrzehnten mühsam aufgebaut hatte.

Mögen die weisen, oben zitierten Worte des scharfsinnigen Georg Stefan Troller Wirkung zeigen und möge Israel endlich einen neuen Weg beschreiten, ohne Netanyahu. Im Namen des Zionismus braucht Israel einen Neuanfang und das endlich ohne diesen unerträglichen und extrem gefährlichen Benjamin Netanyahu.

Zum Schluss nochmal Georg Stefan Troller aus dem Gespräch mit Harald Wieser und Moritz Aisslinger:

Zeit: Charlie Chaplin hat, als er auf die 90 zuging, gesagt: ‚Ab einem gewissen Alter tut auch die Freude weh.‘ Würden Sie zustimmen?

Troller: Bei mir ist es andersherum: Je älter ich werde, desto positiver schaue ich auf die Welt, trotz aller Düsternisse. Im Großen und Ganzen könnte man sagen, ich bin als Pessimist gestartet und habe mich über tausend Hindernisse zum Optimisten entwickelt. Das finde ich als Fazit nicht schlecht.

 

Der sehr ehrenwerte Meron Mendel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Meron Mendel ist ein beliebter Redner und häufig Gast in Funk und Fernsehen. Er wendet sich im Februar 2024 in einem Beitrag für die Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik gegen die Sanktionierung von Antisemitismus und schreibt:

[Der Jurist] Möllers argumentiert, dass das Recht auf Meinungsfreiheit sogar antisemitische und rassistische Äußerungen schützt (solange sie nicht unter den Strafbestand der Volksverhetzung fallen). Und das Recht auf Kunstfreiheit schützt dementsprechend auch antisemitische und rassistische Kunstwerke.

„Das wirkt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wie ein Skandal, aber es ist der Skandal einer liberalen Ordnung, die nicht alles rechtlich sanktioniert, was sie politisch verurteilt“, so Möllers.

Daraus leitet er ab, dass der Staat den Kulturinstitutionen keine Inhalte vorschreiben darf. Staatliche Stellen „dürfen nicht entscheiden, welche Stücke gespielt, welche Schauspieler besetzt, welche Personen zu Vorträgen eingeladen oder wessen Kunstwerke ausgestellt werden. Der Staat hat die öffentliche Einrichtung und deren Verfahren so auszugestalten, dass Kunstfreiheit in ihnen real ermöglicht wird.“ Die Auflage, eine Antidiskriminierungsklausel zu unterschreiben, um staatliche Förderung zu erhalten, ist da ein Signal in die falsche Richtung.

Ein Problem hat Meron Mendel vor allem mit dem Kampf gegen Antisemitismus, insoweit dieser nicht von Neonazis oder der AfD kommt. Namentlich der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung Felix Klein ist ihm ein Dorn im Auge, wie er in den blättern schreibt:

Eine solche Kontroverse war die „Mbembe-Debatte“ 2020. Es ging um den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe, der als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale eingeladen war. Mbembe ist einer der internationalen Philosophie Superstars und so glaubte man, mit ihm als Eröffnungsredner einen Coup
gelandet zu haben. Die Begeisterung wurde jedoch nicht von allen geteilt. So forderte der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, mit Verweis auf als antisemitisch gelesene Passagen in Texten des Philosophen dessen Ausladung.

Mendel zitiert nicht einen Satz von Mbembe, warum dieser Autor in die Kritik geriet. Er macht Mbembe umgehend zu einem Opfer böser Aktivisten wie hier Felix Klein. Doch was hatte Mbembe denn geschrieben, was für eine Ideologie vertritt er? Ich hatte mich schon vor der Mbembe-Debatte 2020 mit ihm beschäftigt und 2019 geschrieben („Prolegomena zu einer kritischen Antisemitismusforschung in der Pädagogik“):

In seinem Buch „Kritik der schwarzen Vernunft“ analysiert und kritisiert der kameruner Politologe Achille Mbembe die Gewalt des Kolonialismus und des Rassismus. Zu Recht attackiert er sowohl den Islam wie das Christentum und den Kolonialismus als universalistische Ideo­logien, die Afrika unter sich aufteilt­en, auch wenn das Wort „Ideologie“ kaum auftaucht. Die Ge­walt­för­mig­keit des „Neger“-Daseins, Mbembe verwendet absichtlich das Nomen „Neger“, wird plastisch und bedrückend dargestellt. Es ist nur so, dass Mbe­m­be im Rassismus und Kolonialismus die einzige und die Welt beherrschende Ide­o­logie sieht.

Für die Antisemitismusforschung gilt es, Mbembe kritisch zu lesen. Es geht um folgende Stelle in seinem Band „Kritik der schwarzen Vernunft“, die alles auf den Punkt zu bringen scheint. Er bezieht sich auf den auf der karibischen Insel Martinique geborenen Schriftsteller, Politiker und Mitbegründer der „Négritude“ Aimé Césaire (1913–2008), und schreibt:

„Was der Westen Hitler nicht verzeihe, sei ‚nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen gegen den Menschen […], nicht die Erniedrigung des Menschen an sich, sondern das Verbrechen gegen den weißen Menschen, die Erniedrigung des weißen Menschen, und dass er, Hitler, kolonialistische Methoden auf Europa angewendet hat, denen bislang nur die Araber Algeriens, die Kulis Indiens und die Neger Afrikas ausgesetzt waren‘“. (Mbembe 2014: 290, Anm. 9)

Dieses Zitat steht für weite Teile der postkolonialen Forschung und indiziert einen postkolonialen Antisemitismus: Es leugnet, dass die Shoah ein nie dagewesenes Verbrechen war. Zudem wurden Juden demnach nicht als Juden, sondern als „Weiße“ ermordet. Das ist eine weitere Form des Antisemitismus, die Juden das Jude-Sein abspricht und fantasiert, Juden seien nicht als Juden von den Deutschen im Holocaust ermordet worden.

Achille Mbembe hat also überhaupt nicht verstanden, was den Holocaust kategorial von rassistischen Gewalttaten wie im Kolonialismus unterscheidet. Er leugnet offensiv, dass die Shoah präzedenzlos war. Er macht Juden zu „weißen Menschen“ und das ist ein Kernelement des postkolonialen Antisemitismus weltweit.

Von daher hatte Felix Klein mit seiner Intervention völlig Recht. Doch Meron Mendel hat ganz offenkundig mit dieser Art von postkolonialem Antisemitismus kein Problem. Entweder erkennt er ihn nicht oder er erkennt ihn sehr wohl, möchte aber nichts dagegen unternehmen. Beides indiziert ein intellektuelles Versagen.

Meron Mendel jedoch wehrt jedwede substantielle Kritik wie Ausladungen oder die Drohung, den Geldhahn für antisemitische Institutionen oder solche, die Antisemitismus auf die Bühne oder in die Zeitschrift etc. pp. bringen, vehement und grundsätzlich, aber in der ihm typischen seichten Sprache ab.

Was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass er natürlich ob des extrem angestiegenen Antisemitismus in Deutschland und weltweit seit dem 7. Oktober 2023 weiß, er zitiert dazu auch Zahlen. Doch er sieht nicht, wie es Juden und pro-israelischen wie pro-jüdischen Aktivist*innen in Deutschland seit dem schrecklichsten Massaker an Juden seit der Shoah geht. Was für ein Schock dieser Tag war. An diesem Tag wurden von Cola trinkenden und „Allahu Akbar“ schreienden Palästinensern in einem präzedenzlosen Blutrausch und einem so seit dem Holocaust nicht dagewesenen Abschlachten, Vergewaltigen, Köpfen, Massakrieren und Verbrennen über 1200 Jüdinnen und Juden im Süden Israels ermordet sowie mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, von denen bis heute 116 weiter gefangen gehalten und misshandelt werden, Dutzende von ihnen sind schon tot und es wird befürchtet, dass viele weitere Geiseln auch nicht mehr am Leben sind.

Kein Ereignis hat die Juden weltweit seit 1945 so schockiert wie dieses Massaker der Hamas, des Islamischen Jihad und ganz normaler Palästinenser. Dass es auch liberale Palästinenser gibt, die schon zuvor Abscheu vor dem Islamismus der Hamas hatten, gegen die Hamas politisch kämpften und demonstrierten und am 7. Oktober schockiert waren ob der Freudentänze in Gaza oder dem Süßigkeiten verteilen ob des Massenmords an Juden wie in Berlin-Neukölln, zeigt das Beispiel von Hamza Howidy. Er steht symbolisch für den jahrzehntelangen Slogan der Pro-Israel Szene

FREE GAZA FROM HAMAS.

Dass der Antisemitismus auch nach der Herrschaft der Hamas nicht von heute auf morgen verschwunden sein wird, ist völlig klar. Man denke an die Jahrzehnte, die es dauerte, bis die Bundesrepublik anfing, sich kritisch mit der NS-Geschichte und dem Holocaust zu befassen und man denke daran, wie diese mühsame Erinnerungsarbeit mit den Reaktionen und Nicht-Reaktionen zumal der kulturellen Elite in Deutschland und weltweit nach dem 7.10.2023 komplett zunichte gemacht wurde.

Als bei der Berlinale 2024 ein Regisseur auf der Preisverleihungsfeier Israel einen wörtlich „Genozid“ an den Palästinensern in Gaza vorwarf, sprang der mutigste aller Juden, die in Deutschland leben, dem mit Applaus auf der Berlinale Gefeierten heldenhaft zur Seite und sagte dem Berliner Tagesspiegel:

Während der Gala am Samstagabend war der Nahostkonflikt mehrfach thematisiert worden. Zahlreiche Mitglieder aus Jurys sowie Preisträgerinnen und Preisträger forderten verbal oder mit Ansteckern einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg. Der US-amerikanische Regisseur Ben Russell sprach am Ende seiner Dankesrede für eine Auszeichnung von einem Genozid, einem Völkermord.

Mendel sieht keinen Fall von Antisemitismus. „Ich würde von antiisraelischen und einseitigen Äußerungen sprechen, aber nicht von antisemitischer Rhetorik“, bekräftigte der israelisch-deutsche Publizist im Bayerischen Rundfunk. Zur Kritik aus der Politik sagte er, es gehe nur darum, aus dem Thema „einen politischen Gewinn zu machen und eine Art von Symbolpolitik zu machen“. Solche Reden würden im Kampf gegen den Antisemitismus nicht helfen.

Damit leugnet Mendel, dass Hass auf Israel, dass antiisraelische Agitation „antisemitische Rhetorik“ darstellt. Da lacht natürlich die Zeitung für Deutschland FAZ und lädt Mendel und seine Frau ein, weiterhin ihre Verdrehungen und vor allem Verharmlosungen des heutigen Antisemitismus unters allzu deutsche Volk zu bringen – denn wer liest schon FAZ?, die kulturelle Elite und sonst niemand. Doch für Mendel ist laut dem Tagesspiegel wie zitiert eine „antiisraelische“ Äußerung keine „antisemitische Rhetorik“.

Es steht auch im Widerspruch zur aktuellen Rechtsprechung in Deutschland, die eine antiisraelische Parole als „Billigung von Straftaten“ verurteilt hat:

Erstmals ist in Berlin der Ausruf „From the river to the sea“ mit einer Geldstrafe geahndet worden. (…)

Das Amtsgericht Tiergarten hat eine 22-Jährige aus Berlin wegen Verwendung der Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Das teilte das Gericht am Dienstag mit. Rechtlich bewertete das Gericht das Rufen dieser Parole auf einer verbotenen Versammlung in Berlin-Neukölln im Oktober 2023 als Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Es sei also nicht antisemitisch, wenn mann oder frau antiisraelisch hetzt, mit solchen Thesen gibt Meron Mendel dem heutigen antizionistischen Antisemitismus einen Koscherstempel. Er gibt damit ja sogar zu, dass dies keine Kritik an einer bestimmten Politik ist, sondern dezidiert antiisraelisch. Aber das reicht dem Superforscher Mendel nicht, darin etwas Gefährliches oder Antisemitisches oder Strafbares zu erkennen. Er will es nicht sehen.

Doch in der internationalen Antisemitismusforschung wird genau das seit Jahrzehnten detailliert und kritisch dargelegt: der heutige Antisemitismus ist im Kern antiisraelisch.

Wer das leugnet, ist nicht nur nicht auf dem Stand der internationalen Forschung, sondern gibt selbst diesem gefährlichsten aller heutigen Ressentiments auch noch Feuer.

Das ist nur ein Beispiel für die groteske Art von Forschung oder Publizistik von Meron Mendel, sie mag hier pars pro tot stehen. Jemand, der nicht umgehend den Antisemitismus dieser Szene auf der Berlinale 2024 erkennt, ist ungeeignet, als Experte für den Kampf gegen Antisemitismus zu gelten.

Doch sie zahlt sich aus diese Art von Publizistik, Mendel bekommt nonstop Anerkennung für seine zu kurz geratene oder verschwommene Kritik oder Nicht-Kritik am Antisemitismus.

Als bekannt wurde, dass Meron Mendel mit seine Ehefrau Nur-Cheema die Buber-Rosenzweig Medaille 2025 des Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit erhalten soll, hat intern, mit einem Brief an diesen Koordinierungsrat, der Präsident des Zentralrats der Juden sich eingeschalten. Was in dem Brief steht, ist öffentlich nur in Auszügen bekannt:

Schuster wirft jedoch Mendel »umstrittene und zum Teil untragbare Positionierungen« vor.

Die Anerkennung eines Staates „Palästina“, die Mendel befürwortet, mag ein weiteres Zeichen sein, warum Meron Mendel ganz sicher nicht im Namen der übergroßen Mehrheit der Juden in Deutschland oder auch in Israel, wo er herkommt, spricht. Angesichts eines genozidalen Massakers von Palästinensern diesen nun als quasi Dank einen eigenen Staat zusprechen – mit einer Regierung aus Hamas und Fatah? Mit Hamas-Massenmördern als Ministern und diplomatischen Vorzügen aller Art? Das ist wirklichkeitsfremd, oder aber politisch fanatisch.

Gerade liberale und antiislamistische Palästinenser wie Hamza Howidy, der mit Glück den Klauen der Islamfaschisten der Hamas entkommen konnte, betonen, dass die Palästinenser noch jahrelang überhaupt nicht reif sein werden für einen eigenen Staat. Erstmal muss es eine „Deradikalisierung“ geben, die mit pädagogischen und politischen Programmen initiiert und unterstützt werden sollte, wie Howidy vor wenigen Wochen in Heidelberg auf einer Veranstaltung sagte. Howidy ist unendlich näher dran an der Realität im Gazastreifen als Meron Mendel, Howidy weiß im Gegensatz zu Mendel, wovon er spricht, wenn es um Palästina geht.

Nun haben Meron Mendel und Saba-Nur Cheema in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) eine ihrer Kolumnen geschrieben, wo sie völlig ernsthaft eine Linie aufmachen von islamistisch-faschistischen Regimen wie in Teheran und der Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie – und sich selbst und dem Zentralrat der Juden in Deutschland und Josef Schuster.

Mit „Zweifel“ hat ihr Text und haben ihre sonstigen Auslassungen nichts zu tun, dafür mit einem äquidistanten Gerede, das Antisemitismus und Islamismus nur zum Thema macht, um sie zu verharmlosen. Sie sehen sich als unterdrückte Minderheit in Deutschland – als FAZ-Kolumnist*innen. Man sieht wie absurd das ist. Sie bringen noch weitere Analogien von Minderheiten oder Dissidenten in der Geschichte und maßen sich an, hier Spinoza zu erwähnen und gerieren sich als Opfer – Opfer einer wirklich bösen Gruppe, des Zentralrats der Juden in Deutschland sei. Da lachen die Rechten aller Art aber schallend, denn den Zentralrat können die auch überhaupt nicht leiden.

Mendel und Cheema dürfen in der FAZ also Folgendes schreiben:

Als dreckige Wäsche gilt insbesondere Kritik an israelischer Politik. (…)

In der islamischen Welt hat die Praxis der Exkommunizierung, der sogenannte Takfir, eine lange Tradition, obwohl sie stark umstritten ist: Für die einen wird der – echte oder zugeschriebene – Glaubensabfall als Verbrechen gesehen, der sogar mit dem Tod bestraft werden muss. Für die anderen ist es ein Konzept, das den islamischen Prinzipien widerspricht.

Seit dem Aufblühen des Islamismus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird der Takfir allen voran von gewaltbereiten Fundamentalisten eingesetzt. Besonders bekannt ist der Fall des indisch-britischen Schriftstellers Salman Rushdie, der für seinen Roman „Die satanischen Verse“ 1989 zum Ungläubigen erklärt und mittels einer Fatwa durch den iranischen Revolutionsführer Ajatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde.

Nun: es gibt weltweit keinen größeren Volkssport als „Israelkritik“. Nahezu jeder Bewohner und jede Bewohnerin ist entweder selbst in so einem Sportclub mit dem Namen „Ist doch nur Israelkritik“, „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ oder kennt Leute, die in so einem Club drin sind. Die meisten waren schon lange vor dem 7. Oktober Mitglied in so einem Club, aber einige kamen erst nach dem 7.10. dazu, dafür umso aggressiver und engagierter. Daher die Vielzahl offener Briefe, die sich hinter antisemitische Student*innen stellen, sei es an der Columbia University in New York City oder an der FU Berlin. Seit der zweiten Intifada von Herbst 2000 und dann dem 11. September 2001 gibt es wirklich keine beliebtere Sportart weltweit als die „Israelkritik“.

Meron Mendel jedoch möchte vor allem eingeladen und vom Mainstream getätschelt werden. Daher ja auch seine und Cheemas Kolumne in der Zeitung für Deutschland. Er wird als Jude und in Israel Geborener geehrt, der es geschafft habe, ‚trotzdem kritisch‘ zu bleiben. Weil ja sonst üblicherweise Juden und in Israel Geborene die größten Trottel und Fanatiker sind, das ist der Tenor oder die Motivation von all jenen, die die Mendels so loben und preisen.

Dabei ist das, was Mendel als Kritik versteht, häufig nur Ressentiment und vor allem die obsessive Abwehr jedweder luziden Islamismus-, Antisemitismus- und Antizionismuskritik. Meron Mendel sieht einfach häufig den Antisemitismus nicht, sei es der von Achille Mbembe oder der jenes des Filmemachers Ben Russel auf der Berlinale 2024. Wissenschaftlich ist das, was Mendel oft von sich gibt, einfach nur desolat, aber politisch und gesellschaftlich ist es höchst gefährlich.

Er selbst zitiert in seinem blätter-Beitrag von Februar 2024 den zionistischen Journalisten Richard C. Schneider und merkt gar nicht (oder er merkt das sehr wohl, aber ignoriert es), dass Schneider damit gerade auch Leute wie Meron Mendel und dessen „Kunst“ oder die jener, die Mendel immer und immer und wirklich immer wieder, gerade nach dem 7. Oktober 2023 in Schutz nimmt, meinen könnte:

Die FAZ warf der Documenta „Dekolonisierungskunst“ vor, sie arbeite „mit der Moral – und als Reich des Bösen hat sie Israel identifiziert“. Während sich die einen als Antirassisten verstanden, vertraten die anderen die Auffassung, es gehe hier um die letzte Verteidigungslinie vor dem eliminatorischen
Antisemitismus, der den gesamten Kulturbetrieb zu dominieren drohe. Wie der Journalist Richard C. Schneider schrieb: „Solche ‚Kunst‘ kann töten. Sie hat getötet.“ (Meron Mendel, blätter 2/24)

Mendel ist ein Olympiasieger im Lavieren. Er möchte immer und überall dabei sein und wird gerne eingeladen. Er ist irgendwie schon auch gegen die antisemitische BDS-Bewegung, aber irgendwie auch nicht. Warum klare Aussagen machen, wenn man doch auch immer um den heißen Brei des Antisemitismus herum tanzen kann? Das macht viel mehr Spaß und die nächste Einladung ist ihm gewiss.

Im März 2023 schreibt der NDR:

Die BDS-Bewegung (Boykott, De-Investition und Sanktionen) ist besonders in Deutschland als antisemitisch verschrien. Meron Mendel findet die Mittel der Kampagne falsch. Aber er arbeitet überzeugend heraus, dass es sich bei der Initiative um ein loses Netzwerk mit interpretationsbedürftigen Forderungen handele. Der Generalverdacht des Antisemitismus führe häufig dazu, dass palästinensische Stimmen nicht mehr gehört werden.

Ich habe 2018 in meinem Band „Der Komplex Antisemitismus“ Folgendes über Meron Mendel als Herausgeber eines Buches zu Antisemitismus geschrieben:

Einer der am weitesten verbreiteten Fehler der Publizistik und Forschung zu Antisemitismus ist die Annahme, es handele sich hierbei nur um eine gegen Juden gerichtete Form des Rassismus. Das Genozidale, Wahnhafte und Obsessive am Antisemitismus wird verkannt. Antisemitismus basiert auf der Angst vor der eingebildeten Macht der Juden. Daher rühren die Verschwörungsmythen, vorneweg die Protokolle der Weisen von Zion (um 1905).[1]

Rassismus hingegen basiert auf der Herrschaft über eine als minderwertig definierte Gruppe. Häufig geht es um Ausbeutung und Macht, es geht um das cui bono, wem nützt es. Nicht so beim Antisemitismus, der jenseits von Nützlichkeitserwägungen existiert. Repräsentativ für das teilweise Nicht-Verstehen des Antisemitismus ist ein Tagungsband einer großen Veranstaltungsreihe der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, gefördert von der Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft und in Kooperation mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts sowie dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin. Unter dem Namen „Blickwinkel“ haben diese Institutionen von 2011 bis 2017 jährliche Tagungen veranstaltet, eine Auswahl der offenbar besonders guten Beiträge der Tagungen von 2014 bis 2016 wurde 2017 publiziert.

In dem Band sind neben einem Grußwort der Geldgeber wie der maßgeblichen Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) und der Einleitung der Herausgeber*inn­en Meron Mendel und Astrid Messerschmidt 14 Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Alltagskommunikation und Jugendarbeit, Religion, sozialpsychologischen Fragestellungen und „Antisemitismuskritik im Kontext von Rassismus“ abgedruckt.[2] Darunter fällt auch der Beitrag von Jihan Jasmin Dean: „Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute“. Sie ist Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) und am Frankfurt Research Center for Postcolonial Studies der Uni Frankfurt und postuliert:

„Insofern kann Antisemitismus als eine von mehreren, spezifischen Aus­prä­g­ungen rassifizierenden Diskurse gesehen werden, zu denen auch anti­mus­lim­ischer Rassismus, Antiziganismus und Kolonialrassismus gehören.“[3]

Antisemitismus sei also eine von vielen Formen „rassifizierender Diskurse“. Demnach werden heute Muslime, die als Opfer von „antimuslimischem Rassismus“ eingeführt werden, so behandelt wie früher die Juden, oder wie ist das gemeint mit dem „rassifizierenden Diskurs“? Seit wann wird heute von Muslimen als „Rasse“ gesprochen? Hat sich Dean je mit der Geschichte des rassebiologischen Antisemitismus befasst? Im Text jedenfalls ist davon nichts zu merken. Im Folgenden werden von der Autorin Muslime als die eigent­lichen Opfer der heutigen Zeit seit 9/11 dargestellt. Kein Wort des Schocks über das unglaubliche islamistische Verbrechen des 11. September 2001, als gekaperte Personenflugzeuge in die beiden Türme des World Trade Center flogen und 3000 Menschen lebendig verbrannten, zerfetzt und zer­quet­scht wurden und in den Tod sprangen. Kein Wort zu diesem Grund der Kritik am heutigen Islamismus.

Dass es schon seit vielen Jahren, lange vor 9/11, ordinären Rassismus gibt, gerade gegen Türken, aber noch früher gegen Italiener, die früher als „Gastarbeiter“ in die BRD kamen als Türken („Anwerbeabkommen“ der BRD mit Italien 1955, mit der Türkei 1961), das ist längst bekannt und viel diskutiert. Auch Griechen, (mittlerweile Ex-) Jugoslawen, Schwarze und viele andere sind in der BRD seit Jahrzehnten vielfältigen rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Es gibt Rassismus in Deutschland – doch der ist gegen alle als nicht-deutsch definierten Menschen gerichtet. Die Muslime als besondere Opfergruppe herauszunehmen, läuft fehl. Das umso mehr, als ja der Islamismus eines der größten Probleme unserer Zeit ist, was man vom Christentum nicht behaupten kann, unabhängig davon, ob man nun die christliche Religion sinnvoll oder nicht findet. Aber es gibt keine christlichen Selbstmordattentate weltweit und keine Sicherheitsüberprüfungen an Flughäfen aufgrund von christlichen Terroristen, sondern aufgrund von Islamisten.

Die Rechten unterscheiden nicht zwischen Islam und Islamismus, das ist ein großes Problem. Aber ebenso wenig sollte und darf das die notwendige und sehr scharfe Kritik am Jihad und Islamismus verdrängen. Die Rede von „rassifizierten Communities“[4] ist eine sprachliche Verharmlosung, ja Leugnung der Spezifik des rassebiologischen Antisemitismus. Hier und heute wird in Deutschland keine einzige Migrantengruppe als „die Gegenrasse“ betrachtet wie früher die Juden. Das ist eine solche sprachliche Absurdität, dass man schon an der Wortwahl merkt, dass die Autorin den kategorialen Unterschied von Vernichtung und Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus nicht kennt. Schon ihr Begriff „Rassifizierung“ ist kontraproduktiv, ja universalisiert die sehr spezifische und einzigartige Konstruktion der Juden zu „der Gegenrasse“ schlechthin. Für die Nationalsozialisten war „der“ Jude – und nicht etwa „Jüdinnen und Juden“, wie das in an diesem Beispiel grotesk anmutenden Gender-Jargon heißt – der Feind der Menschheit sowie der Deutschen. Es geht um das „jüdische Prinzip“, wie es sich in der antisemitischen Ideologie zeigt, sei es Mammon, Moloch, Ahasver (vgl. Kapitel 1) oder andere Topoi. Das Kunstwort „Rassifizierung“ im Beitrag von Dean – dem längsten in dem Band – stellt eine Analogie von Juden und anderen her, die angeblich genauso oder ähnlich diskriminiert würden. Sie schreibt über Juden und den Zionismus Folgendes:

„Kritik und Anerkennung müssen nicht in Widerspruch zueinander stehen. Mitt­lerweile gibt es politische Ansätze wie den radical diasporism, welche der israelischen Besatzungspolitik kritisch gegenübersteht, sich aber glei­ch­zeitig einer öffentlichen Positionierung zu dieser entziehen bzw. widersetzen will, weil sie sich in der Diaspora verorten. Aus einer theoretischen Perspektive, die Jüdische Studien mit Postkolonialer Theorie verbindet, kann der politische Zionismus als ambivalentes Projekt – als Diskurs einer anti­kolonialen nationalen Befreiungsbewegung und eines Siedlerkolonialismus zugleich – betrachtet werden“.[5]

Dean kokettiert mit dem antizionistischen Anti­semi­tis­mus gleich doppelt, indem sie sich hinter die marginale Gruppe von Juden stellt, die sich nicht als zionistisch, sondern in der Diaspora verhaftet begreifen. Dazu definiert sie in einer beachtlich überheblichen Manier die welt­hist­or­ische Bewegung des Zionismus als „ambivalent“.

Jihan Jasmin Dean bezieht sich positiv auf eine der derzeit erfolgreichsten und aggressivsten antisemitischen Bewegungen: die BDS-Bewegung zum Boykott Israels. Sie schreibt:

„Darüber hinaus ist es problematisch, BDS zu einer universellen Strategie zu erheben, denn es kommt auch auf den historisch-geografischen Kontext an, in dem sie angewandt wird – in Deutschland schließt eine Boykottforderung unweigerlich an antisemitische Diskurse an. Dennoch kann BDS als eine parti­ku­lare und kontextabhängige Strategie anerkannt werden, die in der palä­sti­nen­sischen Bevölkerung breiten Rückhalt hat und auch internationale Un­ter­stützung findet“.[6]

Diese positive Würdigung der weltweiten BDS-Bewegung ist skan­da­lös – in einem Band, der sich mit „antisemitismuskritischer Bildung“ befassen möchte und doch Antisemitismus unterstützt. Die Berliner Land­es­reg­ier­ung, repräsentiert durch den Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), spricht sich klipp und klar gegen BDS und gegen internationale BDS unterstützende Künstler*innen aus, was angesichts der nun jährlich auf­tret­en­den BDS Kam­pag­nen gegen das große Pop-Kultur-Festival in Berlin von großer Be­deut­ung ist (vgl. Kapitel 5.3). Hingegen promotet der von Meron Mendel und Astrid Messerschmidt edierte Forschungsband BDS, in dem gesagt wird, BDS sei nur in Deut­schland wegen der Geschichte un­günstig, aber nicht sonst­ wo.

[1] Hadassa Ben-Itto [1998]/(2001): „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – Anatomie einer Fälschung, Berlin: Aufbau Verlag.

[2] Meron Mendel/Astrid Messerschmidt (Hg.) (2017): Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Unter Mitarbeit von Tom David Uhlig, Frankfurt/New York: Campus. Mendel ist Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Messerschmidt Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Wuppertal, wie das Buch die beiden bewirbt.

[3] Jihan Jasmin Dean (2017): Verzwickte Verbindungen: Eine postkoloniale Perspektive auf Bündnispolitik nach 1989 und heute, in: Mendel/Messerschmidt (Hg.), S. 101–129, hier S. 105.

[4] Ebd., S. 107.

[5] Ebd., S. 121.

[6] Ebd., S. 104.

So viel aus meiner Studie „Der Komplex Antisemitismus“. Ich hatte also schon 2018 Meron Mendel im Visier und spürte, was für eine höchst problematische Art von Wissenschaft und Publizistik er betreibt. Das Publizieren dieses hier analysierten Texte von Jihan Jasmin Dean durch Meron Mendel und seine Kollegin Astrid Messerschmidt zeigte schon 2017, wie antisemitische Topoi wie selbstverständlich und in einer akademischen Diktion Mainstream sind.

Die Leugnung der Spezifik des genozidalen Antisemitismus, während Rassismus völlig andere Formen annimmt und auf Ausbeutung und Abwertung, aber nicht auf Vernichtung zielt, zeigt sich hier exemplarisch. So ein Text, den Mendel hier co-edierte, steht ganz typisch für den fast gesamten postkolonialen, postmigrantischen oder migrantischen und selbst ernannten antirassistischen Diskurs. Wer die BDS-Bewegung nur in Deutschland irgendwie problematisch findet, aber ansonsten völlig OK, der oder die trägt zur Dämonisierung Israels bei und gibt dem Judenhass letztlich Vorschub. Der Kern der BDS-Bewegung ist ja das „Rückkehrrecht“ der 1948 vertriebenen Palästinenser, so wie wenn Neonazis und Vertriebenenverbände bis heute die Rückkehr von Millionen Vertriebenen die Rückkehr nach Polen oder in die Tschechische Republik fordern würden und natürlich das inklusive aller bis heute Nachgeborenen, also jenen „Vertriebenen“, die 2024 in Berlin-Neukölln geboren wurden.

Kritik an der aktuellen israelischen Regierung ist absolut notwendig und in Israel demonstrieren täglich und wöchentlich Hunderttausende gegen die Regierung. Bis zum 6. Oktober 2023 waren dies sehr wichtige und notwendige Demonstrationen gegen eine geplante „Justizreform“, die der rechtsextremen Regierung Netanyahu noch mehr Möglichkeiten der Herrschaftsabsicherung gegeben hätte. Aktuell und seit Monaten sind die Proteste gegen die Regierung für die Freilassung der Geiseln und für einen Deal mit den Monstern der Hamas. International, nicht zuletzt in Washington, D.C., wird völlig zu Recht Netanyahu als ganz großes Hindernis für so einen Deal erkannt. Joe Biden sagte letzte Woche in einem Telefonat zu Netanyahu, er solle aufhören, Bullshit zu reden:

stop bullshitting us.

Das ist aus dem Munde eines erklärten Zionisten wie Joe Biden eine Kritik unter Freunden. Biden weiß, dass entgegen dem Mossad, dem Shin Bet, der IDF oder dem Verteidigungsminister Gallant Netanyahu ein Kernproblem ist, warum es keinen Deal zur Freilassung der Geiseln gibt.

Die Position von Joe Biden ist das pure Gegenteil dessen, was ein Meron Mendel tut, wenn er nicht mal bei Filmemachern, die Israel auf der Berlinale „Genozid“ vorwerfen, glasklaren antizionistischen Antisemitismus wie erinnerungsabwehrenden Antisemitismus – Abwehr der Erinnerung an das schlimmste Massaker seit der Shoah – zu erkennen vermag.

Gleichzeitig – auch das sieht Joe Biden – gibt es eine massive Siedlergewalt im Westjordanland, die in Israel selbst von Linken und Liberalen auch kritisiert wird, auch wenn diese Kritik seit dem 7.10. hinter dem Ruf „BRING THEM HOME NOW“ zurücksteht. Auch antisemitische Ultraorthodoxe die angesichts ihrer Einberufung in die IDF von „Auschwitz“ faseln verbreiten eine widerwärtige Form des heutigen Antisemitismus, sie sind ein Zerrbild des antizionistischen Antisemitismus der Linken im Westen. Ultraorthodoxe antisemitische Hetzer schreien aktuell:

Hundreds of  Haredim block the entrance to an army job fair for yeshiva students, shouting: ‚The soldiers in Gaza are not protecting us, the Torah protects us‘, ‚You are Auschwitz‘.

Kritik an diesen unerträglichen religiösen Zuständen in Israel ist von größter Bedeutung. Aber das wird meist nicht gemeint, wenn von „Israelkritik“ dahergeredet wird. Vielmehr wird unter „Israelkritik“ meistens jener Hass schön geredet, der die komplette Ablehnung Israels als jüdischer und demokratischer Staat meint und für eine Einstaatenlösung plädiert: „from the river to the sea“ – es gibt auch expansionistische, irrationale und fanatische Juden und Jüdinnen, die so etwas fordern, ein Israel im gesamten Gebiet, was das politische Ende Israels bedeuten würde, da Juden keine Mehrheit mehr im Land hätten, die aber der Kernpunkt zionistischer Souveränität ist.

Schließlich: Psychoanalytisch gesprochen hat jemand, der nach dem 7. Oktober 2023 Israelhass nicht als Antisemitismus erkennt und auch nicht so scharf wie nur möglich sanktionieren will, einen Realitätsverlust. Meron Mendel bezieht sich in seinem mit Cheema verfassten Text in der FAZ perfiderweise auch auf Eva Illouz, die Linkszionistin. Die beiden FAZ-Kolumnist*innen meinen, deren Kritik an Bibi oder der politischen Kultur in Israel wäre genau das, was sie hier auch machten in Deutschland. Und das ist eben ein Realitätsverlust.

Eva Illouz kämpft vehement gegen ihre ehemalige linke Genossin Judith Butler und Illouz kämpft gegen Netanyahu – aber sie kämpft Seite an Seite mit Millionen linkszionistischer Israelis.

Aber sie agiert nicht in einem vor Antisemitismus triefenden Land wie der Bundesrepublik Deutschland, wo nur noch ein Teil der politischen Elite sich gegen Antisemitismus stellt – wie Felix Klein und einige führende Politiker*innen -, aber die kulturelle Elite dermaßen antisemitisch ist, dass ein äquidistantes Geschwätz von wegen man sei sowohl gegen Rassismus als auch gegen Antisemitismus, man sei sowohl für Israel, als auch für Palästina (als Staat, hier und heute), man sei für postkoloniale Kritik und für Mbembe, aber trotzdem nicht für Holocaustverharmlosung, wie es Meron Mendels Tagesgeschäft ist, dem Antizionismus, der Holocaustverharmlosung und dem Antisemitismus Tür und Tor öffnet.

Dass sich dann Anfang August 2024 Meron Mendel mit Saba-Nur Cheema in der FAZ als Opfer darstellen des Zentralrats der Juden in Deutschland, so wie Salman Rushdie ein Opfer des Iran ist, das ist an Geschmacklosigkeit und Perfidie wirklich nicht zu toppen. Der Iran plant Israel auszulöschen und deutsche Kolumnist*innen der Zeitung für Deutschland sehen den Iran als so große Gefahr international wie es der Zentralrat der Juden in Deutschland hierzulande sei. Es ist schon eine Unverschämtheit, wenn sie Mendel und Cheema mit Rushdie in Beziehung setzen, da sie alle drei dissident seien.

Doch es ist politisch höchst gefährlich, wenn sie zugleich ein auf den Genozid an Juden gerichtetes Regime und dessen islamistische Politik mit der Kritik des Zentralrats an problematischen Autoren auf eine Stufe stellen – das ist eine dermaßen ungeheuerliche Trivialisierung des Jihad und Dämonisierung des Zentralrats der Juden in Deutschland, dass man es kaum glauben mag, dass dies im konservativen Mainstream, der sich immer so pro-israelisch dünkt, sagbar ist.

Wir erleben derzeit geradezu „esoterische Formen der Politik“ und eine „rituelle Vergemeinschaftung“, die zu einer Lagerbildung führen, sagt Lars Henrik Gass, Autor, Filmschaffender und Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage seit 1997, in einem sehr interessanten Gespräch mit Felix Klein.

Es ist bezeichnend, dass Meron Mendel sich im Februar 2024 gerade gegen Felix Klein und dessen konsequente Kritik des Antisemitismus wendet und es indiziert, wie wenig Mendel verstanden hat, wie der Antisemitismus gerade in der Kulturszene hier und heute vorherrschend ist.

Die Erklärung GG5.3., die von Meron Mendel in oben zitierten Artikel in den blättern verteidigt wird, kritisiert Lars Henrik Gass im Gespräch mit Felix Klein, weil auch mit dieser Kampagne Antisemitismus geduldet werde, namentlich die antisemitische BDS-Kampagne. Die Pointe ist darüber hinaus, dass zu der Zeit, als diese Erklärung GG 5.3 publiziert wurde, im Dezember 2020, das Grundgesetz nur noch in Teilen galt.

Während der Coronapolitik vertraten weiteste Teile der Anti-Israel-Szene die genau gleiche irrationale, unwissenschaftliche, nicht evidenzbasierte und antidemokratische Coronapolitik wie weiteste Teile der Pro-Israel Szene. Daher schrieb ich am 31. Januar 2021 in einem working paper:

Erstmal ein paar Bemerkungen zum Begriff „Weltoffenheit“ und „GG“ (Grundgesetz) im Herbst und Winter 2020/2021: Im Dezember 2020 so zu tun, als ob Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes in Kraft wäre, ist ein Hohn: „(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind im Dezember 2020 so wenig frei wie im November 2020 oder im Januar 2021: es herrscht der antidemokratische Lockdown, sämtliche Bildungseinrichtungen sind geschlossen (seit Mitte Dezember auch die Schulen), es finden keine Vorlesungen statt, Bibliotheken sind zu bzw. nur äußerst begrenzt offen gewesen (bis Mitte Dezember).

Neben Artikel 5 waren und sind viele andere Grundrechte derzeit ausgesetzt: GG Art. 4 (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Es gibt keine ungestörte Religionsausübung, Kirchen, Synagogen, Moscheen und alle anderen religiösen Einrichtungen sind de facto geschlossen, es darf nicht gesungen werden (!), und es dürften nur minimal Besucher teilnehmen. GG 2, Absatz 1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Auch dieses Grundrecht ist ausgesetzt, wir sind z.B. abends eingesperrt (!) in Wohnungen und Häuser (Ausgangssperre mindestens in Bayern und Baden-Württemberg), man darf sich nicht mit anderen Menschen ungestört treffen, nicht den Beruf ausüben etc. Art. 8, Absatz (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Auch das ist ausgesetzt bzw. nur sehr begrenzt möglich, Teilnahmebegrenzung, Maskenzwang, Abstandspflicht etc. Das widerspricht jedem Verständnis von Demokratie.

Art. 9, Absatz (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Auch das ist de facto ausgesetzt, da man sich – Stand Januar 2021 – nicht mit mehr als einer Person aus einem anderen Haushalt treffen darf. Art. 11, Abs. (1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Auch dieses Grundrecht ist de facto ausgesetzt durch die 15 km Bestimmung von Merkel & Co., auch wenn sie nicht umgesetzt werden sollte, bundesweit – in Sachsen gilt diese verfassungsfeindliche Regelung schon jetzt. Art. (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Auch das gilt nicht mehr – Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte, die nicht als essentiell gelten (also alle außer Lebensmittelmärkten, Apotheken, Tankstellen) – sind zwangsweise geschlossen.

All das macht es geradezu zu einer Farce, dass sich diese Initiative GG 5.3 nennt, ohne mit einem Wort darauf einzugehen, dass exakt dieses Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 3, aktuell ausgesetzt ist, wie die erwähnten anderen ausgewählten Grundrechte. Aber entscheidend an dem Aufruf ist die Verharmlosung der für Juden und Israel gefährlichen Bedeutung von BDS, dem Boykottaufruf gegen den jüdischen Staat.

Schluss:

In dem Gespräch von Felix Klein mit Lars Henrik Gass geht es um die „Verrohung der Gesellschaft inmitten der Kultur“, wie Gass resümiert. Um dem entgegen zu treten braucht es klare Definitionen von Antisemitismus und kein WischiWaschi-Gerede, das bei der Frage nach dem steigenden Antisemitismus seit dem 7. Oktober mit einer angeblich oder tatsächlich steigenden „Muslimfeindlichkeit“ antwortet, wie es viele tun.

Die Tatsache, dass Meron Mendel in seinem blätter-Text gleich mehrmals Felix Klein und die scharfe Antisemitismuskritik als Negativbeispiel anführt, zeigt uns, warum der sehr ehrenwerte Meron Mendel so viel Anerkennung erfährt.

„Kinderfreie Katzenfrauen“ werden Kamala Harris wählen – und warum die angelsächsische Presse viel fortschrittlicher ist als die deutsche

Von Dr. phil. Clemens Heni

Der reaktionäre Politiker und Vizepräsidentschaftskandidat des Sexisten Donald Trump, JD Vance, hat 2021 in einem Fernsehinterview mit dem US-Sender Fox News gesagt, dass die USA von einem „Haufen kinderloser Katzenfrauen“ regiert und beherrscht werde. Wörtlich sagte er:

„We are effectively run in the country, via the Democrats, via our corporate oligarchs, by a bunch of childless cat ladies who are miserable at their own lives and the choices that they’ve made, and so they want to make the rest of the country miserable, too“.

Die rechtsextreme Sprache fällt schon in der Begrifflichkeit „corporate oligarchs“ auf und steigert sich dann in der narzisstischen Selbstliebe eines daddiots, der meint, dass Frauen ohne Kinder unglücklich seien und ihr Unglück mit Hilfe der Politik auf den Rest des Landes übertragen wollten. So hört sich ja auch die Politik aus Italien von Meloni und von vielen anderen Rechten an. Es ist an Peinlichkeit zudem schwer zu überbieten, dass die EU nicht nur von einer politisch desolaten Frau repräsentiert wird, sondern auch von einer, die sieben Kinder hat.

Nur Zynikerinnen pflanzen sich in einer Welt voller Kriege, islamistischer Gewalt, Antisemitismus, Klimawandel, Rechtsextremismus und reaktionärer Familienideologie fort. Und dabei haben wir das philosophische Problem des Existentialismus und des Natalismus noch gar nicht angesprochen.

Während in Deutschland, dem traditionellen Land des „Mutterkreuzes“ seit 1938, natürlich gleich ein „Faktencheck“ gemacht wird, ob das auch stimmt mit den kinderfreien Frauen bei den Demokraten (Ausgburger Allgemeine) – wobei die gesamte Presse das Adjektiv „kinderlos“ verwendet statt „kinderfrei“ und schon sprachlich der sehr großen Gruppe selbstbstimmt kinderfrei lebender Frauen keine Stimme gibt – oder in der Boulevard-Presse (Gala) betont wird, dass Kamala Harris, der die Attacke von Vance 2021 unter anderem galt, doch immerhin „Stiefmutter“ sei, und schließlich das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die Reaktion der Hollywood-Schauspielerin Jennifer Aniston – die  bekanntlich 2021 eine fanatische Anhängerin der irrationalen, undemokratischen und unwissenschaftlichen Corona-Politik wie der Covid-Gentherapie war und ernsthaft glaubte, wie auch der Mainstream in Deutschland von Spahn über Lauterbach bis Merkel und Steinmeier, dass „Geimpfte“ das Virus (SARS-CoV-2) nicht übertragen könnten und daher einige Freund*innen entfreundete und Hetze gegen Ungeimpfte machte –  in den Mittelpunkt rückt und schreibt:

Aniston, die keine Kinder hat und zuletzt immer wieder über ihre unfreiwillige Kinderlosigkeit gesprochen hatte, kommentierte auf Instagram unter dem Video: „Mr. Vance, ich bete, dass Ihre Tochter das Glück hat, eines Tages eigene Kinder bekommen zu können. Ich hoffe, dass sie sich nicht einer künstlichen Befruchtung als zweite Option unterziehen muss. Denn Sie versuchen, ihr auch diese zu nehmen“

, geht es in England viel feministischer und gesellschaftskritischer zu. In der Tageszeitung The Guardian erschien am 20. Juli 2024 ein Text von Arwa Mahdawi, in dem die Autorin Vance luzide angreift und betont, dass es doch schön sei, dass es immer mehr kinderfreie Frauen gebe und dass wissenschaftlich betrachtet kinderfreie Frauen oft glücklicher und gesünder seien.

Mahdawi betont, dass in den USA nur etwas mehr als ein Viertel der Abgeordneten im Kongress Frauen sind, dass es mehr Männer mit den Namen „John“ gibt, die eine große Firma leiten, als alle Frauen zusammen in solchen Führungspositionen und dass es offenkundig bis heute seit dem 18. Jahrhundert noch keine einzige Präsidentin in den USA gegeben hat.

Doch Mahdawi geht vor allem auf das Thema kinderfrei ein und befast sich mit den Millionen Frauen, die selbstbestimmt auf das Mitmachen im Patriarchat via Kinderkriegen verzichten. Mahdawi schreibt im Guardian:

No, what I’m really here to say is that, rather than being the insult conservatives seem to think it is, “childless cat lady” is a state that more women actually ought to aspire to. Rather than being “miserable”, as Vance said, women who are childfree by choice are often happier and healthier than men and married women with children. This isn’t my opinion; there’s data that backs this up. Back in 2019, Paul Dolan, a professor of behavioural science at the London School of Economics, made headlines when, during a speech at Hay festival, he cited evidence that women are happier without kids or a spouse.

Hier wird entgegen der stumpfen deutschen Presse auch selbstverständlich das Adjektiv „childfree“ verwendet.

Das Thema „kinderfrei“ positiv zu besetzen ist in Deutschland durch die Autorin Verena Brunschweiger gelungen. In ihrem Buch „Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!“ von 2023 schreibt sie:

Über Virginia Woolf wurden zahlreiche Bücher und Artikel geschrieben. Schon zu Studienzeiten hatte ich ein anglistisches Proseminar, dessen einziger Inhalt ihr Oeuvre war. Kein Zweifel, sie war faszinierend, sie war beliebt. Das ist durchaus eher ungewöhnlich, sie ist ja gerade kein weiblicher Oscar Wilde, obwohl sie ebenso wunderbar mit Worten umgehen konnte, bisexuell war und auf der Insel wohnte. Anders als Wilde, der eine große Anzahl Dramen schuf, war sie nicht ständig im Dunstkreis des Theaters zu finden, wo eigene Stücke aufgeführt wurden. Sie war eine Frau.

Und sie war kinderfrei.

In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie, dass sie überzeugt war, kein Paar wäre so glücklich gewesen wie sie und ihr Mann Leonard, dennoch liest man immer wieder, die beiden wären trotz ihrer Kinderlosigkeit zufrieden gewesen…

Das ist ein Paradebeispiel für den pronatalistischen Bias, der in unserer Welt so omnipräsent ist. Ich möchte da lesen: Weil sie kinderfrei waren, war ihr Glück ungetrübt. Gut, das ist einfach das „andere Extrem“, könnte man meinen. Es ist aber allein schon mal eine kritische Stimme, die den Mainstream anzweifelt, die sogenannte allgemeine Wahrheiten oder Tatsachen mit einem Fragezeichen versieht.

Es ist unglaublich, dass trotz gegenteiliger Expertise wie beispielsweise von Glücksforscher Professor Paul Dolan, sich im Volk immer noch hartnäckig der Fehlmeinung hält, Paare ohne Kinder wären unglücklicher. Nein. Im Gegenteil. Aber da die kinderbesitzende Mehrheitsgesellschaft das nicht anerkennen will, wird gelogen und gebogen, was das Zeug hält. Denen muss doch einfach was fehlen, das kann doch gar nicht sein, dass die glücklicher sind als wir, hört man förmlich die Gedankenblasen dauerempörter Eltern.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren frauenmörderische Hexenjagden oft mit dem Bild einer Katze verbunden, da Katzen so gut klettern können und zum Beispiel über Dächer in Häuser einsteigen würden, um den bösen Willen einer Hexe umzusetzen.

Das Magazin Forbes schreibt daher zu Vances Agitation:

Malleus Maleficarum, a book published in 1486 by German Catholic clergyman Heinrich Kramer, includes the story of witches who transformed themselves into cats to attack people, notes Jan Machielsen, a historian of early modern religion at the U.K.’s Cardiff University whose next book examines one of Europe’s most notorious witch hunts.

“Cats were also killed in public spectacles for entertainment,” he added in an interview.

Forbes betont ebenso, dass viele Frauen stolz sind, kinderfrei zu leben und deshalb Kamala Harris wählen werden, wie eine Facebook-Gruppe es offen kundtut:

Laut dem Sender MSNBC aus den USA ist jede sechste Frau im Alter von 40 ohne Kinder, 50 Prozent der Frauen sind geschieden oder leben alleine. Bei der US-Präsidentenwahl 2020 wählten 63 Prozent unverheirateter Frauen Joe Biden, wobei hier jene verheirateten kinderfreien Frauen noch gar nicht mitgezählt sind. Auch MSNBC betont, dass Frauen ohne Kinder oder ohne Partner zu den glücklichsten Gruppen der Gesellschaft zählen.

Und rein immanent kapitalistisch gedacht, sind kinderfreie Frauen wie die S.I.N.K. (single income no kids) Teil der wirtschaftlichen Elite, die zu ignorieren nur ziemliche Volltrottel sich anmaßen:

And contrary to Vance’s argument that these women having “no stake in America,” single women in the U.S. are contributing in a big way. Lauren Napier, founder of the SP1NSTER — a lifestyle brand that harnesses the collective spending power of single women — said “child-free women have money and time. There are trillions of dollars circulating the U.S. economy completely powered by single women. There’s even is a movement called “S.I.N.K.”, single income no kids.”

Die Juristin (Solicitor) Louis Vance aus Belfast wiederum erzählte schon 2017, dass sie bereits als Kind nicht mit Puppen Mama spielte und als Teenagerin im Alter von 16 auch so gar kein Interesse hatte, später einmal Kinder zu bekommen:

I ‚ve never felt the biological clock ticking and I never expected it to, either. Even when I was a little girl I didn’t play at being mummy with my dolls – I wasn’t interested.

Motherhood wasn’t something I thought much about, but when I was about 16, I realised that everyone else did.

All my school friends were discussing the names of their future children, yet that wasn’t something I had even considered.

Insofern: Mit Louis Vance gegen JD Vance, für die Freiheit, den Feminismus und gegen patriarchale Zumutungen und Erwartungen.

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