Wissenschaft und Publizistik als Kritik

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So gefährlich wie die AfD? Der „Karneval der Geflüchteten“

Die AfD ist eine extrem rechte, völkische Partei, der parlamentarische Arm von Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“), die ja weniger ein Problem mit Autoritarismus, Antisemitismus und Jihad denn mit Gender-Mainstreaming, Homosexualität, Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Holocaust oder die Befreiung 1945 durch die Amerikaner und die Alliierten hat. Die AfD kokettiert nicht nur mit Goebbels (Höcke), wedelt permanent mit der Deutschlandfahne, möchte einen Schießbefehl an der Grenze und das individuelle Recht auf Asyl abschaffen, sondern hat auch ein eher radikal neoliberales Parteiprogramm in Planung, wie verschiedene Medien berichteten. Kritik an der AfD ist also notwendig.

Viele, die sich gegen Neonazismus, Nationalismus und Rassismus wenden, fühlen sich aber ganz plump als die „Guten“ wie zum Beispiel die ca. 5000 Leute, die in Berlin am Sonntag, den 20. März 2016 durch Berlin-Tempelhof und Berlin-Kreuzberg zogen, um einen „Karneval der Geflüchteten“ (das RBB-Fernsehen berichtete) unter dem Motto „My Right is Your Right“ zu inszenieren. Wie selbstverständlich waren von Anfang an antiisraelische Gruppen involviert wie BDS Berlin. Das kann man auf der Seite der Organisatoren unschwer in einer Pressemitteilung nachlesen, die zum 9. März zu einem Mobilisierungstreffen eingeladen hatten. Die Teilnahme von Ahmed Shah und Nadia Grassmann an dieser Veranstaltung war ein untrügliches Zeichen, dass es gegen Israel und somit gegen Juden gehen wird. Grassmann ist seit Jahren mit ihren Eltern – Jürgen Grassmann ist eine führende Figur dieser pro-iranischen antiisraelischen Aufmärsche – an den al-Quds-Aufmärschen beteiligt. Diesen antisemitischen, auch Pro-Hisbollah Hintergrund einiger der aktiv Involvierten an diesen Karneval der Geflüchteten, hatte bereits vorab das American Jewish Committee (AJC) in Berlin kritisiert.

Auf dem „Karneval der Geflüchteten“ am 20. März in Berlin wurde ein BDS-Transparent getragen („Boycott Divestment Sanctions“). Ein Transparent sprach von „6 Millionen Palestinian Refugees demand their Right of Return“, also sechs Millionen palästinensischer Flüchtlinge, die angeblich ein „Rückkehrrecht“ nach Israel hätten.

Right of Return Antisemitismus Karneval 20032016

 

Ein Wagen hatte ein Transparent „Solidarität mit Palästina ist Solidarität mit den Flüchtlingen“, womit alle Flüchtlinge in das antisemitische Lager der Israelfeinde eingemeindet werden sollen, was sicher vielen auch nichts ausmacht. Es wurden auch palästinensische Fahnen geschwenkt.

Right-of-Return-Antisemitismus-Karneval-20032016-768x469 BDS Karnveal der Geflüchteten 20032016

Jene sechs Millionen Flüchtlinge gibt es nicht. Das ist eine völkische Lüge, wie die Forschung seit Jahrzehnten herausgearbeitet hat. Im Krieg der Araber gegen die Juden 1947/48 wurden ca. 600.000 Araber vertrieben bzw. verließen das Land oder wurden von arabischen Ländern gezwungen, es zu verlassen (wie in Haifa), weil ein Dableiben das Anerkennen des jüdischen Staates impliziert hätte. Diese Zahl von ca. 600.00 hat der Nahostforscher Efraim Karsh en detail belegt. Ebenso wurden bis zu einer Million Juden im Zuge des Krieges 1947/48 und den Jahrzehnten danach aus arabischen Ländern vertrieben bzw. wanderten aus (ohne je Nachkommen als „Flüchtlinge“ zu rubrizieren). Die Palästinenser wie die UN-Organisation UNRWA sprechen nun heute von bis zu 6 Millionen palästinensischen Flüchtlingen. Wie kommt das? Wie wird aus ca. 600.000 Menschen eine Gruppe von 6 Millionen? Indem der Flüchtlingsstatus quasi vererbt wird. Das wäre so, als wenn der völkische  und revanchistische Bund der Vertriebenen (BdV) von dutzenden Millionen deutschen Vertriebenen aus Polen, der Ex-CSSR etc. reden würde, also Nachkommen einrechnen würde, die 1960 oder 1990 in München oder Köln geboren wurden. Das würde Polen und die Republik Tschechien von heute auf morgen zu deutschen Ländern machen. Diese völkische Logik wurde natürlich in der Bundesrepublik immer bekämpft und hatte nie eine Chance, Mainstream zu werden. Wenn heute Nazis solche Forderungen stellen würden, und allen aus Polen vertriebenen Deutschen samt Nachkommen – also dutzende Millionen Menschen – ein Rückkehrrecht nach Polen zuspräche, wäre das das Ende von Polen und würde zu einem Krieg führen.

Wenn nun aber Palästinenser und ihre FreundInnen mit der gleichen völkischen Logik auf einer politischen Demonstration in Berlin auftreten, wird das gefeiert und akzeptiert.

Palästina Karneval 20032016

Die Forderung nach einer Rückkehr von eingebildeten Flüchtlingen nach Israel ist antisemitisch. Warum? Sie möchte den jüdischen Staat Israel zerstören, da die Mehrheitsverhältnisse sich zuungunsten der Juden entwickeln würden. Jüdische Selbstbestimmung im eigenen Staat würde zerstört werden. Und das ist das Ziel von BDS wie von Gruppen, die das Rückkehrrecht von eingebildeten (und einigen wenigen noch leben tatsächlichen) Flüchtlingen von 1947/48 fordern.

Während relativ viele Menschen in diesem Land sich den Nazis und Völkischen von AfD oder Pegida in den Weg stellen, mit wenig Erfolg zwar, aber immerhin, wird der Antisemitismus, Israelhass und Antizionismus von Aktionen wie dem Karneval der Geflüchteten goutiert. Führende Theater Berlins wie die Schaubühne oder das Maxim-Gorki-Theater, der Migrationsrat und viele andere Gruppierungen haben diesen neuen Judenhass, den Hass auf Israel als jüdischer Staat, toleriert wenn nicht aktiv unterstützt. Wer mit Ahmed Shah eine Mobilisierungsveranstaltung zu diesem Event macht, weiß, was er oder sie tut. Shah wurde schon vor Jahren wegen antisemitischer Aktivitäten kritisiert.

Während die AfD in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt unfassbare Wahlerfolge zu verzeichnen hat, mit Peter Sloterdijk einen ehemaligen ZDF-TV-Star als Vordenker hat (die Pegida-Frau Tatjana Festerling bezieht sich explizit auf ihn), ist der andere Teil des kulturellen Establishments mit der Agitation gegen Israel beschäftigt. Dabei würden sich der Karneval der Geflüchteten und Sloterdijk doch prima verstehen: auch der Karlsruher antihumane Heidegger-Jünger sieht in Israel einen „Schurkenstaat“.

Während nun in Berlin und Deutschland BDS immer mehr öffentliche Auftritte und Erfolge zu verzeichnen hat, Judenhass kommt halt an, wenn man ihn etwas anders präsentiert, wird diese Woche in Amerika womöglich Wegweisendes an einer Universität entschieden. An einer der größten amerikanischen Universitäten, der University of California, der zehn Unis angehören, liegt dem obersten Entscheidungsgremium, dem „Board of Regents“, ein Entschließungsantrag vor, der explizit „Antizionismus“ als Form von Hass bzw. Bigotterie ablehnt wie Antisemitismus, Homophobie oder Sexismus. Darüber berichtet vorab der Präsident des Think Tanks Louis D. Brandeis Center for Human Rights Under Law aus Washington, D.C., Kenneth L. Marcus.

In den Erläuterungen bzw. Kontextualisierungen eines diese Woche zur Abstimmung vorzulegenden Statements für den Board of Regents heißt es nämlich:Anti-Semitism, anti-Zionism and other forms of discrimination have no place at the University of California.” Damit würde erstmals eine große amerikanische Universität höchst offiziell Antizionismus auf die gleiche Stufe wie Antisemitismus  stellen!

Antizionismus ist neben Verschwörungsmythen, regressivem Antikapitalismus, der das „böse Abstrakte“ der Ökonomie ablehnt und das „gute Konkrete“ vergöttlicht, der Agitation gegen die jüdische Religion (wie die Beschneidung, das Schächten etc.), Holocaustleugnung und –trivialisierung eine der Hauptformen des heutigen Antisemitismus. Antizionismus ist eine der gefährlichsten Formen des Antisemitismus, weil er nicht oft als solche erkannt wird.

Die AfD ist eine gefährliche Partei und Pegida eine völkische Bewegung, die die politische Kultur in diesem Land schon jetzt massiv beschädigt hat. BDS, die Forderung nach einer Rückkehr von eingebildeten fünf Millionen palästinensischen Flüchtlingen wie Antizionismus insgesamt sind noch weiter verbreitete und äußerst gefährliche Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft. Das Gewährenlassen dieser neuen Form des Antisemitismus im Multikultivorzeigekiez der ganzen Republik, Berlin-Kreuzberg, zeigt an, wie wenig Widerstand der neue Antisemitismus bislang zu erwarten hat.

Auf der AIPAC Konferenz 2016 sprach sich am 21. März 2016 die mögliche erste Frau als Präsidentin der USA, Hillary Clinton, gegen BDS aus, und das kontextualisierte sie explizit mit der erschreckenden Zunahme von Antisemitismus weltweit.

Von Amerika lernen, heißt BDS und Antizionismus bekämpfen zu lernen. Vielleicht ist diese Woche ein guter Zeitpunkt damit zu beginnen. Wenn auch nicht in Berlin-Kreuzberg.

 

Der Verfasser, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), www.bicsa.org

 

 

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016

Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine extrem rechte Partei über 20% der Stimmen in einem Bundesland gewonnen, noch dazu auf Anhieb. Das Wahlergebnis der AfD in Sachsen-Anhalt widerlegt zudem definitiv den Mythos von der „friedlichen Revolution“ 1989. 1989 war der Beginn des deutschnationalen „Erwachens“ eines ganzen Landes, der Nazismus in anderem Gewand bekam ein Revival, in Ost und West. Man schaue nach Mecklenburg-Vorpommern („national befreite Zonen“), nach Brandenburg („Nauen“), Sachsen („Dresden“), Thüringen („NSU“) oder jetzt nach Magdeburg. Die rassistischen Morde der 1990er Jahre, später der NSU und heute nun Pegida und AfD sind direkte Konsequenzen der „Wiedervereinigung“. Das heißt nicht, dass es in der BRD vor 1989 besser war. Globke, Kiesinger, Filbinger, Carstens, Walser (1979), F.J. Strauß, H. Schmidt, Kohl, Schönhuber und Nolte stehen für das Beschweigen, Affirmieren oder Trivialisieren des Holocaust und des Nationalsozialismus.

Das heutige unfassbare Wahlergebnis für die extreme Rechte passt übrigens paradoxerweise zum Erstarken des Islamismus und Jihadismus, den es weltpolitisch ohne 1989 und ohne das Ende der Sowjetunion 1991 so nicht geben würde. Das Kräftegleichgewicht des Kalten Krieges machte auf der weltpolitischen Bühne eine jihadistische Bewegung, wie wir sie seit 9/11 kennen, schwer denkbar. Der Zusammenhang jedoch zwischen Islamismus und Nazismus in der Bundesrepublik ist nun folgender: beide Gruppen werden nicht ernst genommen. Die Mainstream-Islamwissenschaft wie die Mainstream-Medien nimmt jene Muslime, Türken oder Araber in Schutz, ignoriert sie oder behauptet, die würden das so gar nicht meinen, wenn sie Hitler loben und Juden abschlachten (wie auf Facebook 2010 während der Mavi Marmara Affäre angekündigt) und Israel zerstören wollen. Ganz ähnlich ist es mit den Neonazis oder der AfD und ihren WählerInnen. Auch die werden jetzt nicht ernst genommen. Alles nur vertrottelte oder irregeführte Deutsche, die nicht wissen, was sie tun. Wirklich?

Nein, es war keine „Protestwahl“ in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die den Nazis der AfD Millionen von WählerInnen brachte. Bis dato waren die 10,9% der REP in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 1992 das bester Ergebnis einer extrem rechten Partei in der BRD, gefolgt von den 9,8% der NPD 1968 auch im Ländle, das aber in der CDU von 1966 bis 1978 mit Hans Filbinger ja einen „richtigen“ Nazi als Ministerpräsidenten hatte.

Warum waren die drei Wahlen vom 13.3.2016 keine „Protestwahl“? Sie indizieren die Wahrheit und sind Ausdruck der politischen Kultur und der Ideologie in diesem Land. Was heißt das? Seit Oktober 2014 erlebt dieses Land eine wahnsinnig nationalistische und völkische Hetze durch die Aufmärsche von Pegida in Dresden und in anderen Städten und Gemeinden. Dazu kommt mit der AfD der parlamentarische Arm dieser völkischen Bewegung. Pegida-Führer Lutz Bachmann posierte als Hitler und das hat nur kurzfristig ein kurzes Rumoren verursacht, tendenziell aber die völkische Bewegung gestärkt, wie wir jetzt sehen. Seit September 2015, als die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenkundigen Alleingang die Grenzen öffnete und Flüchtlingen eine europäische Chance geben wollte, gibt es eine rassistische Hetze mit dutzenden Brandanschlägen, Nazi-Aufmärschen „besorgter“ Bürger und ungezählte Kommentare und Talkshows zu dem Thema „Flüchtlinge“.

Die Medien waren federführend dabei, die AfD salonfähig zu machen, allen voran Günther Jauch, der den Nazi Björn Höcke reden ließ und DAS Symbol dieser völkischen Bewegung an seinen Sessel hängen ließ, die deutsche Fahne. Das mag selbst hardcore Neu-Rechten wie der Jungen Freiheit zuviel und zu peinlich im Duktus gewesen sein, aber beim Wahlvolk kam die deutsch-nationale Ideologie an. Das Symbol ist schwarzrotgold, viel mehr noch als das blau-rot der AfD. Sodann eskalierte die Situation weiter und Politikerinnen der AfD wie Beatrix von Storch meinten, ein Schießbefehl an der Grenze gegen die Flüchtlinge wäre im Zweifelsfall angemessen. Und selbst Torten’attacken‘ auf die AfD wurden von bürgerlichen Medien diskreditiert.

Doch besteht die AfD nur aus einigen wenigen PolitikerInnen, die alle, egal welchen Geschlechts, mehr oder weniger auf den Name „Frauke“ hören? Offensichtlich nicht. Es geht um die Wählerinnen und Wähler, die man endlich ernst nehmen muss. Doch wie zu erwarten war, Rainald Becker von der ARD ist das typischste Beispiel dafür, wird von den WählerInnen gar nicht gesprochen. Deren Rassismus, Hass und Ressentiment werden einfach nicht ernst genommen.

So wie viele Muslime und Araber in ihrem Hass auf den Westen, Juden und Israel häufig nicht ernst genommen werden, da sie entwicklungsgeschichtlich nicht auf dem Niveau von „Kant“ oder „Habermas“ angekommen seien, werden auch Neonazis oder extreme Rechte nicht ernst genommen in dem was sie tun oder wählen. Diese Infantilisierung des Jihad wie des Neonazismus ist sehr weit verbreitet, gerade in Deutschland. Früher nannte man das „akzeptierende Jugendarbeit“, man holte die Neonazis da ab, wo sie standen und brachte ihnen Kuchen mit.

„Protestwahl“ ist das typische Wort, das jetzt wieder alle anführen, ohne einmal zu schauen, wieviel Rassismus, Lust auf den Schießbefehl, stolzdeutscher Nationalismus, Antifeminismus, Homophobie und auch Antisemitismus (Erinnerungsabwehr an die Shoah, Agitation gegen jüdische Rituale wie die Beschneidung) in den AfD-WählerInnen wirklich stecken. Das kann man mit herkömmlicher empirischer Sozialforschung eh nur schwer erforschen. Eine umfassendere Analyse der politischen Kultur und der Ideologie wären da hilfreicher. Aber die ZuschauerInnen wollen Kästchen und Balken und einfache Antworten auf einfache Fragen.

Also hat erwartungsgemäß und doch schockierenderweise kein einziger der mit Mikrofon befragten PolitikerInnen und keine einzige ModeratorIn oder KommentatorIn es fertig gebracht, diejenigen Deutschen als Rassisten (vor allem gegen Flüchtlinge, aber ebenso gegen hier geborene oder/und lebende Migranten und Deutsche deren Eltern irgendwann einmal immigriert waren), Nationalisten, dumpfe Stolzdeutschen, a-soziale Agitatoren, die wieder einen Arbeitsdienst wollen („Bürgerarbeit“ oder „Arbeitspflicht“ statt Hartz 4), Sexisten, die Abtreibung illegalisieren wollen und Homosexualität diffamieren, die Sex und Fortpflanzung koppeln, die von der Erinnerung an den SS-Staat und den Holocaust nichts mehr hören wollen, dafür die armen Deutschen als Opfer präsentieren wie seinerzeit die SED und heute die BILD und weite Teile der Forschung (rot=brauen, Kolonialismus=Shoah etc. etc.), Völkische und Antisemiten zu kennzeichnen, die heute AfD wählten.

Außer schwarzrotgold nix gewesen. Wer von Pegida nicht reden möchte, sollte von der AfD schweigen. Und wer von Jürgen Klinsmann 2006 nicht reden möchte, sollte von Pegida schweigen. Denn 2006 machte das deutsch-nationale Apriori zum Mainstream. Das war der Dammbruch, der das ganze Land überflutete mit dieser widerwärtigen Fahne, hinter der jetzt primär die AfD, andere Nazis und Pegida hinterherlaufen. Bis 2006 war die deutsche Fahne primär Demos und Treffen von REP, „Rechtspopulisten“, der NPD und anderen neonazistischen Gruppen vorbehalten. 2006 machte das Symbol zu DEM Symbol schlechthin, alles sehen sich nunmehr als Deutsche (wenn sie welche sind). Die unerträglichen Massenaufmärsche von Pegida und der AfD wären ohne 2006 undenkbar. 2006 wurde Deutschland normalisiert, was sich seit 1945 anbahnte und seit den 1970er Jahren immer stärker wurde (dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen), kulminierte 2006 im deutschen Fahnenmeer, dabei ging es nur sekundär um Fußball, primär um das Deutsch-Sein, die fröhliche „Volksgemeinschaft“, ein Begriff der jetzt von der AfD aufgegriffen wird. Eine ZDF-Moderatorin sprach 2010 vom „inneren Reichsparteitag“, als sie spontan ihrer deutsch-nationalen „Freude“ ob eines Tores Ausdruck verleihen wollte. Dieses Fahnenmeer und dieses „nationale Apriori“ – auch die allergrößten Fußballdesinteressierten sind jetzt als Deutsche mit im Boot und die anderen sehen Fußball nur noch national und nicht als Sport – sind die Voraussetzung für Pegida, AfD und den stolzdeutschen Rassismus wie die damit immer verbundene Erinnerungsabwehr an den Nationalsozialismus. Ja, viel mehr noch: es wird gar nicht mehr abgewehrt, sondern nachgemacht, wenn man sich die Agitation eines Höcke anschaut, die Goebbels abgeschaut ist.

Was 2006 symbolisch passierte wird jetzt in den Parlamenten vollends praktisch: die Wiedergutwerdung der Deutschen (sicher, de facto ging das mit dem spontanen Singen der Nationalhymne, auch von der SPD, im Bonner Bundestag am 9.11.1989 los).

Nicht einer von denen, die auf allen Kanälen im TV oder Radio zu sehen und hören sind und waren, beschimpft die Deutschen oder bezeichnet sie, die WählerInnen der AfD, als das was sie sind: ganz normale Rassisten, Rechtsextreme, Deutschtümler, Völkische und Antisemiten.

Dieses Land hat ein Potential von über 20% offen neo-nazistisch wählenden BürgerInnen, die Wahlrecht haben.

Wer nach alledem was die AfD von sich gegeben hat die letzten Monate, vom Kokettieren mit Goebbels (Höcke) über den Schießbefehl an der Grenze auf Flüchtlinge (Frauen und Kinder und Männer) hin zum offenen Aufruf die Regierung zu stürzen in einem Putsch, sich dazu entschließt die AfD zu wählen, ist ein widerwärtiger deutscher Rassist, ein Nazi mit normalem Arbeitsvertrag bei Daimler, bei LIDL, dem örtlichen Finanzamt, als Dozent an einer Fachhochschule in Kehl oder einer Uni in Karlsruhe und Mainz. Oder ein Polizist, der Abonnent des verschwörungsmythischen, nationalistischen und antiamerikanischen „Compact“-Magazins ist.

Ganz normale Deutsche also. Und diese Menschen muss man beschimpfen als das was sie sind und nicht so tun, als ob die nicht wüssten, was es heißt AfD zu wählen.

Die wissen das ganz genau, schaut in eure Verwandtschaft, auf eure Nachbarn, den VHS-Dozenten in BWL, die Unternehmensberaterin von Gegenüber oder die Verkäuferin um die Ecke oder den Taxifahrer von vorgestern oder den Pöbler vom Dorfplatz oder der U-Bahn.

Die finden, gewunden oder ganz offen, einen Schießbefehl auf Nicht-Deutsche an der Grenze oder Antideutsche im Innern OK.

Das ist das wirklich neue Deutschland, das dem alten eine Zukunft verspricht.

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“

Für Stephan T. und den “schwäbischen” Abiturjahrgang 1989

 

Wenn ein Feuilletonredakteur folgenden Satz publizieren kann, ist offenkundig, wie es um dieses Land, seine Autoren und Lektoren bestellt ist:

„Den vielen Platz in der ‚Zeit‘ nutzt Sloterdijk, immerhin gebürtiger Schwabe, wenig haushälterisch.“

Wer nicht weiß, wo Schwaben liegt und einen gerade im anti-schwäbischsten Residenzörtchen Karlsruhe Geborenen grundfalsch einkategorisiert und das auch noch meint garnieren zu müssen mit einem ollen, verstaubten, langweiligen Ressentiment gegen die vorgeblich gut haushaltenden Schwaben an und für sich, der sollte sich besser gar nicht erst auf wirklich relevante Gefilde wie der Analyse der extremen oder neuen Rechten begeben. Doch diese Fehler begeht der WELT-Feuilletonredakteur Jan Küveler. Er möchte den „Philosophen“ – ein großes Wort für einen antihumanistischen Schaumschläger und Zitateverwerter – Peter Sloterdijk in Schutz nehmen gegenüber Kritik an dessen rechter Ideologie. Slotderdijk nennt sich selbst in der ZEIT einen Vertreter des „Linkskonservatismus“, und Küveler möchte den „Philosophen“ Sloterdijk gegen den politisch eingreifenden Autor Sloterdijk (wie im CICERO-Interview) ausspielen.

Wofür steht Sloterdijk? Sein Drive ist eine Mischung aus esoterischer Erleuchtung, autoritärem Bhagwan-Kult und einer Art idosynkratischer Abwehr alles „Linken“ oder Liberalen im Allgemeinen und der Kritischen Theorie im Besonderen.

Bereits 1983, anlässlich von Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ konstatierte Jürgen Habermas im „Pflasterstrand“ einen „Schuß teutonischen Ernstes, wenn es an die Substanz geht“.[i] Da war Sloterdijk erst wenige Jahre von seinem Indien-Trip zurück und esoterische Unterwürfigkeit oder Reflektions- und Kritikabstinenz mögen prima mit teutonischem Furor korrelieren, wie wir in seinem Fall allerspätestens heute sehen und Habermas schon damals zu sehen und antizipieren vermochte.

Die vorgeblich bhagwanistische Gelassenheit Sloterdijks zeigt nicht erst 2016 in scharfen Tönen gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik ihre praktischen Konsequenzen. Schon 1999 konnte man sehen, wie weit rechts Sloterdijk steht, und wie historisch unbedarft oder gezielt er mit nazistischen oder faschistischen Topoi liebäugelte.

Sloterdijk selbst steht für einen stramm deutschen Weg. 2002 lobte er Gerhard Schröders Wort vom „deutschen Weg“ in strikter Abgrenzung zu Amerika. In einem Gespräch mit dem österreichischen Spiegel, Profil, sagte er:

„Das deutsche Nein in dieser Angelegenheit ist vor allem eine symbolisch-moralische Position, eine spezifische Form der Auseinandersetzung mit dem Sonderweg der USA. Der Begriff ‚rogue state‘, mit „Schurkenstaat“ übrigens eher unglücklich ins Deutsche übersetzt, hat in der westlichen Politik seit einigen Jahren Hochkonjunktur. In der Biologie steht ‚rogue‘ für das wieder ausgewilderte Einzelgängertier, das abseits von der Herde durch den Busch streift. Die beiden ‚rogue states‘ der gegenwärtigen Weltpolitik sind, so gesehen, die USA und Israel, die jede Art von Alignment mit der internationalen Staatengemeinschaft aus dem Grundansatz ihres Selbstverständnisses heraus ablehnen, weil sie beide davon ausgehen, dass Nicht-Israelis beziehungsweise Nicht-Amerikaner sich in die besondere Situation dieser beiden Länder nicht einfühlen können. Das bestärkt sie auch in ihrer Neigung, die Fähigkeit zum Selbstmandat in einem überdurchschnittlichen Ausmaß auszuüben.“

Mit dieser Hetze gegen den Judenstaat und diesem Ressentiment gegen die USA sowie George W. Bush war Sloterdijk nicht nur bei der extrem rechten Jungen Freiheit wohl gelitten. Von einem ähnlichen fast schon teutonischen, in jedem Fall aber antiamerikanischen Furor wie Sloterdijk war 2003 auch sein unerreichter linksliberaler Starnberger Praeceptor Germanie, Jürgen Habermas, angetrieben, der gemeinsam mit Jacques Derrida und der sog. Friedensbewegung ebenso gegen Amerika polemisierte und den Irakkrieg bzw. den War on Terror ganz prinzipiell verteufelte. Was für Habermas/Derrida 2003 die „Wiedergeburt Europas“ gegen Amerika sein sollte, ist 2016 für Sloterdijk und sein neu-rechtes Auditorium eine deutschnationale Erweckung gegen Europa und den Humanismus.

Der WELT-Redakteur Küveler schmiert seinem badensischen Idol Honig ums Maul:

„Fast will man Peter Sloterdijk, in einer ähnlich patriarchalen Geste, mit der er den Journalismus abmeiert, vor sich selber schützen. Denn wenn er sich nicht in die Zudringlichkeiten des Zeitgeists verbeißt, ist er grandios wie eh und je. Das ist durchaus im Doppelsinn gemeint: hoffärtig und brillant, eitel und klarsichtig. Es ist ein Unsinn und eine Schande, ihn wegen ein paar Ungezogenheiten verstoßen zu wollen, egal, ob man sie jetzt okkasionell nennt oder gelegentlich oder keines von beiden, weil Ungezogenheiten ja reicht.“

Die Übernahme und Transformierung von Pegida- und AfD-Vokabular ins Akademisch-Feuilletonistische durch Sloterdijk wird hier als läppische „Ungezogenheit“ eines kleinen Bengels abgetan. Von Sloterdijks „freier Liebe“ am Pool von Poona[ii] und seinem Umarmen der „Diktatur der Freundlichkeit“[iii] des Bhagwan-Kultes hin zur de facto Unterstützung der vulgären, auf züchtiger Anti-Gender-Ideologie, Rassismus, schwarzrotgoldenem Fanatismus und Stolzdeutschtum basierenden Petry/Gauland/Höcke-AfD ist es jedoch nur ein Mausklick oder Katzensprung.

1999 forderte Sloterdijk in einer Rede auf Schloss Elmau „Regeln für den Menschenpark“, und meinte damit biologische und gentechnische ‚Möglichkeiten‘ der ‚Optimierung‘ von Einzelnen. Er umarmte sein Vorbild Martin Heidegger, der als „kleiner schlauer Mann aus Meßkirch“ liebkost wird, und dessen „Brief über den Humanismus“ von 1946 wie folgt:

„Denn indem Heidegger in dieser Schrift, die der Form nach ein Brief sein wollte, Bedingungen des europäischen Humanismus offenlegte und überfragte, eröffnete er einen trans-humanistischen oder post-humanistischen Denkraum, in dem sich seither ein wesentlicher Teil des philosophischen Nachdenkens über den Menschen bewegt hat.“

Sloterdijk weiter:

„Das Wort Humanismus muß aufgegeben werden, wenn die wirkliche Denkaufgabe, die in der humanistischen oder metaphysischen Tradition bereits als gelöste erscheinen wollte, in ihrer anfänglichen Einfachheit und Unausweichlichkeit wiedererfahren werden soll. Zuspitzend gesprochen: Wozu erneut den Menschen und seine maßgebliche philosophische Selbstdarstellung im Humanismus als die Lösung anpreisen, wenn sich gerade in der Katastrophe der Gegenwart gezeigt hat, daß der Mensch selbst mitsamt seinen Systemen metaphysischer Selbstüberhöhung und Selbsterklärung das Problem ist? Diese Zurechtrückung der Frage Beaufrets geschieht nicht ohne meisterliche Bosheit, denn sie hält, in sokratischer Manier, dem Schüler die in der Frage enthaltene falsche Antwort vor. Sie geschieht zugleich mit denkerischem Ernst, denn es werden die drei kuranten Hauptheilmittel in der europäischen Krise von 1945: Christentum, Marxismus und Existentialismus Seite an Seite als Spielarten des Humanismus charakterisiert, die sich nur in der Oberflächenstruktur voneinander unterscheiden – schärfer gesagt: als drei Arten und Weisen, der letzten Radikalität der Frage nach dem Wesen des Menschen auszuweichen.“

Vom „post-humanistischen Denkraum“ zur antihumanen Flüchtlinge-Raus-Politik der AfD verläuft eine rohrstockgerade Linie. Die Rede von „metaphysischer Selbstüberhöhung“ möchte obsessiv wegführen von einer Analyse des Nationalsozialismus. Nicht deutsche Ideologie oder das Fortleben des Nationalsozialismus in der Demokratie werden hier in den Fokus genommen, vielmehr der Humanismus, gegen den die Deutschen im SS-Staat und im Zweiten Weltkrieg ohnehin gekämpft hatten. Sloterdijk unternimmt in seiner Elmauer Rede den Versuch, den Nationalsozialismus, den Zweiten Weltkrieg und die Shoah als spezifisch deutsche Verbrechen zu negieren, die Schuld auf den Humanismus oder die „metaphysische Selbstüberhöhung“ zu projizieren und zugleich die Befreier vom SS-Staat, hier: Amerika und die UdSSR, als Täter einer unheilvollen Welt zu bestimmen:

„Tatsächlich deutet Heidegger die geschichtliche Welt Europas als das Theater der militanten Humanismen; sie ist das Feld, auf dem die menschliche Subjektivität ihre Machtergreifung über alles Seiende mit schicksalhafter Folgerichtigkeit ausagiert. Unter dieser Perspektive muß sich der Humanismus als natürlicher Komplize aller nur möglichen Greuel anbieten, die im Namen des menschlichen Wohls begangen werden können. Auch in der tragischen Titanomachie der Jahrhundertmitte zwischen Bolschewismus, Faschismus und Amerikanismus standen sich – aus Heideggers Sicht – lediglich drei Varianten derselben anthropozentrischen Gewalt und drei Kandidaturen für eine humanitär verbrämte Weltherrschaft gegenüber – wobei der Faschismus aus der Reihe tanzte, indem er seine Verachtung für hemmende Friedens- und Bildungswerte offener als seine Konkurrenten zur Schau stellte. Tatsächlich ist Faschismus die Metaphysik der Enthemmung – vielleicht auch eine Enthemmungsgestalt der Metaphysik. Aus Heideggers Sicht war der Faschismus die Synthese aus dem Humanismus und dem Bestialismus – das heißt die paradoxe Koinzidenz von Hemmung und Enthemmung.“

Diese Rede von der „anthropozentrischen Gewalt“ verwischt oder leugnet, dass konkrete Menschen, Deutsche, Täter waren. Die Anthropologisierung von Gewalt ist seit 1945 ein probates Mittel deutsche Schuld zu negieren, indem sie universalisiert wird. Sei es ‚die Moderne‘ für den Poststrukturalismus, ‚der Kapitalismus‘ für viele Linke oder ,Bevölkerungspolitik mit anderen Mitteln‘ für modische Historiker, „anthropozentrische Gewalt“ für Sloterdijk oder natürlich die Noltesche Rede von der „asiatischen Tat“, die Hitler Recht gibt und den Zweiten Weltkrieg als präventives Mittel affirmiert: es gibt viele Möglichkeiten der Analyse des Spezifischen des Nationalsozialismus, des Antisemitismus und des präzedenzlosen Charakters des Holocaust auszuweichen sowie eine sekundär antisemitische Reaktionsweise zu generieren.

Sloterdijk publiziert 1999 neben seinen „Regeln für den Menschenpark“ auch seinen autobiographisch geprägten und von einem enormen Drive der Selbstpurifizierung von Moral und Kritischer Theorie durchzogenen Text „Die Kritische Theorie ist tot.“ Er schreibt zwei Briefe an Jürgen Habermas und Thomas Assheuer und regt sich fürchterlich darüber auf, dass Habermas die biopolitischen Zumutungen seiner Elmauer Rede („Regeln für den Menschenpark“) offenbar weniger gelassen hinnahm als erwartet, und kommt zum Kern neu-deutscher Ideologie seit 1989/1990:

„Die Ära der hypermoralischen Söhne von nationalsozialistischen Vätern läuft zeitbedingt aus. Eine etwas freiere Generation rückt nach.“

Diese „freiere Generation“ war just 1999, als Sloterdijk das schrieb, dabei, die erste neonationalsozialistische Terrorgruppe zu formieren, den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), der ab dem Jahr 2000 seine Mordserie mit zehn Morden, darunter an neun Migranten, begann. Heute nun haben wir seit Herbst 2014 mit Pegida eine völkische Massenbewegung auf den Straßen, von der die NPD, autonome Nationalisten und Nazis aller Art und die Stammtische und nicht wenige Stehempfänge der Elite seit Jahrzehnten träumten, und mit der AfD einen parlamentarischen Arm dieser extrem rechten Bewegung in Ost und West, von Sachsen bis Hessen, von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz bis Sachsen-Anhalt.

Pegida, AfD und Sloterdijk haben keineswegs eine Angst vor Jihad und islamistischem Terror. Sonst wären sie ja 2001 schockiert gewesen. Doch Sloterdijk war gar nicht schockiert ob 9/11. Vielmehr schürte das seinen eigenen Hass auf Amerika. Der Karlsruher TV-Philosoph sagte z.B. im Gespräch mit dem österreichischen „Standard“ am 27. November 2002:

„Man darf nicht vergessen, der 11. September ist ein Ereignis, das man in einer Unfallstatistik des Landes gar nicht wahrnehmen würde. Zwei- oder dreitausend Tote innerhalb eines Tages liegen innerhalb der natürlichen Varianz. Das ist die Sprache der Kälte der Statistiker, und die müsste im Grunde jene einer wissenschaftlichen Politikberatung sein. In Wirklichkeit läuft die Sache ganz andersherum: Es wird eine Angelegenheit, die gar nicht so hochrangig zu behandeln wäre, wie ein Weltkriegsgrund manipuliert. Das zeigt, dass hier eine hochneurotische, vielleicht sogar narzisstisch-psychotische Struktur verletzt worden ist.“

Diese Schadenfreude nach 9/11 teilte Sloterdijk mit weiten Teilen des deutschen Establishments, vom Antisemitismusexperten Wolfgang Benz über den Männerforscher Klaus Theweleit und die Berliner Politikerin Adrienne Goehler bis hin zur internationalen Fachzeitschrift „Die Welt des Islams“, die einen Text des syrischen Dissidenten und bis heute als „liberale Stimme der arabischen Welt“ hoch geschätzten Sadik al-Azm publizierte[iv], der diese Schadenfreude, ganz spontan und aus tiefstem Herzen, am 11. September 2001 während eines Gastaufenthalts in Japan verspürte und Mühe hatte, vor seinen geschockten japanischen Kollegen nicht los zu prusten. Linke in Berlin, Bremen oder Hamburg tranken „Bin Laden“-Cocktails an 9/11 und die PDS (Die Linke) faselte von „so was kommt von sowas“. Für Horst Mahler war es ein Festtag.

Für Sloterdijk sind die USA und Israel „Schurkenstaaten“. Heideggerisch gedacht, regen sich für Sloterdijk die USA oder Israel über Terroranschläge viel zu sehr auf, dabei ginge es gerade mal um 3000 ermordete, pulverisierte, verbrannte, zerquetschte oder zerfetzte Menschen, die einem Seinsdenker oder Zyniker, der immer nur nach dem „Sein“, dem „Wie“ und nicht dem „Was“ fragt, völlig schnuppe sind.

Ganz ähnlich war der Systemtheoretiker Niklas Luhmann (für Sloterdijk der „Gandhi der Systeme“[v]) nur am Funktionieren von Systemen interessiert, am „Wie“ und nicht am „Was“ – was interessiert Seinsdenke das Seiende? -, weshalb er einmal in einem Gespräch nicht die Nazi-Ideologie und das Unfassbare des Holocaust, vielmehr auf groteske Weise die vermeintliche Ähnlichkeit von amerikanischer Besatzungsbürokratie nach dem 8. Mai 1945 mit dem NS-Staat betonte.

Menschen mit Fehlern, mit Fanatismus und Hass, deutscher oder heute eher jihadistischer Lust am Morden mithin, werden eskamotiert, von Heidegger wie von Sloterdijk, die beide primär in (am liebsten wohl vorsokratischen) Blasen denken möchten.

Die Position, „daß die deutsche Geschichte nicht nur aus Auschwitz und Buchenwald“ bestehe, ein neu-rechter Topos seit Jahrzehnten, ist heute kein genuin rechtsextremer Standpunkt mehr (so er es je war) im geschichtspolitischen ‚Diskurs‘, vielmehr ist diese Auffassung seit Mitte der 1970er Jahre allmählich und offensiv Allgemeingut geworden. Die Neuen Rechten begrüßen diese nationalen Tendenzen und Sloterdijk ist einer ihrer Kronzeugen; die neu-rechte Zeitschrift „Volkslust“ honorierte vor einigen Jahren diese allzu Deutschen, Walser, Grass oder Sloterdijk:

„Was im ‚Historikerstreit‘ u. a. zwischen Ernst Nolte und Jürgen Habermas schon auftauchte, setzte sich in anschließenden geschichtspolitischen Debatten um die angemessenen Erinnerungskulturen fort, in denen über Sinn und Zweck der ›Vergangenheitsbewältigung‹ gestritten wurde. Dazu gehören Martin Walsers Aufruhr gegen die ‚Auschwitzkeule‘, die ‚patriotischen‘ Beiträge eines Günther Grass, der schließlich auch in jener ‚Vertreibungsdebatte‘ seine Stimme erhob, das neue Sprechen über den Bombenkrieg also und die Opferdimension der deutschen Selbstwahrnehmung, Sloterdijks starke Töne vom ‚Tod‘ einer moralisierenden (Post-)Kritischen Theorie und dem Anbruch einer neuen Epoche ironisch-gelassenen Weiterdenkens. Dazu gehören popkulturelle Phänomene wie die Elektropunkband ‚Mia‘ mit ihrer sensibel-‚nationalen‘ Variation des Erich Fried Gedichtes ‚Was es ist‘, Paul van Dyks und Peter Heppners Lied ‚Wir sind wir‘, skurrile Debatten um ‚Deutschquoten‘ im Rundfunk und vieles mehr.“[vi]

***

2013 publiziert Peter Sloterdijk das Büchlein „Im Schatten des Sinai. Fußnote über Ursprünge und Wandlungen totaler Mitgliedschaft“, wiederum bei Suhrkamp.[vii] Schon der Untertitel lässt aufhorchen, klingt doch da, gerade bei einem nicht-jüdischen deutschen Autor, eine irgendwie nazistische Formulierung mit auf, „totale Mitgliedschaft“, das klingt nach „totaler Staat“ oder „totaler Krieg“, die beide ja auf bedingungsloser deutscher Gefolgschaft für den „Führer“ aufbauten.

Sloterdijk möchte zeigen, dass die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam auf einer solchen „totalen Mitgliedschaft“ fußen, ja mehr noch: das Judentum sei Grundübel einer solchen totalen Gefolgschaft und ohne das jüdische Vorbild wäre es gar nicht zu christlicher oder islamischer imperialer Gewalt gekommen, eines Imperialismus des Glaubens, den er dem Judentum, einer nicht proselytischen Religion, nicht anhängt. Vielmehr attackiert Sloterdijk in ziemlich altbewährter antijüdischer Manier das Judentum wie mit dem Buche „Exodus“ und zeichnet von Moses ein blutrünstiges Bild, der tausende andere Juden in einer Art ‚Selbstreinigung‘ töten lässt. Das sei ein Urbild jener „totalen Mitgliedschaft“, von der er spricht.

„In diesem Zusammenhang kommen wir endlich auf die Frage nach dem Zusammenhang von ‚Monotheismus‘ und Gewalt zu sprechen. Es wird sich am Wortlaut einiger kritisch zu beleuchtender Passagen erweisen, warum es nicht sehr sinnvoll ist, das Gewaltproblem weiterhin vorrangig an einem religionstheoretischen Konstrukt namens ‚Monotheismus‘ festzumachen, auf dessen ausweichenden Sinn schon hingewiesen wurde. Statt dessen rückt die Untersuchung nun die Funktion des bundförmigen Singularisierungsprojektes samt seinen psychosozialen und moralischen Kosten in den Vordergrund. Tatsächlich bietet die Erzählung vom Bundesbruch durch das Volk Israel während der Absenz des Moses auf dem Gottesberg, wie sie im Kapitel 32 des Buches Exodus zu lesen ist, das unüberbietbare Paradigma eines durch den Singularisierungsvertrag motivierten Gewaltakts.“[viii]

So wie der Populärphilosoph 2002 Israel als „Schurkenstaat“ diffamierte, mitten während der blutigen zweiten Intifada und einem massiven antisemitischen Klima gerade in der BRD (Möllemann, Walser etc.), so agitiert er nun 2013 gegen das „unüberbietbare Paradigma“ des Bundestreue der Juden, die durch diesen „Singularisierungsvertrag“ einen „Gewaltakt“ motivierten, den er sodann aus dem Buch Exodus zitiert, wo demnach 3000 Menschen auf Moses Befehl hin, alles auch Juden bzw. Bundesgenossen, massakriert werden. So die Legende. Sloterdijk möchte gerade das Judentum als Begründer eines Gewaltschemas der ganzen Moderne und der heutigen Zeit in Schutzhaft nehmen, wenn er schreibt:

„Ich nenne das obsessiv wiederkehrende Bundesbruch-Motiv des Tanachs daher das Sinai-Schema. Es macht den Preis der Singularisierung Israels inmitten der intensiven kultischen und militärischen Völkerkonkurrenz fühlbar. In der fiktiven Urszene am Fuß des Gottesberges wurde der Motivzusammenhang zwischen dem Bundesbruch und dem standrechtlich vollzogenen Strafgericht mit archetypischer Wucht exponiert und für Übertragungen in beliebig weit entfernte Kontexte bereitgestellt.“[ix]

Es ist so wirklichkeitsfremd und vollkommen ahistorisch wenn ein zudem nicht-jüdischer deutscher Autor im Jahr 2013 gerade Juden so obsessiv attackiert und insinuiert, ohne das Judentum wäre der ganzen Menschheit viel Gewalt erspart geblieben. Wir kennen obendrein die antijüdischen Affekte vieler Deutscher, auch der Mini-Minderheit jener, die Pro-Israel sind, aus der Anti-Beschneidungshetze im Sommer 2012. Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat Sloterdijk im Doppelpack mit dem Althistoriker Jan Assmann im Rahmen einer Perlentaucher-Debatte kritisiert:

„Und was endlich jene – nach Sloterdijk angeblich die ‚altjüdische‘ Religion auszeichnende und schließlich auf Christentum und Islam übergehende – Phobokratie mit ihrer spezifisch israelitischen (jüdischen?) Neigung zur ‚Autogenozidalität‘ ob nicht eingehaltener sinaitischer Weisungen betrifft, so hat die rabbinische Theologie an deren Stelle die Institution des Versöhnungstages gesetzt, dessen zentrales Prinzip lautet: ‚Übertretungen zwischen einem Menschen und Gott sühnt der Versöhnungstag. Übertretungen zwischen einem Menschen und seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nur, wenn er sich vorher mit seinem Nächsten versöhnt hat.‘

Die in der ‚altjüdischen‘ Religion angeblich – wenn auch nur spurenweise vorhandene – autogenozidale Phobokratie ist hier – im Text und in der Liturgie – vollständig in eine Lehre anerkennender, normativer Intersubjektivität überführt und vollständig in die Institutionen des Versprechens und Verzeihens transformiert. Nichts könnte vom Geist eines Gemetzels weiter entfernt sein.“

Man kann diese Kritik Brumliks angesichts der heutigen Situation zuspitzen. Wenn einer wie Peter Sloterdijk dem Judentum die Einführung eines unsäglichen Gewaltmotivs – den Bundesbruch – anhängt, Israel als „Schurkenstaat“ diffamiert, Heideggers Antihumanismus in die heutige Zeit transponiert und gleichzeitig einer Partei de facto zustimmt, die mit nazistischem Vokabular und einem Aufpeitschen der Bevölkerung gegen „den“ anderen berüchtigt ist, dann wird erkenntlich, dass der ehemalige Bhagwan-Jünger seinen nach innen gekehrten autoritären Charakter nun extrovertiert, einen „deutschen Weg“ gegen die USA fordert, Grenzen schließen möchte und gegen eine Kanzlerin agitiert, die unter Beschuss steht, wie noch nie ein Kanzler dieses Landes. Peter Sloterdijk ist die AfD für „Alphabetisierte“.[x]

Und für Oberschlaule: das liegt nicht daran, dass Sloterdijk aus Karlsruhe kommt, Badenser und kein Schwabe ist. Schwaben sind auch auf einem allzu deutschen Weg und AfD-WählerInnen, mit und ohne Alphabetisierungshintergrund.

 

[i] Zitiert nach Otto Kallscheuer (1987): Spiritus Lector. Die Zerstreuung des Zeitgeistes, in : Peter Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 7–72, 26.

[ii] Einen peinlicheren Satz über Adorno wie den folgenden kann man sich schwerlich vorstellen: „Meine besten Adorno-Kolloquien erlebte ich am Rand des Ashrams von Poona“, Peter Sloterdijk (2013a): Ausgewählte Übertreibungen. Gespräche und Interviews 1992–2012. Herausgegeben von Bernhard Klein, Berlin: Suhrkamp, 20 (aus einem Gespräch mit Bernhard Klein von Dezember 2002).

[iii] Initiative Sozialistisches Forum (Hg.) (1984): Diktatur der Freundlichkeit. Über Bhagwan, die kommende Psychokratie und Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahnsinn, Freiburg: Ça ira.

[iv] Sadik J. Al-Azm (2004): Islam, Terrorism and The West Today, „Die Welt des Islams“, Vol. 44, Nr. 1, S. 114–128.

[v] Günter Sautter (2002): Politische Entropie. Denken zwischen Mauerfall und dem 11. September 2001 (Botho Strauß, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser, Peter Sloterdijk), Paderborn: Mentis, 350). Sautter hat ein neu-rechtes Näschen und packt sehr treffend – affirmativ – vier Hauptprotagonisten deutsch-nationaler oder neu-rechter Rede in seine Studie; Sautter arbeitet im Planungsstab des Auswärtigen Amtes, Stand 2013: http://www.stiftung-nv.de/projekt/deutsche-europapolitik-2013/veranstaltungen (eingesehen am 7. März 2016).

[vi] Alexander Raoul Lohoff (2005): Annäherungen an eine volkliche Linke. Worum es gehen kann und worum nicht, ein unsystematischer Versuch, in: Volkslust, 2005, H. 2, S. 16–53, hier S. 47.

[vii] Peter Sloterdijk (2013): Im Schatten des Sinai. Fußnote über Ursprünge und Wandlungen totaler Mitgliedschaft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

[viii] Sloterdijk 2013, 30.

[ix] Sloterdijk 2013, 36.

[x] Diesen Ausdruck leihe ich mir von Christoph Baumgarten (2014): Der Thilo Sarrazin der Alphabetisierten, humanistischer Pressedienst, 17.12.2014, http://hpd.de/artikel/10794?nopaging=1 (eingesehen am 07. März 2016).

 

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer

Für Karl-Hans

 

Wenn selbst „Linke“, die früher einmal das Spezifische an den deutschen Verbrechen zu erkennen in der Lage waren und dafür vom Mainstream wie dem Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin Ende der 1990er Jahre gedisst wurden, heute nun voll auf „Kurs“ sind und die Shoah im Orkus der Geschichte „totalitärer Regime“ in rot und braun untergehen lassen, indiziert das die gegenwärtige politische Kultur der geschwätzigen, permanent das Wort “Holocaust” im Munde führenden Erinnerungsverweigerung an die von Deutschen begangenen präzedenzlosen Verbrechen im Nationalsozialismus.

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Der Soziologe Helmut Dahmer, der bei Adorno und Horkheimer in Frankfurt studierte und der u.a. durch eine Lektüre von Freud und Marx in den 1970er Jahren ein typischer Vertreter der Neuen Linken war, schrieb noch 1998:

»Nicht die in Tätern, Mittätern und Sympathisanten wirksame antisemitische Disposition ermöglichte die ›Implementierung des Holocaust‹, sondern das, was Goldhagen sich weigert, ›erkennen zu wollen‹: die ›Mischung von ideologischem Fanatismus, psychopathologischer Verirrung, moralischer Indifferenz und bürokratischem Perfektionismus, eben (die) ›Banalität des Bösen‹. Diese wissenschaftliche Erklärung der ›Ursachen für den Holocaust‹, offenbar so etwas wie die Summe des derzeitigen Wissens deutscher Universitäts-Historiker, bietet den außerordentlichen Vorteil, keine zu sein. Sie ›gilt‹ für die ›Endlösung‹ wie für den Pyramidenbau, für den Albigenser-Kreuzzug wie für den Stalinschen gegen die ›Kulaken‹. Sie ist banal, weil historisch unspezifisch. Der (deutsche) Antisemitismus kommt in ihr – unter diesem Namen – gar nicht vor«.[i]

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Diese Kritik an deutschen „Universitäts-Historikern“ war treffend und sie ist es noch heute. Allerdings hatte Dahmer schon damals kein Problem damit auch extrem rechte Publizisten zu zitieren wie Robert Conquest, einem Ukraine-„Experten“, der im ebenso rechten Verlag Langen-Müller 1986 das Buch „Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929–1933“[ii] publiziert hatte. Das hatte Dahmer nicht kritisiert, wo doch die Trivialisierung der Shoah in diesem Buch, das mit einer Gleichsetzung von Buchenwald und der Situation in der Ukraine Anfang der 1930er Jahre einsetzt und es offenkundig das strategische Ziel des Verlages war, die deutsche „nationale Identität“ einzufordern, wie bereit 1978 ein im selben Verlag erschienenes Buch des Vordenkers der Neuen Rechten, Henning Eichberg, hieß, offenkundig ist.[iii] Dahmer hat mittlerweile vollends seinen Frieden mit der Umschreibung der Geschichte und der Universalisierung des Holocaust gemacht, wie es scheint, denn im August 2014 schreibt er Folgendes:

 

„Die heutige Ukraine hat mehr als andere Gesellschaften an der unbewältigten Erbschaft des barbarischen 20. Jahrhunderts zu tragen. Mit den baltischen Staaten, Polen und Weißrussland gehörte sie zu den – von Timothy Snyder so genannten – ‚bloodlands‘ oder ‚killing fields‘, in denen die beiden großen Menschenfresser-Regime des vorigen Jahrhunderts, das deutsche und das russische, die diese Länder untereinander aufteilten und abwechselnd besetzt hielten, ihre entsetzlichen Untaten verrichteten, die etwa 14 Millionen zivile Opfer forderten.“

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Aus Hitlers willigen Vollstreckern und dem Nationalsozialismus wird also eines von mehreren „Menschenfresser-Regimen“. Kein Wort von der Spezifik der Shoah. Dieser affirmative Bezug auf Timothy Snyder und dessen weltweiten Bestseller „Bloodlands“ ist Symptom des Niedergangs kritischer Analyse und des Mainstreaming von Holocaustverharmlosung. Warum? Snyder behauptet, es hätte ein (fiktives) Territorium gegeben, das er „Bloodlands“ nennt, zwischen dem Baltikum im Norden, der Ukraine im Süden, Ostpolen im Westen und Westrussland im Osten gelegen, in dem zwischen 1932 (!) und 1945 14 Millionen ermordet worden seien. Der Holocaust und die Ermordung von sechs Millionen Juden ist nur ein Teil dieser monströsen Zahl.

 

Die Forschung hat Snyders These scharf kritisiert, namentlich die Historiker Dan Michman von Yad Vashem[iv], Dan Diner[v] oder Jürgen Zarusky[vi] vom Institut für Zeitgeschichte aus München. Das alles kümmert Helmut Dahmer gar nicht, er goutiert dieses obszöne und die Shoah nicht als präzedenzlos darstellende Gerede des Yale Superstars. Man muss sich nicht wundern, dass Historiker wie Michael Wildt oder Jörg Baberowski[vii] kein Problem mit Snyder haben bzw. ihn hofieren, aber bei einem Helmut Dahmer hätte man Kritik erwarten können, ja einen Schock ob der Leugnung des Präzedenzlosen, was Deutsche verbrochen haben. Dieses Goutieren, ja Promoten von „Bloodlands“, diese Bloodlandisierung der Linken und der Gesellschaft insgesamt macht diesen Text von Dahmer von 2014 so symptomatisch für unsere Zeit. Eine adäquate Erinnerung an die Shoah ist nicht mehr angesagt, und selbst ehemalige Kritiker deutscher Gedenkkultur und herkömmlicher, entlastender, den deutschen Antisemitismus diminuierenden historiographischen Ansätze im Zuge Hans Mommsens und einer ganzen Phalanx von Anti-Goldhagen-Historikern der Jahre 1996ff. stimmen heute in den revanchistischen rot=braun-Chor mit ein, und zwar lauthals. Da lacht Joachim Gauck.

 

Im März 2016 gibt es nun ein Porträt des Nazi-Jägers Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center im „Jerusalem Report“:

 

„According to Zuroff and his long-term academic colleague and Lithuania-based Yiddish scholar Dovid Katz, history in the Baltics, Ukraine, Hungary and elsewhere in the region is being rewritten to suggest equivalence between the crimes of the Nazis and the communist Soviet Union and to whitewash the role of local Nazi collaborators.“

Zuroff sagt:

„They are determined to undermine the uniqueness of the Shoah. We finally convinced the world that the Shoah was unique. Then along came the Eastern Europeans who say, ‘No, you got it all wrong. It wasn’t unique. The Shoah was terrible, but communism was just as bad.’ It is a very insidious, very sophisticated agenda. If a country has the choice between being a country of victims or a country of killers, it’s a no-brainer. Of course everyone wants to go along with this.“

Seit Jahren analysieren und kritisieren Efraim Zuroff wie auch Dovid Katz die die Shoah trivialisierenden Thesen Timothy Snyders, die Gleichsetzung von rot und braun, die Verharmlosung des Holocaust nicht nur in Osteuropa sondern durch viele Autorinnen und Autoren, AktivistInnen, PolitikerInnen oder WissenschaftlerInnen weltweit, darunter auch den deutschen Bundespräsidenten, den „Super-GAUck“, wie der „Jerusalem Report“ vom März 2016 bezüglich Efraim Zuroff festhält:

„It’s a damning allegation, but one that is rarely heard with the exception of the small minority of voices in Europe who opposed the 2008 Prague Declaration, a document that appears to legitimize many elements of the double genocide theory. It was a declaration whose individual signatories include the now president of Germany, Joachim Gauck, one-time Federal Commissioner for the Stasi archives.“

Helmut Dahmer hingegen schließt sich völlig schamlos und unumwunden Timothy Snyder an und schreibt:

„‘Das Gebiet der heutigen Ukraine war während der ganzen Epoche der Massenmorde sowohl das Zentrum der stalinistischen wie der nationalsozialistischen Mordkampagnen‘ schreibt Timothy Snyder. ‚Etwa 3.5 Millionen Menschen fielen den stalinistischen Mordmaßnahmen zwischen 1933 und 1938 zum Opfer und weitere 3.5 Millionen deutschen Mordmaßnahmen zwischen 1941 und 1944. Noch einmal rund drei Millionen Ukrainer fielen im Kampf oder starben infolge des Krieges.‘“

Damit wird jedwede Spezifik der Shoah und des eliminatorischen Antisemitismus hinweggefegt, Stalin und Hitler sind austauschbar, beide hätten analoge „Mordkampagnen“ durchgeführt. Ob der eine Auschwitz errichtete und betrieb und der andere es befreien ließ, ist völlig egal, das geht in dieser komparatistischen Obsession unter. Allein schon in der obszönen Zahlenspielerei, jeweils 3,5 Millionen Opfer werden präsentiert, wird jedwede Spezifik und Unvergleichbarkeit der Shoah negiert.

Dahmer meint, er würde damit die „Putin-Versteher“ kritisieren. Man verharmlost das autoritäre, mit Iran kungelnde, Dissidenten kaltstellende und in vielfältiger Hinsicht brutale und gefährliche Regime in Moskau nicht einen Augenblick, wenn man glasklar unterscheidet zwischen Tätern (Deutsche) und Opfern (die Sowjetunion). Die Wehrmacht griff die Sowjetunion an und nicht andersherum, die Deutschen planten die Vernichtung der europäischen Juden und, ja, Stalin war das Schicksal der Juden mehr oder weniger egal, aber de facto kämpften Rotarmisten und Rotarmistinnen gegen die SS und die Wehrmacht und befreiten Auschwitz.

Einer, der das 1998 offenbar noch wusste, war Helmut Dahmer. Heute weiß er es nicht mehr oder vernebelt frühere Erkenntnisse, er schwimmt im Mainstream der Holocausttrivialisierer, deren Stromschnellen seit Jahren der quasi Enkel von Ernst Nolte, Snyder, vorgibt.

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20160305_101101Bald werden sich womöglich wieder fast alle Bundestagsparteien unisono auf eine zweite Amtszeit jenes Ex-DDR-Pfarrers einstimmen. Und alle tanzen nach dieser Pfeife von Timothy Snyder, es ist der große Sieg des Geschichtsrevisionismus, der größte aller geschichtspolitischen Siege: nicht Auschwitz war präzedenzlos, sondern Stalin hat angefangen! Es geht um einen Zeitraum von 1932 bis 1945, so Snyder, für den die ukrainische Hungerkrise 1932 der Beginn der „Bloodlands“ ist, der viel spätere Holocaust ist da nur ein Puzzlestück unter vielen. So funktioniert heute Revisionismus. Das ist die Wiedergutwerdung der Deutschen. Es war nicht einzigartig was in Auschwitz, Sobibor und Majdanek passierte, das ist der Tenor. Irgendwie vergleichbar sei das mit Stalins Verbrechen eben schon, insinuieren der reaktionär-avantgardistische Snyder und sein Fußvolk. Das soll die Message sein, früher bei Nolte, der von der „asiatischen Tat“ redete und heute von Snyder, der von „Bloodlands“ spricht um von der industriellen Vernichtung der Juden zu schweigen und sie zu trivialisieren. Und diese Rede von rot=braun gibt es eben schon lange nicht mehr nur bei der FAZ oder der Springer-Presse (die natürlich, Herbert Marcuse lässt grüßen, auch mal anderslautende Texte publiziert, „repressive Toleranz 2.0“), sondern auch im Bundespräsidialamt oder „Linken“. Für die nationale Identität der Deutschen ist es eine Grundvoraussetzung, die deutschen Verbrechen am allerbesten nicht vollends zu leugnen, sondern diesen dreckigen Job der Nazis durch Komparatistik mainstreammäßig zu machen und zu adeln. Martin Walsers antisemitische Erinnerungsabwehr von 1998 in seiner Paulskirchenrede wird durch die Ideologie des rot=braun ergänzt und flankiert.

Und wer sich ein bisschen mit den Moden der Sozial- und Geisteswissenschaften auskennt, weiß wie angesagt diese Holocaustvergleiche in der Geschichtswissenschaft, dem Postkolonialismus, der vergleichenden Literaturwissenschaft, der „Genozidforschung“ oder der Islamforschung („Muslime als die neuen Juden“ etc.), der transnationalen Forschung[viii], welche den Holocaust gerade nicht als spezifisch deutsches, von Deutschland geplantes (aber auch mit Hilfe zumal osteuropäischer Einheiten durchgeführten), sondern europäisches Phänomen betrachtet, und vieler weiterer Felder sind. Spätestens seit 1949 und Heideggers Bremer Vorträge ist die Universalisierung des Holocaust der Topos vieler Deutscher, die Schuld abwehren und das deutsche Verbrechen entspezifizieren, ja universalisieren.[ix]

Pegida ist übrigens auch eine Bewegung der Holocausttrivialisierung, was kaum jemand je analysiert hat, da sie auf ihrem Logo Hakenkreuz und Sowjetstern bzw. die Antifa (und den Islam) gleichsetzen.

Diese Gleichsetzung von rot und braun findet man auch in Museen in Estland:

Israelfeinde vergleichen den Judenstaat mit Nazis, eine Taktik, die man mitunter auch bei Publikationen gewisser Zentren für jüdische Studien sehen kann, wie noch zu zeigen sein wird in diesem Jahr. Das ist die widerwärtigste Form von Antisemitismus, eine Trivialisierung der deutschen Verbrechen, eine Schuldprojektion und die Verkehrung von Opfer und Täter. Doch nicht weniger beliebt ist der rot=braun-Reflex und die Trivialisierung der deutschen Verbrechen und das nicht nur bei Konservativen und Stolzdeutschen, sondern selbst bei Leuten, die noch vor gar nicht so vielen Jahren solcher unwissenschaftlichen und politisch reaktionären Rede unverdächtig waren. So ändert sich die politische Kultur dieses Landes. Und niemand fällt es auf, da selbst die wenigen Kritiker des Antisemitismus immer „nur“ den antizionistischen im Blick haben, aber bei der Analyse der Holocaustverharmlosung kläglich versagen.

Nicht nur deshalb sind Stimmen wie die von Efraim Zuroff so unsagbar wertvoll.

 

[i] Helmut Dahmer (1998): Holocaust und Geschichtsschreibung. Nachlese zur Goldhagen-Kontroverse, in: Archiv für die Geschichte des Widerstands und der Arbeit, Nr. 15, Fernwald (Annerod), S. 441–462, hier S. 456. Dieser Artikel von Dahmer wurde bezeichnenderweise deshalb von Heil/Erb als Beitrag für den von diesen konzipierten Sammelband (Johannes Heil/Rainier Erb (Hg.) (1998): Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch) abgelehnt, weil sie keinen »Band nach Pro-Contra-Muster« wollten (ebd.: 441).

[ii] Robert Conquest (1988): Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929–1933, München: Langen-Müller (erste Auflage 1986).

[iii] Henning Eichberg (1978): Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft, München/Wien: Langen-Müller.

[iv] Dan Michman (2012): “Bloodlands and the Holocaust: Some Reflections on Terminology, Conceptualization and their Consequences,” ich beziehe mich auf das Manuskript, das mir der Verfasser vor der Publikation im Journal of Modern European History schickte.

[v] Dan Diner (2012): “Topography of Interpretation: Reviewing Timothy Snyder’s Bloodlands,” Contemporary European History, Vol. 21, No. 2, 125–131; Dan Diner (2012a): “An Auschwitz vorbei. Timothy Snyder erhält für sein Buch ‘Bloodlands’ den diesjährigen Leipziger Buchpreis. Zu Recht? Jedenfalls weist seine angeblich wegweisende Arbeit Mängel auf“, 17. März 2012, http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article13927362/An-Auschwitz-vorbei.html (eingesehen am 4. März 2016).

[vi] Jürgen Zarusky (2012): “Timothy Snyders „Bloodlands“. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 60. Jg., Nr. 1, 1–31.

[vii] Michael Wildt (2012): “Ist der Holocaust nicht mehr beispiellos? Neue Forschungen zu Stalin und Shoah“, Süddeutsche Zeitung, May 23, 2012, http://www.sueddeutsche.de/kultur/neue-forschungen-zu-stalin-und-shoah-ist-der-holocaust-nicht-mehr-beispiellos-1.1364122 (eingesehen am 4. März 2016); Jörg Baberowski (2012): “Once and for all: The encounter between Stalinism and Nazism. Critical remarks on Timothy Snyder’s Bloodlands,” Contemporary European History, Vol. 21, No. 2, 145–148.

[viii] Siehe nur den höchst problematischen Text von Peter Fritzsche (2009): “Holocaust,” in: Akira Iriye/Pierre-Yves Saunier (Hg.), The Palgrave Dictionary of Transnational History, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 499–500.

[ix] Martin Heidegger (1949): “Einblick in Das Was Ist”, in: Martin Heidegger (1949a), Bremer und Freiburger Vorträge, Frankfurt: Vittorio Klostermann, Gesammelte Werkte, Band 79, 3–77, 27: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“

“Pegida ist nicht speziell anti-islamisch”

Deutschlandradio Kultur – Interview mit Clemens Heni, 14.01.2016 06:50 Uhr

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Islamfeindlichkeit “Pegida ist nicht speziell anti-islamisch”

Clemens Heni im Gespräch mit Nana Brink

Pegida sei nicht nur gegen Muslime, sondern gegen alle Flüchtlinge, meint der Politologe Clemens Heni (imago/Sven Ellger)

Eine Konferenz in Osnabrück befasst sich seit Donnerstag mit Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa. Dabei werde unterstellt, dass jeder Kritiker des Islamismus ein Gegner des Islam sei, kritisiert der Politikwissenschaftler Clemens Heni.

Ist jeder Kritiker des Islamismus ein “Islamfeind?” Nein, meint der Politikwissenschaftler Clemens Heni, Gründer und Direktor des Berlin Center for the Study of Antisemitism. Genau das unterstelle aber die internationale Konferenz “Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa”, die ab Donnerstag an der Universität Osnabrück stattfindet.

“Es gibt keine spezielle Islamfeindlichkeit”

Man müsse differenzieren zwischen dem Islam als Religion und dem “problematischen, ideologischen Gehalt des Islamismus, den man bekämpfen muss auf allen Ebenen”, sagt der Politikwissenschaftler. “Und da gibt es nicht nur den Dschihad, sondern auch den sogenannten legalen Islamismus, also die Muslimbrüder, Islamrat in Deutschland, da gibt es verschiedene Organisationen, die auf legale Weise Scharia implementieren wollen.”

Auch sei Pegida keine speziell anti-islamische Bewegung, sondern eine, die grundsätzlich rassistisch und völkisch sei. Pegida wende sich nicht nur gegen Muslime, sondern gegen alle Flüchtlinge, betont Heni.

“Das wird beispielsweise bei der Konferenz in Osnabrück, denke ich, fälschlicherweise so eingeordnet, als ob es eine spezifische Islamfeindlichkeit geben würde, wo ich denke, das gibt es nicht.”

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Es ist gerade nicht leicht, nüchtern über das zu reden, über das wir natürlich reden müssen, nämlich die Rolle des Islams und die Rolle, die er in vielen arabischen Ländern spielt, aus denen auch die mutmaßlichen Täter kommen, die in der Silvesternacht sich brutal an Frauen vergangen haben. Es ist auch deshalb nicht leicht, weil diese Taten ja dumpfe, islamfeindliche Reaktion provoziert haben, das haben wir wieder an diesem Montag in Leipzig bei der Pegida-Demonstration gesehen.

Heute nun beginnt in Osnabrück eine dreitägige internationale Konferenz zum Thema antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland. Das wird organisiert vom Institut für Islamische Theologie in Osnabrück und auch finanziert vom niedersächsischen Kultusministerium und der Bundesregierung. Ich freue mich sehr jetzt, dass bei mir der Politikwissenschaftler Clemens Heni, Direktor des Berlin Center for the Study of Antisemitism hier zu Gast in “Studio 9” ist. Guten Morgen, ich grüße Sie!

Clemens Heni: Ja, guten Morgen, Frau Brink!

Islamismus und arabische Alltagskultur

Brink: Bevor wir uns über die islamfeindlichen Strömungen hierzulande unterhalten, wollte ich noch mal auf das zurückkommen, was ja in der Silvesternacht passiert ist. Die Journalistin Julia Gerlach hat ja gestern bei uns eindrücklich geschildert, wie in Ägypten die Gewalt gegen Frauen ein Gesellschaftsspiel ist. Aber sie hat davor gewarnt, das einfach auf Deutschland zu übertragen. Hat sie recht?

Heni: Also, ich denke, es wäre wichtig, dass die feministische Kritik, die es ja nun gibt in dem Land, an sexualisierter Gewalt sehr wohl in Beziehung gebracht wird mit dem Islam. Also mit der islamischen Kultur. Es gab in der “Frankfurter Allgemeinen” die letzten Tage einige Texte, die versucht haben, denke ich, ganz interessant, Ursula Scheer gestern zum Beispiel, eine Beziehung zu bringen zwischen der alltäglichen Gewaltstruktur gegenüber Frauen in der arabischen und islamischen Welt, die wir jetzt eben hier in Teilen auch erlebt haben, und zwar auf präzedenzlose Weise. Also, man muss ja sehen: So was gab es in der Form eben noch nicht. Und da, denke ich, muss man schon auch das Thema Islam, Islamismus und arabische Alltagskultur in Deutschland thematisieren.

Pegida ist “völkisch und rassistisch”

Brink: Schüren denn solche Vorkommnisse die Islamfeindlichkeit hier?

Heni: Also, Islamfeindlichkeit ist so eine Frage. Also, Pegida ist nun einer meiner Schwerpunkte meiner Forschung die letzten Jahre und da würde ich nun mal grundsätzlich sagen, dass Pegida eine rassistische Bewegung ist, eine völkische Bewegung, die sich beispielsweise gegen alle Flüchtlinge wendet. Muslime sind ein Teil der Flüchtlinge, aber ja keineswegs alle. Also, wenn wir Brandanschläge haben auf Flüchtlingsheime, dann zielen diese Nazis und anderen Gewalttäter auf alle als nicht deutsch kategorisierten Menschen und keineswegs nur auf Muslime. Das wird beispielsweise bei der Konferenz in Osnabrück, denke ich, fälschlicherweise so eingeordnet, als ob es eine spezifische Islamfeindlichkeit geben würde. Wo ich denke, das gibt es nicht.

Im Gegensatz dazu würde ich sogar betonen, dass viele Muslime in der arabischen Welt, in der muslimischen Welt insgesamt sich ja durchaus distanzieren vom Islamismus, das hier aber gar nicht vorkommt. Und genau diejenigen, die in Deutschland nun die Islamfeindlichkeit als das große Thema meinen erkennen zu können, negieren häufig, dass es in der islamischen und arabischen Welt ja dissidente Muslime und Muslimas gibt, die genau den Islamismus bekämpfen und sich freuen würden, wenn es mehr Kritik über die problematischen Aspekte des Islam geben würde.

Gegenstimmen aus der islamischen Welt werden nicht gehört

Brink: Warum ist das so? Warum kommen wir oder warum sehen Sie diese Entwicklung oder dieses Blindsein auf dem einen Auge, wie Sie es ja gerade geschildert haben?

Heni: Also, dieses Blindsein, denke ich, wenn ich jetzt Ihren Aufhänger, die Konferenz in Osnabrück nehme, wenn da beispielsweise der Hauptredner eher Israel mit KZs und Nazis vergleicht und nicht thematisiert, dass es in der muslimischen Welt sehr wohl moderate Muslime gibt, beispielsweise Abu Dhabi oder Vereinigte Emirate, da gibt es eine Menge von Muslimen, die selber sich gegen die islamistische Kultur wenden, die aber hier beispielsweise aufgrund dessen, dass in Konferenzen eben solche Stimmen nicht gehört werden, sondern genau die Gegenstimmen, nicht vorkommen. Ich denke, das ist ein wichtiger Aspekt des Ganzen.

Brink: Ja, solche Stimmen kommen natürlich bei der Konferenz schon vor, sie dauert ja drei Tage. Aber ich möchte noch mal auf einen ganz interessanten Zusammenhang kommen, der auch bei Ihnen, bei Ihren Forschungen ja eine große Rolle spielt: Islamfeindlichkeit auf der einen Seite und natürlich so etwas wie der selbst ernannte Islamische Staat. Also das Vordringen dieser Terrororganisation, das ja auch schürt, also sozusagen schürt, diese Ressentiments gegen Muslime!

Heni: Also, ich meine, der Islamische Staat, das ist ganz wichtig in der Tat, hat nun auf ungeheuerliche Weise letztes Jahr in Frankreich mehrfach Terrorattentate verübt, zum ersten Mal in massivem Maßstab in Europa, im November mit über 130 Toten in Paris. Und ich denke, Islamfeindlichkeit lenkt ja eigentlich genau davon ab, dass die Leute denken, nun würde der Islam – in Anführungszeichen – zum Feindbild aufgebaut. Hingegen geht es ja darum, den Islamismus zu bekämpfen. Also, diese Trennung finde ich auch ganz wichtig, auch in der Forschung zu trennen zwischen Islam als Religion, den man nicht diffamieren darf und sollte, und Islamismus als Ideologie, den man sehr wohl diffamieren muss und bekämpfen muss. Und deshalb, denke ich, Islamfeindlichkeit lenkt so ein bisschen ab von der Thematik, um die es eigentlich geht.

Muslimbrüder und Islamrat vertreten einen “legalen Islamismus”

Brink: Was ist denn die Thematik, um die es eigentlich …

Heni: Die Thematik, denke ich, ist: Islamismus versus Islam. Dass man eine Differenz macht zwischen dem problematischen, ideologischen Gehalt des Islamismus, den man bekämpfen muss auf allen Ebenen – und da gibt es nicht nur den Dschihad, sondern auch den sogenannten legalen Islamismus, also die Muslimbrüder, Islamrat in Deutschland, da gibt es verschiedene Organisationen, die auf legale Weise die Scharia implementieren wollen –, und da gibt es eben andere, die meinen, den Islam an sich damit diskreditieren zu können.

Brink: Also, wir trennen nicht sauber genug hier in Deutschland in der Diskussion auch? Würden Sie so weit gehen, das zu sagen?

Heni: Richtig, das würde ich absolut so sagen. Und leider tun Konferenzen wie in Osnabrück eigentlich genau davon ablenken, dass diese Trennung zwischen Islamismus und Islam notwendig wäre, davon ablenken, indem sie tun, als wenn alle Kritikerinnen und Kritiker des Islamismus Islamfeinde wären. Und das ist nicht der Fall.

Brink: Herzlichen Dank! Der Politikwissenschaftler Clemens Heni, schönen Dank für Ihren Besuch hier in “Studio 9”. Und er hat es mehrfach angesprochen, die dreitägige Konferenz in Osnabrück zum Thema antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland, und hier in “Studio 9” ab 17:00 Uhr wird der Berliner Historiker und Antisemitismusforscher Wolfgang Benz auch noch mal darauf was antworten, was sie vorhaben auf der Konferenz in Osnabrück.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

„Gaza sieht immer mehr wie ein KZ aus“ – Obskurer Islamforscher zu Gast bei der Uni Osnabrück

Von Clemens Heni und Michael Kreutz

Dieser Text erschien zuerst auf Ruhrbarone

Im Jahr 2015 gab es alleine in Frankreich zwei islamistisch motivierte Massaker mit fast 150 Toten, am 7. bzw. 9. Januar in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris bzw. einem jüdischen Supermarkt und am 13. November im Club Bataclan, mehreren Cafés sowie am Stade de France, wo gerade ein Fußballfreundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfand. Daraufhin wurde wenige Tage später erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus Terrorangst ein Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft in Hannover abgesagt.

Doch all diese spezifisch mit dem Islamismus und Jihadismus zusammenhängenden Ereignisse führen eben in der Wissenschaft, der Islamforschung wie der Islamischen Theologie, offenbar weiterhin kaum dazu, Kritik am Islamismus und Antisemitismus zu üben. So wird der Präsident der Uni Osnabrück, Prof. Wolfgang Lücke, am 14. Januar 2016 die Konferenz „Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ begrüßen. Es ist eine dreitägige, große Konferenz mit über vierzig Referentinnen und Referenten, organisiert vom Institut für Islamische Theologie der Uni Osnabrück und finanziert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie sowie der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Hier kommt eine Opferhaltung zum Ausdruck, die den Islamisten letztlich nur in die Hände spielt. Kein einziger Vortrag ist der jihadistischen und islamistischen Gewalt und Ideologie gewidmet. Sicher, angesichts eines unübersehbaren rassistischen Klimas in Deutschland, von Pegida über die AfD bis hin zu Neonazis, die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verüben, ist eine Kritik am Rassismus notwendig. Doch was soll „antimuslimischer Rassismus“ sein? Rechtspopulisten mögen ein besonderes Problem mit dem Islam haben, allgemein hetzen sie aber gegen die Zuwanderung insgesamt. Sie wollen ein völkisch homogenes Deutschland.

Der eigentliche Skandal der Konferenz ist der Hauptredner, der amerikanische Islam- und Nahostforscher John L. Esposito, Jg. 1940. Er hat einen von Saudi-Arabien (mit)finanzierten Lehrstuhl und ist einer der umstrittensten Nahostforscher in Amerika. Acht Jahre ist es her, seitdem der amerikanische Nahostkenner Martin Kramer darauf hingewiesen hat, dass mit den Berechnungen bezüglich der Zahl von radikalisierten Muslimen von John Esposito etwas faul ist.

Demnach hatte Esposito eigene Umfragen unter Muslimen dahingehend interpretiert, dass nur 7% der Befragten als radikalisiert bezeichnet werden können. So gering nämlich sei der Anteil derer, die der Aussage zustimmen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 „völlig gerechtfertigt“ seien. Dabei fiel aber unter den Tisch, dass anderthalb Jahre zuvor Esposito und seine Co-Autorin auch solche Befragten zu den Radikalisierten zählten, die der Aussage zustimmten, dass die Anschläge „weitgehend gerechtfertigt“ seien. Viele von denen, die vorher noch als radikal gegolten hatten, wurden plötzlich zu Moderaten verklärt.

Selbst Islamisten, die in der Forschung für ihre gefährliche Ideologie seit Jahren analysiert und kritisiert werden, wie die Gülen-Bewegung, Tariq Ramadan aus der Schweiz, Yusuf al-Qaradawi aus Katar oder Mustafa Ceric aus Bosnien werden von Esposito als wunderbare Beispiele für einen „moderaten“ Islamismus betrachtet. Doch es gibt keinen „moderaten“ Islamismus, wie schon der Politik- und Islamwissenschaftler Bassam Tibi in einer Kritik an Esposito vor Jahren betonte. Ein Yusuf al-Qaradawi, der Selbstmordattentate gegen Israelis für religiös rechtmäßig erklärt, wird nicht dadurch moderat, dass er ihre Durchführung auch Frauen ohne Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner zubilligt!

In seinen Büchern und Texten zeigt sich die ganze Ideologie von John Esposito. Für ihn ist der islamische „Fundamentalismus“ im Iran, dem zigtausende Menschen zum Opfer gefallen sind, das gleiche wie ein christlicher in den USA, der reaktionär sein mag, aber nicht mörderisch ist. Ebenso verglich er George W. Bush mit dem Dschihadisten, Massenmörder und Mastermind des 11. September 2001, Osama bin Laden. Solche Vergleiche mögen im Westen in manchen Kreisen populär sein, sie sind aber grundfalsch, weil beide Personen für entgegengesetzte Werte stehen.

In seinem Buch „The Future of Islam“ (Die Zukunft des Islam) von 2010 vergleicht Esposito die Situation im Gazastreifen mit KZs und somit Israel mit Nazis – eine klare antisemitische Diffamierung, nach Definition des amerikanischen Außenministeriums und der internationalen Antisemitismusforschung.

Mehr noch: im August 2014 beschuldigte Esposito auf Twitter den Holocaustüberlebenden Elie Wiesel, dieser spiele angesichts der Ereignisse in Gaza eine „Holocausts-Trumpfkarte“ aus. Wiesel hatte zu Recht betont, dass die islamistische Terrororganisation Hamas endlich aufhören solle, Kinder als Schutzschilde zu missbrauchen. Er wies darauf hin, dass Juden schon vor über 3500 Jahren dem Menschenopfer eine Absage erteilt hatten und solche Praktiken für einen zivilisatorischen Rückfall hielten. Für Esposito aber war das kein Grund nachzuhaken, sondern Anlass zur Diffamierung. So reden in Deutschland üblicherweise nur Neonazis und extreme Rechte.

Schließlich hat Esposito in seinem Buch „Die Zukunft des Islam“ auch dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, ohne jeden Beleg (!) die Aussage unterstellt, „Muslime wollen die Welt beherrschen“. Solche Aussagen wie auch andere Verdrehungen in seiner Darstellung disqualifizieren Esposito als Redner. Frisch hat das Behauptete aber nicht nur nicht gesagt, sondern sich dezidiert dagegen gewandt, Muslime zu diffamieren. Davor warnt er nachdrücklich. Esposito dagegen versucht eine deutsche Bundesbehörde, die den Islamismus beobachtet und vor ihm warnt, zu diskreditieren.

Wollen der Präsident der Uni Osnabrück, die über vierzig Referentinnen und Referenten wie auch die involvierten Landes- wie Bundesministerien einer solchen Rabulistik, diesem Antisemitismus und dieser Verharmlosung des Islamismus wirklich Vorschub leisten?

 

Clemens Heni Nassau Inn Princeton 05252009

Dr. phil. Clemens Heni

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

 

 

 

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Dr. phil. Michael Kreutz

Dr. phil. Michael Kreutz ist Arabist und Islamwissenschaftler in Münster

Does Germany need just another Islamist, anti-Israel and antisemitic infusion by John L. Esposito?

By Clemens Heni

75 year old John L. Esposito, Georgetown University’s Director of the Prince Alwaleed Center for Muslim-Christian Understanding and professor of International Affairs at Georgetown University in Washington, D.C., will be the keynote speaker of a big conference in Germany, Jan 14–16, 2016, about „anti-Muslim racism and hostility towards Islam in Germany and Europe.“

The conference will take place at the University of Osnabrück in the North-West of Germany, over forty speakers are invited to speak. The event is organized by the “Center for Islamic Theology,” and supported by the German Federal Government and its Ministry of Education and Research, Lower Saxony’s Ministry for Research and Culture, and the Post Graduate Program Islamic Theology.

This Center for Islamic Theology is headed by Bülent Ucar, who is the main organizer of the event alongside with his co-worker, Nina Mühe, an anthropologist and Islamic studies scholar known for her attack on Berlin’s Anti-Hijab Law in classroom. Mühe is a former fellow at a German branch of George Soros’ Open Society Institute.

Obviously, attacks like the Charlie Hebdo and Kosher supermarket massacre in Paris in January 2015 are a “reason” for many academics in the humanities and social sciences to focus on an alleged “anti-Muslim racism‟ and not on Jihad, Islamism, Muslim anti-Semitism and Muslim terrorists. This is mainstream in Europe and the Western world ever since 9/11. We are facing in part a racist and nationalist climate in Germany, indeed. But this has nothing to do with the rejection of most academics in the field of Islamic Studies to deal, let alone fight Islamism in all its forms. The true antifascism of the 21st century deals with both the neo-Nazi and Islamist threats.

In his book “Who Speaks for Islam?” (2007, together with Dalia Mogahed), Esposito used the equivalence of anti-Semitism and “Islamophobia.” In his distorted view, Jews aren’t but a “religion” and just one of two “religions with Semitic origins.” In fact, hatred of Jews is a worldwide ideology, while “Islamophobia” is rather an invention by some specific circles, namely Iran and Islamist organizations and their followers.

More recently, Esposito also started to defame Egypts’s anti-Muslim-Brotherhood stance and started his “Brigde Initiative,” dedicated to the analysis of “Islamophobia” and the defamation of all critics of jihad and Islamism.

Esposito is fascinated by the “Iranian Revolution” from 1979, as can be seen in his edited volume “The Iranian Revolution. Its Global Impact” (1990) and his chapter “The Iranian Revolution. A Ten-Year Perspective,” where he also emphasized the outreach of Iranian style Islamism to Muslims outside Iran. In 2010, he co-edited the volume “Islam and Peacebuilding. Gülen Movements Initiates,” where he promotes the Islamist approach of Fethullah Gülen and frames him as a kind of Islamic version of German philosopher Jürgen Habermas. Both share a “similar belief in mutual understanding, dialogue and optimism,” murmurs Esposito.

This “optimism” (a nice word for the spread of Islamism, no?) can also be seen in the work of leading Sunni cleric Yusuf al-Qaradawi, another protagonist of Esposito. In his book “The Future of Islam” (2010), the Saudi (Prince Alwaleed) funded scholar says, al-Qaradawi “claims that everything is acceptable (halal) unless proven forbidden (haram).” This makes him a moderate according to Esposito and his German colleagues Gudrun Krämer and Bettina Gräf. Gräf co-edited a book, “The Global Mufti,” with pieces by another Georgetown academic, Barbara Freyer-Stowasser (1935–2012), about “gender equality” in a fatwa about female suiciding bombing against Israel by al-Qaradawi.

In “The Future of Islam,” Esposito also invokes an equivalence between Islamic and Western “fundamentalism,” taking Ronald Reagan and the Iranian Revolution as examples, he also compares George W. Bush to Osama Bin Laden. This cultural relativist approach is well known. But jihad and the rule of religion (Islamism) is not the same as whatever democratic government in the US, Britain or Germany and France etc. does. Mustafa Ceric, former Grand Mufti of Sarajevo, is another Islamist portrayed as kosher, by Esposito. Ceric once went to the Auschwitz Memorial site, not to remember the Shoah but rather to invoke the Muslims-are-the-new-Jews-analogy. Ceric has also been criticized for his ties to the Islamist Muslim Brotherhood, among other Islamist aspects of his approach.

Finally, Esposito refers to German security expert and former head (1996–2000) of the “Federal Agency for the Protection of the Constitution,” Peter Frisch. In his 2010 book (finished in 2009), Esposito writes about Frisch as if he was head of that important institution in 2009, which is a minor problem compared to the lie, the Georgetown scholar spreads about Frisch. Esposito writes: “In Germany, Peter Frisch, head of the Bundesamt für Verfassungsschutz (Federal Office for the Protection of the Constitution), has repeatedly asserted, ‘Muslims want to rule the world.’” He does not quote form a single article by Frisch. In 2001, after 9/11, Frisch argued against the defamation of all Muslims. In 1997, Frisch argued against the rise of Islamism and the reluctance in Germany to even deal with that problem. To my knowledge, he never said that all Muslims want to rule the world. This reproach is rather a lie, invented by Esposito – who runs short to substantiate his claim. But Esposito is obviously not interested in research and quotes.

August 5, 2014, during the latest Gaza War, John L. Esposito tweeted the following: “Elie Wiesel plays the Holocaust trump card in Gaza” and links to an antisemitic homepage – “Mondoweiss.” Wiesel had said, that Jews stopped using children as sacrifices some 3500 years ago, Hamas should stop it now, too. Truly a correct statement, taken the fact that Hamas is verifiably known for abusing children and others as human shields. For Esposito this was just another reason to defame Israel and make fun of the Shoah and a Holocaust survivor.

Esposito compares Israel to Nazis, uses even more antisemitic language, promotes Islamists as possible allies and defames German officials, who headed federal offices in the fight against Jihad and Islamism.

Are these enough reasons for the Jewish Museum Berlin’s Yasemin Shooman, the mainstream weekly “Die Zeit” and its author Yassin Musharbash, the left-green-wing daily “taz” and its Daniel Bax, scholars like Andreas Zick from Bielefeld University, who even sits on Board of the US based “Journal for the Study of Antisemitism” (JSA), or historian Wolfgang Benz, former head of the “Center for Research on Antisemitism” at Technical University Berlin, dozens of other scholars, activists and authors, the Government of Lower Saxony and the German Federal Government to support and join such an event?

 

 

(Video) How not to study Antisemitism

 

Lecture by Dr. Clemens Heni, Director, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), www.bicsa.org

 

Hebrew University, Jerusalem, Mount Scopus, The Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA), International Conference, 25–28 May, 2014 Anti-Judaism, Anti Semitism and Delegitimizing Israel, Session 8, Tuesday, 27 May 2014, 15.45–18.00

 

I was honored to speak at Robert Solomon Wistrich’s, z‘‘l, last big conference in May 2014 in Jerusalem, Mount Scopus, at SICSA. Robert also had invited me to his first big conference as head of the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) in December 2002.

https://www.youtube.com/watch?v=1HPoais_8IM

What is in this lecture?

How Not to Study Antisemitism:

1) Arab Rejectionism

– Prof. Christian Wiese

– Marxists pro-Israel: Adorno, Horkheimer

– Prof. Wiese quotes Jacqueline Rose’s fantasies about Herzl and Hitler 1895 in Paris …

2) Holocaust Inversion

– Prof. Seyla Benhabib, Israel and “possible crimes against humanity” …

3) Post-Colonialism

– Prof. Jürgen Zimmerer, „From Windhuk to Auschwitz“

– David Olusoga/Casper W. Erichsen, “Kaiser’s Holocaust”

4) Holocaust Studies

– Timothy Snyder, grandson of Ernst Nolte

5) Was Hitler a “Man of the Left”?

– Erika Steinbach

– Jonah Goldberg

– Brendan Simms

6) Left-wingers in Germany and Austria: pro-Israel and anti-Jewish?

– Circumcision debates

Wie trivialisiere ich Antisemitismus?, Teil 58: Götz Aly

Facebook ist ein riesiges soziales Medium, das Menschen weltweit die Möglichkeit gibt, sich unkompliziert über alle möglichen sinnlosen wie sinnvollen Aspekte des Lebens auszutauschen. Kritik an Facebook kann antisemitisch sein, und ist also keine Kritik mehr, sondern Ressentiment, z.B. wenn die Süddeutsche Zeitung 2014 Mark Zuckerberg als Krake karikiert, die eine Art Hakennase hat, als Tentakeln verfremdete Schläfenlocken besitzt und mit ihren Fangarmen böswillig die Menschheit auffressen möchte. Verschwörungsfantasien gehören zum Kernbestandteil des modernen Antisemitismus und sind von äußerster Gefährlichkeit. Die 1905 erstmals publizierten „Protokolle der Weisen von Zion“ sind das Vorbild bzw. die Matrize aller späteren antisemitisch motivierten Verschwörungsfantasien. Und das Krakenmotiv ist genuin nationalsozialistisch.

Vor diesem Hintergrund meint nun der Historiker Götz Aly, die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihr Autor Michael Hanfeld würden antisemitisch gegen den Facebookgründer und –inhaber hetzen, wie damals Hitler, Oma und Opa gegen die Juden. Das ist starker Tobak. Aly schreibt am 8. Dezember 2015 in der Berliner Zeitung:

In “Mein Kampf” steht Ähnliches

Voilà, die im Geheimen wühlenden Weltverschwörer! Die wittert auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Deren Medienredakteur Michael Hanfeld sagt, Zuckerberg komme „dahergeritten wie der heilige Martin“, tatsächlich aber sitze er „auf dem größten trojanischen Pferd seit den Zeiten von Odysseus“. „Mit sentimentalem Ton“, jedoch „verlogen“, mit der „Camouflage“ des Unschuldigen betreibe er sein „globales Geschäft“. Per Überschrift rückt die FAZ den „knallharten“ Zuckerberg in die Nähe von Stasi-Chef Mielke: „Dabei liebt er uns doch alle“.

So soll er also aussehen, der neue Antisemitismus, wie ihn Götz Aly sehen möchte. Die Definition des modernen Antisemitismus durch Aly zeigt seine ganze Hilflosigkeit, einen klaren Gedanken zu fassen:

Moderne Antisemiten meiden das Wort Jude, besinnen sich jedoch bei passender Gelegenheit auf das klassische Repertoire – gespeist aus Neid, Unvermögen und frustrierter Gehässigkeit.

Er meint hier, wenn schon, dann den sog. „neuen“ Antisemitismus, den es nach dem Holocaust gibt und der vor allem in den letzten 15 Jahren zu großen Debatten führte und führt. Der Ausdruck „moderne Antisemiten“ erinnert vielmehr an den Beginn des „modernen“ Antisemitismus Ende des 19. Jahrhunderts, als der biologische Rassenantisemitismus der völkischen Bewegung den religiös und christlich motivierten Judenhass ablöste. Zentral für den modernen und rassebiologischen Antisemitismus ist der Verschwörungswahnsinn. „Der Jude“ wird als die geheime Macht hinter allem Übel, hinter der unterminierenden Funktion von U-Bahnen, Finanzgeschäften und allen Formen des Kapitalismus wie des Kommunismus oder sexueller Ausschweifung und der Aushöhlung des christlichen Abendlandes wie auch, später, des muslimischen Morgenlandes imaginiert.

Was hatte Hanfeld verbrochen, dass er mit Hitler verglichen und ihm Antisemitismus unterstellt wird? Hat er Zuckerberg als Juden diffamiert, ihn antisemitisch karikiert wie die SZ letztes Jahr, oder von geheimen Mächten fabuliert, die die Welt beherrschen oder aussaugen wollten? Anlässlich des Offenen Briefes von Mark Zuckerberg an seine neugeborene Tochter, worin er ankündigt, im Laufe seines Lebens sein fast gesamtes Vermögen, derzeit rund 45 Milliarden Dollar, zu verschenken, schrieb Hanfeld am 3. Dezember in der FAZ:

Die ganze Welt denkt, Mark Zuckerberg habe seiner Tochter einen Brief geschrieben. Hat er aber nicht. Er nimmt die Geburt der kleinen Max vielmehr zum Anlass, seinen persönlichen Weltmachtanspruch zu formulieren. Er hat eine Regierungserklärung verfasst, der wir entnehmen können, wie die Welt aussieht, wenn Facebook das Sagen hat. Sie ist bunt, vielfältig und friedvoll. Es gibt nur noch saubere Energie und keine Krankheiten mehr. Für kreatives Unternehmertum existieren keine Grenzen. Es gibt „starke“ und „gesunde“ Gemeinschaften. Und alle Menschen haben gleiche Chancen. Wie bekommen sie die? Durch die richtige Erziehung, die richtige Gesundheitsvorsorge und – einen freien Zugang zum Internet. Wer diesen schafft und garantiert, ist klar: Papas Firma.

So hört sich also Hitler 2.0 an, laut Götz Aly. Dabei analysiert Hanfeld lediglich die Mechanismen des Neoliberalismus, böse Stimmen würden sagen: des Kapitalismus in seiner heutigen Form. Dabei spielen Kontrolle, Wissen, Sammeln von Daten nicht nur für die Werbeindustrie, das Internalisieren der Imperative des Marktes, dass alles – alles – eine Ware ist, die zentrale Rolle. Natürlich ist es übertrieben, alleine daraus einen „Weltmachtanspruch“ zu sehen, aber übertreiben in Richtung Wahrheit ist eine Methode, die man seit Günther Anders kennen sollte. Es ist das fröhliche Mitmachen, die Selbst-Verwertung, das lachende Posten auf Facebook ist beherrschend. Dissidenz oder Abstinenz werden a priori eskamotiert, wie es Adorno vielleicht formulieren würde. Wer sind die IT-Unternehmen, die den Zugang zum Netz gewährleisten werden, im Senegal wie in Berlin oder auf Haiti? Wer kontrolliert da was gespeichert wird und wozu? Was geht es Facebook an, was Leute sich in privaten Nachrichten sagen etc. pp.? Ist die total saubere, gesunde und keimfreie Welt nicht ein aseptischer Albtraum? Das spricht nicht gegen Klimaschutz aber gegen totale Kontrolle und das survival of the happiest.

Wie sagten es Adorno und Horkheimer in der „Dialektik der Aufklärung“ 1944/1947:

In der vorwegnehmenden Identifikation der zu Ende gedachten mathematisierten Welt mit der Wahrheit meint Aufklärung vor der Rückkehr des Mythischen sicher zu sein. Sie setzt Denken und Mathematik in eins.

Günther Anders hätte heute einen Band über die Antiquiertheit des Menschen im Facebook-Zeitalter schreiben können. Und man könnte – wie „wir“ es schon in den 1990er Jahren an der Uni Bremen als Studierende taten – den „binären Faschismus“ des digitalen Zeitalters untersuchen und kritisieren. O + 1. Dazu kann man gar Facebook, Smartphones, Laptops, Tablets und PCs etc. benutzen. Das nennt man Dialektik.

Mehr noch: dass gerade Götz Aly anderen Antisemitismus vorwirft ist lustig, wenn man sich anschaut, wie obsessiv er bemüht war in seinen Schriften, das Spezifische des Antisemitismus wie die Sinnlosigkeit der Vernichtung der europäischen Juden zu negieren und ein cui bono zu suchen, sei es Nazi-Bevölkerungspolitik oder der „Neid“ der deutschen Volksgemeinschaft. Als ob deutsche SS-Männer und Polizeibataillone Millionen Juden aus allen Teilen Europas abschlachteten und industriell vernichteten, weil sie neidisch gewesen wären.

Doch Götz Aly kommt aus der „sozialrevolutionären Schule“ des Altmarxisten Karl-Heinz Roth und nach dieser kommt dem Antisemitismus gerade keine spezifische, wenn überhaupt eine Rolle zu. Als Aly 2010 zufällig – aufgrund seiner Leistung kann das kaum passiert sein – Fellow in Yad Vashem war, aufgrund der Attacke des Terrorschiffes Mavi Marmara, das von der israelischen Armee aufgebracht worden war, von einem „israelischen Massaker“ gleichsam faselte, noch bevor klar war, was passiert war im Mittelmeer, war sein Ressentiment gegen Israel offenkundig. Eine Woche später musste er zurückrudern, aber seine spontane antiisraelische Agitation spricht Bände.

Einer wie Götz Aly, der dann auch noch die Kritik an der hetzerischen Springer-Presse 1968 mit der Bücherverbrennung 1933 analogisiert und somit den Nationalsozialismus ein weiteres Mal trivialisiert oder rationalisiert, sollte zurückhaltend sein, Journalisten wie Michael Hanfeld oder der FAZ einen Antisemitismus, wie er auch in Hitlers „Mein Kampf“ zu finden sei, zu unterstellen.

Eine differenzierte Kritik am Kapitalismus 3.0, wie er sich bei Facebook zeigt und zeigen wird, muss möglich sein und ist möglich, ohne in einen reaktionären Antikapitalismus zu verfallen, der geheime Mächte oder Juden hinter allem Bösen vermutet. Hanfeld vermutet doch viel eher, wenn ich mich nicht täusche und wenn man seinen Text liest, sehr spezifische Strukturen, Facebook oder Internetfirmen, deren mathematisches und unternehmerisches, kapitalistisches Apriori Horkheimer und Adorno oder Günther Anders heute womöglich ganz ähnlich analysieren würden wie dieser FAZ-Text. Eine Dialektik der Aufklärung 3.0. Der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube nennt es in einem Offenen Brief an Götz Aly „Ideologiekritik“. Die leisten zu können, davon kann ein Götz Aly nicht mal träumen.

Frankreichs 9/11 und der antisemitische Islamismus

Original auf Ruhrbarone.de am 14.11.2015

Der 13. November 2015 ist der schrecklichste Tag in der jüngeren französischen Geschichte. Bei sechs nahezu gleichzeitigen und koordinierten islamistischen Attacken wurden mindestens 128 Menschen ermordet und 180 verletzt. Zwei Anschlagsziele ragen heraus: Die Selbstmordanschläge vor dem Stade de France in St. Denis während des Fußball-Freundschaftsspieles Frankreich–Deutschland und der berühmte Klub Bataclan.

Das Stadion wurde offenbar nicht nur gewählt, um womöglich eine Massenpanik unter 80.000 Zuschauer/innen auszulösen, sondern auch um die Fußball-Europameisterschaft 2016 vorab zu attackieren. Es ist auch der erste jihadistische Terrorangriff auf die Bundesrepublik.

Das Massaker im Klub Bataclan, wo es die meisten Opfer gibt, hat durchaus einen antisemitischen/antizionistischen Hintergrund.

Dort stürmten vier mit Sprengstoffgürteln und Maschinengewehren bewaffnete Jihadisten den Saal, während die kalifornisch Band „The Eagles of Death Metal“ gerade den Song „Kiss the Devil“ spielte. Vermutlich 83 Menschen wurden bei dem Massaker von den Jihadisten ermordet.

Nun wollen die Jihadisten offenbar ein ganzes Land und eine ganze Welt in Terror versetzen.

Sie hassen selbstbestimmte Frauen, Homosexuelle, Ausgehviertel, Love, Sex und Rock’n’Roll, das sind Kernpunkte des Salafismus, des „legalen“ Islamismus wie des terroristischen Jihadismus.

Das Bataclan ist in Paris eine Institution seit dem 19. Jahrhundert. Doch seit 2007 wurde der Klub gezielt von muslimischen Antisemiten/Antizionisten attackiert, weil es auch israelische Veranstaltungen machte wie z.B. für die israelische Polizeieinheit Magav.

Das berichtete die französische Seite „Le Point“ unmittelbar nach dem jihadistischen Massaker. Die islamistische Gruppe Jaish al-Islam drohte 2011 das Bataclan zu attackieren, weil der Besitzer „jüdisch“ sei, so Le Point.

Im Dezember 2008 gab es dann ein Video von 10 jugendlichen Muslimen, die mit PLO-Tuch verkleidet dem Bataclan ebenfalls drohten, da es u.a. Veranstaltungen für die israelische Polizeieinheit Magav durchführe. Das Bataclan im Visier französischer antisemitischer Islamisten.

Die Band „The Eagles of Death Metal“ wurde von der antisemitischen BDS-Bewegung (derzeit angeführt wird von der EUropäischen Union) bedroht und ging im Sommer 2015 dennoch nach Israel und jetzt wurden die Fans in Paris auch dafür ermordet.

Der Antisemitismus ist der Kernpunkt des Jihad.

Der Verschwörungswahnsinn ist grenzenlos und der Juden- und Israelhass obsessiv.

Und natürlich ist die Türkei, ein Freund des Islamismus im allgemeinen und Unterstützer, so oder so, des ISIS im besonderen, auch mit involviert und somit auch auf ihre Weise die Bundesregierung, die viel zu freundlich mit dem Jihad umspringt (Iran, Türkei, DITIB in Deutschland etc.).

Lange werden wir warten müssen, bis die freundlichen „Experten“ den Antisemitismus als treibende Kraft des Jihad erkennen und bekämpfen. Da ist seit 9/11 so gut wie nichts passiert.

Und die Islamforschung kungelt mit dem Jihad wie gehabt, von den wenigen Ausnahmen, die es immer gibt, abgesehen.

Und man darf gespannt sein, ob auch in Frankreich diese antisemitische Motiviation beim Massaker im Bataclan thematisiert wird. Es zeigt auch wie jugendliche Hetze gegen einen Klub sich zum Massaker ausweiten kann.

Wir leben in der 9/11-Welt. Der Jihad ist die größte Gefahr für die Menschheit im frühen 21. Jahrhundert.

Und wiederum wird der Westen aller Voraussicht nach Versagen im Benennen der spezifisch islamistischen und auch antisemitischen Dimension der Massaker.

Als im November 2008 in Mumbai, Indien, ein ganz ähnlicher jihadistischer Angriff erfolgte, blieb der Aufschrei z.B. meiner deutschen, amerikanischen und (linken) israelischen Kolleginnen und Kollegen an der Yale-University, wo ich damals beschäftigt war, aus.

Sie waren alle noch ganz benebelt von Obamas Wahlsieg Anfang November 2008.

Auf der Gedenkfeier für einen Rabbi, der mit einem Rabbi von Yale befreundet war und in Mumbai massakriert wurde, begleitete mich nur eine weitere israelische Kollegin.

Die Bundesrepublik wird jetzt ein massives Ansteigen der Hetze von Seiten der AfD, Pegidas und wie sie alle heißen, erleben.

Dabei haben diese Organisationen gar nicht kapiert, dass es keine Flüchtlinge sind, die in Paris wie in Mumbai, London oder Madrid und Bali islamistisch mordeten.

Viele Flüchtlinge flohen vielmehr vor dem Terror des Jihad wie in Syrien oder dem Irak. Den Hass auf die westliche Welt, auf Amerika und Israel teilen die AfD und ihre Fans vielmehr, wie sich in Postern etwa des verschwörungsideologischen Magazins „Compact“ auf dem AfD-Aufmarsch in Berlin am 7.11. zeigte.

Ob Europa den Jihad endlich bekämpft ohne selbst völlig rechtsextrem zu werden?

Wann wird Merkel kapieren, dass Erdogan Teil des Problems ist und kein Kumpel?

Wann wird die Bundesregierung endlich verstehen, dass wir weltliche Begleitung von Flüchtlingen brauchen und keine islamistischen Organisationen, die ihre Direktiven aus der Türkei erhalten?

Überall lauern schon die Verharmloser des Jihad, wir werden es erleben.

Frankreich erlebte gestern den traurigsten Tag seiner jüngeren Geschichte. Europa, Obama und der Westen müssen endlich vereint mit allen anderen Kräften auf der Welt den Jihad als die größte Gefahr für den Weltfrieden erkennen, inklusive dem Iran, dessen Krokodilstränen über die Toten an Heuchelei unüberbietbar sind.

Dr. Clemens Heni ist Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA).

Dieser Text erschien zuerst bei den Ruhrbaronen.

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