Clemens Heni

Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Antisemitismus: Selenskyi verharmlost in Holland den Holocaust

Von Dr. phil. Clemens Heni, 05. Mai 2023

Er tut es immer wieder. Der ukrainische Präsident hat zum wiederholten Male den Holocaust verharmlost und die jüdischen Opfer der Shoah mit ganz normalen Kriegstoten analogisiert. Am gestrigen Donnerstag sprach er in Den Haag am Gedenktag für die niederländischen Opfer der Shoah, des Zweiten Weltkriegs und der Soldaten und Soldatinnen, die seither bei „Missionen“ ums Leben kamen. Dabei ertönen immer um 8 Uhr am Abend die Sirenen und das Land gedenkt zwei Minuten. Dass dieses Gedenken in den Niederlanden in der Tat problematisch ist, da es die holländischen Soldaten und Soldatinnen, die seit 1945 ums Leben kamen, inkludiert, steht auf einem anderen Blatt. Im Kern geht es aber um die niederländischen Opfer des Nationalsozialismus, wobei eine offene Frage ist, wie stark im heutigen Holland die Kollaboration mit den Nazis, Holland hatte eine der höchsten Raten an SS-Freiwilligen, Thema ist.

Selenskyi sagte:

“When today, as always on the fourth of May, at eight o’clock in the evening, you will honor the memory of all those whose lives were taken away by wars – World War II and others – please also remember Ukrainians – men and women, adults and children, who would have been alive now but for this aggression. The war we didn’t want, the one we have to make the last. We’ll do it,” Zelensky said in a speech at the Dutch parliament.

In seiner Rede im Parlament betonte also Selenskyi, dass sie in Holland neben den Opfer des Nationalsozialismus auch die ukrainischen Opfer des aktuellen Krieges Russlands in der Ukraine gedenken sollten. Diese Form des sekundären, erinnerungsabwehrenden Antisemitismus, ist typisch für den ukrainischen Präsidenten. Er möchte seine antisemitische Ukraine, die Straßen, Plätze, Briefmarken oder Fußballstadien nach Judenmördern, Antisemiten und Nazi-Kollaborateuren benennt, als Opfer darstellen wie es die Juden oder Holland im Zweiten Weltkrieg waren. So funktioniert der Antisemitismus nach 1945.

Neben dem islamistischen Iran ist aktuell kaum ein Land so antisemitisch wie die Ukraine, nur anders gepolt. Während der Iran Israel vernichten will, trivialisiert Selensyki den Holocaust, der vom Iran geleugnet wird. Selenskyi und die Ukraine haben viele Fans, auch unter Antisemitismusforscher*innen, die den islamistischen Iran ablehnen.

Wer sich jedoch heute Vormittag die Schlagzeilen anschaut, sieht auf Tagesschau.de, ZDF heute, n-tv und allen möglichen anderen Portalen keinerlei Hinweis auf den Antisemitismus von Selenskyi:

 

Seriöse Medien hingegen wie die Times of Israel (TOI) berichten heute bereits in der Überschrift und der Unterüberschrift ziemlich konsterniert von der Holocaustverharmlosung Selensykis:

Die Tagesschau bringt eine ausführlichen Bericht des gestrigen Besuchs von Selenskyi und schreibt:

Angesichts der russischen Invasion forderte Selenskyj eine „groß angelegte“ juristische Aufarbeitung. Als Vorbild eines Tribunals nannte er die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg. „Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen“, so der ukrainische Präsident.

Den Antisemitismus in dieser Analogisierung der Nürnberger Prozesse, der Shoah und dem Krieg in der Ukraine, erkennt die Tagesschau nicht nur nicht, sondern sie reproduziert ihn mit dieser kritiklosen, völlig affirmativen Darstellung.

Wäre die Tagesschau ein seriöses Medium, würde sie schreiben:

„Ukrainischer Präsident verharmlost den Holocaust gleich doppelt: er trivialisiert die Nürnberger Prozesse gegen die Deutschen und er setzt die Opfer des Holocaust in Holland auf eine Stufe mit den Kriegsopfern des Ukrainekriegs, der kein Vernichtungskrieg ist“

Doch natürlich ist die Tagesschau Äonen entfernt von einer solchen realitätsgetreuen Berichterstattung.

Dabei könnte sie ja auch betonen, dass beide Seiten – die Ukraine wie Russland – antisemitisch sind, der russische Außenminister Lawrow hatte Hitler „jüdisches Blut“ angedichtet, der auch von Ex-Kanzlerin Merkel und weiten Teilen des deutschen Kulturestablishments geliebte Komponist und Antisemit Richard Wagner ist Namensgeber für die brutale paramilitärische, private Wagner-Gruppe, die auf der Seite Russlands in der Ukraine kämpft.

Ganz anders als die Tagesschau hingegen die Times of Israel, die einen ehemaligen Vorsitzenden des ‚Zentralrats‘ der Juden in den Niederlanden zitiert, der diese Analogie von holländischen Holoaust- und Kriegsopfern und der heutigen Ukraine unerträglich findet:

Ronny Naftaniel, a former chair of the Central Jewish Board of the Netherlands, reacted to the visit on Twitter, writing that whereas Zelensky “is welcome in the Netherlands also on May 4” and is “fighting for the freedom of his country, the war in Ukraine should not be confused with the memorial day. Leave the wreath laying and the 2 minutes of silence out of it.”

Die Times of Israel zitiert auch Stimmen aus Holland wie von Linken und anderen, die den Antisemitismus goutieren und kein Problem damit haben, geschichtsblind sind. Doch der entscheidende Unterschied zu deutschen Medien wie der Tagesschau liegt darin, dass die Times of Israel betont, warum die Ukraine eine antisemitische Gedenkpolitik betreibt:

But some of the critics noted the fact that in modern-day Ukraine, including under Zelensky, streets and monuments are being named for Nazi collaborators, whom many Ukrainians view as patriots because they fought the Red Army.

“It’s a straightforward provocation to host on May 4 the Ukrainian president under whose leadership Stepan Bandera was promoted to a national hero,” economist Gerrit Zeilemaker wrote on Twitter, in reference to the leader of a rebel militia that fought alongside Nazi soldiers.

During World War II, Bandera led the Ukrainian Insurgent Army, whose men killed thousands of Jews and Poles, including women and children, while fighting alongside Nazi Germany against the Red Army and communists. Bandera’s supporters claim that they sided with the Nazis against the Soviet army in the belief that Adolf Hitler would grant independence to Ukraine.

Dazu kommt: schon vor einem Jahr bei seiner Rede an die Knesset via Video hatte Selenskyi antisemitisch agitiert. Er verglich bekanntlich den Beginn des Kriegs Russlands am 24. Februar 2022 mit der Gründung der NSDAP am 24.2.1920. Damit setzte er den Antisemitismus Hitlers und der NSDAP mit Putin und dem Krieg in der Ukraine auf eine Stufe. Und exakt so funktioniert heute Antisemitismus. Selenskyi ist ein typischer sekundärer, erinnerungsabwehrender Antisemit. Er feiert Nazi-Kollaborateure in der Ukraine, hat einen stellvertretenden Außenminister Melnyk, der den Judenhasser und Nazi-Kollaborateur Bandera mit Blumen auf dessen Grab in München würdigte.

Selenskyi verharmlost den Holocaust auf widerwärtige Weise, indem er von der Kollaboration seiner Ukraine schweigt, aber Putin mit Hitler analogisiert und damit einen antiliberalen Autokraten mit dem mörderischten Antisemiten der Weltgeschichte gleichsetzt.

Als Selenskyi in seiner Rede an die Knesset im März 2022 die NSDAP und Hitler mit Putin und dem Ukraine-Krieg gleichsetzte, wurde ihm vom Knessetabgeordneten Yuval Steinitz (Likud) vorgeworfen, dass dies „an Holocaustleugnung grenze“.

Antisemitismus, Boris Palmer, Susanne Schröter und das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), 30. April 2023

Der Vater von Boris Palmer war ein vorbestrafter Schwätzer und sekundärer Antisemit, einer der die Erinnerung an den Holocaust auf widerwärtige Weise in den Dreck zog. Helmut Palmer, laut Presseberichten Vater von fünf Kindern von drei Frauen, wobei mindestens eine Tochter vor Jahrzehnten mit ihrem Vater gebrochen hat, warf dem damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth vor, einen Holocaust gegen Helmut Palmer durchzuführen:

Screenshot, http://wirtemberg.de/palmer-helmut-2.htm (30.04.2023)

Über den erinnerungsabwehrenden Antisemitismus von Boris Palmer habe ich schon vor vielen Jahren geschrieben, unter anderem am 26. Juli 2009. 2009 bekam die Israelfeindin und Islamismusfreundin Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz, Tübingens OB Palmer unterstützte die hohe Würdigung der jüdischen, aber antizionistisch-antisemitischen Aktivistin. Der Holocaustüberlebende und damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg Arno Hamburger gab sein Bundesverdienstkreuz aufgrund der Würdigung Langers zurück. Das Bundespräsidialamt reagierte erst viele Wochen später auf die bundesweite und internationale scharfe Kritik:

Auch die Staatskanzlei Baden-Württemberg will sich weder zur verzögerten Antwort noch zu der Auszeichnung Langers und die darum entstandene Diskussion äußern. Dort hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) auf Anregung der Antizionistin Evelyn Hecht-Galinski Frau Langer für die Ehrung vorgeschlagen. Damals hieß es in einer Erklärung der baden-württembergischen Staatskanzlei, die Auszeichnung würdige Langers »humanitäre Verdienste unabhängig von politischer, weltanschaulicher oder religiöser Motivation«. Das kann Stephan J. Kramer nicht nachvollziehen: »Offensichtlich reicht die Tatsache, jüdische Israelhasserin zu sein, heute allein schon aus, um die hohe Auszeichnung der Bundesrepublik zu erhalten.« Kurz nach der Verleihung kam auch Kritik vom israelischen Außenministerium. Dessen Sprecher Yigal Palmor sagte, Langer habe über Jahre immer wieder Kräfte unterstützt, die Gewalt, Tod und Extremismus befürworten.

Schon 2004 war die Tendenz zur Israelfeindschaft bei Boris Palmer unübersehbar, als er Holocaustüberlebenden in Tübingen, die sich für Israel und wehrhafte Juden einsetzten, wilhelminisch-kolonialistisches Denken unterstellte. Dazu schrieb ich am 16. August 2009:

Schließlich betont Arnold Marque, ehemaliger Tübinger Jude aus Kalifornien, in einer Widerrede die Wehrhaftigkeit der Juden zumal im Staat Israel. Das kann ein junger Politiker wie Boris Palmer, 2004 Landtagsabgeordneter der Grünen im Baden-Württembergischen Landtag in Stuttgart, nicht ertragen. „Frechdeutsch“, wie mir kürzlich ein neuer Bekannter schrieb, pöbelte der Grüne antisemitisch drauf los.

In einer bemerkenswerten Replik, einem Leserbrief im Schwäbischen Tagblatt, meldete sich damals der bis vor kurzem aktive FDP-Stadtrat Dr. Kurt Sütterlin zu Wort:

„Nicht hinzunehmen ist die berichtete Reaktion Boris Palmers auf die Antwortrede von Arnold Marque, dem er vorwirft, Begriffe aus dem Kaiserreich und der Nazizeit verwendet zu haben. Man mag dies als bloße Ungezogenheit einordnen. Da sich Herr Palmer aber als politischer Profi versteht, muss mehr dahinter stecken. Herr Marque hat im Film [es gibt einen Film über die ehemaligen Tübinger Juden, C.H.] und auch bei seinen Äußerungen in sachlich unaufdringlicher Weise sein Schicksal und das der anderen jüdischen Gäste beschrieben. Er hat in Wort und Tat die Hand ausgestreckt zu den Menschen einer Stadt, aus der er in seiner Jugend, um das Leben zu retten, fliehen musste, dessen Vater kurz vor der Verhaftung durch die Gestapo Selbstmord beging. Herr Marque hat in seiner kurzen Rede im Rathaus keineswegs den Palästina-Konflikt diskutiert, sondern aus der Geschichte den Auftrag an die Juden abgeleitet, nie mehr wehrlos zu sein. Es tut mir außerordentlich Leid, dass sich eine Persönlichkeit wie Arnold Marque in Tübingen einer solchen Anmaßung ausgesetzt sieht vor einem Abgeordneten, der wohl auch bei dieser Gelegenheit nichts anderes im Kopf hat, als gängige Vorurteile zu bedienen.“ (erschienen im Tagblatt, 14.05.2004)

Am Freitag, den 28. April 2023 gab es nun in Frankfurt am Main an der Goethe-Universität eine schon im Vorfeld heftig kritisierte Veranstaltung um die Ethnologie-Professorin Susanne Schröter. Der Titel der Veranstaltung „Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen und Konzepte von Einwanderungspolitiken“ hat in der Tat einen typisch rechten Einschlag.

 

Screenshot, https://aktuelles.uni-frankfurt.de/event/migration-steuern-pluralitaet-gestalten-herausforderungen-und-konzepte-von-einwanderungspolitiken/

Migration steuern wird ja meist mit Migration begrenzen interpretiert, was angesichts Tausender Toter im Mittelmeer zynisch ist. Es kann auch bedeuten, Flüchtlinge besser zu unterstützen, aber die Begrifflichkeit ist jedenfalls nicht eindeutig.

Susanne Schröter ist zwar eine Kritikerin des Islamismus, aber vor allem vertritt sie eine anti-linke Agenda, wie ihr neues Buch „Global gescheitert“ zeigt:

 

In diesem Buch schreibt Schröter, wie man in der Leseprobe des Verlags online sehen kann, vom Märchen des ach-so-freien Westens, der ungeheuerlich wundervollen Errungenschaften des Kapitalismus (Stichwort: Klimakatastrophe!) und den armen Weißen, die gerade in Deutschland von besonders perfidem Rassismus betroffen sind:

 

Schröters Buch hat schon vier Auflagen erreicht, was ihre Beliebtheit indiziert. Noch beliebter ist der von den Tübinger*innen im Oktober 2022 zum wiederholten Male wiedergewählte Oberbürgermeister Boris Palmer. Sie haben ihn nicht nur wegen seiner wiederholten neu-rechten Ideologien, seiner Hofierung der Israelfeindin Felicia Langer, sondern auch wegen seiner totalitären Fantasie von Dezember 2021, Ungeimpfte doch am besten in „Beugehaft“ zu nehmen, wiedergewählt. Bei der Beugehaft für nicht gegen SARS-CoV-2 Gentherapierte dürfte Palmer viele Schenkelklopfer bei der Antifa bekommen haben.

Screenshot, https://www.welt.de/politik/deutschland/article235810706/Boris-Palmer-will-Beugehaft-fuer-Impfverweigerer.html

Die Gewaltandrohung durch die Antifa – beziehungsweise jenen, die meinen, sie seien Antifas, doch realiter sind sie gewaltbereite, autoritäre, biopolitische, irrationale Pharma- und Gentechnik-Vertreter*innen – war schon im Mai 2020, bevor es überhaupt Impfstoffe gegen Corona bzw. SARS-CoV-2 gab, unübersehbar:

Screenshot, https://twitter.com/msulzbacher/status/1263112603007627265

Die Konferenz von Schröter an der Universität Frankfurt wurde im Vorfeld gerade wegen der Personalie Boris Palmer kritisiert. So hat der SPD-Politiker Jan Pasternack die Konferenz wegen der Teilnahme von rechtslastigen Referent*innen kritisiert und dabei auch die Veranstaltungen von Schröters Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam der letzten Jahre in den Blick genommen:

Dabei ist die Kritik am Islamismus, am Kopftuch, Antifeminismus, Antisemitismus, Israelhass, am Erdogan-Cult, Clandenken und -handeln von hoher Bedeutung. Das wird der SPD-Politiker Pasternack sicher gar nicht bestreiten. Aber er hat völlig Recht, dass eine Konferenz, die Boris Palmer einlädt, nicht Aufklärung, sondern das Pöbeln wie in Talkshows im Sinn hat.

Und so ist ein Bericht in der Zeitschrift Emma vom 26. April 2023 höchst aufschlussreich – weil er nämlich von der Emma selbst wieder gelöscht wurde, weil er doch viel zu peinlich ist. In dem Artikel, den man über die Wayback Machine locker finden kann, heißt es:

Jan Pasternack, Mitglied im Landesvorstand der SPD Hessen, fuhr schwere Geschütze auf: Das Panel sei einseitig besetzt, die ReferentInnen seien bekannt für „rechte Positionen“, behauptete der 36-jährige Politikwissenschaftler und Fachbereichsleiter für „Sozialen Zusammenhalt“ an der Frankfurter Volkshochschule. (…) Insbesondere die Einladung von Boris Palmer erklärte Pasternack zum No-Go: „Boris Palmer ist objektiv nicht qualifiziert, sich zu diesem Thema fachlich zu äußern.“

Warum wohl hat die Emma den Artikel nach wenigen Tagen wieder gelöscht? Weil sich mal wieder zeigt, was für ein Typ Boris Palmer ist. Man konnte das im Vorfeld wissen, wenn man sich mit ihm beschäftigt. Doch diese Vorrecherche hat Susanne Schröter offenkundig nicht gemacht, sie hat Palmer absichtlich eingeladen. Im Gespräch mit der Emma sagte sie im jetzt gelöschten Artikel:

Susanne Schröter selbst scheint bei derlei Angriffen inzwischen eine gewisse Routine entwickelt zu haben. „Das war wieder einmal der Versuch, eine Debatte zu verhindern“, sagt die Ethnologin im Gespräch mit EMMA. Aber das sei „auch diesmal wieder überhaupt nicht durchgegangen.“ Das Ganze habe gezeigt: „Alles, was nicht der Meinung woker Akteure entspricht, als Rassismus zu diskreditieren, ist eine Verirrung – und am Ende kontraproduktiv für sie.

„Antirassisten schießen Eigentore“ heißt der Emma-Artikel – selten so gelacht! Wer sich hier nicht nur ein, sondern gleich viele Eigentore geschossen hat, ist Susanne Schröter.

 

Die anti-woke Schröter ist auch eine der Initiatorinnen des neu-rechten ThinkTanks R21 – Denkfabrik für neue bürgerliche Politik um die CDU-Politikerin und Ex-Bundesministerin Kristina Schröder, dem CDU-Vordenker Andreas Rödder sowie Harald Mosler. Auch die Referent*innen bei der Frankfurter Tagung letzten Freitag Ahmad Mansour (als Initiator) und Sandra Kostner (im Beirat) sind bei R21 ganz vorne mit dabei.

Als Boris Palmer am Freitag, den 28. April 2023 in Frankfurt am Main an der Goethe-Universität ankommt, wird er von linken Kritiker*innen des ASta und anderen ‚begrüßt‘. Er verwendet die rassistische Terminologie und das N-Wort. Dann skandieren die Kritiker*innen „Nazis raus“, wo Palmer selbst mit einstimmt, wie man in einem Video sehen kann. Und schließlich vergleicht sich Palmer mit den Juden im Holocaust, denn die Kritik an ihm oder Slogans wie „Nazis raus“ erinnerten ihn an den „Judenstern“. Dass er wegen seiner Verwendung des Wortes „Neger“ kritisiert werde und als „Nazi“ bezeichnet, das „ist nichts anderes als der Judenstern“, so die antisemitische Reaktion des beliebten Tübinger OBs.

 

Das ist sekundärer Antisemitismus, eine Erinnerungsabwehr und eine Täter-Opfer Umkehrung. Der neu-rechte Pöbler macht sich zum Opfer.

Danach ging Palmer in das Gebäude. Viele Stunden dürfte auf Twitter dieser Skandal bereits Thema gewesen sein, aber Palmer durfte am Abend dann doch auftreten, laut Programm gegen 18:00 Uhr. Dass Palmer überhaupt als Redner eingeladen wurde ist bezeichnend genug für die politische Ausrichtung von Susanne Schröter. Dass er nach der antisemitischen und rassistischen Äußerung gegenüber Studierenden viele Stunden später dennoch reden durfte, ist ein unentschuldbarer Skandal – aber Sinnbild für das, wofür offenkundig die Universitätsstadt Tübingen steht.

Ziemlich exakt so wie sich sein Vater zum Opfer eines Holocaust unter dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth imaginierte.

Die Krokodilstränen, die Susanne Schröter jetzt weint, die kann sie sich sparen. Denn dass so etwas passieren würde, war völlig klar. Wer Palmer einlädt, bekommt Palmer. Da ist nichts Überraschendes dabei.

2019 publizierte das American Jewish Committee eine Broschüre von Susanne Schröter zur Kritik des Islamischen Zentrums Hamburg, ein sehr wichtiges Thema. Das Vorwort schrieb Dr. Remko Leemhuis, Direktor des AJC in Deutschland. Was aber sagt das AJC zu den rechten Gesprächspartnern, zur anti-woken Ideologie der CDU, von R21, Susanne Schröter und ihrer Tagung letzten Freitag? Das Problem ist seit vielen Jahren, dass die Linke es verpasst, die riesige Gefahr von Parallelgesellschaften, Patriarchat, Antisemitismus, Israelhass, Holocaustleugnung und Holocaustverharmlosung durch postkoloniale Ideologie und ihre Akteure, durch den ‚legalen Islamismus‘ wie durch säkulare NS-Verharmloser zu erkennen.

Die Kritik am Antisemitismus, Kopftuch und Islamismus, die wird links sein – oder sie wird nicht sein!

Am 10. Mai 2023 soll Boris Palmer schon wieder auf einer Veranstaltung auftreten, diesmal bei der Geschichtswerkstatt Tübingen:

Mit Boris Palmer über die „bedrohte Demokratie“ zu reden, ist vielleicht auch einfach nur ein verspäteter Aprilscherz der Tübinger Historiker*innen. Die Universität Tübingen ist Mit-Veranstalterin. Mit diesem Boris Palmer eine Veranstaltung machen? Ernsthaft? Von Leuten, die sich gegen Antisemitismus einsetzen? Mit einem, der Beugehaft für Nicht-Geimpfte vorschlug, vor Jahren eine führende Anti-Israel-Aktivistin aus Tübingen für das Bundesverdienstkreuz vorschlug, das „N-Wort“ verwendet und von „Judenstern“ faselt, wenn er von Linken kritisiert wird?

Und zum Schluss doch noch was Versöhnliches, denn wir alle wollen doch Versöhnung:

Warum reden Boris Palmer, die Antifa und die organisierten Linke nicht über Corona, die Möglichkeit von „Beugehaft“ und „Wir impfen euch alle!“ ?

Das könnte doch zeigen, dass die Schnittmenge gar nicht so klein ist unter der sehr großen Religionsgemeinschaft der Zeugen Coronas. Die Maskenfetischistin Katja Thorwarth könnte die Moderation übernehmen…

 

Pandemic Turn – Antisemitismusforschung und Corona

Seit dem 29. April 2023 lieferbar:

 

Clemens Heni

Pandemic Turn

Antisemitismusforschung und Corona

ISBN 978-3-946193-39-5 | 17 x 24 cm | Hardcover mit Schutzumschlag | Lesebändchen | xxxvi + 638 Seiten | 38€ | 202 Abbildungen | Personen- und Sachindex The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Antisemitismus, Band 8 |  

Leseprobe Heni Pandemic Turn 2023  

 

Hat Christian Petzold vergessen, wie sehr er die Corona-Maßnahmen liebte? Der Film „Roter Himmel“ und die Utopie zwangfreien Lebens im Sommer

Von Dr. phil. Clemens Heni, 22. April 2023

Der Film „Roter Himmel“ spielt im mecklenburgischen Wald und an der Ostsee. Also dort, wo Berliner*innen für ein Wochenende mal hinfahren, ein Buch fertig schreiben, schwimmen gehen, Ruhe haben vom Großstadtgewimmel. Der Protagonist der filmischen „Berliner Schule“ Christian Petzold (Jg. 1960) ist Drehbuchautor und Regisseur des Films. Man könnte fast meinen, es ginge um das unbeschwerte Leben von fünf Freund*innen, vier Männer und eine Frau, die einfach so in den Tag hineinleben, eine ganz kurze Zeit im Sommer 2022. Das, was sich Linke als gemeinschaftliches Leben jenseits der affirmativ-spießigen Klein- oder der noch katastrophaleren Großfamilie so erträumen. Nachts mit fluoreszierenden Badminton-Schlägern spielen und einen Rettungsschwimmer als Kumpel oder Liebhaber zu haben, der bisexuell ist. Regisseur und Drehbuchautor Petzold insinuiert sogar, dass sein Film etwas mit einer Distanz zu den Zeugen Coronas zu tun habe. In einem Interview, das er zusammen mit einer seiner aktuellen Lieblingsschauspielerinnen und einzigen weiblichen Person im Roten Himmel Paula Beer mit dem Tagesspiegel und Christiane Peitz führte, sagt Petzold im Februar 2023:

 

Es gibt eine Vorgeschichte dazu. Paula und ich waren mit „Undine“ in Paris. Es war der 15. März 2020, wir saßen im Restaurant, plötzlich wurde die Musik leise und der Fernseher laut gestellt, weil Macron den ersten Lockdown ankündigte und sagte „Wir sind im Krieg“. Wir haben uns dann beide mit Corona infiziert. Als das Schlimmste vorbei war, trafen wir uns am Kreuzberger Engelbecken zum Boule spielen, Matthias Brandt war auch dabei. Wir spielten sechs Minuten, dann kam die Polizei. Der öffentliche Raum, der Park, das Spielen, das Spaßhaben, plötzlich war alles verboten. Das war der Anfang dieses Films, meine Wut darüber, dass alles, was Jugend, Verschwendung und Sommer ist, von der Politik immer weiter eingeschränkt wird: das Leben ohne Eltern, ohne Lehrer.

Der Familienvater Petzold als ein Anhänger eines Lebens „ohne Eltern, ohne Lehrer“? Man könnte sogar fast meinen, er hätte die Corona-„Maßnahmen“ für brutal, irrational und autoritär empfunden, zuviel Eltern (Mutti Merkel) und Lehrer (Podcast-Drosten). Doch das exakte Gegenteil ist der Fall. Man könnte ihn ebenso fast für einen Kritiker der brutalen, typischen Berliner Polizei empfinden. Doch nichts wäre falscher als das!

Der Norddeutsche Rundfunk greift diesen Mythos auf und behauptet, die restriktiven Coronamaßnahmen hätten Petzold zu dem Film Roter Himmel animiert.

Petzold war und ist ein ganz typischer Vertreter der kulturellen Elite in Deutschland, ein Zeuge Coronas, er glaubte einfach, was an Irrationalismus und Unwissenschaftlichkeit vom NDR verbreitet wurde:

In Berlin wurden wir krank. Dann hatte ich Angst. Wenn der Drosten und der NDR nicht gewesen wären. Wir wussten nicht, was aus uns wird.

Christian Petzold war ein Riesenfan der Maßnahmen, vor allem der besonders brutalen gleich zu Beginn in Italien, wie er in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt und Hanns-Georg Rodek im September 2020 im Brustton religiöser Überzeugung und fußballerischer Begeisterung von sich gibt:

Petzold: Um auf eine Fußballmetapher zurückzugreifen: Das, was die Italiener hier mit dem Virus anstellen, ist ein Catenaccio. Das Virus kommt mit seinen Angriffen nicht durch. Auch Timo Werner würde hier nicht einmal an die Strafraumnähe kommen. Es ist überlegt, durchorganisiert und sehr beeindruckend.

WELT: Ich finde es auch erstaunlich, wie sich alle Besucher – das sind vor allem Italiener – an die strengen Maskenregeln halten. Im Gegensatz zu den Nörglern in Deutschland.

Petzold: Vielleicht sitzt hier der Schock der brutalen Pandemie mit ihren vielen Toten viel tiefer. Diese „brutalen“ Maßnahmen, über die sich die Demonstranten in Deutschland beklagen, sind völlig lächerlich, wenn man sie mit den hiesigen vergleicht.

Das vollkommen absurde italienische Lockdown-Theater, das auf absichtlich falsch interpretierten Bildern aus Bergamo basierte und die totalitäre chinesische Coronapolitik auf Europa und den Westen übertrug, begeistert Petzold geradezu. In einer dümmlichen Analogie, die sich der totalitären Sprechweise von „Team Vorsicht“ versus „Team Freiheit“ mit der Übertragung des Catenaccio auf die Coronapolitik anschmiegt, zeigt Petzold, dass er außer Mainstreammedien und irrationalen Nachrichten nichts konsumiert, bis auf 1500 Filme auf DVD. Catenaccio ist zudem der grotesk falsche Terminus, da die Coronapolitik Italiens nicht „defensiv“ war, sondern extrem aggressiv und offensiv, Menschen wurden offensiv daran gehindert, sich ohne Maske oder überhaupt außerhalb der eigenen vier Wände zu bewegen. Die mörderische Lockdownpolitik war offensiv, nicht defensiv.

Dass Italien allein in den Jahren 2020 und 2021 laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als doppelt so viele Übersterblichkeits-Tote zu verzeichnen hatte wie das Anti-Lockdown- und Anti-Maskenland Schweden, das steht da nicht, er hat das bis Februar 2023 nicht mitbekommen, wie irrational die italienische, deutsche und sonstige Coronapolitik war.

Auch von der Tageszeitung Die Welt werden Kritiker*innen der irrationalen Coronapolitik als „Nörgler“ dumm geredet. Dass die WHO das World Food Programme (WFP) der Vereinten Nationen schon im April 2020 bis zu 135 Millionen Extra Hungernde im Globalen Süden befürchtete, die es nur wegen der Lockdownpolitik wie von Italien oder Deutschland geben könnte, das steht hier nicht und das ist der kulturellen Film-Elite, um die es hier geht, auch völlig egal. Was sind schon 135 oder 270 Millionen extra Hungernde verglichen mit einem fiebrigen Superklasse Regisseur aus Deutschland, der Covid-19 hatte und deshalb fantasierte, dass SARS-CoV-2 besonders gefährlich sei? Der wegen seinem Fieber aufhörte, klar zu denken?

Klimawandel und brennende Wälder in Ostdeutschland im Sommer 2022, das ist eine Katastrophe, ja. Sie ist unausgesprochen Thema des zu dieser Zeit an der Ostsee gedrehten Films. Aber die später auf bis zu 270 Millionen erhöhte Zahl der extra Hungernden im Globalen Süden, die aufgrund der Coronapolitik Italiens oder Deutschlands von den UN und dem World Food Programme befürchtet wurden, die sind völlig jenseits des Blickwinkels. Von den psychisch Zerstörten in der BRD ganz zu schweigen. Da ist nicht der Hauch von Reflexion beim autoritären Christian Petzold. Nicht der Hauch von Selbstreflexion!

Warum hat es Christian Petzold, ein Sternchen der deutschen Filmindustrie, nötig, im Februar 2023 zur Berlinale-Zeit so zu tun, als ob er die Coronamaßnahmen kritisch gesehen hätte? Wenn er doch wie alle, wirklich nahezu alle seiner Kumpels und Fans (bis auf Dietrich Brüggemann und die Stars von #allesdichtmachen z.B., 2013 schrieb Brüggemann gegen die „Berliner Schule“ des Films: „Statt­dessen sieht man an den Film­hoch­schulen und in den Nach­wuchs­sek­tionen der Festivals hunderte von Lang­wei­lern, die gern Christian Petzold wären.“) nachweislich ein obsessiver Anhänger dieser Maßnahmen wie der Maskenpflicht in Italien war, wo sie auch im Freien galt, was virologisch und epidemiologisch besonders schwachsinnig war? Warum hat er es nötig, sich seine Geschichte zurecht zu schreiben?

Warum spricht Petzold von dem „Leben ohne Eltern und Lehrer“, wenn er doch besonders brutale Eltern und Lehrer im Jahr 2020 fantastisch fand, wie jene ‚Abwehrspieler‘ in Italien, die jeden ohne Maske mit einer Blutgrätsche lebensgefährlich verletzten? Warum hat er das nötig? Glaubt er ernsthaft, sein Interview mit der Welt vom September 2020 sei im Netz nicht mehr zu finden?

Ich habe die ganzen Würstchen auch am Engelbecken in Kreuzberg im Frühjahr 2020 und später gesehen, die mit Maske im Freien herumliefen und dachten, sie seien die Retter der Nation – dabei indizierten sie nur, wie unglaublich dumm, autoritär, gehorsamsversessen und ausgrenzend sie waren. Ohne Maske im Freien bei Kuchen Kaiser am Oranienplatz, aber ohne Maske dann aufs Clo reingehen? Undenkbar. Alle machten mit. Alle.

Wenn im Film Roter Himmel der Verleger des Schriftstellers Leon dessen zweiten Roman (der erste war wohl vor Jahren erschienen und nicht schlecht) stellenweise vorliest, wird es paradox: Denn gerade der Verleger, der hier wie ein Lektor arbeitet, macht eine Passage lächerlich, die ganz cool ist. Es geht um eine Frau, die der Ich-Erzähler Jahre nicht gesehen hatte und nicht wusste, dass jetzt aus ihrer Busen- eine Milchbar geworden war. Die ganze Wohnung stinkt  nach „Kinderkacke“. Doch diese Passage wird vom Verleger nur als Beispiel dafür zitiert, wie schlecht das Buch sei.

Dabei hatte doch Nadja, die in ihrer Film-Rolle – im Gegensatz zu mir im echten Leben – nicht das Glück hatte, Promotionsstipendiatin der Hans Böckler Stiftung aus Düsseldorf zu werden, den Roman bereits als „Bullshit“ abqualifiziert, sie die Literaturwissenschaftlerin, nach deren Profession Leon sich trottelhafter Weise als im Kokon eingesponnener Autor nie erkundigt hatte. Er wollte das wohl gar nicht wissen, wer oder was sie beruflich ist, da er sich von Anfang an in die etwas hagere, lebenslustige Frau im roten Kleid verliebt hatte. Sie fährt Fahrrad und verkauft in der Saison Eis als Jobberin eines Hotel-Restaurants am Ostseestrand. Dass sie so dünn ist, obwohl sie gerne Gulasch, das übrig blieb in der Restaurant-Küche, mitnimmt und gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen kocht, passt nicht so ganz. Dafür ist der Rettungsschwimmer doch nicht ganz so einfach oder geistig ignorant, wie man das vermuten würde bei so einer Profession, die im Gegensatz zum Eisverkaufen sogar eine Ausbildung verlangt.

Felix arbeitet an seiner „Mappe“ für die „UdK“ – Universität der Künste in Berlin-Charlottenburg, gegenüber vom Steinplatz. Er möchte Menschen fotografieren, die aufs Meer blicken. Zuerst von hinten und dann frontal von vorne – der Verleger meint, dazu müsse dann noch der Blick aufs Meer selbst kommen. Dieses wiederum kommt als türkis-grün glänzendes am Ende vor, nachdem Rettungsschwimmer Devid und Felix in den Flammen des Waldbrandes beim Versuch, das liegen gebliebene Auto, mit dem Felix und Leon in die Pampa gefahren waren, ohne zu ahnen, dass das Haus mit Nadja bereits eine Teilzeitbewohnerin hat, mit einem Traktor abschleppen wollten, umkamen.

Die Blicke von Nadja werden vom Kameramann gut eingefangen und somit bewahrt. Dass es angesichts der Klimakatastrophe die Waldbrände tatsächlich im Sommer 2022 im Osten gab, das hätte durchaus politisch und explizit Thema sein können, wenn nicht vom in sich verschlossenen Leon, so doch von Nadja oder den anderen. Das ist zu gewollt unpolitisch. Die Musik, die allerdings keine tragende Rolle spielt, erinnert etwas an „Into the Wilderness“ von Burning Hearts, bisschen Pop, bisschen seicht, das Gegenteil von Heavy Metal. Man fühlt sich im Kino fast ertappt, nach den Stechmücken zu schlagen, die mehrmals laut im Film vorkommen, aber keine Spuren bei Leon hinterlassen, was man auch als Schleichwerbung für das Mückenspray werten könnte, das er verwendet.

Roter Himmel ist ein ruhiger Film. Er möchte genau die Sehnsucht nach zwanglosem Lieben – gerade unter Freunden, nicht als Paar oder in Bezug auf Familie –, in den Blick rücken, die doch durch die von Petzold so gefeierten Blutgrätschen-Corona-Maßnahmen in Italien für unabsehbare Zeit zerstört wurde. Sie wurde auch deshalb zerstört, weil ohne eine Aufarbeitung, ohne ein Sich-ganz-grundsätzlich-Entschuldigen für ihren Irrationalismus, solche Maßnahmen jederzeit wiederkommen werden.

Eine Kernfrage bleibt: merkt Christian Petzold gar nicht, dass es vollkommen inkonsistent ist, dass er 2020 die brutale Coronapolitik in Italien feierte, aber jetzt so tut, als ob ihm zur fast gleichen Zeit eine Bullenkontrolle in Berlin-Kreuzberg dermaßen aufregte, dass er diesen Film machen wollte? Merkt er es nicht, verdrängt er es oder verwischt er absichtlich Spuren, was er als Tatort-Drehbuchschreiber ja professionell kann?

Petzold ist ein ganz typisches Beispiel, wie jetzt Leute anfangen so zu tun (vornweg Klabauterbach), als ob sie schon immer für Anarchie, Liebe und Freiheit gewesen wären und die Corona-Maßnahmen wenn nicht komplett, so doch in vielen Einzelaspekten schlimm fanden. Nein, fast alle in der kulturellen, politischen oder sonstigen Elite fanden die Maßnahmen super, mit Ausnahme der Kampagne #allesdichtmachen und einigen wenigen weiteren auch wissenschaftlichen Kritiker*innen. Und das Fußvolk war ebenso Täter und Täterin.

Wenn Petzold 2020 wie besessen die Drosten Podcasts anhörte und dafür noch 2023 dankbar ist, zeigt das, wie wenig selbstreflexiv er denken kann oder will. Denn gerade diese Podcasts machten Drosten zu einem „Menschenführer“, zu einem unwissenschaftlichen Großagitator. Auf diese sprachwissenschaftliche Kritik von Robert Niemann an Drosten beziehe ich mich in meinem neuen Buch Pandemic Turn, das nächste Woche erscheinen wird (Schleichwerbung!).

Petzold verwechselt seine persönliche Erfahrung mit Wissenschaft und lamentiert:

Es war eine sehr scheußliche Erfahrung, muss ich sagen. Deswegen – alle, die das herunterspielen, es sei ja wie Grippe: Das ist nicht richtig. Das waren zweieinhalb Wochen Fieber im Bett, ziemlich hart.

Was sagte selbst eine Kerninstitution der Zeugen Coronas wie das Robert Koch-Institut (RKI) im Februar 2021 über Covid-19?

Die Analyse der Übersterblichkeit legt aber nahe, dass die COVID-19-Pandemie am Ende des Jahres 2020 etwa das Niveau schwerer Influenzawellen erreicht hat.“

Dass die Managerin eines Luxushotels direkt am Strand Uwe Johnson, von dem ein Bild im Zimmer hängt, da er früher mal dort nächtigte und auf einer mechanischen „Rheinmetall“-Schreibmaschine schrieb – ein Hinweis darauf, dass Rheinmetall früher Schreibmaschinen, und heute Panzer baut? Fiel das jemand am Set oder bei den Zuschauer*innen auf? –, Johnson als Johnson englisch ausspricht, karikiert Leon im Telefonat mit seinem Verleger. Später geht es mit der Ironie gegenüber Ossis weiter, denn David heißt eben nicht David, sondern Devid…

Paula Beer wiederum, Nadja, hat vor Jahren ein Hörbuch zu E.M. Cioran, „Vom Nachteil, geboren zu sein“ aufgesprochen. Das mag sich mit Leon treffen, der die nach Kinderkacke stinkende Wohnung seiner ehemals guten Bekannten in seinem Roman beschreibt. Doch Petzold hat ja den Verleger gerade auch diese Stelle streichen lassen. Dabei zeigte doch nicht etwa ein relativ harmloses Virus mit einer Infektionssterblichkeit von unter 0,10 Prozent und anfänglich, April 2020 von 0,12 bis 0,37 Prozent, wie empirische Studien aus Kalifornien und Gangelt im Kreis Heinsberg gezeigt hatten, dafür hingegen die Coronapolitik, dass es in der Tat ein Nachteil sein kann, geboren zu sein und diese Monster aka Zeugen Coronas erlebt haben zu müssen.

Ansonsten gibt es sicher einige Momente, die es lohnenswert machen, geboren zu sein oder diesen Film zu sehen, wie das glitzernde Meer und der Blick vom Strand darauf, ein gutes Gulasch in ruhiger Umgebung (bis auf die Mücken) und vor allem die Blicke und die Spannung, die zwischen Leon und Nadja liegt, wobei Leon seinen männlichen Panzer, der seinem Körper ohnehin in gewissem Maße eigen ist, wirklich kaum durchlässig werden lässt, trotz vieler zarter, wie alltäglich harmloser Avancen. Nicht zuletzt die kleine Gruppe fast beliebig zusammengewürfelter Menschen, fünf an der Zahl, zeigt die alte linke Utopie eines Lebens jenseits der kleinbürgerlichen Klein- oder islamistischen oder adligen Großfamilie.

Christian Petzold hat mit Roter Himmel einen interessanten, unterhaltsamen, feinfühligen Film gedreht. Aber er sollte aufhören, von seiner Vergangenheit als Anhänger des italienischen Coronapolitik-Totalitarismus zu schweigen, sich sein irrationales und autoritäres Mitmachen oder Mitlaufen bei den Zeugen Coronas umzuschreiben und sich gar als Kritiker der „Corona-Maßnahmen“ wie in Berlin-Kreuzberg am Engelbecken zu präsentieren!

Foto: privat

Die Utopie eines Lebens mit Freund*innen, jenseits des Berliner Hipstertums und der familiären Zwänge aller Art, jenseits von Militarismus, Kapitalismus oder Patriarchat sollten wir nicht den Zeugen Coronas von 2020 und später, die jetzt so tun, als wären sie gar keine solchen fanatischen Zeugen Coronas gewesen, überlassen.

Screenshot, https://www.stern.de/kultur/film/in-christian-petzolds–roter-himmel–wird-der-urlaub-zum-existenzdrama-33385742.html

Countdown 1: Nur noch eine Woche bis zum Erscheinen von „Pandemic Turn“

In einer Woche erscheint die mit Spannung erwartete Studie

Clemens Heni

Pandemic Turn

Antisemitismusforschung und Corona

ISBN 978-3-946193-39-5 | 17 x 24 cm | Hardcover mit Schutzumschlag | Lesebändchen | xxxvi + 638 Seiten | 38€ | 202 Abbildungen |

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Antisemitismus, Band 8 |

 

Die Vorfreude mit einem Blick ins Inhaltsverzeichnis oder die Leseprobe noch steigern. Hier im Shop des Verlags Edition Critic können Sie und könnt ihr bei Interesse das Buch schon jetzt kaufen bzw. vorbestellen – oder in jeder Buchhandlung vorbestellen, wie es schon einige getan haben. Oder einfach eine Mail an den Verlag schicken: info[at]editioncritic.de

Antisemitism seen by ADL/Tel Aviv University…

The Times of Israel (Blogs) | April 18, 2023 | Clemens Heni

Antisemitism seen by ADL/Tel Aviv University…

Apr 18, 2023, 8:29 PM

The new Antisemitism Worldwide Report by the ADL and Tel Aviv University has many shortcomings.

The new Antisemitism Worldwide report by the Anti-Defamation League and Tel Aviv University has been published yesterday, April 17, a day before Holocaust Memorial day in Israel.

In the following, I am just focusing on three major shortcomings, including antisemitic distortions.

1) Israel

The report has become a hot topic for the current Israeli government, as right-wing extremist members of Netanyahu’s sixth coalition like Itamar Ben Gvir take aim at the report. Without calling him by name, the report compares former or contemporary followers of racist and pro-terrorist right-wing extremist Meir Kahane to Nazis:

This year saw the former disciples of the late racist Rabbi Meir Kahane, who introduced Nazilike legislation to the Knesset, enter government.

Kahane was a convicted racist, an anti-Arab and wanted to expel Israeli Arabs. Ben Gvir is also harboring racism against Arabs in Israel and against Palestinians as well, in addition to his sexism, his homophobia and ultra-nationalist ideology. But comparing such a disciples of Kahane and Kahane himself to Nazis, to Germans who finally killed six millions Jews in the Shoah, based on their ideology every since the Nazi party was founded in 1920 and then after the introduction of antisemitic laws since Hitler was given power and became chancellor on January 30, 1933?

Where does this Israeli obsession to frame the political enemy as Nazi come from?

That is a shocking trivialization of the Holocaust and Nazi ideology? In framing a political enemy as Nazi, is even similar to Palestinian, Muslim or secular anti-Zionist antisemitism.

2) Russia / Ukraine

Next, the report runs riot about Russia. The authors write:

As Russian troops in Ukraine faced one humiliating defeat after another in 2022, members and associates of Putin’s fascist regime resorted to Holocaust distortion and vicious antisemitic slander.

This fake news in the first place, as ever since September 2022 at the latest there is a static warfare with thousands of killed soldiers on both sides.If the West at least discussed a peace plan from the Russian Federation from December 2021, perhaps the war would never have occured. But that would have meant to discuss NATO imperialism and to stop it. NATO is as dangerous as Russian aggression.

This demonization of Russia in the above quote is not criticism of an autocratic regime, but that is Holocaust distorting itself. Putin is an autocrat, an illiberal warmonger, Russian ultranationalist, anti-feminist and he has right-wing extremist advisers as well. But he has no political charisma, nor a huge mass base of support – but both are core ingredients of fascism. But to state that Russia is “fascist”, one has to know something about the history of fascism, which the report does not. Putin sits alone at the end of his six meter long Italian luxury table – there are not millions who cheer him on the streets like they did in Italy in the 1920s, after the working class organizations had been defeated by the fascists, and even more so in Nazi Germany, where Germans were enthusiastic about Hitler.

Even Radio Liberty, for sure not known for sympathy with Russia, writes:

‘Alone At The End Of The Table’

Another key difference between Putin’s Russia and classical fascism is the lack of mass mobilization. Fascist regimes “came to power on the basis of a very large mass movement, a political party, a large number of associated — what we would call today — civil society organizations,” said Barnard’s Berman. “And that is just not the way that Putin came to power.”

“This is not a mass regime that came to power or operates on the basis of mass mobilization,” she explained. “Like most dictatorships, Putin would rather his people be demobilized.”

As a scholar in antisemitism and Holocaust distortion, I was a speaker and participant at conferences of the World Congress of Russian Jewry in Riga and Kiev in 2010. Like my colleague and friend, Professor Dovid Katz from Vilnius, we both did not support the rather pro-Putin narrative at the Kiev conference. I myself saw Ukrainian neo-Nazis on the streets in Kiev who threatened left-wingers who wanted to defend a memorial for Lenin.

Take the following reaction by Israeli politicians after a speech by an East European politician in March 2022:

Beginning his speech to Knesset members,

[this East European speaker]

said Ukraine and Israel face the same threat from their respective enemies — “the total destruction of our people, our state, our people, our state, our culture, even the name: Ukraine, Israel.”

[The speaker] noted February 24 — the date of Russia’s invasion of Ukraine — was also the date on which the National Socialist German Workers’ Party, the Nazi party, was founded in Germany in 1920. “It destroyed entire states and tried to carry out genocide.”

Again on February 24, “102 years after the Nazis, the order was given to begin the Russian invasion of Ukraine, which has already killed thousands of people and left millions without a home,” he said. “They’ve become refugees… in dozens of countries.

How did Israeli politicians react?

Likud MK Yuval Steinitz said it “borders on Holocaust denial.”

“War is always a terrible thing… but every comparison between a regular war, as difficult as it is, and the extermination of millions of Jews in gas chambers in the framework of the Final Solution is a complete distortion of history,” he said in a statement.

But who was that speaker? Putin? Putin’s foreign minister Lavrov, who said in a shockingly antisemitic manner, that Hitler supposedly had “Jewish blood” in his veins?

No, the speaker was Wolodymyr Selenskyi, the Ukrainian President.

So, Zelensky used antisemitic language, “bordering to Holocaust denial,” when he compared the creation of the German Nazi Party to the invasion of Ukraine, which accidentally happened also on February 24.

Why does the report omit that kind of hardcore antisemitic Holocaust distortion? Because the speaker is Ukrainian? Because he is Jewish?

For sure, Selenskyi is not “liberal”, as the Antisemitism Worldwide report falsely claims. He forbade all opposition parties in Ukraine. A few years before, as a clown (!), he played piano with his supposedly erected penis… You can see this on YouTube and even nationalistic Ukrainians are ashamed of the poor personality Selenskyi has.

So we have antisemitism on both sides, Lavrov and Russia, Zelensky and Ukraine. But the report is silent on Ukraine, which isn’t but portrayed as nothing but a victim of the Russian aggression. Of course, the war should never have happened and it must end immediately. But that is not what the ADL and Tel Aviv University want:

As the fascist Russian regime continues committing crimes against humanity in Ukraine, remaining silent is unacceptable. For the free world to survive, Russia must be defeated, and Putin must face justice.

Again, this is a distortion of the Holocaust. Because nothing remotely happens in Ukraine, no “crimes against humanity” like Baby Yar and the Shoah. In the war in Ukraine from April 2014 until the end of 2021. It is fake news, that the “free world” is threatened by Russia. Russia is an aggressor against Ukraine. However, there has been a war in Ukraine since 2014, as the United Nations realizes, if we look at their way of counting civilian casualties.

The report on Antisemitism Worldwide 2022 correctly and shockingly states, that antisemitism in the US in particular is on the rise. But these important findings are overshadowed mainly by the fake news about a fascist Russia and the silence about streets in Ukraine, which are named after anti-Semites who collaborated with Nazi Germany and urged Ukraine to exterminate all Jews. Take Yaroslav Stetsko as an example, her wrote in 1941:

‚I insist on the extermination of the Jews and the need to adapt German methods of exterminating Jews in Ukraine.‘

A report in the Jewish Forward from January 2021 by Lev Golinkin stated:

Five days prior to the Nazi invasion, Stetsko assured OUN-B leader Stepan Bandera: “We will organize a Ukrainian militia that will help us to remove the Jews.”

 

There is not a single word about Ukrainian antisemitism in that ridiculous and unscholarly report by the ADL and Tel Aviv University. Not one word! We have to criticize antisemitism whereever it occurs, be it Russia, the Gaza strip, Germany, Ukraine, the US or any other part of the world.

There are many factors to be dealt with, when it comes to the war in Ukraine. A ceasefire is number one. Diplomatic compromise is number two. Neither a victory for Ukraine nor for Russia is an option. NATO has a huge responsibility in recent decades for the worsening of relations of Russia and the West. In the year 2000 Putin asked US-President Bill Clinton if Russia could become member of NATO. Clinton said no. US Foreign Minister James Baker lied to Michail Gorbatchev in February 1990, when he said to him that NATO would not move “one inch” eastward if West-Germany and East-Germany would reunite. Since then, almost all countries in Eastern Europe have become hardcore NATO member states, including a nasty racist rhetoric against Russia.

Russia is a threat to democracy and it’s war in Ukraine has to stop immediately. Diplomatic compromise, like then Israeli prime minister Naftali Bennett tried as early as March 2022, when both Putin and Selenskyi in general agreed to end the war, Russia deploys all its troop on their lines before February 24, 2022, and Ukraine declares to never ever become member of NATO. But Boris Johnson, the UK and the US rejected Bennett’s diplomatic success.

Finally, how do we frame a country like Ukraine, which names its streets about people, who are considers heroes, who wrote

‚I insist on the extermination of the Jews and the need to adapt German methods of exterminating Jews in Ukraine.‘ ?

3) Germany

The report analyzes a fringe group of right-wing extremist anti-democratic followers of a Prince Reuß, who wants to reestablish the German Reich (called Reichsbürger or citizens of a German Reich), whether in its borders of 1937 or otherwise. These people often harbor antisemitic conspiracy myths, some are violent, but research in antisemitism in Germany does not really believe that these fringe group is a serious threat to Jews or democracy, compared with Jihadists, legal Islamists, for example.

If the report really dealt with antisemitism in Germany in 2022, they would have found the selection of Jews at Frankfurt Airport in May 2022, when a diverse group of over 100 Jews from the US was treated like war criminals.

Why were they treated that way and ‘welcomed’ at the airport by police with automatic machine guns? Because one or a few passengers of the flight with Lufthansa did not follow the irrational and totalitarian mask mandate on board. Masks because of a virus, called SARS-CoV-2, which can result in the malady called Covid-19. Only Jews who were recognizable as Jews because of their orthodox or ultraorthodox clothing were selected by the German police. One can easily imagine what the grandfathers of these police women and men did during Nazi Germany…

Germany followed hardcore irrational Corona policies, with mask mandates until 2023, while democracies like Sweden never hat any mask mandate. According to the World Health Organization, Sweden has less than 50 percent excess deaths in 2020 and 2021 alone, compared to countries like the UK and Germany. While there were some sort of Holocaust distortion and antisemitic conspiracy thinking among protesters against Germany’s Covid policies, there have also been Israeli flags displayed at major rallies like at a famous anti-Covid-policy rally in the city of Kassel in March 2021.

On the other side, a leading German sociologists such as Heinz Bude in December 2021 duriing a podcast with a mainstream journalist mentioned the island Madagascar, where one might have shipped the 10 million non-vaccinated German adults, but that idea was unrealistic, as he himself realized.

 

But the very idea, to mention Madagascar, the island where the Nazis for some time in 1940 fantasized to deport German Jews, is a shocking sign how far the irrational and brutal Corona discourse in Germany went. Scholars at universities of memorial sites of conentration camps such as Buchenwald or the House of the Wannsee Conference, implemented the apartheid against the unvaccinated. From fall 2021 until spring 2022, and in some cases even longer, over 10 million people were not allowed to enter these memorial sites of former concentration camps, because these 10 million people rejected the gene therapy which the mRNA vaccines are, according to Big Pharma Bayer at the World Health Summit 2021 in October in Berlin.

We know from scholarship and from Pfizer, that the mRNA vaccines neither stop the transmission of SARS-CoV-2, nor do they give vaccinated people immunity. The selection of the non vaccinated as it is still the case for those who want to enter the United States, is irrational and totalitarian in nature. These vaccines to not stop the spread of the virus and Pfizer itself knew about it from the very beginning, just read the documents.

The tradition of authoritarian and even totalitarian policies in Germany during the time of Corona is obvious. In Australia, some hospital interns went so far and said to “sent Jews to gas chambers”, because a group of Australian Jews broke the irrational lockdown rules and celebrated. That is antisemitism!

About the Author
Dr Clemens Heni is director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

https://blogs.timesofisrael.com/antisemitism-seen-by-adl-tel-aviv-university/

„Frieden schaffen ohne Waffen“ – doch das SPD MdB Leni Breymaier verirrte sich auf den Ostermarsch 2023 in Heidelberg

Von Dr. phil. Clemens Heni, 17. April 2023 (Update 21:36 Uhr)

Die Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK)  verharmlost den Anteil, den die aggressive NATO-Politik seit dem Ende der Sowjetunion, der Putsch gegen eine pro-russische ukrainische Regierung im Jahr 2014 auf dem Maidan in Kiew und der Antisemitismus in der Ukraine am gegenwärtigen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine spielen. In einer Auswertung von 48 Aufrufen zu den Ostermärschen 2023 schreibt die Stiftung:

Viele Aufrufe stellen sich gegen den Überfall Russlands auf die Ukraine, doch relativiert ein erheblicher Teil die russische Verantwortung. Im Heidelberger Aufruf heißt es etwa: „Der russische Einmarsch in die Ukraine war ein klarer Bruch des Völkerrechts (…). Gleichzeitig muss er vor dem Hintergrund der immer schärferen Konfrontationspolitik der USA und NATO gegen Russland betrachtet werden.“ In den Aufrufen für Münster und Nürnberg kommt die Relativierung noch im gleichen Satz. Letzterer schreibt: „Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen Einmarsch in die Ukraine, ohne die Vorgeschichte dieses Krieges, wie die NATO-Osterweiterung, zu vergessen.“ Der Augsburger Aufruf verknüpft die Relativierung mit whataboutism: „Dass es schon vor dem russischen Überfall völkerrechtswidrige Kriege auch des Westens gab – Jugoslawien, Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien – wird dabei von Regierung, CDU/CSU und weiten Teilen der Medien ebenso unter den Teppich gekehrt, wie die Vorgeschichte des Krieges seit 2014.“ Beim Überfall Russlands auf die Ukraine handelt es sich in der Tat nicht um den einzigen völkerrechtswidrigen Krieg in den letzten Jahrzehnten. Die Aufrufe benennen aber nicht, was den aktuellen Fall aus der Gruppe der völkerrechtswidrigen Kriege heraushebt: Man hat es mit einem Eroberungskrieg zu tun, bei dem der Angreifer mit dem Einsatz von Atomwaffen droht.

Screenshot, https://blog.prif.org/2023/04/05/die-ostermaersche-2023-und-der-ueberfall-auf-die-ukraine-nur-wenige-aufrufe-fordern-russlands-rueckzug/

„Eroberungskrieg“? Wer droht mit Atomwaffen? Die NATO, die womöglich auf dem Gebiet des Neu-Mitgliedlandes Finnland, Atomwaffen stationieren könnte? Der ehemalige US-Präsident Trump fand es lustig, als er Anfang März 2022 die Wahnidee hatte, dass Amerika Russland mit F22 Kampfbombern angreifen könnte, die als chinesische Bomber getarnt wären, ein totaler Schwachsinn, da China gar keine F22 Kampfbomber besitzt.

Wie der Philosoph Günther Anders schon in den 1950er Jahren festhielt, sind jene „Terroristen“, die Atomwaffen bauen und besitzen, das ist die Drohung schlechthin, und das einzige Land, das bislang Atomwaffen einsetzte, sind die USA, die im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki die definitiv letzte Epoche der Menschheit einläuteten. Seit dem 6. August 1945 sind wir alle die „letzte Generation“, etwas, was die Klimaaktivist*innen vergessen, so wichtig deren Aktivitäten auch sind. Und Krieg ist ein Klimakiller obendrein, wie auch in Heidelberg betont wurde.

Seit diesen beiden Tagen am 6. und 9. August 1945 ist es für alle Zeiten Realität, dass tagtäglich Terroristen, die wir als Politiker*innen oder als Vertreter von „Verteidigungsministerien“ euphemistisch tätscheln, ja mittlerweile wieder bejubeln, die ganze Welt bedrohen. In dieser Hinsicht ist Putin nicht schlimmer als Biden, Macron, Trump oder Boris Johnson, dessen Nachfolger oder Chinas Xi. Das sind alles Terroristen, da sie Atomwaffen besitzen und damit das Ende allen Lebens in Kauf nehmen.

Warum sollte man den Rückzug Russlands fordern? Warum diese Einseitigkeit, da doch im Donbas seit 2014 Krieg herrschte? Es muss um eine Kompromisslösung gehen, wer einen Rückzug Russlands fordert, setzt das Kriegs-Narrativ der NATO und der Ukraine fort. Mit Friedenspolitik hat das rein gar nichts zu tun.

Wer sich nicht gegen deutsche Waffenlieferungen stellt, ist Teil des Problems.

Wo bleibt zudem wenigstens eine Erwähnung des gebrochenen Versprechens des damaligen US-Außenministers James Baker, des BRD-Kanzlers Helmut Kohl und des BRD-Außenministers Hans-Dietrich Genscher vom Februar 1990, dass sich die NATO „not one inch“ nach Osten ausbreiten werde, wenn es zu einer Vereinigung von BRD und DDR oder einer wie auch immer gearteten Kooperation von BRD und DDR kommen sollte? Das war der Beginn des NATO-Imperialismus nach Osteuropa, eine ganz extreme Bedrohung für Russland – das selbst keinerlei Militärbündnis in Europa mehr hat, der Warschauer Pakt ist im Gegensatz zur NATO Geschichte. Was will die NATO in Polen, Litauen, Finnland? Was? Dem Kapitalismus freie Hand geben, das ist klar. Aber militärisch bedroht sie Russland in vor 1990 nie geahntem Maße direkt in Europa. Der Kalte Krieg zwischen West und Ost wurde zu einem immer heißeren Krieg.

Das macht Putin nicht besser, er ist ein autokratischer Herrscher, der von Demokratie so viel Ahnung hat wie Baerbock von Diplomatie.

Die grundsätzliche Bedrohung durch Atomwaffen, die geht historisch eindeutig von den USA aus. Die Sowjets zogen lediglich nach, was das Atomwaffenarsenal der Russen heute nicht besser macht. Es ist eine terroristische Bedrohung der ganzen Welt, Atomwaffen zu haben. Das gilt für alle Atommächte.

Doch wer liest heute noch Günther Anders und kann kritisch denken?

Was also soll an dem Aufruf aus Heidelberg problematisch sein? Ich habe ihn mir durchgelesen, bevor ich auf den Ostermarsch 2023 nach Heidelberg fuhr, dort wurde er dann von Aktivist*innen verteilt:

Politikwissenschaftlich betrachtet ist das eine korrekte Analyse. Russland hat mit dem Einmarsch in die Ukraine das Völkerrecht gebrochen. Doch das geschieht nicht kontextlos, sondern in der Ukraine herrschte schon seit 2014 Krieg, was hier noch nicht einmal aufgeführt wird. In diesem Krieg im Donbas sind über 14.000 Menschen gestorben. Die Vereinten Nationen betonen in ihrer Statistik der zivilen Todesopfer im aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine, dass auch zwischen 2014 und Februar 2022 Zivilist*innen im Krieg in der Ukraine getötet wurden. Das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen (OHCHR, United National Human Righs Office of the High Commissioner) geht also von einem lediglich verschärften Krieg seit dem 24. Februar 2022 aus. Demnach starben vom 14. April 2014 bis zum 31. Dezember 2021 3.500 Zivilist*innen bei Kampfhandlungen in der Ukraine, und vom 24. Februar 2022 bis zum 2. April 2023 wurden 8451 Zivilist*innen im Krieg in der Ukraine getötet.

Es ist also faktisch falsch, wenn jene hessische Stiftung, die sich vorgeblich für Frieden einsetzt, schreibt:

Es lohnt sich ein Blick darauf, wie einige Aufrufe die Vorgeschichte des Krieges zwischen Russland und der Ukraine auffassen. Der Hamburger Aufruf behauptet: „Dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 ging seit 2014 ein Bürgerkrieg innerhalb der Ukraine, im Donbass, voraus“. Der Aufruf für Hamm stößt ins gleiche Horn: „Der in der Ukraine schon 2014 begonnene, seit Februar 2022 durch das Eingreifen Russlands eskalierte Krieg.“ Beide Aufrufe stellen Russland als Intervenierenden dar, nicht als originäre Kriegspartei und folgen in diesem Punkt der Argumentation Putins.

Die Vereinten Nationen betonen ebenso, dass seit 2014 Krieg in der Ukraine herrscht. Die UN als Handlanger Putins?

Vor allem aber spielt diese hessische Stiftung der SPD-Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier in die Hände, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen eine Rednerin beim Ostermarsch 2023 in Heidelberg am 8. April war. Schon zu Beginn des Ostermarsches in Heidelberg sprach ein Vertreter des DGB realitätsverzerrend davon, dass die „rechtsradikale Regierung in Israel“ einen Krieg plane. Zwar ist die aktuelle Regierung in Israel tatsächlich rechtsextrem und innenpolitisch so stark unter Druck von der Zivilgesellschaft, den eigenen Geheimdiensten, dem Militär, der Polizei wie keine Regierung Israels seit 1948, aber „Krieg“ wurde doch in den letzten Tagen durch Raketenangriffen der islamistischen Terrorgruppen aus dem Libanon (Hizbollah), dem Gazastreifen (Hamas) und aus Syrien provoziert! Später musste der gleiche DGB-Redner dann immerhin konzedieren, dass der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett im März 2022 einer diplomatischen Friedenslösung im Ukraine-Krieg sehr nahe gekommen war – aber ein Rückzug Russlands auf die Linien vor dem 24. Februar 2022 bei gleichzeitigem Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft wurde vor allem vom fanatischen Boris Johnson aus England und den Amerikanern unter Joe Biden verhindert.

Neben Musikeinlagen von afghanischen und syrischen Flüchtlingen, die zu Beginn und am Ende auf der Abschlusskundgebung auf den Neckarwiesen auf dem Ostermarsch 2023 in Heidelberg spielten, sprach auf der Auftaktkundgebung in der Innenstadt vor der Stadtbibliothek auch die Bundestagsabgeordnete der SPD Leni Breymaier. Sie war im Vorfeld nicht angekündigt worden. In einer an Arroganz, Faktenferne und Heuchelei nicht zu überbietenden Art, die nur eine SPD-Politikerin aufbringen kann, distanzierte sich Breymaier gleich zu Beginn von der Demonstration, auf der sie sprach. Sie meinte, der Aufruf sei ja wohl ein schlechter Witz und sicher ein Mißverständnis. Sie selbst fühlt sich nämlich im heutigen Deutschland sehr wohl bedroht! Jawohl, Leni Breymaier hat Angst – vermutlich vor „dem“ Russen, daher hat sie wie alle SPD-MdBs für die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr gestimmt. Sie meint, Deutschland müsse verteidigungsfähig sein. Dass Deutschland nach Auschwitz kein Recht mehr auf eine Armee hat, hat sie nie kapiert!

Und wo soll die Bedrohung für die heutige BRD liegen? Das ist ein weiteres Wahngebilde einer SPD-Frau, die damit Baerbock in Fakenferne Konkurrenz macht. Baerbock wurde auch überschwenglich von Breymaier gelobt, ohne namentlich genannt zu werden, aber eine „feministische Außenpolitik“ findet die SPD-Frau super, wie sie sagte. Was an Panzern, Munition, Russenhass und Kriegsgeilheit wie von Baerbock „feministisch“ sein soll, konnte Breymaier nicht näher ausführen. Die tatsächliche Zeitenwende, dass nach dem Holocaust und nach dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht, nach 27 Millionen ermordeten Sowjets durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg, jetzt wieder deutsche Panzer mit in Deutschland ausgebildeten ukrainischen Soldaten gegen die Russen rollen, das läuft also offenbar jetzt unter „feministisch“.

Es passt zu Breymaier, wenn der hessische HSFK Autor Thorsten Gromes in dem zitierten Bericht über die Ostermarschaufrufe keinerlei Problem in der Hetze gegen Russland wie von Baerbock sieht, keinerlei grundsätzliches Problem mit Waffen und Waffenlieferungen an die Ukraine zu haben scheint, ja sogar Friedensverhandlungen problematisch findet, solange nicht klar sei, dass Russland auf keine Fall Gebiete – die von sich aus womöglich Russland zugehörig sich fühlen, wie Volksabstimmungen unter UN-Aufsicht zeigen könnten! – behalten dürfe, dann auch noch das lächerlichste aller Argumente anbringt, dass politisch Rechte sich angesprochen fühlen könnten von solchen Aufrufen.

Rechte, die hinter Transparenten wie „Frieden schaffen ohne Waffen“? Das war das größte Motto-Transparante in Heidelberg.

Rechte sind für Krieg, sie feiern die Wehrmacht (Gauland, AfD) oder lieben Trump (MAGA, Make America Great Again).

Worin sich Rechte, Linke und der Mainstream einig sind, ist, dass Kinder ganz was Tolles sind, möglichst viele Kinder, damit die Großeltern außer Puste geraten und die Panzer sowie Totengräber immer Nachschub haben, Staat und Kapitalismus wie geschmiert weiterlaufen. Wer angesichts der irrationalen und totalitären Coronapolitik und der aktuellen Ukrainepolitik sich fortpflanzt, ist noch unmenschlicher, als es ohnehin im natalistischen Mainstream Usus ist. Da sind sich Scholz und Putin einig, dass Kinderfreie extra besteuert oder sanktioniert werden müssen. In puncto 2G Impf-Apartheid und Kontroll-, Abstands- wie Testwahnsinn sind Karl Lauterbach und Putin Brüder im Geiste gewesen.

Und so fabulierte die SPD-MdB Breymaier auch tatsächlich, bar jeder Faktenlage:

„Wenn Russland den Krieg beendet, ist der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine den Krieg beendet, ist die Ukraine Geschichte“, also zerstört.

Das ist komplett ohne jedes Indiz, da Russland kein Interesse hat, die ganze Ukraine zu besetzen, anfangs wollten sie die Regierung stürzen, was militärisch nicht klappte, aber seither spielt sich das Kriegsgeschehen fast ausschließlich im Süden und Osten des Landes ab, in Gegenden, wo ein überwältigender Teil der Bevölkerung sich Russland zugehörig zu fühlen scheint. Historisch ist nun mal, das bezeugt jeder Blick auf geographische Karten, das heutige Staatsgebiet der Ukraine ein sehr junges Gebiet, die Krim war ein Geschenk zu Sowjetzeiten.

Den Frieden gewinnen – nicht den Krieg, das war ein zentraler Slogan der Ostermärsche 2023. Dass bei den Teilnehmer*innen Leute dabei waren, die in neu-rechter Diktion vom „deep state“ faseln, wie ich selbst hörte, das ist nicht erst seit 9/11 Usus, linker Verschwörungswahn und rechte antisemitische Verschwörungsideologie mischen sich nicht erst seither mit islamistischer Ideologie, wobei der Verschwörungsglaube weit im Mainstream verankert ist.

Man muss also gegen Verschwörungstrottel und gegen die Baerbocks und Breymaiers dieser Welt gleichermaßen ankämpfen, wenn der Frieden eine Chance haben soll.

Das Schweigen des Mainstream in Deutschland zu den ebenfalls fürchterlichen und noch viel tödlicheren Kriegen im Jemen oder in Äthiopien, zeigt, dass Tote hier und heute halt primär dann zählen, wenn sie Weiße sind und der Aggressor ein Feind, mit dem die ganz normalen Deutschen militärisch die Rechnung aller Rechnungen offen haben: Stalingrad.

Der Antisemitismus in der Ukraine, die Bennenung von Straßen und Plätzen in der Ukraine nach Tätern im Holocaust, nach antisemitischen Hetzern und Nazi-Kollaborateuren macht weder Breymaier noch der HSFK Probleme, wie es scheint. Was ist das für ein Land, das Straßen nach Nazis benennt? Ein zweites Deutschland, die Ukraine?

Der Krieg in der Ukraine wird durch Verhandlungen beendet werden. Diese Lektion wird auch noch Leni Breymaier lernen. Wer jedoch auf die absurde Idee kam, sie auf den Ostermarsch nach Heidelberg einzuladen, sollte sich fragen, was damit bezweckt werden sollte. Eine weitere SPD-Politikerin vorzuführen, die sich lächerlich macht? Oder den Ostermarsch vorzuführen, dass er es nicht schafft, so eine Person mit Trillerpfeifen von der Bühne zu fegen, zumal Breymaier dann nicht mal auf dem Ostermarsch dabei war, da sie zu einer Kundgebung von ver.di bei der Galeria Kaufhof Karstadt ging. Der Ostermarsch führte direkt an der Galeria am Bismarckplatz vorbei, die ca. 40 ver.di Leute blieben dumpf stehen, als die 250 Ostermarschierer*innen vorbeizogen, sie hätten sich ja auch anschließen können („Bürger lass das Glotzen sein, Komm herunter, reih dich ein“ hieß es früher).

Großartig war vor allem der Heidelberger Schmetterling:

 

Die Demonstration bewegt sich Richtung Neckarwiesen, Blick von der Theodor-Heuss-Brücke, Foto: privat

 

Auftaktkundgebung, Ostermarsch Heidelberg, 8. April 2023, vor der Stadtbibliothek, Foto: privat

 

Update, 21:36 Uhr:

Dass Menschen, die sich gegen den Mensch gemachten Klimawandel auch noch gewaltfrei zur Wehr setzen, wegen angeblicher „Nötigung“ drei bis fünf Monate ins Gefängnis müssen, zeigt, wie verkommen dieses Land und vor allem wie verkommen die unerträgliche, geisttötende, obsessiv anti-intellektuelle Auto-, Lidl- und Kaufland-Dieter-Schwarz-Stadt Heilbronn am Neckar ist. Es gilt: Solidarität mit den Verurteilten der letzten Generation und den anderen Klimaaktivist*innen! Wer jemals in Heilbronn lebte, weiß, was für dermaßen primitive Auto-Menschen (Deutsche und Migranten, je ca. 50/50 Prozent) hier leben, Protest, gerade auf den Straßen, ist mehr als not-wendig. Hier, in der geistlosesten „Universitätsstadt“ (kein Witz!) des ganzen Landes, sind die Neo-Nazi-Morde des NSU weiter ungeklärt, Straßen weiter nach Nazis benannt, aber es ist ganz wichtig für die Justiz, Umweltaktivist*innen wegen harmlosen Aktionen, die maximal eine „Ordnungswidrigkeit“ sind, hinter Gitter zu bringen. Hier werden Autos produziert mit 390 oder 520 PS und auf a-soziale Raser zugelassen (!), die dann Menschen zu Tode fahren (jüngst in der Wollhausstraße in der Innenstadt passiert). Dabei gehörten die Produzenten und Käufer, nicht nur die Todesfahrer selbst in den Knast! Das ist Deutschland 2023!! Waffen für die Ukraine, aber junge Leute, die gegen die Klimapolitik protestieren, hinter Gitter setzen!

Eine 3-Staatenlösung in Israel? Oder eine Versöhnung mit Jaffa-Keksen?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 03. April 2023

Das Wort „Hinterland“ kennen viele sicher von dem links-autonomen Slogan „Aufruhr Widerstand – Es gibt kein ruhiges Hinterland“. Doch vielleicht ist dem nicht so, vielleicht wollen die Hinterwäldler Hinterwäldler oder Hinterländler sein und bleiben. Das Wort hinterland wird – kleingeschrieben – auch im Englischen verwendet, wie ein faszinierender Blog-Text in der Times of Israel (TOI) zeigt.

Der Historiker Martin Wein schlägt eine 3-Staatenlösung vor: Einen neuen Staat Tel-Aviv-Jaffa, Israel und Palästina. Kurz gesagt haben die weltlichen Zionist*innen in Tel Aviv die Schnauze gestrichen voll vom reaktionären Hinterland. Die seit 13 Wochen kontinuierlich andauernden Massendemonstrationen gegen Netanyahu und seine rechtsextreme Regierung sind der Beweis, wie enorm tief gespalten Israel ist. Wein sieht den Ursprung des Endes eines liberalen Zionismus für ganz Israel in der Ermordung von Yitzhak Rabin am 4. November 1995. Seitdem und zuletzt als Import aus den USA hätten sich parallele Welten in Israel verfestigt: jene der „femininistischen“, „säkularen“ und „queeren“ Leute, die fast ausschließlich in Tel Aviv-Jaffa leben würden, und dem „Rest“, dem elenden „Hinterland“.

In diesem Hinterland leben die Ben Gvirs, jener vorbestrafte, rechtsextreme, antifeministische und homophobe Schläger, der nicht mal von der israelischen Armee aufgenommen wurde, weil er zu extrem war. Der bekommt jetzt eine eigene Privatarmee von 2000 Personen, eine „Nationalgarde“. Das erinnert an Diktaturen wie in Nicaragua, wo es auch eine solche Nationalgarde gab. Das israelische Kabinett hat diesem Projekt zugestimmt, jedes Ministerium verkürzt seinen Etat um 1,5 Prozent, damit Ben Gvir eine Milliarde neue israelische Schekel, das entspricht 278 Millionen US-Dollar, für seine quasi Privatarmee erhält, also jährlich im Budget der Regierung.

Was könnte man mit so viel Geld nicht alles Sinnvolles machen. Zum Beispiel Aufklärungsprogramme für ultraorthodoxe Frauen, wie Verhütung geht, dass Abtreibung ein Frauen- und Menschenrecht ist und dass sich Frau-Sein ganz sicher nicht über Mutter-Sein definiert. Aber vermutlich wäre so ein Programm ein no-starter, warum sollten die Frauen weniger fanatisch sein wie die Männer? Gibt es dafür Indizien?

Der ehemalige israelische Polizeipräsident von 2004 bis 2007 Moshe Karadi sieht in dem Plan von Ben Gvir ein „Rezept für eine Katastrophe“. So könnte der rechtsextreme Schläger Ben Gvir als Minister, der er ist, dieser Nationalgarde befehlen, Zehntausende Demonstrant*innen vom Ayalon-Highway in Tel Aviv zu fegen, während die Polizei in Tel Aviv ein solches Verhalten für unverhältnismäßig und gegen das Grundrecht auf Demonstration ansehen würde, wie die Erfahrung der letzten Wochen beweist.

Daher gab es bislang auch häufig eine Duldung solcher Blockaden, auch wenn es teils Gewalt von berittener Polizei und von Wasserwerfern gab. Doch eine ausschließlich politisch orientierte Nationalgarde hätte mit einer Demokratie und einer Gewaltenteilung nichts mehr zu tun.

Netanyahu, der wegen Korruption Angeklagte, extreme Opportunist und mittlerweile sehr wohl nicht mehr liberale, sondern rechtsextreme Aktivist, der selbst kürzlich am Shabbes in London in nicht koscheren Restaurants dinierte, aber jetzt ein Gesetz verabschiedet, nachdem Patient*innen im Krankenhaus (!) in Israel zu Pessach keine gesäuerten Lebensmittel essen dürfen – gestern wurden einer schwangeren Frau Kekse im Krankenhaus weggenommen, womöglich auch noch Jaffa-Kekse! -, hatte Ben Gvir die Zusage zu dieser paramilitärischen Einheit gegeben, da Ben Gvir die Koalition nicht verließ, obwohl Netanyahu die geplante Zerstörung der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts (lediglich) um fünf Wochen verschob. Ab dem 1. Mai, in der Sommersitzungsperiode der Knesset, plant die rechtsextreme Regierung weiterhin ohne jedes Zugeständnis, ohne jeden Kompromiss an ihrer „Justizreform“ festzuhalten, die sowohl die Wahl der Obersten Richter*innen durch die jeweilige Regierung als auch die Möglichkeit mit nur einer Stimme Mehrheit Urteile des Obersten Gerichts zu annulieren vorsieht.

Moshe Karadi sieht in der neuen Nationalgarde, einer Art Privatarmee für Ben Gvir, eine Analogie zu den islamistischen Revolutionsgarden im Iran, so die Times of Israel. Auch der ehemalige Polizeipräsident Assaf Hefetz sieht in der neuen Nationalgarde eine extreme Gefahr, es gebe doch bereits eine Polizei und ein Militär, die jeweils demokratisch kontrolliert würden und eigenständig seien, das sei völlig ausreichend.

Man muss sich wirklich einmal vorstellen. Bis ins Jahr 2020 hing zu Hause im Wohnzimmer von Ben Gvir ein Bild des Massenmörders Baruch Goldstein, der am 25. Februar 1994 in Hebron 29 Muslime in einer Moschee massakrierte. Dass ein solcher Pro-Terrorist wie Ben Gvir überhaupt Minister wurde ist ein Skandal und eine Schande für den Zionismus und Israel. Das wäre wirklich ein seriöser Grund, Israel zu boykottieren. Eine Regierung, die einen Fascho wie Ben Gvir in ihren Reihen hat, hat keinerlei Legitimation.

Aber das Problem sind natürlich jene gut 48 Prozent Israelis, die Ben Gvir, Vorsitzender der rechtsextremistischen Anti-Abtreibungs-Partei Otzma Yehudit, Smotrich, Vorsitzender der Partei Ha-Ichud HaLeumi – Tkuma oder den Likud unter Netanyahu gewählt haben. Der vorbestrafte Vorsitzende der religiösen Schas-Partei Arje Deri, Vater von neun Kindern (die laut Forbes Magazin „mächtigste Frau der Welt“ und Präsidentin der EU Kommission Ursula von der Leyen, hat nur sieben!), unterstreicht nochmal, was für ein kriminelles Potential im Kabinett Netanyahu VI steckt.

Ähnlich wie der Historiker Martin Wein plädiert auf den Blogs der Times of Israel, der wohl größten Plattform für zionistische Blogger*innen weltweit, die neben den professionellen Journalist*innen der TOI dort publizieren, auch der ehemalige Leiter des Presseamtes der israelischen Regierung von 1977 bis 1982 Zev Chafets für eine „Teilung des Landes“. Es sei vollkommen aussichtslos, säkular-weltlichen Zionist*innen in Tel Aviv die Weltsicht der Ultraorthodoxen von Jerusalem näher zu bringen. Und der regelrechte Hass vieler fanatischen Religiösen gegenüber den Weltlichen ist unübersehbar. Daher: Teilung des Landes.

Der zionistische Traum ist am Ende. Es wird aller Voraussicht nach kein geeintes Israel mehr geben, und auch keine Zweistaatenlösung. Die Palästinenser sind dafür nicht reif, ihr Antisemitismus steckt viel zu tief, und damit sind nicht nur die Hamas und der Islamismus verantwortlich, sondern auch säkulare Antisemiten in der Folge der PFLP und anderer Terrorgruppen.

Die Bevölkerungspolitik der Islamisten („Macht nicht drei, sondern fünf Kinder, denn ihr seid die Zukunft Europas“, sagte Erdogan am Freitag im westtürkischen Eskisehir, März 2017) wie der jüdischen Extremisten wird Israel nicht nur verändern, sondern im zionistisch-weltlichen Kern zerstören. Wer sich anschaut, wie jüdische Fanatiker ihre Torah-Indoktrinationsgebäude in jedem Stadtteil von Jerusalem ausbreiten, merkt, wie fanatisch und obsessiv da vorgegangen wird. In diesem Text ist ein Video verlinkt zu „Jerusalem: the secular struggle“ und ich bin froh, dass meine beiden Freund*innen Schaul und Hanna aus Jerusalem, die beide Anfang der 1920er Jahre in der Weimarer Republik bzw. in Österreich geboren worden waren und Ende der 1930er Jahre gerade noch so den Nazis entkommen konnten und sodann das Land Israel, den zionistischen Traum verwirklichten und vor wenigen Jahren, jeweils über 90 Jahre alt, starben, das nicht mehr erleben müssen.

Der Historiker Martin Wein, der über 10 Jahre lang die Geschichte Tel Avivs unter anderem an der Universität Tel Aviv unterrichtete, meint das durchaus ernst, auch wenn ihm die realitätsferne Dimension seiner Fantasie klar sein dürfte:

If a “Velvet Divorce” can be achieved, the solution of Tel Aviv and Jaffa (plus Herzliya?) quitting the State of Israel is a good one, and not only for the city-state, but also for the entire country. This division will not weaken Israel, but help it to re-evaluate its power balances. It can in and of itself serve as a model for a future division of the entire land between Israelis and Arabs in an orderly, agreed upon, and functional manner. (…) There are many models of small or miniature countries in the world. It should be possible to reach similar arrangements that have been successfully implemented elsewhere and adapt them to the current situation without reaching a crisis point with Jerusalem. It is especially important to allow the free movement of people and trade via a security membrane. At least until the construction of an industrial port in the territory of the city-state, Tel Aviv-Jaffa will be dependent on supplies via Israel. But it would already be possible to start daily fast ferry services for passengers to places such as Larnaca, in Cyprus (with an international airport). Jaffa, perhaps the world’s oldest continuously used port city, may soon become – together with Tel Aviv and Herzliya – the UN’s newest, 194th member state.

Eine solche Lösung ist natürlich keine Revolution, sondern immanent-kapitalistisch. So wie viele, die von „Klimaneutralität“ reden, doch nur den Profit der Solar- und Windenergie-Fonds meinen. Aber es wäre ein angenehmeres Leben in Tel Aviv, ohne 20.000 rechtsextreme Schläger, die letzte Woche quasi im Auftrag der Regierung (!) aus dem ganzen Land anreisten und eine Demonstration für die geplante Justizzerstörung in Tel Aviv abhielten – am Samstag darauf, vorgestern, waren wieder ca. 200.000 gegen die Politik von Netanyahu und die „Reform der Justiz“ auf den Straßen von Tel Aviv – einer Stadt mit weniger als 500.000 Einwohner*innen, dazu gab es Demos in weiteren 150 Städten und Gemeinden.

Zef Chafets hat einen realistischen Blick auf das Land. Er möchte keine 3-Staatenlösung, sondern erstmal eine politisch-kulturelle Trennung des denkenden und des religiösen Teils des Landes. Er ist wie alle Menschen, die er kennt – wirklich alle! – bei den Demonstrationen in Tel Aviv auf der Straße. Aber den Schlachtruf nach „Demokratie“ schreit er nicht mit. Weil es nämlich eher zu viel Demokratie gebe, nicht zu wenig, wie er schreibt. Die Massen an religiösen Fanatiker*innen hassen zwar die Demokratie, aber sie lieben die Wahlen – weil sie die auch in Zukunft immer, wirklich immer, gewinnen werden. Wenn eine säkulare Frau in Tel Aviv nur zwei Kinder oder – Gott behüte! – gar keine bekommt und ihre Schwester in der besetzten Westbank 11 Kinder, und diese Kinder von Geburt an indoktriniert werden und es extrem schwer haben werden, zu selbst denkenden Wesen zu werden, dann ist das Schicksal des Landes Israel besiegelt.

Zef Chafets schreibt:

Like everyone I know (or care to know) I have been demonstrating in the streets of Tel Aviv. But I have not joined my fellow protesters in their chants for dem-o-cratia! It is a battle cry that misunderstands the real crisis that Israel faces. There is too much democracy here, not too little.

The government headed by Bibi Netanyahu was elected fair and square. Nobody is accusing the winners of voter fraud, intimidation, or sleight of hand. The contest was a pure exercise in electoral democracy. The people spoke.

Chafets war schon vor bald 30 Jahren ein sehr weitblickender Analyst. 1996 forderte er in einer dreiteiligen Artikelserie im „Jerusalem Report“ eine solche Teilung des Landes zwischen Säkularen und Religiösen. Es sei zweck- und sinnlos, die jeweils andere Seite zu überzeugen.

Die avisierte 3-Staatenlösung von Martin Wein ist insofern noch hellsichtiger, als sie explizit die Palästinenser, deren Unerbittlichkeit im Kampf gegen Israel er keineswegs ignoriert, mit einbezieht. Es wäre eine 3-Staatenlösung, zwei fanatische Einheiten für Juden beziehungsweise Muslime und Palästinenser, und einen weltoffenen, kleinen Hafen der Freude und Vielfalt (immer natürlich unter dem Diktat des Ware-Seins des Menschen unterm Kapitalismus) in Tel Aviv-Jaffa.

Schließlich gilt schon seit sehr langer Zeit: ein Leben ohne Jaffa-Kekse wäre zwar möglich, aber völlig sinnlos, wie der Spiegel 2019 berichtete.

Screenshot, https://www.aldi-nord.de/sortiment/snacks-suessigkeiten/kuchen-gebaeck-kekse/jaffa-cake-3507-0-0.article.html

LIVE: Volksaufstand gegen Netanyahu und für Israel: 700.000 auf den Straßen des ganzen Landes

Von Dr. phil. Clemens Heni, 27. März 2023

Nach der gestrigen Entlassung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant, der doch noch Mut hatte und am Samstag in einer Video-Botschaft seine eigene Regierung aufforderte, die geplante Justizreform auszusetzen, durch Benjamin Netanyahu abends gegen 22 Uhr Ortszeit, gibt es aktuell (Montagmorgen kurz vor 1 Uhr Ortszeit Israel) einen regelrechten Volksaufstand. Es wird geschätzt, dass aktuell bis zu 700.000 Menschen – mitten in der Nacht – auf den Straßen sind, und gegen die Entlassung des Verteidigungsministers und die gesamte Politik von Netanyahu demonstrieren. Darunter sind Zehntausende Reservisten, Elitesoldat*innen, Polizist*innen, Geschäftsleute, Linke, Liberale, die breite Mitte und auch Konservative und gar einige Religiöse.

700.000 Demonstrant*innen auf den Straßen – in einem Land mit 9 Millionen Einwohner*innen!!!

Sie demonstrieren vor den Privatadressen von Ministern oder auch dem Regierungssitz von Netanyahu. Die zentrale Autobahn in Tel Aviv, der knapp 30km lange Ayalon Highway, den alle kennen, die je in Israel waren, ist blockiert. Das kam in den letzten 12 Wochen schon häufig vor, aber nie von so vielen Zehntausenden wie heute und bislang auch nicht mit brennenden Barrikaden. Es ist Volksaufstands-Zeit!

Wer diese Bilder sieht, merkt, das ist ein Volksaufstand:

Jetzt gibt es auch Feuer. Game over, Bibi.

Der ehemalige Chef des Mossad Efraim Halevy, sprach im TV-Sender CNN in scharfen Worten gegen die geplante Politik von Netanyahu. Dabei wird auch eine Stellungnahme der ehemaligen Botschafterin Israels in Frankreich Yale German, die im Februar 2023 aus Protest zurücktrat, eingespielt.

Halevi sagt, dass Netanyahu ein Lügner ist, da er vor der Wahl nichts zu dieser geplanten Justizzerstörung gesagt habe und die Wahl ganz sicher verloren hätte, wenn das als ein zentraler Programmpunkt seines Wahlprogramms bekannt gewesen wäre. Halevi wurde vor Jahren von Netanyahu als Chef des Mossad eingesetzt. In dem Gespräch mit CNN geht die Moderatorin auch auf die schockierenden Gewaltexzesse in Huwara im Westjordanland ein, als nach dem Mord an zwei Juden durch Palästinenser Häuser und Autos der Palästinenser durch Siedler angezündet wurden und ein Mensch ermordet wurde, Dutzende wurden verletzt. Der israelische Finanzminister Smotrich sprach sodann davon, man solle die Stadt von der Landkarte wischen, also zerstören. Sein späteres Dementi war lachhaft, er wurde von Netanyahu nicht entlassen. Schließlich geht es in dem faszinierenden CNN-Gespräch um den von China eingefädelten Deal von Saudi-Arabien mit dem Iran. Der Ex-Mossad Chef betont, dass Israel eigentlich gar keinen Konflikt mit dem Iran habe, keine gemeinsame Grenze etc., und dass man genauer schauen müsse, gerade als Israeli, wie die Chinesen das geschafft hätten, was der Preis war und ob es nicht für Israel eine Möglichkeit geben könnte, sich mit dem Iran zu verständigen …

Als die Leute von dem Rausschmitt Gallants aus der Regierung hörten, kamen sie aus der Philharmonie, Frauen in High-Heels und mit Stolas, Leute rannten aus Restaurants und alle strömten zum Kaplan Platz und zur Stadtautobahn Ayalon. Die Polizei versuchte anfangs, die Demonstrant*innen aufzuhalten, aber es war eine unglaublich riesige Gruppe, Zehntausende.

Es geht um jede Sekunde und Stunde. Morgen früh ab 8 Uhr möchte der rechtsextreme Vorsitzende des Justiz- und Verfassungs-Ausschusses Simcha Rothman die Gesetzgebung eines Gesetzes zur Wahl der Höchsten Richter fortführen und noch am selben Abend das Gesetz, das der Regierung die Macht geben würde, Höchste Richter nach ihren politischen und nicht juristischen Vorlieben zu bestimmen, mit aller Gewalt durch die Knesset peitschen.

Was jetzt zählt ist: Rücktritt von Netanyahu, sein Ende als Politiker, seine Anklage und dann mal sehen, ob er in Freiheit oder im Gefängnis seinen nächsten Hochzeitstag verbringt. Aber das ist egal.

Rücktritt der ganzen Regierung, die Israel in seinen Grundfesten zerstören will, intentional, sie wollen keinen Rechtsstaat, weil sie nationalistische, rechtsextreme und zumal religiöse Fanatiker sind.

Sie müssen gestoppt werden.

Es geht um den Zionismus und Israel als demokratischen Rechtsstaat.

Der ehemalige israelische Regierungschef Ehud Barak betont in aller Schärfe, dass ein bloßes Verschieben oder Aussetzen der Abstimmung die Proteste überhaupt nicht beende würde. Es geht um ein ENDE dieser Justizreform, die eine Zerstörung der Unabhängigkeit der Justiz wäre, religiösen Extremisten die Möglichkeit geben würde, eine Gender-Apartheid in Bussen durchzusetzen oder weiterhin die Sonderregelung für die Religiösen bedeuten würde, nicht zur IDF gehen zu müssen. Nun kann ich verstehen, wenn man keine Lust auf Krieg hat – aber die Begründung ist religiös, nicht rational und in Israel ist es überlebensnotwendig eine sehr starke Armee zu haben, von der auch die Religiösen profitieren, aber überhaupt nichts für die IDF leisten.

Dass es der übergroßen Mehrheit der Protestierenden nicht um die Besatzungspolitik geht und dass eine militärische Sprache überhand nimmt, die von Krieg redet und damit Bürgerkrieg meint, das ist selbst für israelische Verhältnisse neu.

Gallant, der noch am Donnerstag von Netanyahu zensiert wurde, hat zwei Tage später eben doch noch seine Meinung gesagt und berichtet, dass er noch nie eine so dramatische Stimmung in der israelischen Armee erlebt hat wie derzeit. Die Soldat*innen sind nicht bereit, für diese Regierung zu üben, geschweige denn zu kämpfen.

Eine Ironie am Rande: wann gab es zuletzt Demonstrationen gegen die aktuellen Zustände in Israel, die ausgerechnet in London mit Israelfahnen bestückt waren?

DAS Symbol des Protests ist die blau-weiße Fahne mit dem Davidstern. Es kam schon vor, dass rechtsextreme Schlägertrupps Menschen mit einer Israelfahne in Israel (!) angriffen, weil sie denken (zu Recht), dass es sich hierbei um zionistische Kritiker*innen der aktuellen Regierung handelt.

Bislang war ja die Israelfahne in Israel eher Symbol der Rechten.

Jetzt aber ist sie zu dem Symbol des Zionismus geworden, zum Symbol für Vielfalt, LGBTQ+, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und für Minderheitenrechte. Doch dass daraus eine radikale Kritik der Besatzungspolitik erwächst, ist eher unwahrscheinlich, darum geht es kaum bis gar nicht. Der extreme Rechtskurs von Netanyahu hat das Land erschüttert wie nichts seit 1973 und dem Yom Kippur Krieg, wie die Times of Israel schreibt.

Es kann jetzt nicht um ein Aufschieben dieser diktatorischen Gesetzung auf die Zeit nach Pessach, also auf Mitte/Ende April 2023 gehen, wie es jetzt selbst Netanyahu in Erwägung zieht. Es muss um ein Ende der Justizzerstörungs-‚Reform‘ gehen. Das betont auch Ehud Barak, es sein ein point of no return erreicht. Die Demonstrationen werden nicht aufhören, bis alle rechtsextremen Gesetzgebungsideen von Yariv Levin, Ben Gvir, Deri und Netanyahu und alle anderen komplett vom Tisch sind.

Yalla, es lebe der Zionismus! Nieder mit Netanyahu, korrupten, nationalistischen und religiösen Extremisten, Platz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

 

Update 9:34 Uhr:

Der Chef der Gewerkschaft Histadrut Arnon Bar-David, droht mit

einem nie dagewesenen Generalstreik, wenn die geplante Justizzerstörungsaktion von Netanyahu nicht gestoppt wird. Dieser Generalstreik würde alle Bereiche der Gesellschaft betreffen, auch Krankenhäuser etc. Schon heute könnte der Generalstreik beginnen. Schon heute kündigen Kindergärten an, zu schliessen, Einkaufszentren schließen gegen Mittag und Morgen öffnen viele Geschäfte überhaupt nicht.

Der ehemalige Minister und Ex-Netanyahu Vertraute und Vorsitzende der Partei Israel Beytenu (Unser Haus Israel) Avigdor Liberman, fordert den Likud auf, Netanyahu und Justizminister Levin auszuschließen bzw. zu entlassen. Die gestrige Blockade der Ayalon Stadtautobahn gingen laut Times of Israel bis ca. 4 Uhr am Morgen.

9:58 Uhr

Der Flughafen Ben-Gurion ist im Streik. Offenkundig hatte wenige Minuten zuvor Bar-David tatsächlich den historischen Generalstreik ausgerufen.

Schon gestern Abend berichtete Haaretz, dass der israelische Generalkonsul Asaf Zamir in der weltweit größten jüdischen Stadt (in keiner anderen Stadt leben mehr Juden) – New York City – seinen Rücktritt erklärt hat. Er gab eine Erklärung auf einer Veranstaltung im jüdischen Museum New York vor 900 Gästen ab.

10:12 Uhr:

Der Präsident Israels Isaac Herzog forderte laut Jerusalem Post heute Morgen die Regierung auf, die geplante Justizreform sofort, also HEUTE, zu stoppen. Das Land wäre am Rande eines Kollapses, weil weite Teile der Bevölkerung, der Armee und aller zentralen Einrichtungen gegen die geplante Justizreform sind und es letzte Nacht Gewalt und Barrikaden gab.

11:13 Uhr:

Die Rechtsextremen, Rassisten, Schläger und Hooligans des Beitar Jerusalem Fußballclubs von „La Familia“ („Death to Arabs“) kündigen an, heute Abend um 18 Uhr Ortszeit auf die Kaplanstraße in Jerusalem zu marschieren. Der Knessetabgeordnete und Vorsitzende des Justiz- und Verfassungsausschusses Simcha Rothman von der Partei Religiöser Zionismus forderte seine Anhänger (wie La Famlia) auf, zu demonstrieren. Schon jetzt fahren Tausende Kritiker*innen der Regierung mit Zügen und Autos in Richtung Jerusalem, um gegen die Justizzerstörung vor der Knesset zu demonstrieren. Die Kaplan Street führt am Rosengarten vorbei direkt zur Knesset. Auch in Tel Aviv gehen die Demonstrationen über die Kaplanstraße.

Ben Gvir droht, dass die Regierung platzen wird, wenn Netanyahu die Gesetzgebung stoppen sollte. Schön wär’s!

NEU Vorankündigung: Pandemic Turn – Antisemitismusforschung und Corona

Im April 2023 erscheint:

Clemens Heni

Pandemic Turn

Antisemitismusforschung und Corona

ISBN 978-3-946193-39-5 | 17 x 24 cm | Hardcover mit Schutzumschlag | Lesebändchen | xxxvi + 638 Seiten | 38€ | 202 Abbildungen |

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Antisemitismus, Band 8 |

Leseprobe Heni Pandemic Turn 2023

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