Von Dr. phil. Clemens Heni, 22. März 2022

Von Querfront spricht man in der Politikwissenschaft und Publizistik üblicherweise dann, wenn Rechte sich als Linke verkleiden. Einer der Begründer der Querfront in der BRD war der neu-rechte Aktivist Henning Eichberg (1942-2017). Seit Jahrzehnten gibt es auch die rot-grüne Achse von Marxisten und Islamisten, wie z.B. der Antisemitismusforscher Robert S. Wistrich herausgearbeitet hat. Es gibt auch eine patriotische oder deutsch-nationale Querfront, wenn vorgeblich Linke die deutsche Nation zum Thema machen und sich anhören wie AfDler. Das „Sommermärchen“ und der schwarz-rot-goldene Wahn 2006 bei der Fußball-WM waren quasi eine Art Querfront im Mega-BILD-Zeitungs- und ARD/ZDF-Format, die deutsche Fahne, eigentlich Symbol der extremen Rechten, war wieder en vogue, gerade auch bei den Linken oder Ex-Linken, erst später wurde sie via Björn Höcke kurzzeitig zum AfD-Symbol, doch seit 2006 war sie alltagskultuell durchgesetzt, auf Milchtüten, an Schlüsselanhängern oder an Autospiegeln.

Und jetzt gibt es auch vorgeblich kritische Autoren, die bislang eher als links oder linksliberal galten, die sich an rechts ranrobben.

Das passierte bei der Coronakrise in exzessivem Staatsfetischismus und ist auch jetzt wieder in der Ukraine-Krise erkennbar: Linke und Rechte gemeinsam für mehr Irrationalismus und Gewalt.

Linke oder Ex-Linke docken an rechte antirussische Agitation an. Fast alle machen doch mit bei der Agitation gegen „den“ Russen, auch der Lieferdienst Flink ist mit dabei, Kirchengemeinden oder jetzt der Präsident des PEN-Clubs Deutschland Deniz Yücel. Er kann in einer Art Querfront mit Trump und Gauck gesehen werden. Wie das?

Der antikommunistische Ex-Bundespräsident Gauck möchte „Frieren für die Freiheit“.

Gaucks Angriff auf die Diplomatie, Verhältnismäßigkeit und Rationalität wird flankiert von zwei noch krasseren Statements:

1) Donald Trump schlägt vor, US-Kampfjets mit einer chinesischen Fahne zu verkleiden, damit sie aussehen wie chinesische Flugzeuge, die dann die Russen in der Ukraine angreifen.

Für Trump ist die NATO nur ein „Papiertiger“.

Damit das nicht so bleibt hat

2) der amtierende PEN-Präsident, Journalist und Twitter-User Deniz Yücel, den manche noch von seiner Zeit bei der taz kennen, letzte Woche in Köln ganz kess in den pro-ukrainischen Raum geplappert, dass doch eine „Flugverbotszone“ in der Ukraine gar nicht so schlecht sei.

Wie begründete Yücel laut Medienberichten seine Position?

Er wundere sich darüber, dass so viele Leute zu wissen glaubten, wie Putin reagieren würde, wenn die Nato andere Saiten aufziehe. Vom Schulhof wisse er Folgendes: „Wenn ich Sasha einen in die Fresse haue, weil ich einfach mich stärker fühle (…) und dann kommt Navid – er ist zwei Köpfe größer als ich – und sagt: „Lass meinen Kumpel in Ruhe, ja? Sonst kriegst du’s mit mir zu tun!“

Dann kann ich überlegen. Er muss natürlich das Risiko eingehen, dass ich ’n bisschen irre bin und ihm ein Klappmesser irgendwo reinsteche. Aber ich muss überlegen: „Der ist zwei Köpfe größer als ich und doppelt so breit – geh ich mit ihm das wirklich ein?“ Ich weiß nicht, wie Putin darauf reagieren würde.“

Dieses spätpubertäre, verantwortungslose Gebrabbel ist eines PEN-Präsidenten unwürdig. Es mag natürlich zum Springer-Konzern passen, wo Yücel doch oft schreibt.

Im Atomzeitalter ist es völlig egal, ob die fanatische NATO 1000 Milliarden pro Jahr (!) für Rüstung ausgibt und Russland nur 60 Milliarden.

Denn Russland hat wie die USA über 6000 Atomsprengköpfe.

Also, Deniz, tritt zurück.

Mit mehr Waffen und noch mehr Agitation gegen Russland, Sanktionen oder regelrechten Aufrufen zum Krieg – dein Statement ist ein Aufruf zum Krieg und das kann nicht im Sinne der PEN Charta sein – wird der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands in der Ukraine nicht schneller beendet, sondern es werden noch mehr Menschen sterben. Die einzige Chance ist die Diplomatie, ist das Eingeständnis von Selenskyi, dass er mit seiner Pro-NATO-Politik und dem acht Jahre währenden Beschuss des Donbass mit 14.000 Toten den Krieg geradezu heraufbeschworen hat, mit massiver westlicher Unterstützung. Die Ukraine wird neutral sein, oder sie wird nicht sein, das ist Shakespeare im Atomzeitalter.

Deniz, deine Äußerung zur Flugverbotszone ist so ungeheuerlich dumm, das kannst du nicht ernst meinen. Oder du bist doch zu einem Trumpianer geworden und hast heimlich mit Gauck die neue „Querfront für mehr Atomkrieg wagen“ gegründet.

Die letzten Tage sah ich mehrere ukrainische Flüchtlinge in Berlin, die in ihrem BMW rumfuhren oder im VW Touran die Familie zu McDonald’s kutschierte, ist ja völlig ok, würde ich auch tun. Der Krieg muss enden, sofort. Aber dazu gehören zwei Seiten und vor allem der Wille zum Verhandeln, wenn Selenskyi klar macht, dass er die Krim nicht aufgeben will, obwohl es dort ein Referendum gab, das sich gegen den Verbleib in der Ukraine aussprach, dann sind das keine guten Voraussetzungen.

Was aber noch viel mehr schockiert, sind wie immer die anderen Konflikte auf der Welt, die viel dramatischer sind als dieser Krieg, aber so gut wie niemanden kümmern:

„Im Osten Afrikas bahnt sich eine neue humanitäre Katastrophe an. Bis zu 28 Millionen Menschen seien von extremem Hunger bedroht, erklärte die Entwicklungsorganisation Oxfam am Montag. Ausbleibende Regenfälle seien der Grund. Der Krieg in der Ukraine könnte die Probleme noch einmal verschärfen. (…) Aber die Vereinten Nationen haben festgestellt, dass nur drei Prozent der insgesamt sechs Milliarden US-Dollar, die für humanitäre Hilfe in Äthiopien, Somalia und dem Südsudan aufgebracht werden müssen, bisher zur Verfügung stehen“, so Osterhaus. Für Kenia stünden bislang nur elf Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung.

Man müsse wieder einmal feststellen, dass die – durch den Klimawandel steigenden – Bedarfe nicht gedeckt seien. Offenbar sei die Dringlichkeit unterschätzt worden, so Osterhaus. Hinzu komme aber auch, dass sich die Entscheidungen über die Finanzierung nicht immer an den Bedürfnissen vor Ort orientierten, „sondern auch andere politische und geostrategische Aspekte eine Rolle spielen“.

Ohne die Hilfsgelder droht den Menschen großes Leid, und der Hunger dürfte viele Menschen zur Flucht veranlassen. In Ostafrika und am Horn von Afrika seien allein im letzten Jahr rund 1,2 Millionen Menschen auf der Flucht gewesen.