Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)
Wer in der undogmatischen, autonomen und linxradikalen politischen Linken in diesem Land seit November 1989 groß wurde, assoziiert mit „nie, nie, nie wieder“ selbstredend „nie, nie, nie wieder Deutschland“. Wir, die wir Widervereinigung ohne „e“ schrieben, ahnten, was nach dem „Mauerfall“ kommen würde:
Rassismus, Anschläge von Neonazis, Nationalismus, Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und die Verbrechen der Wehrmacht, Antisemitismus und Kriegstreiberei. Und wir haben das geradezu prophetisch vorhergesehen. Denn exakt so kam es. Seit den 1990er Jahren gab es ca. 250 Morde und Brandanschläge von Rechtsextremen und Neonazis an als nicht-deutsch Kategorisierten, vor allem an Migrant*innen, Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen stehen dafür exemplarisch.
Wir undogmatischen Linken versuchten unmittelbar nach November 1989 für eine DDR ohne SED zu kämpfen, einen echten demokratischen Aufbruch mitzumachen, mit Treffen in Ost-Berlin. Pustekuchen.
Dann wurde Doitschland 1990 Fußball-Weltmeister der Männer und am 24. August 1992 kam das Kleidungsstück der Deutschen schlechthin zum Einsatz, die Jogginghose, bis heute nicht nur in Berlin allseits beliebt, wie Klaus Bitterman festgehalten hat:
Der Jogginghose zu ihrem Durchbruch verholfen hat Harald Ewert. Er hat es mit ihr zum Coverboy auf viele nationale und internationale Blätter geschafft. Diese Jogginghose feiert nun 20-jähriges Jubiläum. In das Deutsche Museum Kohls hat es die wohl berühmteste Jogginghose Deutschlands (echt nur mit dem gelben Fleck vorne drauf) aus unerfindlichen Gründen nicht geschafft.
Damals vor 20 Jahren jedenfalls stand Harald Ewert mit Hitlergruß vor dem Ausländerwohnheim in Rostock-Lichtenhagen und unterstützte die Menge moralisch in ihrem Tun, zu dem er selber aus alkoholbedingten Gründen nicht mehr in der Lage war, nämlich das Wohnheim in Flammen aufgehen zu lassen und die Bewohner gleich mit.
Die massive Einschränkung des individuellen Rechts auf Asyl im Mai 1993 durch eine große Koalition aus CDU, CSU, FDP und SPD, Grüne und Linke stimmten dagegen wie auch einzelne aus SPD und FDP, war ebenso ein Resultat von 1989:
Die Abstimmung über den so genannten „Asylkompromiss“ im Bundestag am 26. Mai 1993 wurde von Protesten begleitet. Rund 10.000 Demonstranten legten das Bonner Regierungsviertel lahm. Am Ende stimmten 521 Bundestagsabgeordnete für die Gesetzesänderung, 132 dagegen. Die zur Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit war zustande gekommen. Nur drei Tage später, am 29. Mai 1993, starben fünf Menschen türkischer Abstammung bei einem rechtsradikalen Brandanschlag in Solingen. Es waren keine Asylbewerber.
Man könnte hier natürlich noch ergänzen, dass es auch nicht richtig gewesen wäre, wenn diese Neonazis Asylbewerber in Solingen ermordet hätten.
Das war unser einziger Erfolg an diesem 26. Mai 1993: dass 130 Bundestagsabgeordnete nur mit Hubschraubern zum Parlament in Bonn am Rhein geflogen werden konnten, weil wir die Zufahrtswege wenigstens teilweise blockiert hatten.
Die Paulskirchenrede des Schriftstellers Martin Walser im Oktober 1998 war ein Zeichen des erinnerungsabwehrenden Antisemitismus, die ebenfalls Resultat von Nov. 1989 ist – zumal der stehende Applaus der gesamten politischen und kulturellen Elite damals in der Paulskirche zeigte, dass Walser diesen Leuten aus der Seele sprach, als er sagte:
… wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen.
Keiner hat wie Walser die Verbindung von Nationalismus, antisemitischer Erinnerungsabwehr und die Liebe zu Deutschland und das Hoffen auf die „Wiedervereinigung“ verkörpert und auf den Punkt gebracht. Walser sagte in seiner Paulskirchenrede im Oktober 1998:
Im Jahr 1977 habe ich nicht weit von hier, in Bergen-Enkheim, eine Rede halten müssen und habe die Gelegenheit damals dazu benutzt, folgendes Geständnis zu machen: „Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte – so schlimm sie zuletzt verlief – in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen.“
Und: „Wir dürften, sage ich vor Kühnheit zitternd, die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten.“ Das fällt mir ein, weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage: Auschwitz eignet sich nicht, dafür Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.
1999 kam es dann zum ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem SS-Staat – natürlich wiederum gegen alte Feinde, hier: Jugoslawien bzw. Serbien. Jetzt waren auch die Grünen – federführend Außenminister Joschka Fischer – mit dabei.
Gestern verabschiedete im Deutschen Bundestag die Koalition aus CDU/CSU und SPD ein neues Wehrpflichtgesetz („Wehrdienst-Modernisierungsgesetz – WDModG“).
Vor diesem Hintergrund und der expliziten Äußerung von 18-jährigen Schüler*innen, dass sie „nicht für dieses Land sterben wollen“ und „kein Kanonenfutter werden wollen“, ist der gestrige Wehrpflicht-Streik herausragend.
Bundesweit gingen ca. 40.000 Schülerinnen und Schüler in 80 Städten gegen die Wehrpflicht und somit gegen die Regierungspolitik auf die Straßen.
Ich hörte sie hier in Heidelberg rufen „Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht“. Ein sehr guter und enorm wichtiger Demospruch. Diese Jugend gibt Hoffnung. Sie ist geistig viel weiter als die große Volksgemeinschaft im Deutschen Bundestag, wobei die AfD nur aus taktischen Gründen dagegen stimmte, aber im Kern natürlich die Bundeswehr nicht weniger bewundert wie SPD oder CDU.
Auch beim Unterstützen der kapitalistischen Grundstruktur unserer Gesellschaft sind sich diese Parteien vollkommen einig. Da lacht der Brandschutzmauer-Meister.
Nach Fridays for Future (FFF) jetzt Fridays gegen Wehrpflicht, was auch inhaltlich passt, da das Militär mit zu den allergrößten Naturzerstörern umd Luftverschmutzern gehört.
Während wie gezeigt, die alte Generation lieber direkt Geld an die Ukrainische Armee spendet, statt Blumen am Grab abzulegen, ist die junge Generation viel weiter und kritischer.
Also: Unterstützen wir die Anti-Wehrpflicht Jugend! Nie, nie, nie wieder Wehrpflicht ist ein Kernpunkt von nie, nie, nie wieder Deutschland. Es braucht diplomatische Lösungen für Konflikte wie in der Ukraine. Stopp aller Waffenlieferungen an die Ukraine, Rückbau der Bundeswehr, Abrüstung weltweit, schärfste Sanktionen für Rüstungskonzerne weltweit und massive diplomatische Bemühungen um ein Ende des Krieges.
Alla hopp, wie die Kurpfälzer*innen sagen.