Zuerst publiziert auf www.hagalil.com am 17.10.2004

Am vergangenen Sonntag hielt der Berliner Soziologe Rainer Erb in Tübingen auf der internationalen Tagung „Die kulturelle Seite des Antisemitismus zwischen Aufklärung und Shoah“ einen Vortrag über „antisemitische Stereotypen“. Neben historischen Verweisen verharrte Erb insbesondere auf dem (online) neo-Nazi Antisemitismus heutiger Tage. Er erwähnte noch nicht einmal die Wahlerfolge der Nazis in Sachsen oder Brandenburg.

Vor allem jedoch: Kein Wort über Walser, Finkelstein, die Goldhagen-Debatte, Möllemanns aggressiven Israel- und Judenhass, Hohmanns Basis bei der CDU bis heute (und die hessischen Traditionen seit Boeckel), quasi no-go Areas für Israelis und Juden in Berlin und anderswo; kein Wort über den sekundären Antisemitismus, kein Pieps über den Antizionismus (von links), kein Wort über Projektion, Schuldabwehr und Erinnerungsverweigerung der deutschen Gesellschaft. Kein Wort über Bitburg, Faßbinder, Edgar Reitz und schon gar kein Wort über den „Untergang“. Keine wissenschaftliche Einordnung gegenwärtiger Debatten um Antisemitismus und politische Kultur, wie sie die Studien von Lars Rensmann anzuregen versuchen. Es war also desolat. Es wurde deutlich wieso Erb gern gesehener Autor von Jesse/Backes ist.

Am Tag danach durfte dann Erb als Abschlussdiskussionsteilnehmer fragen (bezüglich des gegenwärtigen (!) Antisemitismus in Deutschland): „Wollen wir denn eine Gesellschaft ohne Kriminalität ? Ist das realistisch ?“ Am Tag zuvor, während seines Vortrages, kam vom Publikum der Zwischenruf: „Buchmesse!“ Er erwiderte: „Ach hören Sie doch auf. Wenn Sie wollen finden Sie in jedem Text Antisemitismus. Darum kann es doch nicht gehen.“ Solange es keine Parteien oder Strukturen gebe, die in ihrem Programm die Ausschaltung von Juden haben, also ein Ziel und Wege der Verwirklichung dahin festgeschrieben seien, solange sei Antisemitismus nicht wirklich existent als Gefahr. Erb redete so als sei es eine hervorzukehrende Leistung der BRD die Nicht-Mehr-Gültigkeit der Nürnberger Rassegesetze tagtäglich zu beweisen. Dass der Djihadismus und seine Freunde gerade diesen national-sozialistischen Judenhass jedoch wieder beleben und gar auf der Welt größter Buchmesse gegen Juden hetzen dürfen und Bücher, die freundlich über Hitler schreiben, feilbieten, das ist zudem die bittere Ironie dieser Tagung und Herrn Erbs Auslassungen.

Empathie mit heutigen Opfern von Judenhaß ist offenbar für Erb ein nicht dechiffrierbares Fremdwort. Das was mit der Hofierung eines Holocaustleugners in Frankfurt während der Eröffnung der Buchmesse durch Bundeskanzler Gerhard Schröder passierte ist nur die logische Konsequenz des 8. Mai 2002: damals sprach Schröder mit dem deutschen Antisemiten Martin Walser über Versailles und die armen Deutschen. Schröder macht nun die Sache rund: dem Handschlag mit dem deutschen Judenhass folgte jetzt der mit dem arabisch-islamistischen. Der sekundäre trifft den primären Antisemitismus und vice versa.

Dass jedoch ein Lehrkörper des Zentrums für Antisemitismusforschung sich gar weigert über den Antisemitismus der Buchmesse in Frankfurt und seine freudige Aufnahme durch ganz normale Deutsche nur zu reden, das stimmt mehr als bedenklich.

hagalil.com 17-10-2004