Von Dr. phil. Clemens Heni, 12. Mai 2022

Am 9. Mai 2022 feierte Russland den Sieg der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland vor 77 Jahren. Am gleichen Tag unterzeichnete der US-Präsident Joe Biden ein neues Gesetz, ein land-lease bill, mit dem im Umfang von 33 Milliarden US-Dollar die USA der Ukraine militärisches und sonstiges Material im Krieg gegen Russland zur Verfügung stellen. Ein ähnliches Programm – land-lease – gab es 1941 mit England und der Sowjetunion im Kampf gegen den SS-Staat. Schon diese Analogie ist ungeheuerlich. Die Holocaustverharmlosung durch den ganzen Pro-Ukraine- und Anti-Russland-Diskurs ist erschütternd. Das sollte man gerade als Linker erkennen, wenn man Putin seit Jahren für seine antiliberale Politik kritisiert.

Am 11. Mai gab es nochmal 40 Milliarden US-Dollar an Direkthilfe für die Ukraine und damit zusammenhängende Transaktionen der US-Regierung. Eine unglaubliche Summe. Insgesamt werden von den USA fast 80 Milliarden für die Ukraine und damit zusammenhängende US-Aktivitäten bereitgestellt – dabei hat die Ukraine selbst nur ein Bruttosozialprodukt von ca. 198 Mrd. US-Dollar. Möchten die USA am liebsten die Ukraine kaufen? Damit wäre auch umgehend ein NATO-Bündnisfall eingetreten, der größte Traum der Strategen im Weißen Haus, im Senat, im Repräsentantenhaus, der Rüstungsindustrie in Deutschland wie den USA, und zudem in den Hauptstädten im Baltikum, neuerdings in Finnland oder in Rumänien.

Entgegen jeder sozialpsychologischen Kenntnis von Eskalation, Gewalt und deren Reduktion durch Diplomatie, Zurückhaltung, weniger aggressive Sprache, handelt der Westen exakt so, dass es zu einem richtig großen Krieg eskalieren kann.

Niemand hat wirklich durchdacht, was es heißt, mit einer Atommacht einen Krieg zu führen.

Da geht es um Denkvermögen, Diplomatie und Rationalität – alles Phänomene, die man in Berlin, Washington, D.C., Paris oder London, von Riga ganz zu schweigen, nicht kennt.

Niemand in Deutschland spricht von der Aggression auf dem Maidan 2014, die vom US-Geheimdienst, der darauf ganz öffentlich stolz ist, mit finanziert und organisiert wurde (nicht viel anders wie jetzt der US-Geheimdienst bzw. die Armee der Ukraine beim Versenken eines russischen Kriegsschiffes im Schwarzen Meer geholfen haben, wie sie selbst behaupten).

Niemand spricht von den antirussischen Sprachgesetzen von Selenskyi und seinen Vorgängern, dem Rassismus gegen Russen und russischsprachige Bürger*innen im Donbass oder auf der Krim (vor 2014).

Niemand spricht über die Aggression, die Übungen der NATO in der Ukraine für Russland seit Jahren bedeuten.

Was wäre los, wenn seit acht Jahren ein chinesisch-luxemburgisches Militärbündnis mehrmals im Jahr mit Waffensystemen, die auch Atomraketen transportieren können, in Luxemburg mit Gefechtskopfrichtung Deutschland, geübt worden wäre? Nichts anderes passierte seit Jahren in der Ukraine.

Oder was wäre los, wenn Mexiko mit Venezuela auf Kuba Übungen mit China und Indien veranstalten würde, Militärübungen, unweit von Miami und Florida? Na?

Das macht die brutale Kriegspolitik und die zaristische Ideologie von Putin nicht harmloser. Es ist und bleibt ein völkerrechtswidriger Krieg. Aber der Krieg der Ukraine gegen den Donbass war zwar nicht völkerrechtswidrig, aber hat 14.000+ Menschen das Leben gekostet.

Und es zeigt, dass der Westen einen großen Anteil an diesem Krieg hat. Ja es zeigt, dass jede weitere Waffenlieferung von Olaf Scholz oder Joe Biden und Boris Johnson und allen anderen mehr Menschen in der Ukraine töten und Russland noch mehr von einem Friedensschluss abbringen wird.

Es ist völlig absurd, wenn jetzt Finnland durchdreht und in die NATO will, also suggeriert, es fühle sich von Russland bedroht. Dabei ist Finnland ein kleiner Fleck mit fünf Millionen Einwohner*innen, doch dieser Fleck könnte jetzt endlich mal in die Schlagzeilen kommen und Weltpolitik machen! Also machen die Politiker*innen dieses kleinen Flecks, den keiner kennt und niemand jetzt noch kennenlernen möchte, Panikpolitik!

Vor allem aber ist es so, dass die USA den Krieg wollten und planten. Die USA planten den Krieg Russlands auf ihre Weise. Wie ging das?

So ging das:

Es ist nämlich alles viel bemerkenswerter und typischer für die westliche Friedens-Heuchelei. Denn das Gesetz mit der Nr. S. 3522, das von Joe Biden unterzeichnet wurde und somit bald rechtskräftig wird, wurde erstmals am 3. Januar 2022 im Senat besprochen und offiziell am 19. Januar 2022 von drei Senator*innen (Republikaner und Demokraten) eingebracht. Bis zum 9. Februar hatten sich insgesamt 14 Senatoren (m/w/d) diesem Gesetzesentwurf angeschlossen.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine begann aber exakt am 24. Februar 2022!

Bereits am 3. Januar 2022 fantasierten die amerikanischen Politiker (m/w/d) von einer „invasion of Ukraine“, wie man hier nachlesen kann:

Der Gesetzestext spricht wörtlich von:

In General – Subject to paragraph (2), for fiscal years 2022 and 2023, the President may authorize the United States Government to lend or lease defense articles to the Government of Ukraine or to governments of Eastern European countries impacted by the Russian Federation’s invasion of Ukraine to help bolster those countries‘ defense capabilities and protect their civilian populations from potential invasion or ongoing aggression by the armed forces of the Government of the Russian Federation.

Diese Gesetzesmacher*innen gehen also schon am 3. Januar 2022 von einer „Invasion“ der Russischen Föderation aus. „Impacted“ heißt, die Ukraine sei zu diesem Zeitpunkt – 3. Januar 2022 – bereits angegriffen worden von Russland bzw. der Russischen Föderation. Es wird sogar völlig irrational fabuliert, dass andere Länder betroffen sein könnten, ohne sie zu nennen, die auch Waffen und Hilfe aller Art bekommen könnten.

Das Angebot von Putin und Russland bzw. der Russischen Föderation vom 17. Dezember 2021 nach einer Verhandlungslösung war also überhaupt nicht im Sinne Amerikas. Das zeigt dieser fanatische Aufruf zu einem seit dem Zweiten Weltkrieg nicht dagewesenen Gesetz, das der Ukraine mehr Gelder geben sollte für das Militär, als dieses Land selbst hat. Zwar hat sich der Kriegshaushalt in der Ukraine seit 2000 massiv erhöht, aber er liegt 2021 bei ca. 6 Mrd. US-Dollar – und jetzt sollen da insgesamt bis zu 33 Mrd. (+Teile des fanatischen, aberwitzigen 40 Mrd. US-Dollar „Hilfspakets“ vom 11.05.2022) aus den USA dazukommen. Man sieht den Irrsinn dieses Unterfangens. Da soll ein mini-kleiner Militäretat vom Ausland extrem aufgestockt werden, damit ein Feind wie Russland attackiert werden kann. Denn zu diesem Zeitpunkt gab es keine Invasion Russlands – aber die Planung für unfassbare viele Waffen für die Ukraine, bis mindestens 2023.

Wenn nun in einer der unerträglichen, die Demokratie mit jeder einzelnen Sendung zerfasernden, zerbröselnden Agitationstalkshows der ukrainische Botschafter bei Anne Will am 8. Mai genüsslich sagen konnte, die Kritiker der Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die völlig zurecht vor einem möglichen Atomkrieg warnen, seien „moralisch verwahrlost“, namentlich meinte er damit den Diskutanten Prof. Harald Welzer (über dessen problematische Art, den NS zu erinnern oder gerade nicht mehr zu erinnern, andernorts zu reden wäre), dessen Name Melnyk nicht richtig aussprechen konnte oder wollte, was dann? Wie „moralisch verwahrlost“ ist der ukrainische Botschafter, der einem Antisemiten und Massenmörder wie Stepan Bandera Blumen ans Münchener Grab legt? Wie „moralisch verwahrlost“ ist Melnyk, der von einem drohenden „zweiten Völkermord“ fabuliert, der in der Ukraine drohe, und damit auf unerträgliche Weise den Holocaust verharmlost, der von den Leuten, die Melnyk bewundert – Bandera – mit verbrochen wurde, wofür Bandera und seine Banden bis heute große Denkmäler, Straßen, Plätze oder Fußballstadien benannt bekommen in der Ukraine, dem Land mit den vermutlich meisten Straßen, Plätzen und Denkmälern auf der ganzen Welt, die nach Tätern im Holocaust benannt sind?

Doch was, wenn der Krieg an jenem 3. Januar 2022 im Senat der Vereinigten Staaten von Amerika bereits gewünscht wurde, als dieses Gesetz S. 3522 erstmals Erwähnung findet? Ein Gesetz, das von einer „Invasion“ der Russischen Föderation in der Ukraine spricht, die es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gab?

Der Antikommunismus und der abgrundtiefe Hass auf alle Russische in den USA ist wirklich grenzenlos und übersteigt noch die Abneigung gegen die Abtreibung, wie wir sie von Ron DeSantis (Republikaner) und weiten Teilen der Republikaner und vom aktuellen Supreme Court kennen oder befürchten. Während die Demokrat*innen weitegehend Pro-Abtreibung sind, aber exakt so fanatisch anti-links, antikommunistisch und obsessiv antirussisch und pro-ukrainisch. Im Senat ging der Gesetzesentwurf nach der dritten Lesung ohne Gegenstimme durch, im Repräsentantenhaus stimmten 417 Abgeordnete dafür, 10 dagegen.

Eine wirklich bittere Ironie ist es, dass auch Putin antikommunistisch ist, was sich in seinen beiden Reden im Februar zeigte, und seine 1000-jährige Tradition, die er in seiner Ansprache zum Großen Vaterländischen Krieg am 9. Mai 2022 heraufbeschwor, eben gerade jene Geschichte des Zarismus und der reaktionären Religion war, die von den Bolschewiki 1917 hinweggefegt wurde. Immerhin erwähnte Putin den Kampf gegen die Bandera-Banden, die es heute immer noch in der Ukraine gibt, die Asow-Bataillone vorneweg, aber die Huldigung für Bandera ist ja auch Selenskyi und dem breiten Mainstream in der Ukraine eigen. Und damit ist Putin auf Seiten der Befreier vom NS-Faschismus, was Selenskyi gerade nicht ist.

Im Gegensatz zu Selenskyi oder Scholz hat sich Putin von den Pro-Nazi-Banden in der Ukraine distanziert und meinte damit sicher auch die unerträglichen Denkmäler, Straßen und Plätze, die nach Bandera und anderen Mördern im Holocaust benannt sind.

Was schockierend deutlich wird durch „S.3522 – Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act of 2022“ der USA ist Folgendes: seit Januar 2022 planten die USA dieses Gesetz, lange bevor womöglich von Putin entschieden war, ob es zu einer Invasion kommt. Immerhin hatte er am 17. Dezember die USA und die NATO in einer realpolitischen Anfrage um eine Friedenslösung für eine neutrale Ukraine gebeten („Treaty between The United States of America and the Russian Federation on security guarantees„).

Es wird klar, dass die USA überhaupt kein Interesse an Verhandlungen hatten und auch nicht haben – wenn sie doch schon im Januar 2022 planten, Milliarden an Dollar für Rüstungsgüter an die Ukraine zu liefern. Schließlich würde ja auch ein Atomkrieg primär in Europa stattfinden erstmal, was kümmert das die USA? So zynisch ist Realpolitik. Und so zynisch sind jene, die weiterhin und aggressiv sich hinter Selensyki, die NATO, die USA oder Scholz stellen und alles tun, um Russland fertig zu machen. Man muss kein Putin-Freund sein, um das alles „moralisch verwahrlost“ zu finden.