Von Clemens Heni, Verleger, Edition Critic

 

Mit Karl Pfeifer verlieren wir einen wundervollen Menschen, Kämpfer für die Gründung des Staates Israel, pointierten Journalisten, witzigen Zeitgenossen und politisch weitsichtigen Gesellschaftskritiker. Am 6. Jänner 2023 schlief der am 22. August 1928 in Baden bei Wien geborene Karl Pfeifer friedlich ein.

Ich kannte Karl fast 25 Jahre und wir hatten viele faszinierende Treffen, vornehmlich in Berlin, aber auch unweit von Dresden und natürlich in Wien. Es war eine große Ehre, dass ich zwei Bücher von ihm in der Edition Critic publizieren durfte: die Neuauflage von „Einmal Palästina und zurück“ (2015) und „Immer wieder Ungarn“ (2016).

Karl Pfeifer konnte als Teenager im Januar 1943 aus Budapest nach Haifa fliehen. Sein 15 Jahre älterer Bruder Erwin trug einmal in Prag auf einem Kongress die Tasche des legendären rechtszionistischen Intellektuellen und Aktivisten Ze’ev Jabotinsky, der bis heute als einer der einflussreichsten Vordenker des jüdischen Staates Israel gilt.

In seinen Erinnerungen an die Kindheit schreibt Karl Pfeifer über den samstäglichen Synagogenbesuch, wo sie eine „Beth Haknesset“ wurde, ein „Haus der Begegnung“, es gab an Festtagen Süßigkeiten für die Kinder und die Erwachsenen diskutierten, es war eine fröhliche Stimmung, die ihn prägte, ohne dass sein Elternhaus sonderlich religiös gewesen wäre, wobei ihm der zionistische Säkularismus auch in späteren Jahren wichtig war. In der Schule wurde er von den katholischen Mitschülern angepöbelt.

1938, nach dem „Anschluss“, attackierten zwei Hitlerjungen den jungen Karl und sagten „Saujud, sag Heil Hitler“ und wollten ihm die Gurgel zudrücken, er sagte es nicht und eine adlige Frau schrie zum Fenster heraus, dass die Nazijungen verschwinden sollten, was sie auch taten.

In „Einmal Palästina und zurück“ schrieb Karl Pfeifer:

Ende Mai oder Anfang Juni 1938 – die Kirschen waren schon reif – stieg ich auf den Kirschbaum. Plötzlich war der Himmel von Wolken bedeckt, man konnte Donner aus der Ferne hören, ein Gewitter stand bevor und ich haderte mit Gott, ja stritt seine Existenz ab und forderte ihn heraus. ‚Wenn es Dich gibt, dann sende einen Blitz, der mich treffen soll‘. Doch es geschah nichts. Meine Mutter rief mich zum Mittagessen. Ich brüstete mich, etwas im Garten entdeckt zu haben. Mein Vater fragte mich lächelnd, was ich denn entdeckt hätte, und naiv wie ich war, antwortete ich: ‚Es gibt keinen Gott‘. Er gab mir eine schallende Ohrfeige und wieder sprachen meine Eltern unter sich ungarisch.
Ich träumte davon, zu meinem Bruder Erwin zu gelangen, der damals Hilfspolizist war. Er hatte mir zum neunten Geburtstag eine Karte mit den Worten ‚Sei immer stolz ein Jude zu sein‘ geschickt.

In Budapest schloss sich der junge Karl der linkszionistischen Gruppe Schomer Hazair an, nach seiner Rettung ins Exil in Haifa kämpfte er ab 1946 im Palmach und ab 1948 in der israelischen Armee für den neuen jüdischen Staat Israel.

Seine Erzählungen dazu sind ungeheuer abenteuerlich, politisch von enormer Bedeutung, aber Karl schaffte es immer wieder, die dramatischsten Ereignisse mit einer ironischen Note zu versehen, bei aller Ernsthaftigkeit der Situationen.

Über Umwege kam er zurück nach Österreich, Ende der 1970er Jahre wurde er mit 50+ Journalist und Redakteur des Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Dabei spielte seine Beziehung zu Ungarn eine große Rolle.

Seine Texte speziell gegen Antisemitismus sind von herausragender journalistischer Sorgfalt und Schärfe und haben viele rechte, aber auch linke oder islamistische Antisemiten zur Weißglut gebracht.

Er sagte auf Vorträgen, dass er deshalb so fit sei, weil die morgendliche Lektüre der Presse (gerade in Österreich) ihn häufig schon so aufregte, dass sein Blutdruck den Körper angeregt über den Tag begleite. In den letzten Jahren befasste sich Karl viel mit Frankreich, dem Islamismus und der Situation für die dortigen Juden.

Karl Pfeifer reiste viel und gerne, auf einer dieser Reisen lernte er seine Frau Dagmar kennen, sein „größtes Glück“, wie er immer betonte. Bei vielen Vortragsreisen war Dagmar an Karls Seite, auch beim Entstehen seiner Bücher war sie ihm eine große Unterstützung und Inspiration. Es war auch für mich eine große Freude mit den beiden Veranstaltungen zu erleben, Bücher zu planen und zu publizieren und einzukehren.

Ein Höhepunkt (jedenfalls für den Verlag Edition Critic) war die Buchvorstellung von „Immer wieder Ungarn“ im österreichischen Parlamentsgebäude im Herbst 2016.

Karl Pfeifer hat auch Preise bekommen für seine laustarke Kritik am Antisemitismus. Dabei sah er entgegen vielen Kolleginnen und Kollegen die Gefahr eben nicht nur von rechts kommend, sondern in den letzten gut 20 Jahren auch vom Islamismus und den Linken. Als ich letztes Jahr mit Karl telefonierte, erzählte er mir von ganz typischen Tendenzen in der österreichischen Szene der Holocaustforscher und Antisemitismusexperten (m/w/d), wo bekannte Personen, die er wie auch ich früher durchaus schätzten wegen ihrer Arbeit zum Beispiel gegen die FPÖ oder die Erinnerungsverweigerung bezüglich der Shoah, die in den letzten paar Jahren anfingen, mehr oder weniger offen die antisemitische BDS-Bewegung zu verharmlosen, tolerieren oder unterstützen.

Gleichzeitig wird Karls Stimme fehlen, wenn es um die Kritik an dramatischen Entwicklungen wie der aktuellen israelischen Regierungspolitik geht, die sich anschickt, die Gewaltenteilung aufzuheben und deren rechtsextreme und religiös-fanatische Kreise die Demokratie de facto abschaffen wollen.

Oft bezog Karl gerade die Position, die sein Gegenüber jetzt nicht erwartete, er war ein eigenständiger Kopf und niemals ‚Partei‘ im Sinne von ‚Partei‘, er war parteiisch, für Israel, gegen Antisemitismus, gegen Nazis und Holocaustleugnung und -verharmlosung, aber er war nie in einer Partei.

Ob wir uns im Café in Schöneberg, privat unweit von Dresden oder in einem Restaurant in Wien trafen, Karl hatte der jeweiligen kleinen Gruppe von Freundinnen und Freunden immer was zu erzählen, Anekdoten, Lustiges, immer gemischt mit seiner trocken-scharfen Analyse der Welt und des Antisemitismus.

Auf der Buchvorstellung im Nationalrat in Wien sagte der Politiker und Freund von Karl Pfeifer Karl Öllinger, dass es faszinierend sei, wie viele Jahrzehnte Karl Pfeifer widerständig und kritisch geblieben ist, nicht zuletzt angesichts der übelsten antisemitischen Attacken, die er als Kind und Jugendlicher, aber auch nach der Shoah bis in die heutige Zeit wie von ungarischen Publizisten zu ertragen hatte. Woher kam die Kraft und die Schärfe, die das Werk von Karl Pfeifer ausmachen?

Karl Pfeifer entkam knapp dem Holocaust. Er kämpfte im Krieg gegen die Araber für den Staat Israel, trug bis zu 100kg schwere Zementsäcke am Hafen von Haifa, verschenkte seine warme Jacke an einen Kumpel, der in Israel blieb, was Karl nicht wollte, da er eben nicht in die „Partei“ eintreten wollte und somit weniger Chancen hatte auf dem Arbeitsmarkt, um dann nach der Ankunft in Venedig die kalte Zugfahrt über die Alpen nach Zürich zu spüren. Er arbeitete dann in St. Moritz und anderen Stationen in (Luxus-)Hotels, kam eine Woche in Frankreich ins Gefängnis wegen illegalem Grenzübertritt, ging dann doch zurück nach Österreich und hat die Erinnerung in seinen Texten und Erzählungen bewahrt.

Karl Pfeifer war speziell für die Generation der jüngeren, pro-israelischen Antideutschen seit Ende der 1990er Jahre zu einem Vorbild geworden. Er stand dafür, wie kritischer Journalismus, scharf und doch immer wieder auch witzig, funktionieren kann.

Es ist ein großes Glück, Karl Pfeifer erlebt zu haben.