Von Dr. phil. Clemens Heni, 6. März 2017

Der Vergleich und die Gleichsetzung von Juden und Nazis sowie von Israel und dem Nationalsozialismus ist eine weit verbreitete Form des heutigen Antisemitismus. Dieser Vergleich von Juden und Israel mit Nazis trivialisiert nicht nur den SS-Staat und die Shoah, er meint eine Schuldumkehr. Die ehemaligen Opfer seien zu Tätern geworden, und zwar auf dem gleichen unsagbaren Level, das die präzedenzlosen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland kennzeichnet. Manchmal werden auch Juden oder Israelis als heutige Kollaborateure mit Nazis (die als Palästinenser, Araber oder Muslime vorgestellt werden) diffamiert und israelische politische Souveränität geleugnet.

Die Sprachwissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel von der Technischen Universität Berlin schreibt 2015 in einem Text für die Bundeszentrale für politische Bildung:

„Während Rechtsextreme sowohl formal als auch inhaltlich nahezu identisch nationalsozialistische Sprachgebrauchsmuster aufgreifen und den Holocaust leugnen, führen linke und mittige Schreiber den Holocaust als Vergleichsgröße an, um die aktuell lebenden Juden in Israel zu diffamieren, indem die Militäraktionen Israels mit dem gezielten Massenmord in der NS-Zeit gleichgesetzt werden. Die Sprachmuster des Nationalsozialismus werden der ideologisch-politischen Einstellung gemäß angepasst und über Antizionismus ausgedrückt: Die Rede ist dann von den ‚faschistischen Zionisten und ihren SS-Methoden‘.“

Auf unzähligen Anti-Israel Demonstrationen von San Francisco über Berlin, Madrid, Frankfurt, Paris, Brüssel oder London, Teheran, Kairo, Tunis und vielen weiteren Orten auf der ganzen Welt sind wir solche Diffamierungen des Judenstaates fast schon gewohnt und sehen es dann in den Nachrichten. Bei jedem größeren Konflikt werden diese antisemitischen Vergleiche intoniert, zuletzt und auf nie dagewesene Weise während des Anti-Hamas-Krieges Israels im Sommer 2014, häufig von Muslimen, aber auch anderen Antizionisten, die teils sogar die nicht vollständige Vergasung der Juden damals bedauern und den ‚Job‘ zu Ende bringen wollen.

Der Historiker Robert S. Wistrich hat viele Israel-Nazi Vergleiche in seiner umfassenden Geschichte des Antisemitism – A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad, New York: Random House, 2010 – aufgeführt, analysiert und kritisiert.

In seiner „monumentalen“ Study in History hat in den 1950er Jahren der britische Historiker Arnold Toynbee demnach die Juden in Palästina als „Abkömmlinge der Nazis“ diffamiert. Das wurde von Zeitgenossen Toynbees begierig aufgegriffen, so von Glubb Pascha, Sir Edward Grigg (Lord Altrincham) und vor allem Sir Edward Spears. Letzterer fantasierte, die Juden in Palästina hätten das Nazikonzept des „Lebensraums“ adaptiert und würden sich als „Herrenrasse“ aufspielen.

1982 sprach die britische trotzkistische Zeitung „The News Line“ von der „Endlösung“ des Palästinenserproblems. Viele linke antisemitische Gruppen und Autor*innen agitierten gegen Israel, gerade auch linksradikale (bzw. reaktionäre) Gruppierungen, wie der Historiker Thomas Haury schon vor Jahren festhielt: „Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen“ (Schwarze Ratten/Tupamaros Westberlin, 1976).

Der Holocaustüberlebende Vladimir Jankélévitch schrieb 1971:

„Der ‚Antizionismus‘ ist in dieser Hinsicht ein ungesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischerweise Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig, sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient. So entlasten sich unsere Zeitgenossen von ihrer Sorge.“

In einer Rede im Juli 2002 sagte der saudi-arabische Botschafter in Großbritannien, Ghazi al-Qusaibi, auf einer wissenschaftlichen Konferenz an der Universität von Westminster, die Operation Schutzschild sei „viel schlimmer als alles was die Deutschen taten, als sie Europa im Zweiten Weltkrieg besetzten.“ Die Sowjetunion, die PLO und die arabischen Staaten kreierten in unterschiedlicher Tonlage die Gleichung „Zionismus = Rassismus = Nazismus“. Am 5. Juli 1967 sagte der Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew, es scheine so, als ob die Israelis „die Verbrechen der Hitlerschen Invasoren kopieren“ wollten.

Britische Muslime kooperierten mit der Schottischen Palästinasolidaritätskampagne, die den Zionismus diffamierte und behauptete, die Zionisten hätten den Nazis beim Holocaust geholfen. Ein britischer Pfarrer, Rev. Richard Spencer schrieb im Januar 2003, das was in Ramallah an „Leiden“ geschehe, könne er sich nur in „Auschwitz“ vorstellen.

Laut Wistrich war der schwedische Ministerpräsident Olof Palme der vielleicht erste westliche Staatsmann, der 1969 Israel als „Nazistaat“ verleumdete. Im August 2006 wurde der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Caracas in Venezuela in der Wochenzeitung Los Papeles de Mandinga als eine Art „SS Obergruppenführer“ dargestellt, der jede Kritik an Israels „Genozid“ als „Antisemitismus“ bezeichne. Der Präsident Venezuelas zu der Zeit, Hugo Chavez, diffamierte Israel auf einem Staatsbesuch in China im August 2006, es sei sogar schlimmer als Hitler, bei anderer Gelegenheit sprach Chavez von einem „neuen Holocaust“, den Israel verübte.

Auf einer Holocaustleugnerkonferenz im jordanischen Amman 2001 wurden die Holocaustleugner Roger Garaudy und Robert Faurisson gefeiert und es wurde antisemitisch agitiert, der Zionismus sei schlimmer als der Nazismus. Auch die islamistische Terrororganisation Hamas sieht im Zionismus eine Ähnlichkeit mit dem Nazismus, so Wistrich. Mehr noch: selbst weltberühmte Literaturwissenschaftler und Schriftsteller wie der in England lebende George Steiner haben die unglaubliche Perfidie salonfähig gemacht, Juden und Israel mit Nazis zu analogisieren. In seinem Theaterstück The Portage to San Cristobal of A.H. von 1981 wird eine groteske Story erzählt. Ein 90jähriger fiktionaler Hitler wird im südamerikanischen Dschungel von Israelis gefangen genommen. Dieser Hitler meint, er habe die Idee von der Herrenrasse von den Juden und der hebräischen Bibel gelernt, ja er führt sich als Fan von Theodor Herzls „Der Judenstaat“ auf.

Vor diesem Hintergrund sind nun weniger bekannte Formen dieses antisemitischen Vergleichs von Juden und Nazis beziehungsweise von Israel und dem Nationalsozialismus, bemerkenswert.

Kommenden Donnerstag, den 9. März 2017, wird über den neuen amerikanischen Botschafter in Israel, David Friedman, abgestimmt. Friedman schrieb im Juni 2016:

Finally, are J Street supporters really as bad as kapos? The answer, actually, is no. They are far worse than kapos – Jews who turned in their fellow Jews in the Nazi death camps. The kapos faced extraordinary cruelty and who knows what any of us would have done under those circumstances to save a loved one? But J Street? They are just smug advocates of Israel’s destruction delivered from the comfort of their secure American sofas – it’s hard to imagine anyone worse.“

Anhänger der linken, liberalen, jedenfalls nicht rechten und in jedem Falle zionistischen, pro-israelischen, aber Anti-Siedlungs-NGO J Street aus USA seien also „viel schlimmer als Kapos“ in den KZs der Nazis bzw. der Deutschen. Wie fanatisch muss man sein, wie obsessiv Fakten verdrehend, dass man eine sich als pro-israelisch definierende NGO als antiisraelisch diffamieren kann und sie mit den von den Nazis bestimmten Kapos vergleicht?

Somit werden Vertreter*innen und Anhänger*innen von J Street als Sklaven, ‚Funktionshäftlinge‘ (als Kapos fremdbestimmt wurden ja nicht nur Juden, was Friedman gar nicht zu wissen scheint) oder eben Kapos eines heutigen (!) Nazismus diffamiert – der dann wohl eine Art liberaler Zionismus ist? Also Links-Zionismus = Nazismus? Oder aber als Herrschaft der Palästinenser, Araber oder Muslime, deren Abhängige eine große NGO in USA wie J Street sei – eine Verschwörung, die keiner kennt? Ein typischer Trumpismus also?

Und wo ist der große Aufschrei in der deutschen Pro-Israel-Szene? Oder sind da nur klammheimliche Schenkelklopfer, da endlich mal einer den linken Zionisten so richtig einen vor den Latz geknallt hat und damit als Diplomat (!) durchkommt?

Das erste Mal in ihrer Geschichte hat sich die größte Gruppe der Juden in USA, die Union for Reform Judaism, gegen die Nominierung eines US Botschafters in Israel ausgesprochen. Auch der National Council of Jewish Women ist gegen Friedman. Die bekannten großen NGOs wackeln wie immer opportunistisch hin und her, um ja nicht den „Kontakt“ zum Weißen Haus zu verlieren (AIPAC, ADL, AJC) und die rechten Organisationen wie die Zionist Organization of America (ZOA) oder die Orthodox Union unterstützen Friedman.

Der religiöse jüdische Terrorist Baruch Goldstein hat am 25. Februar 1994 am Grab des Patriarchen in Hebron (Westjordanland) an Purim bzw. im Ramadan um 5 Uhr morgens mit einem Sturmgewehr 29 Palästinenser*innen ermordet und 150 verletzt und wurde danach erschlagen. Eine an Perfidie schwer überbietbare Analogie zur Shoah wird in folgender Passage deutlich:

„Rabbi Dov Lior, Rabbiner von Hebron und Kirjat Arba, einer der berüchtigtesten Extremisten unter den Rabbinern der Siedlungen, sagte unmittelbar nach dem Massaker, Goldstein sei ein Heiliger und Märtyrer; er ging sogar soweit, Goldstein als einen Märtyrer ähnlich der Märtyrer des Holocaust zu beschreiben.“

Am 4. November 1995 wurde der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin von dem rechtsextremen und religiösen Fanatiker Jigal Amir, Student an der Bar-Ilan Universität, erschossen. Die Agitation gegen Rabin war unfassbar und hat sich über einen langen Zeitraum hochgeschaukelt, wie der Professor für Rechtswissenschaft, der Politiker, Abgeordnete der Knesset und Bildungs- und Kultusminister unter Rabin, Amnon Rubinstein (geb. 1931) in seinem Buch Geschichte des Zionismus 1998 (deutsche Ausgabe 2000) eindrücklich berichtet, aus dem auch obiges Zitat zu Rabbi Lior stammt.

 

Interessant wäre jetzt, was die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG), Scholars for Peace in the Middle East (SPME) German Chapter, die pro-israelische Bloggerszene, jüdische Zeitungen und sich selbst als proisraelisch vorstellende Autor*innen, die häufig und völlig zu Recht den islamistischen, linken oder Mainstream Antisemitismus wie den Vergleich von Israel mit Nazideutschland oder Juden und Nazis kritisieren und scharf attackieren, dazu sagen werden:

„Selbst vor Vergleichen mit dem Judenrat im Ghetto schreckte man nicht zurück. Bei einer Sitzung der Oppositionsparteien am 5. September 1993 entwickelte der Abgeordnete Uzi Landau dieses Konzept: ‚Auch dort unterstützte die Leitung der Ghettos die Durchführung des Liquidationsplans‘. Der Abgeordnete Benny Begin bemerkte: ‚Man sollte Vorsicht walten lassen, wenn man solche Kommentare abgibt.‘ Aber Landau antwortete: ‚Dies ist genau der Vergleich, der gezogen werden muß.‘ Ariel Scharon erklärte sogar, das, was die Rabin-Regierung tue, sei noch schlimmer als das, was die Judenräte während des Holocaust getan hätten: ‚Was ist der Unterschied zwischen dem Gemeinderat im Ghetto und der Regierung? Dort waren die Juden gezwungen, mit den Nazis zu kooperieren – hier tut die Regierung es aus eigenem Antrieb.‘“[i]

 

[i] Das ist zugleich die Auflösung des Rätsels, das ich heute Vormittag in den virtuellen Raum stellte:

Quiz am sehr frühen Montagmorgen: von wem stammt folgendes Zitat über eine israelische Regierung – richtige Antwort: ein Exemplar von Fania Oz-Salzbergers und Yedidia Z. Sterns „Der israelische Nationalstaat“ (Edition Critic 2017) als Geschenk:

„Was ist der Unterschied zwischen dem Gemeinderat im Ghetto und der Regierung? Dort waren die Juden gezwungen, mit den Nazis zu kooperieren – hier tut die Regierung es aus eigenem Antrieb.“

1) Norman Finkelstein
2) Moshe Zimmermann
3) Redaktion Konkret
4) Ariel Scharon
5) Judith Butler
6) ARD Tagesthemen
7) Micha Brumlik
8) David M. Friedman (US-Botschafter in Israel unter Trump)
9) Rabbi Dov Lior
10) Steve Bannon“.

©ClemensHeni