Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine extrem rechte Partei über 20% der Stimmen in einem Bundesland gewonnen, noch dazu auf Anhieb. Das Wahlergebnis der AfD in Sachsen-Anhalt widerlegt zudem definitiv den Mythos von der „friedlichen Revolution“ 1989. 1989 war der Beginn des deutschnationalen „Erwachens“ eines ganzen Landes, der Nazismus in anderem Gewand bekam ein Revival, in Ost und West. Man schaue nach Mecklenburg-Vorpommern („national befreite Zonen“), nach Brandenburg („Nauen“), Sachsen („Dresden“), Thüringen („NSU“) oder jetzt nach Magdeburg. Die rassistischen Morde der 1990er Jahre, später der NSU und heute nun Pegida und AfD sind direkte Konsequenzen der „Wiedervereinigung“. Das heißt nicht, dass es in der BRD vor 1989 besser war. Globke, Kiesinger, Filbinger, Carstens, Walser (1979), F.J. Strauß, H. Schmidt, Kohl, Schönhuber und Nolte stehen für das Beschweigen, Affirmieren oder Trivialisieren des Holocaust und des Nationalsozialismus.
Das heutige unfassbare Wahlergebnis für die extreme Rechte passt übrigens paradoxerweise zum Erstarken des Islamismus und Jihadismus, den es weltpolitisch ohne 1989 und ohne das Ende der Sowjetunion 1991 so nicht geben würde. Das Kräftegleichgewicht des Kalten Krieges machte auf der weltpolitischen Bühne eine jihadistische Bewegung, wie wir sie seit 9/11 kennen, schwer denkbar. Der Zusammenhang jedoch zwischen Islamismus und Nazismus in der Bundesrepublik ist nun folgender: beide Gruppen werden nicht ernst genommen. Die Mainstream-Islamwissenschaft wie die Mainstream-Medien nimmt jene Muslime, Türken oder Araber in Schutz, ignoriert sie oder behauptet, die würden das so gar nicht meinen, wenn sie Hitler loben und Juden abschlachten (wie auf Facebook 2010 während der Mavi Marmara Affäre angekündigt) und Israel zerstören wollen. Ganz ähnlich ist es mit den Neonazis oder der AfD und ihren WählerInnen. Auch die werden jetzt nicht ernst genommen. Alles nur vertrottelte oder irregeführte Deutsche, die nicht wissen, was sie tun. Wirklich?
Nein, es war keine „Protestwahl“ in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die den Nazis der AfD Millionen von WählerInnen brachte. Bis dato waren die 10,9% der REP in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl 1992 das bester Ergebnis einer extrem rechten Partei in der BRD, gefolgt von den 9,8% der NPD 1968 auch im Ländle, das aber in der CDU von 1966 bis 1978 mit Hans Filbinger ja einen „richtigen“ Nazi als Ministerpräsidenten hatte.
Warum waren die drei Wahlen vom 13.3.2016 keine „Protestwahl“? Sie indizieren die Wahrheit und sind Ausdruck der politischen Kultur und der Ideologie in diesem Land. Was heißt das? Seit Oktober 2014 erlebt dieses Land eine wahnsinnig nationalistische und völkische Hetze durch die Aufmärsche von Pegida in Dresden und in anderen Städten und Gemeinden. Dazu kommt mit der AfD der parlamentarische Arm dieser völkischen Bewegung. Pegida-Führer Lutz Bachmann posierte als Hitler und das hat nur kurzfristig ein kurzes Rumoren verursacht, tendenziell aber die völkische Bewegung gestärkt, wie wir jetzt sehen. Seit September 2015, als die Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenkundigen Alleingang die Grenzen öffnete und Flüchtlingen eine europäische Chance geben wollte, gibt es eine rassistische Hetze mit dutzenden Brandanschlägen, Nazi-Aufmärschen „besorgter“ Bürger und ungezählte Kommentare und Talkshows zu dem Thema „Flüchtlinge“.
Die Medien waren federführend dabei, die AfD salonfähig zu machen, allen voran Günther Jauch, der den Nazi Björn Höcke reden ließ und DAS Symbol dieser völkischen Bewegung an seinen Sessel hängen ließ, die deutsche Fahne. Das mag selbst hardcore Neu-Rechten wie der Jungen Freiheit zuviel und zu peinlich im Duktus gewesen sein, aber beim Wahlvolk kam die deutsch-nationale Ideologie an. Das Symbol ist schwarzrotgold, viel mehr noch als das blau-rot der AfD. Sodann eskalierte die Situation weiter und Politikerinnen der AfD wie Beatrix von Storch meinten, ein Schießbefehl an der Grenze gegen die Flüchtlinge wäre im Zweifelsfall angemessen. Und selbst Torten’attacken‘ auf die AfD wurden von bürgerlichen Medien diskreditiert.
Doch besteht die AfD nur aus einigen wenigen PolitikerInnen, die alle, egal welchen Geschlechts, mehr oder weniger auf den Name „Frauke“ hören? Offensichtlich nicht. Es geht um die Wählerinnen und Wähler, die man endlich ernst nehmen muss. Doch wie zu erwarten war, Rainald Becker von der ARD ist das typischste Beispiel dafür, wird von den WählerInnen gar nicht gesprochen. Deren Rassismus, Hass und Ressentiment werden einfach nicht ernst genommen.
So wie viele Muslime und Araber in ihrem Hass auf den Westen, Juden und Israel häufig nicht ernst genommen werden, da sie entwicklungsgeschichtlich nicht auf dem Niveau von „Kant“ oder „Habermas“ angekommen seien, werden auch Neonazis oder extreme Rechte nicht ernst genommen in dem was sie tun oder wählen. Diese Infantilisierung des Jihad wie des Neonazismus ist sehr weit verbreitet, gerade in Deutschland. Früher nannte man das „akzeptierende Jugendarbeit“, man holte die Neonazis da ab, wo sie standen und brachte ihnen Kuchen mit.
„Protestwahl“ ist das typische Wort, das jetzt wieder alle anführen, ohne einmal zu schauen, wieviel Rassismus, Lust auf den Schießbefehl, stolzdeutscher Nationalismus, Antifeminismus, Homophobie und auch Antisemitismus (Erinnerungsabwehr an die Shoah, Agitation gegen jüdische Rituale wie die Beschneidung) in den AfD-WählerInnen wirklich stecken. Das kann man mit herkömmlicher empirischer Sozialforschung eh nur schwer erforschen. Eine umfassendere Analyse der politischen Kultur und der Ideologie wären da hilfreicher. Aber die ZuschauerInnen wollen Kästchen und Balken und einfache Antworten auf einfache Fragen.
Also hat erwartungsgemäß und doch schockierenderweise kein einziger der mit Mikrofon befragten PolitikerInnen und keine einzige ModeratorIn oder KommentatorIn es fertig gebracht, diejenigen Deutschen als Rassisten (vor allem gegen Flüchtlinge, aber ebenso gegen hier geborene oder/und lebende Migranten und Deutsche deren Eltern irgendwann einmal immigriert waren), Nationalisten, dumpfe Stolzdeutschen, a-soziale Agitatoren, die wieder einen Arbeitsdienst wollen („Bürgerarbeit“ oder „Arbeitspflicht“ statt Hartz 4), Sexisten, die Abtreibung illegalisieren wollen und Homosexualität diffamieren, die Sex und Fortpflanzung koppeln, die von der Erinnerung an den SS-Staat und den Holocaust nichts mehr hören wollen, dafür die armen Deutschen als Opfer präsentieren wie seinerzeit die SED und heute die BILD und weite Teile der Forschung (rot=brauen, Kolonialismus=Shoah etc. etc.), Völkische und Antisemiten zu kennzeichnen, die heute AfD wählten.
Außer schwarzrotgold nix gewesen. Wer von Pegida nicht reden möchte, sollte von der AfD schweigen. Und wer von Jürgen Klinsmann 2006 nicht reden möchte, sollte von Pegida schweigen. Denn 2006 machte das deutsch-nationale Apriori zum Mainstream. Das war der Dammbruch, der das ganze Land überflutete mit dieser widerwärtigen Fahne, hinter der jetzt primär die AfD, andere Nazis und Pegida hinterherlaufen. Bis 2006 war die deutsche Fahne primär Demos und Treffen von REP, „Rechtspopulisten“, der NPD und anderen neonazistischen Gruppen vorbehalten. 2006 machte das Symbol zu DEM Symbol schlechthin, alles sehen sich nunmehr als Deutsche (wenn sie welche sind). Die unerträglichen Massenaufmärsche von Pegida und der AfD wären ohne 2006 undenkbar. 2006 wurde Deutschland normalisiert, was sich seit 1945 anbahnte und seit den 1970er Jahren immer stärker wurde (dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen), kulminierte 2006 im deutschen Fahnenmeer, dabei ging es nur sekundär um Fußball, primär um das Deutsch-Sein, die fröhliche „Volksgemeinschaft“, ein Begriff der jetzt von der AfD aufgegriffen wird. Eine ZDF-Moderatorin sprach 2010 vom „inneren Reichsparteitag“, als sie spontan ihrer deutsch-nationalen „Freude“ ob eines Tores Ausdruck verleihen wollte. Dieses Fahnenmeer und dieses „nationale Apriori“ – auch die allergrößten Fußballdesinteressierten sind jetzt als Deutsche mit im Boot und die anderen sehen Fußball nur noch national und nicht als Sport – sind die Voraussetzung für Pegida, AfD und den stolzdeutschen Rassismus wie die damit immer verbundene Erinnerungsabwehr an den Nationalsozialismus. Ja, viel mehr noch: es wird gar nicht mehr abgewehrt, sondern nachgemacht, wenn man sich die Agitation eines Höcke anschaut, die Goebbels abgeschaut ist.
Was 2006 symbolisch passierte wird jetzt in den Parlamenten vollends praktisch: die Wiedergutwerdung der Deutschen (sicher, de facto ging das mit dem spontanen Singen der Nationalhymne, auch von der SPD, im Bonner Bundestag am 9.11.1989 los).
Nicht einer von denen, die auf allen Kanälen im TV oder Radio zu sehen und hören sind und waren, beschimpft die Deutschen oder bezeichnet sie, die WählerInnen der AfD, als das was sie sind: ganz normale Rassisten, Rechtsextreme, Deutschtümler, Völkische und Antisemiten.
Dieses Land hat ein Potential von über 20% offen neo-nazistisch wählenden BürgerInnen, die Wahlrecht haben.
Wer nach alledem was die AfD von sich gegeben hat die letzten Monate, vom Kokettieren mit Goebbels (Höcke) über den Schießbefehl an der Grenze auf Flüchtlinge (Frauen und Kinder und Männer) hin zum offenen Aufruf die Regierung zu stürzen in einem Putsch, sich dazu entschließt die AfD zu wählen, ist ein widerwärtiger deutscher Rassist, ein Nazi mit normalem Arbeitsvertrag bei Daimler, bei LIDL, dem örtlichen Finanzamt, als Dozent an einer Fachhochschule in Kehl oder einer Uni in Karlsruhe und Mainz. Oder ein Polizist, der Abonnent des verschwörungsmythischen, nationalistischen und antiamerikanischen „Compact“-Magazins ist.
Ganz normale Deutsche also. Und diese Menschen muss man beschimpfen als das was sie sind und nicht so tun, als ob die nicht wüssten, was es heißt AfD zu wählen.
Die wissen das ganz genau, schaut in eure Verwandtschaft, auf eure Nachbarn, den VHS-Dozenten in BWL, die Unternehmensberaterin von Gegenüber oder die Verkäuferin um die Ecke oder den Taxifahrer von vorgestern oder den Pöbler vom Dorfplatz oder der U-Bahn.
Die finden, gewunden oder ganz offen, einen Schießbefehl auf Nicht-Deutsche an der Grenze oder Antideutsche im Innern OK.
Das ist das wirklich neue Deutschland, das dem alten eine Zukunft verspricht.