Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: AfD

Kampf der „Deutschomanie“

Zuerst erschienen auf Heise.de/Telepolis, am 8.10.2016, hier ein Auszug:

 

Die deutsche Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hat ein enorm wichtiges, kritisches und mutiges Buch geschrieben – Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Berlin: Rowohlt, Oktober 2016 –, aufgrund dessen sie jetzt Morddrohungen von ganz normalen „besorgten Bürgern“, ergo: rassistischen Deutschen bekommt. Sie hat deshalb vorübergehend ihren Schuldienst als Islamlehrerin bis nächsten Sommer ausgesetzt.

Kaddor sagt: „Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Lasst uns endlich öffentlich darüber reden.“ (S. 23) Kaddor wurde in Westfalen geboren. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten aus Syrien eingewandert. Sie ist eine junge, weibliche, muslimische Deutsche und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

(…)

Lamya Kaddor hat die großen Linien der politischen Kultur und des Rassismus in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren im Blick. Sie kritisiert die Verharmlosung der AfD-Wähler, die in der Tat häufig von „gruppenbezogener Mensschenfeindlichkeit“ (egal ob man diesen Begriff nun für sinnvoll hält oder eher nicht) geprägt seien. Ja, viel mehr noch, wie Hermann L. Gremliza schreibt („Wir sind ein völkisch Volk“):

„Keiner – bis auf ein paar Freaks und mich, Leute, die allen stolzen Deutschen als bösartig oder verrückt gelten – nennt die AfD, ihre Wähler oder die Pegida, was klingt wie Napola, Nazis.“ (Konkret 10/16, S. 9)

(…)

Kaddor zitiert zwei Textpassagen heran, die beide den Publizisten Henryk M. Broder aufgrund dessen ‚Islamkritik‘ positiv rezipieren und promoten. Beide Zitate sind ganz ähnlich positiv. Das eine jedoch kommt von der (angeblich) antideutschen Postille „Bahamas“, das andere von der NPD Chemnitz. (S. 102) Das ist die neue „Querfront“

Auch wenn Kaddor das nicht zu ahnen vermag: selbst antideutsche Kritiker*innen werden an ihrer Seite stehen gegen die AfD, Broder, Tichy, Pegida und all die neu-rechten, rechtsextremen („rechtspopulistischen“ und von „besorgten Bürgern“ betriebenen) und neonazistischen Netzwerke, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie von weitem die Antifa sehen oder die politische Elite des Landes, die sich jeweils ja gar nicht mögen. Aber der Feind steht rechts und das hat auch ein Norbert Lammert erkannt, auch wenn sein Tonfall immer noch ruhig ist, der Lage nicht unbedingt angemessen.

Wie schreibt Gremliza in seinem Suhrkamp-Band:

„Die Lage des Kritikers korrespondiert mit der Lage der Menschheit vorzüglich. Beide sind hoffnungslos.“ (S. 7)

 

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

 

Der Autor, Clemens Heni (Jg. 1970), hat neben einer Grundausbildung im „Antifaschismus-Komitee Tübingen/Reutlingen“ von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre universitäre Abschlüsse in Empirischer Kulturwissenschaft (B.A.) und Politikwissenschaft (B.A., Diplom) erlangt, 2006 in Innsbruck mit einer Arbeit über die Kritik an der „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ promoviert (Dr. phil, bei Prof. Anton Pelinka), war sodann Post-Doc an der Yale University in USA und gründete 2011 das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) wie auch den Verlag Edition Critic. Er ist Autor von fünf Büchern und vielen Artikeln in Deutsch und Englisch zu Rechtsextremismus, Neuer Rechter, Antisemitismus, politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Holocaust, Kritischer Theorie, Israel und Islamismus.

 

 

Die Welt schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und das „Pack“ in Berlin stehen wieder vor dem Einzug ins Parlament

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Wer AfD wählt hat offenkundig kein Problem mit Rassismus, Deutschnationalismus und Antisemitismus.

Jede Wählerin und jeder Wähler bekommt seit über zwei Jahren mit, wie nazistisch, rassistisch, antisemitisch, völkisch und deutschnational die AfD ist.

Alle wissen das, da es noch nie eine so massenmediale Verbreitung der Hetze einer nicht mal im Bundestag vertretenen Partei wie der AfD gab, von Günther Jauch über Anne Will und Fank Plasberg hin zu Sandra Maischberger etc. pp.

Wir müssen weg von der „Konsensdemokratie“, die noch mit jedem Nazi ernsthaft redet und ihn „zurückholen“ möchte – es geht um klare Grenzen, z.B. Rassisten oder Antisemiten gerade nicht medial zu promoten und nicht in TV-Talkshows einzuladen. Das ist eine Message und Kritik des Spiegel Kolumnisten Georg Diez. Weniger die AfD promoten, denn sie ignorieren oder kritisieren. Ich würde sagen: über die AfD reden, nicht mit ihr. Das ist antifaschistische Grundausbildung.

Antifa (nicht Carl Schmitt) statt Habermas. Kritik statt Konsens.

In der AfD sprechen Agitatoren wie Goebbels, spielen mit einem Schießbefehl auf Flüchtlinge an der Grenze, promoten die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion, diffamieren das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und sind gegen Abtreibung, alle zusammen hetzen gegen Angela Merkel und wollen am liebsten eine demokratisch gewählte Kanzlerin wegputschen oder gewaltsam entfernen.

Galgen für Gabriel und Merkel auf Pegida-Demo in Dresden – Pegida ist ein ungeistiger wie praktischer Verbündeter der AfD und Pegidisten sprachen schon auf AfD-Veranstaltungen, die AfD ist gegen Moscheebauten wie in Erfurt.

Auf einer AfD-Demo wird gegen die USA agitiert und antiamerikanische Verschwörungsmythen werden promotet. Das vom extremen Rechten Jürgen Elsässer geführte Compact-Magazin fantasiert hierbei davon, das ganze Land sei von NSA und USA  besetzt – so Poster auf der großen bundesweiten AfD-Demo am 7.11.2015 in Berlin:

AfD-Demo, 7. November 2015, Berlin; Foto: Sören Kohlhuber

AfD-Demo, 7. November 2015, Berlin; Foto: Sören Kohlhuber

 

In Berlin fordert ein AfD-Mann alle Flüchtlinge in „Lager“ zu stecken, in unbewohnten Gebieten.

Jene „Klimaverschärfung“, von der die Journalistin der Stuttgarter Zeitung Katja Bauer im November 2015 sprach, ist in einem Maße eingetreten, dass es wohl nur sehr wenige AnalystInnen zu ahnen vermochten.

JEDE Wählerin und JEDER Wähler der Alternative für Deutschland (AfD), von den Funktionären nicht zu schweigen, agieren de facto antisemitisch und rechtsextrem. Es zählt die gesamte Partei und die steht – vorneweg Petry, Gauland, Meuthen, Höcke – für Antisemitismus, Rassismus, Deutschnationalismus und Kokettieren mit dem Nationalsozialismus wie der Trivialisierung und Verhöhnung der Opfer von Auschwitz, wenn Holocaustopfer mit heutigen Flüchtlingen in Zügen analogisiert werden, wie es der Berliner AfD-Vize Hugh Bronson tut.

Ein bekannte Neo-Nazi-Taktik ist heutzutage, die ungeheuerlichsten Sachen zu sagen, die entsprechende Reaktionen zu bekommen, zumindest von dem Teil der Bevölkerung, der nicht antisemitisch, rassistisch und deutschnational oder eiskalt abgeklärt ist, und dann scheibchenweise Nazi-Ideologeme oder andere problematische Topoi wieder zurückzunehmen, was in jedem einzelnen Fall unglaubwürdig ist und die WählerInnen das Augenzwinkern jeder Rücknahme natürlich sehen.

Andere wie die CSU nehmen de facto bestimmte Teile der AfD-Ideologie auf und verschärfen sie sogar noch, wie Claus Kleber im ZDF am Beispiel Horst Seehofer verdeutlichte.

Jeder Wähler und jede Wählerin in Berlin, der oder die AfD wählt, verdient Verachtung und politische und soziale Isolation. Diese Menschen gehören nicht zu einer demokratischen Gesellschaft. Sie gehören bekämpft. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Nehmen wir als letztes ein besonders krasses und abstossendes Beispiel (als ob es da eine Hierarchie des Ekels geben könnte bei der AfD):

Der Berater der Vorsitzenden der AfD, Frauke Petry, Michael Klonovsky, schreibt am 11.09.2016 auf seinem Blog:

„eine Frau ohne Kinder ist eine traurige, zuweilen sogar tragische Figur. Sie hat den eigentlichen Zweck ihres Daseins verfehlt.“ –

Angesichts dieser Frauenverachtung, die zu den „Lebensschützern“, die am 17. September 2016 in Berlin wieder aufmarschieren,  passt, gilt:

Kein Platz für die AfD, andere Mutterkreuz-Nazis, Frauenverachter und christliche FanatikerInnen in Berlin und nirgendwo sonst.

Die Ideologie der AfD ist ganz offen völkisch.

Es ist moralisch noch viel schlimmer nach 1945 das Wort völkisch zu benutzen denn z.B. 1897, damals bereitete es den Judenmord vor, ohne zu ahnen, ob und wie er passieren wird – nach 1945 ist es eine Zustimmung zu Auschwitz. Ein Wörtchen, das für die Affirmation des deutschen Verbrechens der Vernichtung des europäischen Judentums steht. Natürlich augenzwinkernd, AfD-Taktik.

Doch nicht wenige Journalisten und Historiker (gerade solche, die gegen die AfD sind) scheinen nicht zu verstehen, dass die Neue Rechte nach 1945 agiert und diese Bejahung der deutschen Verbrechen im Wieder-Verwenden eines Adjektivs wie „völkisch“ drin steckt und gerade kein Zurück ins Kaiserreich oder der Weimarer Zeit meint.

Wer heute von völkisch redet wie Petry zwinkert den AnhängerInnen zu: „Auschwitz, not sooo bad“ … Sie weiß ob der Perfidie ihrer Strategie, ohne den Holocaust zu leugnen oder offensiv zu bejahen.

Zur völkischen Ideologie der AfD gehört das Nazi-Mutterkreuz wie die neonazistische Identitäre Bewegung zur ideologischen wie organisatorischen Grundausstattung.

Gerade die Linkspartei versteht jedoch häufig gar nicht den völkischen und nazistischen Charakter der AfD, sondern kapriziert sich oft auf die „soziale Frage“, den „neoliberalen Charakter der AfD“ oder äfft die AfD nach, wie die „heilige Johanna der deutschen Nationalbewegung“, Sahra Wagenknecht. Falsch. Es geht nicht um die „soziale Frage“ bei der AfD. Es geht um Deutschland, Rassismus, Hetze gegen alle Nicht-Deutschen bzw. Deutsche mit der aus Rassistenperspektive „falschen“ Hautfarbe wie Boateng, es geht um Nationalismus, Antisemitismus und das Kokettieren mit dem Holocaust und dem SS-Staat.

Das ist der Kern der Salonfähigkeit der Neuen Rechten und nicht „Abstiegsängste“, geringe Renten oder Arbeitslosigkeit und wie die Ausreden für völkische WählerInnen alle heißen.

Wählt morgen demokratisch und lasst euch vom AfD-Kuschelkurs und der Trivialisierung der Nazi-Gefahr der AfD einer Margarete Stokowski auf SpiegelOnline (SPON) oder eines Gerhard Appenzeller im Tagesspiegel nicht aus dem antifaschistischen und demokratischen Konzept bringen.

Stokowski hatte auf SpiegelOnline ernsthaft geschrieben, dass gerade die deutsche Geschichte doch gezeigt habe, Antifaschismus sei manchmal erfolgreich und manchmal halt nicht. Keine Panik also:

Deutschland ist ein Land, das eine außerordentlich gründlich dokumentierte historische Vorlage hat, auf die man jetzt zurückgreifen könnte, um sich zu informieren, wie rechtes Denken sich verbreitet, wie Widerstand dagegen aussehen kann, warum er manchmal scheitert und manchmal erfolgreich ist.

„Manchmal“ ist der „Widerstand“ halt „gescheitert“. Manchmal!

Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen, Oranienburg, Majdanek sind halt passiert, Pech. Das seien lediglich Zeichen, dass „manchmal“ der Widerstand nicht erfolgreich war. „Manchmal“, Leute, also bitte nicht aufregen oder das Präzedenzlose, nie Dagewesene der Shoah thematisieren. Die ist nur ein Beispiel, wo es halt schief ging mit dem Widerstand.

Ist halt passiert. Dieses flapsig-lässig-geschwätzige Hinweggehen über das präzedenzlose Verbrechen der Shoah durch Margarete Stokowski ist typisch für viele heutige AutorInnen. Was es z.B. für Nachkommen von Holocaustopfern oder für Holocaustüberlebende und deren Nachfahren bedeutet, wenn eine Partei wie die AfD in Parlamente einzieht, ist ihr mit solchem Gerede offenkundig völlig schnuppe.

Und Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel, ein erfahrener Journalist, der während des Zweiten Weltkrieges 1943 in Berlin geboren wurde, attackiert gar den Berliner Regierenden Bürgermeister Michael Müller für dessen „Alarmismus“, weil dieser auch AfD-WählerInnen scharf angeht, da die Wahl der AfD als Nazi-Revival weltweit Schlagzeilen machen würde.

Ja, würde es, lieber Tagesspiegel, und dank dem Tagesspiegel wird die AfD auch weiter trivialisiert und lieber die SPD diffamiert in ihrer scharfen Attacke auf die AfD und – das ist so wichtig – dem Fokus auf die WählerInnen der AfD, ganz normale Deutsche.

Bei aller so scharfen Kritik an Sigmar Gabriel, der aus der SPD das gemacht hat, was sie heute ist (inklusive des Kungelns mit dem islamistisch-antisemitischen Regime in Teheran), sein Wort vom deutschen „Pack“ (nicht nur in Heidenau und Sachsen) geht in die Geschichtsbücher ein, weil es die Wahrheit ist. Auch sein Mittelfinger für die Nazis der Identitären Bewegung kam aus tiefstem Herzen und das ist gut so.

Und ganz zu Recht hat Gabriel in seinem Statement in Heidenau deutlich gemacht, dass Nazis auch im Sportverein, auf der Arbeit, im Kirchenchor oder beim Rockfestival, auf der Autobahnraststätte, beim „Odin-sei-bei-mir“-Rufen im Schwarzwald, beim Paintball-Spielen in der Lüneburger Heide, beim Einkaufen, im Fußball-Stadion nicht nur in Dortmund oder Dresden, dem Boxring oder beim Rumlungern und Warten auf das nächste „du Opfer“ oder „du Jude“ (wobei sie diese Ressentiments mit nicht wenigen muslimischen Jugendlichen teilen!) isoliert, attackiert und kritisiert gehören.

Wer nicht erkennt, in welcher gesamtwestlichen, zumal gesamteuropäischen Situation wir uns befinden, wo Rechtsextreme (darunter all jene zärtlich als „besorgte Bürger“, „Rechtspopulisten“, „Protestwähler“ etc. Kategorisierten) Wahlerfolge feiern und die politische Kultur massiv nach rechts verschieben, wie in Ungarn, Österreich, Schweden, Holland, Frankreich, England (und Trump in USA) – die oder der hat nicht kapiert, was diese Zeit auch hierzulande geschlagen hat.

Es geht um die Verteidigung der Demokratie, nicht mehr und nicht weniger, egal welche demokratische Partei man wählt – wobei die CSU eine Art zweite AfD in Bayern ist und es ist wiederum der nach extrem rechts abdriftende Berliner Tagesspiegel, der für eine erzkonservative oder „stramm konservative Politik“ plädiert bzw. sie lobt:

Ist es echt so schlimm? Gehen wir mal kurz die zentralen Forderungen der CSU durch: Flüchtlingsobergrenze von 200.000 Menschen, Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, Burka-Verbot, Vorrang für Zuwanderer „aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“. Sind das verbotene Forderungen, ist es rechtsradikal, gefährden solche Ansichten den sozialen Frieden? Natürlich nicht. Es ist stramm konservative Politik.

Sicher ist ein Burkaverbot höchst angesagt. Die Würde der Frau ist unantastbar.

Aber alles andere ist Rassismus, namentlich der „Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“ wie auch eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge (!).

Wenn Michael Müller in der taz schreibt:

Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit, die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert.

dann hat er die Zeichen der Zeit klar erkannt. Sicher ist das auch Teil des Wahlkampfes und das heißt nicht, dass man die SPD super-duper-toll finden muss, alleine schon das Ausgrenzen eines anti-islamistischen SPDlers wie Erol Özkaraca ist problematisch und sollte kritisiert werden:

Im Sommer 2015 hatte sich Özkaraca mit seinem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, wie er Muslim, überworfen. Es ging um die Frage, wie nah Islam und Staat sich kommen dürfen. Özkaraca interpretiert seinen Glauben liberal, er besteht auf einer strikten Trennung zwischen Religion und Staat. Saleh trat dagegen ein für einen Staatsvertrag mit Berlins muslimischen Verbänden, wie in Hamburg und in Bremen. Und er zeigte sich offen für eine Änderung des Berliner Neutralitätsgesetzes, das Lehrern sichtbare religiöse Symbole verbietet, also auch Frauen ein Kopftuch.

Vor dem Bürofenster Özkaracas ist eine ganze Batterie von seinen Wahlplakaten aufgestellt, versehen mit dem Konterfei des Kandidaten sowie politischen Slogans, die angesichts der allgemeinen Einfallslosigkeit der sonstigen gedruckten politischen Aussagen teils frech, teils provokant erscheinen. „Der Rechtsstaat gilt überall. Sogar in Neukölln“ steht dort zu lesen, oder „Religion ist Privatsache. Extremismus nicht“.

Die SPD hat sich als Partei ganz klar als Anti-AfD-Partei gezeigt.

Es gibt auch in Berlin viel zu viele Menschen, die die AfD wählen werden. Es geht darum, den Prozentsatz der AfD so gering wie möglich zu halten und die Neue Rechte auch im Parlament zu bekämpfen, mit allen Mitteln. Das ist Realpolitik.

Auch bisherige oder häufige NichwählerInnen, AnarchistInnen (solange sie nicht eh libertäre Nazis sind), Antideutsche und SkeptikerInnen sollten diesmal wählen gehen, demokratisch.

Die AfD ist nicht nur eine etwas erfolgreichere NPD. Die AfD steht für eine neue deutsche Volksgemeinschaft und für das Mainstreamen von Rassismus, Deutschnationalismus und Antisemitismus. Davon konnte die NPD niemals auch nur träumen.

Leute: Es sind krasse Zeiten und krasse Zeiten verlangen krasse Handlungen. Und sei es, die AfD parlamentarisch zu bekämpfen und wählen zu gehen.

 

 

 

Von der SED zur AfD? Warum die Neue Rechte die DDR schon 1981 als besonders „deutsch“ wahrnahm

Update und verändert, 5.9.16, 17:30 Uhr

Folgendes Zitat aus einer Studie der Linkspartei/PDS des Publizisten Erhard Crome aus dem Jahr 2001 könnte als Indikator dienen, warum die extreme Rechte in der Ex-DDR so viel Erfolg hat:

»Eins hat die DDR im Laufe ihrer 40jährigen Existenz geschafft, was in der BRD nie gelungen war, nämlich die Wörter ›Liebe‹ und ›Vaterland‹ immer wieder in einem Satz unterzubringen, z. B. in der Wendung ›Liebe zum sozialistischen Vaterland‹.“

Der Wahlerfolg für die Rechtsextremen der AfD vom 4. September 2016 ist schockierend. Vor allem an der Ostseeküste, Greifswalder Gegend vorneweg plus Rügen, haben die extremen Rechten, Rechtspopulisten, besorgten Bürger und Nazis teils um die 35% der Stimmen und mehr, wenn man dann noch die NPD dazu nimmt, die dort auch auf über 5% der Zweitstimmen kommt.

Flüchtlinge spielen in diesem Bundesland so gut wie keine Rolle. 2015 kamen 23.000 Flüchtlinge nach MeckPomm, davon sind ca. 1/3 geblieben.

„Im vergangenen Jahr wurden 23.080 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern registriert. 2016 sind es bislang 3.180 (Stand Ende Februar). Das Land muss exakt 2,03 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen. Das sieht der ‚Königsteiner Schlüssel‘ vor, eine Quote, die sich nach Bevölkerungszahl und Steueraufkommen richtet.“

So wenig wie der Antisemit Juden benötigt, so wenig braucht der Rassist sein Objekt der Begierde zu sehen etc. – es findet im Kopf statt, ohne hier den Verschwörungswahnsinn des Antisemitismus und die Vernichtungsabsicht gegenüber Juden oder Israel auf den Rassismus zu übertragen oder gleichzusetzen.

Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern stirbt eh aus, seit 1990 hat es 300.000 BewohnerInnen verloren und hat jetzt 1,6 Mio. Dass die Menschen dort gar kein Interesse am Überleben haben, zeigt sich daran, dass sie die wenigen Flüchtlinge, die dort ankamen, auch noch weghaben wollen und AfD wählen.

Der Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern ist also extrem und beweist, dass Rassisten keine sichtbaren Flüchtlinge brauchen für ihren Hass und ihr völkisches Deutschtum.

Dass mittlerweile massive Teile der Bevölkerung, zwischen 15% (BaWü) und ca. 25 % in MeckPomm (AfD plus NPD) bzw. Sachsen-Anhalt rassistisch und deutschnational wählen, zeigt an, dass dieses Land ein enormes Problem mit der Bevölkerung hat.

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle hierbei. Ohne die Auftritte bei Jauch, Maischberger oder Soft&Blöd wäre die Partei nicht da, wo sie jetzt ist, das wäre eine eigene medienpolitische Studie wert.

Nicht nur der Springer-Konzern beschäftigt (nicht nur einen, wie zu vermuten ist) Publizisten, die seit Jahren der Neuen Rechten Nahrung bieten und von der „öffentlichen“=guten, AfD-nahen und der „veröffentlichten“=bösen, nicht-nazistischen Meinung daher schwadronieren.

Auch die SPD muss gar nicht drum herum reden, sie selbst ist mit verantwortlich für die Hetze gegen Merkel, Erwin Sellering z.B., der alte und neue oberste Seemann im nordöstlichsten Bundesland, der Merkel mit verantwortlich machte für den Aufstieg der AfD.

Den Aufstieg der AfD verdankt die Partei dem Rassismus und Deutschtum, dem Antisemitismus und der Erinnerungsabwehr an Auschwitz durch weite Teile der Bevölkerung und der Medien. Ein obsessiver Hass auf Political Correctness, auf Gender, Homosexualität, alles irgendwie Linke oder so Kategorisierte, auf ökologisch Sensible wie gewerkschaftlich Organisierte wie auch die Sehnsucht nach einem Schießbefehl (nicht nur) an der Grenze ist typisch für die „besorgten Bürger“, wie Rechtsextreme heute bevorzugt genannt werden. Es geht ihnen um kollektive deutsche Identität, die das Fehlen einer Ich-Identität zu kompensieren verspricht, wie die Sozialpsychologie analysieren würde.

In einer Demokratie muss es dazu gehören, Teile der Bevölkerung zu beschimpfen und sie als „Pack“ zu bezeichnen und sie nicht als Wähler „zurück“ zu gewinnen. Die Menschen können sich ändern – oder auch nicht. Wir haben Aktionen erlebt, wo ganz normale Deutsche Flüchtlinge als „Dreck“ bezeichnet haben. Das führte Sigmar Gabriel seinerzeit dazu, von diesen Menschen ganz gezielt von „Pack“ zu reden.

Wer in einem Bundesland, das so gut wie keine Flüchtlinge je gesehen hat, diese zu DEM Thema macht, ist wahnsinnig und obsessiv rassistisch. Das trifft auf weite Teile der Ex-DDR zu, Sachsen vorneweg als bevölkerungsreichstes Ossi-Land. Und wer angesichts von Familien oder Alleinstehenden, die dem Horror Syriens entkommen sind, gegen diese Menschen hetzt und sie als „Dreck“ diffamiert – hat selbst jede Menschlichkeit verloren.

Der autoritäre Charakter Vieler in der Ex-DDR kommt auch von der DDR Sozialisation her, aber nicht nur.

Doch jetzt wird es interessant: in einem extrem rechten, konservativen, schwarzrotgold illustrierten Sammelband mit dem Titel „Das Volk ohne Staat. Von der Babylonischen Gefangenschaft der Deutschen“ aus dem Jahr 1981 wird das deutsche Moment der SED und der DDR hochgehalten.

In einem Beitrag des extrem rechten Publizisten Klaus Motschmann heißt es, nachdem er bereits (seiner Lesart zufolge) pro-deutsche Passagen aus dem Werk von Friedrich Engels und Karl Marx wohlwollend zitierte:

„In der DDR-Verfassung ist die gesamtdeutsche Komponente dadurch unterstrichen worden, daß in Artikel 8 die ‚Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung‘ als ‚nationales Anliegen‘ in den Rang eines Verfassungsauftrages erhoben wurde. Der damalige Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht erkläre dieses ‚Anliegen‘ aus der ‚festen Überzeugung, daß der Sozialismus keinen Umweg um Westdeutschland machen wird, und daß der Tag kommt, wo die westdeutschen Arbeiter und ihre Verbündeten mit uns gemeinsam den Weg zu einem vereinigten sozialistischen Deutschland beschreiten werden.‘“

1984 schrieb DER Vordenker der Neuen Rechten in der Bundesrepublik, Henning Eichberg, mal wieder über die DDR. Eichberg erkannte nach seinen Versuchen u. a. die Grünen, die Republikaner und auch die SPD für das neu-rechte Projekt zu begeistern in den 1990er Jahren in der deutschen politischen Landschaft eine neue und weitere Möglichkeit für ›nationale‹ Politik: die PDS. Als Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bot sie sich durchaus an.

Eichberg hat sich schon 1973 über die DDR-Forschung zu ‚Turnvater‘ Friedrich Ludwig Jahn anerkennend geäußert, weil sie dessen nationalrevolutionäre Theorie nicht kritisiert habe, wie es in der BRD Usus gewesen sei (was natürlich in West-Berlin niemand davon abhält, ein Jahn-Denkmal in der Hasenheide aus dem 19. Jahrhundert, das nicht nur zu Nazizeiten geehrt wurde, stehen zu lassen und heute wird Jahn auch in der ‚gesamtdeutschen‘ Sportwissenschaft nicht selten wohlwollend rezipiert). Der Leipziger Sporthistoriker Willi Schröder wird dabei von ihm im Gegensatz zur BRD-Forschung positiv gewürdigt, da er Jahn als Beispiel für »Turnen und Nationalismus« gelobt und den ›Turnvater‹ vor Kritik an dessen Nationalismus in Schutz genommen habe:

»Die Verbindung dieses Patriotismus mit der Turner- und der Studentenbewegung wird in der DDR-Literatur positiv gewertet und detailliert aus den Quellen erforscht. Aus der reichhaltigen Literatur seien nur genannt: die für das folgende vor allem benutzte Habilitationsschrift von Willi Schröder: Burschenturner im Kampf um Einheit und Freiheit, Berlin 1967.«

In der BRD hingegen behandle man das Thema Jahn und Nationalismus »gern polemisch abwertend«. Eichberg schätzt die DDR übrigens auch in anderen Bereichen wegen ihres ›deutschen‹ Charakters, wie er in einem Text 1984 ausplaudert:

»›Westdeutschland geht den amerikanischen Weg. Das sieht man schon an den McDonald-Geschäften überall am Wege. Die Deutschen in der Bundesrepublik gleichen nicht mehr sich selbst. Wenn man die Deutschen als Volk erleben will, muß man in die DDR reisen. Dort stellen die Leute noch ihren Käse und ihre Würste selbst her.‹ – So sagt Lahmer Hirsch, Medizinmann der Lakota Sioux. Ich möchte grinsen, weil ich mir vorstelle, wie die Arbeiter von Leuna sich ihren Käse selbst herstellen. Aber dann sehe ich den Lahmen Hirsch selbst grinsen. Hat er nicht recht? Oft sagt ein Medizinmann nur das, was alle anderen in ihrem Innern schon wissen.«

So verwundert es nicht, wenn Eichberg in seinem wohlwollenden Gespräch mit der „linken“ Szene-Zeitschrift Ästhetik & Kommunikation (Ä&K) 1979 von der »Körpersprache« spricht, die ihn mit »Freunden aus der DDR« verbinde und er sich in solchen gleichsam ›körperlichen‹ Situationen »als Deutscher« empfinde …

Soviel zum deutschnationalen Potential in der DDR, das seit 1990 in einem Maße losschlug, wie es selbst die Neue Rechte kaum für möglich gehalten hat.

Solange die demokratische politische Klasse es jedoch nicht lernt, Menschen mit Inhalten zu konfrontieren und nicht auf sie als mögliche Wähler zu schielen, so lange wird der Aufstieg der Nazis sich fortsetzen, nächstes Mal in Berlin. Man muss diese WählerInnen der AfD verachten dürfen, wie es der Publizist Christoph Giesa tut.
Wenn es eine einzige Politikerin in Europa und der westlichen Welt gab in den letzten 12 Monaten, die Anstand bewiesen hat und menschliche Wärme wie Weitsicht, war es Angela Merkel.
Das ist gar keine Apologie aller ihrer Politiken wie dem elenden Iran-Deal, der unerträglichen Austeritätspolitik, ihrer Erdogan-Politik und vielem anderen mehr. Sie ist eine Konservative und das ist keine fortschrittliche Perspektive im 21. Jahrhundert. Aber eben um Welten harmloser als der Neo-Nazismus und Rechtsextremismus, wie wir ihn heute wieder in Parlamenten und auf den Straßen wie in Dresden (Pegida) erleben.

Also: Der Hass, der Merkel von Rechtsextremen in Frankreich (Front National) über Faschisten, Rechtspopulisten, autoritären, völkischen, vom Ressentiment getriebenen PolitikerInnen in Holland (Wilders), Ungarn (Orbán), Österreich (Hofer, FPÖ) und Deutschland (AfD, NPD, Sahra Wagenknechts Linkspartei) und vielen Publizisten weit in der sog. bürgerlichen Mitte entgegenschlägt, ist unfassbar und zeigt an: die Neue Rechte strebt zur Macht. Und noch nie musste eine Kanzlerin oder ein Kanzler so stark gegen so widerwärtige Kräfte bestehen, denn dazu kommt ja noch die bayerische AfD-Light, die CSU.
Dabei will die AfD primär zerstören, die Demokratie zerstören um den Weg für eine Führerin (LePen) oder einen Führer (Höcke, Gauland, Hofer, Wilders etc.) freizuschießen.

Wer meint, WählerInnen von Nazis, die mit Aufmärschen der SA durchs Brandenburger Tor kokettieren und sie nachmachen (AfD, flankiert von den Neonazis der Identitären Bewegung) als „Protestwähler“ klein zu reden, hat gar nicht kapiert, was die neu-rechte Stunden geschlagen.
Man muss das Pack angreifen und als solches benennen und das „demokratische Versagen“ klar auf den Punkt bringen, wie es Charlotte Knobloch tut.

Und man muss kein CDU-Fan sein um den Slogan „Merkel wird bleiben oder dieses Land wird untergehen“ als geradezu emanzipatorischen Schlachtruf unserer Zeit zu erkennen. Und das wird kein fortschrittliches Ende sein, sondern ein rechtsextremes Fanal – auch für Europa.

Merkel steht dabei gleichsam als Begriff (und nicht nur als bürgerlicher Name) für antirassistisches, menschliches Handeln angesichts unfassbar brutaler Kriege unweit der Grenzen Europas in Syrien und dem Irak, aber auch der jihadistischen Gefahr in anderen Ländern wie Afghanistan, Pakistan und vielen weiteren Kriegen und lebensbedrohlichen Lebensumständen in vielen Ländern Afrikas.

Das nationale Denken in der DDR ist ein massives Problem und rührt auch von der Ideologie der SED her, wie schon vor 30 und 40 Jahren die rechtsextreme Neue Rechte in der Bundesrepublik erkannte und sich ein deutschnationales Potential in der DDR mit Strahlkraft in die BRD erhoffte. Jetzt ist es in vollem Wichs da.

Wie jetzt zum Beispiel Roland Nelles, Politik-Ressortleiter bei Spiegel Online in einem Video-Beitrag sagt, sind die Wähler der AfD sehr wohl als „Rassisten“ zu bezeichnen.

Diese scharfe Kritik ist es, die in diesem Land viel zu lange gefehlt hat.

 

Der Verfasser, Dr. phil. Clemens Heni, promovierte 2006 an der Uni Innsbruck mit einer Studie über die Neue Rechte. Teile dieses Textes sind aus dem Kapitel „Eichberg und die DDR/PDS (1973–1998 ff.) dieser Dissertation, „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“, Marburg 2007 (zweite Auflage Berlin 2017)

Deutsche Männer mit Schnappatmung. Zur Kampagne „besorgter Bürger“ und anderer Rechtsextremer gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und Anetta Kahane

Wir leben in gefährlichen Zeiten. Faschisten lieben, es „gefährlich zu denken“, ans Äußerste zu gehen, theoretisch wie praktisch. Das ist das Erbe von Richard Wagner, Carl Schmitt und Ernst Jünger.

In Berlin wird auf Demonstrationen von Neonazis, anderen „ganz normalen besorgten Bürgern“ (=“Rechtspopulisten“) wie am 30. Juli 2016 schon mal gefordert, Bundeskanzlerin Merkel „zu steinigen“, wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus berichtet.

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD), Verschwörungswahnsinnige, Zeitschriften wie das vom Ex-Linken Jürgen Elsässer geführte Compact Magazin, das Deutschland als von den USA besetztes Land herbei fantasiert, Neonazis aller Art, die „Identitäre Bewegung“ und die beliebten „besorgten Bürger“ hetzen seit Jahren: „Merkel muss weg“.

In USA fordert der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, seine Gegnerin, die demokratische Kandidatin Hillary Clinton, „einzusperren“ („lock her up“), für den niederländischen Agitator Geert Wilders, der auch gegen die jüdische Beschneidung ist, klebt an Merkels Händen „Blut“, Morde durch Jihadisten seien ihr zu verdanken. Der heutige britische Außenminister Johnson verglich während der BREXIT-Kampagne die EU mit Hitler. Selten war die Trivialisierung des Holocaust so Mainstream in Europa, wir wollen von osteuropäischen oder islamistischen Formen der Holocaust-Bejahung hier erst gar nicht sprechen.

Das Klima ist so angespannt und verhetzt, dass viele nicht glauben wollten, dass der mörderischste Anschlag in der Bundesrepublik seit Jahren, der Amoklauf von München vom 22. Juli 2016 mit neun Toten und dutzenden Verletzten, kein islamistischer Anschlag war, sondern von einem rassistisch und neonazistisch motivierten, zudem psychisch kranken Täter ausgeführt wurde. David Ali S. (manche wollten wohl insinuieren, die Presse würde absichtlich den Vornamen „Ali“ nicht nennen, während ähnlich Fragende in England nicht betonten oder nicht mal erwähnten, dass der Täter ein Rassist und Rechtsextremist war) aus München tötete gezielt Migranten, was nicht nur mit schulischen Problemen in Beziehung steht, sondern auch mit einer offenkundig rechtsextremen Ideologie. Er hatte am selben Tag wie Hitler Geburtstag und freute sich darüber, zudem sah er sich als Deutsch-Iraner besonders „arisch“, während des Amoklaufs wurde ein Video aufgenommen, das seine rassistische und deutsche Ideologie fragmentarisch zum Ausdruck bringt.

Zuletzt hatte der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) gezielt neun Migranten ermordet, allerdings in einem Zeitraum von 7 Jahren und nicht innerhalb weniger Minuten.

Vor diesem Hintergrund ist die Aufklärungsarbeit gegen Rechts von enormer Bedeutung.

Doch in Deutschland ist die Kritik an der Rechten verpönt, die Neue Rechte ist derzeit salonfähig, nicht Gesellschaftskritik und Antifaschismus. Das zeigt sich am FAZ-Autor „Don Alphonso“, der am 31. Juli auf Twitter schrieb, wie der Tagesspiegel-Autor Matthias Meisner gleichsam geschockt zitiert:

„Im Vergleich zu Maas, Kahane, de Maiziere, Juncker und Twitters Beihilfe ist Erdogan ein altmodischer Zensurpfuscher“

Heiko Maas, der 2014 als erster Bundesminister auf dem Global Forum for Combating Antisemitism in Jerusalem sprach und eine jüdische Aktivistin gegen Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus in all seinen Formen, Anetta Kahane, werden hier mit einem antisemitischen islamistischen Führer gleichgesetzt, ja sie seien viel schlimmer als der türkische Präsident Erdogan.

Wer sich also für Israel einsetzt wie Heiko Maas oder gegen Antisemitismus wie Anetta Kahane sei problematischer als ein brutaler, autokratischer und islamistisch fanatisierter Staatsführer wie Erdogan. Geht’s noch?

Ja, es geht noch krasser. Dieser Tweet steht nämlich nicht isoliert, er ist Teil einer Kampagne gegen die Kritik am Rechtsextremismus und am Antisemitismus. Eine Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Eine Kampagne zudem gegen Anette Kahane, die Vorsitzende der Stiftung, persönlich. Warum dreht das zumeist weiße, männliche Pöbelvolk so durch?

Die extrem rechte Hetze gegen alles, was links ist oder so interpretiert wird, hat seit vielen Jahren Hochkonjunktur. Von Matussek über Sarrazin zu Pegida und der AfD führt eine der neu-rechten Linien. Parallel dazu gibt es einen organisierten Rechtsextremismus, der weit älter ist und der seit Jahren die Chance sieht, den ganz großen Durchbruch zu schaffen. Eine Nazi-Partei in den Bundestag, „national befreite Zonen“, eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge, Nichtdeutsche und Linke bzw. so Kategorisierte, zumindest in einigen Teilen der Republik wie in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern.

Schauen wir uns mal einen ganz aktuellen Fall an, was den deutschen Antisemitismus und die AAS betrifft. Die Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) hat einen Antisemitismusskandal. Jahrelang wurden dort in einem Seminar antisemitische Texte und Dokumente als Lehrmaterial den Studierenden vorgesetzt. Der Journalist Alan Posener von der WELT berichtet darüber:

„Aber der Hochschule liegt seit dem September 2015, mithin seit elf Monaten, ein Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung zu den Seminarmaterialien vor. Der Autor des Gutachtens, Jan Riebe, stellt unter anderem fest: ‚Die Texte beschäftigen sich nicht oder nur in Ansätzen mit der sozialen Lage von Jugendlichen in den palästinensischen Gebieten‘ – dem vorgeblichen Thema des Seminars. Viele Texte seien nicht wissenschaftlich, sondern ‚agitatorisch‘. Die meisten ‚widersprechen wissenschaftlichen Mindestanforderungen‘.

Über einen Text heißt es: ‚Eine solche Zusammenstellung‘ negativer Aussagen über Israel ‚ist mir in meiner langjährigen zivilgesellschaftlichen Arbeit fast ausnahmslos aus Nazikreisen untergekommen‘. Ein solches Seminar sei ‚unvereinbar mit den demokratischen Grundsätzen einer Hochschule‘.

Nun ist ein Kollege von Posener, der Publizist Henryk M. Broder als Mitbetreiber des Autorenblogs Achgut.com an der Hetzkampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) direkt beteiligt. Einer der Texte dieser abstoßenden und gefährlichen Kampagne ist  auf seinem Blog erschienen. In dem Text wird eine Beziehung von Kommunismus, Juden (Anetta Kahane ist als Jüdin bekannt) und Geld hergestellt. Es würde sich „lohnen“ gegen rechts zu arbeiten. Anetta Kahanes Tätigkeit für die Stasi wird aufgewärmt, als sei das nicht seit vielen Jahren völlig offen und bekannt. Kahane hatte 1986 einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt, weil sie erkannte, dass die DDR strukturell unfähig war, dem Neonazismus oder Rechtsextremismus zu begegnen, wozu es eine antiautoritäre, bunte Gesellschaft braucht.

Heutzutage erarbeitet sie mit ihrer Stiftung Ausstellungen über Antisemitismus in der DDR. Und eine Kritik am Antisemitismus ist bei der Neuen Rechten natürlich ein No-Go, solange man nicht ausschließlich Muslime oder Linke dafür verantwortlich machen kann.

Der Anhänger von Verschwörungsmythen Gerhard Wisnewski attackiert die AAS auf der Seite des extrem rechten Kopp-Verlages. Er bekommt Schnappatmung, weil eine heutige Mitarbeiterin der AAS, Julia Schramm, sich 2014 auf Twitter (Gottseibeiuns!) bei der Royal Air Force bedankte, die im Zweiten Weltkrieg Dresden bombardierte.

In einer unglaublich fanatischen deutsch-nationalen Stimmung – jede Fußball-Männer EM oder WM zeugt davon, allerspätestens seit 2006 im gesamtdeutschen Rausch – werden vor allem „Antideutsche“, also Kritikerinnen des deutschen Nationalismus und Antisemitismus und Rassismus, diffamiert und attackiert. Das haben rechtsextreme Verschwörungswahnsinnige übrigens mit weiten Teilen der Linken, man denke nur an Sahra-ich-wäre-so-gern-AfD-Bundesvorsitzende-Wagenknecht, die antizionistische Postille junge Welt oder die örtlichen Ableger von DKP, MLPD oder den Stammtischen ehemaliger, nun ergrauter KPD/AO-Mitglieder, gemein.

Man könnte mit Julia Schramm womöglich über ihre völlig not-wendige Kritik am Nationalismus in Deutschland reden, am aus ihrer Sicht überholten und falschen Konzept des Nationalstaats, wie sie es in einem kleinen Video kürzlich getan hat, und dabei darauf hinweisen, dass gerade die Kritik am Antisemitismus not-wendig eine Bejahung des israelischen Nationalstaats beinhaltet.

Das ist für sehr viele linke Israelunterstützer eine Aporie: hier mit Jürgen Habermas (für die Sozialdemokratischen) oder Marx und Kritischer Theorie (für die ganz Radikalen und Strammen) gegen den Nationalstaat und dort irgendwie für Israel, gegen Jakob Augstein, Jihad und den Iran.

Doch das wäre eine ganz andere Diskussion. Dass Israel der jüdische und demokratische Nationalstaat ist und als solcher zu verteidigen ist, muss erst noch in linke Theoriebildung Einzug erhalten. Da hat die „Israelszene“ noch sehr viel Arbeit vor sich liegen.

Hier und heute geht es darum, die rechtsextreme und antisemitische Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung zu attackieren und zu Fall zu bringen.

Der Journalist Christian Bommarius hat für die Berliner Zeitung zusammengefasst, mit was für einen Gruppe von Agitatoren wir es zu tun haben:

„In diesem Lager – präziser wäre: Kampfgemeinschaft – stehen die rechtsradikale Zeitung Junge Freiheit und der Publizist Roland Tichy (‚Es ist ein peinliches (sic!) Netz  der Zensur, das hier über Deutschland gelegt wird und  im Zusammenspiel mit den Parteien und vielen Medien glänzend funktioniert.‘), die islamophobe ‚Achse des Guten‘ um Henryk M. Broder, Anhänger der rechtsextremen ‚identitären Bewegung‘, der auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien spezialisierte Kopp-Verlag mit seinem fast schon ulkigen Chefverschwörungstheorienverbreiter Udo Ulfkotte (‚Zensur-Republik Deutschland: So sollen Bürger eingeschüchtert werden‘), der rassistische Blog ‚politically incorrect‘  und  was sich derzeit sonst noch auf dem Markt intellektueller Unredlichkeit und  trostloser Unanständigkeit tummelt. Sie alle werfen Maas, der  Amadeu-Antonio-Stiftung und anderen, denen der Schutz der Menschenwürde etwas bedeutet, vor,  die Republik in eine ‚Stasi 2.0‘ zu verwandeln und mit dem ‚peinlichen Netz der Zensur‘ zu knebeln.“

Antideutsche werden dieses Land vor sich selbst retten oder es geht unter. So oder so.

Und da ist sie wieder, die Schnappatmung weißer deutscher Männer. Aber sie sind nicht alleine. Vera Lengsfeld ist bei ihnen.

 

 

Why Jihad and neo-Nazis embrace Brexit and „Bullshit 9.0“

The Times of Israel, June 30, 2016

Honestly, I was shocked about the pro-Brexit decision in Britain. Shocked, no less than that. Then, I became even more speechless when I learned how many of my Facebook friends and others in the UK, Germany, the US and elsewhere joined the nationalistic and racist wave of Brexit. How can educated or at least partly educated people vote for – or support from outside the country – the most stupid, ridiculous and outrageous lies ever heard in a UK political campaign in recent decades?

As Spiegel Online columnist Sascha Lobo points out, following Washington Post columnist Anne Applebaum’s term “post-fact-world,” we are living in the “Bullshit 9.0” time. Truth and reality do not matter anymore. Tablet’s James Kirchick puts it like this – “post-truth politics”:

“Whether or not he can beat Hillary Clinton, Trump and Brexiteers have struck similar populist chords – namely, unease with globalization, immigration and elites. There’s also a deeper, and deeply worrying, phenomenon connecting the two: an utter disregard for facts. Call it “post-truth politics.”

The Brexit campaign lied about many facts. But the people on the pro-Brexit side, the “leave”-side, didn’t care at all. The silence after the vote from the protagonists, mainly Boris Johnson, speaks for itself. He knows that he is a liar and among the worst propagandists in recent British history.

And now some of the anti-Islamist activists pretend to be smart and think Brexit will help Britain against Islamism. Well: Britain is not part of the EU-Schengen treaty, which people allows to move freely inside that area in continental Europe. But Britain did not sign that treaty. Let’s have a look at the number of asylum seekers in the EU as of the first quarter of 2016 (these numbers a way lower compared to 2015, by the way). Among one million residents in the following countries there are these numbers of asylum seekers:

  • Germany: 2155
  • Austria: 1619
  • Malta: 904
  • EU: 565
  • Slovenia: 236
  • Great Britain: 155
  • Spain: 62
  • Lithuania: 13

Germany has almost 14 times more asylum seekers compared to Great Britain in that time frame. This was before Brexit. Brexit voters thought they will close the doors for asylum seekers from Syria, so that anti-ISIS people, victims of jihad, may not enter the UK. These extremely low numbers even before Brexit show: this was a lie, it was not at all about Muslims coming to the UK. Now, we have a huge increase in racist attacks in England and Britain, often directed against Polish people or citizens from Slovakia, who work in the UK.

Middle East Forum’s Tarek Fatah ignores all these facts. In the Toronto Sun he published an article about anti-Islamism being behind the Brexit vote – he couldn’t be more wrong than that. As shown, Britain already had a very low number of incoming asylum seekers before Brexit. Fatah ignores facts and seems to be embracing the “post-truth-world” so many fanatics are living in these days, mainly Brexit voters in our case.

Tablet’s Liel Leibovitz gets it equally wrong and blames the Israeli left – Zionists, to be sure – for Brexit and the ignorance of the will of the people. As if  racism, nationalism and post-truth politics get more accurate when the majority of voters like it! The people is dangerous, quite often. Therefore we have parliamentary democracies in most parts of the Western world and many other parts of the world.

But there is much more behind it. Stupidity, propaganda and internet-based misinformation is one thing. And it is horrible and very dangerous. But nationalist ideology comes in addition. The rise of the New Right in Europe is a case in point. While a nation-state is essential in an extreme hostile area like the Middle East and Jews are facing persecution and antisemitism worldwide, to different degrees, Zionism is a crucial point for a nation-state. This was also the case for Herzl in 1896.

But nation-states in Europe and nationalism were the main reason for violence and war in Europe. Europe faced the most horrible wars in the twentieth century. The unprecedented crime of the Holocaust was done by the Germans (and their allies). Therefore, a supranational body is important, cosmopolitanism can at least reduce German nationalism and other forms of bigotry.

Until the horrible wars in Yugoslavia in the 1990s, Europe was a peaceful continent, based on cooperation, more or less (even during the Cold War, which was harmless compared to our jihad driven world). Cosmopolitanism is fine and important for Europe – a nation-state is essential for Jews and Israel. Applying the nation-state concept for the entire world is misleading and very dangerous, too. Learn about European history (which is a hard thing for many on the political Right who tend to ignore reality) and you understand what I mean.

No surprise, then, that German neo-Nazis and the Far Right hail Brexit. After a rally last Monday in the infamous city of Dresden, where the weekly “Pegida” rallies take part ever since fall 2014, a neo-Nazi showed up with his T-shirts displaying acronyms of “swastika” (in German). Others at the rally had posters with “Thank you Brexit” and nationalistic speakers applauded Brexit, too.

Jihadist embrace Brexit as well, as this indicates the decline of Europe. Brexit stands for a divided Western world and three major powers want to fill the gap: Russia and Putinists, Iran and jihadists, and the New Right, Far Right, right-wing populist and neo-Nazis all over Europe.

A few weeks ago, Austria faced a right-wing extremist candidate for Presidency from the extreme right-wing FPÖ. They lost the election, but the country is divided into extreme right-wing and liberal mainstream.

The German Alternative for Germany (AfD) party has a member of Parliament in the state of Baden-Württemberg, Wolfgang Gedeon, who follows the antisemitic Protocols of the Elders of Zion, the worst conspiracy theory ever. This kind of neo-Nazi propaganda is ignored by many of my friends and allies in the UK, the US and elsewhere. They believe anybody who is not on the left is fine or at least a possible partner to talk to. That is a huge mistake. A huge mistake.

Most people in the AfD are enthusiastic about Brexit and wants Germany to leavie the EU, too.

Promoting Brexit, nationalism, racism and separatism will just help jihad to destroy Europe and/or neo-Nazis and the Far Right to take power. Obviously, the Far Right has no problem with Islamist antisemitism, they have the same enemy: Israel and the Jews, and America. On rallies of the AfD anti-American posters have been displayed.

The “Islamic State” or ISIS praises Brexit:

Isis has welcomed Britain’s vote to leave the European Union in its Arabic language propaganda newspaper, hailing a “political crisis” and the prospect of referendums in other nations.

The article in al-Naba claimed the Brexit “threatens the unity of Crusader Europe”, according to a translation by Shiraz Maher, the deputy director of the International Centre for the Study of Radicalisation.

“It’s clear they want a weakened Europe and they see this as helping,” he wrote on Twitter.”

I make the following prediction: Europe will become either a more or less brown fascist continent (and island, taken the UK) in a few years, 5, 10, or 15 years, or it will become, slowly, a green, Islamofascist continent and region.

These are the choices as long as the democratic, sleeping mainstream in Europe does not awake. Brexit indicates a very fast turn to brown fascism. Islamist motivated attacks in Paris, Brussel, Toulouse, Copenhagen, but also Turkey and other countries, show the jihadist future for Europe, whether murderous or legally Islamist, Sharia-based and non-violent (as if Sharia is not violent).

It is not about antisemitic members of Parliament in the EU who applause antisemitic speeches by Abbas. It is not about strange rules about bananas or cucumber by Brussels. It is about the ideal of a supranational body, destroying toxic European nationalism or at least making it less dangerous. Destroying the EU from inside will be a win-win-situation for jihad – they will have even more options to kill Europeans as long as Europe is struggling with itself instead of looking for anti-Islamist policies!

Brexit-followers take aim at (mainly Christian, to be sure) Polish people. This indicates the pure racism of many citizens in the UK, Great Britain and England, plain and simple.

To praise the Far Right and Brexit as many in the anti-Islamist camp now do, is a historical mistake. It will destroy serious scholarship on Islamism as no one will take scholarship and activism against Islamism seriously, as long as the very same people embrace brown fascism, racism, nationalism or German-style Nazism, Pegida, the Alternative for Germany and their predilection for the Protocols of the Elders or Zion or Brexit.

„Gaza sieht immer mehr wie ein KZ aus“ – Obskurer Islamforscher zu Gast bei der Uni Osnabrück

Von Clemens Heni und Michael Kreutz

Dieser Text erschien zuerst auf Ruhrbarone

Im Jahr 2015 gab es alleine in Frankreich zwei islamistisch motivierte Massaker mit fast 150 Toten, am 7. bzw. 9. Januar in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris bzw. einem jüdischen Supermarkt und am 13. November im Club Bataclan, mehreren Cafés sowie am Stade de France, wo gerade ein Fußballfreundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland stattfand. Daraufhin wurde wenige Tage später erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aus Terrorangst ein Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft in Hannover abgesagt.

Doch all diese spezifisch mit dem Islamismus und Jihadismus zusammenhängenden Ereignisse führen eben in der Wissenschaft, der Islamforschung wie der Islamischen Theologie, offenbar weiterhin kaum dazu, Kritik am Islamismus und Antisemitismus zu üben. So wird der Präsident der Uni Osnabrück, Prof. Wolfgang Lücke, am 14. Januar 2016 die Konferenz „Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ begrüßen. Es ist eine dreitägige, große Konferenz mit über vierzig Referentinnen und Referenten, organisiert vom Institut für Islamische Theologie der Uni Osnabrück und finanziert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, dem Graduiertenkolleg Islamische Theologie sowie der Bundesregierung und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Hier kommt eine Opferhaltung zum Ausdruck, die den Islamisten letztlich nur in die Hände spielt. Kein einziger Vortrag ist der jihadistischen und islamistischen Gewalt und Ideologie gewidmet. Sicher, angesichts eines unübersehbaren rassistischen Klimas in Deutschland, von Pegida über die AfD bis hin zu Neonazis, die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verüben, ist eine Kritik am Rassismus notwendig. Doch was soll „antimuslimischer Rassismus“ sein? Rechtspopulisten mögen ein besonderes Problem mit dem Islam haben, allgemein hetzen sie aber gegen die Zuwanderung insgesamt. Sie wollen ein völkisch homogenes Deutschland.

Der eigentliche Skandal der Konferenz ist der Hauptredner, der amerikanische Islam- und Nahostforscher John L. Esposito, Jg. 1940. Er hat einen von Saudi-Arabien (mit)finanzierten Lehrstuhl und ist einer der umstrittensten Nahostforscher in Amerika. Acht Jahre ist es her, seitdem der amerikanische Nahostkenner Martin Kramer darauf hingewiesen hat, dass mit den Berechnungen bezüglich der Zahl von radikalisierten Muslimen von John Esposito etwas faul ist.

Demnach hatte Esposito eigene Umfragen unter Muslimen dahingehend interpretiert, dass nur 7% der Befragten als radikalisiert bezeichnet werden können. So gering nämlich sei der Anteil derer, die der Aussage zustimmen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 „völlig gerechtfertigt“ seien. Dabei fiel aber unter den Tisch, dass anderthalb Jahre zuvor Esposito und seine Co-Autorin auch solche Befragten zu den Radikalisierten zählten, die der Aussage zustimmten, dass die Anschläge „weitgehend gerechtfertigt“ seien. Viele von denen, die vorher noch als radikal gegolten hatten, wurden plötzlich zu Moderaten verklärt.

Selbst Islamisten, die in der Forschung für ihre gefährliche Ideologie seit Jahren analysiert und kritisiert werden, wie die Gülen-Bewegung, Tariq Ramadan aus der Schweiz, Yusuf al-Qaradawi aus Katar oder Mustafa Ceric aus Bosnien werden von Esposito als wunderbare Beispiele für einen „moderaten“ Islamismus betrachtet. Doch es gibt keinen „moderaten“ Islamismus, wie schon der Politik- und Islamwissenschaftler Bassam Tibi in einer Kritik an Esposito vor Jahren betonte. Ein Yusuf al-Qaradawi, der Selbstmordattentate gegen Israelis für religiös rechtmäßig erklärt, wird nicht dadurch moderat, dass er ihre Durchführung auch Frauen ohne Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner zubilligt!

In seinen Büchern und Texten zeigt sich die ganze Ideologie von John Esposito. Für ihn ist der islamische „Fundamentalismus“ im Iran, dem zigtausende Menschen zum Opfer gefallen sind, das gleiche wie ein christlicher in den USA, der reaktionär sein mag, aber nicht mörderisch ist. Ebenso verglich er George W. Bush mit dem Dschihadisten, Massenmörder und Mastermind des 11. September 2001, Osama bin Laden. Solche Vergleiche mögen im Westen in manchen Kreisen populär sein, sie sind aber grundfalsch, weil beide Personen für entgegengesetzte Werte stehen.

In seinem Buch „The Future of Islam“ (Die Zukunft des Islam) von 2010 vergleicht Esposito die Situation im Gazastreifen mit KZs und somit Israel mit Nazis – eine klare antisemitische Diffamierung, nach Definition des amerikanischen Außenministeriums und der internationalen Antisemitismusforschung.

Mehr noch: im August 2014 beschuldigte Esposito auf Twitter den Holocaustüberlebenden Elie Wiesel, dieser spiele angesichts der Ereignisse in Gaza eine „Holocausts-Trumpfkarte“ aus. Wiesel hatte zu Recht betont, dass die islamistische Terrororganisation Hamas endlich aufhören solle, Kinder als Schutzschilde zu missbrauchen. Er wies darauf hin, dass Juden schon vor über 3500 Jahren dem Menschenopfer eine Absage erteilt hatten und solche Praktiken für einen zivilisatorischen Rückfall hielten. Für Esposito aber war das kein Grund nachzuhaken, sondern Anlass zur Diffamierung. So reden in Deutschland üblicherweise nur Neonazis und extreme Rechte.

Schließlich hat Esposito in seinem Buch „Die Zukunft des Islam“ auch dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, ohne jeden Beleg (!) die Aussage unterstellt, „Muslime wollen die Welt beherrschen“. Solche Aussagen wie auch andere Verdrehungen in seiner Darstellung disqualifizieren Esposito als Redner. Frisch hat das Behauptete aber nicht nur nicht gesagt, sondern sich dezidiert dagegen gewandt, Muslime zu diffamieren. Davor warnt er nachdrücklich. Esposito dagegen versucht eine deutsche Bundesbehörde, die den Islamismus beobachtet und vor ihm warnt, zu diskreditieren.

Wollen der Präsident der Uni Osnabrück, die über vierzig Referentinnen und Referenten wie auch die involvierten Landes- wie Bundesministerien einer solchen Rabulistik, diesem Antisemitismus und dieser Verharmlosung des Islamismus wirklich Vorschub leisten?

 

Clemens Heni Nassau Inn Princeton 05252009

Dr. phil. Clemens Heni

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

 

 

 

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Dr. phil. Michael Kreutz

Dr. phil. Michael Kreutz ist Arabist und Islamwissenschaftler in Münster

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