Von Dr. phil. Clemens Heni, 28.11.2016

Die Wahl von Donald J. Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist eine Katastrophe für den Westen und die liberale Demokratie. Sie ist der negative Höhepunkt einer langen Veränderung politischer Kultur in westlichen Staaten. Als „Vergessene“, „Abgehängte“ oder „Verlierer“ getätschelte antidemokratische Pöbler, Rassisten, Hetzer, Sexisten, Lügner, Anhänger von Verschwörungsmythen aller Art, Antisemiten und Schläger haben nun einen von ihnen als mächtigsten Politiker der Welt. Das Weiße Haus wird zum Stammtisch und der Stammtisch zum Weißen Haus. Einen solchen Angriff auf die Demokratie hat der Westen seit 1945 nicht erlebt.

Der Jihad, Putin und Erdogan sehen sich einem zerbröselnden liberalen Westen gegenüber und können ihr Glück kaum fassen.

Erwartungsgemäß bricht die extreme Rechte von Achgut über Politically Incorrect hin zu weiten Teilen des Mainstream-Journalismus und natürlich der AfD, FPÖ, FN in Frankreich, Geert Wilders (PVV) in Holland oder Victor Orbán in Ungarn oder Horst in Freudentränen aus. Viele unabhängige Linke und Liberale sind völlig konsterniert. Es gibt aber selbst jetzt ausgewiesene linke Publizisten, die pro-israelisch sind und antijihadistisch, die nun angesichts von Trumps Wahlsieg Hoffnung verspüren. WTF?

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Bevor ich auf diese linken Publizisten näher eingehe, bringt die Publizistin Verena Weidenbach die derzeitige politische Lage wie folgt auf den Punkt:

„Der rassistische, aggressiv-tabubrechende, menschenverachtend-populistische Bulldozer Trump wird dagegen kaum verhohlen als chaosstiftender trickster god bewundert. Als Political-Correctness-Terminator und Exekutor einer längst überfälligen link(sliberal)en Meinungsgötterdämmerung, die Trumps neurechte Nacheiferer in Deutschland mit noch größerer Leidenschaft herbeisehen: als erste Stufe ihres Fundamentalangriffs auf den Liberalismus schlechthin. Der Westen ist noch lange nicht tot, doch er wird gerade mit durchschlagendem Erfolg totgeredet, oder besser: mit ritualisierten Gebetsformeln totgebrüllt. Es wird Zeit, dagegenzuhalten und den neuen, antifreiheitlichen Gottesdienst mit allem zu stören, was das liberal-pluralistische Selbstbewusstsein an Gegenwehr zu bieten hat. Messdiener hat der rechtspopulistische Kultus weiß Gott genug.“

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Ein ganz grundlegendes marxistisches Apriori verunmöglicht es nun vielen (und in absoluten Zahlen natürlich einer super mini kleinen Anzahl von) linken Autor*innen derzeit, die „geistige Situation der Zeit“ zu erkennen. Sie reden vom „Hegemon“, vom Kapital und von Amerika – und nicht von der „kulturellen Hegemonie“.

Damit verpassen sie die Pointe unserer Zeit und verkennen die Gefahren für die Demokratie. Die minikleine „Pro-Israel-Szene“ in der Bundesrepublik macht sich in nicht geringen Teilen mit dem von Nazis umjubelten Trump gemein und meint ernsthaft, die schlimme Außenpolitik Obamas würde durch Trump zum Besseren gewendet. Dafür nehmen sie Sexismus und Rassismus und die gesamte neu-rechte Agenda in USA wie in Europa billigend in Kauf und verstehen gar nicht, was überhaupt passiert.

Auf „Aspekte“ im ZDF sagte am 25.11.2016 die Kolumnistin der Washington Post Anne Applebaum, dass die USA um „Jahrzehnte“ zurückgeworfen werden – damit meinte sie offenbar den Kampf um gleiche Rechte und gegen Nationalismus, Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie selbst wurde von breitbart.com, so Aspekte, „als verschmähte polnische Jüdin an den Pranger stellt“.

Der Ex-Chef von Breibart ist Steve Bannon, der nun Chefberater Trumps im Weißen Haus werden wird. Der Neonazi Richard Spencer vom „National Policy Institute“ und Miterfinder der Bezeichnung „Alt-Right“ (eine Art nazistische Neue Rechte) ist happy. Spencer spricht in seiner englischen Rede von der „Lügenpresse“ und schmiegt sich wie Pegida in Dresden an dieses Nazi-Wort an und die Neonazis in Washington auf der Konferenz des National Policy Institute erheben sich zum Hitlergruß. Breitbart.com hat ihm und seinen Neonazis als Lausprecher gedient. Für Trump ist Breitbart ein „Geschenk Gottes“. Nun möchte Breitbart nach Deutschland und Frankreich expandieren, nachdem ihre rechtsextreme Hetze schon seit einigen Jahren in Großbritannien funktioniert und sie den Brexit 2016 herbeigebrüllt haben.

Während die ökonomische Grundstruktur offenbar seit Jahrzehnten die gleiche ist in USA wie in Europa (liberal-kapitalistisch, mehr oder weniger), verändert sich seit Jahren die politische Kultur auf extreme Weise. Die Neue Rechte ist völlig im Herzen der Macht angekommen – in Amerika, und möchte auch in Europa die Macht erobern, nicht nur die kulturelle Hegemonie, sondern die politische Macht.

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Es geht jedoch marxistischen Autoren immer nur um „Marktstrukturen“ und Einflussbereiche“. Es ist der Primat der Ökonomie. So etwas wie eine politische Kultur gibt es nicht als unabhängige Kategorie der Gesellschaftsanalyse. Und insofern ist es auch ziemlich egal, wie sich eine Gesellschaft verändert. Nach dieser Logik kann man einen Wahlkampf 2016 mit einer verstaubten Position eines Autors aus dem Jahr 2000 kommentieren, wie das Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza in Konkret 11/2016 tut:

„Die gute alte Ideologiekritik, meinte Thomas Ebermann jüngst in einer Debatte mit Katja Kipping im Hamburger Polittbüro, sei nicht nur überflüssig. Wenn die Interessen nicht mehr in irgendwelchen »Idealen« verborgen, sondern in dicken Lettern plakatiert werden, sei sie auch nicht länger möglich. Vor sechzehn Jahren hatte Wolfgang Pohrt in konkret notiert: »Menschen ohne Gewissen, ohne Selbst, ohne Scham und ohne Würde kann man … weder bloßstellen noch kränken, weil hinter der Fassade oder der Maske nichts ist. Sie brechen nicht zusammen, und es bricht keine Welt für sie zusammen, wenn ihnen bewiesen oder wenn öffentlich bekannt wird, dass sie verächtliche kleine Schurken sind. Paradebeispiel sind die Clintons, die neuerdings wieder zu dritt Hand in Hand für die Kameras posieren. Das ist der Menschentyp, der Kinder – und nicht nur sie – zur Waffe greifen lässt.« »Mir fällt zu Hitler nichts ein«, begründete Karl Kraus 1934 auf 315 Seiten der „Fackel“ (…)“

Da bebt der Trump Tower, mit Gewalt gegen die Clinton kokettierte auch er im Wahlkampf.

Nun: Ideologiekritik ist längst passé bzw. verunmöglicht, wenn die Leute sich selbst am liebsten verblöden, das postfaktische Zeitalter eröffnet da ungeahnte Möglichkeiten. Es braucht nicht mehr böse Medien, Parteien, Bewegungen oder Rackets, die die Menschen einschüchtern, indoktrinieren, verblöden und bürgerliche Ansprüche an Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit (die in Deutschland nie die Ideale waren) verraten würden. Die Internalisierung kulturindustrieller Imperative ist im Online- und postfaktischen Zeitalter gar nicht mehr der Kern der Ideologie, also notwendig falschen Bewusstseins. Die Leute verblöden, und mehr noch verhetzen sich selbst, stacheln sich selbst zum antidemokratischen Mob an.

„Deutschland den Deutschen“, „Make America Great Again“, „Let’s take back control“ (Brexit) sind die Slogans der antiwestlichen Internationale. Gerade autokratische Herrscher wie Putin und Erdogan lachen sich schief und kringelig ob der Selbstzerstörung der liberalen Welt, Großbritanniens, Amerikas und des Westens.

Es ist das erste Mal, dass in der führenden Nation der Welt, der führenden Demokratie wohlgemerkt, ein Mann gewählt wurde, der mit der Androhung von Gewalt gegen seine Gegenkandidatin, mit Lügen über Lügen, rassistischer Hetze, dem Prahlen mit sexualisierter Gewalt und einer unsagbar vulgären Sprache und dem Aufwiegeln einer „Bewegung“ von dutzenden Millionen Wähler*innen Politik macht. Die Strahlkraft dieses Nationalismus, Rassismus, Sexismus wie auch antisemitischer Verschwörungsmythen (der Jude und Multimilliardär George Soros würde NGOs darin unterstützten, Flüchtlinge nach Europa zu bringen, um europäische Nationalstaaten zu „destabilisieren“, so Orbán, Trump und extrem rechte bis Mainstream-Medien unisono) ist enorm.

Während Roosevelt den Nazismus in USA verhinderte (und es gab massiv viele Nazis in USA und auch sonst war der Antisemitismus gerade an den Hochschulen etc. weitverbreitet, siehe dazu z.B. Stephen H. Norwood, „The Third Reich in the Ivory Tower“, 2009), wird Trump ihn via Breitbart.com und dessen Steve Bannon, dem unheimlichen Führer der „Alt-Right“ eher promoten und fördern.

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Was wir erleben ist ein präzedenzloser Wandel der politischen Kultur und kultureller Hegemonie in den USA, der gleichwohl seit vielen Jahren sich ankündigte, aber niemand rechnete jemals mit einem „Führer“ wie Trump. Wenn man so lügen, hetzen und drohen kann wie Trump, dann sind Faschisten, Nazis oder liebevoll Populisten genannten Politiker*innen Tür und Tor geöffnet. Brexit war ja quasi rückblickend die Generalprobe für diese Art Agitation und Lüge im 21. Jahrhundert in einer führenden westlichen Demokratie.

Gerade für eine „kulturelle Hegemonie“, wie Gramsci sagen würde, sind die Zeiten für die extreme Rechte in USA und Europa derzeit unfassbar gut. Um auf die oben zitierte Gremliza-Kolumne zurück zu kommen: Trump kennt tatsächlich keinerlei Scham, Würde ist ein Fremdwort und Belgien eine „schöne Stadt“ für ihn. Und vor diesem Hintergrund nun einer Frau wie Hillary Clinton (als derzeitiger Repräsentantin der Familie Clinton) jenen Verlust an Scham und Würde anzudichten, indiziert nichts als patriarchale Ignoranz und Perfidie, die nicht nur generationsbedingt ist.

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Ausgehend von ihrer Analyse des Lebens von Anne Boleyn, der Ehefrau von König Heinrich VIII. von England, die von politischen Gegnern und katholischen Agitatoren als „eine überehrgeizige, kalkulierende, unseriöse Intrigantin“ verzeichnet wurde, analysiert Susan Bordo, Professorin für Gender and Women’s Studies an der University of Kentucky, die „Erfindung Hillary Clintons“. Es gab also zwei Anne Boleyns. Jene, die als Frau die Frechheit besaß, schon damals politisch zu sein und kein Anhängsel eines Königs und jene, die die Rolle der Königin spielte. Und es gibt auch zwei Hillarys, die reale und jene, die von den Medien seit Jahrzehnten als abschreckendes Beispiel einer kalten, arroganten, feministischen, nicht volksnahen elitären Vertreterin des „Establishments“. Ein männlicher Agitator, Multimilliardär und Gewalttäter ist natürlich nicht Teil des Establishments und die Deutsche Bank investiert sowohl in Trump wie in den Iran.

Hillary Diane Rodham wollte ihren Namen nicht ändern, auch nicht nachdem sie Bill Clinton geheiratet hatte. Später tat sie es doch, doch die patriarchalen Normen zwangen sie zu immer mehr. Souveräne Bemerkungen über blödes Keksebacken und Teeeinschenken wurden ihr nie verziehen.

Die volksferne, nicht charismatische und nicht zum Pöbeln bereite Hillary war auch bei Linken in den USA das Feindbild schlechthin. Die Medien malten über die Jahrzehnte hinweg ein Bild der kalten, abgehobenen, nicht populistischen Hillary Clinton. Ältere Feministinnen wie Bordo, die nur wenige Monate älter ist als Hillary Clinton, beide sind Jahrgang 1947, weiß nur zu gut, welche Sexismen im Leben einer Frau greifen und gegriffen haben.

Und das sind Dimensionen, von denen ein linker Herausgeber einer Zeitschrift aus Hamburg, ein Sozialwissenschaftler und Publizist, der außer der Stuttgarter Zeitung nichts rezipiert, oder ein marxistischer Autor aus Wien wenig Ahnung haben und mit denen sie persönlich nie konfrontiert wurden:

„Es war nicht das erste und letzte Mal, dass Hillary das Ressentiment begegnete, sie würde ihren „rechten Platz“ als Frau ablehnen. „Als ich zur Jura-Aufnahmeprüfung ging“, erzählte sie Henry Louis Gates, „mussten wir alle nach Harvard für den Test, und wir waren in einem großen Saal, nur ganz wenige Frauen unter uns, und wir saßen an den Tischen und warteten auf die Aufsicht und all die jungen Männer um uns herum fingen an, uns zu schikanieren. Sie sagten: ‘Was glaubt ihr, was ihr hier macht? Wenn ihr angenommen werdet, nehmt ihr mir meinen Platz weg. Ihr habt gar kein Recht dazu. Warum geht ihr nicht nach Hause und heiratet.’“ Später in einem Interview mit Humans of New York erzählte Hillary mehr über ihre Reaktion: „Ich konnte mir gar keine Ablenkung erlauben, weil ich ja den Test nicht verhunzen wollte. Also blickte ich weiter zu Boden in der Hoffnung, die Aufsicht würde bald kommen. Ich weiß, dass man mich als distanziert, kalt oder gefühllos wahrnehmen kann. Aber ich musste schon als junge Frau lernen, meine Gefühle zu kontrollieren. Und das ist ein schwieriger Weg. Denn du musst dich schützen, die Dinge am Laufen halten, aber gleichzeitig möchtest du nicht wirken, als würdest du dich abschotten.“ In diesem für Frauen klassischen Zwiespalt befand sich Hillary Clinton während ihrer gesamten politischen Karriere. Eine Frau, die zu emotional und verletzlich wirkt, hält man mit hoher Wahrscheinlichkeit für zu schwach oder labil für eine Führungsposition. Wenn sie hingegen zu kontrolliert und selbstständig wirkt, wird sie wahrscheinlich als kalt und männlich und deshalb abstoßend empfunden. Man nannte Golda Meir „den einzigen Mann im Kabinett“, Angela Merkel gilt als „die Eisenfrau“.

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Kritik am Sexismus und an patriarchaler Normierung ist natürlich für echte Marxisten läppisch. Der Publizist Gerhard Scheit möchte nun bei dem Blogger Alex Feuerherdt (LizasWelt) Trump eher in einer Linie zu Roosevelt und dem konservativen George W. Bush stellen, um die Gefahr, die von einem Typen wie Donald J. Trump für die Demokratie und den liberalen Westen ausgeht, zu vernebeln bzw. zu affirmieren. Als ob Trump ein ganz normaler Politiker wie Roosevelt oder George W. Bush wäre! Was für eine Groteske. Das bloggende Fußvolk inklusive der Wochenzeitung jungle world macht mit. Mann sieht das große Ganze und das verspricht eher Hoffnung:

„Das aber lässt doch auch hoffen, dass die künftige Außenpolitik der USA kein böser Alptraum wird, sondern vielmehr einen solchen beendet. Die Haltung der USA zum Deal mit der Islamischen Republik Iran, die bei Clinton sich wohl im Wesentlichen kaum verändert hätte, könnte nun theoretisch zum zentralen Bezugspunkt einer Rückgewinnung hegemonialer Politik werden.“ (G. Scheit, sans phrase)

Da glauben Hegelianer einem völlig unberechenbaren, durchgeknallten, gewalttätigen Narzissten und „Faschisten“ (so nannte ihn auch ein Senator in Irland im Parlament) und stimmen Lobgesänge auf ihn an, wissend ob des ekelhaften Wahlkampfes. Doch das bisschen Sexismus und Rassismus hatte womöglich was Gutes, sie schmiegen sich der Zeitung für Deutschland an und insinuieren ganz geschichtsphilosophisch:

„Vor diesem Hintergrund stimmt der Protest, wie er sich gegen Trump in Deutschland erhoben hat, auf paradoxe Weise optimistisch – so wie der unsägliche Wahlkampf von Trump einem Hegelianer rückblickend als »List der Vernunft« erscheinen könnte.“ (G. Scheit)

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Zu BRD-Zeiten sprach man ab den 1970er Jahren von einer Querfront, wenn Rechtsextreme sich links verkleideten, vorneweg Henning Eichberg. Der an der Uni Bochum frisch promovierte Eichberg hatte 1971 sein politisches Vorbild Arthur Ehrhardt, SS-Hauptsturmbannführer und „Bandenbekämpfungsspezialist im Führerhauptquartier“ und nach 1945 Gründer der SS-Zeitschrift „Nation Europa“, verabschiedet („Arthur Ehrhardt ist tot. Der hünenhafte Bauer (…) ist von uns gegangen. Wir, seine Freunde und Schüler, sind betroffen.“) und wenige Jahre später die Partei Die Grünen in Baden-Württemberg mitgegründet, wurde in „linken“ Zeitschriften wie Ästhetik&Kommunikation publiziert und brachte Rudi Dutschke, Joseph Beuys oder Grüne aufs Titelblatt der neu-rechten Postille „wir selbst“.

Früher war es also ein Zeichen von Querfront, wenn sich extreme Rechte als links verkleideten. Der Stern hatte seinerzeit Eichberg, dem wichtigsten Theoretiker deutscher „nationaler Identität“ (er publizierte 1978 das erste Buch mit diesem Titel, seither ist der Begriff schrittweise im Mainstream angekommen) der nationalrevolutionären Neuen Rechten die akademische Karriere in der Bundesrepublik vermasselt, weil er einen gut gewürzten Text gegen die „roten Nazis“ und Eichberg publizierte (Ulrich Völklein (1982): Die roten Nazis. Die rechte Gewalt hat ein linkes Programm: nationale Revolution und Sozialismus, in: Stern, 35. Jg. (1982), H. 10, 4.–10. März 1982, S. 98–106).

Seit Längerem gibt es nun in der Bundesrepublik auch die Variante, dass sich Linke an die Rechte ranmachen, so wie z.B. Sahra Wagenknecht an Frauke Petry und die AfD, früher Dutschke an die „nationale Frage“ oder der damalige DKP-Sympathisant Martin Walser, der sich ebenso an den nationalen Diskurs ranrobbte (»Auschwitz. Und damit hat sich’s. Verwirkt. Wenn wir Auschwitz bewältigen könnten, könnten wir uns wieder nationalen Aufgaben zuwenden«, publiziert im edition suhrkamp Band 1000, ediert von Jürgen Habermas, 1979).

Nun also 2016: Wenn Linke oder Linkshegelianer der Rechten zuarbeiten, dann handelt es wohl auch um eine Art Querfront. Mit Hegel für Trump. Damit Amerika wieder ein echter Hegemon wird und die kulturelle Hegemonie der extremen Rechten sich durchsetzen kann. Ersteres wird explizit gewollt und letztes derealisiert, aber goutiert. Der rechtsextreme Antiamerikanismus, das Nicht-Verzeihen des Sieges der Amerikaner über Nazi-Deutschland, bricht jetzt in sich zusammen, wenn ein Pro-Pegida-Mann im Weißen Haus die Macht an sich reißt. Sicher werden antiamerikanische Ressentiments weiter abrufbar bleiben, aber solange die USA nationalistisch, rassistisch, sexistisch, antisemitisch (Alt-Right) und postfaktisch regiert und beraten werden, ist der Ex-Konkret-Redakteur Jürgen Elsässer ein glücklicher Mann („Trump triumphiert, Clinton erledigt – jetzt muss Merkel weg“, Elsässer, 9.11.2016).

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Einer der beliebtesten Mythen unserer Zeit ist die angebliche Verlassenheit oder Abgehängtheit weiter Teile der Bevölkerung in westlich-kapitalistischen Gesellschaften. Deshalb sei Trump gewählt worden und von daher kämen die Stimmen für euphemistisch „rechtspopulistisch“ oder nur „populistisch“ genannte Parteien oder Bewegungen auch in Europa. So dröhnt es monoton aus jeder einzelnen Talkshow, jedem Radiobeitrag, jedem Leitartikel, jedem Kommentar oder jeder Reportage. Und das seit Jahren.

Der Leiter des „Referats Internationale Politikanalyse in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin“, Ernst Hillebrand, bringt das 2015 in dem von ihm edierten Bändchen „Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie“ exemplarisch auf den Punkt:

„Der Schlüssel zur Wiederherstellung der Vertrauensbasis liegt meines Erachtens in einer konsequenten Hinwendung zu etwas, was ich als eine ‚Politik der Anerkennung‘ bezeichnen möchte. Die Theorie Axel Honneths vom Verlangen nach Anerkennung als zentraler Triebfeder menschlichen Handelns erscheint mir nach wie vor als einer der erklärungsmächtigsten sozialwissenschaftlichen Denkansätze. Er ist auch für die Politik von zentraler Bedeutung. Eine solche Politik der Anerkennung würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass Menschen sich respektiert und ernst genommen fühlen. Sie würde die Gefühle und Sorgen der Menschen als legitim erachten und ihr Verlangen nach einer vertrauten und beherrschbaren Welt akzeptieren und nicht verachten. (…) Erst wenn linke Politik wieder deutlich macht, dass ihr Verhältnis gegenüber den Menschen des jeweiligen Landes von Wertschätzung und Respekt getragen ist, wird sie dem Rechtspopulismus dauerhaft das Wasser abgraben können.“

Die „Puddingprobe“ („the proof of the pudding is in the eating“) hatte Honneths elaborierte Theorie schon 2012 überstanden, als er als Teil der Jury Judith Butler den Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main zusprach. Butler ist so stark von Anerkennung getrieben, dass ihr Hauptanliegen die Zerstörung des jüdischen Staates Israel ist.

Und so treffen sich sozialdemokratische Volksfreunde mit elitären Antizionistinnen und gehen einen saufen oder grillen sich ein veganes Steak mit glukosefreiem Pudding zum Nachtisch.

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Die Hegelianer verachteten früher durchaus das Volk, ob in Wien oder in Doitschland, und das aus gutem Grunde. Diese Verachtung haben sie mit Hermann L. Gremliza gemein, der völlig zu Recht die elenden allzu deutschen Straßennamen in Gerlingen bei Ditzingen im Ländle vorführt. Er distanziert sich auch von Trumps Fußvolk in diesem Land, von den Sarrazins, Buschkowskys, Wagenknechts, Oettingers oder auch Broders (bei dem jetzt der Konkret-Autor Feuerherdt als „Autor“ von „Achgut“ angekommen ist).

Aber die Inkonsistenz, den Primat der Ökonomie zu behaupten und die bloße Kategorie politische Kultur oder jene kultureller Hegemonie nicht zu erkennen, bleibt bei Gremliza im Raume stehen. Er kann sie nicht auflösen. Das ist immer noch mehr als das Kokettieren mit der Hegelschen List der Vernunft angesichts eines von Rechtsextremisten umgebenen Sexisten und Rassisten im Weißen Haus.

Doch auch hier sieht Konkret, wie Marxisten oder (natürlich) orthodox-unorthodoxen Linken, nicht den Bruch, den der 8. November 2016 für den Westen, die USA und Europa bedeutet. Es ist eben nicht der immergleiche Kapitalismus, der herrscht. Es ist eine kulturelle wie politische Hegemonie extrem rechten Denkens und Handelns, das sich nun im mächtigsten Land der Welt Bahn bricht mit unvorhersehbaren Konsequenzen für Amerika, Europa und den Westen.

Und am Ende obsiegt auch bei Gremliza der Primat des Kapitals, politische Kultur, Sexismus und Patriarchat, Rassismus wie Antisemitismus sind nur Abgeleitetes.

Daher kann er auch mit einem abstrusen Zitat von vor 16 Jahren ernsthaft meinen, heute etwas zu Hillary Clinton und Trump gesagt zu haben. Mehr noch: Gremliza verkennt, was eine politische Zäsur ist, die es gar nicht geben kann, schließlich herrsche das Kapital wie eh und je bzw. seit sehr langer Zeit (seit der „ursprünglichen Akkumulation“ weiß der Marxist), wenn er einem achtelgebildeten Journalisten erklärt, dass der Sieg Trumps keine „historische Zensur“ gewesen sei und das germanistische Oberseminar im Brecht-Bau der Uni Tübingen nickt. Dass er keine Zäsur sei, das möchte Gremliza damit aber offenkundig zum Ausdruck bringen. Der Wandel der politischen Kultur, die kulturelle Hegemonie der Neuen Rechten, die politisch wird, ist ihm wurscht, weil ja das kapitalistische Apriori obsiege.

Die alltägliche Gewalt gegen Minderheiten, Latinos und Mexikaner, die LGBT Community, Schwarze, Behinderte, aber auch Mehrheiten wie Frauen, wird zunehmen, angesichts eines Typen wie Trump, und sie hat schon zugenommen, wenn man sich Nachrichten aus USA widmet.

Aber was kümmern empirische Details echte Hegelianer, unterm Strich? Ernsthaft zu meinen mit Faschisten für Israel und gegen die iranische Gefahr zu sein, wird sich als größte Unvernunft erweisen. Wer ernsthaft meint, mit einem Mann, umgeben von Neonazis, Rassisten und Antisemiten, die „Hail Trump“ schreien, sei dem Islamfaschismus aus Teheran beizukommen, sollte mal in sich gehen.

Ein Mann, der autoritäre Herrscher wie Putin und Erdogan oder Massenmörder wie Assad neidvoll betrachtet, soll die Waffe sein gegen die iranische Gefahr.

All das geht zudem nur unter Derealisierung des Rassismus und Sexismus, die als Nebenwidersprüche schon immer bei Seite gelegt wurden. Natürlich würde ein Scheit niemals so vulgär reden wie sein Hegel-sei-bei-uns im Weißen Haus ab Mitte Januar 2017. Aber es stört ihn nicht so massiv, dass er die Gefahr, die Trump für die politische Kultur in Amerika und Europa bedeutet, erkennen würde.

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Es geht den linken Trumpianern um die Wiedereinsetzung des Hegemons USA, nicht um die Gefahr für Amerika selbst und Europa durch eine neu-rechte politische Kultur, durch eine extreme Veränderung kultureller Hegemonie. Eine Querfront ungeahnten Ausmaßes. Man kann den grünen, islamistischen Faschismus nicht mit dem braunen bekämpfen. Vielmehr sind beide Feinde des Westens und der liberalen Demokratie.

Horst lacht, klopft sich auf die Schenkel und hätte sich nie träumen lassen, mal mit Hegelianern in einem Boot zu sitzen, auf dem Chiemsee, und mit Trump Witze über Gender Studies reißen und die abstruse Idee, dass jemals eine Frau Präsidentin der USA wird. „Jetzt wird aufgeräumt“ tönt es über den See. „Lock her up“ – und diesmal ist nicht Hillary gemeint. „Diese Tretbootfahrt könnte sich als #List der Vernunft herausstellen“, wie die Genossen auf Twitter jubilieren werden.

©ClemensHeni