Konzeptionelle Defizite beim Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin

Von Dr. Clemens Heni, Post-Doctoral Research Fellow, Yale Initiative for the Interdisciplinary Study of Antisemitism, YALE University, USA

Am 23. September 2008 wurde vom Iranischen Präsidenten Ahmadinejad eine antisemitische Rede auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen gehalten. Am Tag zuvor protestierten geschätzte 10 000 Menschen gegen die bloße Erlaubnis diesen Antisemiten und Holocaustleugner überhaupt in die USA einreisen zu lassen. Er spricht mit keiner Silbe vom Staat Israel. Das ist typisch für die Ideologie des radikalen politischen Islam und nichts wirklich Neues, gleichwohl schockierend. Der Ort hingegen, die UN in New York City, ist bemerkenswert. »Zionists« sind also seine Feinde, wenn er sie »Zionist murderers« diffamiert, die Aggression Russlands in Georgien als eigentlich von der NATO und der hinter ihr stehenden »Zionists« sieht, und natürlich werden die »Zionists« ihrer imaginierte Rolle als »dominating an important portion of the financial and monetary centers as well as the political decision-making centers of some European countries and the US« geziehen, schließlich hetzt er gegen ein »Zionist network« bzw. »Zionist regime«. Juden sind für Ahmadinejad wie schon für die Deutschen im Nationalsozialismus –hier trifft der Vergleich offenkundig zu – Zionisten und umgekehrt. Jeder Jude ein Zionist = Feind, überall.

Das macht die Attacken des Iran gegen Israel so bezeichnend: Israel steht für die Judenheit insgesamt, der Antisemitismus des Iran jedoch speist sich nicht nur aus Erinnerungsabwehr und Holocaustleugnung, auch althergebrachte, primäre Muster des Judenhasses wie die »jüdische Weltverschwörung«, »der jüdische Kapitalist« und die kleine, aber einflussreiche Gruppe »der Juden« ganz generell sind erkennbar. Deshalb muss diese Rede ernst genommen werden und als Zeichen für die wahnhafte, auf die Tötung von Juden zielende Ideologie des heutigen Iran. Antizionismus ist der Kern der Ideologie Ahmadinejads, und dieser Antizionismus ist nur ein – nach Auschwitz, das jener ja gar nicht anerkennt – Code für »den Juden«! Es ist Antisemitismus, der von Iran propagiert wird, nicht bloßer ›Rassismus‹. Das zu verstehen, ist im Folgenden entscheidend.

Und was macht das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin nach so einer Rede? Ein Symposium über die Gefahren des Antisemitismus? Eine Konferenz über den auf Vernichtung von Juden zielenden Judenhass des heutigen Iran? Oder, theoretischer, ein Seminar über die Ignoranz des Westens bezüglich der Gefahr des neuen Antisemitismus, namentlich des muslimischen Antisemitismus, des Antiamerikanismus und Islamic Jihad? Die Relevanz einer solchen Tagung zeigt sich auf fürchterliche Weise in dem Massaker in Indiens Finanzmetropole und größter Stadt Mumbai (Bombay) die letzten Tage, als islamistisch motivierte Massenmörder über 170 Menschen ermordeten und auch ein jüdisches Gemeindehaus angriffen und gezielt Juden ermordeten.

Das ZfA hingegen veranstaltet angesichts der Rede von Ahmadinejad eine Konferenz unter dem Titel »Feindbild Muslim – Feindbild Jude«. Wo sind die Parallelen? Wie schreibt das ZfA in der Ankündigung für den 8. Dezember 2008?

»Gleichzeitig wurden Muslime selbst in Debatten um Moscheebauten, Zwangsehen oder das Kopftuch Ziel pauschaler Anfeindungen. Verschwörungsphantasien über eine „Islamisierung Europas“ wurden dabei ebenso laut wie der Vorwurf, der Islam gebiete seinen Anhängern die Täuschung der Nichtmuslime. Die Denkmuster sind aus der Geschichte des Antisemitismus bekannt und werfen die Frage auf, welche Gemeinsamkeiten Judenfeinde und Islamfeinde teilen«. http://zfa.kgw.tu-berlin.de/feindbild_muslim_feindbild_islam.pdf

Ganz abgesehen davon, dass schwer verständlich ist, warum z. B. »Zwangsehen« nicht »pauschaler Anfeindungen« ausgesetzt sein sollten: Waren Juden in der Geschichte lediglich »pauschaler Anfeindungen« ausgesetzt? Wieso sind die »Denkmuster« bezüglich Juden und Muslimen aus Sicht der jeweiligen ›Kontrahenten‹ so ähnlich?

›Denkmuster‹ ist ein interessanter Terminus. In der Antisemitismusforschung wird der Hass auf Abstraktion und die Vergöttlichung des Konkreten, sprich: das Ressentiment gegen Börse, Geld und Kapital und die Liebe zur Fabrik, zur Produktion und am besten auch zum »deutschen Arbeiter«, als elementarer Bestandteil des Antisemitismus, insbesondere seit Mitte des 19. Jahrhunderts analysiert. Die gefährliche Gleichsetzung von »Schacher«, »Geld« und Juden, wie sie selbst den frühen Karl Marx kennzeichnet, ist bis heute beliebt. Man lese nur die junge Welt oder verfolge die Reden auf Demos der »Freien Kameradschaften«.

Oder man erinnere sich der Hetze gegen »Heuschrecken«, wie sie Franz Müntefering für den politischen Mainstream etablierte, oder man erinnere sich an dieselbe Agitation gegen Heuschrecken, welche arme Deutsche, ›ehrliche‹ Arbeiter aussauge, wie sie Cover von Zeitschriften z. B. der IG Metall brachten.

  • Wo und wann wurde jedoch Muslimen unterstellt, die ›böse‹ Zirkulationssphäre zu beherrschen und andere Menschen oder ›Völker‹ auszusaugen?
  • »Mammon« ist vielmehr in der antijüdischen Agitation der Gott des Geldes, dem Juden verpflichtet seien. Weltweit ist dieser antimammonistische Antisemitismus (der oft mit Antiamerikanismus einhergeht, heute) zu konstatieren. Es ist ein elementarer Bestandteil der antijüdischen ›Weltanschauung‹, welchen Rassismus gerade nicht beinhaltet
  • Die Protokolle der Weisen von Zion, Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in Russland publiziert, imaginieren eine jüdische Weltverschwörung. Es ist die wirkungsmächtigste Phantasie über eine Verschwörung bis heute. Juden stehen demnach nicht nur hinter Geld, Kapital oder Börse, auch die Politik sei wesentlich von ihnen bestimmt. Die Französische Revolution sei von Juden geplant gewesen um ihre eigene Herrschaft zu sichern, ja selbst Untergrundbahnen seien von Juden erfunden worden, um gleichsam Gesellschaften von unten zu ›unterwandern‹
  • A propos Wandern: eines der wirkungsmächtigsten Bilder des Antisemitismus ist Ahasver, der ›ewige Jude‹. Nicht nur Filmtitel der Nazi-Propaganda, nein, seit 1602 ist er in ungezählten Facetten ein Bild des ewig umherwandernden Juden, der Jesus vermeintlich eine kurze Pause mit dem Kreuz auf dem Rücken verweigerte
  • Oder die so typisch christliche Phantasie des Blutopfers, welches Nicht-Juden geben müssten, um Juden ihre Matze kneten zu lassen mit dem Blut von armen, nicht-jüdischen Kindern. Bis heute wird diese Propaganda im arabischen oder muslimischen TV verbreitet. Die islamkritische Seite Memri hat Videos darüber im Internet dokumentiert
  • Oder nehmen wir den 13. Dezember 1934, als die »Reichshabilitationsordnung« fürderhin die Habilitation in Deutschland von der »arischen Abstammung« abhängig machte

Kein einziges der genannten Beispiele aus dem schier unerschöpflichen Arsenal (das ist es) des Judenhasses gibt es bezüglich der Muslime. Kein einziges.

Rassismus hingegen, Diskriminierung im weiteren Sinne, auch gegenüber muslimischen und nicht-muslimischen Türken sowie anderen Muslimen in Deutschland gibt es. Das würde niemand leugnen. Doch es ist an Absurdität, Infamie, Unwissenschaftlichkeit schwer zu überbieten, diese Form der Ausgrenzung mit Antisemitismus gleich zu setzen, wie es die ZfA Konferenz macht.

Mit Cem Özdemir wurde kürzlich ein neuer Vorsitzender der Grünen gewählt, ein türkisch-deutscher Schwabe. Schon lange ist Özdemir im Mainstream der Politik. Und das ist gut so.

Nun so zu tun, also ob ›die Muslime‹ einer Gefahr ausgesetzt seien wie die Juden vor Auschwitz, oder auch nur vor 1933, oder auch nur davor – das ist wissenschaftlich nicht haltbar. Das muss gerade Wolfgang Benz wissen, der viele Bücher über den Nationalsozialismus ediert und verfasst hat, zumal zum Antisemitismus.

Wenn das Zentrum für Antisemitismusforschung nun eine Konferenz unter dem Titel »Feindbild Muslim – Feindbild Jude« veranstaltet, also Antisemitismus, der zur Shoah führte, mit dem heutigen Rassismus gleichsetzt, dann indiziert das entweder die theoretische Hilflosigkeit oder aber die gezielte Gleichsetzung des Präzedenzlosen mit x-beliebiger Diskriminierung. Wenn manche Islamkritiker Imame zitieren, welche in der Tat Europa islamisch oder islamischer machen wollen, dann ist das erst einmal empirisch ernst zu nehmen, denn diese Zitate gibt es ja. Während es zu keinem Zeitpunkt Juden gegeben hat, welche missionarisch ihre nicht-jüdische Umwelt zum Judentum bekehren wollten, gibt es diese Tendenz bei den beiden anderen monotheistischen Religionen, dem Christentum und dem Islam sehr wohl. Auch religionsphilosophisch wäre also der unüberbrückbare Gegensatz von Judentum und Christentum/Islam zu analysieren. Die Texte und Reden von Bin Laden, Ahmadinejad oder ungezählten anderen radikalen Islamisten belegen doch, dass zuerst Israel von ›muslimischem Boden‹ weggefegt werden soll, um danach weitere westliche Gesellschaften anzugehen. Da braucht es keine anti-muslimische Verschwörungstheorie, welche es in gewissen, marginalisierten Kreisen gibt, und die in der Tat in der bloßen Existenz von Muslimen in Europe eine Gefahr apriori sieht. Das ist rassistisch. Das hat aber mit Antisemitismus wiederum rein gar nichts gemein. Antisemiten ›wittern‹ ihren ›Feind‹, den es gar nicht gibt. Rassisten übertreiben existente (!) islamistische Drohungen zu einer Gefahr ›der Muslime‹.

Es wäre ein weiterer Meilenstein in der Trivialisierung des Holocaust, des Antisemitismus und zumal ein Zeichen an die muslimisch motivierten Antisemitien: nun gut, wir beobachten euch kritisch, aber genauso oder noch mehr beobachten wir eure Kritiker. Wenn sich das ZfA so um ›Vorurteile‹ und Rassismus kümmern möchte, wieso hat es dann den rechtsextremen Kader der NPD Stefan Lux letztes Jahr im September mehrere Tage an der Sommeruniversität zu Antisemitismus teilnehmen lassen, auch und gerade nachdem Antifaschisten ihn erkannt und gefordert haben, ihn des Platzes zu verweisen? Prof. Bergmann vom ZfA erwiderte lapidar, dieser NPD-Kader habe sich ordentlich angemeldet. Soviel zur ›Sorge‹ des ZfA um Muslime, MigrantInnen, Obdachlose, Linke oder Juden und andere potentielle Opfer der Neo-Nazis in Deutschland.

Die Konferenz des ZfA ist ein weiterer Schritt in Richtung Normalisierung der deutschen Geschichte. Wenn es den Muslimen von heute (in Deutschland) auch nur entfernt so ähnlich geht wie den Juden von vor 1933 oder auch bis 1945, denn diese Zeiten werden von der Ankündigung ja alle inkludiert, dann war der Holocaust kein Zivilisationsbruch. Dann war die Hetze gegen die Juden von Seiten der NSDAP, von Gregor Strasser im Jahr 1926 im »Nazi-Sozi« zum Beispiel, wo Juden mit Flöhen gleichgesetzt werden, offenbar vergleichsweise harmlos, ja ähnlich wie x-beliebige ›Ausgrenzungsmechanismen‹ gegenüber Muslimen heute, die es ja gibt. Und rassistische Hetze gegen Muslime wird im Zweifelsfall juristisch bekämpft und nicht zehntausendfach legal verkauft wie seinerzeit die Broschüren von Strasser in den 1920er Jahren.

Eine solche Konferenz wie jene des ZfA ist ein Zeichen gerade für Studenten oder jüngere Menschen: seht, Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus gab es schon früher und es hat fürchterliche Konsequenzen. Die Juden waren nur ein Beispiel. Damit wird von einem staatlich sehr gut ausgestatteten Zentrum ganz offensiv die Relativierung des Holocaust vorangetrieben und Antisemitismus völlig unspezifisch mit Rassismus gleichgesetzt. Es ist noch nicht einmal ›nur‹ ein Vergleich, nein, es wird ohne Fragezeichen gleichgesetzt in der Ankündigung. Wenn Jugendliche oder andere, ja z. B. Holocaustüberlebende gesagt bekommen: heute geht es den Muslimen in Deutschland so schlimm wie früher den Juden, ja dann ging es den Juden offenbar nicht so schlimm. Es ist eine Derealisierung des Antisemitismus der Weimarer Republik, oder auch des Kaiserreichs mit seinen Antisemitenparteien oder den Warenhausdebatten, welche das antijüdisch-antiurbane Ressentiment mit generierte. Und natürlich ist es eine infame Derealisierung jedes einzelnen Tages des Nationalsozialismus seit dem 30. Januar 1933.

Weitere Beispiele mögen verdeutlichen, wie stark dieses Phantasma der „Islamophobie“ ist:

  • Wo sind heute Debatten über die Gefahr welche von türkischen Gemüsehändlern ausgehe?
  • Wo sind explizite (!) Antitürken oder Antimuslim-Parteien in Deutschland, die gar ins Parlament gewählt werden?
  • Wird nicht vielmehr auch in rechtsextremen Periodika wie der Jungen Freiheit durchaus mit Islamisten wie den Brüdern Özoguz vom berüchtigten Muslim-Markt diskutiert (siehe Junge Freiheit vom 20. August 2004), da doch beide – Nazis und Islam-Faschisten – die gleichen Feinde hätten, nämlich die USA und die Juden/Israel?
  • Oder wo sind die Muslim-Zählungen bei der Bundeswehr, wenn wir an die ›Judenzählung‹ von 1916 denken?
  • Um weltpolitisch zu reden: wenn ein Präsident eines mächtigen Staates wie Iran eine antisemitische Rede halten kann vor den Vereinten Nationen und danach sogar von einem über 80jährigen Nicaraguaner geherzt wird und viele Delegierte klatschen und NUR die USA und Israel von vornherein der Rede dieses Holocaustleugners und obsessiven Antisemiten fern blieben: leben wir dann in einer Zeit der Bedrohung für Muslime?

Ist es nicht vielmehr so, dass, wer die Muslime von heute mit den deutschen Juden bis 1945 (oder darüber hinaus) auch nur im Ansatz vergleicht, die seriöse universitär-institutionelle Antisemitismusforschung, wie sie sich nur am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin etabliert hat, beendet?

Es ist dann Geplänkel, ähnlich den Analogien von Antisemitismus und Vorurteilen gegen Hartz-4-Empfängern, Muslimen oder Einwanderern, wie sie der Bielefelder Forscher Wilhelm Heitmeyer mit einer ganzen Reihe von KollegInnen erarbeitet. Das auf 10 Jahre angelegte Langzeitprojekt »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« von Heitmeyer, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld, hat ein mittlerweile zehn »Elemente« umfassendes Schema für »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« erarbeitet. Auch der von der islamischen Republik Iran alsbald nach der »islamischen Revolution« 1979 erfundene Kampfbegriff »Islamophobie« taucht selbstverständlich auf. Das scheint mit dem ZfA zu korrespondieren. Die zehn Elemente von Heitmeyers Projekt sind »Rassismus«, »Fremdenfeindlichkeit«, »Antisemitismus«, »Homophobie«, »Abwertung von Obdachlosen«, »Abwertung von Behinderten«, »Islamophobie«, »Etabliertenvorrechte«, »Sexismus« und »Langzeitarbeitslose«.

Doch Deutschland ist nicht der Nabel der Welt.

Wer sich nämlich internationale Forschungen zum Antisemitismus anschaut, merkt schnell, dass außerhalb Deutschland die wirklichen Gefahren der heutigen Welt durchaus gesehen werden: Es ist der »islamische Faschismus« (Walter Laqueur, Robert Wistrich), das antiwestliche Ressentiment des politischen Islam und sein Hass auf Aufklärung, Emanzipation, Freiheit und Individualität, auf die Trennung von Staat, Gesetz und Religion, auf Sex und Rock’n’Roll, auf alleine lebende ((ex-)muslimische) Frauen (oder natürlich auch Männer), die nicht heiraten wollen, auf Homosexuelle, auf Vielfältigkeit, Uneindeutigkeit und Heterogenität, auf mehr oder weniger lustige Mohammed-Karikaturen und scharf gewürzte Religionskritik ganz generell, und zumal sein Antiamerikanismus, nicht erst aber vor allem seit 9/11, und sein Antisemitismus und Hass auf den jüdischen Staat Israel.

Was also ist Fakt?

  • Juden sehen sich erstmals seit 1945 wirklich genozidalen Drohungen aus Iran und dessen Ablegern im Gaza-Streifen (Hamas), Südlibanon (Hezbollah) und Syrien sowie vielen weitern djihadistischen Gruppen ausgesetzt
  • Auch in Deutschland sind Juden Opfer muslimischer Jugendlicher, und nicht umgekehrt
  • Es gibt keine »Protokolle der Weisen Muslime von Kreuzberg«
  • Es gibt keine Hetzvideos zu Pessach in Israel über türkische oder arabische oder muslimische Familien, welche jüdische Kinder für Ramadan-Zwecke in Kölner Hinterhaus-Kellern abschlachten
  • Ein jüdisches Mädchen läuft schon mit einer Magen David Halskette Gefahr in Berlin-Neukölln zusammen geschlagen zu werden, von Gleichaltrigen
  • Es gibt keine jüdischen suicide-bomber, welche muslimische Gesellschaften in tägliche Todesgefahr setzen

Ein Zentrum für Antisemitismusforschung sollte sich all dieser Unvergleichbarkeiten gewahr sein und gerade die Differenzen von Rassismus und Antisemitismus erkennen und wissenschaftlich erforschen, ja zudem öffentlich darüber berichten. Wenn nicht, verliert es seinen Anspruch als ein solches Zentrum.

Antisemitismus ist aber kein bloßer Rassismus. Während sich Weiße als Schwarzen überlegen fühlten und diese rassistische Einschätzung gar ›biologisch‹ zu sichern suchten, ist es im Antisemitismus gerade umgekehrt: Juden werden als omnipräsent imaginiert. Gerade das nicht-Sichtbare mache sie so gefährlich. Ein entscheidender Unterschied von Rassismus und Antisemitismus liegt genau in diesem Punkt: Judenfeinde sehen sich Juden nicht als überlegen an. Vielmehr wird eine ›jüdische Macht‹ imaginiert, welche nur durch die Eliminierung der Juden besiegt werden kann. Eigentlich sollte ein Zentrum für Antisemitismusforschung sich dieser grundsätzlichen Differenzen von Rassismus und Antisemitismus bewusst sein. Wofür werden die ForscherInnen sonst bezahlt?

Wenn das ZfA die Konferenz über »Feindbild Muslim – Feindbild Jude« veranstaltet, so ist es offenbar Mainstream geworden, Antisemitismus klein zu reden, zu bagatellisieren und den Zivilisationsbruch Auschwitz, der am Ende des Antisemitismus in Deutschland stand, zu den deutschen Akten zu legen. Es gibt ähnlich Schlimmes, demnach.

Schließlich: wer sich nach der antijüdischen Hetzrede des Iran vor den UN am 23. September 2008 nicht genötigt sieht, umgehend eine deutliche öffentliche Konferenz einzuberufen, hat den Zweck eines Instituts zur Erforschung des Antisemitismus verpasst. Israel allein zu lassen, einfach zu schweigen ob der Gefahr durch muslimischen Antisemitismus und lieber x-beliebige »Feindbilder« einander gegenüber zu stellen und postmoderne Komparatistik zu betreiben, hintergeht den Anspruch von Aufklärung und wissenschaftlicher Integrität, alles zu tun, damit Auschwitz nicht sich wiederhole, wie Adorno sagte. Wer die Muslime von heute zu den ›Juden von heute‹ stilisiert wie das ZfA mit der genannten Konferenz, leistet dazu nicht nur keinen Beitrag. Vielmehr werden die Muslime als die zukünftigen Opfer – wie seinerzeit die Juden – herbeifantasiert. Es ist eine Umkehrung der Wahrheit, eine »inversion of truth«.

Kritische Antisemitismusforschung ist weiterhin gehalten, das Spezifische des Antisemitismus zu analysieren. Antisemitismus ist der »longest hatred«, wie es Robert Wistrich von der Hebräischen Universität nennt. Diesen längsten Hass mit seinem Welterklärungscharakter, der jedes rassistische Vorurteil kategorial übersteigt, zu verkennen, zu diminuieren und zu banalisieren, wie das ZfA es mit der geplanten Tagung intendiert, ist bemerkenswert für die Antisemitismuforschung in Europa und Deutschland im Jahre 2008.