Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Antisemitismus Seite 1 von 15

Das deutsche Stadtbild …

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das neue Kampfwort heißt also „Stadtbild“. Damit sind nicht die immergleichen Neubauten aus einer öden Mischung aus Beton, Stahl und Glas gemeint, nicht die „defensive“, also aggressive Innenstadtarchitektur, die immer seltener (ohnehin) harte Bänke zum Schlafen mehr hinstellt, sondern nur Sitze, also durch Lehnen getrennte Bänke, weil schließlich sind ja Obdachlose eh selbst schuld, dass sie solche Loser sind, nicht? Wen stören schon die Werbetafeln für ‚unser‘ Kriegsministerium, das verschämterweise immer noch „Verteidigungsministerium“ sich nennt, dabei hat die Präsenz der Bundeswehr in Litauen soviel mit „Verteidigung“ zu tun, wie Friedrich Merz mit Gesellschaftskritik: nada, null, nichts.

Die überall herumhängenden Deutschlandfahnen tun ein Übriges, das Stadtbild aggressiv, nationalistisch und deutsch zu machen, das gab es vor 2006 viel weniger, so ein schwarzrotgoldenes Stadtbild, von den nationalistischen Farben auf Milchtüten, Produkten aller Art oder nationalistischen Icons auf allen möglichen Plattformen nicht zu schweigen.

Und dann kommen die wirklich „Guten“, jene, die jetzt gegen Merz, die CDU und „die Rechten“ demonstrieren und sich als „das Stadtbild“ oder „wir Töchter“ inszenieren. Kaum jemand von diesen Leuten, ob sie in Freiburg, Berlin oder Köln, München oder Hamburg demonstrieren, waren am 08. Oktober oder danach auf der Straße um gegen den Judenhass und Antisemitismus zu demonstrieren. Kaum jemand dieser „Guten“ hat sich gegen Islamisten, extremistische Muslime, Hamas-Anhänger oder Kopftuchfanatikerinnen mit Palästinenserschal gewehrt oder gegen sie demonstriert. Viele dieser „Guten“ haben am 7. Oktober und danach gekichert, geklatscht oder geschwiegen. Es wurden ‚ja nur Juden‘ die Hand abgehackt, die Augen ausgestochen und nur Jüdinnen massenvergewaltigt und danach abgeknallt und liegen gelassen. Warum sollten sich da die Linken auf den Straßen in diesem Land mit Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel, denen der Angriff der Hamas und des Islamistischen Jihad galt, solidarisieren?

Wer regt sich auf, wenn in Mannheim, Berlin, München oder anderswo Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die ohnehin bekannt sind oder aufgrund einer Kippa erkannt werden, von muslimischen und fast immer nur von muslimischen Jugendlichen und Erwachsenen bespuckt, angegriffen, diffamiert oder körperlich bedroht werden?

Oder was ist mit den Autos mit ukrainischem Kennzeichen, wo an der Heckscheibe ein Abzeichen der faschistischen Asow-Brigaden zu erkennen ist? „Unser“ Stadtbild, das wir so lieben, das auch Merz mag, weil er ja die Ukraine so bedingungslos unterstützt wie nahezu die gesamte politische und kulturelle Elite?

Das Auffallendste an der Veränderung des Stadtbildes seit 1989 und seit 9/11 ist ganz offenkundig das Kopftuch. Ich kann mich während meiner gesamten Kindheit und Jugend sowie dem Studium an verschiedenen Universitäten bis ins Jahr 1999 an keine einzige Mitschülerin, kein Mädchen oder Kind und später keine einzige Studentin erinnern, die mit Kopftuch aufgelaufen wäre. Nicht eine einzige in 30 Jahren.

Das ging exakt los, symbolisches Datum, am Dienstag, den 11. September 2001 mit dem Massenmord durch Islamisten im World Trade Center, vier Flugzeugen und im Pentagon. 3000 Menschen wurden an diesem Tag unsagbar qualvoll zerquetscht, verbrannt oder flogen Dutzende und Hunderte Meter in den Tod.

Und danach wurde nicht etwa der Islamismus als riesige Gefahr erkannt, sondern die Muslime wurden getätschelt und hofiert wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe. In den 1990er Jahren gab es angesichts von Neonazi-Mordandschlägen – Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen etc. pp., Jahre vor dem NSU, viele Demonstrationen und Solidaritätsaktionen für Einwander*innen unterschiedlicher Herkunft, nicht nur aus der Türkei.

Die Antifa und antirassistische Gruppen haben gegen Nazis gekämpft, sich gegen Abschiebungen eingesetzt, Flüchtlinge, Einwander*innen auf unterschiedliche Weise unterstützt. Aber wir haben nicht „den Islam“ geschützt, abgesehen davon, dass viele Migrant*innen ja gar keine Muslime sind und waren oder aber – auch das ist eine Pointe – sich damals nicht als Muslime bezeichnet haben und die Frauen auch kein Kopftuch trugen.

Und dazu kommt die sicherlich marginale, aber eben existente Form der krassen Frauen- und Menschenverachtung via Burka und Gesichtsschleier. In Heidelberg gibt es das regelmäßig, oft sind das ‚Touristinnen‘ aus der arabischen Welt, die hier Schönheits- oder sonstige OPs durchführen lassen oder ihre schwer reichen Männer, Onkel, Brüder, Söhne begleiten. Der Gesichtsschleier gehört nicht nur in Schulen und auf Behörden, sondern allgemein in der Öffentlichkeit verboten, und zwar in Saudi-Arabien, dem Iran wie in Deutschland, weltweit.

Er ist das heftigste Symbol für die Frauen- und Menschenverachtung, für die der Islamismus steht.

Dabei ist das Kopftuch schon irrational genug. Die Trägerinnen meinen ja wirklich, Männer (oder lesbische oder bisexuelle Frauen, Transpersonen) würden auf ihr Haupthaar dermaßen krass sexuell abfahren, dass sie sich ’schützen‘ müssten. Man könnte lachen, wenn es kein so ernstes Thema wäre und diese Hunderttausenden Kopftuchträgerinnen es nicht brutal ernst meinten mit ihrem Wahn der sexuellen Erregung via Haupthaar. Es sagt auch viel über deren Körperverständnis aus …

Sind denn damit alle, die für Israel demonstrieren, kategorisch „die wirklich Guten“? Keineswegs. Wer sich zum Beispiel nicht explizit gegen den Rassismus der militanten und mörderischen Siedler im Westjordanland wendet, wer sich nicht gegen den Messianismus und Rechtsextremismus der Regierung Netanyahu wendet, wer zu den eklatanten und schockierenden Kriegsverbrechen der IDF im Gaza-Krieg schweigt, hat mit Menschenrechten oder Zionismus nicht viel am Hut.

Selbstredend sind die AfD und die CDU ein sehr großes Problem für die Demokratie. Die anti-soziale Politik, die regelrechte Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen und Menschen, die unzumutbare oder primitive Jobs nicht annehmen wollen oder können, ist typisch für Merz und die Bundesregierung, zu der ja anscheinend auch die SPD gehört, was wiederum nicht wundert, wir erinnern uns an Gerhard Schröder und Hartz 4.

Man muss immer das Unmögliche fordern und tun, sonst wird das nichts. Also für Israel und gegen die Verbrechen der IDF. Für den Zionismus und deshalb gegen Netanyahu und gegen die Students for Palestine aktiv werden. Gegen die AfD und die CDU demonstrieren ohne sich mit den antijüdischen Linken und dem antijüdischen Mainstream gemein machen. Für die auch bürgerliche Solidarität mit Israel, aber zugleich die barbarische Dimension jedweder Form des Kapitalismus kritisieren und attackieren. Gegen patriarchale Normen aktiv sein und sich zugleich gegen ach-so-qu(e)erfeministische Bündnisse wenden, die weder mit Antizionismus noch dem Natalismus und der Reproduktionsideologie (Leihmütter für die Schwulen, Invitro-Kinder für die Lesben etc.) je ein Problem hatten.

Hört sich kompliziert und unrealistisch an. Und das ist es auch.

Staatliche Kürzungen im sozialen Bereich bei extremen Militarismus und geplanten 150 Milliarden jährlich für das Kriegsministerium ab dem Jahr 2029 zeigen, dass sich das Stadtbild an der Bundeswehr ausrichten wird. Uniformierte Soldatinnen und Soldaten sollen zum Alltag gehören, Manöver regelmäßiger stattfinden und größer werden und die Propaganda, also Werbung, für die Bundeswehr, noch impertinenter.

Das ist die „Zeitenwende“, mehr Militarismus wagen, dass will das Land.

Oder nehmen wir die Straßen, die nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern oder anderen Antisemiten und völkischen Vordenkern benannt sind. Bei den Umbenennungen gibt es immer rechtsextreme Pöbler, die das nicht wollen und die die Erinnerung an die Verbrechen ihrer Großväter oder Väter nicht nur wegwischen, sondern gar nicht klammheimlich feiern. Es gibt Hunderte solche Straßennamen bundesweit – 80 Jahre nach Auschwitz haben nur wenige Städte begonnen, solche Straßen, die nach Nazis benannt sind oder in der Nazi-Zeit nach anderen Antisemiten benannt wurden, umzubenennen.

Auch das ist „unser“ Stadtbild – das schockiert Merz aber nicht, das meint er nicht.

Das Stadtbild ist also von rechts wie links wie von nicht geringen Teilen der Migrant*innen bedroht. Wer im Osten lebt, also der Ex-DDR, kennt tatsächlich in quasi Nazi-Kübelwägen fahrende  motorisierte und uniformierte Paramilitärs, die bereits im nicht-alkoholisierten Zustand eine Gefahr darstellen für Migrant*innen, Schwarze und Linke und für das „Stadtbild“.

Und dann gibt es auch die mit (FFP-2) Masken Vermummten, die es vor März 2020 nicht gegeben hat. Das ist ein sichtbares Zeichen, dass die irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, menschenfeindliche und antidemokratische Coronapolitik nicht im kleinsten Ansatz aufgearbeitet ist.

Und ganz am Schluss gibt es natürlich noch weitere Aspekte der Architektur, die unser „Stadtbild“ verschlimmert haben. Die Rekonstruktionsarchitektur. Der Wiederaufbau, die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die auch auf Ideen von Rechten zurück ging. Ähnlich verhält es sich mit dem Berliner Stadtschloss / Humboldt-Forum und noch mehr der Garnisonskirche in Potsdam, dem Symbol für den Schulterschluss von Hitler mit den tradionellen konservativ-reaktionären Kräften Deutschlands.

Der sekundäre, erinnerungsabwehrende Antisemitismus, der die Städte in Teilen wieder so aussehen lassen will, wie sie 1938 oder 1941, als alles „noch gut“ war für die ‚arischen‘ Deutschen, aussahen, ist hier evident.

Juden kommen in diesem Bild nicht vor, warum auch. Und wenn sie vorkommen, dann mitunter ganz bitter wie bei der Entscheidung, ausgerechnet auch Synagogen zu rekonstruieren und nicht etwa Neubauten zu machen, an neuen Orten, damit der Bruch der Shoah sichtbar bleibt. So wird in Hamburg jetzt gegen den Widerstand vieler Jüdinnen und Juden, aber mit lautstarker Unterstützung und gefordert von der Jüdischen Gemeinde Hamburg, also ihrem Vorstand, die Bornplatzsynagoge wieder gebaut. Und zwar am gleichen Ort, wo sie vor ihrer Zerstörung 1938 stand. Dass dort seit 1988 ein „Synagogenmonument“ im Boden eingelassen liegt, das die Umrisse der zerstörten und 1906 eingeweihten Synagoge zeigt, kümmert offenbar nicht. Das wird also ein Fall sein, wo mit jüdischer Forderung ein Holocaust-Mahnmal oder Holocaust-Gedenkort abgetragen und zerstört wird, egal ob und wie dann Teile dieser Steine womöglich in den im September 2025 vorgestellten Siegesentwurf der Architekten einfliessen werden.

Die Kritik hat der Historiker Moshe Zimmermann schon 2021 auf den Punkt gebracht:

Die Synagoge, in Anwesenheit meines Großvaters 1906 eingeweiht, wurde während der Pogromnacht im November 1938 geschändet und ein Jahr später abgerissen. Auf einem Teil der freigewordenen Fläche wurde ein Luftschutzbunker errichtet.

Ob aus Amnesie, Verdrängung oder Vertuschungabsicht – die sozialdemokratische Stadt Hamburg entschied sich 1974 dafür, den Bornplatz im Grindelviertel, dessen Bewohner vor 1933 zu etwa einem Drittel Juden waren, in Allendeplatz umzubenennen.

Erst auf Druck der ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt wurde der Platz im Jahr 1988, am 50. Jahrestag des NS-Pogroms, zum Erinnerungsort an die NS-Verbrechen.

Ein Teil des Platzes wurde nun nach dem 1942 ermordeten Rabbiner Joseph Carlebach benannt, der Grundriss der zerstörten Synagoge wurde nach einem Entwurf der Architektin Margrit Kahl markiert.

(…)

Auch in Hamburg entstand nach 1945 eine jüdische Gemeinde, die selbstverständlich ihre Synagoge haben wollte. 1960 wurde an einer anderen Stelle in Hamburg die neue große Synagoge eingeweiht.

2013 wurde sie renoviert und neu eingeweiht, in Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz. In dieser Synagoge hatte ich, damals Doktorand aus Israel, nach dem Tod meines Vaters Woche für Woche Kaddisch beten können.

(…)

Auf die abstruse Idee, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, indem man am Ort des Verbrechens eine Synagoge neu erbaut, kam damals niemand, weder die ehemaligen jüdischen Mitbürger noch Gemeindevorsteher oder Landespolitiker.

Natürlich ist es sehr wichtig, jüdisches Leben zu unterstützen. Aber wirklich ernsthaft zu glauben, eine Rekonstruktion einer von den Deutschen zerstörten Synagoge wäre ein Mittel gegen Antisemitismus, ist schon mehr als fahrlässig und zutiefst unwissenschaftlich. Wir haben seit 1990 und der starken Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder größere jüdische Gemeinden, auch wenn seit ca. 2005 die Mitgliederzahlen von über 100.000 wieder auf 89.000 im Jahr 2024 gefallen sind. Hinzu kommen die „Vaterjuden“ (ca. 100.000) und ca. 20.000 Israelis, die meist keiner jüdischen Gemeinde angehören.

Wir haben also viel mehr sichtbares jüdisches Leben seit 1990 bis heute. Und wir haben noch viel mehr Antisemitismus! Es gibt exakt gar keinen Zusammenhang zwischen jüdischem Leben in Deutschland und dem Antisemitismus. Der Antisemitismus braucht die Juden nicht, sein Wahngebäude konstruiert sich der antisemitische Hetzer respektive die antisemitische Hetzerin schon selbst. Die Antisemitismusforschung hat dazu viel gearbeitet. Kaum jemand im Bereich kritischer Antisemitismusforschung würde ernsthaft glauben, dass der Bau einer Synagoge ein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sei. Ist nicht das Abtragen eines Holocaust-Mahnmals  eher ein Beitrag zum sekundären Antisemitismus?

Es ist also bitter, die Erinnerung an die Shoah gegen den Bau einer Synagoge auszuspielen, wie es die jüdische Gemeinde Hamburg und vor allem die nicht-jüdischen Politiker*innen in Hamburg und Berlin, die das großteils finanzieren werden, tun.

Schließlich gehören zum Stadtbild wie in Berlin Kneipen wie das K-Fetisch in Neukölln, wo Juden und Jüdinnen hinausgeschmissen werden, wenn sie zum Beispiel Kleidungsstücke tragen, die auf Arabisch, Lateinisch und Hebräisch das Wort „Falaffel“ stehen haben. „Zionisten“ würden dort nicht bedient, wie eine aggressive und antisemitische Mitarbeiterin zwei Gästen vorletzten Samstag hinknallte.

Die taz kommentiert:

Das T-Shirt, das die Besucherin trug, ist von dem Label „Falafel Humanity Shirt“. Das sammelt Spenden für die israelische Frauenorganisation „Women Wage Peace“, die sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt.

(…)

In alledem hat die große Masse der gesellschaftlichen Linken seit dem 7. Oktober 2023 versagt. Das Statement des Café-Kollektivs zeigt das nun einmal mehr. Es gibt keine gemeinsamen roten Linien, keine Leitplanken, keinen „common ground“ oder „common sense“. Weder auf vermeintlich linken Demos, noch in linken Kneipen, noch in linken Medien.

Auch das ist das deutsche Stadtbild. Nicht nur AfD-Fähnchen und der rechte Mob, gerade auch die Linken sind ein massives Problem im Stadtbild.

Das ist das Stadtbild in Deutschland, von dem „die Guten“ in Freiburg, Heidelberg, Köln oder München nicht reden. Sie sind zu selbstverliebt „gut“ und sehen gar nicht die Widersprüche des Lebens. Weil doch Identitätspolitik viel einfacher ist und mehr Spaß macht. Weniger Reflektion, mehr Gemeinschaftsgefühl. So wie es die Rechten und Merz auf ihre Weise ja auch wollen.

Das also sind Facetten des allzu deutschen „Stadtbildes“, die selten in dieser Fülle diskutiert werden.

 

Selbstverständlich: Man darf selbst Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden. Aber man muss auch nicht um sie trauern. Der Fall Charlie Kirk

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der Mord an dem rechtsextremen Influencer und Aktivisten Charlie Kirk hat den Kulturkampf der Rechten gegen Linke noch weiter munitioniert. Man darf Antisemiten, Volksverhetzer und Sexisten nicht ermorden.

Menschliches Zusammenleben wäre sonst nicht möglich.

Da sehr viele Menschen Antisemiten sind, noch mehr Menschen sind Sexisten, wieder andere kapitalistische Verbrecher, viele sind gegen Israel, evangelikale Christen sind gegen Abtreibung, Feminismus und ein selbstbestimmtes Leben, Neonazis machen Witze über den Holocaust – die kann man nicht alle töten wollen, das wäre absurd. Man darf auch keine Influencer oder Superreichen oder Staatspräsident*innen ermorden, weil sie eine gefährliche Politik machen oder einem nicht passen.

Dass die Welt voll ist von unangenehmen, abstoßenden bis ekligen Existenzen, ist so. Und nicht erst heute.

Das ist bitter, aber kaum zu ändern.

Man muss dafür kämpfen, dass solche Leute nicht die Macht bekommen. Doch dieser Kampf wurde zum Beispiel und epochenprägend 2016 in den USA stellvertretend für den ganzen Westen verloren.

Trump wurde damals erstmals Präsident, Inauguration im Januar 2017.

Das war und ist die Katastrophe für die Demokratie in den USA und weltweit ein Fanal: Hetze und rechte Politik lohnen sich, man wird dadurch reich und mächtig. Das ist die Message. Und sie verfängt bei vielen, sehr vielen. Auch bei jungen Menschen.

Ob der mutmaßliche Mörder von Charlie Kirk vom 10. September 2025 aus politischen Motiven handelte, ein Linker oder doch eher selbst ein MAGA-Anhänger ist, ist weiter unklar. Doch selbst die bloße Erwähnung, dass Kirk vielleicht von einem aus den eigenen Reihen ermordet wurde, führte in den USA zu einem Durchdrehen im Medienbetrieb und der Komiker und Talkshow-Moderator Jimmy Kimmel wurde umgehend vom Sender ABC entlassen, nachdem Trump das indirekt eingefordert hatte. Das Ende der Meinungsfreiheit in den USA, eine Katastrophe in einem gespaltenen Land. Eine Spaltung die Trump ja möchte und täglich verschärft.

Trump macht gegen kritische Medien und alle, die gegen die Neue Rechte aktiv sind, aggressiv mobil, wie Anja Osterhaus von Reporter ohne Grenzen in der Tagesschau sagt.

Dabei geht es um die skandalöse Absetzung von Kimmel, aber auch um die geplante Verkürzung der Visas in den USA für Auslandskorrespondent*innen. Bislang galten die fünf Jahre und sollen in Zukunft nur noch acht Monate gelten.

Trump möchte eine ihm genehme Presse, Demokratie, Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit – denken wir an seine Kampagne gegen die Universitäten, die ihre Unabhängigkeit verlieren sollen, vorgeblich, um „Antisemitismus“ besser bekämpfen zu können – zählen nicht.

Der antisemitische Verschwörungsanhänger Trump behauptet, gegen Antisemitismus, den es ja unzweifelhaft gibt, an amerikanischen Universitäten vorzugehen. Doch ihm geht es nicht wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus, sonst wäre er nicht Trump.

Ihm geht es um ein ein autoritäres Durchregieren ohne Diskussion, um ein Einschüchtern von Trump-Kritiker*innen und -gegner*innen. Jüdische und zionistische Senatoren wie Chuck Schumer und andere verwahren sich gegen Trumps Versuch mit dem Vorwand, gegen Antisemitismus zu sein, die Wissenschaftsfreiheit auszuhöhlen.

Womöglich war der Mörder von Charlie Kirk ein Vertreter der völlig vom Internet abhängigen Gamer-und-Meme-Unkultur, wie die taz schreibt:

In einem Blogpost hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler Weise in die echte Welt tragen.

Die von der taz verlinkte „Polarkreiskorrespondentin“ Berit Glanz schreibt Nachdenkliches über die Gefahren der Onlineunkultur und die Ignoranz, Naivität oder gefährliche Arroganz jener, die nur offline leben:

Die Veränderung der Welt durch Internetkultur betrifft mittlerweile eben nicht mehr nur Einzelpersonen, die einfach mal Gras anfassen sollten. Internetkultur ist keine Nische mehr, die man wahlweise ignorieren oder als obskuren Quatsch verlachen kann – wie es beispielsweise noch bei GamerGate vor zehn Jahren der Fall war. Es fühlt sich wirklich unfassbar an, dass man das 2025 überhaupt noch benennen muss. Das Internet ist in den letzten Jahren zentraler Teil einer Radikalisierungspipeline geworden, mit unterschiedlichen Phänomenen, Subkulturen und Referenzrahmen. Die massive Ausdifferenzierung verschiedener Communities trägt dazu bei, dass es immer schwieriger wird Subkulturen mit komplexen eigenen Codes und Referenzen zu verstehen. Dafür braucht es Expert*innen, die diese Kulturen nicht nur erklären, sondern auch dechiffrieren können.

Der Publizist Philipp Greifenstein, den Glanz positiv hervorhebt und verlinkt, analysiert den Antisemitismus von Charlie Kirk:

Besonders ins Auge sticht der Antisemitismus, der zahlreichen Äußerungen Kirks zugrundeliegt und den er ganz offen bekundet hat. So sah er in Film-, Kultur- und Medienbranchen eine jüdische Übermacht am Werk. Er unterstellte „den Juden“, durch massenhafte Einwanderung an der „Überfremdung“ der USA zu arbeiten (Great Replacement Theory). Jüdische Investoren, so Kirk, steckten hinter liberalen Initiativen an Colleges und der „Black Lives Matter“-Bewegung. Übersetzt in traditionelle Begrifflichkeiten bedeutet das: Charlie Kirk glaubte und verbreitete den Mythos von einer „jüdischen Weltverschwörung“.

Weil er bis zuletzt die Kriegsführung Israels im Gaza-Streifen verteidigte, bezeichnete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ihn in einem Statement nach seinem Tod als einen „löwenherzigen Freund Israels“. Ein unfreiwillig treffendes Statement, denn Kirk stand dem evangelikal-messianischen Zionismus nahe, der alte Kreuzfahrer-Tropen ausschlachtet und demzufolge durch einen großen Krieg im Heiligen Land der jüngste Tag anbrechen soll. An Kirks Antisemitismus wird inzwischen auch in israelischen Medien erinnert.

Der von Greifenstein zitierte Blog-Text in der Times of Israel von Dan Jacobs schreibt zum Antisemitismus von Charlie Kirk und zitiert den Hetzer:

„Die wichtigste Finanzierungsquelle für radikale, offene Grenzen, neoliberale, quasi-marxistische Politik, kulturelle Einrichtungen und gemeinnützige Organisationen sind jüdische Spender … Sie kontrollieren nicht nur die Hochschulen, sondern auch gemeinnützige Organisationen, Filme, Hollywood, einfach alles.“

Die a-sozialen Medien sind der entscheidende Faktor in den heutigen Hasskampagnen, die bis hin zu Mordaufrufen wie gegen Dunja Hayali und andere führen. Darauf weist auch die Publizistin Ingrid Brodnig in einem interessanten Gespräch mit dem WDR hin.

Auch Radikalfeministinnen, die sich für ein Leben jenseits der 08/15-Normalfamilie und jenseits des natalistisch-patriarchalen Imperativs einsetzen, werden so bedroht. Weil viele andere Meinungen nicht ertragen können. Und das sind großteils extreme Rechte. Was wiederum die Linken nicht exkulpiert, deren Klatschen oder Schweigen am 7. Oktober zeigt die Gewaltaffinität von sehr vielen Linken, wenn es um den Mord an Juden und Israelis geht.

Nicht zuletzt die an sich marginale Pro-Israel Szene in Deutschland hat wiederum gejubelt, als Trump 2016 erstmals als Präsident gewählt wurde, ja sie hat mitunter Trump hegelianisch gerechtfertigt und raunt bis heute, dass es doch unterm Strich gut ausgehen würde für Juden und Israel – wegen Trump. Dass es auch wegen Trump das schrecklichste antisemitische Massaker in den USA gab – in der Tree of Life Synagoge in Pittsburgh am 27. Oktober 2018, als ein Rechtsextremer 11 Juden ermordete – und seine Verschwörungsmythen Millionen von Menschen fanatisieren und in solchen Verschwörungsmythen immer antisemitische Tropen enthalten sind – das interessiert sie nicht.

Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Kapitalismus – das sind alles sehr üble Ideologien, Tendenzen und Ansichten. Aber man darf deshalb diese Leute nicht ermorden. Das ist eine Selbstverständlichkeit.

Doch das reicht den rechten Hetzern nicht. Man darf nicht erwähnen, wer Charlie Kirk war. Tut man es, so wie es die Journalistin Dunja Hayali getan hat, bekommt man Morddrohungen. Gerold Riedmann schreibt im österreichischen Standard:

Nahezu jeder, der nach Kirks Ermordung wagte, ihn inhaltlich zu kritisieren, wurde in einen Shitstorm gezerrt. Es reichte, die Dinge klar zu benennen, sei es auch nur im deutschen Fernsehen. Nichts von dem, was Journalistin Dunja Hayali vor einer Woche über Kirk im ZDF sagte, war falsch. Der Ermordete sei ein „extremer und extrem umstrittener Influencer“ gewesen, so Hayali unter anderem. Die heftigen Reaktionen reichten von Todeswünschen bis zu Todesdrohungen, Hayali verabschiedete sich in eine Pause. Das rechtspopulistische Portal Nius des ehemaligen BildChefredakteurs Julian Reichelt befeuerte – wieder einmal – den digitalen Hass.

In der Wiener Zeitung schreibt Eva Sager knapp und klar:

Hinter der öffentlich bekundeten Anteilnahme und Trauer steht meistens eben auch ein dezidiertes politisches Ziel. Kirk selbst war einer der führenden rechten Kulturkämpfer, er nannte Abtreibungen schlimmer als den Holocaust, forderte „Nürnberger-Prozesse“ für Ärzt:innen, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen und erklärte den Islam für nicht kompatibel mit westlichen Werten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wer das ignoriert, lässt sich einspannen.

Wenn wir uns erinnern, wie der Springer-Konzern den Tech-Milliardär, Aktivisten und X-Inhaber Elon Musk publizierte und somit promotete mit dessen Wahlplädoyer für die AfD kann man sehen, wie weit die Neue Rechte dabei ist, unser Leben massiv zu bestimmen. Der Journalist Patrick Gensing schreibt dazu:

Die Regeln dieses Raumes werden von wenigen, sehr mächtigen Akteuren gesetzt. Wenn der reichste Mann der Welt, Elon Musk, auf einer Demonstration von Rechtsextremen in London per Videoschalte zu einer Art Endkampf aufruft und gleichzeitig mit X eines der größten Medienunternehmen der Welt betreibt, verschieben sich die Koordinaten dramatisch. Musk profitiert doppelt: von der Radikalisierung der Debatten, die auf seiner Plattform stattfinden, und von seiner eigenen Inszenierung als angeblicher Verteidiger der Meinungsfreiheit.

Dunja Hayali hatte als Moderatorin des ZDF Heute-Journals am 11. September 2025 (21:45 Uhr) die Ermordung von Charlie Kirk als zentrales Thema der Sendung. Sie sagte gleich zu Beginn ihrer Moderation:

Wo soll das alles hinführen? Im Land der Meinungsfreiheit, den USA, scheint es immer weniger möglich zu sein, andere Meinungen auszuhalten oder dagegen zu halten, ohne dass es eskaliert. Opfer dieser zunehmenden Spannungen wurde gestern Charlie Kirk. Der 31-jährige war ein extremer und extrem umstrittener Influencer, der für Donald Trump seit Jahren massiv die Werbetrommel gerührt hat. Insbesondere bei jüngeren Konservativen, Christlichen und auch Rechtsradikalen, kam er sehr gut an. Gestern wurde Kirk bei einem Auftritt an der Utah Valley University erschossen. Der Täter ist weiter auf der Flucht und viele Fragen sind weiterhin offen.

Nach einem Einspieler aus den USA kommentiert Hayali:

Dass es nun Gruppen gibt, die seinen Tod feiern, ist mit nichts zu rechtfertigen. Auch nicht mit seinen oftmals abscheulichen, rassistischen, sexistischen und menschenfeindlichen Aussagen. Offensichtlich hat der radikal-religiöse Verschwörungsanhänger aber auch genau damit einen Nerv getroffen.

Das ist eine treffende und journalistisch-professionelle Einordnung dieser Person.

Doch rechten Medien aller Art war das zu viel Einordnung, zu viel Kontext und zu viel Kritik an einem von den ihren. Dabei hat sich Hayali eindeutig von dem Mord distanziert und ist sogar bekannt dafür, auch mit sehr problematischen Leuten oder Organen zu reden. Doch Rechte vertragen keine Kritik. Schon gleich gar nicht, wenn es um einen der einflussreichsten Influencer ihrer Kernthemen geht: Migration, Frauen, Feminismus, Transmenschen, Abtreibung, Holocaustverharmlosung.

Kirk sagte im Juli 2025, dass „wir“, die „Turning Point America“-Bewegung, die er selbst gründete und anführte, die USA von „super woke“ zu „super patriotisch“ gemacht hätten. In einem Gespräch mit dem „Intelligencer“ betont die Journalistin Kyle Spencer, die sich seit Jahren mit dem Aufstieg der Neuen Rechten und mit Charlie Kirk beschäftigt hat, dass es gerade gar nicht sehr woke zugehe an vielen Campussen, sondern reaktionär, nationalistisch und rechts.

Und diese Agitation gegen „woke“ an und für sich hört man auch bei Akademikerinnen und Akademikern, meist jedoch nur privat, weil sie sich das öffentlich noch nicht immer trauen, jedenfalls nicht, wenn sie eine Universitätskarriere anstreben oder nicht frühzeitig beendet wissen wollen.

Kirk trug T-Shirts mit der Aufschrift „resist the Left“.

Er verglich das Tragen von Masken, so absurd und epidemiologisch sinnfrei es war, mit der Kontrolle von Waffenbesitz. Beides würde einen in Sicherheit wiegen, die es nicht gebe.

Kirk hoffte, dass sich die Musikerin Taylor Swift nach ihrer Verlobung mit dem Sportler Travis Kelce diesem „unterordne“, was sein reaktionäres Frauenbild unterstreicht, das zu seinem christlichen Glauben passt.

Die rechtsextreme MAGA-Bewegung – Make America Great Again – von Donald Trump hatte in Kirk einen ihrer wichtigsten Vertreter der jüngeren Generation. Dass der Staatschef des mächtigsten Landes der Erde auf der Beerdigungsfeier für Kirk spricht, ist skandalös und zeigt, dass Amerika keine wirkliche Demokratie mehr ist, sondern ein autokratischer Staat, der zwar noch eine Gewaltenteilung hat, aber der Präsident agiert wie ein Alleinherrscher, der rechtsextreme Ideologie promotet und fördert.

Schließlich ist bemerkenswert, dass in dem eigentlich recht knappen Kommentar von Hayali zwar richtigerweise der Rassismus und Sexismus von Kirk thematisiert wird, aber das Schlimmste, was Kirk jemals sagte, kommt hier nicht vor. In einer Diskussion mit einer Studentin auf einem Campus lehnte Kirk Abtreibungen kategorisch ab und trivialisierte den Holocaust, die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Deutschen (und ihre Helfershelfer), auf folgende Weise:

„Du verwendest eine entmenschlichende Sprache, wenn Du sagst: ‚Oh, es ist nur ein Embryo‘. Nein, es ist ein Baby, geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, das Schutz verdient. Es ist niemals richtig, die Massenvernichtung von Menschen unter dem Vorwand zu rechtfertigen, dass sie unerwünscht sind. So kommt es zu Auschwitz, so kam es zum größten Horror des 20. Jahrhunderts“.

Sodann fragte eine Studentin:

„Du vergleichst also Abtreibung mit dem Holocaust?“

Charlie Kirk: „Ja, das tue ich. Tatsächlich ist es sogar noch schlimmer. Es ist schlimmer. Es ist schlimmer. Es sind tatsächlich 45 Millionen Babies. Es ist achtmal schlimmer als der Holocaust.“

Dieser Antisemitismus wurde von den allermeisten auf diesem Campus beklatscht, ja sie johlten. Das zeigt, wie judenfeindlich und antisemitisch die religiös-indoktrinierte Jugend in den USA ist. Und einer, der sie so indoktrinierte, war der Antisemit Charlie Kirk.

Das ist aber kein Grund ihn umzubringen.

Antisemiten in den USA und weltweit beginnen jetzt den Mord an Kirk Juden und Israel zuzuschieben. Der von Kirk vielfach beschworene antisemitische Verschwörungsmythos wie der angeblich „gestohlenen Wahl“ von Trump im Jahr 2020, als er gegen Joe Biden die Wahl zum US-Präsidenten verlor, kehrt jetzt in anderem Kontext wieder.

Juden und Israel werden nun von antisemitischen Influencern und Hetzern beschuldigt, Kirk ermordet zu haben:

Nach der Ermordung von Kirk machten Antisemiten in den sozialen Medien auf einen fast einen Monat alten X-Beitrag von Harrison Smith aufmerksam. Smith, Journalist des rechtsextremen Medienunternehmens Infowars, hatte zuvor Israel beschuldigt, Jeffrey Epstein ermordet und Präsident Donald Trump daran gehindert zu haben, die sogenannten „Epstein-Akten“ zu veröffentlichen. Er behauptete fälschlicherweise, dass eine „globale Regierung“ von Israel aus die Weltpolitik lenke. (Übersetzung aus dem Englischen CH)

Manche Linken wiederum glauben ebenso an diese Legende von Epstein, Sex, Mossad, Juden und Verschwörung, Israel habe Epstein benutzt um Mächtige zu beeinflussen. Eine perfide antisemitische Verschwörungsideologie, die wir aus dem Mittelalter kennen, als Juden zum Beispiel in der Blutlegende der Mord an christlichen Kindern vorgeworfen wurde, aus deren Blut sie ihre Matzen backen würden.

Diese Obsession mit Blut zeigt sich auch jetzt bei der Heiligsprechung von Carlo Acutis, der als 15-jähriger 2006 an Leukämie starb und jetzt durch die katholische Kirche und den Vatikan heiliggesprochen wurde. Acutis hatte damals eine Sammlung von Beispielen der Blubeschuldigung angefertigt, die viele historische Beispiele zeigt, wo Juden des Jesusmordes beschuldigt wurden oder der ‚Verletzung‘ von Oblaten (daran glauben katholisch-fanatische Christen wirklich). Dass so ein Junge mit so einer Ideologie heiliggesprochen wird, obwohl doch selbst die katholische Kirche im zweiten Vatikanischen Konzil der 1960er Jahre den Mythos ablehnte, Juden seien am Tod Jesu schuld, ist schockierend.

Charlie Kirk hat den antisemitischen Mythos des „Kulturmarxismus“, der Universitäten unterwandere, massiv verbreitet. Das ist ein rechtsextremer Topos den wir aus der Zeit des Nationalsozialismus und schon zuvor in der Hetze gegen den „jüdischen Bolschewismus“ kennen. Zuletzt hatte 2011 der norwegische Neonazi Anders Breivik die Hetze gegen den „Kulturmarxismus“ als Begründung für sein Massaker an Dutzenden Jungsozialist*innen herangezogen.

Auch an Universitäten ist unter neu-rechten Agitator*innen die Rede vom ‚gefährlichen Adorno‘ und der ‚zersetzenden‘ Kritischen Theorie verbreitet. Der Psychologe und Männerbewegungseinpeitscher Jordan Peterson verwendet den Kampfbegriff „Kulturmarxismus“ ebenso.

Der Begriff „Kulturmarxismus“ scheint um 2016 erstmals in den Mainstream-Medien vorzukommen, als der Psychologe Jordan Peterson gegen einen kanadischen Gesetzentwurf protestierte, der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbieten sollte. Peterson machte den Kulturmarxismus für Phänomene wie die Bewegung zur Achtung geschlechtsneutraler Pronomen verantwortlich, die seiner Ansicht nach die Meinungsfreiheit untergräbt.

Der Begriff ist jedoch viel älter. Er scheint erstmals vom Schriftsteller Michael Minnicino in seinem 1992 erschienenen Essay „The New Dark Age“ verwendet worden zu sein, der vom Schiller-Institut veröffentlicht wurde, einer Gruppe, die mit der rechtsextremen Persönlichkeit Lyndon LaRouche in Verbindung steht.

Um die Jahrhundertwende wurde der Begriff von einflussreichen amerikanischen Konservativen übernommen. Der Kommentator und dreimalige Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan machte den „kulturellen Marxismus“ für viele der seiner Meinung nach bestehenden Missstände in Amerika verantwortlich, von Frauenrechten und Schwulenaktivismus bis hin zum Niedergang der traditionellen Bildung.

(Übersetzung aus dem Englischen CH)

Doch Marxismus, Adorno und das Kulturestablishment werden von vielen Forscher*innen, Publizist*innen und zumal den Millionen Follower einheizenden sogenannten Influencern abgrundtief gehasst. Judenhass und Anti-Links-Sein sind wieder so angesagt wie zu Zeiten des Nationalsozialismus. Das ist keine Polemik, das ist eine Beschreibung der Wirklichkeit.

Da sind jene neu-rechten Ideolog*innen bis heute im Panikmodus, wenn eine Promotionsordnung an einer Universität beschließt, zukünftig aus Inklusionsgründen das Gendersternchen zu verwenden, ohne zu erwähnen, dass bundesweit die Agitation von der Bundesregierung bis zur bayerischen Staatsregierung doch aggressiv gegen Inklusion und Gendersternchen ist.

Was für ich-schwache Persönchen sind das, die ein Problem mit einem Genderstern haben? Wie unsicher sind solche Professorinnen und Doktoranden oder Publizist*innen und Politiker*innen oder Bauarbeiter, dass sie regelrechte Panik kriegen oder Schreikrämpfe, wenn sie in einem Text oder einer Rede ein Gendersternchen sehen oder heraushören? Was sind das für ich-schwache und somit super autoritäre Würstchen?

Sexismus, Antifeminismus, Transphobie und Antisemitismus gehen sehr eng zusammen und sind Kernpunkte neu-rechter Ideologie.

Der Antisemitismus von Kirk wiederum ist für die Rechten in Deutschland kein Grund, ihn als einen Hetzer zu erkennen, nein, sie agitieren gegen alle, die sich kritisch mit Kirk beschäftigen.

Die Reaktion auf den Mord an Kirk ist ein Grund sich gegen jene Autoren, Hetzer, Professorinnen, Doktoranden, Publizist*innen, Medien zu stellen, die jetzt öffentlich oder auf privaten Geburtstagsfeiern oder beim Smalltalk in der Kneipe die Entlassung von Dunja Hayali fordern und gleichzeitig zum Antisemitismus von Kirk und seinen vielen Millionen Followern schweigen.

Hayali ist Journalistin und hat in dem in Frage stehenden Beitrag die schockierende Realität in den USA analysiert und kommentiert. Das ist wichtig, weil sie somit einen Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung leistet. Einen solchen Beitrag will die Neue Reche nicht leisten, sie will den Kulturkampf, sie will den Trumpismus, sie will Holocausttrivialisierer und Antisemiten wie Charlie Kirk als Märtyrer sehen.

„Kulturschaffende“ und Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Ein Aufruf von über 350 sogenannten Kulturschaffenden, vor allem Schauspieler*innen wie Daniel Brühl, Heike Makatsch oder Anna Thalbach, Moderator*innen wie Klaas Heufer Umlauf, Joko Winterscheidt oder Paula Essam, Musiker*innen wie Helmut Zerlett, Clueso oder Sarah Lesch und Regisseur*innen wie Mehmet Akif Büyükatalay, Paulita Pappel  oder Fatih Akin  sowie Autoren wie Marc-Uwe Kling, von dem sich das Känguru sicher spätestens jetzt glasklar und linkszionistisch distanziert, fordern einen kompletten Stopp von Waffenlieferungen an Israel und verlieren – wen wundert es – kein Wort über die 50 Geiseln, die immer noch in den Händen der Muslim-Faschisten in Gaza festgehalten werden, wovon vielleicht 20 noch am Leben sind. Einige von ihnen werden aktuell von den Muslim-Faschisten der Hamas zu Tode gehungert und in Bildern, die an Nazi-Propaganda erinnert, gedemütigt und zum Tode geweiht.

Dazu nicht ein Wort dieser „Kulturschaffenden“, bis auf einen Satz, der geradezu absichtlich nichts explizit sagt zum schrecklichsten Massaker an Juden seit dem Holocaust vom 07. Oktober 2023:

Auch wir verurteilen die grauenvollen Verbrechen der Hamas aufs Schärfste. Aber kein Verbrechen legitimiert es, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen.

Forderung nach Freilassung der Geiseln? Von wegen:

  • Stoppen Sie umgehend alle deutschen Waffenexporte an Israel
  • Unterstützen Sie das Aussetzen des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel
  • Fordern Sie mit Nachdruck einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe

Das sind typische deutsche Stimmen, die sich gegen Israel wenden und nicht dafür bekannt sind, direkt nach dem 7. Oktober sich gegen muslimischen Judenhass und palästinensischen Terrorismus oder die sofortige Freilassung aller Geiseln eingesetzt zu haben.

Erst NACH dem Publizieren dieses offenen Briefes schreibt das Kampagnen-Netzwerk AVAAZ unter dem offenen Brief:

Dieser Brief, den die Kulturschaffenden gemeinsam mit Avaaz lanciert haben, sorgt bereits deutschlandweit Schlagzeilen – von Spiegel und Stern bis hin zu Deutschlandfunk und ZEIT.

Auch wir sind zutiefst erschüttert und betroffen durch die neu erschienen Aufnahmen der israelischen Geiseln. Es muss politisch und diplomatisch alles getan werden, um sie umgehend zu befreien. Aber wie im Brief beschrieben, kann kein Verbrechen es legitimieren, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen. Und doch hat Netanyahu gerade angekündigt, den gesamten Gazastreifen zu besetzen – mit unabsehbaren Folgen sowohl für die Zivilbevölkerung als auch die Geiseln.

Warum war ihnen das bei dem offenen Brief mit den Geiseln nicht aufgefallen, immerhin sind sie seit 670 Tagen in Geiselhaft der Muslim-Faschisten in Gaza?

Sehr typisch ist auch das dümmliche Reden von Menschen als „Eltern“, als ob man so unfähig sein muss, ungeschützt Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, um gegen das Aushungern von Menschen aller Altersgruppen, auch von Kindern, zu sein:

Kinder, abgemagert bis auf Haut und Knochen, die Augen leer, die Handgelenke dünn. Babys, vor Hunger zu schwach, um zu weinen. Alte, schwache und kranke Menschen, die keine ausreichende Versorgung erhalten.

Die in Gaza sterben. Tag für Tag.

Dabei sind es Menschen. Mütter. Väter. Kinder.

Kinder wie unsere. Kinder wie Ihre.

Gab es ähnliche Aufrufe dieser Schauspieler und Regisseurinnen zu Hungersnöten im Sudan oder ist das zu kompliziert, weil in diesem Konflikt keine Juden involviert sind?

Zudem: Wer obiges Eingangsstatement liest, merkt, dass wirklich alle Unterzeichner*innen Kinder zu haben scheinen. Das wäre eine bemerkenswert erbärmliche homogene Gruppe von „daddiots“ und „mombies“, wie die Fachbegriffe des Radikalfeminismus für natalistische Ideologinnen und Akteure heißen. „Kinder wie Ihre“ hätten sie bei dem letzten Kanzler und der letzten Kanzlerin gar nicht schreiben können, by the way.

Jedenfalls strotzt der Text vor Selbstgerechtigkeit – jetzt geifern sie los. Und das passiert weltweit. Juden und Jüdinnen werden weltweit für die unsägliche Politik Israels in Haftung genommen und angegriffen.

Ganz anders ein seriöser offener Brief an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu von liberalen Zionistinnen und Zionisten aus England, darunter Milliardäre und Multimillionäre, Philanthropen und langjährige Unterstützer*innen des einzigen Judenstaates. Diesen Brief haben schon über 2000 jüdische Philanthropen, bekannte Aktivistinnen und Aktivisten und Mitglieder von jüdischen Organisationen unterschrieben. Sie stellen erst einmal ganz klar fest:

Wir sind Mitglieder jüdischer Gemeinden auf der ganzen Welt, die den Staat Israel als nationale Heimat des jüdischen Volkes leidenschaftlich unterstützen. Unsere Solidarität gilt stets Israel und den Bürgern Israels, insbesondere seitdem die Hamas am 7. Oktober ihren barbarischen Angriff gestartet hat. (Alle Übersetzungen aus dem Englischen von CH)

Doch diese zionistische und jüdischen Aktivist*innen sind schockiert:

Wir fordern Sie daher auf:

1) Die Versorgung der Bevölkerung in Gaza mit Lebensmitteln und humanitärer Hilfe dauerhaft wiederherzustellen und zu ermöglichen.

2) Beenden Sie den Krieg. Bringen Sie die Geiseln in einem einzigen Deal nach Hause und legen Sie den Schwerpunkt auf ihre Freilassung. Angesichts der unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Geiseln leiden, und der Grausamkeit ihrer Entführer von der Hamas kann die Dringlichkeit nicht genug betont werden. Der Verhandlungsprozess mit einer verkommenen Terrororganisation ist natürlich komplex und schwierig. Aber jede Gelegenheit zur Freilassung aller Geiseln muss genutzt und hat Vorrang vor der Beschwichtigung extremistischer Mitglieder Ihrer Koalition. …

3) Setzen Sie das Gesetz im Westjordanland durch, wo die Häufigkeit und Intensität tödlicher Gewalt durch jüdische Extremisten beispiellos ist. …

4) Verpflichten Sie sich, dass weder Sie noch irgendein Mitglied Ihrer Regierung jemals wieder Hungersnöte oder Vertreibungen als Kriegswaffen einsetzen werden. Mitglieder Ihrer Regierung haben ohne Kritik rassistische, hasserfüllte und aufrührerische Äußerungen getätigt. So prahlte beispielsweise Kulturminister Amichai Eliyahu kürzlich, dass „die Regierung darauf hinarbeitet, Gaza auszulöschen … Gott sei Dank löschen wir dieses Übel aus … Ganz Gaza wird jüdisch sein.” Solche Aussagen sind moralisch verwerflich und ein Chilul Hashem – eine Entweihung jüdischer Werte und der Gründungsprinzipien Israels. …

Die Times of Israel schreibt:

Zu den Unterzeichnern gehören Charles Bronfman, der jüdisch-kanadisch-amerikanische Milliardär und Philanthrop, die Philanthropin Marcia Riklis, Dame Vivien Duffield, Vorsitzende der Clore Foundation, und Trevor Chinn, Präsident der United Jewish Israel Appeal, einer führenden britischen jüdischen Wohltätigkeitsorganisation, die Initiativen in Israel finanziert.

Der Brief ist eine Initiative eines neuen liberalen zionistischen Netzwerks namens The London Initiative, das Anfang dieses Jahres gegründet wurde, um „die israelische Demokratie zu stärken, eine gerechtere gemeinsame Zukunft für alle Bürger Israels zu fördern, die Hoffnung auf die Aussicht auf einen sicheren Frieden wiederzubeleben und die Beziehungen zwischen allen Israelis und dem Weltjudentum zu verbessern“.

Das wird von einem Video von 19 ehemaligen führenden Militärs (Chiefs of Staff u.a.) und Geheimdienstleuten Israels vom 3. August 2025 unterstützt, die ebenfalls ein sofortiges Ende des Krieges fordern. Sie halten fest, dass der Krieg anfangs gerecht war im Kampf gegen die Hamas, und auch erfolgreich, aber dass er seit sehr langer Zeit kein Ziel mehr hat außer Zerstörung des Erreichten. Sie sehen religiöse Fanatiker und nationalistische Verbrecher am Werke und attackieren Netanyahu frontal. Sie sind wahre Zionisten und wollen Israel schützen, also auch die Palästinenser, da es zwei Staaten für zwei Völker geben muss.

Schließlich betont die israelische Soziologin Eva Illouz, dass es sich viele mit ihrer Kritik Israels zu leicht machten und wiederholt, was zionistische Kritiker*innen seit langer Zeit sagen: wer nicht aktiv gegen Antisemitismus kämpft hat gar kein moralisches Recht, erst jetzt Kritik zu üben, wenn Israel im Visier ist, so richtig und wichtig die Kritik an der unerträglichen und für Palästinenser*innen mörderischen Politik Israels aktuell ist.

Wie der Journalist Peter Nowak betont, kann man gerade als Linker gegen die Hamas und gegen Netanyahu sein, aber für Israel – wie zum Beispiel eine Plakatkampagne der Berliner „Emanzipative & antifaschistische Gruppe“ (EAN) zeigt:

Die „Emanzipative & Antifaschistische Gruppe“ (EAG) wurde 2005 in Pankow gegründet. Damals wie heute ging es uns darum den Neonazis im Berliner Nordosten entgegenzutreten. Allerdings war es uns immer zu wenig, ausschließlich Anti-Nazi-Arbeit im Stadtteil zu leisten. Vielmehr gehörte von Anfang an eine umfassende Herrschaftskritik und linksradikale Theoriebildung zu unserem Anspruch. Darüber hinaus wurde die Gruppe auch aus der Kritik am Antisemitismus innerhalb linker Strukturen gegründet sowie den antifeministischen Tendenzen der Antideutschen Szene.

Das unterscheidet auch solche pro-israelischen Gruppen von ach-so-jüdischen Gruppen für Frieden im Nahen Osten, die meist nur antizionistisch sind und gerade keinen Frieden für Juden in einem jüdischen Staat wollen, neben einem palästinensischen Staat.

Was Illouz in der ZEIT vom 06. August 2025 schreibt, passt exakt zu den gut 350 typisch links-deutschen „Kulturschaffenden“ und dem oben zitierten offenen Brief an Bundeskanzler Merz:

Mein Punkt ist ein schlichter: Weil die Kritik an Israel so oft gefährlich nah am Antisemitismus liegt, muss sie Sprache und Behauptungen sorgfältig prüfen. Wer bloß über minimales Wissen zur Geschichte des Konflikts verfügt, sollte aufhören, Israel zum alleinigen Schuldigen zu machen.

Die Soziologin resümiert:

Die rote Linie für die Welt muss lauten: Wenn Netanjahus Regierung – wie von ihm selbst verkündet – eine dauerhafte Besatzung Gazas anstrebt und zugleich die Unabhängigkeit der Justiz endgültig aushebelt, werden Sanktionen zu einer angemessenen Antwort. Bis dahin dürfen Israels Freunde nicht die Augen verschließen vor dem Charakter der Regierung in Jerusalem: vor ihrer Inkompetenz, ihren Kriegsverbrechen, der von ihr verschuldeten humanitären Katastrophe und einem Gaza-Krieg, der längst jede Rechtfertigung verloren hat. Zugleich gilt es zu bedenken, dass ebenjener Extremismus und jene Paranoia der Regierung genährt werden vom Antisemitismus der arabischen wie der westlichen Welt.

Kritik aus Israel und USA: Zionisten dürfen zu den Verbrechen Israels in Gaza nicht schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Nehmen wir typische Aktivist*innen, die gegen Antisemitismus sind und sich für Israel einsetzen. Sie sind im privaten Gespräch klar gegen die Politik von Benjamin Netanyahu, finden es aber höchst suspekt, ja im Zweifelsfall antizionistisch oder zumindest den Antisemitismus befördernd, wenn das jemand öffentlich sagt.

Von daher ist – wie immer – der unabhängige Diskurs in Israel, aber auch und zumal in der Diaspora wie in den USA viel schärfer, politischer, öffentlicher und relevanter. Während die bekannten NGOs in USA ähnlich angepasst agieren wie in Deutschland, gibt es in USA und natürlich immer noch in Israel eine sehr vielfältige und kritische Publizistik.

So schreibt der Zionist, Publizist und Rabbiner Dr. Donniel Hartmann im Herbst 2021:

Bis vor kurzem waren die „unentschlossenen Unentschlossenen“ relativ marginal. Die eigentliche Sorge in der amerikanischen zionistischen Community bestand bis vor einigen Jahren darin, dem Wachstum der „unbesorgten Unentschlossenen“ entgegenzuwirken – jener Menschen, die sich einfach entfremdet hatten und kein Interesse mehr an Israel zeigten.

Die neue Angst ist jedoch die Abwanderung der „besorgten Engagierten“ in das wachsende Lager der „besorgten Unentschlossenen“. Die Ereignisse in Sheikh Jarrah und die jüngste Gaza-Kampagne waren ein Wendepunkt: Die „unentschlossenen Unentschlossenen“ sind in den Mainstream des jüdischen und nordamerikanischen Lebens und Diskurses eingetreten. Jüngste Umfragen zeigen, dass fast ein Drittel der amerikanischen Juden es für legitim hält, Israels Politik mit Apartheid in Verbindung zu bringen. (Alle englischen Zitate in diesem Text sind von mir übersetzt, CH)

Hartmann machte 1971 Alijah – und merkte schon damals als Teenager, dass Israel als Besatzungsmacht dem Zionismus enorm schadet. Das wurde seither nur noch schlimmer. Dabei weiß er natürlich, dass die Palästinenser keine Chance ausließen, eine Zweistaatenlösung anzunehmen – aber das entbindet Israel nicht von seinen eigenen Fehlern und der Siedlungspolitik und dem Rassismus.

Auf diesen Text weist der Kolumnist des Jewish Forward und Professor an der Brown University Dany Bahar am 29. Juli 2025 hin und resümiert:

Ein Israel, das bei der Mehrheit der Juden in der Diaspora kein Vertrauen und keine Verbundenheit mehr weckt, ist vielleicht nicht unmittelbar einer militärischen Bedrohung ausgesetzt. Aber es läuft Gefahr, seine Daseinsberechtigung zu verlieren: ein Staat, der nicht nur auf Souveränität, sondern auch auf einem gemeinsamen Schicksal gründet.

Wenn der israelische Außenminister Sa’ar jetzt sagt, es habe „noch nie einen Staat Palästina gegeben“ und Juden hätten das Recht in Judäa und Samaria zu siedeln, dann ist das rechtsextreme Propaganda. Es gibt die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, darin heißt es:

Unabhängige arabische und jüdische Staaten und das in Teil III dieses Plans festgelegte besondere internationale Regime für die Stadt Jerusalem sollen zwei Monate nach dem Abzug der Streitkräfte der Mandatsmacht in Palästina entstehen. (Herv. CH)

Der Zionist und Schriftsteller David Grossmann hat sich im Sommer 2023 für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel ausgesprochen (David Grossmann (2024): Frieden ist die einzige Option. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer und Helene Seidler, München: Hanser, S. 27-39).

Er war nach dem Massaker der Hamas und der Palästinenser vom 7. Oktober 2023 fassungslos und fragte:

Ich spreche von der Tiefe des Israelhasses, von der schmerzhaften Einsicht, dass wir Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und in ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen. Ununterbrochen bemüht, Athen und Sparta gleichzeitig zu sein. Immerzu fragend, ob uns jemals ein normales, von Angst und äußerer Bedrohung freies Leben vergönnt sein wird. Ein dauerhaft geborgenes Dasein. In einem behüteten Heim.

(Ebd., S. 47)

Der Staat Israel ist weltpolitisch im August 2025 so isoliert wie vielleicht noch nie in seiner Geschichte seit 1948. Das liegt an der rechtsextremen Politik der Regierung von Benjamin Netanyahu.

Ja, es gibt unglaublich viele Antisemit*innen, die am 7. Oktober jubelten und schon im Oktober 2023 „Genozid“ geschrien haben – und damit nicht das in der Tat genozidale Massaker der Hamas meinten, sondern Israel, noch bevor sich der Judenstaat zu wehren begann. Das sind jene, die am 7. Oktober stolz mit ihren Blut beschmierten Palästinensertüchern durch Heidelberg, Frankfurt, Duisburg, Berlin-Neukölln oder Berlin-Kreuzberg, Mannheim oder Heilbronn liefen. Das ist ein gefährliches und zu Gewalt bereites Antisemitenpack, schlichtweg.

Aber das darf Zionist*innen nicht abhalten, weiter kritisch und selber zu denken. Sie sollten endlich aufhören, nachzubeten, was die rechtsextreme israelische Regierung oder deren deutsche Sprachrohre sagen.

Man kann viel sinnvolle und zionistische Kritik an Israel im Jewish Forward, der Haaretz, in der Times of Israel und anderen Medien finden und man sollte vor allem immer eines tun: selber denken.

Wissenschaft ist immer noch das höchste Gut, das wir haben – und nicht Aktivismus, so wichtig der hie und da auch ist.

Der Herausgeber der Times of Israel David Horovitz schreibt am 30. Juli 2025:

Wird der Premierminister verspätet die am wenigsten schlechte der miserablen Optionen zur Beendigung des Krieges wählen – ein Abkommen, um alle möglichen Geiseln zurückzuholen, und die Bereitschaft, einen von den USA geführten internationalen und regionalen Mechanismus zum Aufbau eines nicht mehr gefährlichen Gazastreifens zu schaffen – zum Preis einer streng überwachten Rolle für die zutiefst problematische PA, aber ohne Rolle für eine entwaffnete, abgelöste Hamas? Ein solcher Schritt würde auch den globalen diplomatischen und potenziellen wirtschaftlichen Druck für eine palästinensische Staatlichkeit verringern, die die Hamas belohnen und Israel erneut bedrohen würde.

Oder ist er, der bereits Israels Justiz und demokratischen Charakter attackiert, entschlossen, eine unhaltbare, langfristig nicht tragbare Besetzung des Gazastreifens zu initiieren, die Israels Isolation vertiefen und es zu einem erweiterten Staat mit schwindendem jüdischen Anteil machen würde – was das vollständige Scheitern der jüdisch-demokratischen zionistischen Vision bedeuten würde?

Gleichzeitig verurteilen im Juli 2025 auf einer Konferenz in New York City, die von Frankreich und Saudi-Arabien initiiert wurde, arabische Staaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und andere den Terror der Hamas vom 7. Oktober, fordern ein Ende der Hamas – und Übergabe der Waffen etc. an die Palästinensische Autonomiebehörde – und erkennen den jüdischen Staat Israel an und fordern eine Zweistaatenlösung. Gerade jetzt!

Das ist eine ungeheuerliche Ungleichzeitigkeit – Israel begeht die wohl schlimmsten Verbrechen in seiner Geschichte – als völlig aus dem Ruder gelaufene Reaktion auf das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah durch Palästinenser, die Hamas und dem Islamischen Dschihad am 7. Oktober 2023 – und die arabischen Staaten erkennen den einzigen Judenstaat endlich an und fordern: Frieden. Zwei Völker, zwei Staaten.

Update, 4. August 2025:

Der Fellow bei der Foundation for the Defense of Democracies Hussain Abdul-Hussain schreibt in einem Blog-Text für die Times of Israel, dass diese Initiative allerdings auf der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 basiert, die ein „Rückkehrrecht“ für palästinensische und jüdische Flüchtlinge vorsieht. Es ist natürlich eine absurde Resolution, da sie den jüdischen Charakter Israels in Frage stellt, damals wie heute. Wobei die damals ca. 700.000 vertriebenen und auch aus eigenen Stücken gegangenen Araber sich heute auf ca. 5,9 Millionen vermehrt haben. Das Absurde ist, dass sich dieser Flüchtlingsstatus vererbt, was natürlich völkerrechtlich höchst zweifelhaft ist – da nahe alle heute lebenden Palästinenser nach 1948 geboren wurden und gar nicht vertrieben wurden. Wie Hussain Abdul-Hussain festhält, haben 5 Millionen der heute 5,9 Mio. behaupteten palästinensischen „Flüchtlinge“ eine andere Staatsangehörigkeit, z.B. deutsch, niederländisch, amerikanisch. Die Einfügung dieses Passus in das 30-seitige Dokument ist insofern für Israel nicht tragbar:

14. We urged rnernber States, the United Nations, its agencies, international organizations to provide resources and assistance at scale to support recovery and reconstruction, including through a dedicated reconstruction international Trust Fund to that airn. We underlined the indispensable role of UNR W A, and expressed our cornrnitrnent to continue supporting, including through the appropriate funding, the agency in the irnplernentation of its rnandate and welcorned its cornrnitrnent and ongoing efforts to irnplernent the recornrnendations of the Colonna report. Upon the achievernent of a just solution to the Palestinian refugee issue to be agreed upon in accordance with U.N. General Assernbly Resolution 194, UNRWA will hand over its public-like services in the Palestinian territory to ernpowered and prepared Palestinian institutions.

Von daher ist es auch so wichtig, von Israel als jüdischer Staat zu sprechen – genau genommen jüdisch und demokratisch, was in der Tat in Frage steht aufgrund der rechtsextremen Politik von Netanyahu seit vielen Jahren – und nicht nur von Israel. Denn Palästinenser würden gegebenenfalls ein Israel, das kein jüdischer, sondern ein binationaler Staat mit einer potenziell arabischen Mehrheit wäre, auch leichter anerkennen.

Dass eine Anerkennung eines Staates Palästina am Ende des Friedenssprozesses stehen sollte, war lange Jahre Konsens. Jetzt erodiert das – Frankreich wird Palästina anerkennen, vermutlich auch UK und Kanada, was die FAZ auf die Palme bringt.

Doch was, wenn gerade die arabischen Staaten die Hamas ausschalten wollen, diplomatisch?

Man hätte doch, wenn der Judenhass so groß ist in der arabischen Welt, erwarten müssen, dass die arabischen Staaten sich jetzt so stark gegen Israel wenden wie selten zuvor.

Aber was tun sie? Sie bieten Frieden an – WENN, ja nur wenn Israel eine Zweistaatenlösung akzeptiert – was wie gesagt mit der UN-Resolution 194, die Israel zwar taktisch unterschrieben hat, aber nicht umsetzen wird und kann, niemals gehen wird. Es gibt kein Rückkehrrecht für Palästinenser, die überhaupt nicht vertrieben wurden und selbst jene, die vertrieben wurden, haben kein solches Recht – denn dann hätten völkerrechtlich gesehen auch über 12 Millionen Deutsche direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein Rückkehrrecht nach Pommern, Schlesien etc. bekommen müssen, was sie natürlich nicht bekamen. Sie haben einen Krieg verloren – so wie die Araber 1948 den Krieg gegen Israel verloren haben.

Das heißt: Ende der Siedlungen im Westjordanland und jene, die dort sind, können Teil eines Staates Palästina werden, womit auch die Palästinenser lernen könnten – wie die Juden in Israel -, was es heißt, mit einer ca. 20-prozentigen nationalen Minderheit im Staat zu leben. Völlig unrealistisch, in der Tat. Aber in Israel klappt es seit 1948 …..

Wenn das hier und heute nicht ein historischer Moment ist, was dann?

Schlechter als Israel kann man eine solche Mega-Krise gar nicht kommunizieren.

Warum lässt Israel keine Journalist*innen aus Gaza berichten? Weil niemand sehen soll, was dort passiert, ganz einfach. Würde Israel sich an das Kriegsrecht halten, müsste es keine Angst vor unabhängigem Journalismus haben. Dass es viele böswillige und antisemitische Journalist*innen gibt – klar. Aber es könnten ja auch die zionistischen und trotzdem unabhängigen Journalist*innen berichten und Fake News korrigieren etc. pp.

Doch Netanyahu wird alles tun – alles – um den Krieg weiter zu verlängern, an der Macht zu bleiben, die Besatzung im Westjordanland auszubauen und die Siedlergewalt offensiv zuzulassen und Pläne für die völlige Zerstörung Gazas zu forcieren, inklusive der Hungerpolitik gegenüber Gaza – ein Bruch mit dem Völkerrecht und dem Kriegsrecht.

In den USA schwindet der Rückhalt für Israel dramatisch.

Der bekannte, junge, zionistische Journalist und Senator Jon Ossoff aus dem US-Bundesstaat Georgia hat sich vor wenigen Tagen gegen bestimmte Waffenlieferungen wie Gewehre an Israel ausgesprochen („Erstmals Mehrheit von Linksliberalen im US-Senat für Blockade von Waffenlieferungen an Israel„), zugleich aber grundsätzlich betont, dass Israel Waffen braucht, um sich vor Angriffen zu schützen – aber er will keine Waffen an den Fascho Ben Gvir schicken lassen, der Oberster Polizeichef in Israel ist.

Wenn jetzt Deutschland und Jordanien Hilfsgüter über Gaza mit Flugzeugen und Hubschraubern via Fallschirmen abwerfen – ist das ein Katastrophe für Israel. Zwar sind die geringen Mengen an Nahrung oder Medizin, die auf diese Weise in den Gazastreifen gelangen, wirklich nur symbolisch – aber noch symbolischer ist es, dass eine Demokratie, die Israel ja auf dem Papier ist, eine ganze Bevölkerung aushungert und andere Länder mit solchen Maßnahmen helfen müssen, was gerade von engen Freunden wie Deutschland bemerkenswert ist.

Das brachte die bekannte Fernsehmoderatorin Yonit Levi von Channel 12 dazu, von einem „moralischen Versagen“ Israels zu sprechen  – live im TV – und nicht nur von einem „Versagen der PR-Kampagne“. Dafür wird sie von rechten Medien und Hetzern aller Art unter anderem als „Sprecherin der Hamas“ diffamiert, wie die Haaretz berichtet. Yonit Levi betreibt auch den Podcast Unholy mit dem Guardian-Kolumnisten Jonathan Freedland, der meist die liberal-zionistische Position vertritt, während sie immer eher mainstreamiger und angepasster redet und wirkt. Das hat sich jetzt etwas geändert, wie auch die Haaretz festhält.

Der Professor für Jüdische Studien an der University of California Los Angeles David N. Myers, der auch viel zu Zionismus und zu Antisemitismus forscht, schreibt am 31. Juli 2025 – und das, was er meint, kann man sicher auch säkular übersetzen und man kann Solidarität mit den Palästinensern haben ohne gleich einen „Gottesdienst“ mitzumachen, das ist eh klar:

Tisha B’Av [dieser jüdische Feiertag beginnt am heutigen Samstagabend, CH] erinnert in der Regel an eine Reihe von Katastrophen, die das jüdische Volk heimgesucht haben, beginnend mit der Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels in der Antike. Letztes Jahr wurde an Tisha B’Av das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in die lange Kette jüdischen Leidens aufgenommen, und es wurden neue Kinot, poetische Klagelieder, verfasst, um den unerträglichen Schmerz dieses Tages zum Ausdruck zu bringen.

Aber dieses Jahr ist es anders. Die Juden sind nicht die Opfer. Wir sind die Täter.

(…)

Zunächst müssen wir die palästinensischen Opfer dieser schrecklichen Gewalt beim Namen nennen, sie menschlich machen und bei jeder Gelegenheit laut für ihr Wohlergehen beten, genauso wie wir für die Rückkehr der israelischen Geiseln beten, die noch immer in Gaza festgehalten werden.

Zweitens müssen wir neue liturgische Formen in unsere Gottesdienste integrieren, die nicht nur die verzweifelte Lage der Palästinenser in Gaza zum Ausdruck bringen, sondern auch ihre grundlegende Menschlichkeit. Dabei sollten wir der Bitte eines der bedeutendsten Dichter aus Gaza, Refaat Alareer, Folge leisten, der prophetisch schrieb, bevor er bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam: „Wenn ich sterben muss, lebe du, um meine Geschichte zu erzählen.“

Dany Bahar läutet die Alarmglocke – doch wer wird sie hören? Die schweigenden ach-so-dermaßen-unbedingt-pro-israelischen Aktivist*innen und Publizist*innen hierzulande? In USA sind sie da hellhöriger und kritischer:

Für viele von uns haben die Argumente, mit denen wir Israel lange Zeit erklärt, verteidigt und uns mit ihm solidarisiert haben, angesichts der glaubwürdigen Berichte über die aktuellen Ereignisse vor Ort keine Gültigkeit mehr.

Israel sollte alarmiert sein, wenn die schweigende Mehrheit der Juden in der Diaspora – viele von ihnen „besorgte, engagierte Zionisten“ –, die ihm mit Liebe und Kampfgeist zur Seite gestanden haben, beginnt, sich abzuwenden. Und es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist.

Es ist antisemitisch, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Das tut die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“. Man sieht das auch auf T-Shirts oder Postern antizionistisch-antisemitischer Gruppen und Aktivist*innen, da die Landkarte dort nur ein Land kennt: Palästina, womit Gaza, die Westbank und Israel gemeint sind. Jetzt hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin eine Aktivistin freigesprochen, die diesen Vernichtungsslogan gegen den einzigen Judenstaat hinausschrie und sich auch dazu bekennt. Der Richter hat „Hochachtung“ vor dem Engagement der Täterin, die Staatsanwaltschaft ist konsterniert und legt erstmal ein „unbestimmes Rechtsmittel“ gegen den Freispruch ein.

Das macht natürlich in der Pro-Israel Szene seine Runde, zu Recht. Aber dafür schweigen die meisten dieser Aktivist*innen zur rechtsextremen und Hungerpolitik von Netanyahu, der israelischen Regierung wie der israelischen Armee IDF.

Daher eine weitere jüdisch-zionistische Stimme aus dem Forward, der Kolumnist Sruli Fruchter schreibt am 25. Juli 2025:

Rabbi Abraham Isaac Kook, der geistige Großvater des religiösen Zionismus, verurteilte Nationalismus oft als eine Form von unmoralischem Chauvinismus, der zwangsläufig in Brutalität enden würde. Was den jüdischen Nationalismus seiner Meinung nach von anderen unterschied, war, wie Rabbi Yoel Ben-Nun einmal schrieb, sein Engagement für die Menschheit „als Paradigma für Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Gesetz für alle Völker“.

Man braucht nur einen Blick auf die Fotos und Videos aus Gaza zu werfen, um das dortige Grauen zu sehen – ausgemergelte Kinder, hungernde Mütter, zerstörte Hoffnung – und zu erkennen, wie sehr Israel versagt. Der größte Verrat besteht darin, diese Hungersnot weitergehen zu lassen, anstatt zuzugeben, dass sie stattfindet.

Für unabsehbar lange Zeit werden Bilder von Hungernden jetzt mit Israel assoziiert. Ein unfassbarer Vorgang, an dem Israel Schuld trägt und niemand sonst – es ist die Besatzungsmacht und könnte unendlich viele LKWs in den Gazastreifen lassen, damit die Hamas gar nicht hinterherkäme, die zu plündern und der Preis auf dem Schwarzmarkt würde ins Bodenlose fallen. Doch das will Israel absichtlich nicht. Sie wollen Hunger verbreiten. Und das muss aufhören – der Schaden ist ohnehin auf Jahre und Jahrzehnte angerichtet. Hungernde Kinder und Israel ist Schuld – das bleibt in Milliarden Köpfen jetzt hängen. Gerade auch nicht-antisemitische Menschen können einen solchen Staat nicht mehr bedingungslos unterstützen, das sagen alle hier zitierten Autorinnen und Autoren.

Denn schließlich sagt der berühmteste von ihnen, der oben zitierte, zionistische, preisgekrönte und in über einem Dutzend Sprachen übersetzte israelische Schriftsteller David Grossmann am 1. August 2025 Folgendes:

Der preisgekrönte israelische Autor David Grossman bezeichnete am Freitag erstmals die Militäraktion seines Landes im Gazastreifen als „Völkermord“ und erklärte in einem Gespräch mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, dass er diesen Begriff mit „großem Schmerz und gebrochenem Herzen“ verwende.

Seine Äußerungen erfolgten vor dem Hintergrund wachsender weltweiter Besorgnis und Empörung über die weit verbreitete Hungersnot in dem vom Krieg zerrütteten Gebiet aufgrund unzureichender Lebensmittelversorgung.

„Viele Jahre lang habe ich mich geweigert, den Begriff ‚Völkermord‘ zu verwenden“, sagte der bekannte Schriftsteller und Friedensaktivist der Zeitung. „Aber jetzt, nachdem ich die Bilder gesehen und mit Menschen gesprochen habe, die dort waren, kann ich nicht anders, als ihn zu verwenden.“

Sicher wird der Großteil der deutschen Oberlehrer*innen, die in der Pro-Israel Szene aktiv sind, David Grossmann als Israelfeind, Antizionist oder Antisemit diffamieren. Weil eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, niemand so gut weiß, was für Juden wirklich gut ist, als (nicht-jüdische) Deutsche aus der Pro-Israel Szene.

Sapere aude.

Benjamin Netanyahus rechtsextreme Politik tötet Palästinenser und den Zionismus

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Die islamistische Terrororganisation Hamas hatte das Ziel, dass Israel nach dem schrecklichsten Massaker an Juden seit der Shoah vom 7. Oktober 2023 unverhältnismäßig zurückschlägt und sich somit international vollständig isoliert. Aber dass Israel der Hamas diesen Gefallen auf diese exzessive und blutige wie selbstmörderische Art und Weise machen würde, das hätten wohl nicht mal die mittlerweile eliminierten Hamasführer gedacht.

Israel betreibt eine völkerrechtswidrige Hungerpolitik, die Tausende, womöglich Zehntausende oder Hunderttausende der zwei Millionen Palästinenser*innen im Gazastreifen offenkundig an den Rand des Hungertods bringt. Jene, die noch Kraft haben, bei unerträglicher Hitze, kaum Wasser und Nahrung, sich ein Nahrungspaket zu sichern, laufen tagtäglich Gefahr, von IDF-Soldaten eiskalt oder in Panik, jedenfalls kriminell und völkerrechtswidrig erschossen zu werden. Der faschistische Minister und Koalitionspartner von Netanyahu, Smotrich, möchte den Gazastreifen zu einem Teil Israels machen.

Es müsste hingegen um eine Demokratie- und Anti-Islamismuspolitik in Gaza gehen – aber dazu sind die Faschisten und der obsessive Machtpolitiker und Narzisst Netanyahu selbst natürlich nicht in der Lage – wie auch? Sie wollen Israel auch im Innern zerstören, warum sollten sie für Demokratie in Gaza werben?

Es wurden, so berichten es IDF-Soldaten, Häuser einfach so zerstört – und zwar ein Großteil aller Häuser im Gazastreifen, der fast komplett unbewohnbar ist, die Flüchtlinge leben in Zelten oder Ruinen. Ob es überhaupt noch lebende Geiseln gibt, ist ungewiss. 20 israelische Geiseln lebten vor einigen Monaten vermutlich noch – aber jetzt?

Schon Ende Juni berichteten IDF-Soldaten in der Haaretz, dass sie wahllos auf Essen wartende Palästinenser schießen, teils auf Befehl. Das war schon zuvor so, weshalb 2024 auch viele, die anfangs für den Krieg waren, ihn lernten abzulehnen.

Wirklich kritische und hellsichtige Menschen wie der Zionist Irvin Cotler, ich habe über ihn berichtet, hatten von Anfang an die Hoffnung, dass Israel nach dem 7. Oktober diplomatisch geschickt agiert und den Iran weltpolitisch isoliert wie seine Proxies Hamas, Hisbollah, Houthis. Aber das Gegenteil passierte, Israel hat zwar die Führungskräfte der Hisbollah und der Hamas getötet und das iranische Atomprogramm angegriffen, aber vermutlich den Kern, auf 60 Prozent angereichertes Uran, wovon es ca. 400 kg im Iran gab, nicht getroffen. Und selbst wenn, es muss um ein Ende des iranischen Regimes gehen, was nur politisch erreicht werden kann – und mit einer Revolution im Iran.

Diplomatisch bekam Israel im Oktober 2023 enorm viel Unterstützung, nicht nur von den USA und England, sondern selbst von Deutschland und Frankreich sowie der EU. Aber der Rechtsextremismus von Netanyahu hat den Ausschlag gegeben, dass er die Geiseln als absolut tertiär für seine Politik betrachtet und die Fortführung seiner Koalition mit Faschisten wie Smotrich oder Ben Gvir hat Priorität.

Ist es nicht ein Wink für Psychoanalytiker*innen, dass Netanyahu vor wenigen Tagen eine Lebensmittelvergiftung hatte – während sie in Gaza an Hunger sterben? Hat sein Körper womöglich mehr Moral oder Ethik als er selbst? Er wird das gar nicht merken in seinem ich-verliebten Wahnsinn und seiner Terrorpolitik im Innern wie nach Außen, in Gaza wie im Westjordanland sowie gegen die Justiz in Israel. Von Arbeiter*innenrechten oder einer Sozialpolitik oder wenigstens dem leichten Einhegen der kapitalistischen Barbarei kann man ja in Zeiten des Turbo-Kapitalismus ohnehin seit Jahrzehnten nicht mehr reden, gerade auch in Israel nicht, so wenig wie in Deutschland oder den USA.

Es geht um alles. Es geht um das Töten von Palästinenser*innen und um das Ende des Zionismus.

Zionismus heißt zwei Staaten für zwei Völker.

Jüdische Faschisten wie Smotrich wollen das nicht und er hat viele Israelis hinter sich. Wären die Israelis so schockiert wie 1982, als christliche Milizen in Sabra und Schatila im Libanon bis zu 3000 Palästinenser*innen massakrierten und die israelische Besatzungmacht nur zuschaute? Damals demonstrierten sofort 350.000 Isarelis in Tel Aviv gegen diese Zulassen eines Massakers an Palästinenser*innen durch Israel.

Und heute? Heute ist Israel selbst an Massakern beteiligt, wie es ausschaut – wenn wir das Erschießen von bis zu 1000 Menschen in Gaza betrachten, die vermutlich großteils von Israel beim Warten auf Essen einfach erschossen wurden, weil ggf. junge IDF-Soldaten Panik vor Tausenden heranstürmenden, aber unbewaffneten und vor allem nur Essen suchenden Palästinensern hatten und einfach auf wehrlose Menschen schießen. Ethik bei der IDF? Das war gestern – oder vorvorgestern. Wobei, klar, das Wort Ethik und Militär ohnehin Widersprüche sind. Aber leider braucht Israel eine Armee, weil die Nachbarstaaten widerwärtige arabische Länder sind, die den einzigen Judenstaat seit 1948 zerstören wollen.

Die Tageszeitung Die Welt schreibt am 23. Juli 2025:

Auch der amerikanisch-palästinensische Analyst Ahmed Fouad Alkhatib vom Atlantic Council, der regelmäßig mit Menschen in Gaza spricht, berichtet von Wut und Protesten der Menschen gegen die Hamas. Gleichzeitig bezeichnet Alkhatib das von Israel neu eingerichtete Hilfssystem als gescheitert. „Der Hunger ist so schlimm wie nie zuvor“, sagt Alkhatib. Die Menschen wollten nur noch eines: „den Gaza-Streifen verlassen“.

Ein Scharfmacher der Jüdischen Allgemeinen und Vorsitzender des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann, hingegen schreibt:

So viele zivile Opfer wie möglich helfen dabei nur. Weshalb palästinensische Mitarbeiter der GHF [Gaza Humanitarian Foundation, CH] ermordet werden, Todeszahlen aufgebläht werden und durch bewaffnete Terroristen Chaos im Umfeld der Verteilstellen gestiftet wird. Denn auch hier gilt: Jeder tote Palästinenser, über den in den Medien berichtet wird, nützt der Hamas und schadet Israel. …
Die Hamas muss endgültig zerstört werden. Ihre Strukturen müssen zerschlagen werden. Und ihr Zangengriff muss aufgebrochen werden. Ein für alle Mal. Wenn Israel etwas aus der Geschichte gelernt hat, wenn es etwas aus dem 7. Oktober gelernt hat, dann gibt es nur eine Entscheidung. Eine schlechte Entscheidung. Aber eine richtige Entscheidung!

Schockiert über das Verhalten Israels scheint die Jüdische Allgemeine und mit ihr weite Teile der selbst ernannten Pro-Israel-Szene in Deutschland nicht zu sein. Die Welt schreibt:

Allerdings gibt es viele von Forensikern als glaubwürdig eingestufte Berichte, dass die meisten Zivilisten durch israelische Kugeln starben. Die Zeitung „Haaretz“ berichtete, dass IDF-Kommandeure den Beschuss von Menschenmengen mit scharfer Munition unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt hätten.

Der Journalist und Herausgeber der Times of Israel, David Horovitz, ist schockiert ob der Verhungerten in Gaza – für die Israel verantwortlich ist. Wenn eine Armee selbst von sich sagt, 75 Prozent des Gazastreifens zu kontrollieren, ist sie auch verantwortlich, was dort passiert. Und zwar zu 100 Prozent verantwortlich, jeder Verhungerte ist ein Opfer Israels. David Horovitz sieht entgegen der Jüdischen Allgemeinen, die sich de facto der rechtsextremen Regierung Israels anschmiegt, Israel in der Verantwortung, ja die aktuelle Politik von Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie noch in der Geschichte Israels:

Israel, das selbst innenpolitisch völlig gespalten ist, ist dabei, die meisten seiner engsten Verbündeten zu entfremden, während die große Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit verzweifelt ein Ende des Krieges im Austausch für die Freilassung aller Geiseln fordert. (Übersetzung CH)

Das ist nichts anderes als das exakte Gegenteil zur Jüdischen Allgemeinen. Die Times of Israel fordert damit auch einen sofortigen Waffenstillstand.

Der israelische Präsident Herzog hat bei seinem ersten Besuch in Gaza seit dem 7. Oktober jetzt gezeigt, dass er keinerlei Kritik an der mörderischen Politik der IDF hat, ja er lobt die IDF für ihr angeblich jetzt besseres Kommunikationsverhalten und die Aufnahme einiger weniger ultraorthodoxer Soldaten. Kein Wort zur offenkundigen Hungersnot, von der ja auch zionistische Medien wie die Haaretz oder die Times of Israel oder auch die Welt in Deutschland berichten.

Der aktuell extrem aggressive Antisemitismus weltweit basiert darauf, dass viele das Massaker an Jüdinnen und Juden vom 7. Oktober gefeiert oder verharmlost haben.

Doch im Laufe des Krieges Israels in Gaza, der ohne jedes Ziel ist – außer der Tötung von Palästinenern und einer unglaublichen Hungerpolitik fällt diesen Fanatikern nichts ein – wird es für zionistische Freund*innen Israels zunehmend unmöglich, Israels Politik zu verteidigen – abgesehen davon, dass es eben auch ein rechtsextremes Israel geben müssen darf, ohne mit Vernichtung bedroht zu werden – wir drohen ja auch nicht Italien mit Vernichtung, ’nur‘ weil eine Faschistin oder Post-Faschistin Regierungschefin ist, was auch für Ungarn oder die USA zutrifft. Aber was ist das für ein Argument …

Die taz schreibt:

Es ist nicht kompliziert. Wenn Unschuldige tausendfach sterben, wenn Kinder verhungern, wenn israelische Geiseln in Kerkern sitzen, muss die Antwort heißen: Dieser Krieg muss enden, jetzt.

Wenn Kranke und Verletzte nicht versorgt werden, wenn Ärzte angegriffen werden, wenn Menschen auf der Suche nach Essen erschossen werden, muss es heißen: Dieser Krieg muss enden, jetzt.

Doch wer auch nur einen kleinen Restbestand an Moral und Ethik hat, fordert jetzt einen sofortigen Waffenstillstand und eine Freilassung aller Geiseln und ein Ende der unfassbar völkerrechtswidrigen und zynischen Zurückhaltung und Nicht-Verteilung von Nahrung durch die israelische Armee.

Hat der militärische und mit Hunger Menschen in die Verzweiflung treibende „Druck“ Israels zur Befreiung der Geiseln geführst? Von wegen. Er wird zum Tod der Geiseln führen, die ja bekanntlich schon im April 2024 alle freikommen hätten können – doch der Faschist Smotrich hat Netanyahu gedroht, die Koalition platzen zu lassen und Netanyahu spurte sofort.

Mehr noch: Eine Guerilla-Terrorgruppe wie die Hamas kann man nicht komplett eliminieren. Sie ist tief in der Gesellschaft verankert, doch es gibt massenhaft Hinweise, dass die Bevölkerung in immer größeren Teilen die Hamas ablehnt, davon berichtet auch der oben zitiert Welt-Text.

Auch die israelische Friedensaktivistin Rotem Sivan, die vor 30 Jahren selbst als IDF_Soldatin in Gaza war und weiß, wovon sie spricht, ist unendlich näher dran an der Realität als die Jüdische Allgemeine. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte sie vor wenigen Tagen:

Sie haben den Krieg ursprünglich unterstützt, weil Israel sich nach dem 7. Oktober gegen die Hamas verteidigen musste?
Zu Beginn des Krieges bestand die Aufgabe darin, die Geiseln zurückzubringen, die Sicherheit Israels wiederherzustellen. Als mein Sohn später als Reservist in die Armee zurückkehrte, war es schon eine völlig andere Mission. Jetzt ist das Einzige, was die Armee tut, Häuser zu zerstören. Eines nach dem anderen.

Der schockierende, aber so typische extrem rechte Text aus der Jüdischen Allgemeinen hat keinen näheren Einblick in die Situation in Israel, das merkt man beim Lesen – denn alle Waffenstillstandsforderungen beinhalten immer auch die Forderung nach der Rückkehr der Geiseln, aber nicht den „totalen Sieg“ über die Hamas, weil ein Großteil der israelischen Bevölkerung besser denken kann als Netanyahu. Eine Guerillagruppe wie die Hamas kann man nicht komplett ausschalten. Wer das meint, möchte alle Palästinenser vertreiben, was ja Teile der israelischen Regierung auch offen fordern und Netanyahu lässt sie das fordern.

Der in Deutschland Asyl suchende Anti-Hamas-Aktivist und Friedenskämpfer aus Gaza, Hamza Howidy, schreibt täglich gegen die Hamas und gegen den israelischen Krieg. Am 23. Juli 2025 postet er auf Facebook:

Vier Tage lang sind mutige Stimmen in Tel Aviv auf die Straße gegangen, unsere Brüder und Schwestern in Menschlichkeit, um gegen die Hungersnot in Gaza zu protestieren. Sie fordern ein sofortiges Ende des Krieges, ein Ende des Leidens im Gazastreifen und die Freilassung aller israelischen Geiseln.
Genug mit diesem Blutvergießen. (Übersetzung CH)

Und ja, auch ich habe lange Zeit bis 2024 einen Waffenstillstand abgelehnt – weil ich nicht mit Irvin Cotler gesprochen hatte, obwohl ich ihn immer wieder auf Konferenzen bis 2015 in Israel oder den USA getroffen und mit ihm diskutiert hatte. Jetzt fehlte so eine kritische Stimme und ich war gefangen im Delirium und dem fanatischen Kokon jener in Deutschland, die meinen Pro-Israel zu sein. Was viele überhaupt nicht sind, da sie keine tiefere Ahnung von Menschenrechten und dem Zionismus haben.

So sehen es auch sehr viele – sehr viele – junge und bislang zionistische Leute in den USA. Hier ist ein typisches und eloquentes Beispiel:

In den Wochen nach dem 7. Oktober gab es unfassbare Aufrufe von Knessetmitgliedern und Militärs, den Gazastreifen unterschiedslos zu bombardieren, ja den Gazastreifen platt zu machen, „den Feind zu nakben“, Hunderttausende zur Flucht aus dem Gazastreifen zu zwingen, „den Gazastreifen auszulöschen“, die Bevölkerung des Gazastreifens zu Hunger und Durst zu zwingen und einen „territorialen Preis“ für die Rückgabe des Gazastreifens an die Juden zu fordern, an der Tagesordnung.

Ich habe diese Kommentare damals ignoriert oder entschuldigt, weil ich die Psyche der Israelis zu dieser Zeit verstand – weil ich sie auch fühlte.

Nicht die blinde Wut, wahllos zu töten, sondern die Angst, den Kummer und die Sehnsucht nach einem Preis, der zu zahlen ist. Ich hatte nicht erwartet, dass Israel tatsächlich an diesen Punkt gelangen würde, an dem sich diese Emotionen in motivierte Handlungen verwandelt haben, selbst fast zwei Jahre nach diesem schrecklichen Tag. (Übersetzung CH)

Ziemlich exakt so ging es mir auch – aber die typischen Jüdische Allgemeine-Leser*innen oder Maxim Biller-Fans haben eine solche Selbstreflektion vermutlich nicht.

Dabei habe ich schon vor vielen Jahren Netanyahus rechtsextreme Politik scharf kritisiert, aber unter dem schockierenden Eindruck der unbeschreiblichen Gräuel durch die Hamas an Jüdinnen und Juden war auch ich wie gelähmt, was eine kritische Reflektion zumal des eloquenten Menschenfängers Netanyahu betrifft.

Netanyahu persönlich ist verantwortlich für das unfassbare Töten in Gaza und er wird den Zionismus vollends zerstören.

Das wäre dann der komplette Sieg der Hamas, die Benjamin Netanyahu über viele Jahre mit Milliarden Dollar via Katar unterstützt hat, um einen Keil zwischen Gaza (Hamas) und dem Westjordanland (Fatah) zu treiben.

Friedenspolitik geht anders. Zionismus geht anders.

 

Update:

Wie die Times of Israel am 24. Juli 2025 berichtet: Der Faschist Amichay Eliyahu, ein Minister für „jüdisches Erbe“ (Heritage) der israelischen Regierung möchte den ganzen Gazastreifen von Palästinensern säubern und mit Juden besiedeln, eine aktuelle und belegte Hungersnot leugnet der Fascho. Der Oppositionspolitiker Lapid attackiert den Rechtsextremismus und Rassismus von Eliyahu – einem Minister von Netanyahu, der Gaza komplett von Palästinensern säubern will.

Zugleich kündigt der französische Präsident Macron an, im September 2025 den Staat „Palästina“ völkerrechtlich anzuerkennen bei den Vereinten Nationen.

Der Jewish Forward und die Rabbinerin Jill Jacobs nehmen sich am 23. Juli 2025 die amerikanischen Juden vor und sind fassungslos ob deren Schweigen angesichts der Verbrechen der Regierung Netanyahu an den Palästinensern und vergleichen das auch mit dem genauso unethischen und abwehrenden, Israel nicht in Verantwortung nehmenden Verhalten früherer amerikanischer Juden angesichts des Massakers in Sabra und Schatila 1982, wo Israel als Besatzungsmacht einfach zuschaute und das Massaker geschehen ließ:

In 1982, as some 400,000 Israelis took to the streets in protest of the Sabra and Shatila massacre, mainstream American Jewish leaders hemmed and hawed. “We reject the idea of any participation or involvement by the Israel Defense Force in this terrible event,” Julius Berman, then-chairman of the Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, told JTA at the time. Charlotte Jacobson, the chair of the World Zionist Organization’s America section, deplored the “trigger-quick eagerness of the world” to blame Israel for the incident.

When the Israeli commission of inquiry ultimately issued its report, it found that Israel held indirect responsibility for the massacre and that then-defense minister Ariel Sharon held personal responsibility. Nearly 50 years have passed since Sabra and Shatila. Israel is not immune from extremism, war crimes or autocracy. Yet a fear of being labelled antisemitic still deters American Jews and Jewish institutions from taking a position that is not only morally correct, but also the best way to advance love and concern for the Jewish state and its people.

But our own fear must not distract us from the reality that the biggest threat to Israel, and indeed to Judaism itself, is coming from Israel’s governing coalition. Israel is increasingly becoming an autocratic and theocratic state. This is the moment for American Jews — including both leaders and ordinary Jewish community members — to raise their voice.

Israelische Politiker und Jurist*innen fordern: Für ein sofortiges Ende des Gazakrieges, gegen die völkerrechtswidrige „Humanitäre Stadt“ im Gazastreifen („Auffanglager“)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Es reicht.

Wir können nicht länger unsere Augen verschließen und die Realität ignorieren.

Der in dieser Woche von Nir Hasson und Nurit Yohanan veröffentlichte Bericht über eine ganze Familie, die bei der Bombardierung eines Gebäudes in Gaza getötet wurde, während Rettungskräfte stundenlang daran gehindert wurden, den Ort des Geschehens zu erreichen, wird keine Seele zur Ruhe kommen lassen. Das Gleiche gilt für die Berichte über weitere 20 Menschen, die in einem der von der Gaza Humanitarian Foundation betriebenen Lebensmittelverteilungszentren getötet wurden.

Wir dürfen unsere Augen nicht verschließen. Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken.
Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem Verlust unschuldiger Menschenleben in einem Krieg, der längst hätte beendet sein müssen.

Die Operation „Schwerter aus Eisen“ hat sich zu einem Krieg der Täuschung entwickelt.
Die Fortsetzung des Krieges fordert einen unmoralischen und ungerechtfertigten Preis – von unseren Brüdern und Schwestern, die als Geiseln gehalten werden, von unseren Söhnen und Töchtern, die im Militär dienen, und von unschuldigen palästinensischen Zivilisten.

Der Krieg muss beendet werden. Bis dahin muss die IDF ihr Verhalten bei Angriffen in dicht besiedelten Gebieten ändern.

Die israelischen Medien müssen über die Geschehnisse in Gaza berichten.
Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, um ein Ende des Krieges zu fordern. Und ja, auch meine Partner in der Opposition und ich müssen viel deutlicher und nachdrücklicher ein Ende des Krieges fordern.

Es reicht.

Wir verlieren unsere Werte.
Wir verlieren unsere Widerstandsfähigkeit.
Wir verlieren unseren Weg.“ (Alle Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Text von CH)

Das ist ein Statement vom 17. Juli 2025 des Knessetabgeordneten Gilad Kariv von der Partei Die Demokraten. Er plädiert mit großer Vehemenz für ein Ende des Krieges in Gaza.

Ein offener Brief von israelischen Juristinnen und Juristen, Richterinnen und Richtern fordert jetzt einen sofortigen Stopp der geplanten „Humanitären Stadt“ im Gazastreifen, die auf den Trümmern der Stadt Rafah von Israel gebaut werden soll und in der anfangs 600.000 Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen hineingezwungen werden sollen – nach einer Sicherheitskontrolle, dass sie keine Hamas-Leute sind und ohne die Option die Stadt wieder verlassen zu können. Das Ziel ist die Emigration der Palästinenser*innen und eine teilweise Wiederbesiedelung des Gazastreifens mit jüdischen Siedler*innen.

Das ist kriminell. Das ist illegal. Das verstößt gegen das Völkerrecht.

Damit verließe Israel nochmals den Kreis der zivilisierten Staaten, den es mit der aktuellen Kriegsführung ohnehin schon seit spätestens 2024 verlassen hat, da gezielter Hunger eine völkerrechtswidrige Waffe ist. Wer weiß, was für Folgen Hunger hat – auch für die Geiseln – sieht, wie mörderisch und selbstmörderisch die aktuelle IDF-Strategie ist. Es wird nicht nur zu einer, sondern gleich mehreren Generationen von Jihadisten geradezu erzogen, da braucht es keine Hamas, um so den Hass auf Israel zu schüren.

Diese Kriegsführung hat nichts mit Zionismus zu tun. Sie schadet den Geiseln. Sie mordet unentwegt Palästinenser*innen und greift auch – natürlich „zufällig“ und „nicht absichtlich“ – die fast einzige Kirche im Gazastreifen an, wie jetzt geschehen.

Die 16 oppositionellen Jurist*innen in Israel schreiben am 10. Juli 2025:

In Anbetracht der beschriebenen Rechtswidrigkeit stellt jede Anweisung, die Errichtung einer
„humanitären Stadt“ in Gaza vorzubereiten oder voranzutreiben, einen offenkundig rechtswidrigen Befehl dar, der nicht befolgt werden darf.
Die Ausführung dieses Plans könnte sowohl politische Personen als auch IDF-Offiziere und -Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und in anderen Gerichtsbarkeiten erheblichen
rechtlichen Risiken aussetzen. Im Gegensatz zu Staatsoberhäuptern, die unter bestimmten Umständen Immunität genießen, genießen Politiker und Militärangehörige keine Immunität, und für die oben beschriebenen Verbrechen gilt keine Verjährungsfrist.
Jeder, der diesen Plan plant, genehmigt oder ausführt, kann persönlich für schwere internationale Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Wir sind der Ansicht, dass aufgrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit die Einrede des höheren Befehls nicht möglich ist, schon gar nicht in internationalen oder ausländischen Foren. Anführer und Befehlshaber, die die IDF-Kräfte anweisen, diesen Plan auszuführen, befehlen ihnen effektiv, Handlungen auszuführen, die eindeutig rechtswidrig sind, und setzen sich damit weltweit der Strafverfolgung aus.
Wir fordern daher alle zuständigen Behörden dringend auf, sich öffentlich von diesem Plan loszusagen, ihn zu desavouieren, und sicherzustellen, dass er nicht umgesetzt wird.

Das ist ein außerordentlich wichtiger offener Brief.

Er wurde auch von zionistischen Juristen unterschrieben, die zuvor Israel gerade noch verteidigt hatten gegen den Vorwurf, in Gaza einen „Genozid“ zu verüben, die Times of Israel berichtet:

Das Schreiben wurde unter anderem von Eyal Benvenisti von der Universität Cambridge unterzeichnet, der einer der Experten war, die Israel in dem von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengten Völkermordverfahren verteidigten.

Weitere prominente Unterzeichner waren Yuval Shany von der juristischen Fakultät der Hebräischen Universität, der Schriftsätze zur Verteidigung Israels vor dem ICC eingereicht hat, sowie David Kretzmer, Eliav Lieblich, Tamar Megiddo und andere.

Der Jewish Forward und sein Kolumnist Dan Perry aus den USA klagen Benjamin Netanyahu persönlich für den Zusammenbruch des Zionismus an („The scourge of Netanyahu’s self-interest has brought Zionism to its breaking point„) und bezeichnen ihn als den „zerstörerischsten Führer in der Geschichte Israels“ („I first met Netanyahu in 1988. Here’s how he became the most destructive leader in Israel’s history.„)

Die New York Times wiederum hatte berichtet, dass es Netanyahu war, der spätestens im April 2024 einen umfassenden Geisel-Deal, der die restlichen jüdischen und weitere Geiseln der Hamas befreit hätte, nicht unterschrieb, weil seine faschistischen Regierungspartner wie Bezalel Smotrich ihr Veto einlegten und Netanyahu damit keine Mehrheit mehr im Parlament gehabt hätte und sich schutzloser seinen Gerichtsverfahren gegenüber gesehen hätte („How Netanyahu Prolonged the War in Gaza to Stay in Power„).

Zugleich haben jetzt die beiden faschistischen, rechtsextremen israelischen Politiker Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir Einreiseverbot nach Slowenien, einem EU-Land.

Wer kritisch zu Israel berichtet kann im Zweifelsfall seinen Laptop am Flughafen von der Fluggesellschaft bzw. dem „Sicherheitspersonal“ gestohlen und Tage später kaputt zurück bekommen, wie die taz von einer Kollegin berichtet. Meinungsfreiheit? Freiheit der Presse? Persönlichkeitsrechte? Das soll eine Demokratie sein? Ernsthaft?

Gleichzeitig gibt es nonstop antisemitische Demonstrationen, es werden Pro-Hamas Aufkleber geklebt und bei Antifa-Demos gegen die AfD wie in Heidelberg, werden dann wie selbstverständlich Antifafahnen und Palästina-Fahnen geschwenkt (wie am 18. Juli 2025 im Stadtteil Emmertsgrund). Wären diese Leute für Palästina und für Israel, würden sie auch eine Israelfahne schwenken.

Wieder andere fordern eine Art Konförderation zwischen zwei Staaten – Israel und Palästina – wie die Initiative Two States One Homeland oder A Land for All. Gleichwohl scheint diese Initiative das „Rückkehrrecht“ für alle Palästinenser*innen zu tolerieren (was eine zentrale Forderung der antisemitischen BDS-Bewegung ist), was auch jene Millionen Nachfahren von damals tatsächlich Vertreibenen – von denen nur noch wenige Zehntausend heute leben – bedeutete, was den Staat Palästina extrem vergrößern könnte, da ca. 5 Millionen palästinensische „Flüchtlinge“, die gar keine sind und alle lange nach 1948 in anderen arabischen Ländern oder in Europa, Amerika, Asien etc. geboren wurden, dorthin ziehen könnten.

Wer einen Krieg beginnt, so wie ihn die Araber gegen das von Holocaustüberlebenden, Zionist*innen und in Israel geborenen Juden gegründete Israel 1947/48 anfingen, und ihn verliert – hat auch völkerrechtlich verloren.

Zionismus heißt zwar gleiche Rechte für alle in Israel lebenden Menschen, aber es heißt auch eine sehr deutliche jüdische Mehrheit im Land, seit 1948 bis heute sind ca. 75 Prozent der Bevölkerung in Israel Juden. Das ist ein Zeichen, wie vielfältig dieser Staat ist, arabische Staaten sind extrem homogen und haben nach 1948 ebenfalls ca. 700.000 Juden vertrieben, von Marokko bis Irak. Auch religiös sind arabische Staaten eine nahezu komplette Einöde, es gibt nur den Islam.

Die antizionistische Szene, die als „pro-palästinensisch“ immer falsch tituliert wird, ist hoffnungslos verloren, sie kämpft nicht für ein freies Palästina, sondern verharmlost oder feiert den Islamismus und die Hamas und selbst die anti-Hamas Fraktion ist häufig antisemitisch (im Gegensatz zu Hamza Howidy jedoch!), weil sie den Zionismus und Israel ablehnt.

Die anti-antisemitische Szene ist häufig blind für den Extremismus in Israel, nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern seit Jahrzehnten. Sie hätte aber theoretisch die Möglichkeit, innezuhalten, und sich zu ändern. Aber auch hier sind seit dem 7. Oktober noch stärkere Tendenzen des Sich-Einigelns erkennbar, Abweichler*innen werden diffamiert und Selbstkritik ist für viele ein Fremdwort.

Solche kritischen jüdisch-israelischen Jurist*innen gibt hierzulande nicht in der sogenannten Pro-Israel Szene – und wenn es sie gibt, sind die Protagonist*innen meist zu feige, sich zu zeigen und unterscheiden zwischen privaten Äußerungen („Bibi ist ein elender Drecksack“, das kann ich aber öffentlich niemals sagen) und öffentlichen Auftritten.

Dazu kommen die rechtsextremen und konservativen ‚Freunde‘ und ‚Freundinnen‘ Israels, die zum Beispiel keinerlei Problem mit Treitschke- oder Felix-Wankel-Straßen in Deutschland haben, die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf auch auf gar keinen Fall als Verfassungsrichterin in Karlsruhe sehen wollen oder sich in Fragen des Natalismus- und Kinderfetisch und der Frauenverachtung wie Abtreibungsgegnerschaft mit den Ultraorthodoxen in Israel treffen, die im Schnitt 7 Kinder haben – so wie die Präsidentin der EU-Kommission -, was Israel ohnehin in wenigen Jahrzehnten an den Rand des nicht nur geistigen Zusammenbruchs führen wird, wie der Jewish Forward befürchtet:

Der nationale Selbstmordpakt der Haredi: Netanjahu ist inzwischen ganz auf einer Linie mit den bereits erwähnten Haredi-Parteien, die sich in einem massiven Konflikt mit dem Rest der Gesellschaft befinden. Die Haredi-Gemeinschaft, die den Militärdienst überwiegend verweigert und eine niedrige Erwerbsbeteiligung aufweist, wächst explosionsartig und hat im Durchschnitt fast sieben Kinder pro Familie. Sie machen inzwischen ein Sechstel der Bevölkerung aus und verdoppeln ihren Anteil in jeder Generation. Sie weigern sich, ihre Jugend säkulare Kernfächer studieren zu lassen, die sie in einer modernen Wirtschaft beschäftigungsfähig machen würden, sind von der Sozialhilfe abhängig und bestehen auf einem langjährigen Seminarstudium auf Kosten der Steuerzahler. Netanjahu, der ohne ihre politische Unterstützung keine Mehrheit hat, ist ihr wichtigster Ermöglicher geworden. Das Ergebnis ist eine demografische Zeitbombe. Wenn sich die Dynamik nicht ändert, wird es in Zukunft eine Mehrheit geben, die die Werte des modernen Israel ablehnt.

Worum es also geht? Easy:

Für Israel, gegen Benjamin Netanyahu.

Gegen antizionistischen Antisemitismus, aber auch gegen die aktuelle mörderische Militär-Politik der IDF.

Dass die meisten auch Pro-Israelis darüber hinaus ohnehin keinerlei Ahnung von einer rationalen Coronapolitik hatten (in Israel gab es jenseits der Regierung in der Public Health, Immunologie und Medizinforschung insgesamt seriöse Ansätze, Corona rational und nicht totalitär-panisch hygienestaatsmäßig zu begegnen), bis heute, dazu überhaupt keine Probleme mit ihrer Ukraine-Unterstützung haben und nie etwas zu den Pro-Holocaust-Täter Denkmälern in der Ukraine sagen oder sich gegen die Rot=Braun Ideologie des bürgerlichen Mainstream wenden, kommt ohnehin noch dazu, aber wem sage ich das. Und von kapitalistischer Herrschaft und den Verwerfungen durch die neoliberale und post-neoliberale kapitalistische Weltpolitik haben zumal in dieser Szene auch nur zu wenige eine Ahnung, da wird lieber mit CDU-Politiker*innen gekuschelt, als linkszionistisch gekämpft – gegen Kapitalismus und gegen Antisemitismus in all seinen Formen.

Die Situation als ausweglos zu bezeichnen, wäre euphemistisch.

Der Militärstratege Maxim Biller, eine Hungersnot und Waffengewalt in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Viele Deutsche und vor allem die kulturelle Elite des Landes, die sich doch sonst zu allem sofort und wortgewaltig äußern, haben am 7. Oktober 2023 geschwiegen oder gelacht – es ging ja auch nur um Juden, die massakriert wurden. Die Täter waren Palästinenser, nicht nur die Hamas und der Islamische Jihad, auch Zivilistinnen machten mit und feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden oder kochten einen Hirsebrei für die verschwitzten und blutverschmierten Söhne und Brüder – in den Häusern der massakrierten jüdischen Israelis in den Kibbutzim, zum Beispiel in Nir Oz.

Wir haben es täglich mit Antisemitismus im Alltag zu tun, seien es verschleierte muslimische Frauen, die sich ein Palästinensertuch um die Schulter legen, wenn sie in den Bus einsteigen, säkulare linksradikale Antisemiten, die mit ihren Graffiti „Free Gaza“ Tod den Juden und Israel meinen, oder aber verdruckster und erinnerungsabwehrender im deutschen Mainstream, wie die Jüdische Allgemeine am 29. Mai 2025 berichtet:

Endlich ist die Vergangenheit Geschichte oder die Geschichte Vergangenheit. Das jedenfalls erklärt Gabor Steingart, Ex-Handelsblatt-Chefredakteur und Gründer von Media Pioneer, in seinem jüngsten Kommentar im Nachrichtenmagazin »Focus«. Denn »Deutschland war Gefangener der Hitlerzeit«, so behauptet er, und mit den kritischen Worten von Bundeskanzler Friedrich Merz an Israels Kriegsführung im Gazastreifen »hat diese Haltung ein Ende«.

Das ist der Ausgangspunkt.

Es muss darum gehen, Israel zu unterstützen und den Zionismus zu verteidigen.

Israel muss als jüdischer und demokratischer Staat erhalten bleiben.

Kampf gegen Antisemitismus heißt logisch auch Kampf gegen den Antizionismus.

Daher ist es auch so eine Katastrophe, dass ein Linker und Antizionist jetzt beste Chancen hat, Bürgermeister der Stadt mit den meisten Juden weltweit zu werden – in New York City.

Worum geht es? Der Schriftsteller Maxim Biller hat in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit eine seiner Kolumnen publiziert – Morbus Israel. Warum regen sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens auf?

Darin rechtfertigt er die Strategie, dass Palästinenser*innen in Gaza Hunger leiden und nimmt achselzuckend zur Kenntnis, ja verteidigt, dass immer wieder Palästinenser von israelischen Soldaten offenbar willkürlich erschossen werden.

Maxim Biller schreibt (Die Zeit, 26. Juni 2025, Feuilleton, S. 44):

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.

Dass auch die israelischen Geiseln dann hungern – was juckt das den Superstrategen und Kolumnisten Biller? Hat er sich je mit den Angehörigen der Geiseln unterhalten, die seit über einem Jahr einen Deal fordern und panische Angst haben um ihre Liebsten, die durch die Hungersnot noch zusätzlich leiden?

Es gibt in der Tat Millionen ganz normale Deutsche, die wie ihre Großväter gegen ‚den‘ Juden kämpfen oder Israel mit den Nazis vergleichen, man schaue sich die täglichen Leserbriefe in jeder ganz normalen deutschen Tageszeitung an.

Das hat aber exakt gar nichts mit der internationalen Kritik an den vermuteten Kriegsverbrechen in Gaza oder der Siedlergewalt im Westjordanland zu tun und der religiös-extremistischen Ideologie und Praxis der israelischen Regierung.

Aktuell kritisieren zumal Zionisten in Israel ihr eigenes Land und die Kriegsführung.

Es geht um die Verteilung von Essenspaketen im Gazastreifen. Dazu schreibt die Haaretz, die links und zionistisch ist, am 27. Juni 2025 (alle englischen Zitate in diesem Text habe ich ins Deutsche übersetzt):

„Es ist ein Schlachtfeld“, sagte ein Soldat. „Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und fünf Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Macht behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfes Feuer mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum geöffnet wird, hören die Schüsse auf, und sie wissen, dass sie sich nähern können. Unsere Art der Kommunikation ist das Gewehrfeuer“.

Der Soldat fügte hinzu: „Wir eröffnen frühmorgens das Feuer, wenn jemand versucht, sich aus einigen hundert Metern Entfernung zu nähern, und manchmal stürmen wir einfach aus nächster Nähe auf sie zu. Aber es besteht keine Gefahr für die Truppen.“ Ihm zufolge „ist mir kein einziger Fall von Gegenfeuer bekannt. Es gibt keinen Feind, keine Waffen.“

Was schreibt Maxim Biller nur einen Tag zuvor in der Zeit?

Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: »Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?« »Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten«, sagt der Arzt, »aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.«

Das ist nicht lustig oder ‚scharf‘, sarkastisch oder polemisch, das ist zynisch und menschenverachtend.

Biller verachtet nicht ’nur‘ palästinensische Zivilist*innen (so übel die in weiten Teilen sein mögen und am 7. Oktober mitgemacht haben auf die eine oder andere Weise), sondern auch israelische Soldaten, die das nicht mehr aushalten und mit der Haaretz darüber sprachen.

Er verachtet noch mehr die Palästinenser*innen in Gaza, die ja schon zuvor zu Zehntausenden Opfer von israelischen Angriffen wurden, wovon offenbar sehr wohl auch bis zu 20.000 Hamas-Kämpfer waren, aber darüber hinaus ca. 30.000 Zivilist*innen.

Die Redaktion der Zeit hat diese Abgründe des Textes nicht erkannt und der Text wurde gedruckt.

Dann gab es einen Aufschrei von einigen Leser*innen der Zeit und die Redaktion hat auf lächerliche Weise den auch online publizierten Text wieder depubliziert – nachdem er Hunderttausendfach gedruckt in jedem Kiosk vorliegt.

Das ist lachhaft und zeigt die doppelte Unprofessionalität der Zeit.

Wer von einer „strategisch richtigen Hungerblockade“ schreibt, ist ein Zyniker, kein Kritiker des Antisemitismus der Deutschen, den es ja ohne Ende in der Tat gibt.

Der Text von Maxim Biller schadet Israel und den Juden.

Biller ist keineswegs ein Polemiker wie es zum Beispiel Eike Geisel war, der den Antisemitismus der ganz normalen Deutschen zumal der frühen 1990er Jahre luzide attackierte und offenlegte.

Doch Biller ist kein Polemiker, er ist ein Zyniker, der im Kern die schlimmen Zustände, womit hier die israelische Kriegsführung gemeint ist, affirmiert und nicht aufheben oder bloßlegen möchte.

Er lebt offenkundig in einer Zeitschlaufe der Jahre 1998 bis 2002, als der antisemitische Schriftsteller Martin Walser im Oktober 1998 in seiner Paulskirchenrede die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust im deutschen Mainstream fest verankerte und dafür vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Bundeskanzleramt eingeladen wurde, am 8. Mai 2002.

Zwar ist die Abwehr der Erinnerung weiterhin sehr weit verbreitet und hat mit dem Postkolonialismus noch ein weiteres linkes Muster des Antisemitismus hinzubekommen.

Doch heutzutage, nach 25 Jahren Pro-Israel-NGO-Szene, haben wir einen konservativen Kanzler, der sich bei Israel bedankt, das islamfaschistische Regime in Teheran in seine Schranken gewiesen zu haben, und „die Drecksarbeit“ für uns gemacht zu haben, einmal abgesehen davon, dass militärisch noch gar nicht klar ist, was genau erreicht wurde mit den israelischen und amerikanischen Militärschlägen im Iran. Ein Ende des islamistischen Regimes in Teheran ist leider nicht absehbar – doch Israel hat die Möglichkeit, jederzeit dort militärisch einzugreifen, was sehr wichtig ist.

Was Biller nicht erwähnt, weil es nicht passt: Der Bundestag, der den Ukraine-Krieg nicht diplomatisch beendet sehen möchte, sondern ihn weiter anfachen tut und auch die unerträgliche Aufrüstung beschlossen hat und Deutschland zu einem Militärstaat machen wird, der 20 bis 30 Prozent des gesamten Bundeshaushalts für Kriegsvorbereitung („Verteidigungshaushalt“) ausgeben wird die nächsten Jahrzehnte, hat die letzten Jahre Resolutionen gegen die antisemitische Boykottbewegung gegen Israel BDS sowie für den Schutz jüdischen Lebens verabschiedet.

Gleichzeitig haben wir eine aggressive zumal linke antisemitische Szene, die am 7. Oktober 2023, als Palästinenser und die Hamas 1200 Jüdinnen und Juden in einem genozidalen Massaker im Süden Israel, in Kibbutzim, Moshavs und auf einem Musikfestival auf unschilderbare Weise abschlachteten, lachte, kicherte, klatschte oder aber großteils schwieg. Es wurden von der Hamas und den Palästinensern 251 Geiseln genommen, viele wurden in „Geiseldeals“ freigelassen – im Gegenzug zum Freilassen von kriminellen und blutbeschmierten palästinensischen Terroristen, die aus israelischen Gefängnissen freikamen – von denen vermutlich nur noch 20 leben.

Der Krieg, den die Hamas am 7.10.23 begann und den Israel einige Wochen später als Abwehrkrieg gegen den Jihad, Islamismus und antizionistischen Palästina-Kult als Abwehrkrieg fortführte, war notwendig und berechtigt. Es wurde aber seit langer Zeit klar, dass ein Krieg gegen eine in der Zivilbevölkerung vernetzte Terrororganisation nicht zu gewinnen ist. Die Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, das Hostage Forum, sind seit 2024 in höchster Alarmbereitschaft, weil sie der israelischen Regierung vorwerfen, nicht genug zur Freilassung der Geiseln zu tun.

Die rechtsextreme israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu, der selbst eher ein Opportunist war, konservativ, aber nicht rechtextrem wie Ben Gvir oder der selbst ernannte Faschist Smotrich, hat mehrere Geiseldeals offenbar vorsätzlich nicht gemacht, weil das das Ende des Gaza-Krieges bedeutet hätte. Das Ziel ist aber nach der Zerstörung von Gebäuden (50 Prozent aller Gebäude sind vollständig zerstört), auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen zu vertreiben oder zur Emigration zu bewegen.

Biller schreibt:

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß. Das Drama, das sie dann aufführen, begleitet von der bigotten Beschwörungs-
formel »Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!«, mit der sie niemals Leute wie Sinwar oder Ali Chamenei belegen würden, hat nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun.

Richtig. Aber: Nur weil Antisemiten mit dem Wort „Völkerrecht“ herumfuchteln, gerade und fast immer nur, wenn es um Israel und die Juden geht, heißt das nicht, dass es kein Völkerrecht gibt!

Der Springer-Konzern und Andreas Rosenfelder von der Tageszeitung Die Welt stellen sich hinter Biller:

Wer auch nur ein paar Zeilen von Maxim Biller gelesen hat, der weiß, dass dieser tragische Sarkasmus, der die jüdische Literaturtradition von der deutschen mit ihrer auftrumpfenden Thomas-Mann-Ironie unterscheidet, ein Wesensmerkmal seiner Texte ist. Anstatt zu vertuschen und zu verschleiern, spricht der Witz die unerträgliche Realität aus, dass der Kampf gegen den Hamas-Terror im Alltag der Soldaten konkret bedeutet, „auf Araber zu schießen“. Und in der Antwort des Arztes benennt der Witz die noch brutalere Wirklichkeit, dass es für diese Unerträglichkeit keine Therapie gibt. Denn sie betrifft die Existenz jedes Juden in Israel.

Das ist eben Ideologie und faktenfrei. Das Erschießen von nach Nahrung anstehenden Zivilist*innen ist ein Verbrechen – wenn der Haaretz-Bericht so stimmt und es gibt außer Dementi der IDF keinen Grund, ihm nicht zu glauben – und hat mit der „Existenz jedes Juden in Israel“ nichts zu tun – abgesehen von dem ethischen und moralischen Schaden für Juden in Israel, die durch solche IDF-Aktionen entstehen.

Die Berliner Zeitung hingegen schreibt:

Ausführlich hat sich auf Instagram der Autor und Verleger Dinçer Güçyeter zu Billers Text geäußert. Der 2023 für seinen Roman „Unser Deutschlandmärchen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Schriftsteller wendet sich direkt an Maxim Biller: Kollegen öffentlich zu diffamieren gehöre eigentlich nicht zu seinem Geschäftsmodell, schreibt Gücyeter. „Gestern, beim Lesen deiner Kolumne, habe ich mich gefragt, wie ein Autor so über seine Wut stolpern kann. Die ganze Nacht habe ich nach einer Antwort gesucht. Dieser Zynismus, dieses Gemetzel unter dem Schleier des Wortes ist genauso schmerzhaft wie die Meinung von Ahnungslosen, die sich für Nahostexperten halten, weil sie mal eine Shisha von unten gesehen haben.“

Die kapitalistische Weltwirtschaft verstößt tagtäglich seit Jahrzehnten gegen das „Völkerrecht“. Das juckt von den Eliten kaum jemand, das ist klar. Weltweit hungern aktuell ca. 735 Millionen Menschen. Das ist aber kein Grund, auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen in Gaza vorsätzlich und perfide hungern zu lasen – und die jüdischen Geiseln somit auch.

Das Institut für Menschenrechte hält fest:

Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern weltweit 735 Millionen Menschen. Und das, obwohl jeder Mensch ein Recht auf Nahrung hat. Warum ist das so?

Sarah Luisa Brand: Gleich vorab: Im Jahr 2024 müsste kein Mensch mehr hungern, denn es wird genug Nahrung für alle produziert. Hunger ist also vor allem die Folge ungleichen Zugangs zu Nahrung. Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht genug zu essen haben, beispielsweise Armut, Diskriminierung oder soziale Benachteiligung. Kriege und bewaffnete Konflikte führen dazu, dass Menschen ihr Zuhause und ihr Einkommen verlieren und landwirtschaftliche Flächen, Betriebe oder Infrastruktur zerstört werden.

(…)

Das Menschenrecht auf Nahrung besagt, dass Nahrung für jeden Menschen angemessen, verfügbar, zugänglich und bezahlbar sein muss. Völkerrechtlich verbindlich ist es in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 verankert. 2004 verabschiedete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Rom „Freiwillige Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“.

In der Berliner Zeitung heißt es weiter zu Maxim Biller, dem großen Strategen ohne Empathie und Ethik:

Die Kolumne, die in ihrer Drastik einen Einblick in das Denken vieler Unterstützer Israels erlaubt, mag sich zwar vor allem an vielen Deutschen und ihren Doppelstandards etwa bei der Kritik an Israels Regierung abarbeiten und mit der Wucht des durchaus nachvollziehbaren Hasses Punkte treffen. Dieser rhetorische Angriff Billers geht aber vor allem auf die Kosten der Palästinenser. Und deshalb kommt nun vehementer Widerspruch.

Das ist die Pointe. Es geht Biller nur um die deutschen Befindlichkeiten, die Schuldabwehr und Schuldumkehr. Dieses Muster gibt es, aber es greift hier nicht, weil man sieht, wie wenig Biller im internationalen Diskurs über den sinnfreien Krieg in Gaza drinsteckt. Er ignoriert offenkundig die von IDF-Soldaten beschriebenen und nicht widerlegten Verbrechen.

Zudem schreibt die Berliner Zeitung in dem zitierten Text:

Auf Instagram hat sich auch der 1987 in Haifa geborene Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus geäußert, der seit 2010 in Berlin lebt und 2023 mit seinem Romandebüt „Birobidschan“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, ein Buch, das auch im Feuilleton der Zeit sehr gut besprochen worden ist. Nicht nur, dass Dotan-Dreyfus sein Zeit-Abonnement aufgrund von Billers Text gekündigt hat und zum Boykott der Zeitung aufruft. Er schreibt:„Das Problem, liebes Zeit-Team, ist nicht ein Text von Maxim Biller. Das Problem ist, dass ihr eine Atmosphäre kreiert habt, in der ein solcher Text entstehen kann.“

 

Richtig: Ohne die Islamfaschisten der Hamas gäbe es diesen Krieg gar nicht. Punkt.

Aber ohne Netanyahu und seine ignorante Fan-Basis wäre es vermutlich gar nicht zum 7.10 gekommen – Warnungen wurden absichtlich ignoriert, unter anderem weil sie von weiblichen IDF-Sicherheitsexpertinnen kamen und die patriarchale Führungsstruktur der IDF das lächerlich machte; es war zu wenig Militär vor Ort und der Grenzzaun war alles nur nicht unüberwindbar –  und zumal dieser Krieg vermutlich längst beendet und die Geiseln endlich befreit.

Die Zerstörungen im Gazastreifen, das Zerstören von Tausenden von Häusern sind militärisch nicht zu begründen, die Rückkehr der Geiseln haben sie nicht gebracht. Das offen ausgesprochene Ziel der israelischen Regierung ist die Vertreibung oder Zusammenpferchung der Palästinenser auf ca. 25 Prozent der Fläche des Gazastreifens und die Wiederbesiedelung mit jüdischen/israelischen Siedlern.

Es gibt also eine rechtsextreme Regierung in Jerusalem, die alles dafür tut, die Zweistaatenlösung – die seit 1947 von den Arabern und Palästinensern abgelehnt wird! – unmöglich zu machen.

Wenn die von Israel bewaffneten islamistischen Gruppen wie die Shabab-Miliz und andere in Gaza für dieses Töten von Zivilist*innen auch mitverantwortlich sein sollten, liegt auch hierbei die Verantwortung bei der Besatzungsmacht, Israel.

Das ist der ethische Grundgedanke des Philosophen Emmanuel Levinas, auf den ich ja die letzten Monate schon hinwies, da er 1982 in Beirut bei dem (christlichen) Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila die Besatzungsmacht Israel verantwortlich machte, da sie es hätte verhindern können und müssen:

„Aber es gibt auch eine ethische Grenze dieser politischen Existenz, eine ethisch notwendige“ sagt er am 28. September 1982 in dem Gespräch mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut, wenige Tage nach dem Massaker an einigen Hundert bis zu Tausenden Palästinensern in Sabra und Schatila.

Levinas wendet sich auch gegen den „Messianismus“ und betont die Bedeutung der Verinnerlichung von Gewalt durch den (so überlebensnotwendigen) Sieg im Sechstagekrieg 1967, wovon 1970 auch der Linkszionist Amos Oz in einem Gesprächsband mit israelischen Soldaten berichtet hat („Man schießt und weint“). Von diesem Leiden ist Biller weit entfernt, er schreibt auch nicht „sarkastisch“, wie viele seiner rechten Freund*innen (von express.at bis Nius etc. pp.) meinen, sondern wie gesagt: zynisch. Und Zynismus ist mit dem Bestehenden – hier der Gewalt der IDF in Gaza – einverstanden.

Dass es die über 500 Toten jedoch gibt, ist unbestritten, fast täglich berichten ja die Medien darüber wie die Times of Israel. Doch Biller stellt nicht mal in Abrede, dass die Verbrechen passieren, sondern behauptet, im Witz verkleidet, dass sie notwendig seien wie das Aushungern von über zwei Millionen Menschen.

Und das ist nicht mehr eine freie Meinungsäußerung, sondern das ist Affirmation und Agitation und hat mit einer Kritik am deutschen Antisemitismus rein gar nichts zu tun.

Natürlich hat Biller mit seiner Attacke auf Markus Lanz grundsätzlich Recht:

Neulich zum Beispiel, bei Lanz, der politischen Talkshow für politische Anfänger, das war noch kurz vor dem Israel-Iran-Krieg. Gerade ging es um die EU, Flüchtlinge und den opaken Minister Dobrindt, als sich im entspannt fragenden Gastgeber plötzlich alles zusammenzog. Denn jetzt war der Nahe Osten dran! Er ging in seinem Moderatorenstuhl in eine raubtierhafte Angriffshocke, er zischte und fauchte, statt zu sprechen, und versuchte immer wieder, von seinen Gästen die Aussage zu erpressen, dass Israel im Gazastreifen der Al-Kassam-Brigaden »Kriegsverbrechen« begehe. Und während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ihm erklärte, wie selbstkritisch und demokratisch die israelische Gesellschaft sei und dass er dieses Land nie aufgeben würde, rollte der nervlich stark angegriffene Moderator mit den Augen wie Elon Musk auf Ketamin.

Nur weil ein deutscher Dampfplauderer, der von allem und nichts wirklich eine Ahnung hat, von möglichen Kriegsverbrechen in Gaza redet, heißt das doch nicht, dass es die nicht geben kann! Wo lebt denn Maxim Biller? In Berlin, alles klar.

2019 schrieb ich:

Am Dienstagabend, 5. März 2019, hatte sich der gebührenfinanzierte Dampfplauderer vom Dienst, Markus Lanz, neben Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, den ehemaligen Bundesminister und das SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi zum Plausch in die nach ihm benannte Sendung im ZDF geladen. Was der Gast dabei von sich gab – und der Moderator durchgehen ließ, ohne nachzufragen, ließ tief blicken und indiziert, wie die politische Kultur in diesem neuen Deutschland funktioniert, auch ganz ohne AfD.

Für einen ganz normalen Deutschen ist Wissenschaft unnötig. Er oder sie weiß es aus eigener Anschauung ohnehin besser. Jeder gute Deutsche hat einen „gesunden Menschenverstand“, was Kritiker als ungesund oder krank dastehen lässt. Dohnanyi machte in der Sendung den Austritt der SPD aus der Reichsregierung 1930 für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich. Widerstand habe es massenhaft in Deutschland gegeben, nach 1933, fast jeder und jede hatte einen Juden, der versteckt oder versorgt wurde, das war der Tenor des SPDlers. So klang dieser mit vollem Kalkül vorgetragene Schrei gegen die heutige Schonzeit für Juden aus dem Munde eines SPD-Vordenkers. Es müsse Schluss sein mit der Erinnerung an die „Judenvernichtung“, die Zukunft rufe, so sprach er.

Da wird der zapplige, nie den Status des pubertierenden Strebers loswerdende Lanz, der sich quasi freut wie Oskar, der seinen ehemaligen verknöcherten autoritären Schulleiter wiedertrifft und der alleine für das Wackeln mit seinen aalglatten Schuhen einen Werbevertrag einer großen Schuhfirma erhalten sollte, ganz hellhörig. Er habe jüngst ein Interview mit dem Historiker Götz Aly gelesen, der darauf abheben würde, dass „Hitler den Sozialstaat aufgebaut habe“. Hitler und Sozialstaat, da werden Deutsche ganz wuschig, das ist spannend und irgendwie doch fast verboten. Sind eventuell gar Juden im Publikum? Oder vor den TV-Geräten? Wurden die Juden von einem ganz modernen Sozialstaat ermordet? War es gar nicht böse gemeint?

Wenn Maxim Biller Lanz so oder ähnlich kritisiert hätte, warum nicht? Hat er aber nicht, sondern er affirmiert eine nicht mehr zu rechtfertigende Kriegsführung, die den Palästinensern und Israel extrem schadet, wenn auch auf unterschiedliche Weise, die einen sind tot, die anderen psychisch traumatisiert und diplomatisch isoliert.

Und nochmal, an die ganzen Biller-Fans, die jetzt heulen: Es ist klar, ohne die Hamas gäbe es diesen Krieg nicht.

Hat sich Biller mit den Berichten aus Israel mit dem offenkundig willkürlichen Feuern auf Zivilisten, die verzweifelt Nahrung von den LKWs erwarten, überhaupt näher beschäftigt?

Ist es ihm vollkommen egal, was real auf der Welt passiert, solange es nicht in sein Weltbild passt? Offenkundig hat er sich erkundigt, er weiß, dass die IDF auf Araber schießt – und er behauptet auf unerträgliche, zynische Weise, dass es halt nicht anders gehen würde.

Amos Oz dreht sich im Grab um.

Es muss um ein „neues Sprechen“ gehen, um ein Reflektieren innerhalb der völlig eingeigelten und fanatisierten Pro-Palästina- und Pro-Israel-Camps – so fordert es die pro-israelische, gegen Antisemitismus anschreibende Volontärin bei der Zeit, Anastasia Tikhomirova, vor einigen Wochen („Raus aus dem Freund-Feind-Schema„). Das wäre mal eine Lektüre gewesen für Maxim Biller.

Aber hätte Die Zeit wenigstens ein paar linkszionistische Redakteur*innen, wäre diese Kolumne von Maxim Biller, so wie sie da gedruckt steht, nicht erschienen.

 

 

 

 

 

Ein linker muslimischer Feind des jüdischen und demokratischen Staates Israel als nächster Bürgermeister von New York City? Geht’s noch?

Von Dr. phil. Clemens Heni, ehemals Post-Doc, YALE University, New Haven, CT, USA

Die folgenden Worte sprach der Bürgermeister-Kandidat von New York City von November 2025 Zohran Mamdani, den bis vor einem Jahr nahezu niemand kannte, im Mai 2025 in einer Talkrunde in New York City, als er gefragt wurde, ob er die Existenz Israels als jüdischer Staat akzeptiere:

Israel has a right exist. It has a right to exist with equal rights for all.

Man kann sich das hier anschauen (ab Min. 32). Und das ist der wirklich ganz neue Antisemitismus – der natürlich in der taz in der ganzen Euphorie vergessen oder goutiert wird („Lichtblick in New York„), die wie alle Medien jetzt über diesen linkspopulistischen Star schreibt, ohne seinen Israelhass zu erwähnen -, in zwei Sätzen.

Warum ist das der wirklich ganz neue Antisemitismus?

Er lehnt Israel als „zionistisches Gebilde“ zwar ab, aber viel raffinierter als die meisten bisherigen Antisemiten, da er ja so tut, als ob er Israel anerkenne. Der Trick geht exakt so:

In einem ersten Schritt wird so getan, als ob Israel akzeptiert würde.

Doch in einem zweiten Schritt wir sofort klar gemacht, dass Israel nicht als jüdischer Staat akzeptiert wird – also die Zerstörung des jüdischen Staates gemeint ist.

Mamdani wurde explizit gefragt, ob er Israel als jüdischen Staat akzeptiere – und er lehnt das ab. Aber er lächelt dazu und wirkt nicht unbedingt wie ein Totschläger oder Jihadist, trotz identitärem Bart.

Und so ein Typ wird vermutlich Bürgermeister der größten und mächtigsten Stadt des mächtigsten Staates dieser Erde. Zudem ist New York City die Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung weltweit, viel größer als Tel Aviv oder Jerusalem.

Dieser extrem schmierige, aalglatte, aber doch auch äußerst aggressive junge, muslimische, sozialistische „Demokrat“ möchte den einzigen Judenstaat, die einzige Demokratie im ganzen Nahen Osten, offenkundig durch einen binationalen Staat ersetzen, also den jüdischen Staat zerstören.

Er machte auch mit Kopftuch tragenden, also islamistischen Frauen Wahlkampf, wie man auf Bildern sehen kann.

Das schmierige und wirklich ekelerregende philosemitische Herumeiern um zentrale Fragen im Leben – wie die Anerkennung von Israel als jüdischer Staat – bei gleichzeitiger geheuchelter Trauer ob zweier massakrierter Zionist*innen am Abend zuvor in Washington, D.C., hat dieser Bubi mit seinen 33 Jahren schon mega drauf.

Aus so einem wird etwas, er hat ein aggressives Sendungsbewusstsein wie Donald Trump.

Gleich zu Beginn des Interviews betont dieser das Volk aufstachelnde Liebling der New Yorker, dass er total entrüstet sei ob des Mordes an den zwei jungen Zionist*innen, die von einem linken Antisemiten, der auch gegen den jüdischen und demokratischen Staat Israel ist, am Abend zuvor massakriert worden waren.

Vor Beginn des Gespräches möchte der Linkspopulist in einem Statement so tun, als sei er ein Freund der Juden und natürlich gegen Gewalt. Schon da wird klar: hier hat einer die Schleimspur eines großen Politikers schon von frühauf gelernt zu produzieren.

Das kommt gut an: Sich für Juden einsetzen, Krokodilstränen vergießen ob zweier Opfer des antiisraelischen Antisemitismus, aber zugleich Israel als jüdischen Staat ablehnen.

Seine offensive Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung, die er auch in diesem Gespräch im Mai 2025 zum Ausdruck bringt, die ja keineswegs ’nur‘ den Boykott von israelischen Institutionen meint, sondern vor allem das „Rückkehrrecht“ von Millionen von Palästinenser*innen, die keine Sekunde in Palästina (bis 1948) lebten, sondern Urenkel von damals tatsächlich vertriebenen oder gegangenen arabischen Palästinensern sind, zeigt seinen antiisraelischen Fanatismus.

Zohran Mamdani ist eine große Gefahr für Juden in den USA und eine riesige Gefahr für New York City.

Es ist noch viel abstoßender und vor allem gefährlicher, wirklich gemeingefährlich und linkspopulistisch, dass er sein antijüdisches Programm mit sozialistischen Markern garniert wie einem günstigen oder kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, einem Einfrieren von Mietpreisen, staatlichen Supermärkten mit günstigen Preisen – also Sozialismus, Religion (heute: Islam) und Antisemitismus/Antizionismus koppelt.

Oh Amerika, wenn die gesamtgesellschaftliche Alternative zum Fascho und Autokraten Trump, der jetzt auch noch in die unabhängige Justiz in Israel eingreift und seinen Buddy Netanyahu freischießen möchte von einem gerechten Prozess, ein solcher antiisraelischer und somit antisemitischer Linkspopulismus ist, dann ist das Ende jedenfalls des amerikanischen Traums wirklich nah.

Und vermutlich macht „The Boss“ kein Lied gegen die Mamdamis dieser Welt, sondern nur gegen Trump…

 

 

Die Zerstörung von Gaza im Schatten des Iran-Krieges und die Pulverisierung der jüdisch-zionistischen Ethik

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das islamistische Regime in Teheran muss fallen. Es hätte nie an die Macht kommen dürfen und ist ein frauenverachtender Terrorstaat, der primitive Beweggründe – fanatische Religion – zu einer Staatsdoktrin gemacht hat. Der Hass auf Juden und Israel ist zentral für alle iranischen Politiker. Schon seit Jahrzehnten hätten alle Botschaften des Iran geschlossen gehört und das Land komplett isoliert – was natürlich nicht geschah, weil zumal der Kapitalismus mit dem Regime viel Geld verdient und der Welthandel von dem Land mit abhängt.

Doch jetzt sieht Israel die schrecklichen Folgen des Krieges vor Ort. Zerstörungen von Häusern, Wohnungen, ja ganzen Straßenzügen wie in Rehovot, Bat Yam, Haifa, Tel Aviv und vielen anderen Orten, schon über Dutzende Tote und Hunderte Verletzte.

Der linke Israeli, ehemalige Elitesoldat der IDF, Publizist und bekannte Menschenrechtsanwalt Michael Sfard schreibt heute in der Haaretz:

Wir müssen zugeben, dass dieses Phänomen so alt ist wie die Menschheit – gewalttätiger männlicher Tribalismus, der geradezu vor Stolz über die Fähigkeit, den stärksten Schlag auszuführen, platzt.

Ich bin kein Pazifist; manchmal ist die Anwendung von Gewalt notwendig. Aber Israel hat sich eine Weltanschauung zu eigen gemacht, nach der jedes Problem mit Gewalt gelöst werden sollte, und das israelische Volk ist zu einem Kollektiv geworden, das Gewalt und Brutalität bewundert, während es den Dialog und Kompromiss verachtet.

Sfar ist schockiert, wie die israelische Gesellschaft verroht und das völlige Plattmachen – im wörtlichen Sinne – des Gazastreifens propagiert, durchführt und feiert.

Verzeihen Sie mir also, wenn meine größte Befürchtung im Hinblick auf den Krieg mit dem Iran darin besteht, dass der geringe internationale und nationale Widerstand gegen die ethnische Säuberung und das Massenmorden im Gazastreifen vollends in sich zusammenbrechen wird.

Sfar ist Israeli, sein kurzes, einjähriges Leben in England war eine „Tragödie“ für ihn, er will in Israel leben – und kämpfen. Kämpfen gegen Rassismus, Ungerechtigkeit und Verbrechen wie die gezielte Vertreibung von Palästinenser*innen im Westjordanland und jetzt auch im Gazastreifen.

Und es ist wiederum der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas, der einen Tag nach dem Massaker von christlichen Milizen an Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila in Beirut im Libanon – das die israelische Armee und Besatzungsmacht hätte verhindern können und müssen! – mit einigen Hundert bis zu 3000 Massakrierten im September 1982 in einem Radiogespräch vom 28. September im Radio-Communauté mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut Folgendes sagte:

Niemand hat den ‚Holocaust‘ vergessen, es gibt keine Möglichkeit, diejenigen Sachverhalte zu vergessen, die zur unmittelbarsten und persönlichsten Erinnerung eines jeden an seine Verwandten, bezüglich derer man sich bisweilen anklagt, überlebt zu haben, gehören. Das rechtfertigt keineswegs, daß man sich der Stimme der Menschen verschließt, in der ebenso die Stimme Gottes erklingen kann. Sich auf den ‚Holocaust‘ berufen, um zu sagen, daß Gott unter allen Umständen mit uns ist, ist ebenso verabscheuenswert, wie das ‚Gott mit uns‘, das sich auf den Gürtelschnallen der Henker befand.

(Emmanuel Levinas (2007): Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische, Zürich/Berlin: Diaphanes, S. 240.)

Sfard bezieht sich auf eine Analyse in der Haaretz vom 12. Juni 2025, worin es heißt:

Am Vorabend des Krieges hatte der Großraum Rafah im Gazastreifen 275.000 Einwohner. Das Flüchtlingslager Jabalya hatte 56.000 Einwohner. Beit Lahia hatte 108.000 Einwohner.

Da wurden ganze Städte einfach nahezu komplett zerstört. Die Gebäude wurden zerstört zu einem Zeitpunkt als alle Bewohner*innen bereits vertrieben waren. Es ist also kein Genozid. Es ist aber ein Kriegsverbrechen, gezielt die Infrastruktur eines bestimmten Volkes zu zerstören, damit dieses Volk keine Lebensgrundlage und keinen Ort zum Zurückkehren mehr hat.

Es geht Michael Sfard und vielen linkszionistischen Jüdinnen und Juden in Israel darum, dass diese Kriege die jüdische und zionistische Ethik beschädigen. Emmanuel Levinas würde massiv protestieren gegen das aktuelle Israel und die Politik im Westjordanland und in Gaza.

Der Zionismus hat mit religiösen Bedürfnissen rein gar nichts zu tun und „heilig“ ist dem Zionismus nicht das Land, schon gleich gar nicht das Westjordanland, ja nicht einmal die Klagemauer. Zionismus hieß für die Gründungsmütter und -väter: jüdische Souveränität!

Sfard findet es unerträglich, dass angebliche Verhandlungen über die Geiseln von Netanyahu nur benutzt wurden, um den Iran abzulenken. Doch die meisten Israelis scheinen das zu mögen, er ist deprimiert:

Leider weiß ich, dass diese Fragen die meisten Israelis nicht beunruhigen. Dass es hier fast niemanden gibt, mit dem man reden kann. Dass wir auf Drogen sind, voll von schwadronierenden Slogans und in militaristischer Ekstase schwebend.

Wir haben auch hier in Deutschland kaum jemanden, mit dem „wir“ – also die Linkszionist*innen – reden können. Die „Israel-Szene“ ist in einem bunkerfesten Kokon gefangen und sieht in nahezu jeder Stimme gegen „Bibi“ einen Antisemiten und die Palästina-Szene ist voll von blutlüsternen Antisemiten aller Geschlechter.

Das ist die Lage am 4. Tag des Israel-Iran Krieges und des 619. Tages des Krieges gegen die Hamas.

Es ist eine Lage, die viel tiefer blicken lässt, wenn man es sehen will, als es diese Fakten andeuten. Es geht um Millionen völlig kaputter Menschen im Gazastreifen, die Jahre oder Jahrzehnte brauchen werden, um ihre Häuser wieder aufzubauen. Damit züchtet Israel die nächste Hamas-Generation heran – das wiederum weiß die Elite in Israel, die militärische und geheimdienstliche und politische und will deshalb wie Trump alle Gaza-Palästinenser*innen zum Verlassen der Gegend zwingen („freiwillige“ Flucht).

Damit sie in Ägypten oder Jemen oder Jordanien die nächste Terrororganisation gegen die Juden aufbauen können?

Es braucht eine Allianz für den Zionismus und die Abraham Verträge waren ein wichtiger Schritt in diese Richtung, doch Israel verspielt dieses Vertrauen spätestens seit den nicht mehr nachvollziehbaren Aktionen in Gaza von Anfang 2024 bis heute.

Es muss um Angebote an Demokratie und Kooperation gehen, um die ganz konkrete Perspektive eines Staates Palästina, der nur existieren wird, wenn er Israel anerkennt. Wenn aber Israel einen solchen Staat Palästina nicht anerkennt, wird es keinen Frieden geben und weiter in regelmäßigen Abständen Bombenalarm, Tod und Verzweiflung. Auch ökonomisch wird Israel das nicht lange aushalten, zumal viele Junge dann doch auswandern werden, weil sie nicht von Rechtsextremen regiert werden wollen, von der Kriegssituation nicht zu schweigen.

Es kann auch sein, dass Israel sich Sympathien in Iran mit der dortigen eigentlich scharfen Anti-Mullah-Bevölkerung verspielt, weil die nicht sieht, ob all diese Angriffe nachvollziehbar sind und der Opposition im Iran auch helfen.

Natürlich muss das iranische Atomprogramm gestoppt werden – aber ob es gestoppt werden kann, ist offenkundig völlig unklar. Was ist dann das Ziel von Netanyahu? Hat er für Iran so wenig ein klares UND erfüllbares Ziel wie in Gaza? Will er wieder nur seine eigene Haut retten und die Geiseln dabei vergessen, wie schon so oft seit Oktober 2023?

In jedem Fall sieht die Zukunft für Israel und die ganze Region ohne eine starke linkszionistische Regierung in Israel trübe aus. Es wird weiter männliche Stärke, Gewalt und Brutalität geben und die jüdische und zionistische Ethik „des Anderen“ von Emmanuel Levinas, dem großen Zionisten, wird weiter im Geröllstaub von Gaza nicht zu sehen sein.

Der Haaretz-Text auf den Michael Sfar sich bezieht, betont die rechtsextreme Ideologie hinter der Zerstörung von Gaza:

In rechten Kreisen macht ein neuer Begriff die Runde: „Zarbiving“ Gaza, benannt nach Rabbi Avraham Zarbiv, einem Richter am Rabbinatsgericht in Tel Aviv und in der städtischen Siedlung Ariel sowie einem Reservisten in der technischen Einheit der Givati-Infanteriebrigade. Zarbiv hat mehrmals in Interviews auf dem Bibi-istischen Kanal 14 mit der Zerstörung geprahlt, die er und seine Kameraden mit den D9-Bulldozern in Gaza anrichten. „Wir haben begonnen, fünf-, sechs- und siebenstöckige Gebäude abzureißen. Das System wird immer besser, und es funktioniert.“

Viele „Pro-Palästinenser“, die gar nicht Pro-Palästina sind meistens, sondern primär den Judenmord und die Auslöschung des einzigen Judenstaates meinen, können solche Berichte wie in Haaretz auch zitieren – das darf aber niemals ein Grund sein, sie nicht zu zitieren, weil davon die jüdisch-zionistische Ethik wie im Sinne von Emmanuel Levinas abhängt.

Es geht um eine gemeinsame Zukunft und gegen den Hass, wie ihn einige in Israel jetzt schüren oder gar Schadenfreude empfinden, als eine iranische Rakete ein israelisch-arabisches Haus traf und vier Menschen tötete. Entgegen den Hetzern muss es um Koexistenz, gegenseitigen Respekt und Frieden gehen – das alles betont heute in einem kurzen Video der Knessetabgeordnete Rabbi Gilad Kariv und teilte das mit seiner WhatsApp-Gruppe. Kariv ist Mitglied der im Juli 2024 gegründeten Partei „Die Demokraten“.

Wir brauchen exakt solche Stimmen in und aus Israel.

Denn solange „Free Free Palestine“ heißt: Tod den Juden, ist kein Frieden möglich.

Sobald die Parole heißt „Palästina neben Israel in Frieden“ wird es endlich klappen.

Doch solange „Am Israel Chai“ heißt, das Leiden in Gaza oder dem Westjordanland oder die rechtsextreme Innenpolitik zu ignorieren oder zu feiern, ist auch das nicht immer ein zielführender Slogan.

So komplex ist die Welt – zu kompliziert für beide Seiten, fast immer.

 

P.S.:

Wenige Stunden nach meinem Text kommt jetzt ein Kommentar der Soziologin Eva Illouz in der ZEIT, der ziemlich exakt meine Position untermauert:

„Macht es euch nicht zu einfach. Anmerkungen zur großen Frage, wie man den israelischen Angriff auf den Iran beurteilen soll“.

P.P.S.:

Und noch ein Text aus der ZEIT von heute, ein Inteview mit dem Historiker Moshe Zimmermann, der aktuell in Berlin ist:

„Es wird nur besser werden, wenn sich Israel auf Verständigung mit der Umwelt einstellt und gleichzeitig auch die arabische Welt sich mit der Idee versöhnt, dass auch eine jüdische Minderheit in der Region leben und einen Staat haben kann.“

Endlich: Das Ende des Atomprogramms der islamistischen Diktatur in Teheran?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das islamistische oder islam-faschistische Regime in Teheran konnte nur tatenlos zuschauen, als Freitag Nacht 200 israelische Kampfflugzeuge über das Land flogen und militärische Einrichtungen, Terroristen und Anlagen zur Anreicherung von atomwaffenfähigem Material angriffen. Es ist der größte Angriff Israels auf den Iran überhaupt. Die Vernichtungsdrohungen Irans seit Jahrzehnten, seitdem die Mullahs 1979 die Macht an sich rissen, haben es unabdingbar gemacht, dass Israel wenigstens versucht, militärisch den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern.

Iranische Oppositionelle wie die Journalistin Masih Alinejad jubeln:

Removing a terrorist is not a tragedy, it is a step toward justice for all the innocent lives they destroyed. Israel strikes deep into Iran: Hossein Salami, the commander-in-chief of the IRGC, was reportedly killed by Israel، an outcome rooted in the Islamic Republic’s own actions: exporting terror, provoking wars, and pursuing nuclear weapons instead of answering the demands of its own people.

Freitag der 13. ist ein Tag der Freude – die selbstredend getrübt ist dadurch, dass ganz Israel sich unweit der Schutzräume und Bunker aufhalten muss, weil nicht klar ist, mit was für Drohnen oder Raketen die Islamisten zurückschießen. Doch insgesamt war die Gefahr erst einmal einschätzbar, die ersten 100 Drohnen wurden allesamt von Israel abgefangen, die meisten bevor sie überhaupt Israel erreichten.

Jedoch: In der Nacht von Samstag auf Sonntag gab es besonders brutale Raketenangriffe des Iran auf Wohngebiete in Israel, bislang sind dabei 11 Menschen gestorben und Dutzende verletzt worden. Es gab Treffer in Hochhäusern mit 33 Stockwerken, wie durch ein Wunder ist nicht das ganze Haus kollabiert und hat Hunderte Bewohner*innen in den Tod gerissen. Kleinere Häuser jedoch wurden teils komplett zerstört und Menschen dabei ermordet, auch arabische Israelis sind unter den Ermordeten.

Ob Israel den Iran mit den Angriffen tatsächlich von dem Bau einer Atombombe abhalten kann, ist wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Speziell die Atomanlage in Fordo, die teils Hunderte Meter unter der Erde liegt, ist nicht leicht zu zerstören. Die ganz schweren Bunker zerstörenden Waffen haben nur die USA bzw. die können nur mit großen Bombern der US-Air Force transportiert werden.

Es hat jedenfalls ein Ende mit dem Herumlavieren, was das iranische Atomprogramm betrifft. Es muss und wird ausgeschalten werden. Die Vernichtungsdrohungen des islamistischen Regimes seit Jahrzehnten sind unerträglich.

Vor allem aber braucht es einen Regime Change im Iran – eine Revolution gegen die das Kopftuch und ihren Hass auf Frauen und Juden täglich zum Ausdruck bringenden Mullahs und ihrer Mittäter im ganzen Iran.

Fast alle Israelis, Juden wie Araber und alle anderen, mussten die letzten beiden Nächte konstant oder immer wieder in Sicherheitsräumen oder Bunkern verbringen.

Manche wie die ZDF-Fernsehgarten-Journalistin, Jüdin und Israelin Andrea Kiewel sitzen im Land fest und können nicht hinausfliegen, da der Flughafen Ben-Gurion geschlossen ist, ja der ganze Luftraum über Israel ist gesperrt.

Israelis können nicht einfach mit dem Auto in Nachbarländer fahren und von dort losfliegen, wie wir es zum Beispiel in der Bundesrepublik gleich in neun Nachbarländern tun könnten (Dänemark, Polen, Tschechische Republik, Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Niederlande). Die Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien helfen im Fall der Fälle überhaupt nicht und kein Israeli kann einfach so nach Syrien oder in den Libanon fahren.

Militärisch und atomtechnologisch waren die Angriffe vermutlich gerade jetzt wichtig, auch wenn wir das noch nicht wirklich gesichert wissen, da die letzten Jahrzehnte schon zu oft davon die Rede war, dass der Iran in einigen Wochen oder Monaten in der Lage gewesen sei, die Bombe zu bauen.

Dazu kommt das schreckliche Schicksal der Geiseln in Gaza. Haben sie noch eine Chance? Dazu müsste die IDF ihren Plan aufgeben, 70 Prozent des Gazastreifens zu beherrschen und diese Gegenden menschenleer (!) zu machen, also alle Palästinenser*innen in die mini-kleine Gegend von 25 Prozent des Gazastreifens zu zwingen.

Viele liberale und linke Israelis sind schockiert über diesen Plan, vorneweg IDF-Soldat*innen und Forscher*innen am Institute for National Security (INSS) der Tel Aviv University. Pnina Sharvit Baruch und Tammy Caner schreiben schon im Mai 2025, dass die Operation Gideon’s Chariots der IDF im Gazastreifen vermutlich „rote Linien“ überschreiten wird und sie sehen die Gefahr von „ethnischer Säuberung“, was nicht den Massenmord an Palästinenser*innen bedeuten muss, aber die Vertreibung einer ganzen ethnischen Gruppe zähle zu einem solchen Verbrechen.

Das also passiert zeitgleich, neben den innenpolitischen Verwerfungen wegen Rechtsextremismus in der Regierung und der weiterhin geplanten „Justizreform“, die sich primär gegen die Gewaltenteilung ausspricht.

Doch das wohl größte Thema für Israel seit ca. dem Jahr 2000 war die iranische Gefahr einer islamistischen Atombombe. Und diese Gefahr scheint jetzt aktuell und vielleicht für sehr lange Zeit und bei einem Regime Change gar für immer gebannt zu sein!

Eine säkulare Revolution im Iran gegen Islamismus, Kopftuch und religiösen Wahn sowie anti-westliche Propaganda und Antisemitismus wäre das Allerbeste, was den Iranerinnen und Iranern, der ganzen Region und der Welt passieren könnte.

 

P.S.:

Der Korrespondent in New York der israelischen Tageszeitung Haaretz, Etan Nechin, ist pessimistisch, er schreibt am 14. Juni 2025 angesichts der Angriffe auf den Iran bzw. des Iran auf Israel:

The days roll on. From one protest to the next, from hostage to hostage, another soldier killed, four more, cease-fire talks begin and end, delegations arrive in and depart from Doha, missiles shot at and from Yemen, and nothing changes.

We may again be saved by an Iron Dome. But not by a god from the sky. If anything is going to end us, it won’t fall like fire from above. It will rot from beneath: from the tunnels where the hostages sit, from the scorched roots of olive trees, from the silence we’ve taught ourselves to live with.

If this is victory, why does it feel like collapse?

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