Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Monat: September 2025

Indonesien fordert Sicherheit für Israel, South Park attackiert Netanyahu und die deutsche Israel-Szene lebt hinterm Mond

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der erste Staat, der im 21. Jahrhundert seine Unabhängigkeit erklärte, war bekanntlich Osttimor im Jahr 2002.

Der jüngste Staat, der im 21. Jahrhundert nun auch von führenden Industrienationen als unabhängiger Staat (ohne Staatsgebilde) anerkannt wird, ist Palästina.

Frankreich, England, Kanada, Spanien und Australien sind die einflussreichsten Mächte, die die letzten Tage Palästina anerkannten.

Es sind offensichtlich symbolische Schritte von Ländern, die für ihre pro-israelische Politik seit Jahrzehnten bekannt sind. Doch von Netanyahu und der Israel-Szene hierzulande werden sie alle als Antisemiten diffamiert. All diese Staaten wollen ein Palästina ohne Hamas und ohne ein Militär.

Und der 7. Oktober passierte nicht, weil die Hamas so stark gewesen wäre, sondern weil Israel so extrem schlecht vorbereitet war und so unfassbar schlecht reagiert hat. Wer seine bekanntermaßen so gefährdete Grenze nicht schützt, hat als Schutzmacht für Juden versagt. Das ist die äußerst bittere Erkenntnis dieses Tages.

Das darf nicht zu einem Antizionismus führen, muss aber linkszionistisch die rechtsextreme Regierung Israels in die Verantwortung nehmen. Ohne deren Versagen, wozu auch das Versagen der Armee, der Geheimdienste wie der Polizei gehören, wäre es nicht dazu gekommen. Es ist ja nicht so, dass die Hamas mit Hunderten Panzern und Kampfjets das Land überfallen hätte! Solche Waffen haben sie gar nicht. Aber Israel hat sie und sie waren nicht da.

Wer ebenfalls für Palästina eintritt, ist der indonesische Präsident Prabowo Subianto, der seit Oktober 2024 Präsident von Indonesien ist.

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land weltweit mit ca. 280 Millionen Einwohner*innen, wovon 225 Millionen Muslime sind.

Prabowo war 1991 in Osttimor mutmaßlich an Kriegsverbrechen und offenbar schon in den 1970er Jahren an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Jetzt ist er Präsident von Indonesien und tut so, als sei er ein gemäßigter Politiker, der sich sowohl für Gaza als auch für Israel einsetze. Eine Läuterung? Eine Ablenkung?

Er betonte diese Woche in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York City auf der Generalversammlung, dass er das schreckliche Leid in Gaza sehe. Mehrmals führte er das in seiner 20-minütigen Rede an. Doch später betonte er nachdrücklich, dass auch Israel ein Recht auf Frieden und sichere Existenz habe. Gegen Ende seiner Rede sprach er gar mit dem hebräischen Wort von „Schalom“. Das ist geradezu ein „ziemliches diplomatisches Erdbeben“ der positiven Art, wie ein Blogtext in der Times of Israel (TOI) feststellt.

Die Rede von Prabowo war in der Tat eine politische Rede, die sich recht umfassend mit den Weltproblemen und vor allem der Situation im Globalen Süden befasste. Der Klimawandel bedroht vor allem arme und südlich gelegene Länder wie Indonesien, weshalb der Staat einen riesigen Schutzwall im Meer bauen wird, was Jahrzehnte dauern wird. Armut und soziale Ungleichheit sind weitere sehr zentrale Themen, die Prabowo ansprach. Indonesien ist demnach mittlerweile Selbstversorger mit Grundnahrungsmitteln wie Reis und kann sogar Lebensmittel exportieren.

Er hat gleichwohl kein Wort zum Autoritarismus in seinem eigenen Land und zu seiner eigenen Biographie gesagt. Seine Rede hat also darüber hinweggetäuscht, dass er zum Beispiel mit der GSG 9 der alten BRD kooperierte:

Prabowo hatte eine kometengleiche Karriere im indonesischen Militär vorgelegt, nicht zuletzt wegen seiner besonderen Qualifikation, die er sich bei verschiedenen Sonderausbildungen im Ausland verschaffte – beispielsweise 1981 bei der GSG 9 in Hangelar bei Bonn. 1995 wurde er Chef der militärischen Eliteeinheit Kopassus. Deren ehrenwerte Aufgabe umschrieb eine indonesische Menschenrechtsorganisation mit „Spionage, Terror und Gegenterror“, inklusive der Inszenierung gewalttätiger Provokationen. (Jungle World, 18. August 1998)

Vermutlich war Prabowo an dem Massaker in Dili im Jahr 1991 mit 250 ermordeten Zivilist*innen beteiligt. Es ist insofern nicht nur eine innenpolitische Frage, wie mit der Geschichte und den möglichen Verbrechen von Prabowo umgegangen wird. Es bleibt also ein mehr als ambivalentes Bild.

Doch für Israel und die Juden war seine sensationelle Zuwendung zum jüdischen Staat, sein explizites Betonen, dass Israel das Recht habe, als Staat in Sicherheit existieren zu dürfen, wie ein kleines Neujahrswunder.

Nur Netanyahu interessiert sich nicht für Weltpolitik und diese Unterstützung des größten muslimischen Landes für Israel. Netanyahu hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine dermaßen peinliche Propaganda-Show abgezogen, dass einem Sehen und Hören verging. Mit keinem Wort erwähnte er die innerisraelische Kritik an seiner rechtsextremen Politik. Mit keinem Wort erwähnte er die Anerkennung Israels aus dem Mund des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Abbas, der ja nur per Video zugeschalten war, weil Trump der gesamten Delegation der PA die Einreise in die USA verweigert hatte, ein skandalöser Vorgang. Abbas sagte auch, dass die Palästinenser einen modernen und zivilisierten Staat anstreben, ohne Waffen. Das mögen Phrasen sein, sind aber elementar, da er zugleich die Massaker der Hamas und des Islamischen Jihad vom 7. Oktober verurteilte und damit die massive Unterstützung für die Hamas im Westjordanland unter den Palästinenser*innen frontal attackierte, also seine eigenen Leute. Das sind Zeichen eines Wandels – aber Netanyahu ist realitätsgestört und möchte diese Zeichen gar nicht sehen.

Nur ca. vier Prozent der Öffentlichkeit in Israel rezipieren die Tageszeitung Haaretz, wie in einem sehr interessanten Podcast mit dem deutschen Botschafter Steffen Seibert deutlich wurde. Selbstredend ging Seibert nicht selbstkritisch auf seine Rolle als Sprecher der Corona-Regimes unter Angela Merkel ein, wo er jegliche irrationale „Maßnahmen“ propagierte und verteidigte.

Aber Selbstkritik an der epidemiologisch, medizinisch, philosophisch, juristisch, soziologisch, politikwissenschaftlich, religionswissenschaftlich und anderweitig zu hinterfragenden Corona-Politik ist ja Mangelware, seltener noch als Bananen im Sommer 1989 in der damaligen DDR.

Aber Seibert machte seine pro-israelische Haltung unmissverständlich deutlich und ebenso sein enormes Leiden an der aktuellen rechtsextremen Politik der israelischen Regierung.

Was also sehr interessant und bemerkenswert ist, ist Seiberts klare Trennung der deutschen pro-zionistischen und pro-israelischen Haltung bei gleichzeitiger scharfer Ablehnung der aktuellen Politik der Regierung Netanyahu. Er sagte, dass es doch ein klares Zeichen sei, dass Tausende junge Israelis das Land verlassen haben und weiter verlassen würden – wegen der rechtsextremen Politik von Netanyahu und seiner Regierung. Solche in der Tat zionistischen, man würde fast sagen linkszionistischen Positionen aus dem Munde eines deutschen Botschafters, der jeweils unter CDU-Bundeskanzler*innen arbeitet (als Sprecher bzw. Botschafter), sind sehr wichtig und relevant – aber die deutsche Israel-Szene hört sich das nicht an und zieht daraus logischerweise auch keine Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten.

Das macht Demonstrations- und Kundgebungsankündigungen der deutschen ach-so-dermaßen Pro-Israel-Szene völlig irrelevant. Wenn wir zum Beispiel lesen, zu was für einer Kundgebung die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Stuttgart und die DIG Rhein-Neckar und viele andere Gruppen wie der weltbekannte „Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung“ oder die jüdische Studierendenunion Württemberg sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg zum 5. Oktober 2025 aufrufen, sieht man, in welcher Welt diese Leute leben:

Aufruf:

Solidarität mit Israel.
Gegen jeden Antisemitismus!

Am 7. Oktober jährt sich das antisemitische Massaker im Westlichen Negev zum zweiten Mal. Wir rufen zur Solidarität mit den Menschen in Israel auf. Wir fordern die Freilassung aller noch in palästinensischer Geiselhaft verbliebenen Entführten!

Wir werden ein starkes Zeichen gegen JEDEN Antisemitismus setzen. Wir rufen dazu auf, sich gegen den Vernichtungsantisemitismus im Nahen Osten und den Antisemitismus auf deutschen Straßen zu positionieren und für die Sicherheit sichtbaren jüdischen Lebens im öffentlichen Raum.

Einen solchen Aufruf hätte man am 8. Oktober 2023 machen können oder auch am 31. Oktober 2023. Aber man kann einen solchen Aufruf nicht im Oktober 2025 benutzen, um für Israel zu sein, ohne mit einem einzigen Wort die völkerrechtswidrige, menschenverachtende und rechtsextreme Politik der israelischen Regierung unter Benjamin Netanyahu zu attackieren. Das geht nicht. Doch es geht schon, aber nur wenn man Teil der völlig realitätsfremden offiziellen deutsch-israelischen „Szene“ ist. Wissenschaftlich und politisch ist ein solcher Aufruf grotesk.

Die Verwendung des Wortes „Vernichtungsantisemitismus“ ist doppelt problematisch. Erstens wird dabei auf die Shoah und den tatsächlich auch durchgeführten Erlösungs- und Vernichtungsantisemitismus der Deutschen angespielt. Damit wird die Shoah verharmlost. Am 7. Oktober geschahen unfassbar schreckliche Massaker. Aber das war kein zweiter Holocaust. Das war keine staatlich-industrielle Zerstörung jüdischen Lebens, sondern es waren Pogrome und Massaker. Das ist schrecklich, aber etwas kategorial Anderes.

Zweitens dementiert diese Rede den Zionismus, denn wenn in Israel – im jüdischen Staat – ein „Vernichtungsantisemitismus“ wütete am 7. Oktober 2023, denn auf dieses Datum spielt das Wort eindeutig an, es geht um den 7. Oktober und den Jahrestag, dann hat der Zionismus ja vollkommen versagt. Dann ist Israel die genau falsche Lösung des Problems Antisemitismus, würden dann viele einwerfen, denn in der Diaspora gab es jedenfalls seit 1945 kein Massaker mit 1200 Toten.

Wer also meint, besonders pro-israelisch zu sein und eine radikale Sprache zu verwenden, sollte vorsichtig sein mit Worten, deren tiefere Bedeutung ihm oder ihr nicht klar sind. Die Ideologie der Hamas wie des Iran hat vernichtungsantisemitische Dimensionen. Aber im Holocaust war die Ideologie und die Praxis auf die Vernichtung gerichtet. Es gab den Holocaust. Der 7. Oktober war kein Holocaust. Wer das insinuiert, dementiert, auch ganz unfreiwillig, den Zionismus und den Staat Israel.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann aus Tel Aviv sagte schon am 8. Oktober 2023 in der Tagesschau, dass das Massaker des Tages zuvor ein „Versagen des Zionismus“ sei. Es gab ja noch nie seit 1948 ein solches Massaker an Juden, weltweit gab es das nicht. Und ausgerechnet im angeblich sichersten Ort der Welt für Juden, dem jüdischen Staat Israel, gab es nun so ein Massaker. Er betonte schon damals, dass eine Division der israelischen Armee IDF, die für den Schutz der Grenze zu Gaza verantwortlich war, in das Westjordanland abkommandiert worden war. Wir wissen mittlerweile, dass es noch viel schlimmer war, weil die israelische Regierung, das Militär, die Geheimdienste und die Polizei vorsätzlich Warnungen der eigenen Leute nicht ernst nahmen. Das wird alles irgendwann wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Im Oktober 2024 auf 3sat in Kulturzeit sagte Zimmermann, dessen Eltern, Hamburger Juden, 1938 aus Nazi-Deutschland fliehen konnten und der Fußball interessiert und HSV-Fan ist, man sieht in seinem privaten Zimmer in Tel Aviv in den Videoschalten ein kleines HSV-Fähnchen im Hintergrund auf einer Kommode stehen, dass ein so langer Krieg offenbar nicht den Sieg über die Hamas gebracht hat und dass das ein Versagen Israels ist. Er versteht die anfängliche militärische Reaktion auf den 7. Oktober, aber danach hätte es Verhandlungen geben müssen.

Im September 2025 ist Zimmermann wiederum bei 3sat und Kulturzeit im Fernsehen zu sehen und er ist sichtlich noch niedergeschlagener. Als linker Zionist möchte er die Zweistaatenlösung, aber er betont, dass die „Mehrheit der Israelis zwar gegen Netanyahu“ sei, aber gleichwohl „nationalistisch“. Die Toten in Gaza würden die meisten bis heute mit „Indifferenz“ zur Kenntnis nehmen.

Die Opposition sei „zwar sehr laut“, aber ohne politischen Einfluss. Es müsse Druck „von außen kommen“ und vor allem von der israelischen Zivilgesellschaft. Schon 2024 in seinem zitierten 3sat-Gespräch sagte er, dass Israel zwei große Feinde habe, einen äußeren Feind – Iran, die arabische Welt – und einen inneren Feind, wie die rechtsextreme Regierung unter Netanyahu und die Siedlerbewegung. Mittlerweile seien beide Feindeslager eines friedlichen Zionismus „gleich groß“.

Doch davon hört man in der deutschen Israel-Szene rein gar nichts. Niemand würde hier von zwei großen Feindeslagern sprechen, dem Iran UND dem Rechtsextremismus in Israel bzw. jenen, die eine Zweistaatenlösung ablehnen. Aktuell, so die Kulturzeit-Moderatorin Vivian Perkovic im 2025er Gespräch mit Zimmermann, würden nur noch 21 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung akzeptieren, so sei der Stand im März 2025.

Die dramatische Situation für Israel und für Überlebende der Massaker vom 7. Oktober wird im 2024er Beitrag von Kulturzeit, in dem auch das Gespräch mit Moshe Zimmermann Teil der Sendung war, in einem sehr dramatischen und bewegenden Video über eine Israelin, Danielle Aloni, deutlich. Aloni hat den Angriff auf ihr Haus mit ihrer Tochter zwar überlebt, aber wurde dann als Geisel in die Tunnel von Gaza sowie in Wohnungen verschleppt. Schließlich kam sie bei einem Geisel-Deal mit ihrer Tochter frei.

Sie war sehr von der israelischen Regierung enttäuscht, weil sie genau merkte, dass die Priorität von Netanyahu ganz sicher nicht das Überleben der Geiseln ist. Es gibt ein Video von ihr aus der Geiselhaft, das zwar von den palästinensischen Terroristen gewollt und aufgenommen wurde, aber sie selbst habe bestimmt, was und wie sie es sagt, wie sie in Kulturzeit betont. Sie schreit in diesem Video gegen Netanyahu und die israelische Regierung, die sie im Stich lassen würden. Das sieht sie auch noch viele Monate später exakt so.

Und das hat sich bis heute nicht geändert. Und DAS muss das Thema einer Kundgebung der DIG sein, wenn sie ernstgenommen werden möchte. Die Priorität der israelischen Regierung liegt im Fortdauern des Krieges, im Unterstützen von Netanyahu und nicht in der Befreiung der Geiseln.

Heute sollte ein Aufruf zum Beispiel so heißen:

Für Israel und gegen den Krieg!

Damit wäre klar, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen an so einer Demonstration oder Kundgebung sowohl zionistisch und pro-israelisch, also auch nicht menschenverachtend, dafür am Völkerrecht orientiert sind und sich gegen die aktuelle israelische Regierung positionieren.

Doch so wie die Pro-Gaza-Szene niemals unter dem Motto

Für Palästina und für Israel

demonstrieren würde, so demonstriert wiederum die Israel-Szene niemals

Für Israel und für Palästina.

Und diese Verhärtung muss endlich aufgelöst werden. Dafür steht Indonesien, dafür stehen Frankreich, England, der deutsche Botschafter in Israel und sehr sehr, wirklich sehr viele andere.

Wären diese Aktivist*innen im Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Israel oder würden wenigstens israelische Medien wie die Times of Israel (TOI) oder die englische Ausgabe der Haaretz rezipieren, wüssten sie ob der extrem aufgeladenen Situation in Israel gegen die Regierung.

Dort wird von Politikern wie Gilad Kariv, Knessetabgeordneter der Partei „Die Demokraten“, die im Juli 2024 gegründet wurde und ein Zusammenschluss der linken Parteien Avoda und Meretz ist, die Hauptverantwortung für die andauernde Geiselhaft israelischer Geiseln in Gaza bei der israelischen Regierung gesehen.

Netanyahu hat spätestens seit dem Frühjahr 2024 immer wieder unter perfiden Vorwänden den Krieg verlängert und weitere Geisel-„Deals“ ausgeschlagen. So sieht es fast das gesamte Hostage Forum, ein Zusammenschluss der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, und die kritische Öffentlichkeit in Israel. Doch davon hat die DIG nichts gehört und davon will sie nichts hören. Sonst würde sie nicht so einen desolaten, ja grotesken Demonstrations- oder Kundgebungsaufruf im September/Oktober 2025 publizieren.

Es gab gestern eine Großdemonstration für Gaza in Berlin mit bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. Obwohl im Vorfeld klar war, dass dort viele Antisemiten, Antizionistinnen und Israelfeinde aller Couleur mitmarschieren werden, hat die im Bundestag vertretene Partei Die Linke die Demonstration angemeldet. Der Tagesspiegel hat darüber berichtet. Ein islamistischer und Pro-Hamas Demo-Zug aus Kreuzberg mit 1200 Teilnehmer*innen wurde von der Polizei gestoppt und aufgelöst, doch auf der Großdemo waren auch Transparente mit antisemitischem und Holocaust verharmlosendem Inhalt zu lesen wie „Auschwitz = Gaza“ oder „Netanyahu = Hitler“. Das ist antisemitische Volksverhetzung und gehört angezeigt und verurteilt.

Die Schuldabwehr und Schuldumkehr wird auch von Muslimen, Arabern und Linken bedient, was wir insbesondere seit dem Sechstage-Krieg von 1967 weltweit erleben.

Dieser antizionistische Antisemitismus ist auch 2025 schlimm, aber nicht neu. Es war schockierend, wie weite Teile der linken Szene am 7. Oktober feierten oder schwiegen, als 1200 Jüdinnen und Juden auf unschilderbare Weise massakriert, vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und 251 entführt wurden, worunter auch Nicht-Israelis waren.

Doch seither ist sehr viel passiert. Darauf weisen ehemalige führende Armeemitglieder der IDF hin, die sich für ein Ende des Krieges einsetzen.

Natürlich geht es gegen jeden Antisemitismus und für Israel – aber es muss genauso gegen die rechtsextreme und Israel so stark beschädigende und Zivilist*innen und Palästinenser*innen tötende Politik der aktuellen israelischen Regierung gehen. Wer das nicht sieht, hat jegliche Menschlichkeit verloren und keinen Bezug mehr zur Realität.

Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie kein anderer israelischer Regierungschef seit 1948. Er hat unzählige Verbündete vor den Kopf gestoßen, sie beleidigt und verdammt – wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premierminister Keir Starmer oder den australischen Ministerpräsidenten Anthony Albanese. Albanese habe „Israel verraten“, Starmer würde an der Seite der islamistischen Terrororganisation Hamas und Macron auf jener von „Massenmördern, Vergewaltigern, Babymördern und Entführern“ stehen.

England bzw. das Vereinigte Königreich, Frankreich und Australien sind allesamt Freunde Israels. Sie sind aber jeweils auch Anhänger des Völkerrechts und Kritiker der aktuellen katastrophalen Kriegspolitik von Netanyahu.

Die aktuelle israelische Regierung isoliert das Land und gefährdet jüdisches Leben weltweit. Nächste Woche wird die UEFA (Union of European Football Associations) darüber abstimmen, ob Israel ausgeschlossen wird. Im November 2025 wir die Eurovision Broadcasting Union darüber entscheiden, ob Israel am ESC 2026 teilnehmen darf. Das sind schockierende Vorgänge, da damit alle Juden und Jüdinnen für das Verhalten des Staates Israel haftbar gemacht werden. Es könnte ja sein, dass die Fußballspieler*innen wie die Sänger*innen jeweils gegen den aktuellen Krieg sind oder gegen die rechtsextreme Regierung. Doch sie werden alle in Haftung genommen – was jedoch schon beim russischen Krieg gegen die Ukraine 2022 der Fall war und ein Skandal, der jedoch kaum jemanden schockierte.

Die Pointe ist jedoch: weder die UEFA noch die Eurovision Broadcasting Union sind antisemitisch, sonst wäre ja Israel die letzten Jahrzehnte dort nicht Mitglied gewesen bzw. ist noch Mitglied. Es ist die aktuelle und in der Tat mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringende Kriegspolitik, die noch die Freundinnen und Freunde des einzigen jüdisches Staates an den Rand der Verzweiflung bringen.

Nicht so die DIG, die scheint keinerlei Gewissensbisse zu haben mit den Verbrechen der IDF in Gaza, der gezielten Hungerpolitik, dem Erschießen von nach Nahrung anstehenden Palästinenser*innen, worüber wir ja Berichte von IDF-Soldaten haben, die das selbst erlebt haben, wie sie oder ihre Kollegen auf wehrlose Zivilist*innen schossen. Das sind Kriegsverbrechen. Ein ausführlicher Bericht  der Haaretz berichtete im Juni 2025 darüber:

Offiziere und Soldaten der israelischen Streitkräfte berichteten der Zeitung Haaretz, dass sie den Befehl erhalten hätten, auf unbewaffnete Menschenmengen in der Nähe von Lebensmittelverteilungsstellen im Gazastreifen zu schießen, selbst wenn keine Gefahr bestand. Hunderte Palästinenser wurden getötet, woraufhin die Militärstaatsanwaltschaft eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen forderte. (Übersetzung CH)

Der Journalist Jonathan Freedland aus London sagt in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Unholy (ab Min. 17) mit Yonit Levi aus Tel Aviv, dass die Anerkennung Palästinas durch führende Industrienationen keineswegs eine Honorierung des Massakers der Hamas vom 7. Oktober ist, sondern eine Reaktion auf die israelische Reaktion auf den 7. Oktober. Das ist der entscheidende Punkt, der Knackpunkt!

Doch das kann die DIG analytisch offenkundig nicht fassen. Sie bzw. die DIG Stuttgart und ihr Bündnis gehen mit keinem Wort auf diese Reaktion, den unerträglichen und brutalen Krieg, ein. So kurz ist der Ankündigungstext nicht, als ob es nicht möglich gewesen wäre, explizit und eindeutig den aktuellen Krieg Israels, der weltweit gerade auch von Israelfreunden abgelehnt wird, zu kritisieren.

Es gibt Kriegsverbrechen der IDF, aber keinen Genozid. Das muss festgehalten werden. Dieses Wort bedient viel zu stark die Täter-Opfer-Umkehr und ist auch viel zu ungenau. In einem Genozid – und Historiker des Holocaust reden von der Shoah als einzigem Genozid, worüber ich geschrieben habe – ist sowohl die Intention ein ganzes Volk zu vernichten maßgeblich, als auch die unmittelbare Anwendung von Gewalt, dieses Ziel zu erreichen. Und Israel möchte nicht alle Palästinenser ermorden, auch wenn es einzelne, faschistoide Stimmen gibt, die das sagen oder andeuten.

Es gibt nicht täglich Massaker mit Tausenden von Toten in Gaza. Das macht das Zerstören von Gebäuden und Töten von Zivilist*innen nicht vergessen. Das macht auch eine extrem brutale Hungerpolitik, an der täglich Menschen sterben und mittel- wie langfristig sterben werden, oder ein kürzeres und viel schlechteres Leben haben werden, weil zumal Kindern körperliche Schäden zugefügt werden bei einer Hungersnot, die langfristig wirken und nicht immer sofort zum Tod führen, nicht vergessen. Diese Hungerpolitik ist ein Kriegsverbrechen und muss bestraft werden. Vor allem muss dieser Krieg mit Hunger sofort beendet werden und die kriminelle Verteilungspolitik Israels muss beendet und international seriös strukturiert werden, wie es ja zu anderen Zeiten des Krieges auch schon der Fall war.

Da hilft es nichts und es ist eher zynisch, wenn pro-israelische Wissenschaftler*innen, Publizisten und Aktivistinnen mantramäßig mit „Sudan“ antworten, wenn es um die Situation in Gaza geht. Denn dass andernorts noch viel schlimmere Kriegsverbrechen und noch viel schrecklichere Politik mit Hunger gemacht wird wie im Sudan, rechtfertigt nicht Israels eigene verbrecherische Politik:

Bonn/Berlin, 14. April 2025. Anlässlich der morgen stattfindenden internationalen Konferenz für den Sudan in London appelliert die Welthungerhilfe an die Staatengemeinschaft, das Leid der Menschen nicht länger zu ignorieren und entschlossen zu handeln. Zwei Jahre nach Beginn des verheerenden Kriegs im Sudan erlebt das Land die größte Hunger- und Vertreibungskrise der Welt. 30,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – so viele wie nie zuvor. Fast 26 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger, während 15 Millionen Menschen innerhalb des Landes oder über die Grenzen hinweg vertrieben wurden. „Die Lage im Sudan ist desaströs. Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser haben. Die internationale Gemeinschaft muss dringend mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um das Überleben der Betroffenen zu sichern“, fordert Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Viel realitätsgetreuer als die typische Israel-Szene in Deutschland geht die 1997 gestartete legendäre Animationsserie South Park mit dem Gazakrieg um. South Park spielt in Colorado, USA, und handelt von vier acht-bis zehnjährigen Freunden, die in die Grundschule in South Park gehen. Einer von ihnen, Kyle Broflovski, ist jüdisch. In der fünften Folge der 27. Staffel von Ende September 2025 reist Sheila Broflovski, die Mutter von Kyle, äußerst aufgebracht nach Jerusalem, stürmt in das Büro von Netanyahu und greift den israelischen Premierminister frontal an:

Den Höhepunkt der Episode bildet Sheilas spontaner Flug nach Israel, wo sie direkt in Netanyahus Büro eindringt. In einer emotionalen Tirade konfrontiert sie den israelischen Ministerpräsidenten mit harten Vorwürfen bezüglich seiner Kriegsführung.

Die Worte an Netanyahu sind der «Jerusalem Post» zufolge besonders scharf formuliert. «Wer glaubst du eigentlich, dass du bist? Du tötest Tausende und zerstörst ganze Stadtteile!»

Netanyahu erschwere das Leben für Juden weltweit und mache das Leben für amerikanische Juden nahezu unmöglich. Diese Aussage reflektiert die realen Sorgen vieler Diaspora-Juden, die sich durch Israels Politik in eine schwierige Lage gedrängt sehen.

Für Sheila ist ein jüdisches Leben in den USA „gar nicht mehr lebbar“ wegen der Politik von Netanyahu.

Das ist eine satirische, scharfe Kritik, die sehr wohl das Lebensgefühl von sehr vielen Jüdinnen und Juden in den USA widerspiegelt, wie Jonathan Freedland festhält, was wiederum Yonit Levi amüsiert, da sie ihrem britisch-jüdischen Kollegen gar nicht zugetraut hätte, dass er South Park schaut…

Die Haaretz hat den Propagandaauftritt Netanyahus vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen – vor weitgehend leerem Haus, fast alle Delegationen der ganzen Welt hatten die Sitzung verlassen, als Netanyahu das Rednerpult betrat – diese Woche auf den Punkt gebracht:

Immer und immer wieder kam er auf den 7. Oktober zurück, zu einer Zeit, in der die Welt auf die schrecklichen Szenen in Gaza fokussiert ist, wo Hunderte und Tausende von Kindern und Babys zerfetzt werden. Alle liegen falsch – außer ihm. Dutzende von Staats- und Regierungschefs, treue Freunde Israels, die in ihren eigenen Ländern gegen Antisemitismus kämpfen und nach dem Massaker nach Israel kamen, um ihre Solidarität zu bekunden, hatten fast zwei Jahre lang davon abgesehen, Maßnahmen zu ergreifen, obwohl klar war, dass der Krieg nur dazu diente, seine Koalition zu erhalten – sie wurden von ihm beschuldigt, sich „voreingenommenen Medien“, „Terror“ und dem Islam zu beugen.
Seine Entourage, die zwei Reihen dominierte, spendete ihm nach jedem zweiten Satz Standing Ovations. Selbst die quasi Cheerleader auf der Tribüne kratzten hier und da Applaus zusammen. Doch das unterstrich nur die globale Isolation Israels: Netanjahu und seine törichten Spielereien spielen keine Rolle mehr. Er gilt als Relikt, als korrupter Politiker, der sich mit rassistischen Parteien verbündet hat, um an der Macht zu bleiben. (Übersetzung CH)

Das ist der Punkt. Frankreich, England, Australien, Kanada sind enge Verbündete Israels, sie des Antisemitismus oder der Nähe zur Hamas zu beschuldigen, wie es Netanyahu in der ihm eigenen vulgären Tonart getan hat, beschädigt den Zionismus und Israel ganz massiv und gefährdet jüdisches Leben in der Diaspora und zeugt von einer immensen Menschenverachtung was die Palästinenser in Gaza betrifft.

Ein sich offenbar besonders pro-israelisch vorkommender Autor der taz sekundiert ein solches Netanyahu-Verhalten mit einem vorgeblich satirischen Beitrag, der kaum anders als zynisch und rassistisch zu lesen ist:

Ein kühler Septembermorgen in der Lüneburger Heide. Und doch liegt schon früh eine aufgeheizte Spannung über Bispingen, einer 6.500-Seelen-Gemeinde, rund fünfzehn Kilometer nordöstlich der Heidemetropole Soltau. Eingebettet in ein touristisches Gewerbegebiet an der A 7 zwischen Snow Dome, Kartbahn und Trampolinlandschaft, öffnet hier heute mit dem Gaza-Adventure-Dorf eine weitere Attraktion ihre Pforten. Auf 40.000 Quadratmetern erleben Besucher eine Art künstlichen Krisenstreifen – eine Mischung aus Themenpark, Freilichtbühne und Abenteuertraining.

(…)

Laiendarsteller in zerschlissenen, aber farbenfrohen Kostümen spielen die sogenannten Streifenbewohner. Sie tragen Habseligkeiten hin und her, diskutieren die Trinkwasserqualität oder lassen sich theatralisch auf improvisierten Matratzenlagern nieder. Viele der Schauspieler stammen aus den strukturschwachen Regionen der Umgebung. „Ich habe hier einen festen Job als Geiselnehmer gefunden und gleichzeitig macht es Spaß, die Gäste zum Nachdenken zu bringen“, sagt Lars D., 33. Der ehemalige Langzeitarbeitslose aus Fallingbostel wurde vom Jobcenter ans Adventure-Dorf vermittelt.

(…)

Zu den Highlights des Dorfprogramms zählen die stündlich per Sirenenalarm angekündigten „Verpflegungsausgaben“. Da inszenieren dann Schauspieler eine handfeste Prügelei um ein paar (plastene) Brotlaibe und erzeugen so für einige Minuten ein improvisiertes Chaos, in das die Besucher spielerisch miteinbezogen werden. Danach gibt es für alle Süßigkeiten und Wassermelonenlimo, stilecht serviert in löchrigen Metalldosen.

Wer das angesichts des konkreten und unermesslichen Leidens in Gaza lustig findet, sollte vielleicht am besten nochmal ganz von vorne anfangen.

Und das sage ich als ein Wissenschaftler, Public Intellectual und Aktivist, der schon im Januar 2001 mit einer autonomen oder antideutschen Gruppe in Bremen den Antizionismus der Linken wie der Revolutionären Zellen analysierte und kritisierte.

Die taz wird sekundiert vom Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, der jetzt einen Briefwechsel mit dem Publizisten Hamed Abdel-Samad in der Urania in Berlin vorstellte. Abdel-Samad hat eine scharfe Kritik an Israel. Diese Kritik kommt von einer grundsätzlich pro-israelischen und anti-islamistischen sowie gegen den Antisemitismus gerichteten Haltung. Gleichwohl ist seine Verwendung des Wortes „Genozid“ vorschnell. Aber er ist dennoch um Welten realitätsnaher und eloquenter, selber denkend, als sein Gegenüber. Die Süddeutsche bringt es in einem Text, der diese Buchvorstellung zum Thema hat, auf den Punkt, in dem sie Engel selbst zitiert:

Bei der Buchvorstellung sagt Engel ein paar Mal: „Jetzt klinge ich wie der israelische Regierungssprecher.“ Und Hamed Abdel-Samad bestätigt, ja, genau so klinge er.

 

Was bleibt?

Indonesien stellt sich trotz dieser Kriegsverbrechen, die es benennt und mit dem Wort „Genozid“ falsch benennt – das Wort „Kriegsverbrechen“ ist doch scharf und treffend genug -, hinter Israel und fordert die ganze muslimische Welt auf, Israels Sicherheit zu gewährleisten.

Das ist ein Fingerzeig nach Saudi-Arabien und Nahost von Fernost. Und tatsächlich: Wenn die Geiseln freikommen, der Krieg beendet ist und Netanyahu weg ist, dann könnte es in der Tat zu Sicherheits- oder Friedensabkommen mit Saudi-Arabien und der ganzen arabischen Welt kommen. Dazu braucht Israel eine neue und eine seriöse, nicht-rechtsextreme Regierung.

Sodann zeigen die sehr scharfen, politisch, diplomatisch wie künstlerisch professionell präsentierten Kritiken an der Kriegspolitik Israel von Seiten Frankreichs, des UK, Australiens und anderer, von Steffen Seibert und von South Park, dass eine Kritik an der aktuellen israelischen Regierung Kernpunkt jedweder Israelsolidarität sein muss.

Denn neben dem Krieg in Gaza kommt ja noch die rechtsextreme Siedlungspolitik im Westjordanland und die Siedlergewalt sowie das finanzielle Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) durch Israel hinzu, die eine Zweistaatenlösung unmöglich machen sollen. Netanyahu selbst hat im September 2025 gesagt, dass das Projekt E1 einen Staat Palästina für alle Zeiten unmöglich machen wird:

„Es wird keinen palästinensischen Staat geben“, erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu bei der Zeremonie am Donnerstag in Ma’ale Adumim. Im Jahr 2009 hatte er in seiner berühmten Bar-Ilan-Rede noch für einen palästinensischen Staat ausgesprochen, und im Jahr 2020 hatte er einem solchen Staat als Teil des „Deals des Jahrhunderts“ von US-Präsident Donald Trump unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. Die Regierungsminister, die an der Zeremonie am Donnerstag teilnahmen, sind jedoch zuversichtlich, dass es diesmal kein Zurück mehr geben wird.
(Übersetzung CH)

Netanyahu wird und er darf nicht Recht behalten, denn sonst hat Israel als jüdischer und demokratischer Zeit keine Zukunft.

Das wird die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nicht nachvollziehen können, da sie ihre Aktivitäten vermutlich als pro-israelisch einstufen wird. Wer sich aber in Aufrufen zu Demonstrationen zu Israel und gegen Antisemitismus nicht auch gegen Netanyahu, gegen den Krieg ausspricht, der Palästinenser tötet und die Geiseln in noch größere Lebensgefahr bringt, vorsätzlich und gegen die Warnungen der IDF selbst, hat die Zeichen der Zeit nicht gesehen und lebt weit hinterm Mond oder eben im Ländle.

Besser South Park als DIG.

 

 

Selbstverständlich: Man darf selbst Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden. Aber man muss auch nicht um sie trauern. Der Fall Charlie Kirk

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Mord an dem rechtsextremen Influencer und Aktivisten Charlie Kirk hat den Kulturkampf der Rechten gegen Linke noch weiter munitioniert. Man darf Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden.

Menschliches Zusammenleben wäre sonst nicht möglich.

Da sehr viele Menschen Antisemiten sind, noch mehr Menschen sind Sexisten, wieder andere kapitalistische Verbrecher, viele sind gegen Israel, evangelikale Christen sind gegen Abtreibung, Feminismus und ein selbstbestimmtes Leben, Neonazis machen Witze über den Holocaust – die kann man nicht alle töten wollen, das wäre absurd. Man darf auch keine Influencer oder Superreichen oder Staatspräsident*innen ermorden, weil sie eine gefährliche Politik machen oder einem nicht passen.

Dass die Welt voll ist von unangenehmen, abstoßenden bis ekligen Existenzen, ist so. Und nicht erst heute.

Das ist bitter, aber kaum zu ändern.

Man muss dafür kämpfen, dass solche Leute nicht die Macht bekommen. Doch dieser Kampf wurde zum Beispiel und epochenprägend 2016 in den USA stellvertretend für den ganzen Westen verloren.

Trump wurde damals erstmals Präsident, Inauguration im Januar 2017.

Das war und ist die Katastrophe für die Demokratie in den USA und weltweit ein Fanal: Hetze und rechte Politik lohnen sich, man wird dadurch reich und mächtig. Das ist die Message. Und sie verfängt bei vielen, sehr vielen. Auch bei jungen Menschen.

Ob der mutmaßliche Mörder von Charlie Kirk vom 10. September 2025 aus politischen Motiven handelte, ein Linker oder doch eher selbst ein MAGA-Anhänger ist, ist weiter unklar. Doch selbst die bloße Erwähnung, dass Kirk vielleicht von einem aus den eigenen Reihen ermordet wurde, führte in den USA zu einem Durchdrehen im Medienbetrieb und der Komiker und Talkshow-Moderator Jimmy Kimmel wurde umgehend vom Sender ABC entlassen, nachdem Trump das indirekt eingefordert hatte. Das Ende der Meinungsfreiheit in den USA, eine Katastrophe in einem gespaltenen Land. Eine Spaltung die Trump ja möchte und täglich verschärft.

Trump macht gegen kritische Medien und alle, die gegen die Neue Rechte aktiv sind, aggressiv mobil, wie Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen in der Tagesschau sagt.

Dabei geht es um die skandalöse Absetzung von Kimmel, aber auch um die geplante Verkürzung der Visas in den USA für Auslandskorrespondent*innen. Bislang galten die fünf Jahre und sollen in Zukunft nur noch acht Monate gelten.

Trump möchte eine ihm genehme Presse, Demokratie, Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit – denken wir an seine Kampagne gegen die Universitäten, die ihre Unabhängigkeit verlieren sollen, vorgeblich, um „Antisemitismus“ besser bekämpfen zu können – zählen nicht.

Der antisemitische Verschwörungsanhänger Trump behauptet, gegen Antisemitismus, den es ja unzweifelhaft gibt, an amerikanischen Universitäten vorzugehen. Doch ihm geht es nicht wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus, sonst wäre er nicht Trump.

Ihm geht es um ein ein autoritäres Durchregieren ohne Diskussion, um ein Einschüchtern von Trump-Kritiker*innen und -gegner*innen. Jüdische und zionistische Senatoren wie Chuck Schumer und andere verwahren sich gegen Trumps Versuch mit dem Vorwand, gegen Antisemitismus zu sein, die Wissenschaftsfreiheit auszuhöhlen.

Womöglich war der Mörder von Charlie Kirk ein Vertreter der völlig vom Internet abhängigen Gamer-und-Meme-Unkultur, wie die taz schreibt:

In einem Blogpost hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler Weise in die echte Welt tragen.

Die von der taz verlinkte „Polarkreiskorrespondentin“ Berit Glanz schreibt Nachdenkliches über die Gefahren der Onlineunkultur und die Ignoranz, Naivität oder gefährliche Arroganz jener, die nur offline leben:

Die Veränderung der Welt durch Internetkultur betrifft mittlerweile eben nicht mehr nur Einzelpersonen, die einfach mal Gras anfassen sollten. Internetkultur ist keine Nische mehr, die man wahlweise ignorieren oder als obskuren Quatsch verlachen kann – wie es beispielsweise noch bei GamerGate vor zehn Jahren der Fall war. Es fühlt sich wirklich unfassbar an, dass man das 2025 überhaupt noch benennen muss. Das Internet ist in den letzten Jahren zentraler Teil einer Radikalisierungspipeline geworden, mit unterschiedlichen Phänomenen, Subkulturen und Referenzrahmen. Die massive Ausdifferenzierung verschiedener Communities trägt dazu bei, dass es immer schwieriger wird Subkulturen mit komplexen eigenen Codes und Referenzen zu verstehen. Dafür braucht es Expert*innen, die diese Kulturen nicht nur erklären, sondern auch dechiffrieren können.

Der Publizist Philipp Greifenstein, den Glanz positiv hervorhebt und verlinkt, analysiert den Antisemitismus von Charlie Kirk:

Besonders ins Auge sticht der Antisemitismus, der zahlreichen Äußerungen Kirks zugrundeliegt und den er ganz offen bekundet hat. So sah er in Film-, Kultur- und Medienbranchen eine jüdische Übermacht am Werk. Er unterstellte „den Juden“, durch massenhafte Einwanderung an der „Überfremdung“ der USA zu arbeiten (Great Replacement Theory). Jüdische Investoren, so Kirk, steckten hinter liberalen Initiativen an Colleges und der „Black Lives Matter“-Bewegung. Übersetzt in traditionelle Begrifflichkeiten bedeutet das: Charlie Kirk glaubte und verbreitete den Mythos von einer „jüdischen Weltverschwörung“.

Weil er bis zuletzt die Kriegsführung Israels im Gaza-Streifen verteidigte, bezeichnete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ihn in einem Statement nach seinem Tod als einen „löwenherzigen Freund Israels“. Ein unfreiwillig treffendes Statement, denn Kirk stand dem evangelikal-messianischen Zionismus nahe, der alte Kreuzfahrer-Tropen ausschlachtet und demzufolge durch einen großen Krieg im Heiligen Land der jüngste Tag anbrechen soll. An Kirks Antisemitismus wird inzwischen auch in israelischen Medien erinnert.

Der von Greifenstein zitierte Blog-Text in der Times of Israel von Dan Jacobs schreibt zum Antisemitismus von Charlie Kirk und zitiert den Hetzer:

„Die wichtigste Finanzierungsquelle für radikale, offene Grenzen, neoliberale, quasi-marxistische Politik, kulturelle Einrichtungen und gemeinnützige Organisationen sind jüdische Spender … Sie kontrollieren nicht nur die Hochschulen, sondern auch gemeinnützige Organisationen, Filme, Hollywood, einfach alles.“

Die a-sozialen Medien sind der entscheidende Faktor in den heutigen Hasskampagnen, die bis hin zu Mordaufrufen wie gegen Dunja Hayali und andere führen. Darauf weist auch die Publizistin Ingrid Brodnig in einem interessanten Gespräch mit dem WDR hin.

Auch Radikalfeministinnen, die sich für ein Leben jenseits der 08/15-Normalfamilie und jenseits des natalistisch-patriarchalen Imperativs einsetzen, werden so bedroht. Weil viele andere Meinungen nicht ertragen können. Und das sind großteils extreme Rechte. Was wiederum die Linken nicht exkulpiert, deren Klatschen oder Schweigen am 7. Oktober zeigt die Gewaltaffinität von sehr vielen Linken, wenn es um den Mord an Juden und Israelis geht.

Nicht zuletzt die an sich marginale Pro-Israel Szene in Deutschland hat wiederum gejubelt, als Trump 2016 erstmals als Präsident gewählt wurde, ja sie hat mitunter Trump hegelianisch gerechtfertigt und raunt bis heute, dass es doch unterm Strich gut ausgehen würde für Juden und Israel – wegen Trump. Dass es auch wegen Trump das schrecklichste antisemitische Massaker in den USA gab – in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh am 27. Oktober 2018, als ein Rechtsextremer 11 Juden ermordete – und seine Verschwörungsmythen Millionen von Menschen fanatisieren und in solchen Verschwörungsmythen immer antisemitische Tropen enthalten sind – das interessiert sie nicht.

Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Kapitalismus – das sind alles sehr üble Ideologien, Tendenzen und Ansichten. Aber man darf deshalb diese Leute nicht ermorden. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Doch das reicht den rechten Hetzern nicht. Man darf nicht erwähnen, wer Charlie Kirk war. Tut man es, so wie es die Journalistin Dunja Hayali getan hat, bekommt man Morddrohungen. Gerold Riedmann schreibt im österreichischen Standard:

Nahezu jeder, der nach Kirks Ermordung wagte, ihn inhaltlich zu kritisieren, wurde in einen Shitstorm gezerrt. Es reichte, die Dinge klar zu benennen, sei es auch nur im deutschen Fernsehen. Nichts von dem, was Journalistin Dunja Hayali vor einer Woche über Kirk im ZDF sagte, war falsch. Der Ermordete sei ein „extremer und extrem umstrittener Influencer“ gewesen, so Hayali unter anderem. Die heftigen Reaktionen reichten von Todeswünschen bis zu Todesdrohungen, Hayali verabschiedete sich in eine Pause. Das rechtspopulistische Portal Nius des ehemaligen BildChefredakteurs Julian Reichelt befeuerte – wieder einmal – den digitalen Hass.

In der Wiener Zeitung schreibt Eva Sager knapp und klar:

Hinter der öffentlich bekundeten Anteilnahme und Trauer steht meistens eben auch ein dezidiertes politisches Ziel. Kirk selbst war einer der führenden rechten Kulturkämpfer, er nannte Abtreibungen schlimmer als den Holocaust, forderte „Nürnberger-Prozesse“ für Ärzt:innen, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen und erklärte den Islam für nicht kompatibel mit westlichen Werten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wer das ignoriert, lässt sich einspannen.

Wenn wir uns erinnern, wie der Springer-Konzern den Tech-Milliardär, Aktivisten und X-Inhaber Elon Musk publizierte und somit promotete mit dessen Wahlplädoyer für die AfD kann man sehen, wie weit die Neue Rechte dabei ist, unser Leben massiv zu bestimmen. Der Journalist Patrick Gensing schreibt dazu:

Die Regeln dieses Raumes werden von wenigen, sehr mächtigen Akteuren gesetzt. Wenn der reichste Mann der Welt, Elon Musk, auf einer Demonstration von Rechtsextremen in London per Videoschalte zu einer Art Endkampf aufruft und gleichzeitig mit X eines der größten Medienunternehmen der Welt betreibt, verschieben sich die Koordinaten dramatisch. Musk profitiert doppelt: von der Radikalisierung der Debatten, die auf seiner Plattform stattfinden, und von seiner eigenen Inszenierung als angeblicher Verteidiger der Meinungsfreiheit.

Dunja Hayali hatte als Moderatorin des ZDF Heute-Journals am 11. September 2025 (21:45 Uhr) die Ermordung von Charlie Kirk als zentrales Thema der Sendung. Sie sagte gleich zu Beginn ihrer Moderation:

Wo soll das alles hinführen? Im Land der Meinungsfreiheit, den USA, scheint es immer weniger möglich zu sein, andere Meinungen auszuhalten oder dagegen zu halten, ohne dass es eskaliert. Opfer dieser zunehmenden Spannungen wurde gestern Charlie Kirk. Der 31-jährige war ein extremer und extrem umstrittener Influencer, der für Donald Trump seit Jahren massiv die Werbetrommel gerührt hat. Insbesondere bei jüngeren Konservativen, Christlichen und auch Rechtsradikalen, kam er sehr gut an. Gestern wurde Kirk bei einem Auftritt an der Utah Valley University erschossen. Der Täter ist weiter auf der Flucht und viele Fragen sind weiterhin offen.

Nach einem Einspieler aus den USA kommentiert Hayali:

Dass es nun Gruppen gibt, die seinen Tod feiern, ist mit nichts zu rechtfertigen. Auch nicht mit seinen oftmals abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen. Offensichtlich hat der radikal-religiöse Verschwörungsanhänger aber auch genau damit einen Nerv getroffen.

Das ist eine treffende und journalistisch-professionelle Einordnung dieser Person.

Doch rechten Medien aller Art war das zu viel Einordnung, zu viel Kontext und zu viel Kritik an einem von den ihren. Dabei hat sich Hayali eindeutig von dem Mord distanziert und ist sogar bekannt dafür, auch mit sehr problematischen Leuten oder Organen zu reden. Doch Rechte vertragen keine Kritik. Schon gleich gar nicht, wenn es um einen der einflussreichsten Influencer ihrer Kernthemen geht: Migration, Frauen, Feminismus, Transmenschen, Abtreibung, Holocaustverharmlosung.

Kirk sagte im Juli 2025, dass „wir“, die „Turning Point America“-Bewegung, die er selbst gründete und anführte, die USA von „super woke“ zu „super patriotisch“ gemacht hätten. In einem Gespräch mit dem „Intelligencer“ betont die Journalistin Kyle Spencer, die sich seit Jahren mit dem Aufstieg der Neuen Rechten und mit Charlie Kirk beschäftigt hat, dass es gerade gar nicht sehr woke zugehe an vielen Campussen, sondern reaktionär, nationalistisch und rechts.

Und diese Agitation gegen „woke“ an und für sich hört man auch bei Akademikerinnen und Akademikern, meist jedoch nur privat, weil sie sich das öffentlich noch nicht immer trauen, jedenfalls nicht, wenn sie eine Universitätskarriere anstreben oder nicht frühzeitig beendet wissen wollen.

Kirk trug T-Shirts mit der Aufschrift „resist the Left“.

Er verglich das Tragen von Masken, so absurd und epidemiologisch sinnfrei es war, mit der Kontrolle von Waffenbesitz. Beides würde einen in Sicherheit wiegen, die es nicht gebe.

Kirk hoffte, dass sich die Musikerin Taylor Swift nach ihrer Verlobung mit dem Sportler Travis Kelce diesem „unterordne“, was sein reaktionäres Frauenbild unterstreicht, das zu seinem christlichen Glauben passt.

Die rechtsextreme MAGA-Bewegung – Make America Great Again – von Donald Trump hatte in Kirk einen ihrer wichtigsten Vertreter der jüngeren Generation. Dass der Staatschef des mächtigsten Landes der Erde auf der Beerdigungsfeier für Kirk spricht, ist skandalös und zeigt, dass Amerika keine wirkliche Demokratie mehr ist, sondern ein autokratischer Staat, der zwar noch eine Gewaltenteilung hat, aber der Präsident agiert wie ein Alleinherrscher, der rechtsextreme Ideologie promotet und fördert.

Schließlich ist bemerkenswert, dass in dem eigentlich recht knappen Kommentar von Hayali zwar richtigerweise der Rassismus und Sexismus von Kirk thematisiert wird, aber das Schlimmste, was Kirk jemals sagte, kommt hier nicht vor. In einer Diskussion mit einer Studentin auf einem Campus lehnte Kirk Abtreibungen kategorisch ab und trivialisierte den Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen (und ihre Helfershelfer), auf folgende Weise:

„Du verwendest eine entmenschlichende Sprache, wenn Du sagst: ‚Oh, es ist nur ein Embryo‘. Nein, es ist ein Baby, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, das Schutz verdient. Es ist niemals richtig, die Massenvernichtung von Menschen unter dem Vorwand zu rechtfertigen, dass sie unerwünscht sind. So kommt es zu Auschwitz, so kam es zum größten Horror des 20. Jahrhunderts“.

Sodann fragte eine Studentin:

„Du vergleichst also Abtreibung mit dem Holocaust?“

Charlie Kirk: „Ja, das tue ich. Tatsächlich ist es sogar noch schlimmer. Es ist schlimmer. Es ist schlimmer. Es sind tatsächlich 45 Millionen Babies. Es ist achtmal schlimmer als der Holocaust.“

Dieser Antisemitismus wurde von den allermeisten auf diesem Campus beklatscht, ja sie johlten. Das zeigt, wie judenfeindlich und antisemitisch die religiös-indoktrinierte Jugend in den USA ist. Und einer, der sie so indoktrinierte, war der Antisemit Charlie Kirk.

Das ist aber kein Grund ihn umzubringen.

Antisemiten in den USA und weltweit beginnen jetzt den Mord an Kirk Juden und Israel zuzuschieben. Der von Kirk vielfach beschworene antisemitische Verschwörungsmythos wie der angeblich „gestohlenen Wahl“ von Trump im Jahr 2020, als er gegen Joe Biden die Wahl zum US-Präsidenten verlor, kehrt jetzt in anderem Kontext wieder.

Juden und Israel werden nun von antisemitischen Influencern und Hetzern beschuldigt, Kirk ermordet zu haben:

Nach der Ermordung von Kirk machten Antisemiten in den sozialen Medien auf einen fast einen Monat alten X-Beitrag von Harrison Smith aufmerksam. Smith, Journalist des rechtsextremen Medienunternehmens Infowars, hatte zuvor Israel beschuldigt, Jeffrey Epstein ermordet und Präsident Donald Trump daran gehindert zu haben, die sogenannten „Epstein-Akten“ zu veröffentlichen. Er behauptete fälschlicherweise, dass eine „globale Regierung“ von Israel aus die Weltpolitik lenke. (Übersetzung aus dem Englischen CH)

Manche Linken wiederum glauben ebenso an diese Legende von Epstein, Sex, Mossad, Juden und Verschwörung, Israel habe Epstein benutzt um Mächtige zu beeinflussen. Eine perfide antisemitische Verschwörungsideologie, die wir aus dem Mittelalter kennen, als Juden zum Beispiel in der Blutlegende der Mord an christlichen Kindern vorgeworfen wurde, aus deren Blut sie ihre Matzen backen würden.

Diese Obsession mit Blut zeigt sich auch jetzt bei der Heiligsprechung von Carlo Acutis, der als 15-jähriger 2006 an Leukämie starb und jetzt durch die katholische Kirche und den Vatikan heiliggesprochen wurde. Acutis hatte damals eine Sammlung von Beispielen der Blubeschuldigung angefertigt, die viele historische Beispiele zeigt, wo Juden des Jesusmordes beschuldigt wurden oder der ‚Verletzung‘ von Oblaten (daran glauben katholisch-fanatische Christen wirklich). Dass so ein Junge mit so einer Ideologie heiliggesprochen wird, obwohl doch selbst die katholische Kirche im zweiten Vatikanischen Konzil der 1960er Jahre den Mythos ablehnte, Juden seien am Tod Jesu schuld, ist schockierend.

Charlie Kirk hat den antisemitischen Mythos des „Kulturmarxismus“, der Universitäten unterwandere, massiv verbreitet. Das ist ein rechtsextremer Topos den wir aus der Zeit des Nationalsozialismus und schon zuvor in der Hetze gegen den „jüdischen Bolschewismus“ kennen. Zuletzt hatte 2011 der norwegische Neonazi Anders Breivik die Hetze gegen den „Kulturmarxismus“ als Begründung für sein Massaker an Dutzenden Jungsozialist*innen herangezogen.

Auch an Universitäten ist unter neu-rechten Agitator*innen die Rede vom ‚gefährlichen Adorno‘ und der ‚zersetzenden‘ Kritischen Theorie verbreitet. Der Psychologe und Männerbewegungseinpeitscher Jordan Peterson verwendet den Kampfbegriff „Kulturmarxismus“ ebenso.

Der Begriff „Kulturmarxismus“ scheint um 2016 erstmals in den Mainstream-Medien vorzukommen, als der Psychologe Jordan Peterson gegen einen kanadischen Gesetzentwurf protestierte, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten sollte. Peterson machte den Kulturmarxismus für Phänomene wie die Bewegung zur Achtung geschlechtsneutraler Pronomen verantwortlich, die seiner Ansicht nach die Meinungsfreiheit untergräbt.

Der Begriff ist jedoch viel älter. Er scheint erstmals vom Schriftsteller Michael Minnicino in seinem 1992 erschienenen Essay „The New Dark Age“ verwendet worden zu sein, der vom Schiller-Institut veröffentlicht wurde, einer Gruppe, die mit der rechtsextremen Persönlichkeit Lyndon LaRouche in Verbindung steht.

Um die Jahrhundertwende wurde der Begriff von einflussreichen amerikanischen Konservativen übernommen. Der Kommentator und dreimalige Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan machte den „kulturellen Marxismus“ für viele der seiner Meinung nach bestehenden Missstände in Amerika verantwortlich, von Frauenrechten und Schwulenaktivismus bis hin zum Niedergang der traditionellen Bildung.

(Übersetzung aus dem Englischen CH)

Doch Marxismus, Adorno und das Kulturestablishment werden von vielen Forscher*innen, Publizist*innen und zumal den Millionen Follower einheizenden sogenannten Influencern abgrundtief gehasst. Judenhass und Anti-Links-Sein sind wieder so angesagt wie zu Zeiten des Nationalsozialismus. Das ist keine Polemik, das ist eine Beschreibung der Wirklichkeit.

Da sind jene neu-rechten Ideolog*innen bis heute im Panikmodus, wenn eine Promotionsordnung an einer Universität beschließt, zukünftig aus Inklusionsgründen das Gendersternchen zu verwenden, ohne zu erwähnen, dass bundesweit die Agitation von der Bundesregierung bis zur bayerischen Staatsregierung doch aggressiv gegen Inklusion und Gendersternchen ist.

Was für ich-schwache Persönchen sind das, die ein Problem mit einem Genderstern haben? Wie unsicher sind solche Professorinnen und Doktoranden oder Publizist*innen und Politiker*innen oder Bauarbeiter, dass sie regelrechte Panik kriegen oder Schreikrämpfe, wenn sie in einem Text oder einer Rede ein Gendersternchen sehen oder heraushören? Was sind das für ich-schwache und somit super autoritäre Würstchen?

Sexismus, Antifeminismus, Transphobie und Antisemitismus gehen sehr eng zusammen und sind Kernpunkte neu-rechter Ideologie.

Der Antisemitismus von Kirk wiederum ist für die Rechten in Deutschland kein Grund, ihn als einen Hetzer zu erkennen, nein, sie agitieren gegen alle, die sich kritisch mit Kirk beschäftigen.

Die Reaktion auf den Mord an Kirk ist ein Grund sich gegen jene Autoren, Hetzer, Professorinnen, Doktoranden, Publizist*innen, Medien zu stellen, die jetzt öffentlich oder auf privaten Geburtstagsfeiern oder beim Smalltalk in der Kneipe die Entlassung von Dunja Hayali fordern und gleichzeitig zum Antisemitismus von Kirk und seinen vielen Millionen Followern schweigen.

Hayali ist Journalistin und hat in dem in Frage stehenden Beitrag die schockierende Realität in den USA analysiert und kommentiert. Das ist wichtig, weil sie somit einen Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung leistet. Einen solchen Beitrag will die Neue Reche nicht leisten, sie will den Kulturkampf, sie will den Trumpismus, sie will Holocausttrivialisierer und Antisemiten wie Charlie Kirk als Märtyrer sehen.

Zionistischer Protest gegen den Krieg: Millionen auf die Straße in Israel!

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der israelische Politiker Gilad Kariv (MK, Member of Knesset) fordert heute, 17. September 2025, angesichts der Bodenoffensive der israelischen Armee gegen Gaza-City, die Bürger*innen in Israel auf, millionenfach auf die Straße zu gehen und gegen die weitere Eskalation des Gaza-Krieges durch die religiös-rechtsextreme israelische Regierung zu protestieren:

This Israeli government is drunk on power and corruption.
A million patriotic Israelis need to take to the streets in the coming days to send a clear message, including to Washington, that the vast majority of Israelis are unwilling to allow Israel to become Sparta.

It is time to tell Netanyahu: stop this madness.

Der Diplomat und ehemalige Kanzlerinnenberater Christoph Heusgen, der in vielen politischen Fragen wie zum Ukraine-Krieg, den er schon 2023 mit deutschen Waffen für die Ukraine eskalieren wollte, katastrophale, militaristische, antidiplomatische und extreme „Zeitenwende“-Ansichten hat, sagt mitunter auch durchaus Nachdenkenswertes, auch wenn das ein Zufall sein sollte. Der Titel ist natürlich reißerisch und bemüht das Wort „Genozid“, obwohl die Kriegsverbrechen Israels gerade kein Genozid sind. Selbst der Chef der Vereinten Nationen (UN) sieht die Kriegsverbrechen, nennt sie aber auch nicht Genozid.

In der Berliner Zeitung heißt es im Gespräch mit Christoph Heusgen am 13. September 2025:

Aufgrund unserer Geschichte tragen wir eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson – und das sollte auch so bleiben. Aber wissen Sie, es kommt auf die Definition des Begriffs „Sicherheit“ an. Wenn man sieht, wie sich Israel durch sein völkerrechtswidriges Handeln in der Welt immer mehr isoliert – und der jüngste Angriff auf Katar ist ein weiterer unverfrorener Schritt –, dann wird deutlich, dass diese Politik die Sicherheit Israels langfristig gefährdet. Wir haben die Verantwortung, Israel zu sagen, dass es mit seiner aktuellen Politik nicht weiterkommen wird.

Das hebt Heusgen von jenen ab, die meinen in der Pro-Israel-Szene aktiv zu sein, aber die zu den Kriegsverbrechen von Netanyahu und der ganzen Regierung sowie der IDF schweigen oder zustimmen.

Es ist ganz einfach: Wer für Israel ist, ist gegen diesen Krieg. Selbstredend sind auch unendlich viele Leute gegen diesen Krieg, die Antisemiten sind und am 7. Oktober geklatscht oder geschwiegen haben. Diese menschlichen Wracks haben sich für alle Zeiten disqualifiziert. Und das sind sehr viele, die meisten Nachbar*innen, Unidozent*innen, Professor*innen, Arbeitskolleg*innen, mitunter Verwandte und natürlich ‚Freund*innen‘, die jetzt keine mehr sind.

Der Krieg gegen die Muslimfaschisten der Hamas und des Islamischen Jihad begann als gerechter Krieg. Doch er wurde zu einem Krieg, der nur noch aus Kriegsverbrechen besteht, dem Töten via Hunger, Ermorden via gezieltem Erschießen beim Warten auf Essenspakete sowie der Zerstörung von Gebäuden und der kompletten Infrastruktur einfach nur weil es Gebäude und die Infrastruktur der Palästinenser sind, ohne dass aus diesen Gebäuden oder einer Entsalzungsanlage oder Stromnetzwerken etc. pp. Terrorgefahr ausging.

Netanyahu zeigt seinen eigenen Rechtsextremismus jetzt auch noch offener als bisher. Er hat vor wenigen Tagen öffentlich erklärt, dass es keinen Staat Palästina je geben wird. Das sagte er bei der feierlichen Eröffnung des Bauprozesses des skandalösen und seit Jahrzehnten geplanten E1-Siedlungsprojektes im Westjordanland.

Dazu kommt das Gewährenlassen von nationalistischen oder religiös-fanatischen Siedlern im Westjordanland, die regelmäßig pogromartige Angriffe auf die Palästinenser*innen starten, Häuser anzünden, Menschen ermorden, Tiere töten oder entführen und so weiter und so fort.

Ende Juli 2025 sprachen sich viele arabischen und muslimischen Staaten erstmals gegen die Hamas aus. Sie fordern die Entwaffnung der Hamas und verurteilen die Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober. Was macht Netanyahu? Er greift einen Staat an, den Israel zuvor seit 2012 gebeten hatte, die Hamas zu füttern, Katar! Katar ist ein elender muslimischer Staat – der aber für Deutschland, die USA und nicht zuletzt Israel ein Bündnispartner war, nicht nur bei der Fußball-WM, sondern auch bei Fragen der Diplomatie mit jihadistischen Gruppen.

Israel und die USA hatten die Hamas gebeten, sich zu treffen, um über einen weiteren Deal zu diskutieren. Und dieses Vorab-Treffen der Hamas griff Israel nun an – 5 Tote, allerdings nicht die avisierte Führungsebene der Hamas.

Netanyahu wird Israel zerstören. Das sehen (womöglich und vermutlich) Millionen von Israelis so. Aber ob sie auch endlich zu Millionen auf die Straße gehen?

Es ist grotesk, wenn selbst ernannte Pro-Israel Gruppen bei Vorträgen die Referent*innen bitten, über alles Mögliche zu reden, aber bitte nicht über die aktuelle Situation in Israel! Das gibt es tatsächlich solche Gruppen und Bündnisse, nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit.

Wer zum Rechtsextremismus Netanyahus und seiner Bande und zu den Kriegsverbrechen der IDF schweigt, macht sich mitschuldig.

Das heißt nicht, dass jene, die nur darauf gewartet haben, Israel als „faschistisch“ zu bezeichnen und somit den Holocaust trivialisieren wollen und die dermaßen beliebte Täter-Opfer-Umkehr bedienen, jetzt reden dürfen. Wer zu den präzedenzlosen Verbrechen der Palästinenser vom 7. Oktober geschwiegen hat, soll in alle Ewigkeit schweigen.

Dann gibt es aber auch linke Pro-Israels. Manche eher kritisch-reflektierenden antideutschen Pro-Israelis wie Fans des Bundesliga-Klubs St. Pauli gehören dazu. Diese waren die letzten Jahre bekannt für ihren Pro-Zionismus, jetzt haben sie völlig zu Recht massive Kritik an Netanyahu, belegen diese aber mit dem falschen Wort „fascist“, wie die taz berichtet. Antideutsch und gegen diesen Krieg, das ist Zionismus, in der Tat!

Es gibt Verschwörungsantisemiten, die glauben wirklich, dass Israel den pädophilen Sexstraftäter Epstein („Mossad!!“ kreischen die dann) auf alle möglichen einflussreichen Politiker und Kapitalisten und andere angesetzt habe – weil das ein Zeichen sei, dass Juden die Welt beherrschten! Das glauben weite Teile der rechtsextremen MAGA-Bewegung von Donald Trump (der jetzt selbst ins Visier seiner Neo-Nazi Gefolgschaft gerät!).

Aber auch nicht wenige verschwörungsmythisch halluzinierende (mit und ohne Hanf etc.) und schon immer judenfeindliche Linke glauben daran zunehmend, wer das Pech hat, solche Gespräche in der Kneipe, an der Uni, am Arbeitsplatz, in der U-Bahn oder an anderen Orten mitzuhören, weiß das.

Dass amerikanische Politiker*innen von sich aus pro-israelisch aktiv werden könnten, darauf kommen diese neo-nazistischen, neu-rechten wie alt-linken Antisemiten nicht. Da muss geschmiert worden sein. Das glauben solche Volltrottel und wirklich Wahnsinnigen wirklich. Es ist ein jahrtausendealter antisemitischer Wahnglaube.

Dieser Verschwörungsantisemitismus ist extrem gefährlich. Er war auch die Grundlage der NSDAP.

 

Also: Nur wer Antisemitismus in all seinen Formen – all seinen Formen! – kritisiert und zudem zionistische Kritik am Vorgehen Israels übt, hat das moralische Recht, diese Kritik an den Kriegsverbrechen der IDF und Israels und an der E1- und Westbank-Politik zu üben.

Von daher gilt: Gilad Kariv und die demokratische und linke Opposition in Israel unterstützen und massiv gegen diesen unerträglichen Krieg, der die Geiseln töten wird, protestieren!

 

Massendemo in Jerusalem: „Benjamin Netanyahu als schlimmster Feind des jüdischen Volkes“

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Heute ist Tag 701 seit dem 7. Oktober 2023, als Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad die schrecklichsten Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah verübten. 1200 Israelis und einige Opfer anderer Nationalität, wurden auf unschilderbare Weise gefoltert und massakriert. Die männlich-muslimische Gewalt gegen Frauen wundert nicht, ist aber in ihrer unfassbaren Brutalität an diesem Tag wirklich kaum in Worte zu fassen.

Viele Muslime, Palästinenser*innen, Araber, Linke, Neonazis und andere feierten, leugneten oder verharmlosten diese antisemitischen Massaker.

Direkt danach sprachen viele dieser Anhänger*innen der antisemitischen Internationale von „Genozid“ – sie meinten nicht die in der Tat auf den Genozid an Juden zielenden Massaker vom Tag zuvor, nein: die Antisemiten aller Länder vom 8. Oktober meinten damit die bloße Existenz des einzigen Judenstaates, Israel. Kuffiyah und Melonen und „From the River to the Sea“ und „Stop the Genocide“ sind ihre Symbole und Parolen.

Die heutigen weltweiten Holocaustverharmlosungen, Täter-Opfer-Umkehrungen und das Geschwätz von „Genozid“ kann man sich quellengesättigt und kritisch eingeordnet in dieser Wikipedia-Tabelle anschauen („Scholarly and expert opinions on the Gaza genocide„).

Dort sind über 550 Forscher*innen, Aktivist*innen oder NGOs und Forschungsverbünde aufgeführt, die sich seit Oktober 2023 bis heute mit „Genozid“ und „Gaza“ beschäftigten, die meisten davon in antisemitischer und Holocaust verharmlosender sowie antizionistischer Motivation und Diktion.

Es werden aber auch viele wissenschaftliche Stimmen zitiert, die sich gegen diese inflationäre Verwendung des Begriffs „Genozid in Gaza“ wenden.

Dass die aktuellen und unerträglichen Kriegsverbrechen Israels in Gaza zu verurteilen sind und sofort aufhören müssen, ist davon völlig unbenommen. Ich habe gezeigt, dass sie nicht das sind, was einen „Genozid“ ausmacht, der in der kritischen Forschung für den Holocaust verwendet wird.

Die Hungerpolitik Israels, das Erschießen von unzähligen Zivilist*innen und unglaublich viele weitere Kriegsverbrechen in diesem mit riesigem Abstand längsten Krieg Israels müssen sofort aufhören.

Schon jetzt sind auf unabsehbare Zeit wahre Bilder von hungernden Kindern und Erwachsenen – auch der Geiseln – mit Israel verbunden und nicht nur mit der Hamas, deren Perfidie und islamofaschistische Theorie und Praxis schon zuvor bekannt war.

Israel wird zum Paria-Staat – und das unter Freunden, unter Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland, die nur wirklich Realitätsgestörte als Feinde Israels bezeichnen würden.

Heute nun, am Tag 701 der Geiselnahme von 251 Israelis und anderer, protestieren wieder Zehntausende, ja Hunderttausende in ganz Israel. Diesmal mit einem Schwerpunkt in Jerusalem, weil dort die Regierung sitzt.

Es geht den Demonstrant*innen, die völlig verzweifelt sind und seit vielen Monaten ihre Wut hinausschreien, um das Versagen der israelischen Regierung, das eigene Volk zu schützen und die Geiseln zu retten.

Während die IDF völlig beliebig, ohne konkrete Terrorgefahr, Hochhäuser in Gaza-City sprengt, sind die jüdischen und israelischen Geiseln am Krepieren. Für den Tod sind die Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad verantwortlich.

Aber es ist auch die israelische Regierung verantwortlich, darum geht es den Demonstrant*innen. Die Times of Israel berichtet:

Vor einer großen Menschenmenge bezeichnet Einav Zangauker, die Mutter des Geisels Matan Zangauker, Premierminister Benjamin Netanjahu als den schlimmsten Feind des jüdischen Volkes.

„Pharao, Haman, sie haben Pogrome gegen uns verübt – aber Du, Benjamin Netanjahu, Du übertriffst sie alle“, sagt Zangauker, die zu den lautstärksten Kritikern des Premierministers gehört.

Zangauker wirft Netanjahu vor, den Krieg in Gaza trotz der Warnungen einiger Mitglieder des israelischen Sicherheitsapparats vor den Gefahren einer solchen Vorgehensweise ausgeweitet zu haben, um den 7. Oktober aus seinem Vermächtnis zu tilgen.

„Dein einziges Vermächtnis ist das Massaker und das Versagen vom 7. Oktober“, sagt sie.

(Übersetzung aus dem Englischen von CH)

Man kann sich den Schmerz und die tagtägliche Angst, seit 701 Tagen, der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln nicht vorstellen. Viele haben seit 701 Tagen nicht eine einzige Nacht geschlafen.

Es geht darum, dass Netanyahu jetzt einen „Deal“ einfach nicht beantwortet, obwohl die Hamas einen vorgeschlagen hat, der fast exakt einem vorherigen Vorschlag Israels entspricht.

Die heutigen Demonstrant*innen wie die Hunderttausenden in den Letzten Wochen und die Millionen der letzten Monate, sehen in Netanyahus Politik eine perfide Politik, der es nur um die Verlängerung des Krieges geht, und nicht um den Schutz der eigenen Staatsbürger*innen, geschweigen denn um die Freilassung der letzten Geiseln.

Natürlich gibt es die Oberschlauen, die meinen, die Hamas sei gar nicht das einzige Problem, das Problem seien „die“ Palästinenser an und für sich. Damit wird es nie eine Friedenslösung geben, weil: die Palästinenser sind da.  Ohne ein Ende des natürlich grotesken „Rückkehrrechts“ von niemals in Palästina vertriebenen, weil in Köln, New York City oder Helsinki geborenen Palästinenser*innen, würde es nie eine Lösung geben.

Diese Leute sind fatalistisch und haben immer die gleiche Antwort: es liegt nur und immer schon an den Arabern bzw. den Palästinensern.

Was diese Leute nie verstanden haben: mit Feinden schließt man Friedensverträge, nicht mit Freunden.

Faschos wie Smotrich oder Ben Gvir irritieren diese Leute nicht, auch wenn sie sie nicht mögen. Dass diese Leute aber den Zionismus und das Judentum, das auf der Torah und Gerechtigkeit basiert, nachhaltig beschädigen, wenn nicht zerstören – egal!

Vor diesem Hintergrund ist es so dermaßen realitätsfern, was die Jüdische Allgemeine schreibt oder was ein Ferdinand von Schirach so von sich gibt, so gut er es als Nazi-Nachfahre, der seine Familie zurecht verabscheut, sicher meint („‚Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören'“, stellte von Schirach mehrfach klar“).

Das ist auch gut so. Aber er sollte sich gegen die israelische Regierung wenden, darum geht es.

Also natürlich nicht gegen Israel, klar – aber gegen jene, die gegen Israel sind und das ist vorneweg, so sehen es auch heute wieder die Hunderttausenden Demonstrant*innen: Benjamin Netanyahu.

Gegen diesen Mann muss man politisch aktiv sein und sich gegen ihn äußern, wenn man für Israel ist und gegen Kriegsverbrechen, für die Freilassung der Geiseln.

Er hat womöglich nicht ganz im Blick, was die Angehörigen der Geiseln durchmachen und weigert sich, die israelische Regierung frontal zu kritisieren, wie es notwendig ist.

Denkt er, die Anghörigen würden sich gegen Israel wenden, wenn sie massiv protestieren und nach Hilfe schreien? Sie wenden sich gegen eine kriminelle und rechtsextreme, religiös-messianische Regierung, die weg gehört.

Der Knessetagabgeordnete Gilad Kariv von der neuen Partei Die Demokraten, einem Zusammenschluss linker und mitte-linker Parteien von 2024, war auf der Demonstration und sagte der Times of Israel:

„Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, weil Netanjahu nicht das Richtige tun wird. Netanjahu wird nicht von Moral und Gewissen geleitet. Netanjahu ist ein Narzisst und ein Borderline- Psychopath“, erklärte Kariv. „Das Einzige, was Netanjahu bewegen wird, sind eine Million Israelis auf den Straßen und Druck aus den USA.“

Es gibt die Hilferufe von Journalisten aus Israel, die sehen, dass die Proteste in Israel allein, seit Anfang 2024 schlicht gar nichts bringen – sie brauchen massive Unterstützung von Israelfreund*innen weltweit! Darum geht es.

Netanyahu ist für den 7. Oktober hauptverantwortlich auf israelischer Seite, er hat es ermöglicht, dass es soweit kommen konnte, weil er die Warnungen von IDF-Soldatinnen nicht ernst nahm und auch viele weitere Warnungen nicht wahrhaben wollte.

Und weil er die Hamas gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die jetzt von Israel in den Ruin getrieben werden soll, in Stellung brachte.

Ein Untersuchungsausschuss wird das irgendwann einmal alles detailliert aufdecken.

Die Oberschlauen werden gleich wieder kreischen, dass Abbas (PA) doch ein Holocaustleugner sei und so weiter und so fort. Sie sehen nicht, welches Spiel Israel spielt und dass es auf eine Zerstörung der Zweistaatenlösung hinausläuft, die ja die Hamas auch nicht will.

Der ehemalige Chef des Mossad, ein Zionist (die Bibi-Fans werden ihn als Antisemiten entlarven!), Yossi Cohen, fordert den sofortigen Rücktritt von Netanyahu.

Würde es in Deutschland Israelfreund*innen geben, so würden sie zu Zehntausenden, ja Hunderttausenden gegen die Kriegspolitik von Netanyahu demonstrieren, einen „Deal“ fordern, die Rückkehr der Geiseln und das sofortige Ende des Krieges.

Sie würden auch für ein Ende der aktuellen Regierung demonstrieren, gegen Rassismus und Nationalismus sowie die Drohung der israelischen Regierung, in wenigen Wochen fast die gesamte Westbank zu annektieren und somit jeglichen möglichen Frieden mit den Palästinensern, die Zweistaatenlösung, zu zerstören, jedenfalls für unabsehbare Zeit zerstören, wenn nicht für immer.

Und ohne eine solche Zweistaatenlösung hat der einzige Judenstaat keine Chance, weder im Nahen Osten noch weltweit. Netanyahu hat die engsten Partner Israels beleidigt, vor den Kopf gestoßen und direkt oder indirekt als Antisemiten beschimpft, England, Frankreich, Deutschland und auch jene Teile des US-Establishments, das sich jetzt – nicht obwohl, sondern weil sie zionistisch sind im US-Kongress! – gegen die israelische Kriegspolitik ausspricht.

Viki Cohen, die Mutter des von der Hamas als Geisel gehaltenen Nimrod Cohen, betont bei einer Großkundgebung in Jerusalem, dass „ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch liegt“, das Netanjahu jedoch nicht unterzeichnen will.

„Es liegt ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch, ein Abkommen, das meinen Sohn und alle Geiseln zurückbringen wird“, sagt sie vor der Residenz des Premierministers. „Mein sensibler Junge … Ich habe keine Ahnung, wie er mit dem Höllenfeuer in Gaza zurechtkommt.“

Sie sagt, dass mehrere Familien von Geiseln in der vergangenen Woche Anrufe von Geheimdienstmitarbeitern erhalten hätten, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass die jüngste Ausweitung der IDF-Operation in Gaza-Stadt ihre Angehörigen in Gefahr bringe.

Bekanntlich sind Forderungen nach „Wandel“ oder „was Neues beginnen“ auch Kennzeichen, ewiges Kennzeichen, kapitalistischer Vergesellschaftung. Es geht immer weiter, bis zur nächsten Krise, zur nächsten Innovation, aber es bleibt immer gleich, dass Menschen wie Waren behandelt werden. Daher ist es kein Zufall, dass auch x-beliebige „Manager“ Bob Dylan hören, neoliberale Verwerter der Welt, die Kulturindustrie frisst alles und alles wird zum Fraß. Es gibt über 500 Cover-Versionen des Liedes.

Aber ich würde es denn mal zur Abwechslung friedenspolitisch und zionistisch rezipieren, es muss Wandel geben, die Demonstrant*innen in Jerusalem, Tel Aviv und ganz Israel von heute zeigen ihn an, jedenfalls viele von ihnen. Netanyahu ist aktuell der „größte Feind des jüdischen Volkes“, so sagte es heute Einav Zangauker, die Stimme des Hostage Forum.

Und auch in der Diaspora müssen die Juden endlich aufwachen, genauso wie die nicht-jüdischen Pro-Israel Aktivist*innen, sie müssen ihren Masada-Komplex bearbeiten und ablegen oder überwinden, so schwer das den meisten auch fällt.

Bob Dylan hat 1964 in Worte gefasst, was die biedere, spießige, realitätsferne deutsche Pro-Israel-Szene bis heute nicht gelernt hat und nie lernen wird:

Come mothers and fathers

Throughout the land

And don’t criticize

What you can’t understand

Your sons and your daughters

Are beyond your command

Your old road is rapidly agin’

Please get out of the new one if you can’t lend your hand

For the times they are a-changing.

The Masada-Complex (1-3)

The Times of Israel | Blogs | Clemens Heni | Sept. 2, 5, 8

This essay will be published in three parts:

The Masada-Complex (1)

Until recently, Michael Schiffer worked for the US organization USAID. Prior to that, he was employed by the US Department of Defense and as a staff member of the US Senate Foreign Relations Committee.

Schiffer is an American Jew.

He is a Zionist and has dedicated his entire life to Israel.

Now he is settling scores.

With himself. With American Jews. With Israel under Netanyahu. With me. With you. With ‘us’.

With the pro-Israel scene.

Part 1, Sept. 2, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-1/

Part 2, Sept. 5, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-2/

Part 3, Sept. 8, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-3/

 

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