Wissenschaft und Publizistik als Kritik

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Sprachlos aufgrund so viel Hass: Auf einer Beerdigung Geld spenden, damit in einem Krieg weitere Menschen getötet werden…

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Auf der Beerdigung eines Journalisten zu Spenden aufzurufen, damit andere Menschen in einem Krieg ermordet werden, hat etwas Obszönes, Menschenverachtendes.

So geschehen jüngst in Berlin. Zu der Beerdigung des Kommunistenfressers Richard Herzinger ruft das Portal Perlentaucher und dessen Redaktion dazu auf, statt Blumen am Grab abzulegen, besser Geld direkt an die Ukrainische Armee zu spenden. Damit dieser fürchterliche Krieg weitergeht. Damit Deutschland endlich einen Krieg gegen Russland gewinnt:

Richard Herzinger (1955 – 2025) wird am 21. November um 10 Uhr auf dem Sankt Matthäus-Friedhof in Berlin Schöneberg beigesetzt.

Alter St. Matthäus Friedhof  
Großgörschenstr. 12-14

10829 Berlin 

Der Eingang ist vom Südausgang Großgörschenstraße der S-Bahnstation Yorckstraße leicht zu erreichen.

Im Sinne von Richard Herzinger wird gebeten, anstelle von Blumen an die Armee der Ukraine zu spenden.

 

Wenn man sich anschaut, welche angeblichen Kritischen Theoretiker oder ehemaligen Adorno-Leser da ihr „Like“ oder gar ihr „Herzchen“ gegeben haben, wird einem schlecht.

Ja, es wird einem schlecht, weil Adorno niemals eine solche kriegslüsterne Aktion unterstützt hätte, zumal nicht gegen die Befreier von Auschwitz, Russland.

Wenn Deutsche Geld sammeln, damit andere – Ukrainer – Russen töten, sollte jeder Mensch hellhörig werden.

Es geht darum, Kriegsdienstverweigerer in Russland und in der Ukraine zu unterstützen!

Es geht darum, sich für eine sofortige diplomatische Lösung einzusetzen, wie es zum Beispiel der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett, den ich ansonsten als Linkszionist ganz sicher nicht mag, im April 2022 getan hat.

Es geht darum, dass beide Seiten zu problematisieren sind.

Zuerst die NATO, die sich entgegen ihrem Versprechen, keinen inch weit nach Osten sich auszubreiten, wenn sich DDR und BRD zusammentäten, extrem imperialistisch ausgebreitet hat.

Und natürlich muss auch Putins Russland problematisiert werden, Nationalismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Sexismus, Familienideologie, Tradition, Anti-Kommunismus, Homophobie, Imperialismus.

Aber wer hat schon die geistige Kraft, beide Seiten zu problematisieren?

Doch der Westen und Boris Johnson wollten weder im April 2022 noch heute Frieden, sondern sie wollen Blut fließen sehen. Viel Blut. Ukrainisches Blut. Russisches Blut.

Nur darum geht es. Um Schuldabwehr und um Rache für Stalingrad und den Sieg der Roten Armee gegen die ukrainischen Faschisten um Bandera und all die anderen und gegen Nazi-Deutschland.

Putin ist ein schrecklicher Despot. Er ist nicht weniger antikommunistisch als westliche Agitator*innen und möchte ein großrussisches Zarenreich wieder errichten. Seine Vordenker wie Dugin sind antisemitisch und Heidegger-Anhänger.

Ist die Ukraine besser?

Die ukrainische Historikerin Marta Havryshko, die im Exil in den USA lebt und die von Rechtsextremen und Neonazis in der Ukraine Todesdrohungen bekommt, schreibt seit 2022 gegen diesen Krieg und konkret zur heutigen Ukraine.

Sie findet Putin natürlich abscheulich und möchte dass der Krieg endet. Sie kann ihre ukrainische Heimat nicht besuchen, weil sie dort von Neonazis verfolgt würde. Think about it!

Heute, am 23. November 2025, schreibt sie zum Beispiel auf ihrem Facebook-Account:

In downtown Kyiv, you can casually pick up merch from the National Socialist Black Metal band M8L8TH (“Hitler’s Hammer”) — yes, the one with a song glorifying Nazi death-camp ovens and even using a shaved-mustache Hitler look-alike for promotion.

There are also T-shirts and pins celebrating the Waffen-SS Galicia Division. The shelves are stacked with enough hate symbols to make a Holocaust historian pass out.

And the owners? Veterans and active-duty soldiers.

What does their supreme commander, Zelensky, think about that?

Am 08. November 2025 schreibt sie über die Einweihung eines Monuments für die Azow-Kämpfer:

For the past two years, I’ve been consistently criticizing the Azov movement — especially the 3rd Assault Brigade — for its fondness for Nazi symbols (Dirlewanger, Black Sun, SS runes, the whole charming collection) and for glorifying Nazi collaborators. The reward for this? I was added to the Myrotvorets hit list.

Branded an “enemy of Ukraine” who supposedly spreads “pro-Russian narratives” in national media. I’ve received numerous death and rape threats. Neo-Nazis even promised to desecrate my mother’s grave.

My voice was deligitimezed.

And now Kyiv city authorities proudly joined the parade of legitimizing these symbols by unveiling a memorial. Ukraine has officially reached the point where Nazi iconography is so “normalized” that people pretend it’s invisible. Bravo, Zelensky — and bravo to his Western admirers who keep insisting everything is perfectly fine in this country of „freedom and democracy“.

Am 07. April 2025 schreibt Marta Havryshko, was ich hier in deutscher Übersetzung wiedergebe:

Immer wieder werde ich mit einem absurden Argument konfrontiert: „Welche Neonazis in der Ukraine? Ihr Präsident ist doch Jude!“

Schauen wir uns also einige Entwicklungen innerhalb der ukrainischen Armee an, die während der Präsidentschaft von Selenskyj stattgefunden haben:

✅Es wurde eine Nachtigal-Einheit gegründet, benannt nach dem von Deutschland unterstützten Nachtigal-Bataillon, das im Juni 1941 am Angriff auf die Sowjetunion beteiligt war.

✅Es entstand eine Luftwaffeneinheit, die den Nazi-Adler als Insignie verwendet.

✅Das Russische Freiwilligenkorps (RDK) wurde gegründet. Sein Anführer, Denis „White Rex“ Kapustin (Nikitin), ist ein bekannter Neonazi und weißer Supremacist, der wegen extremistischer Aktivitäten im gesamten Schengen-Raum mit einem Einreiseverbot belegt ist. Einige seiner Kämpfer tragen Nazi-Symbole und ROA-Aufnäher.

✅Es entstand ein Deutsches Freiwilligenkorps, das in seinen sozialen Medien offen für Nationalsozialismus und Rassismus wirbt.

✅Eine informelle Einheit namens Format 18 (#18 ist ein Code für „Adolf Hitler“) umfasst Mitglieder der sogenannten Tesak-Gruppe – einer neonazistischen Organisation, die für rassistisch motivierte Morde in Russland bekannt ist.

✅Mitglieder rechtsextremer Militäreinheiten durften sich offen mit Neonazi-Gruppen aus aller Welt vernetzen, um sie für den Krieg zu rekrutieren. Im Rahmen dieser Bemühungen fand im August 2023 in Lemberg die Konferenz „Nation Europa“ statt, an der unter anderem die deutsche faschistische Gruppe „Der Dritte Weg“ teilnahm.

✅Die 3. Sturmbrigade organisierte eine Ausstellung (September 2023) im Museum von Kiew, in der mehrere Fotos der Waffen-SS-Division Galizien gezeigt wurden und sie sich mit deren Soldaten verglichen.
✅Andere Militäreinheiten feiern offen die Waffen-SS-Division Galizien, darunter Karpatska Sich, Vovky da Vinci und Svoboda.
✅Symbole wie die Wolfsangel, der Totenkopf, Dirlewanger, der Nazi-Adler und die Schwarze Sonne sind zu beliebten Aufnähern in der Armee geworden. Niemand hat sich dafür entschuldigt. Niemand stellt sie in Frage.

Fortsetzung folgt…

Während den Facebook-Post von Perlentaucher-Thierry-Chervel zum Spenden für die Ukrainische Armee statt Blumen fürs Grab von Richard Herzinger bis heute (Stand 23.11., 19:40 Uhr) 31 Leute mit einem Herzchen oder Like versehen haben, was schockierend genug ist, haben über 144.000 Leute den obigen Post von Marta Havryshko vom 07. April 2025 gesehen.

Das könnte darauf hinweisen, dass es viel mehr Menschen gibt, die eine kritische und empirisch fundierte und zutiefst antifaschistische Haltung haben und den Texten von Havryshko folgen, sie teilen und kommentieren.

Aber selbstredend ist die unreflektierte und de facto der Ukraine extremen Schaden zufügende Militärhilfe Staatsideologie in Deutschland und der EU.

Die ganze EU-Politik gleicht doch den Herzingers und Perlentauchers. Das ist militaristischer, unkritischer Mainstream, der sich überhaupt nicht darum kümmert, wie antisemitisch die Ukraine ist und dass der Krieg nicht nur an der Aggression Putins liegt, sondern auch am Rassismus gegenüber Russen in der Ukraine und an der Aggression der NATO durch Übungen in der Ukraine etc. pp.

Auch ‚Linke‘ oder Post-Linke wie das von Antisemiten, Antizionisten, Islamisten, säkularen Judenfeinden und Hamas-Anhänger*innen schrecklicherweise bedrohte Café Bajszel in Berlin macht bei dieser Propaganda für die Ukraine mit, so heißt es für eine Veranstaltungsankündigung nächste Woche angesichts eines Events am 28.11.2025:

28.11. Evelyn Deller: „Warum wir als Linke für die Ukraine sein müssen.“ Vortrag und Diskussion. Spenden für die Radical Aid Force Ukraine.

Nun: wer für die Ukraine ist, kann kein Linker sein.

Genausowenig kann man ein Linker sein, wenn man für Putin (oder Trump etc.) ist.

Warum kann man als Linker nicht und niemals für die aktuelle Ukraine sein? Das zeigen allein die  empirischen Beweise über den staatlichen Antisemitismus, die ich oben zitiert habe – und zwar von einer ukrainischen Historikerin, die auch eine Expertin zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust ist.

Die Ukraine hätte den Krieg ohne jedweden Gebietsverlust und ohne Zehntausende Tote im April 2022 beenden können, wenn sie auf Bennett und seinen Friedensplan gehört hätte – es ging im Kern nur darum, schriftlich zu fixieren, dass die Ukraine niemals NATO-Mitglied wird.

Darauf läuft es jetzt auch hinaus. Mit dem blutigen Unterschied, dass Zehntausende Ukrainer und Russen sowie Tausende ukrainische Zivilist*innen getötet wurden und dass die Ukraine jetzt massive Gebietsverluste haben wird.

Diese ganzen militaristischen „Zeitenwende“-Schwätzer*innen tragen zum Blutvergießen in der Ukraine seit Februar 2022 und dieser unfassbaren Rede des damaligen Bundeskanzlers Olaf S. mit bei.

Man sieht, wie wenig sich diese Leute in der Ukraine auskennen oder – wahrscheinlicher – einfach überhaupt kein Problem mit dem Antisemitismus in der Ukraine haben, mit Denkmälern, die nach Holocausttätern benannt werden, Straßen und Plätzen, die nach Holocausttätern und ukrainischen Antisemiten und anderen benannt werden, wie schon der Journalist Lev Golinkin im Jewish Forward am 27. Januar 2021 detailliert festgehalten hat.

Es gibt vermutlich kein Land auf der Welt, in dem es so viele Denkmäler gibt, die nach Holocausttätern benannt sind, wie die Ukraine.

Es gibt vermutlich kein Land auf der Welt, in dem es so viele Straßen gibt, die nach Holocausttätern und Antisemiten benannt sind, wie die Ukraine.

Wer nach der Lektüre von Golinkin und Havryshko weiter Geld an die Ukrainische Armee spenden und nicht Blumen am Grab eines Journalisten in Berlin ablegen möchte, weiß was er oder sie tut.

 

Ein linker Jude in der Bundesrepublik: Nachruf auf Micha Brumlik (1947-2025)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Micha Brumlik starb am 10. November 2025 im Alter von 78 Jahren und hinterlässt uns das Lebenswerk eines jüdischen linken Intellektuellen, nein: eines linksintellektuellen Juden.

Seine Analysen des deutschen Antisemitismus, zumal der Romantik, sind zentral für das Verständnis dieses Landes. Absolut kennzeichnend für Micha Brumlik war sein Sich-Einmischen in den Alltag der BRD und später der Bundesrepublik.

Ein Freund und ich sprachen erst vor wenigen Monaten über Brumlik, weil wir schon seit längerer Zeit nichts mehr von ihm gelesen hatten. Und das war ungewöhnlich. Weil es seit Mitte der 1980er Jahre sicher keine einzige relevante Debatte über den Nationalsozialismus, deutschen Antisemitismus, Erinnerungsabwehr, jüdisches Leben und alsbald Israel, Nahost, Islam, Jihad und Iran gab, zu der Brumlik sich nicht geäußert hätte.

Brumlik war in seiner Kindheit und Jugend ein Zionist, ging dann nach der Schule sofort nach Israel, machte Aliyah und dachte, dort zu bleiben. Er blieb nicht. Das lag auch an einer enttäuschten Liebe, wie er indirekt in seiner frühen Autobiographie „Kein Weg als Deutscher und Jude“ 1996 schrieb.

(Micha Brumlik (1996): Kein Weg als Deutscher und Jude. Eine bundesrepublikanische Erfahrung, München, Luchterhand. Ich habe die Ullstein-Taschenbuchausgabe von 2000, die ich mir am 18. Mai 2000 in Bremen kaufte)

 

Mein Berliner Freund erzählte mir jetzt auch von einem Bild, das wiederum typisch war für Brumlik:

Micha Brumlik auf einer Rolltreppe am Bahnhof Zoo, unter beiden Armen je zwei, drei dicke Wälzer. Er war immer auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft und Publizistik, kannte sich mit dem Antisemitismus der BRD so gut aus wie mit der Kant’schen Philosophie und dem Judenhass der deutschen Romantik bis hin zu Karl Marx, dem er sehr wohl und zurecht in dessen Frühschriften auch Antisemitismus attestierte.

Micha Brumlik war links und jüdisch. Er war aber kein Linkszionist, jedenfalls war er das seit langer Zeit nicht mehr. Er changierte die letzten Jahrzehnte zwischen Anti- und Postzionismus. Und das ist bitter. Aber natürlich legitim. Es war sein Leben als Jude in Europa und in der Bundesrepublik und später ‚Deutschland‘.

Als Jude hatte er Schwierigkeiten mit den linken Deutschen, die nicht jüdisch waren, also mit fast allen. Er beschreibt das in seiner Autobiographie mit tränengetränkter Tinte. Sein Verheimlichen des Jüdischseins, dann sein stolzes Jüdischsein.

Er besetzte mit anderen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main eine Bühne, als das antisemitische Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder aufgeführt werden sollte, Mitte der 1980er Jahre. Das war die alte BRD.

Es war dann der Herausgeber der einzigen linken Publikumszeitschrift der BRD Hermann L. Gremliza, der Brumlik 2012 bat, ein Buch über Links-Sein und Antisemitismus am Beispiel des Karikaturisten und Karikatur-Historikers sowie linken Aktivisten Eduard Fuchs zu schreiben.

 

Brumlik hatte als Teenager, grade mal 19 Jahre alt, erkannt, wie der not-wendige Sieg Israels im Sechstagekrieg das Land verändert hat und schrieb ein Gedicht:

„Gerettet das Land, das Leben, das Brot / erkauft um siebenfachen Tod / Gekämpft in Wüste, Stein und See / erkauft um siebenfaches Weh“ (Brumlik 1996, S. 77).

In meiner Dissertation von 2006 über „Ein völkischer Beobachter in der BRD. Die Salonfähigkeit neu-rechter Ideologeme am Beispiel Henning Eichberg“ an der Universität Innsbruck (publiziert als Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg: Tectum Verlag) schreibe ich zu Micha Brumlik:

 

Martin Walser möchte, ja muss seine »bisher ununterbrochen bekämpfte[] Neigung«(1) zulassen, »wir selbst zu sein«(2). Damit ist die Eichbergsche Tonlage –»wir selbst« – haarscharf und exakt im Jahr 1979, als wir selbst gegründet wurde, getroffen. Eine vor allem »Ich-Überschreitende Gesellschaft« (3) fehlt Walser, alles ist zu flach, hier die DDR dort die BRD, beides reicht nicht für einen echten Deutschen, denn »in jedem der Teile fehlte es dann an Tiefe«. (4) Adorno ist das große Feindbild Walsers. Der ›eigentliche‹ Zustand nach 1945 werde nicht erkannt von einem Adorno: »Schlimmer als der geschmähte Jargon der Eigentlichkeit kommt mir der Jargon vor, in dem da geschmäht wurde.« (5) Adorno steht für die »Intellektuellen«, die nach Walser 1933 »Opfer« wurden, »unbeteiligt« gewesen seien, jedenfalls ›fein raus‹ – anders als das »Volk, das dem Verbrechen zugeschaut hatte, mitgemacht hatte, gejubelt hatte« (6); »Walser« schreibt hier eine »Kampfansage an jene«, die »gemäß antisemitischem Stereotype selbst als jüdisch gelten, nämlich die Intellektuellen« (7), wie Micha Brumlik analysiert und dabei Walsers Text von 1979 sehr treffend in die politische Kultur der BRD einordnet:

»Die Abneigung gegen Intellektualismus und Kapitalismus sind dann schließlich auch das Ausfallstor, durch das ehedem als links geltende Intellektuelle angesichts von Auschwitz wieder Anschluß an einen neu auflodernden deutschen Nationalismus finden können.« (8)

 

1 Martin Walser (1979): Händedruck mit Gespenstern, in: Jürgen Habermas (Hg.) (1979): Stichworte zur ›Geistigen Situation der Zeit‹. 1. Band: Nation und Republik; 2. Band: Politik und Kultur, Frankfurt/Main (Suhrkamp; edition suhrkamp), Band 1, S. 39–50, hier S. 43.

2 Ebd.: 47.

3 Ebd.: 48.

4 Ebd.: 49.

5 Ebd.: 46.

6 Ebd.: 47.

7 Micha Brumlik (1986): Die Angst vor dem Vater. Judenfeindliche Tendenzen im Umkreis neuer sozialer Bewegungen, in: Alphons Silbermann/Julius H. Schoeps (Hg.) (1986): Antisemitismus nach dem Holocaust, Köln (Verlag Wissenschaft und Politik), S. 133–162, hier S. 151.

8 Ebd.: 150.

Der erste Treffer auf meiner Homepage zu Micha Brumlik ist vom 27. Juni 2009 und betrifft einen Literaturhinweis für meinen Text Antisemitism and Germany: anti-Jewish images from 1602 to 9/11. About Ahasver (the »eternal Jew«), anti-capitalist antisemitism (»Mammon«) and blood libel (»Moloch):

Brumlik, Micha (2000): Deutscher Geist und Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, Munich: Luchterhand

Am 20. März 2010 schrieb ich:

In einem neuen Dokument der Islamophilen Bewegung gegen Kritik am Islamismus sprechen sich Wolfgang Benz (Rentner in spe), Micha Brumlik (immer auf der richtigen Seite), Rita Süssmuth (Bundestagspräsidentin a.D.), Gesine Schwan (ehemalige Kandidatin), Günther Grass (früher selber Mitglied in der Waffen-SS) und auch der Tübinger Professor Karl-Josef Kuschel sowie einige weitere Personen gegen Kritik am Islamismus aus. „Rassisten sind eine Gefahr, nicht Muslime!“ heißt der zwischen Lächerlichkeit und Realitätsferne schwankende Aufruf von Pro Asyl, dem Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und dem „Interkulturellen Rat in Deutschland e.V.“. Namentlich Ideen von Frankreich und Italien Ganzkörperschleier, die sogenannte Burka, wenigstens in öffentlichen Einrichtungen zu verbieten, provozieren einen Aufruhr bei den Unterzeichnern. Dabei ist die Burka ein frauenverachtendes Symbol des Islamismus oder des politischen Islam.

Hier zeigte sich schon die ganze Widersprüchlichkeit Brumliks. Gegen Antisemitismus – aber immer wieder verharmlosend was den Islamismus betrifft. Warum? Was spricht dagegen, gegen die Nazis, die AfD, die Neuen Rechten und exakt mit gleicher Kraft gegen die Kopftuchideologie- und praxis und den Islamismus aktiv zu sein? Was spricht dagegen?

Am 09. April 2010 hingegen geht es um die Kritik von Brumlik an seinem Kollegen Wolfgang Benz. Das ist deshalb von einiger Relevanz, weil Brumlik eigentlich ein Kollege von Benz war, mit dem er oft kooperierte wie bei der absurden Analogie von Antisemitismus und der eingebildeten „Islamophobie“, was genauso ein Kampfbegriff ist wie die abstruse Rede von „antimuslimischem Rassismus“, worunter dann auch die Ablehnung des Kopftuchs fällt. Aber bezüglich der Nazi-Vergangenheit von Benz‘ Doktorvater, die ich skandalisiert hatte, war Brumlik alarmiert:

Brumlik ist nun der Erste, der sich ausführlich in einer Tageszeitung zum Schweigen von Benz bezüglich Bosl äußert:

„Freilich haben seine Gegner Benz nun in einem Punkt getroffen, der auf den ersten Blick mit der erwähnten Debatte in keinem Zusammenhang steht. Benz wurde 1968 in München von dem Mediävisten Karl Bosl promoviert und steuerte zu dessen Festschrift 1983 [das war 1988, 1983 war Benz ‚nur‘ Teil der Tabula Gratulatoria, vereint mit Armin Mohler oder Theodor Schieder, C.H.] einen wohlwollenden Beitrag bei.

Durch die Recherchen von Clemens Heni ist jetzt bekannt geworden, dass der 1908 geborene Bosl nicht nur ab Mai 1933 Mitglied der NSDAP und des NS-Lehrerbundes, später wohl auch der SA war, sondern sich 1938 für eine Mitarbeit im Forschungsprojekt des SS-Instituts ‚Ahnenerbe‘ zum Thema ‚Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte‘ bewarb und aufgenommen wurde. Bosl referierte noch im Januar 1945 auf der letzten NS-Historikertagung in Hitlers Geburtshaus in Braunau am Inn zum Thema ‚Landesausbau im baierischen Raum‘. 1964, Bosl war weit über fünfzig Jahre alt, nahm er eine Einladung der rechtsextremen Vertriebenenorganisation ‚Witikobund‘ an und beschuldigte bei einem ‚Sudetendeutschen Tag‘ die Tschechoslowakei ‚einer radikalen Endlösung des deutschen ‚Problems‘ nach hitlerschem Modell‘.

Soweit ersichtlich, hat sich Benz (…) zu diesen Vorhaltungen nie ausführlich geäußert. Bekannt sind allenfalls beiläufige Äußerungen, Bosl sei kein ‚Nazi‘ gewesen. So scheint eine erneute Debatte unerlässlich.

Dass ein ehemaliger Doktorand einem ihm freundlich gesonnenen Doktorvater die Loyalität hält, ist verständlich. Doch der Umstand, dass sich die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ihrer Leitfiguren, etwa Theodor Schieder, der den Generalplan Ost mitentworfen hatte, oder Werner Conzes, dessen Karriere als Sozialhistoriker mit völkischen Studien zur Siedlungsgeschichte begann, auseinandersetzten, hat ihr nicht geschadet.

Wolfgang Benz‘ Schweigen, das seine anderweiten Verdienste nicht schmälern kann, stellt in dieser Hinsicht einen Rückschritt dar.“

 

Am 10. November 2010 hielt ich in einem Text zur Kritik an Alfred Grosser Brumliks Position fest und zitierte das Deutschlandradio:

„‘Der Erziehungswissenschaftler der Goethe-Universität in Frankfurt am Main warf Grosser außerdem vor, mit einer solchen Rede historisches Bewusstsein zu zerstören: ‚Gewollt oder ungewollt stellt er nun eine Verbindung zwischen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern und den Verbrechen der Nationalsozialisten gegenüber den Juden her. Das verfestigt sich im populären Geschichtsbewusstsein und führt dann zu solchen Aussagen, wie dass die Juden auch nicht besser sind, weil sie den Palästinensern dasselbe antun wie die Nazis den Juden.‘“

 

Doch die ganze Widersprüchlichkeit auch von Micha Brumlik zeigte sich zur exakt gleichen Zeit. Ich schrieb nur zwei Tage später, am 12. November 2010:

Zu Grosser und „jüdischem Antisemitismus“ hat der Historiker Arno Lustiger am 18. September 2008 in der FAZ alles Nötige gesagt.

Natürlich hat Micha Brumlik, der sich mediengerecht als Kritiker von Grosser in Szene setzte, im Ernst gar kein Problem mit der Diminuierung, Derealisierung und – Infantilisierung – des Phänomens Antisemitismus.

Nur einen Tag vor Grosser sprach auch Brumlik in Hessen. Er sprach beim „Förderverein zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg“. Brumlik sagte demnach, laut einem Bericht des Lauterbacher Anzeigers:

„Der Distanzierung der Politiker [gegenüber Sarrazin, d.V.] aus allen großen Parteien stellte Micha Brumlik das Bild des von denselben Politikern geschaffenen „integrationsunwilligen Ausländers“ gegenüber, der nun als Feindbild fungieren könne – so wie in der NS-Zeit die Juden, im Stalinismus die Trotzkisten oder in der BRD der Achtziger Jahre die Asylanten.“

Das ist infantil, schon wieder. Grosser und Brumlik möchten offenbar Kindern (als welche die Gesellschaft hier imaginiert wird) sagen, dass Juden sowas wie „integrationsunwillige Ausländer“ waren. Jede Spezifik des Antisemitismus, sein Irrationalismus, seine Rede von der Weltverschwörung, der Blood Libel, den jüdischen Kapitalisten, Kommunisten, Humanisten, Liberalen, Sozialisten etc. etc., oder die Fantasie von den Juden als Christusmörder, als Brunnenvergifter, dem „ewigen Juden“ wird negiert. Brumlik hat demnach kaum Ahnung von der Spezifik und der Geschichte des Antisemitismus.

Am 08. Juni 2012 schrieb ich dann:

German professor Micha Brumlik gives Butler his Jewish kosher stamp. He is known for doing so for anti-Zionist antisemitism. He is against obvious antisemitism like that of Hamas, but he is in favor of Jewish anti-Zionism. He even equated Butler’s pro-Hezballah and pro-Hamas stand with supposedly or indeed problematic paragraphs from philosopher Adorno about jazz. Therefore criticism of music is the same as hatred of Jews and incitement to genocide from Hamas. I learned that this is mainstream in Germany; after I alerted professor Honneth to Butler’s antisemitism he replied that this is rather respectable “criticism of Israel” and he referred to Brumlik’s article.

Am 10. September 2012, einen Tag vor der Preisverleihung des Adorno-Preises an die Anizionistin Judith Butler schrieb ich:

Wurde das Gedenken an Theodor W. Adorno jemals so sehr in den Dreck gezogen wie am 11. September 2012 in Frankfurt am Main in der Paulskirche? Das deutsche Establishment, nicht nur Axel Honneth und Micha Brumlik, wird klatschen und innerlich johlen und frohlocken ob soviel Antisemitismus, Hass auf Amerika und Israel, Banalisierung von Auschwitz und Abscheu vor Theodor W. Adorno.

Am 03. Juli 2013 analysierte ich sodann die Fantasie Brumliks, die er in KONKRET veröffentlichte, Israel binational zu gestalten, also kein jüdischer Staat mehr zu sein:

Ein Kernpunkt Brumliks ist die ungeheuerliche, unfassbar antijüdische Idee, Juden das Rückkehrrecht nach Israel zu verweigern! O-Ton KONKRET:

„Einwanderung in den neuen Staat [Israel/Palästina] hingegen sollte das nationale Parlament nur nach arbeitsmarktspezifischen beziehungsweise humanitären Gesichtspunkten regeln, nicht mehr nach ethnischen Kriterien.“

(…)

Man denke an Ignatz Bubis, der von genau diesem immerwährenden Rückkehrrecht von Juden nach Israel Gebrauch machte, als er, geschlagen vom elenden Antisemitismus der Deutschen und Martin Walser, sich in Israel beerdigen ließ. Nach der umwerfenden Logik von Micha Brumlik und seinen Helfershelfern hätte eine solche Bestattung eines Juden in Israel keinen arbeitsmarktpolitischen Sinn und wäre zu verweigern. Sollen die Neonazis doch Bubis‘ Grab beschmieren, aufs Ekligste beschädigen und den Grabstein zerstören, wie sie wollen.

Auf meinem Blog bei der Times of Israel (TOI) schrieb ich daran anschließend am 3. September 2013:

On September 9 and 10, 2013, the Center for Research on Antisemitism (ZfA) at Berlin’s Technical University, together with the huge German Foundation on “Remembrance, Responsibility, and Future”, which spends up to seven million Euros a year for events (and spent over 70 million Euros since its inception in the year 2000), the group “Berlin-Kreuzberg Initiative against Antisemitism (Kiga)” and several other organizations as well as a German ministry of the Federal Government, will held a conference in Nuremberg on the Middle East conflict and its perception among immigrants in Germany.

The ZfA and its former head Wolfgang Benz have been criticized in recent years for promoting research on “Islamophobia” instead of Muslim antisemitism. In addition, Benz has been questioned about his silence about the Nazi legacy of his PhD advisor Karl Bosl, who awarded Benz a doctorate in 1968. (…)

One of the best known speakers at the September 9 event, invited by Schüler-Springorum and her allies, is Professor Micha Brumlik, a pedagogue by profession. Brumlik has been known in recent decades as a critic of some forms of antisemitism in Germany. But he is even better known today for his kosher stamps for antisemitic agitators like Judith Butler who received the very prestigious Adorno-Prize of the city of Frankfurt in 2012. Butler calls Israel an apartheid state, she supports the anti-Jewish Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) movement and she is in favor of German-Jewish philosophers Hannah Arendt (1906–1975) and Martin Buber (1878–1965). Both Arendt and Buber agitated against a Jewish state of Israel and favored a binational Israel.

In meinem Buch „Kritische Theorie und Israel“ von 2014 gibt es ein Kapitel über Micha Brumlik:

„Micha Brumliks Judith Butler“. Darin heißt es:

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik plädierte 2007 in sein­em Buch Kritik am Zionismus sowie 2013 in Konkret, der einzigen linken Publikumszeitschrift in Deutschland, gegen das grundsätzliche Rück­­kehr­­­recht der Juden sowie für eine binationale Option, in An­lehn­ung an eine Phantas­magorie Martin Bubers aus den 1940er Jahren.

Der Historiker Walter Laqueur, Jahrgang 1921 [26. Mai 2021-30. September 2018], war vor der Staatsgründung Israels nach eigenen An­gaben ein Anhänger der bi­natio­nal­en Idee – rückblickend im Jahr 2012 betont er, er habe dann Ende 1947 fest­stellen müssen, auf der arabis­chen Seite bestehe gar kein Interesse an einem bi­natio­nalen Staat. Der Judenhass sei schon damals sehr stark gewesen. Ge­mäßig­te Araber wie Fakhri Nashashibi oder Sami Taha, so Laqueur, wurden von arabischer Seite ermordet, da sie mit den Juden über eine Ko­op­era­tion reden wollten.

Zudem schreibe ich in meiner Studie Kritische Theorie und Israel Folgendes:

Heutzutage stellt sich eine Kompanie Kritischer Theoretiker hinter die Israel­gegnerin Judith Butler, als diese sich Kritik an der Vergabe des Adorno-Preises im Jahr 2012 gegenübersah, wie vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Unter den An­hängern Butlers sind Nancy Fraser, Diedrich Diederichsen, Micha Brumlik, Hauke Brunkhorst, Alex Demirović, Albrecht Wellmer, Seyla Benhabib und Idith Zertal. Axel Honneth war, wie bereits erwähnt, als Leiter des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt gar Teil des Gremiums, welches Butler zur Preisträgerin kürte.

Da sind einige der engeren Freunde und Freundinnen von Brumlik mit dabei, die bis heute nicht verstehen, was das Problem mit Judith Butler und dem Antizionismus für jüdisches Leben ist. Das zeigt sich exemplarisch im Nachruf auf Brumlik im ND (früher: Neues Deutschland) von Alex Demirovic.

Was Brumlik offenbar verpasste oder herunter spielte ist das säkulare jüdische Leben, sein primär von sich selbst ausgehender religiöser Bezug zum Judentum trifft nur einen kleinen Teil der ca. 90.000 in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden und nur einen bestimmten Prozentsatz in Israel sowie auch nur einige jüdische Kreise in den USA. Viele Juden in den USA sind ebenfalls säkular.

Sehr viele Juden und Jüdinnen leben ihr Judentum, kulturell, auch etwas religiös, aber zentral ist die Religion nur für eine Minderheit. Trotzdem sind das alles Jüdinnen und Juden, auch ohne starken Bezug zur Religion!

Am 07. März 2016 bezog ich mich dann wieder ausgesprochen unterstützend und dankend auf Micha Brumlik:

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat Sloterdijk im Doppelpack mit dem Althistoriker Jan Assmann im Rahmen einer Perlentaucher-Debatte kritisiert:

„Und was endlich jene – nach Sloterdijk angeblich die ‚altjüdische‘ Religion auszeichnende und schließlich auf Christentum und Islam übergehende – Phobokratie mit ihrer spezifisch israelitischen (jüdischen?) Neigung zur ‚Autogenozidalität‘ ob nicht eingehaltener sinaitischer Weisungen betrifft, so hat die rabbinische Theologie an deren Stelle die Institution des Versöhnungstages gesetzt, dessen zentrales Prinzip lautet: ‚Übertretungen zwischen einem Menschen und Gott sühnt der Versöhnungstag. Übertretungen zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nur, wenn er sich vorher mit seinem Nächsten versöhnt hat.‘

Die in der ‚altjüdischen‘ Religion angeblich – wenn auch nur spurenweise vorhandene – autogenozidale Phobokratie ist hier – im Text und in der Liturgie – vollständig in eine Lehre anerkennender, normativer Intersubjektivität überführt und vollständig in die Institutionen des Versprechens und Verzeihens transformiert. Nichts könnte vom Geist eines Gemetzels weiter entfernt sein.“

Man kann diese Kritik Brumliks angesichts der heutigen Situation zuspitzen. Wenn einer wie Peter Sloterdijk dem Judentum die Einführung eines unsäglichen Gewaltmotivs – den Bundesbruch – anhängt, Israel als „Schurkenstaat“ diffamiert, Heideggers Antihumanismus in die heutige Zeit transponiert und gleichzeitig einer Partei de facto zustimmt, die mit nazistischem Vokabular und einem Aufpeitschen der Bevölkerung gegen „den“ anderen berüchtigt ist, dann wird erkenntlich, dass der ehemalige Bhagwan-Jünger seinen nach innen gekehrten autoritären Charakter nun extrovertiert, einen „deutschen Weg“ gegen die USA fordert, Grenzen schließen möchte und gegen eine Kanzlerin agitiert, die unter Beschuss steht, wie noch nie ein Kanzler dieses Landes. Peter Sloterdijk ist die AfD für „Alphabetisierte“.

Für meine Essaysammlung „Eine Alternative zu Deutschland“, die exakt zum Einzug des AfD in den Deutschen Bundestag im Oktober 2017 erschien, schrieb Micha Brumlik einen Blurb:

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Während wir uns bei den ersten Treffen in Berliner Restaurants noch mit Sie anredeten, wurde das dann alsbald zum Du. Micha hatte Lob und Tadel für mich und ich offenkundig Anerkennung wie Kritik für ihn. Das war ein Hin- und Hergerissen-Sein, wie es nicht wenigen ging. Micha erzählte mir beim Mittagessen, dass er gerade an einer Arbeit über den Vater von Julius H. Schoeps sitze. Das erinnert Julius H. Schoeps natürlich (Micha Brumlik (2019): Preußisch, konservativ, jüdisch Hans-Joachim Schoeps‘ Leben und Werk, Göttingen: Vandenoek & Ruprecht).

Julius H. Schoeps hat das in seinem bedeutenden Nachruf, dem wohl persönlichsten und intellektuell tiefsinnigsten der vielen Nachrufe auf Brumlik, am Beispiel für Michas Unterstützung der höchst problematischen Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus deutlich gemacht:

Manche von Michas eingenommenen politischen Positionen habe ich unterstützt, andere abgelehnt, häufig jedoch auch nicht verstanden. Zum Beispiel, als er 2021 die »Jerusalem Declaration on Antisemitism« (JDA) unterzeichnete, die sich gegen die Antisemitismusdefiniton der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) von 2016 wandte, waren nicht nur ich, sondern auch manche seiner Freunde einigermaßen irritiert.

Diese Unterstützung der Jerusalemer Erklärung, die Antizionismus kategorisch ausnimmt bei der Analyse des Antisemitismus oder nur eine marginale Korrelation zwischen den beiden zu sehen vermag, und somit das Changieren zwischen Kritik am Judenhass und dem Liebäugeln mit einem nicht-zionistischen Israel, war eines der Kennzeichen für das Leben von Micha Brumlik überhaupt.

Zuletzt hatte sich das seit 2018 in seiner Kollaboration mit dem Zeitschriftenprojekt Jalta und dem Publizisten Max Czollek gezeigt, den er später scharf attackierte, weil Czollek bezüglich seinen angeblich jüdischen Eltern nicht die Wahrheit gesagt hatte, was in weiten Teilen der jüdischen Community in der Bundesrepublik bis heute für Kritik sorgt. Czollek sieht sich als Jude und hat einen jüdischen Großvater. Aber der Deutschlandfunk schreibt am 06. September 2021:

Der Publizist Micha Brumlik kennt und schätzt Czollek seit vielen Jahren. Czollek sei ein interessanter Essayist und Dichter mit Mut zur Provokation. Problematisch sei jedoch, dass er in der Öffentlichkeit als repräsentativer Vertreter der jüdischen Gemeinschaft angesehen werde. Mischa [sic] Brumlik sagt: „Ich erlebe die aktuelle Debatte so, dass Maxim Biller Czollek in einer ehrabschneiderischen Weise angegriffen hat. Das betrifft aber vor allem die Form. Rein inhaltlich gebe ich Biller recht, dass Personen nicht alleine entscheiden können, ob sie der jüdischen Gemeinschaft angehören oder nicht.“

Am 05. März 2019 hatte ich in einem anderem Kontext Kritik an Micha formuliert:

Nationalismus wie die Kooperation mit europäischen Rechtsextremisten und Holocaustrevisionisten durch die aktuelle israelische Regierung (mit der Ukraine, Litauen, Polen, Ungarn) werden in Israel, aber auch von vielen Juden in USA und Europa scharf kritisiert.

Allerdings gibt es in Deutschland eine völlig realitätsferne und selbst ernannte Pro-Israel-Szene, die de facto Juden und Israel schadet, da sie extrem rechts agiert und nur nachplappert, was Netanyahu von sich gibt und linkszionistische Stimmen seit Jahren gezielt negiert und totschweigt.

Das gilt auch für Einpunktbewegungen wie „Stop the Bomb“, die sich von Trump viel verspricht und in ihm nicht die größte innere Gefahr für die westliche Welt sieht, die er darstellt. Dass der Sexismus und anti-hispanische Rassismus von Trump sie nicht anwidert, verwundert nicht. Wer sich gegen den Verschleierungszwang im Iran wendet, aber Trump nicht wegen dessen „grab her by the pussy“-Sexismus attackiert, hat gar nichts kapiert und heuchelt auf unerträgliche Weise.

Wer jedoch auf der anderen, der vorgeblich guten Seite steht wie Micha Brumlik und nun in der taz die Kritiker*innen des Antisemitismus und der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden“ diffamiert und dann auch noch zusammen mit einer Person wie Jacqueline Rose (und dutzenden weiteren problematischen, den Antisemitismus diminuierenden oder fördernden Personen) Erklärungen zur Unterstützung der Juden für einen gerechten Frieden in Nahost unterschreibt, hat jegliche Seriosität, jede Wissenschaftlichkeit, jede politische Reputation verloren und kann nicht mehr ernstgenommen werden.

Denn was schreibt Rose in ihrem Buch „The Question of Zion“? Zitat:

„It was only when Wagner was not playing at the Paris opera that he [Herzl, CH] had any doubts as to the truth of his ideas. (According to one story it was the same Paris performance of Wagner, when – without knowledge or foreknowledge of each other – they were both present on the same evening, that inspired Herzl to write Der Judenstaat, and Hitler Mein Kampf)“.

Das ist nicht irgendwie eine Meinung von Rose, das ist Fanatismus und Unwissenschaftlichkeit in Potenz.

Hitler habe sich also im Alter von 6 Jahren zu „Mein Kampf“ inspirieren lassen. Dass so etwas gelesen, lektoriert und gedruckt wurde, hätte das Ende des Verlags Princeton University Press bedeuten müssen – dass es das nicht tat, zeigt wie desolat „Forschung“ heute funktioniert.

Dass eine Person wie Jacqueline Rose, die diesen wirklichen Schwachsinn, der nichts als antisemitisch motiviert ist – nämlich Herzl und den Zionismus mit dem größten Verbrecher der Geschichte der Menschheit in direkte Verbindung zu bringen – so formuliert hat, von einem Mann wie Brumlik (oder anderen Unterzeichnern wie Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann) goutiert wird, ist bezeichnend. Es ist ja keine offene Liste von Zehntausenden Namen, wo man nie weiß, was für ein Schwachkopf sich darunter mischt.

Im Berlin Tagesspiegel hatten dann im Januar 2020 der Islamwissenschaftler und Politologe Michael Kreutz und ich antisemitische Tendenzen im Jüdischen Museum Berlin analysiert und kritisiert („Die Grenzen der Toleranz: Peter Schäfer machte das Jüdische Museum zum Inkubator für Israel-Ressentiments“. Der Ex-Direktor bot BDS-Unterstützern und Forschern, die Islamophobie und Antisemitismus vergleichen, eine Plattform. Das geht nicht. Ein Gastbeitrag“, 02. Januar 2020).

Das war zu viel Empirie und Kritik für Brumlik, der an selber Stelle erwidern durfte:

Der Beitrag von Clemens Heni und Michael Kreutz, der behauptet, dass das Jüdische Museum Berlin Anhänger der BDS-Bewegung hofiere, wimmelt von Unrichtigkeiten, diffamatorischen Unterstellungen und schlicht falschen Behauptungen.

Es war nicht falsch, was wir schrieben, sonder sehr richtig. Wir haben sehr treffend die antizionistischen Tendenzen am Berliner Jüdischen Museum decodiert und attackiert, eine Kritik, mit der wir überhaupt nicht alleine da standen.

Beim Thema Kritik an der Agitation gegen die Brit Mila (angesichts des Kölner Urteils von 2012) waren Micha Brumlik und ich wieder auf der selben Wellenlänge, wie ich am 05. Mai 2022 festhielt:

Medizinisch wurde 1896 bereits detailliert auf die häufigen und vielfältigen Erkrankungen des unbeschnittenen Penis mit Vorhaut hingewiesen. Darunter fallen „der weiche Schanker“, „Herpes progenitalis sive praeputialis“, die „katarrhalische Balanoposthitis“, die „gonorrhoische Balanoposthitis“ oder der gewöhnliche „Eicheltripper“. Doch diese damals diagnostizierten medizinischen Vorteile einer Beschneidung sind nicht die Begründung für die Brit Mila oder die muslimische Beschneidung. Es sind kulturelle und religiöse Praktiken und eine Demokratie muss Religionsfreiheit gewährleisten. Doch gerade das ach-so-gebildete Bürgertum in Deutschland hetzt seit Jahren gegen die Beschneidung.

Eine Anzeigenkampagne in Bussen, Bahnen und öffentlichen Orten der Giordano-Bruno-Stiftung war besonders perfide, wobei sie einen Jungen als Beispiel nimmt, also vermutlich einen muslimischen Jungen, und keinen neugeborenen jüdischen Jungen, denn im Judentum muss die Beschneidung bis zum achten Tag vollzogen sein.

Der Pädagoge Micha Brumlik hat damals die Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem Namensgeber kontextualisiert:

Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“.

Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft.

Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater Judenfresser“ war.

Viele Linke, auch aus der Pro-Israel-Szene, haben sich wie die FAZ, Putzke oder die Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Brit Mila gestellt, so die Postille Bahamas und ihre Autoren Thomas Maul und Justus Wertmüller, die Bahamas rief sogar ihre kleine Anhängerschaft dazu auf, im August 2012 nicht auf eine Kundgebung in Berlin zu gehen, die sich für Religionsfreiheit und das Recht auf die Beschneidung aussprach. Andere allzu deutsche Agitatoren gegen die jüdische wie muslimische Knabenbeschneidung waren die Publizisten Thomas von der Osten-Sacken, Tilman Tarach sowie das extrem rechte Portal „Politically Incorrect“.

 

In meinem Band „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018 ging es unter anderem auch um Micha Brumlik und dessen Diaspora-Judentum. Aus aktuellem Anlass wie der Ideologie des Philosophen Omri Boehm hatte ich dieses Kapitel am 24. Dezember 2023 online gestellt, darin heißt es:

Der israelische Philosoph Omri Boehm erhält den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2024. Darüber berichtet Ralf Balke in der Jüdischen Allgemeinen und kritisiert den antiisraelischen Ansatz von Boehm:

Mit Sätzen wie »Ich denke, es ergibt wenig Sinn, tiefer in die Debatte über den ’spezifischen arabischen Antisemitismus‹ einzutauchen« oder »Ich werde Ihnen sagen, wo der Antisemitismus nicht beginnt: Er beginnt nicht damit, Israels Existenz als jüdischen Staat infrage zu stellen« hat sich Omri Boehm ohnehin schon längst in die Herzen der postkolonialen juste milieus und BDS-Fans eingeschrieben.

Das zitiere ich und schreibe daran anknüpfend:

Doch dieses Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Grass vom April 2012, das gleichzeitig in drei führenden Tageszeitungen in der Bundesrepublik, in Italien und in Spanien erschien (Süddeutsche Zeitung, La Repubblica, El Pais), das die Vernichtungsdrohungen des Iran beiseiteschiebt, den Judenstaat attackiert und deshalb eine sehr große publizistische Resonanz erfuhr –

„Warum sage ich jetzt erst,

gealtert und mit letzter Tinte:

Die Atommacht Israel gefährdet

den ohnehin brüchigen Weltfrieden?

Weil gesagt werden muß,

was schon morgen zu spät sein könnte“,

(Günter Grass (2012): Was gesagt werden muss, Süddeutsche Zeitung, 04. April 2012, http://www.sueddeutsche.de/kultur/gedicht-zum-konflikt-zwischen-israel-und-iran-was-gesagt-werden-muss-1.1325809)

– dieses Gedicht also war es, das einen israelischen Philosophen, Omri Boehm, ver­anlasste, den Sozialphilosophen Jürgen Habermas wegen seines „Schweigens“ zu Israel angesichts von Grass‘ Gedicht als zu wenig kantianisch und aufgeklärt anzugreifen. Und Brumlik wiederum zieht Boehm in seinem Band als Aufhänger für ein ganzes Kapitel heran und unterstützt dessen An­satz, deutsche Intellektuelle wie Habermas sollten Israel kritisieren.

Brumlik ist geschickt genug und erwähnt in seinem Text nicht, dass der Aufhänger von Omri Boehm das Gedicht von Grass ist.

(Micha Brumlik (2015): Wann, wenn nicht jetzt? Versuch über die Gegenwart des Judentums, Berlin: Neofelis Verlag. Der Band erscheint in der Reihe „Relationen – Essays zur Gegenwart“, Band 3, herausgegeben wird die Reihe von David Jünger, Jessica Nitsche und Sebastian Voigt, S. 76–93)

 

Grass hatte nicht den islam­ist­ischen Iran, der Israel vernichten will, sondern Israel als Gefahr für den „Welt­frieden“ ausgemacht und wollte das israelische Atomwaffenarsenal unter UN-Kontrolle stellen und somit den Judenstaat schwächen und angreifbar machen. In einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz äußerte Jürgen Habermas, ein Deutscher seiner Generation sage besser nichts zur israelischen Politik, er finde das Gedicht von Grass höchst befremdlich, er stelle sich gegen Grass, „sei sich aber „sicher“, „Grass sei kein Antisemit“.

(Noa Limone (2012): Germany’s Most Important Living Philosopher Issues an Urgent Call to Restore Democracy, 16.08.2012, https://www.haaretz.com/german
y-s-most-important-philosopher-issues-an-urgent-call-for-democracy-1.5285348)

(…)

Brumlik und der Neofelis Verlag gehen noch weiter und zeigen ein Sendungsbewusstsein, wenn es schon auf der Rückseite des Buchumschlags von Brumliks Band heißt:

„Micha Brumliks Essay verbindet ein Plädoyer für jüdisches Leben in der Diaspora mit einer geschichtsphilosophischen Skepsis über die Zukunft des Staates Israel als eines jüdischen Staates und erwägt erneut und zeitgemäß modifiziert die Idee eines binationalen Staates Israel/Palästina durchaus im Bewusstsein der blutigen Krise der arabischen Welt zu Beginn des 21. Jahr­hunderts. (…) Das Judentum des 21. Jahrhunderts wird – in welcher Form auch immer – ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein.“

Das ist also ein Plädoyer für das Ende Israels als Judenstaat, das harmlos daherkommt und sich pro-jüdisch anhört, was der gleiche Aufruf von Seiten islamistischer Agitatoren, die auch die „Einstaatenlösung“ wollen, so nicht erreichte. Diesen Aufruf, gekoppelt mit der Forderung, das Rückkehrrecht für Juden abzuschaffen, hatte Brumlik zuvor in der linken Monatszeitung Konkret publiziert, was ich kritisiert habe.

(Clemens Heni (2013a): Ein nüchternes Strategiepapier zur Zerstörung Israels – mit Koscherstempel. Micha Brumlik, die Evangelische Akademie Arnoldshain und KONKRET, 03. Juli 2013, http://www.clemensheni.net/allgemein/ein-nuchternes-strategiepapier-zur-zerstorung-israels-mit-koscherstempel/)

Zudem meint Brumlik das „Judentum des 21. Jahrhunderts“ werde „ein religiöses Judentum sein oder es wird nicht sein“, was nur anzeigt, wie wenig Kontakt er mit Juden in Israel hat. Ein Großteil zumindest der Intellektuellen und der gut ausgebildeten Mittelschicht ist säkular und nicht religiös.

Dass die übergroße Mehrheit aller Juden weltweit sehr weltlich und nicht sehr religiös ist, namentlich in den USA, ja viele Zionist*innen explizit atheistisch oder agnostisch oder sonst wie skeptisch und eher gottlos leben, kümmert weder den Verlag noch den Autor. Widerspruch gibt es höchstens mal von Journalisten wie in der Jüdischen Allgemeinen, die gleichwohl für die übergroße Mehrheit der Juden in Deutschland sprechen dürfte – sie ist das offizielle Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland –, die sich Brumliks Zeuge Boehm vorknöpft:

„Wer, so lautet Boehms Botschaft im Klartext, nicht gegen eine Politik prot­est­iere, die Boehm nur nebulös – und aufs Ressentiment vertrauend – mit ‚Einsatz von Methoden gegen die israelisch-arabische Bevölkerung Jerusalems‘ um­schreibt, solle zur Schoa schweigen. Ohne es gewollt zu haben, gelingt Omri Boehm in seiner wütenden Philippika gegen Leute, die den jüdischen Staat nicht verurteilen möchten, doch noch ein bedeutendes Argument gegen Antisemitismus: Es gibt auch dumme jüdische Philosophen.“

 

(Martin Krauss (2015): Dem Philosoph ist nichts zu doof, Jüdische Allgemeine, 29.10.2015, https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/23710 )

Wie ich mit diesen Beispielen der letzten Jahrzehnte in Ansätzen zu zeigen versuchte: Micha Brumlik war ein äußerst aktiver und ein mitunter durchaus umstrittener Autor, gerade aus jüdisch-zionistischer wie auch nicht-jüdisch zionistischer Perspektive.

Er war gegen den Antisemitismus, aber wollte oder konnte nicht sehen, dass gerade der Antizionismus hier und heute die am weitesten verbreitete Form des Judenhasses und somit Antisemitismus ist.

Er war aber auch widersprüchlich, weil er diesen antizionistischen Antisemitismus mitunter sehr wohl sah oder zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt, den zu bestimmen Historiker*innen sich mal das ganze Werk Brumliks, den Nachlass etc. anschauen werden.

Einigermaßen dramatisch war zum Beispiel seine jugendliche Zeit in Israel, als er einmal drei Wochen in einem Krankenhaus in einem Vierbettzimmer verbringen musste. Er kam als Zionist, ging als Antizionist, was er später wieder revidierte und nochmal revidierte. Brumlik hat aus mit nicht nachvollziehbaren Gründen den Islamismus massiv verharmlost, aber zugleich und völlig richtig die existentielle Gefahr für Israel durch den islamistischen Iran gesehen.

Womöglich wollte er als quasi Migrant, der in der Schweiz geboren wurde und dessen Eltern Überlebende waren, gänzlich anderen Migrant*innen zur Seite stehen, was an sich löblich wäre. Aber spätestens seit dem 11. September sehen wir dass der Islamismus zu einer der größten Gefahren für die Demokratien in Europa und für das Leben im Nahen Osten und weltweit geworden ist.

Die rechtsextreme und auf antisemitischen Verschwörungen basierende Ideologie des Trumpismus, der Familien- und Kinder-Fetisch der ganzen Neuen Rechten wie die Liebe zu Religion, Tradition und Clan eint doch Neue Rechte und Islamisten und – da würde Brumlik sofort zustimmen – auch substantielle Teile des religiös-fanatisierten Israel.

Zeitweise trug Micha Brumlik auch eine Davidsternhalskette, wie er in seiner Autobiographie 1996 schrieb. Hätte er oder hat er noch den vor allem muslimischen und auch linken Judenhass nach dem 7. Oktober 2023 erkannt, der jüdischen Frauen und Männern mit Davidsternhalskette oder Pro-Israel T-Shirt das Leben an deutschen oder amerikanischen, französischen, britischen etc. Universitäten, in der U-Bahn und im Alltag zu einer einzigen Katastrophe macht?

Er liebte es mitunter geradezu zu provozieren oder zu streiten. Als wir uns dann auch mal in meinem Lieblingsrestaurant in Kreuzberg, dem Primavera, trafen – und nicht in Wilmersdorf oder Charlottenburg -, schlug Micha nach zwei Viertele mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte recht laut „Judith Butler ist keine Antisemitin“. Dabei hatte ich Butler an diesem Abend kein einziges Mal erwähnt, ja nicht mal angedeutet. Ich wollte ja andere Themen, wie unsere gemeinsame Kritik an der schon damals offenkundigen rechtsextremen Regierungspolitik von Netanyahu oder an den auch linken Gegner*innen der Brit Mila ansprechen. Micha beruhigte sich dann ja auch wieder und der Abend verlief intellektuell vielfältig und nicht nur kontrovers.

Micha Brumlik war einer, der diese Widersprüche lebte, der die Kontroverse suchte und sein Gegenüber wahr und ernst nahm. Das sind Eigenschaften, die nur sehr wenige Intellektuelle in diesem Land haben. Es gab so gut wie niemand außer Brumlik, der sich bei Kant, Schleiermacher, Fichte, Marx, Schelling und Hegel und deren Verhältnisse zum Judentum und zur Judenfeindschaft als auch in den aktuellen Debatten zu Antisemitismus so gut auskannte und viel dazu publizierte.

Ironischerweise waren es Brumlik und Julius H. Schoeps, beide keine typischen Adorniten, die in ihrer Kritik am neu-deutschen Antisemitismus wie jenem von Martin Walser (1998 ff.) und in der Goldhagen-Debatte über einen spezifisch deutschen Antisemitismus (1996 ff.) der an Adorno orientierten antideutschen Linken am nächsten standen und mir ihr kooperierten.

Vielleicht hätte es Micha gefreut, wenn er noch miterleben hätte können, dass sein Werk wie zum Beispiel seine so eminent wichtige und bis heute notwendige Kritik an Theologen und Aktivisten wie Franz Alt und deren antijüdische Phrasendrescherei von „Jeus, der erste neue Mann“ der 1980er Jahre heute von mir an der Philosophischen Fakultät und am Institut für Religionswissenschaft der Universität Heidelberg unterrichtet wird.

Schließlich war die Ruperto Carola die längste Wirkungsstätte von Micha Brumlik, von 1981 bis 2000 war er hier am Neckar Professor für Pädagogik.

Ich werde Micha vermissen.

 

 

 

 

 

 

Jubel in New York City: Der neue Bürgermeister und der intellektuelle Niedergang der Democratic Socialists of America (DSA)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Wie wurde aus einer linkszionistischen und sozialistischen Organisation wie den Democratic Socialists of America (DSA) eine antizionistische Kampforganisation? Warum wurde der Linkszionismus des Mentors von Bob Dylan, Pete Seeger, einfach vergessen von den ungebildeten jugendlichen Massen in New York City? Gibt es nach der Wahl Mamdanis noch eine Chance auf eine linkszionistische Kritik am Trumpismus und an Netanyahu? Und was sagt uns eine Postkarte von Theodor W. Adorno von 1967 über sein Verhältnis zu Israel?

Holocausterinnerung

Holocausterinnerung gibt es außerhalb Israels fast nur noch im Land der Täter.

Die Ironie der Geschichte ist zudem, dass ausgerechnet die antideutsche Bewegung seit dem Jahr 2000 dafür gesorgt hat, dass Deutschland als fast einziges Land eine zumindest hörbare Zahl von nicht-jüdischen zionistischen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen hat und somit das Standing, wie es neudeutsch heißt, von Deutschland verbessert hat.

Amerika hingegen, das Land mit der größten jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels und Sitz der Stadt mit den meisten Jüdinnen und Juden weltweit – New York City mit ca. einer Million Jüdinnen und Juden – hat ganz enorme Probleme mit dem Antisemitismus.

Auch die Bundesrepublik Deutschland hat ganz extreme Probleme mit Antisemitismus, der primär von Linken und Muslimen wie Islamisten kommt, aber natürlich traditionell auch von Nazis. Auch im Mainstream ist Antisemitismus in Deutschland weit verbreitet.

In den USA kommt der Judenhass wahlweise von der MAGA-Bewegung und ist durch Verschwörungsmythen oder christlichem Antijudaismus geprägt – Make America Great Again -, oder von Muslimen, Islamisten und Linken, die ihn primär als Israelfeindschaft artikulieren und sich im Gegensatz zu Rechten moralisch erhaben fühlen.

Nan Goldin in Berlin: Eine Fotografin gegen den einzigen Judenstaat

New York City ist in Aufbruchstimmung. „Die Bewegung“ hat einen der ihren zum Bürgermeister der größten amerikanischen Stadt und zentralen Metropole des Landes gewählt. Einige ältere Semester in USA wie in Europa oder der Bundesrepublik mögen sich an die Stimmung Mitte bis Ende der 1960er Jahre erinnert fühlen, als ebenfalls eine Aufbruchstimmung herrschte. Es dauerte ein paar Jahre vom Kampf gegen die Rassentrennung (Segregation), den Demonstrationen und Aktionen gegen den Vietnam-Krieg hin zum antizionistischen Ressentiment, den K-Gruppen und den Terrorgruppen.

Doch Kenner Amerikas und des Linksradikalismus in den USA wissen: diese Aufbruchstimmung ist diesmal von Anfang an antisemitisch und nicht erst nach einer gewissen Zeit.

In einem Beitrag in der dermaßen links-liberalen und traditionellen Wochenzeitung in den USA The Nation schreibt am 30. September 2025 eine Nikki Columbus wie „extrem“, ja extrem rechts Deutschland geworden sei. Damit meint sie, dass Kritik am Antisemitismus und an der geplanten Vernichtung des jüdischen Staates Israel rechts sei.

Der Text ist eine Ode an die antisemitisch-antizionistische Agitatorin und Fotografin Nan Goldin. Nur weil sie zwei-, dreimal ihre Foto-Kamera im richtigen Winkel zu einem Objekt positionierte, bekam sie von der Neuen Nationalgalerie in Berlin gleich eine Retrospektive, die sie gezielt als Agitationspolattform nutzte und bewies, dass sie gar nicht primär Künstlerin ist, sondern Großagitatorin.

Sie ist eine Anhängerin der antiisraelischen BDS-Boykottbewegung und behauptet ohne jegliches Fachwissen, dass Antizionismus nicht Antisemitismus sei. The Nation plappert diese judenfeindliche Ideologie in dem Artikel nach.

Besonders schlimm sei es ausgerechnet für antisemitische, also antizionistische Künstler*innen in Berlin seit dem 7. Oktober 2023. Wer nicht weiß, was am 7. Oktober passierte – und der Text sagt dazu so gut wie nichts – muss denken, dass am 7. Oktober Hunderte Palästinenser*innen auf unschilderbare Weise hingemetzelt wurden und danach auch die pro-palästinensischen Künstler*innen gecancelt oder angegangen worden seien.

Die 80er Jahre seien so cool gewesen in West-Berlin, erzählt Nan Golding der The Nation-Autorin. Und dann kam der 7. Oktober und es wurde ganz schlimm – für die Täter, nicht etwa für Israelis und ihre zionistischen Freund*innen. Es geht um eine Ausstellungseröffnung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin:

Diese Freiheit scheint nun an ihre Grenzen gestoßen zu sein. ‚Die Zungen wurden zum Schweigen gebracht‘, erklärte Goldin bei der Ausstellungseröffnung, ‚durch die Regierung, die Polizei und die kulturelle Unterdrückung.‘ Goldin bezog sich dabei auf die aggressive Reaktion des Landes auf die Unterstützung Palästinas, insbesondere seit den Angriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Beginn des anhaltenden Völkermords Israels in Gaza. Diese Repressionen finden zwar landesweit statt, konzentrieren sich jedoch weitgehend auf Berlin. ‚Seit dem 7. Oktober wurden über 180 Künstler, Schriftsteller und Lehrer gecancelt‘, fuhr Goldin fort. ‚Viele von ihnen sind Palästinenser, 20 Prozent sind Juden.‘ (Ebd., Übersetzung CH)

The Nation spricht aktuell gar in Texten, die sich mit Antisemitismus und Antizionismus (bei den Rechten in USA) befassen, komplett unreflektiert von „Genozid„, wenn es um den Gaza-Krieg Israels geht, was eine Verharmlosung tatsächlicher Genozide ist.

Schreckliche Kriegsverbrechen Israels sind nicht das gleiche wie ein „Genozid“

In Gaza passierten bis zum Waffenstillstand im Oktober 2025 Kriegsverbrechen der israelischen Armee IDF. Insgesamt ca. 65.000 Menschen wurden getötet, darunter – niemand weiß es genau – 15.000 Hamas-Terroristen. Doch mindestens 50.000 Tote sind Zivilist*innen. Viele wurden unter Trümmern begraben, andere erschossen und viele sind auch verhungert.

Das ist Resultat der Kriegspolitik der rechtsextrem-religiös-messianischen Regierung unter Benjamin Netanyahu. Doch auch Kriegsverbrechen sind in diesem Fall nicht gleichbedeutend mit einem Genozid, der primär das intentionale Töten eines Volkes meint.

Auf menschenverachtende Weise hat die IDF ihre Angriffe so durchgeführt, dass wissentlich auch viele Zivilist*innen zu Tode kamen. Das ist nicht zu rechtfertigen. Aktuell hat die Hamas geschätzt so viele Kämpfer wie vor dem 7. Oktober, obwohl 15.000 Hamas-Terroristen im Krieg ausgeschalten wurden. Das ist auch nur logisch, eine in der Bevölkerung breit verankerte Terrorgruppe bekommt problemlos Nachschub.

Viele in der Pro-Israel-Szene haben diese Verbrechen der israelischen Armee bejubelt oder schweigen dazu, auch in der wissenschaftlichen wie aktivistischen Pro-Israel-Szene in Deutschland.

Die immer aggressivere Kriegsführung speziell seit Sommer 2024 bis Oktober 2025 hat dazu geführt, dass viele ehrlich Verbündete Israels wie Frankreich oder Großbritannien und schließlich auch Deutschland Israel klar gemacht haben, dass es so nicht geht.

Doch Netanyahu hörte keine Sekunde zu. Nur ein faschistoider Politiker aus Washington, D.C., hat ihn überzeugt, doch zu einem Kompromiss bereit zu sein. Die Hamas ließ dann im Oktober 2025 die restlichen 20 lebenden Geiseln frei, Israel Hunderte palästinensische Straftäter und Terroristen.

Ein „Deal“, der gleichwohl nach allem was wir wissen, spätestens im April 2024 möglich gewesen wäre, wie die New York Times vor Monaten berichtete – er hätte damals Dutzenden Geiseln und Zehntausenden Palästinenser*innen das Leben gerettet, was selbstredend der Hamas egal ist.

Aber Zionist*innen darf das nicht egal sein. Doch Netanyahu ist es egal. Also kann er kein Zionist sein. Philosophie, Logik, erstes Semester.

Die Kritik an der rechtsextremen und verbrecherischen Politik Netanyahus, zu der auch und insbesondere das Unmöglichmachen einer Zweistaatenlösung durch finanzielles Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde, durch Siedlungsbau wie dem Projekt E1 und anderen, durch Pogrome gegen Palästinenser*innen im Westjordanland, das Zerstören von Olivenbäumen, das Entführern oder Töten von Schafen und anderen Tieren gehören, hat jedoch mit dem Juden- und Israelhass weitester Teile der angeblichen Palästina-Solidarität gar nichts zu tun. Die hassen Israel unabhängig von seinen Taten.

Viele Vertreter*innen dieser Kreise sprechen seit vielen Jahren von „Genozid“, weshalb kein seriöser Mensch diesen Phrasendrescher*innen noch zuhört – bis auf Postillen, die historisch einiges an Renommee haben wie The Nation.

Oktober 2023: Maurice Isserman verlässt nach 41 Jahren die Democratic Socialists of America (DSA)

Der Historiker und Professor am Hamilton College im Bundesstaat New York Maurice Isserman (Jg. 1951) war in seinem Leben nur in zwei bundesweiten politischen Organisationen Mitglied. Im Alter von 18 ein Jahr beim SDS (Students for a Democratic Society). Der SDS in USA war 1960 gegründet worden, hatte 1965 ca. 15.000 Mitglieder, aber 1968 waren es schon ca. 100.000. Das erinnert Isserman in einem beeindruckenden biographischen, linksintellektuellen und tagespolitischen Text von Oktober 2023 – in The Nation -, wo er seinen Austritt aus der zweiten bundesweiten Organisation bekannt gab, der er je angehörte: Den Democratic Socialists of America (DSA). Er war 41 Jahre Mitglied beim DSA.

Die Anzahl der Mitglieder der Democratic Socialists of America hat sich von 2015 mit 5000 Mitgliedern bis 2025 auf ungefähr 100.000 Mitglieder enorm vervielfacht.

Doch warum trat Maurice Isserman im Oktober 2023 von den DSA aus?

Es geht um die Reaktion der DSA auf den 7. Oktober. Während Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), beide Sympathisanten bzw. Mitglied bei den DSA, die Massaker an Jüdinnen und Juden durch die Hamas verurteilten, reagierte das DSA spontan anders.

AOC spricht mittlerweile auch von „Genozid“, den Israel begehe – was zur Gewalt neigenden antisemitischen Aktivist*innen in New York City nicht reicht, ihr Büro in der Bronx wurde im Juli 2025 beschmiert und sie beschuldigt, am „Genozid“ mitzuwirken, dazu wurde sie schockierenderweise mit dem Tode bedroht.

Maurice Isserman schreibt am 23. Oktober 2023:

Das Nationale Politische Komitee der DSA stimmte nicht mit den beiden prominentesten demokratischen Sozialisten [Sanders und Ocasio-Cortez] im öffentlichen Leben der USA überein. In seiner Erklärung vom 7. Oktober erwähnte es die Hamas mit keinem Wort – geschweige denn, dass es Kritik an ihr übte –, sondern erklärte stattdessen:

‚Die heutigen Ereignisse sind eine direkte Folge des Apartheidregimes Israels – eines Regimes, das Milliarden an Finanzmitteln aus den Vereinigten Staaten erhält.‘

Am selben Tag forderte die New Yorker Ortsgruppe der DSA ihre Mitglieder auf, an einer Kundgebung in Midtown Manhattan teilzunehmen, zu der eine andere linke Gruppe unter dem Motto ‚All Out for Palestine‘ für den nächsten Tag aufgerufen hatte. Bei dieser Veranstaltung am 8. Oktober, weniger als 24 Stunden nach dem Anschlag, kommentierte ein Redner die Ermordung von Hunderten junger Israelis, die das Nova-Festival besucht hatten, mit begeisterten Worten:

‚Der Widerstand kam in elektrifizierten Paraglidern und holte sich mindestens mehrere Dutzend Hipster.‘

Das sorgte für großes Gelächter. Es waren wahrscheinlich nicht viele DSA-Mitglieder im Publikum, und kein DSA-Mitglied sprach vom Podium aus, aber der Schaden war angerichtet – und nicht unverdient. Politisch wird man nach dem beurteilt, mit wem man sich umgibt.“ (Übersetzung CH)

Diese antisemitische Demonstration in New York City am 8. Oktober 2023 zeigte, wie diese Leute denken.

Mehr noch: lokale Chapter der DSA zeigten auch ganz explizit und nicht ’nur‘ durch Aufrufe auf Demos, die andere organisierten, wie antisemitisch sie ticken.

Die Gruppe der DSA in Seattle verbreitete eine Stellungnahme von wirklich ‚modernen‘ oder hippen eliminatorischen Antisemiten der BDS-Bewegung in den USA, die nach den Massakern vom 7. Oktober sofort dazu aufriefen, Israel ganz auszulöschen – damit sieben Millionen Juden zu ermorden, Israel aufzulösen (also die Juden in Israel zu massakrieren, nicht die 20 Prozent Araber):

Die DSA Seattle verbreitete ein ‚Toolkit‘ als Reaktion auf die Ereignisse vom 7. Oktober, das von einer Gruppe mit den Namen ‚National BDS & Palestine Solidarity Working Group‘ erstellt worden war und eine Liste mit Forderungen enthielt, von denen die ersten beiden lauteten:

Beendet ALLE US-Hilfe für Israel. Nicht nur Militärhilfe – jede Hilfe für Israel unterstützt die Kolonialisierung Palästinas und die anhaltende Gewalt gegen Palästinenser.
Entkolonialisierung – vom Fluss bis zum Meer. Nicht nur Gaza und das Westjordanland, wir wollen das gesamte Gebiet von 1948. (Übersetzung CH)

Ein Aufruf zu Völkermord. Eine Unterstützung der Hamas und der Massaker mit 1200 hingemetzelten Jüdinnen und Juden, Babies, Kinder, Frauen, Männer, Holocaustüberlebenden und vielen nicht-jüdischen Kibbutz-Freiwilligen oder Landarbeitern.

Die obige Reaktion der nationalen Zentrale der DSA, die in New York City sitzt, zum 7. Oktober war Anlass für die berühmte Comedian, Schauspielerin und Autorin Sarah Silverman, dies zu schreiben, was Maruice Isserman zitiert:

Die DSA, deren stolzes lebenslanges Mitglied ich war, hat mich für immer verloren… Bis jetzt wurden über 1000 Menschen abgeschlachtet. Mädchen wurden über den Leichen ihrer Freundinnen vergewaltigt. Das sind Kinder, Babys, Jugendliche, ältere Menschen, von denen viele wie meine Familie jeden Abend auf die Straße gehen, um gegen Netanjahu und die Besatzung zu protestieren. DAS SIND DIE MENSCHEN, DIE DIE HAMAS ERMORDET HAT, IHR ARSCHLÖCHER. Wisst ihr, dass Israel@sich rächen wird – versteht ihr, dass ihnen das Leben der Palästinenser scheißegal ist????? (Übersetzung CH)

Das DSA hat auch Maurice Isserman für alle Zeiten verloren. Wegen dem Antisemitismus der DSA. Und genau wegen diesem Antisemitismus ist das DSA so groß geworden in den letzten 10 Jahren. Isserman berichtet davon, dass 2017 auf dem nationalen Kongress der DSA antisemitische Sprüche wie “From the River to the Sea, Palestine Will Be Free” gerufen wurden. Der gleiche Spruch, der zum 7. Oktober führte und seither von der Antisemitischen Internationalen zu dem Schlachtruf des 21. Jahrhunderts überhaupt auserkoren wurde.

Und Millionen klatschen. Millionen, genau gesagt 1.036.051 wählen DSA-Mitglieder wie Zohran Mamdani, der sich im Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl in New York mehrfach weigerte, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen. Ich hatte darüber im Juni 2025 berichtet.

Isserman nennt die Hamas eine „fanatische rechte religiös-fundamentalistische Gruppe“ und resümiert im Oktober 2023:

Warum verlasse ich also die DSA? Dafür gibt es viele Gründe. Aber letztendlich läuft es auf Sarah Silvermans Regel Nr. 1 für die Beurteilung der eigenen politischen Genossen hinaus. Eine Organisation, die es nicht schafft, eine rechtsextreme Terroristengruppe zu verurteilen, die sich zum Ziel gesetzt hat, so viele jüdische Zivilisten wie möglich zu ermorden, darunter auch Kinder und Säuglinge, hat das Recht verloren, sich als demokratisch-sozialistisch zu bezeichnen. Sie hat, wie Sarah sagt, ‚mich für immer verloren‘.

Zohran Mamdani ist bis heute Mitglied der Democratic Socialists of America. Und das sagt uns alles über sein Verhältnis zu Juden.

Von Pete Seeger (1951) zum Linkszionismus der DSA (1982 ff.)

Dabei waren die 1982 gegründeten Democratic Socialists of America (DSA) anfangs zionistisch, demokratisch und sozialistisch. Das lag an ihren Gründer*innen Barbara Ehrenreich und Michael Harrington. Ein Text von Dan Freedman im Moment Magazine vom 3. November 2025 klärt darüber auf:

Die allmähliche Verdrängung älterer DSA-Mitglieder hatte ihren Preis, da ein Großteil des historischen Gedächtnisses verloren ging. Zum Beispiel sangen Pete Seeger und die bald darauf auf die schwarze Liste [der antikommunistischen McCarthy-Ära, CH] gesetzten Weavers 1951 das temperamentvolle ‚Tzena, Tzena, Tzena‘, das Basssänger Lee Hays als ‚aus dem neuen Land Israel zu uns gekommen‘ beschrieb.

Während viele Vertreter der amerikanischen Linken in den 1960er Jahren Israel wegen der Notlage der Palästinenser verurteilten, erinnerten sich Harrington und die DSA-Mitglieder in den 1980er Jahren an ein Israel, in dem die Arbeiterbewegung stark war und das soziale Bewusstsein der Kibbuzniks weit verbreitet war.

Tzena, Tzena, Tzena – Hebräisch für „komm raus, komm raus“ – war der Folksong aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina von 1941, auf Hebräisch. Es geht um die Mädchen, die hinausgehen sollen auf die Felder und ins Land, um sich mit den coolen jüdischen Jungs und Soldaten zu treffen:

„Go out, go out, go out girls and see soldiers in the moshava; Do not, do not, do not hide yourself away from a virtuous man [a pun on the word for „soldier“], an army man.“

Der Song wurde von dem späteren Mentor von Bob Dylan, dem legendären Folk-Sänger und linken Aktivisten Pete Seeger (1919-2014) und seiner 1948 in New York City, Greenwich Village, gegründeten Band The Weavers 1951 auf der B-Seite ihrer Single-Platte „Goodnight, Irene“ gedruckt, die zwei Millionen Mal verkauft wurde. Das zeigt den Zionismus, den sozialistischen Zionismus von Pete Seeger.

Selbst das konservative Tablet Magazine und der Professor Ari Y. Kelman haben 2011 diesem Song und dem Linkszionismus und Sozialismus ein rauschenden Denkmal gesetzt:

‚Tzena Tzena‘ ist nicht nur wegen seiner Popularität wichtig, sondern auch wegen der Art und Weise, wie es überhaupt so populär wurde. Mit seiner romantischen Darstellung junger Frauen, die sich nach coolen und starken Soldaten sehnen, erfüllte das Lied die Erwartungen, die viele amerikanische Juden 1951 an Israel hatten. Doch dieses Bild brauchte einen in Harvard ausgebildeten amerikanischen Folksänger, um ein amerikanisches Publikum zu erreichen. Trotz der Herkunft des Songs bedurfte es Seegers ‚Hechsher‘ [rabbinisches Koscherzertifikat], um Israel für amerikanische Juden hörbar zu machen. (Übersetzung CH)

Friedman schreibt am 3. November 2025 und man denkt, das sind die zionistischen 1980er Jahre, eine gänzlich andere Zeit als jene der Mamdanis.

Und doch, es gibt diesen Kampf für den Zionismus hier und heute, den wir niemals verloren geben dürfen, auch nicht angesichts solcher herber Niederlagen wie in New York oder angesichts der Tatsache dass Netanyahu Israel beherrscht und an den Rand des Kollapses bringt – er möchte das demokratische und rechtsstaatliche Israel vollends zerstören, nachdem der Labour-Zionismus ohnehin seit Jahren am Boden liegt.

Doch dieser Text von Dan Freedman erweckt ihn wieder zum Leben:

Harrington würde die Unterstützung für Israel in den Zusammenschluss amerikanischer sozialistischer Gruppen einbringen, aus denen die DSA hervorging. Er begrüßte Israel als Verwirklichung des jüdischen Rechts auf Selbstbestimmung und schrieb, der Zionismus sei ‚die nationale Befreiungsbewegung eines jüdischen Volkes‘. Die Resolution 3379 der Vereinten Nationen von 1975, die den Zionismus mit Rassismus gleichsetzte, habe ‚dem Begriff Rassismus jede ernsthafte Bedeutung genommen‘, schrieb Harrington. Auf die Frage, welcher Religion er angehöre, bezeichnete sich der katholisch erzogene Harrington manchmal scherzhaft als ‚Arbeiterzionist‘. (Übersetzung CH)

Euphorisch schreibt hingegen auch das antizionistische Magazin Jacobin im September 2025 über die National Convention 2025 der DSA, die im August stattfand:

Eine weitere heiß umstrittene Abstimmung wurde mit 56 Prozent der Delegiertenstimmen zugunsten der Resolution 22: Für eine kämpferische antizionistische DSA, verfasst vom Springs of Revolution-Ausschuss, angenommen. Diese Resolution zielt darauf ab, die Unterstützung des BDS-Aufrufs zu Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) gegen Israel zu einem Lackmustest für die Unterstützung von DSA-Kandidaten zu machen und die Möglichkeit zu schaffen, DSA-Mitglieder auszuschließen, die sich ‚konsequent und öffentlich gegen BDS und die palästinensische Sache ausgesprochen haben‘. (Übersetzung CH)

Auch das hätte für jeden seriösen Politiker und Aktivisten bedeuten müssen, aus dieser antisemitisch-leninistischen Organisation auszusteigen. Doch Zohran Mamdani ist weiterhin eines der erfolgreichsten Pferde der DSA.

Exkurs: Der Sandwich-Mann aus Washington, D.C.

Der Wahlsieg des mit Antisemitismus kokettierenden und sich nicht vom Antisemitismus seiner Organisation Democratic Socialists of America (DSA) distanzierenden Zohran Mamdani als neuer Bürgermeister von New York City ist eine Katastrophe für Juden und den Westen.

Es wäre ein Leichtes gewesen für den 34-jährigen Newcomer, sich nach dem 7. Oktober von den antisemitischen Posts seiner Organisation, den Demokratischen Sozialisten Amerikas zu distanzieren. Er tat es nicht. Weil er selbst ein Feind des jüdischen Staates Israel ist.

Hierzu ein kleiner Exkurs, weil viele meinen, gerade Mamdani sei ein guter Fighter gegen Trump: Ein viel mutigerer und echter Held im Kampf gegen den Trump-Faschismus ist hingegen Sean Dunn.

Der damalige Angestellte im Justizministerium hatte am 10. August 2025 lautstark die an eine Militärdiktatur erinnernden Horden von Bundespolizisten in Washington, D.C, attackiert. Er nannte die Bullerei ‚Faschisten‘ und ‚eine Schande‘ und ließ nicht locker. Dunn war als US-Soldat und Flieger im Afghanistan-Krieg. Schließlich hat er gegen den durch eine Kampfuniform massiv geschützten Oberkörper eines dieser Bundespolizisten sein Salami-Sandwich geworfen.

Jetzt sprach eine Jury Dunn frei. Es ist eine große Blamage für die faschistischen Antidemokraten wie Donald Trump und sein Justizministerium, die auf ganzer Linie verloren haben. Im August hatte das Weiße Haus die unfassbar militaristische Festnahme Dunns in dessen Apartment gefilmt und online gestellt. Jetzt stellt sich heraus: Auch diese Festnahme war natürlich illegal. Und jetzt hat ein Gericht in den USA immerhin einen der berühmtesten Trump-Gegner freigesprochen:

Der österreichische Standard hält fest:

Dunns Anwalt hielt den Prozess für politisch motiviert. Die Verteidigung argumentierte, er habe mit dem weichen Salamisandwich der Kette Subway ohnehin niemanden verletzen können. Vielmehr sollten mit dem Gerichtsverfahren Menschen eingeschüchtert werden, die Trump kritisch sehen.

Bei Kundgebungen gegen Trump tragen Demonstranten seit dem Vorfall häufig Plakate oder Transparente, die den Sandwich-Wurf zeigen. Vor allem in der Hauptstadt Washington ist ‚Sandwich-Mann ein geflügeltes Wort.

Ich kenne Sean Dunns politische Positionen nicht, bis auf seinen Antifaschismus und seine Anti-Trump-Haltung. Ob er sich je zu Israel geäußert hat, weiß ich nicht. Aber zumindest ist ein zentraler Punkt für ihn die Kritik am Rassismus und der Anti-Einwanderungspolitik von Trump. Er ist ein Jurist und politisch mit dieser Aktion ein Anwalt für Menschenrechte, die unteilbar sind – und ein Anwalt gegen Polizeigewalt, Willkür und eben: Faschismus. In Zeiten, wo auf jeder Anti-Trump-Demo Palästinafahnen zu sehen sind, ist das Symbol des quasi Autonomen, der ein Sandwich auf einen Bullen wirft, ein geniales Zeichen für zivilen Widerstand. Und er wurde – es gibt ihn noch den Rechtsstaat in den USA – freigesprochen.

18-jährige jüdische Linkszionistin bekommt 10 Jahre Einreiseverbot nach Israel

Jetzt wurde der 18-jährigen amerikanische Zionistin und Friedensaktivistin Leila Stillman-Utterback, die Palästinenser*innen bei der Olivenernte beistand und sie vor den jüdischen Siedlern schützen wollte, mit einem 10-jährigen Einreiseverbot nach Israel belegt, weil sie kurzzeitig auf militärischem Sperrgelände sich aufgehalten habe.

Sie war mit der zionistischen Organisation Hashomer Hazair unterwegs, zudem mit Rabbinerinnen aus New York City. Frühere Teilnehmerinnen des Programms von Achvat Amim berichten von ihrem Zionismus und ihrem Engagement für Frieden mit den Palästinenser*innen.

Adorno für Israel – Springer-Konzern gegen Adorno

Für Mirna Funk ist die Kritische Theorie des Juden, Emigranten vor den Nazi-Deutschen und späteren Pro-Israelis Theodor W. Adorno ein Kern des Problems. Ihr Allheilmittel wie das aller Angepassten, Konservativen oder Liberalen, Antikommunistinnen und Bürgerlichen ist natürlich Karl Popper.

Sie schreibt am 6. November 2025 in der Welt:

Mamdani steht genau dafür. Für eine Welt, in der das Bessere nur entstehen kann, wenn das Bestehende abgeschafft wird. In der jüdische Souveränität als Störung erscheint. Und Geschichte als Hindernis. Die Philosophie kennt diese Struktur. Bei Ernst Bloch ist die Utopie ‚antizipierende Bewusstheit‘. Bei Adorno: das Nicht-Identische. Bei Badiou: das Ereignis. In allen Fällen: radikal, total, endgültig.
Karl Popper, 1902 in Wien geboren und vor den Nationalsozialisten nach Neuseeland geflohen, veröffentlichte 1945 sein Hauptwerk ‚Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‘. Darin warnte er vor der Verführung geschlossener Utopien.

Angesichts einer antijüdischen Grundstimmung in den USA gerade einen linken Juden, pro-israelischen Intellektuellen und federführenden Kämpfer gegen den Antisemitismus in all seinen Formen, inklusive dem erinnerungsabwehrenden sekundären Antisemitismus, mitverantwortlich zu machen, kann man nur kommen wenn man Donald Trump oder Mirna Funk heißt oder halt beim Springer-Konzern publiziert.

Geradezu geschichtsklitternd ist es, wenn Mirna Funk zwar erwähnt, dass Popper vor den Nazi-Deutschen floh, aber unerwähnt lässt, intentional, dass Adorno ebenfalls nur im Exil überleben konnte und sich im Gegensatz zu Popper vor 1945 mit dem Antisemitismus in der ach-so-freien Welt wie den USA und nach 1945 sehr intensiv mit dem Antisemitismus der Deutschen in der BRD befasst hat.

Am 28. Juli 1967 schrieb der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer eine fulminante und super scharfe Attacke auf seinen Kollegen der Gruppe 47 Peter Weiss. Weiss hatte in antizionistischer Manier Israel attackiert – wegen dem von dem einzigen Judenstaat gewonnen Sechstagekrieg. Dieser Text von Hildesheimer in der Wochenzeitung Die Zeit hat Theodor W. Adorno so gut gefallen, ja euphorisiert, dass er ihm aus seinem Urlaubsort schrieb, was ich in meiner Studie „Der Komplex Antisemitismus“ von 2018 beschrieb:

1970 trat Hildesheimer dem von Michael Landmann initiierten „Sozialistischen Arbeitskreis für Israel“, der Israel auch kritisiert, aber nach außen, bei Angriffen auf den Staat, selbstverständlich das „Lebens- und Selbstbestimmungsrecht Israel“ verteidigt, bei.[1] Hildesheimer damals hört sich an wie heutiger Linkszionismus, mit dem Unterschied, dass es den heute in der BRD so gut wie nicht mehr gibt.

Wie die Forschung zeigt, gibt es nur sehr wenige klare pro-zionistische oder proisraelische Äußerungen von Adorno, primär seinen Geburtstagsgruß an Gershom Scholem vom 2. Dezember 1967 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).[2]

In den 1999 publizierten Briefen Wolfgang Hildesheimers findet sich folgender sensationelle Fund: Theodor W. Adorno schreibt am 1. August 1967 aus sein­em Urlaubsort Crans-Montana an Wolf­gang Hildesheimer auf einer Postkarte:

„Lieber Herr Hildesheimer,

mit heller Begeisterung habe ich Ihren offenen Brief an Peter Weiss in der ZEIT gelesen. Ich bin in der sehr seltenen Situation, mit jedem Wort mich iden­ti­fi­zier­en zu können. Überdies haben Sie mir einen großen Gefallen getan. Ich hatte die Absicht, in genau derselben Angelegenheit, und bis ins Detail mit der gleichen Argumentation einen offenen Brief an Abendroth zu richten, wegen dessen grauslichen Israel-Vortrag. Das brauch ich jetzt nicht zu tun. Man ist also doch nicht so alleine wie es scheint. Hoffentlich findet Ihr Brief weiteste Ver­breitung.

Tausend Dank und die schönsten Grüße, auch von meiner Frau

Ihr wahrhaft ergebener

Th. W. Adorno.“[3]

Hildesheimer antwortete Adorno mit einer Postkarte aus Poschiavo vom 15.08.1967 (Poststempel):

„Lieber, sehr verehrter Herr Professor Adorno,

herzlichen Dank für Ihre Karte. Ich bin sehr froh, daß Sie mit mir ein­ver­standen sind. In Wirklichkeit war der Artikel von Peter Weiss so furchtbar und so dumm, daß es unmöglich war, ganz darauf einzugehen. Oft packt einen das Entsetzen angesichts der eigenen Freunde.

Mit vielen herzlichen Grüßen bin ich

Ihr Wolfgang Hildesheimer.“[4]

Was für ein enthusiastischer Ton bei Adorno. Man merkt, wie unendlich wichtig ihm Israel ist. Das sei jenen ins Stammbuch geschrieben, die bis heute meinen, Kritische Theorie habe zu Israel nichts zu sagen oder sei anti­is­ra­el­isch.[5] Das entschuldigt nicht wirklich, dass Adorno sich nicht selbst öffentlich gegen Peter Weiss, Wolfgang Abendroth und die anti­zion­ist­ische Stimmung, den krassen Wandel von Philosemitismus zu Anti­semi­tis­mus in der Neuen Linken wandte. Er hätte ja – und da gibt es Analogien zu heute – der einsamen linken Stimme für Israel öffentlich beistehen können. Aber die Postkarte zeigt, wie proisraelisch Adorno dachte und fühlte.

Da sich Adorno explizit hinter jedes Wort Hildesheimers stellt, beinhaltet das auch Hildesheimers keineswegs nur rhetorisches oder taktisches Zustimmen zu Weiss, der Dayan – wie zitiert – faschistisch nannte. Hildesheimer schloss sich dieser problematischen Charakterisierung Dayans durchaus an, wie auch Adorno, der jedes Wort in Hildesheimers Zeit-Artikel unterschreibt.

Doch Hildesheimer diffamiert und delegitimiert Israel überhaupt nicht, er kritisiert in sehr scharfem, unangemessenem Ton einen israelischen Politiker wie Moshe Dayan – der im Kampf gegen französische pro-deutsche Faschisten im Libanon im Zweiten Weltkrieg ein Auge verlor –, aber seine Position ist proisraelisch. Hildesheimer spricht bezüglich Israel auch nicht von der „Mentalität eines Herrenvolkes“, wie Weiss es tut. Das ist der entscheidende Unterschied.

Das verstehen heutzutage Viele gar nicht, die jede unerträgliche, den Rechtskurs in Israel zementierende Politik von Netanyahu („Bibi“) goutieren oder feiern. Viele in der Pro-Israel-Szene zeigen sich seit Jahren unfähig, Kritik an Israel zu üben, sie leugnen Massaker von 1967 oder 1948 oder heutigen Rassismus in Israel, den es wie in anderen Ländern auch gibt. Es gilt: Mit Hildesheimer und Adorno für eine differenzierte, aber kategorische Solidarität mit Israel.

[1] Stephan Braese (2016): Wolfgang Hildesheimer. Eine Biographie, Göttingen: Wallstein., S. 353 f.

[2] Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin: Edition Critic, S. 139 f.

[3] Wolfgang Hildesheimer (1999): Briefe. Herausgegeben von Silvia Hildesheimer und Dietmar Pleyer, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 152.

[4] Hildesheimer 1999, S. 153.

[5] Diese Postkarte Adornos hatte ich vor vier Jahren noch nicht entdeckt, aber schon damals Adornos proisraelische Haltung hervorgehoben, Heni 2014.

Nur selten ist Kritik an Mamdani offenkundig gefeit vor typischen konservativen, anti-utopischen bis reaktionären Status-Quo-Anhängerinnen wie Mirna Funk, die gerade angesichts des Wahlsiegs Mamdanis Groteskes schreibt.

Mirna Funk setzt den Holocaustüberlebenden Adorno, der wie sein Freund Max Horkheimer nur durch Zufall seinen Mördern entkam, in eine Reihe mit dem antizionistischen Zohran Mamdani. Viel perfider geht es kaum.

Sie steht damit in der Springer- und Die Welt-Tradition eines Richard Herzinger, der ja kürzlich verstorben ist. Er hatte Adorno auch vorgehalten, sich angeblich nie öffentlich pro-israelisch geäußert zu haben (weil er ein Marxist war, weil er ein Linker war?), was der Geburtstagswunsch Adornos an Gershom Scholem vom 2. Dezember 1967 in der Neuen Zürcher Zeitung – einer gedruckten Zeitung aus der Schweiz – widerlegt.

Aber Funk wie Herzinger eint bzw. einte eine abgrundtiefe Abscheu vor dem Sozialismus, Kommunismus und dem ‚ganz Anderen‘, dem Nicht-Identischen wie Adorno es formuliert hat.

Mehr noch: gerade der Zionismus hat doch mit dem Bestehenden gebrochen. Linkszionist*innen aller Generationen, ja sogar Rechtszionist*innen der frühen Generation lachen schallend über die konservativ-affirmative Ideologie der Mirna Funks, die wiederum Adorno und Mamdani meint, wenn sie schreibt:

Utopien erzeugen Reinheitsfantasien: eine perfekte Gesellschaft, ohne Widerspruch, ohne Ambivalenz, ohne Geschichte. Deshalb verwandeln sich viele utopische Projekte, kaum dass sie Macht gewinnen, in autoritäre Regime. Der Weg zur Hölle ist nicht mit Lügen gepflastert, sondern mit Idealen.

Zionismus als Utopie – Wer sind die wirklichen „Hot Girls“?

Der Zionismus von Theodor Herzl ware eine Utopie. Der Zionismus war und ist bis heute ein Ideal. Eines, von dem Benjamin Netanyahu keinerlei Ahnung hat, da er über Leichen geht, seinen Korruptionsprozess verschleppt, weil er zu feige ist, für seine vermuteten kriminellen Aktivitäten ins Gefängnis zu gehen.

In jedem Fall ist der Zionismus ein Ideal. Der Zionismus als „Weg zur Hölle“? In diesem Text zeigt sich mal wieder komprimiert die ganze reaktionäre wie konservative Ideologie des Springer-Konzerns und der bürgerlichen Klasse in der Bundesrepublik. Wie zu Helmut Schelskys oder Martin Heideggers Zeiten fällt ihnen bei jedem Thema der Name Adorno ein, kommt ihr regelrechter Hass auf einen linken Juden und Überlebenden zum Ausdruck.

Der Zionismus war ein Bruch mit dem Europa von Herzl, das auf Antisemitismus und dem Ausschluss der Juden basierte. Der Zionismus war eine Utopie und ist es bis heute, da in Israel ja die herrschenden religiösen Zionisten weder religiös noch zionistisch sind, wie es der Publizist Daniel Goldman selbst in der mainstreamigen und eher konservativen Jerusalem Post im Oktober 2024 auf den Punkt brachte.

Der Zionismus war auch ein Bruch mit dem jüdischen Establishment um 1900 und später, das sich weigerte, die Ideale von Freiheit, Selbstbestimmung und Sozialismus, wie sie für den frühen Zionismus bis weit in die 1970er Jahre und darüber hinaus standen, zu erkennen und zu verteidigen, ja was ganz Anderes aufzubauen: einen eigenen Staat, einen jüdischen und demokratischen Staat Israel.

Jüdische Souveränität, die Palästinenser im eigenen Land als gleiche Bürger*innen bei einer gleichwohl dezidierten jüdischen Mehrheit (von 1948 bis heute ca. 75 Juden zu 20+ Prozent Arabern) sieht und sich für eine Zweistaatenlösung einsetzt, war das ganz Andere – Tausende Jahre waren Juden nur Objekte von Christen, Muslimen und allen anderen. Seit 1948 sind sie wieder Subjekte, mit allen Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen (inklusive dem Begehen von staatlichen Verbrechen).

Diesen einzigen Judenstaat möchten die Democratic Socialists of America zerstören. Sie sind also weder demokratisch, noch sozialistisch.

Denn ohne Demokratie und Sozialismus würde es Israel gar nicht geben.

Die Trump-Basis ähnelt strukturell jener von Mamdani: einfache Fragen, einfache Antworten und sehr viel Ressentiment gegen Minderheiten, bei Trump sind es die Migranten, bei Mamdani die Juden und Israel. Beide Lager sind sehr aggressiv, sehr erfolgreich, sehr populistisch. Beide Lager haben ihre Postergirls und -boys.

Früher wären Linkszionisten für kostenlosen ÖPNV, die Enteignung von Hauseigentümer*innen und für staatliche, günstige Supermärkte etc. pp auf die Straße gegangen.

Heute gehen die Israel- und somit Judenfeinde der Mamdani-Bewegung für solche Themen auf die Straße.

Rechtszionisten (m/w/d) hassen Adorno und Linkszionisten nicht weniger als Antizionisten Linkszionisten und Maurice Isserman oder Michael Harrington von den ursprünglichen Democratic Socialists of America (DSA) verabscheuen.

Zohran Mamdani: der lächelnde Antizionist

Zurück zum dauerlächelnden neu gewählten und ab 1. Januar 2026 neuen Bürgermeister von New York City, Zohran Mamdani. Die Wahlbeteiligung lag übrigens bei 39 Prozent, was zeigt, dass der größte Teil der Bevölkerung in New York Mamdani nicht gewählt hat, was aber vermutlich für viele solcher Lokalwahlen gelten mag. In Deutschland wie in Baden-Württemberg liegt die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen auch nur bei knapp 53 Prozent – was aber schon erheblich mehr ist als 39 Prozent.

Die taz und Jonathan Guggenberger nehmen sich Mamdani und sein Dauerlächeln vor. Guggenberger ist als Kritiker des Antisemitismus bekannt. Er besuchte am Wahlabend, Dienstag, den 4. November 2025, eine Wahlparty eines „Zohran“-Fanclubs in Brooklyn. Doch das erste was auffällt bei Mamdani ist sein penetrantes Lächeln, egal zu welcher Tageszeit und egal bei welchem Thema, die taz analysiert:

Auch das steckt also bei genauerem Hinsehen in Mamdanis Lächeln: eine leichte Unsicherheit, die signalisiert, man solle seine Aussagen, seine politischen Argumente und utopischen Vorschläge, nicht zu doll kritisieren. Schließlich gelte ja der Welpenschutz.

Der erste muslimische Bürgermeister New Yorks ist jedenfalls kein Freund des einzigen Judenstaates. Die taz schreibt:

Nur seine Spötter setzten ihn online lieber mit dem iranischen Rebellenführer Ajatollah Chomeini gleich, sprachen von einem ‚Mullah-Grinsen‘, und zogen Parallelen zwischen New York 2025 und Teheran 1979, kurz bevor die islamische Revolution aus der liberalen Stadt eine klerikal-faschistische No-go-Area machte.

Die taz resümiert das Phänomen Mamdani auf interessante Weise:

Mamdani ist kein Führer, und er ist kein Ideologe. Er ist eine Projektionsfläche.

Eine Eigenschaft, die auch erklärt, warum die Mamdani-Euphorie religiöse Züge angenommen hat. Die konnte man erleben, wenn man eine der vielen Zohran-Wahlpartys am Wahltag in New York besuchte. Zum Beispiel die der Kampagnen-Fundraiser ‚Hot Girls 4 Zohran‘ in Brooklyn. Circa 300 Fans waren deren Einladung in eine queere Stand-up-Comedy-Bar gefolgt. Viele der Partygäste hatten über Monate hinweg Straßenwahlkampf für ihr Politidol gemacht. (…)

Und folgte man dem Stimmungsbarometer der Publikumsreaktionen, schien es vor allem einen gemeinsamen Nenner zu geben, der die Mamdani-Bewegung im Inneren zusammenhält: der Hass auf Israel. Den meisten Applaus bekam an diesem Abend der Slogan: ‚Get AIPAC out of the city!‘ AIPAC ist die größte proisraelische Lobbyorganisation der USA. Mit New Yorker Lokalpolitik hat die zwar wenig zu tun, trotzdem bewog dieser Slogan hier mehr als das legendäre ‚Tax the rich!‘

Im Gegensatz zu diesen eingebildeten „Hot Girls 4 Zohran“, die Juden- und Israelhass als hippen Event zu verstehen scheinen, als Spiel oder Fun und eiskalten Israelhass, waren die jungen zionistischen Frauen der Tzena, Tzena, Tzena-Zeit der 1940er Jahre, die Orangenhaine anlegten, Olivenbäume pflanzten und politisch hellwach waren, wirklich heiß: zionistisch und sozialistisch.

Das deutsche Stadtbild …

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das neue Kampfwort heißt also „Stadtbild“. Damit sind nicht die immergleichen Neubauten aus einer öden Mischung aus Beton, Stahl und Glas gemeint, nicht die „defensive“, also aggressive Innenstadtarchitektur, die immer seltener (ohnehin) harte Bänke zum Schlafen mehr hinstellt, sondern nur Sitze, also durch Lehnen getrennte Bänke, weil schließlich sind ja Obdachlose eh selbst schuld, dass sie solche Loser sind, nicht? Wen stören schon die Werbetafeln für ‚unser‘ Kriegsministerium, das verschämterweise immer noch „Verteidigungsministerium“ sich nennt, dabei hat die Präsenz der Bundeswehr in Litauen soviel mit „Verteidigung“ zu tun, wie Friedrich Merz mit Gesellschaftskritik: nada, null, nichts.

Die überall herumhängenden Deutschlandfahnen tun ein Übriges, das Stadtbild aggressiv, nationalistisch und deutsch zu machen, das gab es vor 2006 viel weniger, so ein schwarzrotgoldenes Stadtbild, von den nationalistischen Farben auf Milchtüten, Produkten aller Art oder nationalistischen Icons auf allen möglichen Plattformen nicht zu schweigen.

Und dann kommen die wirklich „Guten“, jene, die jetzt gegen Merz, die CDU und „die Rechten“ demonstrieren und sich als „das Stadtbild“ oder „wir Töchter“ inszenieren. Kaum jemand von diesen Leuten, ob sie in Freiburg, Berlin oder Köln, München oder Hamburg demonstrieren, waren am 08. Oktober oder danach auf der Straße um gegen den Judenhass und Antisemitismus zu demonstrieren. Kaum jemand dieser „Guten“ hat sich gegen Islamisten, extremistische Muslime, Hamas-Anhänger oder Kopftuchfanatikerinnen mit Palästinenserschal gewehrt oder gegen sie demonstriert. Viele dieser „Guten“ haben am 7. Oktober und danach gekichert, geklatscht oder geschwiegen. Es wurden ‚ja nur Juden‘ die Hand abgehackt, die Augen ausgestochen und nur Jüdinnen massenvergewaltigt und danach abgeknallt und liegen gelassen. Warum sollten sich da die Linken auf den Straßen in diesem Land mit Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel, denen der Angriff der Hamas und des Islamistischen Jihad galt, solidarisieren?

Wer regt sich auf, wenn in Mannheim, Berlin, München oder anderswo Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die ohnehin bekannt sind oder aufgrund einer Kippa erkannt werden, von muslimischen und fast immer nur von muslimischen Jugendlichen und Erwachsenen bespuckt, angegriffen, diffamiert oder körperlich bedroht werden?

Oder was ist mit den Autos mit ukrainischem Kennzeichen, wo an der Heckscheibe ein Abzeichen der faschistischen Asow-Brigaden zu erkennen ist? „Unser“ Stadtbild, das wir so lieben, das auch Merz mag, weil er ja die Ukraine so bedingungslos unterstützt wie nahezu die gesamte politische und kulturelle Elite?

Das Auffallendste an der Veränderung des Stadtbildes seit 1989 und seit 9/11 ist ganz offenkundig das Kopftuch. Ich kann mich während meiner gesamten Kindheit und Jugend sowie dem Studium an verschiedenen Universitäten bis ins Jahr 1999 an keine einzige Mitschülerin, kein Mädchen oder Kind und später keine einzige Studentin erinnern, die mit Kopftuch aufgelaufen wäre. Nicht eine einzige in 30 Jahren.

Das ging exakt los, symbolisches Datum, am Dienstag, den 11. September 2001 mit dem Massenmord durch Islamisten im World Trade Center, vier Flugzeugen und im Pentagon. 3000 Menschen wurden an diesem Tag unsagbar qualvoll zerquetscht, verbrannt oder flogen Dutzende und Hunderte Meter in den Tod.

Und danach wurde nicht etwa der Islamismus als riesige Gefahr erkannt, sondern die Muslime wurden getätschelt und hofiert wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe. In den 1990er Jahren gab es angesichts von Neonazi-Mordandschlägen – Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen etc. pp., Jahre vor dem NSU, viele Demonstrationen und Solidaritätsaktionen für Einwander*innen unterschiedlicher Herkunft, nicht nur aus der Türkei.

Die Antifa und antirassistische Gruppen haben gegen Nazis gekämpft, sich gegen Abschiebungen eingesetzt, Flüchtlinge, Einwander*innen auf unterschiedliche Weise unterstützt. Aber wir haben nicht „den Islam“ geschützt, abgesehen davon, dass viele Migrant*innen ja gar keine Muslime sind und waren oder aber – auch das ist eine Pointe – sich damals nicht als Muslime bezeichnet haben und die Frauen auch kein Kopftuch trugen.

Und dazu kommt die sicherlich marginale, aber eben existente Form der krassen Frauen- und Menschenverachtung via Burka und Gesichtsschleier. In Heidelberg gibt es das regelmäßig, oft sind das ‚Touristinnen‘ aus der arabischen Welt, die hier Schönheits- oder sonstige OPs durchführen lassen oder ihre schwer reichen Männer, Onkel, Brüder, Söhne begleiten. Der Gesichtsschleier gehört nicht nur in Schulen und auf Behörden, sondern allgemein in der Öffentlichkeit verboten, und zwar in Saudi-Arabien, dem Iran wie in Deutschland, weltweit.

Er ist das heftigste Symbol für die Frauen- und Menschenverachtung, für die der Islamismus steht.

Dabei ist das Kopftuch schon irrational genug. Die Trägerinnen meinen ja wirklich, Männer (oder lesbische oder bisexuelle Frauen, Transpersonen) würden auf ihr Haupthaar dermaßen krass sexuell abfahren, dass sie sich ’schützen‘ müssten. Man könnte lachen, wenn es kein so ernstes Thema wäre und diese Hunderttausenden Kopftuchträgerinnen es nicht brutal ernst meinten mit ihrem Wahn der sexuellen Erregung via Haupthaar. Es sagt auch viel über deren Körperverständnis aus …

Sind denn damit alle, die für Israel demonstrieren, kategorisch „die wirklich Guten“? Keineswegs. Wer sich zum Beispiel nicht explizit gegen den Rassismus der militanten und mörderischen Siedler im Westjordanland wendet, wer sich nicht gegen den Messianismus und Rechtsextremismus der Regierung Netanyahu wendet, wer zu den eklatanten und schockierenden Kriegsverbrechen der IDF im Gaza-Krieg schweigt, hat mit Menschenrechten oder Zionismus nicht viel am Hut.

Selbstredend sind die AfD und die CDU ein sehr großes Problem für die Demokratie. Die anti-soziale Politik, die regelrechte Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen und Menschen, die unzumutbare oder primitive Jobs nicht annehmen wollen oder können, ist typisch für Merz und die Bundesregierung, zu der ja anscheinend auch die SPD gehört, was wiederum nicht wundert, wir erinnern uns an Gerhard Schröder und Hartz 4.

Man muss immer das Unmögliche fordern und tun, sonst wird das nichts. Also für Israel und gegen die Verbrechen der IDF. Für den Zionismus und deshalb gegen Netanyahu und gegen die Students for Palestine aktiv werden. Gegen die AfD und die CDU demonstrieren ohne sich mit den antijüdischen Linken und dem antijüdischen Mainstream gemein machen. Für die auch bürgerliche Solidarität mit Israel, aber zugleich die barbarische Dimension jedweder Form des Kapitalismus kritisieren und attackieren. Gegen patriarchale Normen aktiv sein und sich zugleich gegen ach-so-qu(e)erfeministische Bündnisse wenden, die weder mit Antizionismus noch dem Natalismus und der Reproduktionsideologie (Leihmütter für die Schwulen, Invitro-Kinder für die Lesben etc.) je ein Problem hatten.

Hört sich kompliziert und unrealistisch an. Und das ist es auch.

Staatliche Kürzungen im sozialen Bereich bei extremen Militarismus und geplanten 150 Milliarden jährlich für das Kriegsministerium ab dem Jahr 2029 zeigen, dass sich das Stadtbild an der Bundeswehr ausrichten wird. Uniformierte Soldatinnen und Soldaten sollen zum Alltag gehören, Manöver regelmäßiger stattfinden und größer werden und die Propaganda, also Werbung, für die Bundeswehr, noch impertinenter.

Das ist die „Zeitenwende“, mehr Militarismus wagen, dass will das Land.

Oder nehmen wir die Straßen, die nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern oder anderen Antisemiten und völkischen Vordenkern benannt sind. Bei den Umbenennungen gibt es immer rechtsextreme Pöbler, die das nicht wollen und die die Erinnerung an die Verbrechen ihrer Großväter oder Väter nicht nur wegwischen, sondern gar nicht klammheimlich feiern. Es gibt Hunderte solche Straßennamen bundesweit – 80 Jahre nach Auschwitz haben nur wenige Städte begonnen, solche Straßen, die nach Nazis benannt sind oder in der Nazi-Zeit nach anderen Antisemiten benannt wurden, umzubenennen.

Auch das ist „unser“ Stadtbild – das schockiert Merz aber nicht, das meint er nicht.

Das Stadtbild ist also von rechts wie links wie von nicht geringen Teilen der Migrant*innen bedroht. Wer im Osten lebt, also der Ex-DDR, kennt tatsächlich in quasi Nazi-Kübelwägen fahrende  motorisierte und uniformierte Paramilitärs, die bereits im nicht-alkoholisierten Zustand eine Gefahr darstellen für Migrant*innen, Schwarze und Linke und für das „Stadtbild“.

Und dann gibt es auch die mit (FFP-2) Masken Vermummten, die es vor März 2020 nicht gegeben hat. Das ist ein sichtbares Zeichen, dass die irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, menschenfeindliche und antidemokratische Coronapolitik nicht im kleinsten Ansatz aufgearbeitet ist.

Und ganz am Schluss gibt es natürlich noch weitere Aspekte der Architektur, die unser „Stadtbild“ verschlimmert haben. Die Rekonstruktionsarchitektur. Der Wiederaufbau, die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die auch auf Ideen von Rechten zurück ging. Ähnlich verhält es sich mit dem Berliner Stadtschloss / Humboldt-Forum und noch mehr der Garnisonskirche in Potsdam, dem Symbol für den Schulterschluss von Hitler mit den tradionellen konservativ-reaktionären Kräften Deutschlands.

Der sekundäre, erinnerungsabwehrende Antisemitismus, der die Städte in Teilen wieder so aussehen lassen will, wie sie 1938 oder 1941, als alles „noch gut“ war für die ‚arischen‘ Deutschen, aussahen, ist hier evident.

Juden kommen in diesem Bild nicht vor, warum auch. Und wenn sie vorkommen, dann mitunter ganz bitter wie bei der Entscheidung, ausgerechnet auch Synagogen zu rekonstruieren und nicht etwa Neubauten zu machen, an neuen Orten, damit der Bruch der Shoah sichtbar bleibt. So wird in Hamburg jetzt gegen den Widerstand vieler Jüdinnen und Juden, aber mit lautstarker Unterstützung und gefordert von der Jüdischen Gemeinde Hamburg, also ihrem Vorstand, die Bornplatzsynagoge wieder gebaut. Und zwar am gleichen Ort, wo sie vor ihrer Zerstörung 1938 stand. Dass dort seit 1988 ein „Synagogenmonument“ im Boden eingelassen liegt, das die Umrisse der zerstörten und 1906 eingeweihten Synagoge zeigt, kümmert offenbar nicht. Das wird also ein Fall sein, wo mit jüdischer Forderung ein Holocaust-Mahnmal oder Holocaust-Gedenkort abgetragen und zerstört wird, egal ob und wie dann Teile dieser Steine womöglich in den im September 2025 vorgestellten Siegesentwurf der Architekten einfliessen werden.

Die Kritik hat der Historiker Moshe Zimmermann schon 2021 auf den Punkt gebracht:

Die Synagoge, in Anwesenheit meines Großvaters 1906 eingeweiht, wurde während der Pogromnacht im November 1938 geschändet und ein Jahr später abgerissen. Auf einem Teil der freigewordenen Fläche wurde ein Luftschutzbunker errichtet.

Ob aus Amnesie, Verdrängung oder Vertuschungabsicht – die sozialdemokratische Stadt Hamburg entschied sich 1974 dafür, den Bornplatz im Grindelviertel, dessen Bewohner vor 1933 zu etwa einem Drittel Juden waren, in Allendeplatz umzubenennen.

Erst auf Druck der ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt wurde der Platz im Jahr 1988, am 50. Jahrestag des NS-Pogroms, zum Erinnerungsort an die NS-Verbrechen.

Ein Teil des Platzes wurde nun nach dem 1942 ermordeten Rabbiner Joseph Carlebach benannt, der Grundriss der zerstörten Synagoge wurde nach einem Entwurf der Architektin Margrit Kahl markiert.

(…)

Auch in Hamburg entstand nach 1945 eine jüdische Gemeinde, die selbstverständlich ihre Synagoge haben wollte. 1960 wurde an einer anderen Stelle in Hamburg die neue große Synagoge eingeweiht.

2013 wurde sie renoviert und neu eingeweiht, in Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz. In dieser Synagoge hatte ich, damals Doktorand aus Israel, nach dem Tod meines Vaters Woche für Woche Kaddisch beten können.

(…)

Auf die abstruse Idee, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, indem man am Ort des Verbrechens eine Synagoge neu erbaut, kam damals niemand, weder die ehemaligen jüdischen Mitbürger noch Gemeindevorsteher oder Landespolitiker.

Natürlich ist es sehr wichtig, jüdisches Leben zu unterstützen. Aber wirklich ernsthaft zu glauben, eine Rekonstruktion einer von den Deutschen zerstörten Synagoge wäre ein Mittel gegen Antisemitismus, ist schon mehr als fahrlässig und zutiefst unwissenschaftlich. Wir haben seit 1990 und der starken Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder größere jüdische Gemeinden, auch wenn seit ca. 2005 die Mitgliederzahlen von über 100.000 wieder auf 89.000 im Jahr 2024 gefallen sind. Hinzu kommen die „Vaterjuden“ (ca. 100.000) und ca. 20.000 Israelis, die meist keiner jüdischen Gemeinde angehören.

Wir haben also viel mehr sichtbares jüdisches Leben seit 1990 bis heute. Und wir haben noch viel mehr Antisemitismus! Es gibt exakt gar keinen Zusammenhang zwischen jüdischem Leben in Deutschland und dem Antisemitismus. Der Antisemitismus braucht die Juden nicht, sein Wahngebäude konstruiert sich der antisemitische Hetzer respektive die antisemitische Hetzerin schon selbst. Die Antisemitismusforschung hat dazu viel gearbeitet. Kaum jemand im Bereich kritischer Antisemitismusforschung würde ernsthaft glauben, dass der Bau einer Synagoge ein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sei. Ist nicht das Abtragen eines Holocaust-Mahnmals  eher ein Beitrag zum sekundären Antisemitismus?

Es ist also bitter, die Erinnerung an die Shoah gegen den Bau einer Synagoge auszuspielen, wie es die jüdische Gemeinde Hamburg und vor allem die nicht-jüdischen Politiker*innen in Hamburg und Berlin, die das großteils finanzieren werden, tun.

Schließlich gehören zum Stadtbild wie in Berlin Kneipen wie das K-Fetisch in Neukölln, wo Juden und Jüdinnen hinausgeschmissen werden, wenn sie zum Beispiel Kleidungsstücke tragen, die auf Arabisch, Lateinisch und Hebräisch das Wort „Falaffel“ stehen haben. „Zionisten“ würden dort nicht bedient, wie eine aggressive und antisemitische Mitarbeiterin zwei Gästen vorletzten Samstag hinknallte.

Die taz kommentiert:

Das T-Shirt, das die Besucherin trug, ist von dem Label „Falafel Humanity Shirt“. Das sammelt Spenden für die israelische Frauenorganisation „Women Wage Peace“, die sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt.

(…)

In alledem hat die große Masse der gesellschaftlichen Linken seit dem 7. Oktober 2023 versagt. Das Statement des Café-Kollektivs zeigt das nun einmal mehr. Es gibt keine gemeinsamen roten Linien, keine Leitplanken, keinen „common ground“ oder „common sense“. Weder auf vermeintlich linken Demos, noch in linken Kneipen, noch in linken Medien.

Auch das ist das deutsche Stadtbild. Nicht nur AfD-Fähnchen und der rechte Mob, gerade auch die Linken sind ein massives Problem im Stadtbild.

Das ist das Stadtbild in Deutschland, von dem „die Guten“ in Freiburg, Heidelberg, Köln oder München nicht reden. Sie sind zu selbstverliebt „gut“ und sehen gar nicht die Widersprüche des Lebens. Weil doch Identitätspolitik viel einfacher ist und mehr Spaß macht. Weniger Reflektion, mehr Gemeinschaftsgefühl. So wie es die Rechten und Merz auf ihre Weise ja auch wollen.

Das also sind Facetten des allzu deutschen „Stadtbildes“, die selten in dieser Fülle diskutiert werden.

 

Indonesien fordert Sicherheit für Israel, South Park attackiert Netanyahu und die deutsche Israel-Szene lebt hinterm Mond

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der erste Staat, der im 21. Jahrhundert seine Unabhängigkeit erklärte, war bekanntlich Osttimor im Jahr 2002.

Der jüngste Staat, der im 21. Jahrhundert nun auch von führenden Industrienationen als unabhängiger Staat (ohne Staatsgebilde) anerkannt wird, ist Palästina.

Frankreich, England, Kanada, Spanien und Australien sind die einflussreichsten Mächte, die die letzten Tage Palästina anerkannten.

Es sind offensichtlich symbolische Schritte von Ländern, die für ihre pro-israelische Politik seit Jahrzehnten bekannt sind. Doch von Netanyahu und der Israel-Szene hierzulande werden sie alle als Antisemiten diffamiert. All diese Staaten wollen ein Palästina ohne Hamas und ohne ein Militär.

Und der 7. Oktober passierte nicht, weil die Hamas so stark gewesen wäre, sondern weil Israel so extrem schlecht vorbereitet war und so unfassbar schlecht reagiert hat. Wer seine bekanntermaßen so gefährdete Grenze nicht schützt, hat als Schutzmacht für Juden versagt. Das ist die äußerst bittere Erkenntnis dieses Tages.

Das darf nicht zu einem Antizionismus führen, muss aber linkszionistisch die rechtsextreme Regierung Israels in die Verantwortung nehmen. Ohne deren Versagen, wozu auch das Versagen der Armee, der Geheimdienste wie der Polizei gehören, wäre es nicht dazu gekommen. Es ist ja nicht so, dass die Hamas mit Hunderten Panzern und Kampfjets das Land überfallen hätte! Solche Waffen haben sie gar nicht. Aber Israel hat sie und sie waren nicht da.

Wer ebenfalls für Palästina eintritt, ist der indonesische Präsident Prabowo Subianto, der seit Oktober 2024 Präsident von Indonesien ist.

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land weltweit mit ca. 280 Millionen Einwohner*innen, wovon 225 Millionen Muslime sind.

Prabowo war 1991 in Osttimor mutmaßlich an Kriegsverbrechen und offenbar schon in den 1970er Jahren an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Jetzt ist er Präsident von Indonesien und tut so, als sei er ein gemäßigter Politiker, der sich sowohl für Gaza als auch für Israel einsetze. Eine Läuterung? Eine Ablenkung?

Er betonte diese Woche in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York City auf der Generalversammlung, dass er das schreckliche Leid in Gaza sehe. Mehrmals führte er das in seiner 20-minütigen Rede an. Doch später betonte er nachdrücklich, dass auch Israel ein Recht auf Frieden und sichere Existenz habe. Gegen Ende seiner Rede sprach er gar mit dem hebräischen Wort von „Schalom“. Das ist geradezu ein „ziemliches diplomatisches Erdbeben“ der positiven Art, wie ein Blogtext in der Times of Israel (TOI) feststellt.

Die Rede von Prabowo war in der Tat eine politische Rede, die sich recht umfassend mit den Weltproblemen und vor allem der Situation im Globalen Süden befasste. Der Klimawandel bedroht vor allem arme und südlich gelegene Länder wie Indonesien, weshalb der Staat einen riesigen Schutzwall im Meer bauen wird, was Jahrzehnte dauern wird. Armut und soziale Ungleichheit sind weitere sehr zentrale Themen, die Prabowo ansprach. Indonesien ist demnach mittlerweile Selbstversorger mit Grundnahrungsmitteln wie Reis und kann sogar Lebensmittel exportieren.

Er hat gleichwohl kein Wort zum Autoritarismus in seinem eigenen Land und zu seiner eigenen Biographie gesagt. Seine Rede hat also darüber hinweggetäuscht, dass er zum Beispiel mit der GSG 9 der alten BRD kooperierte:

Prabowo hatte eine kometengleiche Karriere im indonesischen Militär vorgelegt, nicht zuletzt wegen seiner besonderen Qualifikation, die er sich bei verschiedenen Sonderausbildungen im Ausland verschaffte – beispielsweise 1981 bei der GSG 9 in Hangelar bei Bonn. 1995 wurde er Chef der militärischen Eliteeinheit Kopassus. Deren ehrenwerte Aufgabe umschrieb eine indonesische Menschenrechtsorganisation mit „Spionage, Terror und Gegenterror“, inklusive der Inszenierung gewalttätiger Provokationen. (Jungle World, 18. August 1998)

Vermutlich war Prabowo an dem Massaker in Dili im Jahr 1991 mit 250 ermordeten Zivilist*innen beteiligt. Es ist insofern nicht nur eine innenpolitische Frage, wie mit der Geschichte und den möglichen Verbrechen von Prabowo umgegangen wird. Es bleibt also ein mehr als ambivalentes Bild.

Doch für Israel und die Juden war seine sensationelle Zuwendung zum jüdischen Staat, sein explizites Betonen, dass Israel das Recht habe, als Staat in Sicherheit existieren zu dürfen, wie ein kleines Neujahrswunder.

Nur Netanyahu interessiert sich nicht für Weltpolitik und diese Unterstützung des größten muslimischen Landes für Israel. Netanyahu hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine dermaßen peinliche Propaganda-Show abgezogen, dass einem Sehen und Hören verging. Mit keinem Wort erwähnte er die innerisraelische Kritik an seiner rechtsextremen Politik. Mit keinem Wort erwähnte er die Anerkennung Israels aus dem Mund des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Abbas, der ja nur per Video zugeschalten war, weil Trump der gesamten Delegation der PA die Einreise in die USA verweigert hatte, ein skandalöser Vorgang. Abbas sagte auch, dass die Palästinenser einen modernen und zivilisierten Staat anstreben, ohne Waffen. Das mögen Phrasen sein, sind aber elementar, da er zugleich die Massaker der Hamas und des Islamischen Jihad vom 7. Oktober verurteilte und damit die massive Unterstützung für die Hamas im Westjordanland unter den Palästinenser*innen frontal attackierte, also seine eigenen Leute. Das sind Zeichen eines Wandels – aber Netanyahu ist realitätsgestört und möchte diese Zeichen gar nicht sehen.

Nur ca. vier Prozent der Öffentlichkeit in Israel rezipieren die Tageszeitung Haaretz, wie in einem sehr interessanten Podcast mit dem deutschen Botschafter Steffen Seibert deutlich wurde. Selbstredend ging Seibert nicht selbstkritisch auf seine Rolle als Sprecher der Corona-Regimes unter Angela Merkel ein, wo er jegliche irrationale „Maßnahmen“ propagierte und verteidigte.

Aber Selbstkritik an der epidemiologisch, medizinisch, philosophisch, juristisch, soziologisch, politikwissenschaftlich, religionswissenschaftlich und anderweitig zu hinterfragenden Corona-Politik ist ja Mangelware, seltener noch als Bananen im Sommer 1989 in der damaligen DDR.

Aber Seibert machte seine pro-israelische Haltung unmissverständlich deutlich und ebenso sein enormes Leiden an der aktuellen rechtsextremen Politik der israelischen Regierung.

Was also sehr interessant und bemerkenswert ist, ist Seiberts klare Trennung der deutschen pro-zionistischen und pro-israelischen Haltung bei gleichzeitiger scharfer Ablehnung der aktuellen Politik der Regierung Netanyahu. Er sagte, dass es doch ein klares Zeichen sei, dass Tausende junge Israelis das Land verlassen haben und weiter verlassen würden – wegen der rechtsextremen Politik von Netanyahu und seiner Regierung. Solche in der Tat zionistischen, man würde fast sagen linkszionistischen Positionen aus dem Munde eines deutschen Botschafters, der jeweils unter CDU-Bundeskanzler*innen arbeitet (als Sprecher bzw. Botschafter), sind sehr wichtig und relevant – aber die deutsche Israel-Szene hört sich das nicht an und zieht daraus logischerweise auch keine Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten.

Das macht Demonstrations- und Kundgebungsankündigungen der deutschen ach-so-dermaßen Pro-Israel-Szene völlig irrelevant. Wenn wir zum Beispiel lesen, zu was für einer Kundgebung die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Stuttgart und die DIG Rhein-Neckar und viele andere Gruppen wie der weltbekannte „Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung“ oder die jüdische Studierendenunion Württemberg sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg zum 5. Oktober 2025 aufrufen, sieht man, in welcher Welt diese Leute leben:

Aufruf:

Solidarität mit Israel.
Gegen jeden Antisemitismus!

Am 7. Oktober jährt sich das antisemitische Massaker im Westlichen Negev zum zweiten Mal. Wir rufen zur Solidarität mit den Menschen in Israel auf. Wir fordern die Freilassung aller noch in palästinensischer Geiselhaft verbliebenen Entführten!

Wir werden ein starkes Zeichen gegen JEDEN Antisemitismus setzen. Wir rufen dazu auf, sich gegen den Vernichtungsantisemitismus im Nahen Osten und den Antisemitismus auf deutschen Straßen zu positionieren und für die Sicherheit sichtbaren jüdischen Lebens im öffentlichen Raum.

Einen solchen Aufruf hätte man am 8. Oktober 2023 machen können oder auch am 31. Oktober 2023. Aber man kann einen solchen Aufruf nicht im Oktober 2025 benutzen, um für Israel zu sein, ohne mit einem einzigen Wort die völkerrechtswidrige, menschenverachtende und rechtsextreme Politik der israelischen Regierung unter Benjamin Netanyahu zu attackieren. Das geht nicht. Doch es geht schon, aber nur wenn man Teil der völlig realitätsfremden offiziellen deutsch-israelischen „Szene“ ist. Wissenschaftlich und politisch ist ein solcher Aufruf grotesk.

Die Verwendung des Wortes „Vernichtungsantisemitismus“ ist doppelt problematisch. Erstens wird dabei auf die Shoah und den tatsächlich auch durchgeführten Erlösungs- und Vernichtungsantisemitismus der Deutschen angespielt. Damit wird die Shoah verharmlost. Am 7. Oktober geschahen unfassbar schreckliche Massaker. Aber das war kein zweiter Holocaust. Das war keine staatlich-industrielle Zerstörung jüdischen Lebens, sondern es waren Pogrome und Massaker. Das ist schrecklich, aber etwas kategorial Anderes.

Zweitens dementiert diese Rede den Zionismus, denn wenn in Israel – im jüdischen Staat – ein „Vernichtungsantisemitismus“ wütete am 7. Oktober 2023, denn auf dieses Datum spielt das Wort eindeutig an, es geht um den 7. Oktober und den Jahrestag, dann hat der Zionismus ja vollkommen versagt. Dann ist Israel die genau falsche Lösung des Problems Antisemitismus, würden dann viele einwerfen, denn in der Diaspora gab es jedenfalls seit 1945 kein Massaker mit 1200 Toten.

Wer also meint, besonders pro-israelisch zu sein und eine radikale Sprache zu verwenden, sollte vorsichtig sein mit Worten, deren tiefere Bedeutung ihm oder ihr nicht klar sind. Die Ideologie der Hamas wie des Iran hat vernichtungsantisemitische Dimensionen. Aber im Holocaust war die Ideologie und die Praxis auf die Vernichtung gerichtet. Es gab den Holocaust. Der 7. Oktober war kein Holocaust. Wer das insinuiert, dementiert, auch ganz unfreiwillig, den Zionismus und den Staat Israel.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann aus Tel Aviv sagte schon am 8. Oktober 2023 in der Tagesschau, dass das Massaker des Tages zuvor ein „Versagen des Zionismus“ sei. Es gab ja noch nie seit 1948 ein solches Massaker an Juden, weltweit gab es das nicht. Und ausgerechnet im angeblich sichersten Ort der Welt für Juden, dem jüdischen Staat Israel, gab es nun so ein Massaker. Er betonte schon damals, dass eine Division der israelischen Armee IDF, die für den Schutz der Grenze zu Gaza verantwortlich war, in das Westjordanland abkommandiert worden war. Wir wissen mittlerweile, dass es noch viel schlimmer war, weil die israelische Regierung, das Militär, die Geheimdienste und die Polizei vorsätzlich Warnungen der eigenen Leute nicht ernst nahmen. Das wird alles irgendwann wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Im Oktober 2024 auf 3sat in Kulturzeit sagte Zimmermann, dessen Eltern, Hamburger Juden, 1938 aus Nazi-Deutschland fliehen konnten und der Fußball interessiert und HSV-Fan ist, man sieht in seinem privaten Zimmer in Tel Aviv in den Videoschalten ein kleines HSV-Fähnchen im Hintergrund auf einer Kommode stehen, dass ein so langer Krieg offenbar nicht den Sieg über die Hamas gebracht hat und dass das ein Versagen Israels ist. Er versteht die anfängliche militärische Reaktion auf den 7. Oktober, aber danach hätte es Verhandlungen geben müssen.

Im September 2025 ist Zimmermann wiederum bei 3sat und Kulturzeit im Fernsehen zu sehen und er ist sichtlich noch niedergeschlagener. Als linker Zionist möchte er die Zweistaatenlösung, aber er betont, dass die „Mehrheit der Israelis zwar gegen Netanyahu“ sei, aber gleichwohl „nationalistisch“. Die Toten in Gaza würden die meisten bis heute mit „Indifferenz“ zur Kenntnis nehmen.

Die Opposition sei „zwar sehr laut“, aber ohne politischen Einfluss. Es müsse Druck „von außen kommen“ und vor allem von der israelischen Zivilgesellschaft. Schon 2024 in seinem zitierten 3sat-Gespräch sagte er, dass Israel zwei große Feinde habe, einen äußeren Feind – Iran, die arabische Welt – und einen inneren Feind, wie die rechtsextreme Regierung unter Netanyahu und die Siedlerbewegung. Mittlerweile seien beide Feindeslager eines friedlichen Zionismus „gleich groß“.

Doch davon hört man in der deutschen Israel-Szene rein gar nichts. Niemand würde hier von zwei großen Feindeslagern sprechen, dem Iran UND dem Rechtsextremismus in Israel bzw. jenen, die eine Zweistaatenlösung ablehnen. Aktuell, so die Kulturzeit-Moderatorin Vivian Perkovic im 2025er Gespräch mit Zimmermann, würden nur noch 21 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung akzeptieren, so sei der Stand im März 2025.

Die dramatische Situation für Israel und für Überlebende der Massaker vom 7. Oktober wird im 2024er Beitrag von Kulturzeit, in dem auch das Gespräch mit Moshe Zimmermann Teil der Sendung war, in einem sehr dramatischen und bewegenden Video über eine Israelin, Danielle Aloni, deutlich. Aloni hat den Angriff auf ihr Haus mit ihrer Tochter zwar überlebt, aber wurde dann als Geisel in die Tunnel von Gaza sowie in Wohnungen verschleppt. Schließlich kam sie bei einem Geisel-Deal mit ihrer Tochter frei.

Sie war sehr von der israelischen Regierung enttäuscht, weil sie genau merkte, dass die Priorität von Netanyahu ganz sicher nicht das Überleben der Geiseln ist. Es gibt ein Video von ihr aus der Geiselhaft, das zwar von den palästinensischen Terroristen gewollt und aufgenommen wurde, aber sie selbst habe bestimmt, was und wie sie es sagt, wie sie in Kulturzeit betont. Sie schreit in diesem Video gegen Netanyahu und die israelische Regierung, die sie im Stich lassen würden. Das sieht sie auch noch viele Monate später exakt so.

Und das hat sich bis heute nicht geändert. Und DAS muss das Thema einer Kundgebung der DIG sein, wenn sie ernstgenommen werden möchte. Die Priorität der israelischen Regierung liegt im Fortdauern des Krieges, im Unterstützen von Netanyahu und nicht in der Befreiung der Geiseln.

Heute sollte ein Aufruf zum Beispiel so heißen:

Für Israel und gegen den Krieg!

Damit wäre klar, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen an so einer Demonstration oder Kundgebung sowohl zionistisch und pro-israelisch, also auch nicht menschenverachtend, dafür am Völkerrecht orientiert sind und sich gegen die aktuelle israelische Regierung positionieren.

Doch so wie die Pro-Gaza-Szene niemals unter dem Motto

Für Palästina und für Israel

demonstrieren würde, so demonstriert wiederum die Israel-Szene niemals

Für Israel und für Palästina.

Und diese Verhärtung muss endlich aufgelöst werden. Dafür steht Indonesien, dafür stehen Frankreich, England, der deutsche Botschafter in Israel und sehr sehr, wirklich sehr viele andere.

Wären diese Aktivist*innen im Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Israel oder würden wenigstens israelische Medien wie die Times of Israel (TOI) oder die englische Ausgabe der Haaretz rezipieren, wüssten sie ob der extrem aufgeladenen Situation in Israel gegen die Regierung.

Dort wird von Politikern wie Gilad Kariv, Knessetabgeordneter der Partei „Die Demokraten“, die im Juli 2024 gegründet wurde und ein Zusammenschluss der linken Parteien Avoda und Meretz ist, die Hauptverantwortung für die andauernde Geiselhaft israelischer Geiseln in Gaza bei der israelischen Regierung gesehen.

Netanyahu hat spätestens seit dem Frühjahr 2024 immer wieder unter perfiden Vorwänden den Krieg verlängert und weitere Geisel-„Deals“ ausgeschlagen. So sieht es fast das gesamte Hostage Forum, ein Zusammenschluss der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, und die kritische Öffentlichkeit in Israel. Doch davon hat die DIG nichts gehört und davon will sie nichts hören. Sonst würde sie nicht so einen desolaten, ja grotesken Demonstrations- oder Kundgebungsaufruf im September/Oktober 2025 publizieren.

Es gab gestern eine Großdemonstration für Gaza in Berlin mit bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. Obwohl im Vorfeld klar war, dass dort viele Antisemiten, Antizionistinnen und Israelfeinde aller Couleur mitmarschieren werden, hat die im Bundestag vertretene Partei Die Linke die Demonstration angemeldet. Der Tagesspiegel hat darüber berichtet. Ein islamistischer und Pro-Hamas Demo-Zug aus Kreuzberg mit 1200 Teilnehmer*innen wurde von der Polizei gestoppt und aufgelöst, doch auf der Großdemo waren auch Transparente mit antisemitischem und Holocaust verharmlosendem Inhalt zu lesen wie „Auschwitz = Gaza“ oder „Netanyahu = Hitler“. Das ist antisemitische Volksverhetzung und gehört angezeigt und verurteilt.

Die Schuldabwehr und Schuldumkehr wird auch von Muslimen, Arabern und Linken bedient, was wir insbesondere seit dem Sechstage-Krieg von 1967 weltweit erleben.

Dieser antizionistische Antisemitismus ist auch 2025 schlimm, aber nicht neu. Es war schockierend, wie weite Teile der linken Szene am 7. Oktober feierten oder schwiegen, als 1200 Jüdinnen und Juden auf unschilderbare Weise massakriert, vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und 251 entführt wurden, worunter auch Nicht-Israelis waren.

Doch seither ist sehr viel passiert. Darauf weisen ehemalige führende Armeemitglieder der IDF hin, die sich für ein Ende des Krieges einsetzen.

Natürlich geht es gegen jeden Antisemitismus und für Israel – aber es muss genauso gegen die rechtsextreme und Israel so stark beschädigende und Zivilist*innen und Palästinenser*innen tötende Politik der aktuellen israelischen Regierung gehen. Wer das nicht sieht, hat jegliche Menschlichkeit verloren und keinen Bezug mehr zur Realität.

Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie kein anderer israelischer Regierungschef seit 1948. Er hat unzählige Verbündete vor den Kopf gestoßen, sie beleidigt und verdammt – wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premierminister Keir Starmer oder den australischen Ministerpräsidenten Anthony Albanese. Albanese habe „Israel verraten“, Starmer würde an der Seite der islamistischen Terrororganisation Hamas und Macron auf jener von „Massenmördern, Vergewaltigern, Babymördern und Entführern“ stehen.

England bzw. das Vereinigte Königreich, Frankreich und Australien sind allesamt Freunde Israels. Sie sind aber jeweils auch Anhänger des Völkerrechts und Kritiker der aktuellen katastrophalen Kriegspolitik von Netanyahu.

Die aktuelle israelische Regierung isoliert das Land und gefährdet jüdisches Leben weltweit. Nächste Woche wird die UEFA (Union of European Football Associations) darüber abstimmen, ob Israel ausgeschlossen wird. Im November 2025 wir die Eurovision Broadcasting Union darüber entscheiden, ob Israel am ESC 2026 teilnehmen darf. Das sind schockierende Vorgänge, da damit alle Juden und Jüdinnen für das Verhalten des Staates Israel haftbar gemacht werden. Es könnte ja sein, dass die Fußballspieler*innen wie die Sänger*innen jeweils gegen den aktuellen Krieg sind oder gegen die rechtsextreme Regierung. Doch sie werden alle in Haftung genommen – was jedoch schon beim russischen Krieg gegen die Ukraine 2022 der Fall war und ein Skandal, der jedoch kaum jemanden schockierte.

Die Pointe ist jedoch: weder die UEFA noch die Eurovision Broadcasting Union sind antisemitisch, sonst wäre ja Israel die letzten Jahrzehnte dort nicht Mitglied gewesen bzw. ist noch Mitglied. Es ist die aktuelle und in der Tat mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringende Kriegspolitik, die noch die Freundinnen und Freunde des einzigen jüdisches Staates an den Rand der Verzweiflung bringen.

Nicht so die DIG, die scheint keinerlei Gewissensbisse zu haben mit den Verbrechen der IDF in Gaza, der gezielten Hungerpolitik, dem Erschießen von nach Nahrung anstehenden Palästinenser*innen, worüber wir ja Berichte von IDF-Soldaten haben, die das selbst erlebt haben, wie sie oder ihre Kollegen auf wehrlose Zivilist*innen schossen. Das sind Kriegsverbrechen. Ein ausführlicher Bericht  der Haaretz berichtete im Juni 2025 darüber:

Offiziere und Soldaten der israelischen Streitkräfte berichteten der Zeitung Haaretz, dass sie den Befehl erhalten hätten, auf unbewaffnete Menschenmengen in der Nähe von Lebensmittelverteilungsstellen im Gazastreifen zu schießen, selbst wenn keine Gefahr bestand. Hunderte Palästinenser wurden getötet, woraufhin die Militärstaatsanwaltschaft eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen forderte. (Übersetzung CH)

Der Journalist Jonathan Freedland aus London sagt in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Unholy (ab Min. 17) mit Yonit Levi aus Tel Aviv, dass die Anerkennung Palästinas durch führende Industrienationen keineswegs eine Honorierung des Massakers der Hamas vom 7. Oktober ist, sondern eine Reaktion auf die israelische Reaktion auf den 7. Oktober. Das ist der entscheidende Punkt, der Knackpunkt!

Doch das kann die DIG analytisch offenkundig nicht fassen. Sie bzw. die DIG Stuttgart und ihr Bündnis gehen mit keinem Wort auf diese Reaktion, den unerträglichen und brutalen Krieg, ein. So kurz ist der Ankündigungstext nicht, als ob es nicht möglich gewesen wäre, explizit und eindeutig den aktuellen Krieg Israels, der weltweit gerade auch von Israelfreunden abgelehnt wird, zu kritisieren.

Es gibt Kriegsverbrechen der IDF, aber keinen Genozid. Das muss festgehalten werden. Dieses Wort bedient viel zu stark die Täter-Opfer-Umkehr und ist auch viel zu ungenau. In einem Genozid – und Historiker des Holocaust reden von der Shoah als einzigem Genozid, worüber ich geschrieben habe – ist sowohl die Intention ein ganzes Volk zu vernichten maßgeblich, als auch die unmittelbare Anwendung von Gewalt, dieses Ziel zu erreichen. Und Israel möchte nicht alle Palästinenser ermorden, auch wenn es einzelne, faschistoide Stimmen gibt, die das sagen oder andeuten.

Es gibt nicht täglich Massaker mit Tausenden von Toten in Gaza. Das macht das Zerstören von Gebäuden und Töten von Zivilist*innen nicht vergessen. Das macht auch eine extrem brutale Hungerpolitik, an der täglich Menschen sterben und mittel- wie langfristig sterben werden, oder ein kürzeres und viel schlechteres Leben haben werden, weil zumal Kindern körperliche Schäden zugefügt werden bei einer Hungersnot, die langfristig wirken und nicht immer sofort zum Tod führen, nicht vergessen. Diese Hungerpolitik ist ein Kriegsverbrechen und muss bestraft werden. Vor allem muss dieser Krieg mit Hunger sofort beendet werden und die kriminelle Verteilungspolitik Israels muss beendet und international seriös strukturiert werden, wie es ja zu anderen Zeiten des Krieges auch schon der Fall war.

Da hilft es nichts und es ist eher zynisch, wenn pro-israelische Wissenschaftler*innen, Publizisten und Aktivistinnen mantramäßig mit „Sudan“ antworten, wenn es um die Situation in Gaza geht. Denn dass andernorts noch viel schlimmere Kriegsverbrechen und noch viel schrecklichere Politik mit Hunger gemacht wird wie im Sudan, rechtfertigt nicht Israels eigene verbrecherische Politik:

Bonn/Berlin, 14. April 2025. Anlässlich der morgen stattfindenden internationalen Konferenz für den Sudan in London appelliert die Welthungerhilfe an die Staatengemeinschaft, das Leid der Menschen nicht länger zu ignorieren und entschlossen zu handeln. Zwei Jahre nach Beginn des verheerenden Kriegs im Sudan erlebt das Land die größte Hunger- und Vertreibungskrise der Welt. 30,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – so viele wie nie zuvor. Fast 26 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger, während 15 Millionen Menschen innerhalb des Landes oder über die Grenzen hinweg vertrieben wurden. „Die Lage im Sudan ist desaströs. Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser haben. Die internationale Gemeinschaft muss dringend mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um das Überleben der Betroffenen zu sichern“, fordert Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Viel realitätsgetreuer als die typische Israel-Szene in Deutschland geht die 1997 gestartete legendäre Animationsserie South Park mit dem Gazakrieg um. South Park spielt in Colorado, USA, und handelt von vier acht-bis zehnjährigen Freunden, die in die Grundschule in South Park gehen. Einer von ihnen, Kyle Broflovski, ist jüdisch. In der fünften Folge der 27. Staffel von Ende September 2025 reist Sheila Broflovski, die Mutter von Kyle, äußerst aufgebracht nach Jerusalem, stürmt in das Büro von Netanyahu und greift den israelischen Premierminister frontal an:

Den Höhepunkt der Episode bildet Sheilas spontaner Flug nach Israel, wo sie direkt in Netanyahus Büro eindringt. In einer emotionalen Tirade konfrontiert sie den israelischen Ministerpräsidenten mit harten Vorwürfen bezüglich seiner Kriegsführung.

Die Worte an Netanyahu sind der «Jerusalem Post» zufolge besonders scharf formuliert. «Wer glaubst du eigentlich, dass du bist? Du tötest Tausende und zerstörst ganze Stadtteile!»

Netanyahu erschwere das Leben für Juden weltweit und mache das Leben für amerikanische Juden nahezu unmöglich. Diese Aussage reflektiert die realen Sorgen vieler Diaspora-Juden, die sich durch Israels Politik in eine schwierige Lage gedrängt sehen.

Für Sheila ist ein jüdisches Leben in den USA „gar nicht mehr lebbar“ wegen der Politik von Netanyahu.

Das ist eine satirische, scharfe Kritik, die sehr wohl das Lebensgefühl von sehr vielen Jüdinnen und Juden in den USA widerspiegelt, wie Jonathan Freedland festhält, was wiederum Yonit Levi amüsiert, da sie ihrem britisch-jüdischen Kollegen gar nicht zugetraut hätte, dass er South Park schaut…

Die Haaretz hat den Propagandaauftritt Netanyahus vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen – vor weitgehend leerem Haus, fast alle Delegationen der ganzen Welt hatten die Sitzung verlassen, als Netanyahu das Rednerpult betrat – diese Woche auf den Punkt gebracht:

Immer und immer wieder kam er auf den 7. Oktober zurück, zu einer Zeit, in der die Welt auf die schrecklichen Szenen in Gaza fokussiert ist, wo Hunderte und Tausende von Kindern und Babys zerfetzt werden. Alle liegen falsch – außer ihm. Dutzende von Staats- und Regierungschefs, treue Freunde Israels, die in ihren eigenen Ländern gegen Antisemitismus kämpfen und nach dem Massaker nach Israel kamen, um ihre Solidarität zu bekunden, hatten fast zwei Jahre lang davon abgesehen, Maßnahmen zu ergreifen, obwohl klar war, dass der Krieg nur dazu diente, seine Koalition zu erhalten – sie wurden von ihm beschuldigt, sich „voreingenommenen Medien“, „Terror“ und dem Islam zu beugen.
Seine Entourage, die zwei Reihen dominierte, spendete ihm nach jedem zweiten Satz Standing Ovations. Selbst die quasi Cheerleader auf der Tribüne kratzten hier und da Applaus zusammen. Doch das unterstrich nur die globale Isolation Israels: Netanjahu und seine törichten Spielereien spielen keine Rolle mehr. Er gilt als Relikt, als korrupter Politiker, der sich mit rassistischen Parteien verbündet hat, um an der Macht zu bleiben. (Übersetzung CH)

Das ist der Punkt. Frankreich, England, Australien, Kanada sind enge Verbündete Israels, sie des Antisemitismus oder der Nähe zur Hamas zu beschuldigen, wie es Netanyahu in der ihm eigenen vulgären Tonart getan hat, beschädigt den Zionismus und Israel ganz massiv und gefährdet jüdisches Leben in der Diaspora und zeugt von einer immensen Menschenverachtung was die Palästinenser in Gaza betrifft.

Ein sich offenbar besonders pro-israelisch vorkommender Autor der taz sekundiert ein solches Netanyahu-Verhalten mit einem vorgeblich satirischen Beitrag, der kaum anders als zynisch und rassistisch zu lesen ist:

Ein kühler Septembermorgen in der Lüneburger Heide. Und doch liegt schon früh eine aufgeheizte Spannung über Bispingen, einer 6.500-Seelen-Gemeinde, rund fünfzehn Kilometer nordöstlich der Heidemetropole Soltau. Eingebettet in ein touristisches Gewerbegebiet an der A 7 zwischen Snow Dome, Kartbahn und Trampolinlandschaft, öffnet hier heute mit dem Gaza-Adventure-Dorf eine weitere Attraktion ihre Pforten. Auf 40.000 Quadratmetern erleben Besucher eine Art künstlichen Krisenstreifen – eine Mischung aus Themenpark, Freilichtbühne und Abenteuertraining.

(…)

Laiendarsteller in zerschlissenen, aber farbenfrohen Kostümen spielen die sogenannten Streifenbewohner. Sie tragen Habseligkeiten hin und her, diskutieren die Trinkwasserqualität oder lassen sich theatralisch auf improvisierten Matratzenlagern nieder. Viele der Schauspieler stammen aus den strukturschwachen Regionen der Umgebung. „Ich habe hier einen festen Job als Geiselnehmer gefunden und gleichzeitig macht es Spaß, die Gäste zum Nachdenken zu bringen“, sagt Lars D., 33. Der ehemalige Langzeitarbeitslose aus Fallingbostel wurde vom Jobcenter ans Adventure-Dorf vermittelt.

(…)

Zu den Highlights des Dorfprogramms zählen die stündlich per Sirenenalarm angekündigten „Verpflegungsausgaben“. Da inszenieren dann Schauspieler eine handfeste Prügelei um ein paar (plastene) Brotlaibe und erzeugen so für einige Minuten ein improvisiertes Chaos, in das die Besucher spielerisch miteinbezogen werden. Danach gibt es für alle Süßigkeiten und Wassermelonenlimo, stilecht serviert in löchrigen Metalldosen.

Wer das angesichts des konkreten und unermesslichen Leidens in Gaza lustig findet, sollte vielleicht am besten nochmal ganz von vorne anfangen.

Und das sage ich als ein Wissenschaftler, Public Intellectual und Aktivist, der schon im Januar 2001 mit einer autonomen oder antideutschen Gruppe in Bremen den Antizionismus der Linken wie der Revolutionären Zellen analysierte und kritisierte.

Die taz wird sekundiert vom Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, der jetzt einen Briefwechsel mit dem Publizisten Hamed Abdel-Samad in der Urania in Berlin vorstellte. Abdel-Samad hat eine scharfe Kritik an Israel. Diese Kritik kommt von einer grundsätzlich pro-israelischen und anti-islamistischen sowie gegen den Antisemitismus gerichteten Haltung. Gleichwohl ist seine Verwendung des Wortes „Genozid“ vorschnell. Aber er ist dennoch um Welten realitätsnaher und eloquenter, selber denkend, als sein Gegenüber. Die Süddeutsche bringt es in einem Text, der diese Buchvorstellung zum Thema hat, auf den Punkt, in dem sie Engel selbst zitiert:

Bei der Buchvorstellung sagt Engel ein paar Mal: „Jetzt klinge ich wie der israelische Regierungssprecher.“ Und Hamed Abdel-Samad bestätigt, ja, genau so klinge er.

 

Was bleibt?

Indonesien stellt sich trotz dieser Kriegsverbrechen, die es benennt und mit dem Wort „Genozid“ falsch benennt – das Wort „Kriegsverbrechen“ ist doch scharf und treffend genug -, hinter Israel und fordert die ganze muslimische Welt auf, Israels Sicherheit zu gewährleisten.

Das ist ein Fingerzeig nach Saudi-Arabien und Nahost von Fernost. Und tatsächlich: Wenn die Geiseln freikommen, der Krieg beendet ist und Netanyahu weg ist, dann könnte es in der Tat zu Sicherheits- oder Friedensabkommen mit Saudi-Arabien und der ganzen arabischen Welt kommen. Dazu braucht Israel eine neue und eine seriöse, nicht-rechtsextreme Regierung.

Sodann zeigen die sehr scharfen, politisch, diplomatisch wie künstlerisch professionell präsentierten Kritiken an der Kriegspolitik Israel von Seiten Frankreichs, des UK, Australiens und anderer, von Steffen Seibert und von South Park, dass eine Kritik an der aktuellen israelischen Regierung Kernpunkt jedweder Israelsolidarität sein muss.

Denn neben dem Krieg in Gaza kommt ja noch die rechtsextreme Siedlungspolitik im Westjordanland und die Siedlergewalt sowie das finanzielle Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) durch Israel hinzu, die eine Zweistaatenlösung unmöglich machen sollen. Netanyahu selbst hat im September 2025 gesagt, dass das Projekt E1 einen Staat Palästina für alle Zeiten unmöglich machen wird:

„Es wird keinen palästinensischen Staat geben“, erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu bei der Zeremonie am Donnerstag in Ma’ale Adumim. Im Jahr 2009 hatte er in seiner berühmten Bar-Ilan-Rede noch für einen palästinensischen Staat ausgesprochen, und im Jahr 2020 hatte er einem solchen Staat als Teil des „Deals des Jahrhunderts“ von US-Präsident Donald Trump unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. Die Regierungsminister, die an der Zeremonie am Donnerstag teilnahmen, sind jedoch zuversichtlich, dass es diesmal kein Zurück mehr geben wird.
(Übersetzung CH)

Netanyahu wird und er darf nicht Recht behalten, denn sonst hat Israel als jüdischer und demokratischer Zeit keine Zukunft.

Das wird die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nicht nachvollziehen können, da sie ihre Aktivitäten vermutlich als pro-israelisch einstufen wird. Wer sich aber in Aufrufen zu Demonstrationen zu Israel und gegen Antisemitismus nicht auch gegen Netanyahu, gegen den Krieg ausspricht, der Palästinenser tötet und die Geiseln in noch größere Lebensgefahr bringt, vorsätzlich und gegen die Warnungen der IDF selbst, hat die Zeichen der Zeit nicht gesehen und lebt weit hinterm Mond oder eben im Ländle.

Besser South Park als DIG.

 

 

Selbstverständlich: Man darf selbst Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden. Aber man muss auch nicht um sie trauern. Der Fall Charlie Kirk

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Mord an dem rechtsextremen Influencer und Aktivisten Charlie Kirk hat den Kulturkampf der Rechten gegen Linke noch weiter munitioniert. Man darf Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden.

Menschliches Zusammenleben wäre sonst nicht möglich.

Da sehr viele Menschen Antisemiten sind, noch mehr Menschen sind Sexisten, wieder andere kapitalistische Verbrecher, viele sind gegen Israel, evangelikale Christen sind gegen Abtreibung, Feminismus und ein selbstbestimmtes Leben, Neonazis machen Witze über den Holocaust – die kann man nicht alle töten wollen, das wäre absurd. Man darf auch keine Influencer oder Superreichen oder Staatspräsident*innen ermorden, weil sie eine gefährliche Politik machen oder einem nicht passen.

Dass die Welt voll ist von unangenehmen, abstoßenden bis ekligen Existenzen, ist so. Und nicht erst heute.

Das ist bitter, aber kaum zu ändern.

Man muss dafür kämpfen, dass solche Leute nicht die Macht bekommen. Doch dieser Kampf wurde zum Beispiel und epochenprägend 2016 in den USA stellvertretend für den ganzen Westen verloren.

Trump wurde damals erstmals Präsident, Inauguration im Januar 2017.

Das war und ist die Katastrophe für die Demokratie in den USA und weltweit ein Fanal: Hetze und rechte Politik lohnen sich, man wird dadurch reich und mächtig. Das ist die Message. Und sie verfängt bei vielen, sehr vielen. Auch bei jungen Menschen.

Ob der mutmaßliche Mörder von Charlie Kirk vom 10. September 2025 aus politischen Motiven handelte, ein Linker oder doch eher selbst ein MAGA-Anhänger ist, ist weiter unklar. Doch selbst die bloße Erwähnung, dass Kirk vielleicht von einem aus den eigenen Reihen ermordet wurde, führte in den USA zu einem Durchdrehen im Medienbetrieb und der Komiker und Talkshow-Moderator Jimmy Kimmel wurde umgehend vom Sender ABC entlassen, nachdem Trump das indirekt eingefordert hatte. Das Ende der Meinungsfreiheit in den USA, eine Katastrophe in einem gespaltenen Land. Eine Spaltung die Trump ja möchte und täglich verschärft.

Trump macht gegen kritische Medien und alle, die gegen die Neue Rechte aktiv sind, aggressiv mobil, wie Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen in der Tagesschau sagt.

Dabei geht es um die skandalöse Absetzung von Kimmel, aber auch um die geplante Verkürzung der Visas in den USA für Auslandskorrespondent*innen. Bislang galten die fünf Jahre und sollen in Zukunft nur noch acht Monate gelten.

Trump möchte eine ihm genehme Presse, Demokratie, Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit – denken wir an seine Kampagne gegen die Universitäten, die ihre Unabhängigkeit verlieren sollen, vorgeblich, um „Antisemitismus“ besser bekämpfen zu können – zählen nicht.

Der antisemitische Verschwörungsanhänger Trump behauptet, gegen Antisemitismus, den es ja unzweifelhaft gibt, an amerikanischen Universitäten vorzugehen. Doch ihm geht es nicht wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus, sonst wäre er nicht Trump.

Ihm geht es um ein ein autoritäres Durchregieren ohne Diskussion, um ein Einschüchtern von Trump-Kritiker*innen und -gegner*innen. Jüdische und zionistische Senatoren wie Chuck Schumer und andere verwahren sich gegen Trumps Versuch mit dem Vorwand, gegen Antisemitismus zu sein, die Wissenschaftsfreiheit auszuhöhlen.

Womöglich war der Mörder von Charlie Kirk ein Vertreter der völlig vom Internet abhängigen Gamer-und-Meme-Unkultur, wie die taz schreibt:

In einem Blogpost hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler Weise in die echte Welt tragen.

Die von der taz verlinkte „Polarkreiskorrespondentin“ Berit Glanz schreibt Nachdenkliches über die Gefahren der Onlineunkultur und die Ignoranz, Naivität oder gefährliche Arroganz jener, die nur offline leben:

Die Veränderung der Welt durch Internetkultur betrifft mittlerweile eben nicht mehr nur Einzelpersonen, die einfach mal Gras anfassen sollten. Internetkultur ist keine Nische mehr, die man wahlweise ignorieren oder als obskuren Quatsch verlachen kann – wie es beispielsweise noch bei GamerGate vor zehn Jahren der Fall war. Es fühlt sich wirklich unfassbar an, dass man das 2025 überhaupt noch benennen muss. Das Internet ist in den letzten Jahren zentraler Teil einer Radikalisierungspipeline geworden, mit unterschiedlichen Phänomenen, Subkulturen und Referenzrahmen. Die massive Ausdifferenzierung verschiedener Communities trägt dazu bei, dass es immer schwieriger wird Subkulturen mit komplexen eigenen Codes und Referenzen zu verstehen. Dafür braucht es Expert*innen, die diese Kulturen nicht nur erklären, sondern auch dechiffrieren können.

Der Publizist Philipp Greifenstein, den Glanz positiv hervorhebt und verlinkt, analysiert den Antisemitismus von Charlie Kirk:

Besonders ins Auge sticht der Antisemitismus, der zahlreichen Äußerungen Kirks zugrundeliegt und den er ganz offen bekundet hat. So sah er in Film-, Kultur- und Medienbranchen eine jüdische Übermacht am Werk. Er unterstellte „den Juden“, durch massenhafte Einwanderung an der „Überfremdung“ der USA zu arbeiten (Great Replacement Theory). Jüdische Investoren, so Kirk, steckten hinter liberalen Initiativen an Colleges und der „Black Lives Matter“-Bewegung. Übersetzt in traditionelle Begrifflichkeiten bedeutet das: Charlie Kirk glaubte und verbreitete den Mythos von einer „jüdischen Weltverschwörung“.

Weil er bis zuletzt die Kriegsführung Israels im Gaza-Streifen verteidigte, bezeichnete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ihn in einem Statement nach seinem Tod als einen „löwenherzigen Freund Israels“. Ein unfreiwillig treffendes Statement, denn Kirk stand dem evangelikal-messianischen Zionismus nahe, der alte Kreuzfahrer-Tropen ausschlachtet und demzufolge durch einen großen Krieg im Heiligen Land der jüngste Tag anbrechen soll. An Kirks Antisemitismus wird inzwischen auch in israelischen Medien erinnert.

Der von Greifenstein zitierte Blog-Text in der Times of Israel von Dan Jacobs schreibt zum Antisemitismus von Charlie Kirk und zitiert den Hetzer:

„Die wichtigste Finanzierungsquelle für radikale, offene Grenzen, neoliberale, quasi-marxistische Politik, kulturelle Einrichtungen und gemeinnützige Organisationen sind jüdische Spender … Sie kontrollieren nicht nur die Hochschulen, sondern auch gemeinnützige Organisationen, Filme, Hollywood, einfach alles.“

Die a-sozialen Medien sind der entscheidende Faktor in den heutigen Hasskampagnen, die bis hin zu Mordaufrufen wie gegen Dunja Hayali und andere führen. Darauf weist auch die Publizistin Ingrid Brodnig in einem interessanten Gespräch mit dem WDR hin.

Auch Radikalfeministinnen, die sich für ein Leben jenseits der 08/15-Normalfamilie und jenseits des natalistisch-patriarchalen Imperativs einsetzen, werden so bedroht. Weil viele andere Meinungen nicht ertragen können. Und das sind großteils extreme Rechte. Was wiederum die Linken nicht exkulpiert, deren Klatschen oder Schweigen am 7. Oktober zeigt die Gewaltaffinität von sehr vielen Linken, wenn es um den Mord an Juden und Israelis geht.

Nicht zuletzt die an sich marginale Pro-Israel Szene in Deutschland hat wiederum gejubelt, als Trump 2016 erstmals als Präsident gewählt wurde, ja sie hat mitunter Trump hegelianisch gerechtfertigt und raunt bis heute, dass es doch unterm Strich gut ausgehen würde für Juden und Israel – wegen Trump. Dass es auch wegen Trump das schrecklichste antisemitische Massaker in den USA gab – in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh am 27. Oktober 2018, als ein Rechtsextremer 11 Juden ermordete – und seine Verschwörungsmythen Millionen von Menschen fanatisieren und in solchen Verschwörungsmythen immer antisemitische Tropen enthalten sind – das interessiert sie nicht.

Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Kapitalismus – das sind alles sehr üble Ideologien, Tendenzen und Ansichten. Aber man darf deshalb diese Leute nicht ermorden. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Doch das reicht den rechten Hetzern nicht. Man darf nicht erwähnen, wer Charlie Kirk war. Tut man es, so wie es die Journalistin Dunja Hayali getan hat, bekommt man Morddrohungen. Gerold Riedmann schreibt im österreichischen Standard:

Nahezu jeder, der nach Kirks Ermordung wagte, ihn inhaltlich zu kritisieren, wurde in einen Shitstorm gezerrt. Es reichte, die Dinge klar zu benennen, sei es auch nur im deutschen Fernsehen. Nichts von dem, was Journalistin Dunja Hayali vor einer Woche über Kirk im ZDF sagte, war falsch. Der Ermordete sei ein „extremer und extrem umstrittener Influencer“ gewesen, so Hayali unter anderem. Die heftigen Reaktionen reichten von Todeswünschen bis zu Todesdrohungen, Hayali verabschiedete sich in eine Pause. Das rechtspopulistische Portal Nius des ehemaligen BildChefredakteurs Julian Reichelt befeuerte – wieder einmal – den digitalen Hass.

In der Wiener Zeitung schreibt Eva Sager knapp und klar:

Hinter der öffentlich bekundeten Anteilnahme und Trauer steht meistens eben auch ein dezidiertes politisches Ziel. Kirk selbst war einer der führenden rechten Kulturkämpfer, er nannte Abtreibungen schlimmer als den Holocaust, forderte „Nürnberger-Prozesse“ für Ärzt:innen, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen und erklärte den Islam für nicht kompatibel mit westlichen Werten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wer das ignoriert, lässt sich einspannen.

Wenn wir uns erinnern, wie der Springer-Konzern den Tech-Milliardär, Aktivisten und X-Inhaber Elon Musk publizierte und somit promotete mit dessen Wahlplädoyer für die AfD kann man sehen, wie weit die Neue Rechte dabei ist, unser Leben massiv zu bestimmen. Der Journalist Patrick Gensing schreibt dazu:

Die Regeln dieses Raumes werden von wenigen, sehr mächtigen Akteuren gesetzt. Wenn der reichste Mann der Welt, Elon Musk, auf einer Demonstration von Rechtsextremen in London per Videoschalte zu einer Art Endkampf aufruft und gleichzeitig mit X eines der größten Medienunternehmen der Welt betreibt, verschieben sich die Koordinaten dramatisch. Musk profitiert doppelt: von der Radikalisierung der Debatten, die auf seiner Plattform stattfinden, und von seiner eigenen Inszenierung als angeblicher Verteidiger der Meinungsfreiheit.

Dunja Hayali hatte als Moderatorin des ZDF Heute-Journals am 11. September 2025 (21:45 Uhr) die Ermordung von Charlie Kirk als zentrales Thema der Sendung. Sie sagte gleich zu Beginn ihrer Moderation:

Wo soll das alles hinführen? Im Land der Meinungsfreiheit, den USA, scheint es immer weniger möglich zu sein, andere Meinungen auszuhalten oder dagegen zu halten, ohne dass es eskaliert. Opfer dieser zunehmenden Spannungen wurde gestern Charlie Kirk. Der 31-jährige war ein extremer und extrem umstrittener Influencer, der für Donald Trump seit Jahren massiv die Werbetrommel gerührt hat. Insbesondere bei jüngeren Konservativen, Christlichen und auch Rechtsradikalen, kam er sehr gut an. Gestern wurde Kirk bei einem Auftritt an der Utah Valley University erschossen. Der Täter ist weiter auf der Flucht und viele Fragen sind weiterhin offen.

Nach einem Einspieler aus den USA kommentiert Hayali:

Dass es nun Gruppen gibt, die seinen Tod feiern, ist mit nichts zu rechtfertigen. Auch nicht mit seinen oftmals abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen. Offensichtlich hat der radikal-religiöse Verschwörungsanhänger aber auch genau damit einen Nerv getroffen.

Das ist eine treffende und journalistisch-professionelle Einordnung dieser Person.

Doch rechten Medien aller Art war das zu viel Einordnung, zu viel Kontext und zu viel Kritik an einem von den ihren. Dabei hat sich Hayali eindeutig von dem Mord distanziert und ist sogar bekannt dafür, auch mit sehr problematischen Leuten oder Organen zu reden. Doch Rechte vertragen keine Kritik. Schon gleich gar nicht, wenn es um einen der einflussreichsten Influencer ihrer Kernthemen geht: Migration, Frauen, Feminismus, Transmenschen, Abtreibung, Holocaustverharmlosung.

Kirk sagte im Juli 2025, dass „wir“, die „Turning Point America“-Bewegung, die er selbst gründete und anführte, die USA von „super woke“ zu „super patriotisch“ gemacht hätten. In einem Gespräch mit dem „Intelligencer“ betont die Journalistin Kyle Spencer, die sich seit Jahren mit dem Aufstieg der Neuen Rechten und mit Charlie Kirk beschäftigt hat, dass es gerade gar nicht sehr woke zugehe an vielen Campussen, sondern reaktionär, nationalistisch und rechts.

Und diese Agitation gegen „woke“ an und für sich hört man auch bei Akademikerinnen und Akademikern, meist jedoch nur privat, weil sie sich das öffentlich noch nicht immer trauen, jedenfalls nicht, wenn sie eine Universitätskarriere anstreben oder nicht frühzeitig beendet wissen wollen.

Kirk trug T-Shirts mit der Aufschrift „resist the Left“.

Er verglich das Tragen von Masken, so absurd und epidemiologisch sinnfrei es war, mit der Kontrolle von Waffenbesitz. Beides würde einen in Sicherheit wiegen, die es nicht gebe.

Kirk hoffte, dass sich die Musikerin Taylor Swift nach ihrer Verlobung mit dem Sportler Travis Kelce diesem „unterordne“, was sein reaktionäres Frauenbild unterstreicht, das zu seinem christlichen Glauben passt.

Die rechtsextreme MAGA-Bewegung – Make America Great Again – von Donald Trump hatte in Kirk einen ihrer wichtigsten Vertreter der jüngeren Generation. Dass der Staatschef des mächtigsten Landes der Erde auf der Beerdigungsfeier für Kirk spricht, ist skandalös und zeigt, dass Amerika keine wirkliche Demokratie mehr ist, sondern ein autokratischer Staat, der zwar noch eine Gewaltenteilung hat, aber der Präsident agiert wie ein Alleinherrscher, der rechtsextreme Ideologie promotet und fördert.

Schließlich ist bemerkenswert, dass in dem eigentlich recht knappen Kommentar von Hayali zwar richtigerweise der Rassismus und Sexismus von Kirk thematisiert wird, aber das Schlimmste, was Kirk jemals sagte, kommt hier nicht vor. In einer Diskussion mit einer Studentin auf einem Campus lehnte Kirk Abtreibungen kategorisch ab und trivialisierte den Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen (und ihre Helfershelfer), auf folgende Weise:

„Du verwendest eine entmenschlichende Sprache, wenn Du sagst: ‚Oh, es ist nur ein Embryo‘. Nein, es ist ein Baby, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, das Schutz verdient. Es ist niemals richtig, die Massenvernichtung von Menschen unter dem Vorwand zu rechtfertigen, dass sie unerwünscht sind. So kommt es zu Auschwitz, so kam es zum größten Horror des 20. Jahrhunderts“.

Sodann fragte eine Studentin:

„Du vergleichst also Abtreibung mit dem Holocaust?“

Charlie Kirk: „Ja, das tue ich. Tatsächlich ist es sogar noch schlimmer. Es ist schlimmer. Es ist schlimmer. Es sind tatsächlich 45 Millionen Babies. Es ist achtmal schlimmer als der Holocaust.“

Dieser Antisemitismus wurde von den allermeisten auf diesem Campus beklatscht, ja sie johlten. Das zeigt, wie judenfeindlich und antisemitisch die religiös-indoktrinierte Jugend in den USA ist. Und einer, der sie so indoktrinierte, war der Antisemit Charlie Kirk.

Das ist aber kein Grund ihn umzubringen.

Antisemiten in den USA und weltweit beginnen jetzt den Mord an Kirk Juden und Israel zuzuschieben. Der von Kirk vielfach beschworene antisemitische Verschwörungsmythos wie der angeblich „gestohlenen Wahl“ von Trump im Jahr 2020, als er gegen Joe Biden die Wahl zum US-Präsidenten verlor, kehrt jetzt in anderem Kontext wieder.

Juden und Israel werden nun von antisemitischen Influencern und Hetzern beschuldigt, Kirk ermordet zu haben:

Nach der Ermordung von Kirk machten Antisemiten in den sozialen Medien auf einen fast einen Monat alten X-Beitrag von Harrison Smith aufmerksam. Smith, Journalist des rechtsextremen Medienunternehmens Infowars, hatte zuvor Israel beschuldigt, Jeffrey Epstein ermordet und Präsident Donald Trump daran gehindert zu haben, die sogenannten „Epstein-Akten“ zu veröffentlichen. Er behauptete fälschlicherweise, dass eine „globale Regierung“ von Israel aus die Weltpolitik lenke. (Übersetzung aus dem Englischen CH)

Manche Linken wiederum glauben ebenso an diese Legende von Epstein, Sex, Mossad, Juden und Verschwörung, Israel habe Epstein benutzt um Mächtige zu beeinflussen. Eine perfide antisemitische Verschwörungsideologie, die wir aus dem Mittelalter kennen, als Juden zum Beispiel in der Blutlegende der Mord an christlichen Kindern vorgeworfen wurde, aus deren Blut sie ihre Matzen backen würden.

Diese Obsession mit Blut zeigt sich auch jetzt bei der Heiligsprechung von Carlo Acutis, der als 15-jähriger 2006 an Leukämie starb und jetzt durch die katholische Kirche und den Vatikan heiliggesprochen wurde. Acutis hatte damals eine Sammlung von Beispielen der Blubeschuldigung angefertigt, die viele historische Beispiele zeigt, wo Juden des Jesusmordes beschuldigt wurden oder der ‚Verletzung‘ von Oblaten (daran glauben katholisch-fanatische Christen wirklich). Dass so ein Junge mit so einer Ideologie heiliggesprochen wird, obwohl doch selbst die katholische Kirche im zweiten Vatikanischen Konzil der 1960er Jahre den Mythos ablehnte, Juden seien am Tod Jesu schuld, ist schockierend.

Charlie Kirk hat den antisemitischen Mythos des „Kulturmarxismus“, der Universitäten unterwandere, massiv verbreitet. Das ist ein rechtsextremer Topos den wir aus der Zeit des Nationalsozialismus und schon zuvor in der Hetze gegen den „jüdischen Bolschewismus“ kennen. Zuletzt hatte 2011 der norwegische Neonazi Anders Breivik die Hetze gegen den „Kulturmarxismus“ als Begründung für sein Massaker an Dutzenden Jungsozialist*innen herangezogen.

Auch an Universitäten ist unter neu-rechten Agitator*innen die Rede vom ‚gefährlichen Adorno‘ und der ‚zersetzenden‘ Kritischen Theorie verbreitet. Der Psychologe und Männerbewegungseinpeitscher Jordan Peterson verwendet den Kampfbegriff „Kulturmarxismus“ ebenso.

Der Begriff „Kulturmarxismus“ scheint um 2016 erstmals in den Mainstream-Medien vorzukommen, als der Psychologe Jordan Peterson gegen einen kanadischen Gesetzentwurf protestierte, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten sollte. Peterson machte den Kulturmarxismus für Phänomene wie die Bewegung zur Achtung geschlechtsneutraler Pronomen verantwortlich, die seiner Ansicht nach die Meinungsfreiheit untergräbt.

Der Begriff ist jedoch viel älter. Er scheint erstmals vom Schriftsteller Michael Minnicino in seinem 1992 erschienenen Essay „The New Dark Age“ verwendet worden zu sein, der vom Schiller-Institut veröffentlicht wurde, einer Gruppe, die mit der rechtsextremen Persönlichkeit Lyndon LaRouche in Verbindung steht.

Um die Jahrhundertwende wurde der Begriff von einflussreichen amerikanischen Konservativen übernommen. Der Kommentator und dreimalige Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan machte den „kulturellen Marxismus“ für viele der seiner Meinung nach bestehenden Missstände in Amerika verantwortlich, von Frauenrechten und Schwulenaktivismus bis hin zum Niedergang der traditionellen Bildung.

(Übersetzung aus dem Englischen CH)

Doch Marxismus, Adorno und das Kulturestablishment werden von vielen Forscher*innen, Publizist*innen und zumal den Millionen Follower einheizenden sogenannten Influencern abgrundtief gehasst. Judenhass und Anti-Links-Sein sind wieder so angesagt wie zu Zeiten des Nationalsozialismus. Das ist keine Polemik, das ist eine Beschreibung der Wirklichkeit.

Da sind jene neu-rechten Ideolog*innen bis heute im Panikmodus, wenn eine Promotionsordnung an einer Universität beschließt, zukünftig aus Inklusionsgründen das Gendersternchen zu verwenden, ohne zu erwähnen, dass bundesweit die Agitation von der Bundesregierung bis zur bayerischen Staatsregierung doch aggressiv gegen Inklusion und Gendersternchen ist.

Was für ich-schwache Persönchen sind das, die ein Problem mit einem Genderstern haben? Wie unsicher sind solche Professorinnen und Doktoranden oder Publizist*innen und Politiker*innen oder Bauarbeiter, dass sie regelrechte Panik kriegen oder Schreikrämpfe, wenn sie in einem Text oder einer Rede ein Gendersternchen sehen oder heraushören? Was sind das für ich-schwache und somit super autoritäre Würstchen?

Sexismus, Antifeminismus, Transphobie und Antisemitismus gehen sehr eng zusammen und sind Kernpunkte neu-rechter Ideologie.

Der Antisemitismus von Kirk wiederum ist für die Rechten in Deutschland kein Grund, ihn als einen Hetzer zu erkennen, nein, sie agitieren gegen alle, die sich kritisch mit Kirk beschäftigen.

Die Reaktion auf den Mord an Kirk ist ein Grund sich gegen jene Autoren, Hetzer, Professorinnen, Doktoranden, Publizist*innen, Medien zu stellen, die jetzt öffentlich oder auf privaten Geburtstagsfeiern oder beim Smalltalk in der Kneipe die Entlassung von Dunja Hayali fordern und gleichzeitig zum Antisemitismus von Kirk und seinen vielen Millionen Followern schweigen.

Hayali ist Journalistin und hat in dem in Frage stehenden Beitrag die schockierende Realität in den USA analysiert und kommentiert. Das ist wichtig, weil sie somit einen Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung leistet. Einen solchen Beitrag will die Neue Reche nicht leisten, sie will den Kulturkampf, sie will den Trumpismus, sie will Holocausttrivialisierer und Antisemiten wie Charlie Kirk als Märtyrer sehen.

Zionistischer Protest gegen den Krieg: Millionen auf die Straße in Israel!

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der israelische Politiker Gilad Kariv (MK, Member of Knesset) fordert heute, 17. September 2025, angesichts der Bodenoffensive der israelischen Armee gegen Gaza-City, die Bürger*innen in Israel auf, millionenfach auf die Straße zu gehen und gegen die weitere Eskalation des Gaza-Krieges durch die religiös-rechtsextreme israelische Regierung zu protestieren:

This Israeli government is drunk on power and corruption.
A million patriotic Israelis need to take to the streets in the coming days to send a clear message, including to Washington, that the vast majority of Israelis are unwilling to allow Israel to become Sparta.

It is time to tell Netanyahu: stop this madness.

Der Diplomat und ehemalige Kanzlerinnenberater Christoph Heusgen, der in vielen politischen Fragen wie zum Ukraine-Krieg, den er schon 2023 mit deutschen Waffen für die Ukraine eskalieren wollte, katastrophale, militaristische, antidiplomatische und extreme „Zeitenwende“-Ansichten hat, sagt mitunter auch durchaus Nachdenkenswertes, auch wenn das ein Zufall sein sollte. Der Titel ist natürlich reißerisch und bemüht das Wort „Genozid“, obwohl die Kriegsverbrechen Israels gerade kein Genozid sind. Selbst der Chef der Vereinten Nationen (UN) sieht die Kriegsverbrechen, nennt sie aber auch nicht Genozid.

In der Berliner Zeitung heißt es im Gespräch mit Christoph Heusgen am 13. September 2025:

Aufgrund unserer Geschichte tragen wir eine besondere Verantwortung gegenüber Israel. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson – und das sollte auch so bleiben. Aber wissen Sie, es kommt auf die Definition des Begriffs „Sicherheit“ an. Wenn man sieht, wie sich Israel durch sein völkerrechtswidriges Handeln in der Welt immer mehr isoliert – und der jüngste Angriff auf Katar ist ein weiterer unverfrorener Schritt –, dann wird deutlich, dass diese Politik die Sicherheit Israels langfristig gefährdet. Wir haben die Verantwortung, Israel zu sagen, dass es mit seiner aktuellen Politik nicht weiterkommen wird.

Das hebt Heusgen von jenen ab, die meinen in der Pro-Israel-Szene aktiv zu sein, aber die zu den Kriegsverbrechen von Netanyahu und der ganzen Regierung sowie der IDF schweigen oder zustimmen.

Es ist ganz einfach: Wer für Israel ist, ist gegen diesen Krieg. Selbstredend sind auch unendlich viele Leute gegen diesen Krieg, die Antisemiten sind und am 7. Oktober geklatscht oder geschwiegen haben. Diese menschlichen Wracks haben sich für alle Zeiten disqualifiziert. Und das sind sehr viele, die meisten Nachbar*innen, Unidozent*innen, Professor*innen, Arbeitskolleg*innen, mitunter Verwandte und natürlich ‚Freund*innen‘, die jetzt keine mehr sind.

Der Krieg gegen die Muslimfaschisten der Hamas und des Islamischen Jihad begann als gerechter Krieg. Doch er wurde zu einem Krieg, der nur noch aus Kriegsverbrechen besteht, dem Töten via Hunger, Ermorden via gezieltem Erschießen beim Warten auf Essenspakete sowie der Zerstörung von Gebäuden und der kompletten Infrastruktur einfach nur weil es Gebäude und die Infrastruktur der Palästinenser sind, ohne dass aus diesen Gebäuden oder einer Entsalzungsanlage oder Stromnetzwerken etc. pp. Terrorgefahr ausging.

Netanyahu zeigt seinen eigenen Rechtsextremismus jetzt auch noch offener als bisher. Er hat vor wenigen Tagen öffentlich erklärt, dass es keinen Staat Palästina je geben wird. Das sagte er bei der feierlichen Eröffnung des Bauprozesses des skandalösen und seit Jahrzehnten geplanten E1-Siedlungsprojektes im Westjordanland.

Dazu kommt das Gewährenlassen von nationalistischen oder religiös-fanatischen Siedlern im Westjordanland, die regelmäßig pogromartige Angriffe auf die Palästinenser*innen starten, Häuser anzünden, Menschen ermorden, Tiere töten oder entführen und so weiter und so fort.

Ende Juli 2025 sprachen sich viele arabischen und muslimischen Staaten erstmals gegen die Hamas aus. Sie fordern die Entwaffnung der Hamas und verurteilen die Verbrechen der Hamas vom 7. Oktober. Was macht Netanyahu? Er greift einen Staat an, den Israel zuvor seit 2012 gebeten hatte, die Hamas zu füttern, Katar! Katar ist ein elender muslimischer Staat – der aber für Deutschland, die USA und nicht zuletzt Israel ein Bündnispartner war, nicht nur bei der Fußball-WM, sondern auch bei Fragen der Diplomatie mit jihadistischen Gruppen.

Israel und die USA hatten die Hamas gebeten, sich zu treffen, um über einen weiteren Deal zu diskutieren. Und dieses Vorab-Treffen der Hamas griff Israel nun an – 5 Tote, allerdings nicht die avisierte Führungsebene der Hamas.

Netanyahu wird Israel zerstören. Das sehen (womöglich und vermutlich) Millionen von Israelis so. Aber ob sie auch endlich zu Millionen auf die Straße gehen?

Es ist grotesk, wenn selbst ernannte Pro-Israel Gruppen bei Vorträgen die Referent*innen bitten, über alles Mögliche zu reden, aber bitte nicht über die aktuelle Situation in Israel! Das gibt es tatsächlich solche Gruppen und Bündnisse, nicht nur in Baden-Württemberg, sondern bundesweit.

Wer zum Rechtsextremismus Netanyahus und seiner Bande und zu den Kriegsverbrechen der IDF schweigt, macht sich mitschuldig.

Das heißt nicht, dass jene, die nur darauf gewartet haben, Israel als „faschistisch“ zu bezeichnen und somit den Holocaust trivialisieren wollen und die dermaßen beliebte Täter-Opfer-Umkehr bedienen, jetzt reden dürfen. Wer zu den präzedenzlosen Verbrechen der Palästinenser vom 7. Oktober geschwiegen hat, soll in alle Ewigkeit schweigen.

Dann gibt es aber auch linke Pro-Israels. Manche eher kritisch-reflektierenden antideutschen Pro-Israelis wie Fans des Bundesliga-Klubs St. Pauli gehören dazu. Diese waren die letzten Jahre bekannt für ihren Pro-Zionismus, jetzt haben sie völlig zu Recht massive Kritik an Netanyahu, belegen diese aber mit dem falschen Wort „fascist“, wie die taz berichtet. Antideutsch und gegen diesen Krieg, das ist Zionismus, in der Tat!

Es gibt Verschwörungsantisemiten, die glauben wirklich, dass Israel den pädophilen Sexstraftäter Epstein („Mossad!!“ kreischen die dann) auf alle möglichen einflussreichen Politiker und Kapitalisten und andere angesetzt habe – weil das ein Zeichen sei, dass Juden die Welt beherrschten! Das glauben weite Teile der rechtsextremen MAGA-Bewegung von Donald Trump (der jetzt selbst ins Visier seiner Neo-Nazi Gefolgschaft gerät!).

Aber auch nicht wenige verschwörungsmythisch halluzinierende (mit und ohne Hanf etc.) und schon immer judenfeindliche Linke glauben daran zunehmend, wer das Pech hat, solche Gespräche in der Kneipe, an der Uni, am Arbeitsplatz, in der U-Bahn oder an anderen Orten mitzuhören, weiß das.

Dass amerikanische Politiker*innen von sich aus pro-israelisch aktiv werden könnten, darauf kommen diese neo-nazistischen, neu-rechten wie alt-linken Antisemiten nicht. Da muss geschmiert worden sein. Das glauben solche Volltrottel und wirklich Wahnsinnigen wirklich. Es ist ein jahrtausendealter antisemitischer Wahnglaube.

Dieser Verschwörungsantisemitismus ist extrem gefährlich. Er war auch die Grundlage der NSDAP.

 

Also: Nur wer Antisemitismus in all seinen Formen – all seinen Formen! – kritisiert und zudem zionistische Kritik am Vorgehen Israels übt, hat das moralische Recht, diese Kritik an den Kriegsverbrechen der IDF und Israels und an der E1- und Westbank-Politik zu üben.

Von daher gilt: Gilad Kariv und die demokratische und linke Opposition in Israel unterstützen und massiv gegen diesen unerträglichen Krieg, der die Geiseln töten wird, protestieren!

 

Massendemo in Jerusalem: „Benjamin Netanyahu als schlimmster Feind des jüdischen Volkes“

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Heute ist Tag 701 seit dem 7. Oktober 2023, als Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad die schrecklichsten Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah verübten. 1200 Israelis und einige Opfer anderer Nationalität, wurden auf unschilderbare Weise gefoltert und massakriert. Die männlich-muslimische Gewalt gegen Frauen wundert nicht, ist aber in ihrer unfassbaren Brutalität an diesem Tag wirklich kaum in Worte zu fassen.

Viele Muslime, Palästinenser*innen, Araber, Linke, Neonazis und andere feierten, leugneten oder verharmlosten diese antisemitischen Massaker.

Direkt danach sprachen viele dieser Anhänger*innen der antisemitischen Internationale von „Genozid“ – sie meinten nicht die in der Tat auf den Genozid an Juden zielenden Massaker vom Tag zuvor, nein: die Antisemiten aller Länder vom 8. Oktober meinten damit die bloße Existenz des einzigen Judenstaates, Israel. Kuffiyah und Melonen und „From the River to the Sea“ und „Stop the Genocide“ sind ihre Symbole und Parolen.

Die heutigen weltweiten Holocaustverharmlosungen, Täter-Opfer-Umkehrungen und das Geschwätz von „Genozid“ kann man sich quellengesättigt und kritisch eingeordnet in dieser Wikipedia-Tabelle anschauen („Scholarly and expert opinions on the Gaza genocide„).

Dort sind über 550 Forscher*innen, Aktivist*innen oder NGOs und Forschungsverbünde aufgeführt, die sich seit Oktober 2023 bis heute mit „Genozid“ und „Gaza“ beschäftigten, die meisten davon in antisemitischer und Holocaust verharmlosender sowie antizionistischer Motivation und Diktion.

Es werden aber auch viele wissenschaftliche Stimmen zitiert, die sich gegen diese inflationäre Verwendung des Begriffs „Genozid in Gaza“ wenden.

Dass die aktuellen und unerträglichen Kriegsverbrechen Israels in Gaza zu verurteilen sind und sofort aufhören müssen, ist davon völlig unbenommen. Ich habe gezeigt, dass sie nicht das sind, was einen „Genozid“ ausmacht, der in der kritischen Forschung für den Holocaust verwendet wird.

Die Hungerpolitik Israels, das Erschießen von unzähligen Zivilist*innen und unglaublich viele weitere Kriegsverbrechen in diesem mit riesigem Abstand längsten Krieg Israels müssen sofort aufhören.

Schon jetzt sind auf unabsehbare Zeit wahre Bilder von hungernden Kindern und Erwachsenen – auch der Geiseln – mit Israel verbunden und nicht nur mit der Hamas, deren Perfidie und islamofaschistische Theorie und Praxis schon zuvor bekannt war.

Israel wird zum Paria-Staat – und das unter Freunden, unter Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland, die nur wirklich Realitätsgestörte als Feinde Israels bezeichnen würden.

Heute nun, am Tag 701 der Geiselnahme von 251 Israelis und anderer, protestieren wieder Zehntausende, ja Hunderttausende in ganz Israel. Diesmal mit einem Schwerpunkt in Jerusalem, weil dort die Regierung sitzt.

Es geht den Demonstrant*innen, die völlig verzweifelt sind und seit vielen Monaten ihre Wut hinausschreien, um das Versagen der israelischen Regierung, das eigene Volk zu schützen und die Geiseln zu retten.

Während die IDF völlig beliebig, ohne konkrete Terrorgefahr, Hochhäuser in Gaza-City sprengt, sind die jüdischen und israelischen Geiseln am Krepieren. Für den Tod sind die Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad verantwortlich.

Aber es ist auch die israelische Regierung verantwortlich, darum geht es den Demonstrant*innen. Die Times of Israel berichtet:

Vor einer großen Menschenmenge bezeichnet Einav Zangauker, die Mutter des Geisels Matan Zangauker, Premierminister Benjamin Netanjahu als den schlimmsten Feind des jüdischen Volkes.

„Pharao, Haman, sie haben Pogrome gegen uns verübt – aber Du, Benjamin Netanjahu, Du übertriffst sie alle“, sagt Zangauker, die zu den lautstärksten Kritikern des Premierministers gehört.

Zangauker wirft Netanjahu vor, den Krieg in Gaza trotz der Warnungen einiger Mitglieder des israelischen Sicherheitsapparats vor den Gefahren einer solchen Vorgehensweise ausgeweitet zu haben, um den 7. Oktober aus seinem Vermächtnis zu tilgen.

„Dein einziges Vermächtnis ist das Massaker und das Versagen vom 7. Oktober“, sagt sie.

(Übersetzung aus dem Englischen von CH)

Man kann sich den Schmerz und die tagtägliche Angst, seit 701 Tagen, der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln nicht vorstellen. Viele haben seit 701 Tagen nicht eine einzige Nacht geschlafen.

Es geht darum, dass Netanyahu jetzt einen „Deal“ einfach nicht beantwortet, obwohl die Hamas einen vorgeschlagen hat, der fast exakt einem vorherigen Vorschlag Israels entspricht.

Die heutigen Demonstrant*innen wie die Hunderttausenden in den Letzten Wochen und die Millionen der letzten Monate, sehen in Netanyahus Politik eine perfide Politik, der es nur um die Verlängerung des Krieges geht, und nicht um den Schutz der eigenen Staatsbürger*innen, geschweigen denn um die Freilassung der letzten Geiseln.

Natürlich gibt es die Oberschlauen, die meinen, die Hamas sei gar nicht das einzige Problem, das Problem seien „die“ Palästinenser an und für sich. Damit wird es nie eine Friedenslösung geben, weil: die Palästinenser sind da.  Ohne ein Ende des natürlich grotesken „Rückkehrrechts“ von niemals in Palästina vertriebenen, weil in Köln, New York City oder Helsinki geborenen Palästinenser*innen, würde es nie eine Lösung geben.

Diese Leute sind fatalistisch und haben immer die gleiche Antwort: es liegt nur und immer schon an den Arabern bzw. den Palästinensern.

Was diese Leute nie verstanden haben: mit Feinden schließt man Friedensverträge, nicht mit Freunden.

Faschos wie Smotrich oder Ben Gvir irritieren diese Leute nicht, auch wenn sie sie nicht mögen. Dass diese Leute aber den Zionismus und das Judentum, das auf der Torah und Gerechtigkeit basiert, nachhaltig beschädigen, wenn nicht zerstören – egal!

Vor diesem Hintergrund ist es so dermaßen realitätsfern, was die Jüdische Allgemeine schreibt oder was ein Ferdinand von Schirach so von sich gibt, so gut er es als Nazi-Nachfahre, der seine Familie zurecht verabscheut, sicher meint („‚Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören'“, stellte von Schirach mehrfach klar“).

Das ist auch gut so. Aber er sollte sich gegen die israelische Regierung wenden, darum geht es.

Also natürlich nicht gegen Israel, klar – aber gegen jene, die gegen Israel sind und das ist vorneweg, so sehen es auch heute wieder die Hunderttausenden Demonstrant*innen: Benjamin Netanyahu.

Gegen diesen Mann muss man politisch aktiv sein und sich gegen ihn äußern, wenn man für Israel ist und gegen Kriegsverbrechen, für die Freilassung der Geiseln.

Er hat womöglich nicht ganz im Blick, was die Angehörigen der Geiseln durchmachen und weigert sich, die israelische Regierung frontal zu kritisieren, wie es notwendig ist.

Denkt er, die Anghörigen würden sich gegen Israel wenden, wenn sie massiv protestieren und nach Hilfe schreien? Sie wenden sich gegen eine kriminelle und rechtsextreme, religiös-messianische Regierung, die weg gehört.

Der Knessetagabgeordnete Gilad Kariv von der neuen Partei Die Demokraten, einem Zusammenschluss linker und mitte-linker Parteien von 2024, war auf der Demonstration und sagte der Times of Israel:

„Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, weil Netanjahu nicht das Richtige tun wird. Netanjahu wird nicht von Moral und Gewissen geleitet. Netanjahu ist ein Narzisst und ein Borderline- Psychopath“, erklärte Kariv. „Das Einzige, was Netanjahu bewegen wird, sind eine Million Israelis auf den Straßen und Druck aus den USA.“

Es gibt die Hilferufe von Journalisten aus Israel, die sehen, dass die Proteste in Israel allein, seit Anfang 2024 schlicht gar nichts bringen – sie brauchen massive Unterstützung von Israelfreund*innen weltweit! Darum geht es.

Netanyahu ist für den 7. Oktober hauptverantwortlich auf israelischer Seite, er hat es ermöglicht, dass es soweit kommen konnte, weil er die Warnungen von IDF-Soldatinnen nicht ernst nahm und auch viele weitere Warnungen nicht wahrhaben wollte.

Und weil er die Hamas gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die jetzt von Israel in den Ruin getrieben werden soll, in Stellung brachte.

Ein Untersuchungsausschuss wird das irgendwann einmal alles detailliert aufdecken.

Die Oberschlauen werden gleich wieder kreischen, dass Abbas (PA) doch ein Holocaustleugner sei und so weiter und so fort. Sie sehen nicht, welches Spiel Israel spielt und dass es auf eine Zerstörung der Zweistaatenlösung hinausläuft, die ja die Hamas auch nicht will.

Der ehemalige Chef des Mossad, ein Zionist (die Bibi-Fans werden ihn als Antisemiten entlarven!), Yossi Cohen, fordert den sofortigen Rücktritt von Netanyahu.

Würde es in Deutschland Israelfreund*innen geben, so würden sie zu Zehntausenden, ja Hunderttausenden gegen die Kriegspolitik von Netanyahu demonstrieren, einen „Deal“ fordern, die Rückkehr der Geiseln und das sofortige Ende des Krieges.

Sie würden auch für ein Ende der aktuellen Regierung demonstrieren, gegen Rassismus und Nationalismus sowie die Drohung der israelischen Regierung, in wenigen Wochen fast die gesamte Westbank zu annektieren und somit jeglichen möglichen Frieden mit den Palästinensern, die Zweistaatenlösung, zu zerstören, jedenfalls für unabsehbare Zeit zerstören, wenn nicht für immer.

Und ohne eine solche Zweistaatenlösung hat der einzige Judenstaat keine Chance, weder im Nahen Osten noch weltweit. Netanyahu hat die engsten Partner Israels beleidigt, vor den Kopf gestoßen und direkt oder indirekt als Antisemiten beschimpft, England, Frankreich, Deutschland und auch jene Teile des US-Establishments, das sich jetzt – nicht obwohl, sondern weil sie zionistisch sind im US-Kongress! – gegen die israelische Kriegspolitik ausspricht.

Viki Cohen, die Mutter des von der Hamas als Geisel gehaltenen Nimrod Cohen, betont bei einer Großkundgebung in Jerusalem, dass „ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch liegt“, das Netanjahu jedoch nicht unterzeichnen will.

„Es liegt ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch, ein Abkommen, das meinen Sohn und alle Geiseln zurückbringen wird“, sagt sie vor der Residenz des Premierministers. „Mein sensibler Junge … Ich habe keine Ahnung, wie er mit dem Höllenfeuer in Gaza zurechtkommt.“

Sie sagt, dass mehrere Familien von Geiseln in der vergangenen Woche Anrufe von Geheimdienstmitarbeitern erhalten hätten, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass die jüngste Ausweitung der IDF-Operation in Gaza-Stadt ihre Angehörigen in Gefahr bringe.

Bekanntlich sind Forderungen nach „Wandel“ oder „was Neues beginnen“ auch Kennzeichen, ewiges Kennzeichen, kapitalistischer Vergesellschaftung. Es geht immer weiter, bis zur nächsten Krise, zur nächsten Innovation, aber es bleibt immer gleich, dass Menschen wie Waren behandelt werden. Daher ist es kein Zufall, dass auch x-beliebige „Manager“ Bob Dylan hören, neoliberale Verwerter der Welt, die Kulturindustrie frisst alles und alles wird zum Fraß. Es gibt über 500 Cover-Versionen des Liedes.

Aber ich würde es denn mal zur Abwechslung friedenspolitisch und zionistisch rezipieren, es muss Wandel geben, die Demonstrant*innen in Jerusalem, Tel Aviv und ganz Israel von heute zeigen ihn an, jedenfalls viele von ihnen. Netanyahu ist aktuell der „größte Feind des jüdischen Volkes“, so sagte es heute Einav Zangauker, die Stimme des Hostage Forum.

Und auch in der Diaspora müssen die Juden endlich aufwachen, genauso wie die nicht-jüdischen Pro-Israel Aktivist*innen, sie müssen ihren Masada-Komplex bearbeiten und ablegen oder überwinden, so schwer das den meisten auch fällt.

Bob Dylan hat 1964 in Worte gefasst, was die biedere, spießige, realitätsferne deutsche Pro-Israel-Szene bis heute nicht gelernt hat und nie lernen wird:

Come mothers and fathers

Throughout the land

And don’t criticize

What you can’t understand

Your sons and your daughters

Are beyond your command

Your old road is rapidly agin’

Please get out of the new one if you can’t lend your hand

For the times they are a-changing.

The Masada-Complex (1-3)

The Times of Israel | Blogs | Clemens Heni | Sept. 2, 5, 8

This essay will be published in three parts:

The Masada-Complex (1)

Until recently, Michael Schiffer worked for the US organization USAID. Prior to that, he was employed by the US Department of Defense and as a staff member of the US Senate Foreign Relations Committee.

Schiffer is an American Jew.

He is a Zionist and has dedicated his entire life to Israel.

Now he is settling scores.

With himself. With American Jews. With Israel under Netanyahu. With me. With you. With ‘us’.

With the pro-Israel scene.

Part 1, Sept. 2, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-1/

Part 2, Sept. 5, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-2/

Part 3, Sept. 8, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-3/

 

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

  • Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.
  • Prof. Eva Illouz, Professor, Sociology, Hebrew University of Jerusalem, Directrice d’Etudes at the École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

c/o Edition Critic

Kolonnenstr. 8

10827 Berlin

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