Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Antizionismus Seite 3 von 4

Verena Brunschweiger, Clemens Heni: Blinde Flecken bei Fridays for Future (FFF), Eschatologie und meditativer Antizionismus bei Extinction Rebellion (XR)

Die zeitweilige Blockade großer Straßenkreuzungen durch „Extinction Rebellion (XR)“, die entgegen jeder linken Theorie und Praxis mit der Polizei kooperieren und es darauf abzielen, kurzzeitig festgenommen zu werden, zeigt: die Klimakatastrophe ist auf den Straßen angekommen. Viele wollen lieber meditieren, verkleiden sich geradezu eschatologisch, als ob nur sie das Ende der Zeit kommen sehen können und wüssten, wie es abzuwenden sei. XR wirkt wie eine religiöse Erweckungsbewegung – dabei muss es um eine Kritik des industriekapitalistischen Naturzerstörungssystems gehen, ohne die Fehler der frühen Grünen zu begehen, die mit alten und neuen Nazis kooperierten. Zudem muss jede soziale Bewegung hier und heute sich der Neuen Rechten entgegenstellen, wer das nicht tut, hat die Zeichen der Zeit, vom Brexit über Trump und Bolsonaro hin zur AfD und anderen identitären Nazis nicht erkannt. Für eine linke Ökologiediskussion gehörte das immer zusammen, Antifa und Anti-AKW etc., aber heute scheint das bei vielen vergessen.

Die verglichen mit XR größere, aber viel dezentraler organisierte soziale Schüler*innen-Bewegung Fridays for Future (FFF) um Greta Thunberg und Millionen von Aktivist*innen haben am Klimastreiktag, Freitag, den 20. September 2019, in einer einzigartigen Aktion weltweit ihre Wut hinausgeschrien. Die Nazis, Klimawandelleugner*innen von AfD bis zu Trump oder Bolsonaro drehen durch und wissen, dass sie es nie schaffen werden, weltweit Millionen von Menschen zu motivieren, für die gleiche Sache einzutreten: alle Menschen sind gleich und alle Menschen sollten sich solidarisch verhalten, denn wir alle sind Teil des Planeten Erde.

Seit Anfang der 1970er Jahre ist das Thema Ökologie auf der Agenda, jedenfalls theoretisch. Bis heute hat sich die Situation des von Menschen gemachten Klimawandels jedoch massiv verschärft. Der Klimabeschluss der Großen Koalition vom 20.9. ist ein Zeichen, wie zynisch die Mächtigen mit der Situation umgehen, Kern ist und bleibt: Es darf sich nichts Grundsätzliches ändern. Doch Fridays for Future tragen unbewusst zu dieser Affirmation des Bestehenden bei, und das zweifach: erstens bezüglich des Natalismus und zweitens angesichts der Euphorie ob der ach-so-ökologischen neuen Klasse von Kapitalist*innen, die „nachhaltig“ produzierten – und das vorgeblich ganz selbstlos.

Neben den streikenden Schüler*innen war am Klimastreiktag das Demonstrieren von Schwangeren und Eltern mit Babies, Kleinkindern, Kindern und Großeltern mit Enkelkindern etc. auffallend. „Parents for Future“ kommen sich obercool vor und merken gar nicht, dass sie selbst Teil des Problems sind. Viele haben ihr Leben lang bei Mercedes, Audi, VW, Porsche, Bosch, RWE, der Verpackungsindustrie, Lidl, Aldi, REWE, in der Landwirtschaft, als Flugbegleiter*in oder einem x-beliebigen anderen Bereich gearbeitet und zur Klimakatastrophe mit beigetragen und kriegen dann im Alter die Vollkrise. Doch was bringen Krokodilstränen außer einem etwas besseren Gewissen?

Internationale Debatten über einen Gebärstreik, wie wir sie aus den USA oder Kanada und anderen Ländern kennen, wurden selbst in der von FFF gemachten Ausgabe der FR vom 20.9. einfach ignoriert. Dabei ist die Sängerin Miley Cyrus weltbekannt und möchte auch aus ökologischen Gründen keine Kinder zeugen.

Dann fehlt außerdem sehr häufig eine klare und analytisch fundierte Kapitalismuskritik. Es geht schnell gegen „Banken“, was aber noch keine luzide Kapitalkritik ersetzt und in den letzten Jahrzehnten und historisch viel zu häufig in eine auch strukturell antisemitische, verkürzte Kapitalismuskritik abrutschen kann. Wenn zudem Vandana Shiva ein Vorwort zu dem extinction rebellion Handbuch „Wann, wenn nicht wir“ (September 2019) schreibt und vor wenigen Jahren mit dem BDS-Aktivisten Roger Waters in einer Jury gegen Israel aktiv war, werden wir skeptisch.

Es muss um den Naturschutz gehen sowie um die Zukunft der heutigen Jugend und aller heute lebenden Menschen und nicht um das Weiterwursteln und Befolgen des patriarchal-natalistischen Imperativs. Wir dachten, dass sich durch den Bestseller von Verena Brunschweiger („Kinderfrei statt kinderlos“) von März 2019, der in fast allen Zeitungen, im Radio und Fernsehen diskutiert wurde, etwas geändert hat, wenigstens bei den „Linken“. Pustekuchen.

Buhu! Das reicht uns nicht. Ein ökofeministischer Sozialismus möchte das patriarchale Dogma der Reproduktion als ein absolut zentrales Element unserer Welt in Frage stellen. Wir haben es satt, wenn bei dem Thema „Frauen“ von der Politik wie den NGOs oder der Zivilgesellschaft immer nur die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ in den Fokus genommen wird, aber niemals Frauen, die aus freien Stücken keine Kinder kriegen wollen.

Es gibt mittlerweile alles Undenkbare, „Metal for Future“, „Unternehmer4F“, „Omis for Future“, „Ungeborene for Future“ und so weiter, was es nicht gibt, grade in Deutschland: „Kinderfreie for Future“, oder „antikapitalistische Radikalfeminist*innen for Future“.

 

Dr. Verena Brunschweiger ist Germanistin, Publizistin und hat als Gymnasiallehrerin derzeit ein Sabbatical.

Dr. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler, Publizist und Verleger.

Kein Nelly-Sachs-Preis 2019 der Stadt Dortmund für Kamila Shamsie – Keine Preise für Antisemitismus und BDS!

Angesichts der geplanten Verleihung des Nelly-Sachs-Preises der Stadt Dortmund an die Schriftstellerin Kamila Shamsie möchten wir unser Unverständnis und unsere Empörung zum Ausdruck bringen. Dass der Preis an eine Person vergeben wird, die seit vielen Jahren als Unterstützerin der BDS-Bewegung bekannt ist, steht im völligen Widerspruch zur Tatsache, dass die Namensgeberin des Preises in inniger Beziehung zum Staat Israel stand, was sich auch in ihrer Poesie niederschlägt.

Wie Sie wissen, nimmt die BDS-Bewegung keinerlei Rücksicht auf die Tatsache, dass Israel sich in der Vergangenheit mehrfach aus von ihm besetzten Gebieten zurückgezogen hat, ohne dafür eine Friedensdividende erhalten zu haben. Zudem fordert die BDS-Bewegung eine „Rückkehr“ aller palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und ihrer Nachfahren (!) nach Israel, was dessen Ende als jüdischer und demokratischer Staat bedeuten würde.

Der Nelly-Sachs-Preis wurde 1961 von der Stadt Dortmund ins Leben gerufen und würdigt die jüdisch-deutsch-schwedische Schriftstellerin, Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Nelly Sachs (1891–1970). In ihrer Begründung für die Verleihung des Preises 2019 schreibt die Jury:

„Die Preisträger*innen und stehen für Toleranz, Respekt und Versöhnung und leben diese Werte in einer globalisierten Gesellschaft, in der sie sich für ein friedliches Zusammenleben einsetzen. (…) Mit Kamila Shamsie wird eine Schriftstellerin geehrt, deren Romane auf vielfache Weise Brücken schlagen (…).“

Kamila Shamsie ist spätestens seit 2014 eine Unterstützerin der vom Deutschen Bundestag als „antisemitisch“ deklarierten BDS-Bewegung. Die antisemitische BDS Bewegung wirbt mit Shamsies Agitation gegen Israel. Tatsächlich baut Kamila Shamsie gerade keine Brücken, sondern möchte Juden und Israel vom internationalen Austausch ausschließen. Wie bereits im Juli 2018 bekannt wurde, weigert sie sich, dass ihre aktuellen Bücher auf Hebräisch übersetzt werden und in Israel erscheinen. Ein israelischer Verlag, der schon andere Bücher der Autorin ins Hebräische übersetzt hatte, wollte die Rechte zur Übersetzung für zwei aktuelle Bücher von Shamsie erwerben. Ihre Agentin sagte „Nein“, das wollte die Autorin nicht, da jeder Verlag irgendwie mit dem „jüdischen Staat“ verbunden sei.

Kamila Shamsie widerspricht mit ihrem gegen Israel und das jüdische Volk gerichteten Aktionismus der Satzung des Nelly-Sachs-Preises, wo es in §1 heißt:

„Mit ihm sollen Persönlichkeiten geehrt und gefördert werden, welche herausragende schöpferische Leistungen auf dem Gebiet des literarischen und geistigen Lebens hervorbringen, die in ihrem Leben und Wirken geistige Toleranz, gegenseitigen Respekt und Versöhnung unter den Völkern und Kulturen verkünden und vorleben, die sich in einer globalisierten Gesellschaft für ein friedliches Zusammenleben und die Überwindung kultureller, ethnischer und religiöser Grenzen einsetzen.“

Kamila Shamsie widerspricht dieser Satzung ganz grundsätzlich: Sie möchte eine weltweite Mauer zu Israel aufbauen, Juden und Israel isolieren und gerade nicht „kulturelle, ethnische und religiöse Grenzen“ „überwinden“.

Wir appellieren hiermit an Sie: Entehren Sie nicht das Andenken an Nelly Sachs und überdenken Sie Ihren Entschluss, den nach ihr benannten Preis an Kamila Shamsie vergeben zu wollen.

Kein Nelly-Sachs-Preis für Antisemitismus und BDS.

Kein Nelly-Sachs-Preis 2019 für Kamila Shamsie!

 

©Bündnis für zivilisatorische Mindeststandards, Bochum/Berlin

 

Kein Quentchen linker Gesellschaftskritik

Das Buch „Deutschland rechts außen“ von Matthias Quent verharmlost die deutschen Zustände und die rechte Gefahr

Von Dr. Clemens Heni, 16. August 2019

Der Publizist Thomas Ebermann kritisiert in seinem Buch „Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung“ von 2019 den Thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und schreibt:

„Präsident Steinmeier hatte zum Tag der Deutschen Einheit gesagt: ‚Diese Sehnsucht nach Heimat dürfen wir nicht denen überlassen, die Heimat konstruieren als ein ,Wir gegen Die‘, als Blödsinn von Blut und Boden.‘ Einer der Ersten, die ihm beipflichteten, war der damalige Vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir. Er lobte, ‚dass der Bundespräsident den Heimatbegriff positiv setzt und nicht denen überlässt, die unsere Republik schlechtreden und unser Land spalten‘. Und auch Thüringens linker Ministerpräsident Bodo Ramelow lässt sich die Heimat ‚von keinem Nazi wegnehmen‘ und erteilt jeder kritischen Reflexion darüber vorab eine Absage: ‚Da bin ich stur‘.“

Diese Sturheit Ramelows, wenn es ums Eingemachte geht, zeigte sich besonders drastisch, als er 2016 „antideutschen“ Antifas, die eine Aktion vor dem Haus von AfD-Führer Björn Höcke in Bornhagen ankündigten, Nazi-Methoden und Arroganz vorwarf.

Ebermanns Kritik am Heimatbegriff ist deshalb so bedeutsam, weil er ja explizit die Linken oder Ex-Linken oder Noch-Nie-Linken im Visier hat wie Dieter Dehm, Christoph Türcke, Sarah Wagenknecht oder den Autoren des Neuen Deutschland Roberto J. De Lapuente. Ebermann bezieht sich auf den „Thüringen Monitor“ von 2018 und stellt fest:

„Seit dem Amtsantritt der – damals bundesweit ersten – rot-rot-grünen Landesregierung im Jahr 2014 sind fremdenfeindliche und rassistische Einstellungen im Freistaat stetig und massiv angestiegen, in manchen Bereichen gar um ein Drittel. Warum? Auch darauf bietet die zitierte Studie Antworten: 96 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ihre Heimat ‚wichtig‘ oder ‚sehr wichtig‘ sei.“

Was sagt nur Matthias Quent, der ebenso den „Thüringen Monitor“ heranzieht?

„Von einem gänzlich braunen Osten jedenfalls kann keine Rede sein: 48 Prozent der Thüringer Bevölkerung ordnet sich 2018 selbst als ‚links‘ ein, 31 Prozent in der Mitte.“

Matthias Quent ist ganz optimistisch, wie es sich für einen NGO-Aktivisten gehört: Er ist Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, das von der Amadeu Antonio Stiftung getragen und von der thüringischen Landesregierung mit verschiedenen Fördertöpfen co-finanziert wird.

Es geht um das neue Buch von Matthias Quent: „Deutschland rechts außen – Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können“ (Piper Verlag, August 2019, ich zitiere nach der E-Book Ausgabe).

 

Quent hat über den Rechtsterrorismus des NSU promoviert, er hat aber offenkundig wenig Erfahrung mit der Analyse der Neuen Rechten und der politischen Kultur insgesamt, er ist 33 Jahre alt (Jg. 1986, DDR) und das lässt er die Leser*innen auch spüren.

Die Bevölkerung driftet nicht nach rechts. 2001 haben sich im ‚Thüringen-Monitor‘ 4 Prozent der Befragten als ‚rechts‘ eingeordnet, zugleich lag der Anteil rechtsextrem eingestellter Menschen in Thüringen bei 25 Prozent. 2018 lag der Anteil der rechtsextrem Eingestellten bei 20 Prozent – genauso hoch wie der Anteil derer, die sich selbst als ‚rechts‘ einordnen. Das bedeutet: Das rechtsradikale Potenzial war immer da. Nur die Menschen betrachteten sich damals nicht als rechts.“ (Herv. CH)

Man muss sich das in Ruhe durchlesen, um den Wahnwitz zu verstehen. Demnach haben sich 2001 4 Prozent der Befragten in Thüringen als „rechts“ betrachtet, es gab aber 25 Prozent Rechtsextreme. 2018 nennen sich gleich 20 Prozent als „rechts“ was mit dem Prozentsatz der Rechtsextremen in diesem Bundesland übereinstimme. Das seien weniger als 2001 (25%) und also ein Fortschritt.

Die AfD bekam 2014 10,9% bei der Landtagswahl in Thüringen, derzeit steht sie in Umfragen wie vom 30. Juli 2019 (infratest dimap) vor der Wahl am 27. Oktober bei 24%, nur einen Prozentpunkt hinter den führenden Linken und vor der CDU, die SPD kommt auf 8%. Doch Quent sagt apodiktisch: „Die Bevölkerung driftet nicht nach rechts“. Wer will diesen Wahnsinn verstehen?

Die AfD könnte stärkste Partei werden, 2001 gab es sie noch gar nicht, und der Autor fabuliert davon, Thüringen würde nicht nach rechts „driften“. Es ist salonfähig, sich völlig ungeniert als „rechts“ zu definieren. Das ist die politische Katastrophe, der wir uns bewusst sein sollten. Nur NGO-Aktivisten, die selbst vom Staat finanziert werden, mögen das anders sehen.

Diese extrem dramatische Situation verniedlicht der Nachwuchs-NGO-Aktivist, der als Soziologe firmiert, aber eine Analyse der Gesellschaft ist seine Sache nicht.

Mit einem Schönreden der Situation in Thüringen, einem Hohelied auf die Heimat und auf Bodo Ramelows (Die Linke) Landesregierung in dem Buch von Matthias Quent –

„Die zivilgesellschaftlichen Demokratisierungsbemühungen zeigen Wirkung und wurden durch die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow (Die Linke) seit 2014 weiter verstärkt. Insgesamt 1,5 Millionen Euro wurden bereitgestellt, um Opfer und Hinterbliebene des NSU-Terrorismus zu entschädigen. Georg Maier (SPD) ist der erste Thüringer Innenminister, der lernbereit neue Wege geht, um die Handlungsspielräume von Neonazis einzuschränken. Professionelle und unabhängige Beratungsangebote für Betroffene rechter Gewalt und für Akteure, die sich gegen Rechtsradikalismus einsetzen, festigen demokratische Kompetenzen.“ –

kann man die Nazis nicht besiegen, vielmehr spielt man deren Spiel.

Quent ist offenbar wie Ramelow ein Heimatschützer der durchaus typisch ostdeutschen Art, wie es scheint:

„Fakten und Beispiele aus meiner Heimat Thüringen widerlegen ebenfalls das Klischee des braunen Ostens. Noch vor etwa zwanzig Jahren war Jena, die Stadt, in der ich lebe und arbeite, eine Hochburg des Rechtsradikalismus. Überfälle und Aufmärsche von Neonazis waren an der Tagesordnung.“ (Herv. CH)

 

Vor 20 Jahren gab es noch keine AfD, die jetzt kurz davor steht, stärkste oder zweitstärkste Kraft in Sachsen, Brandenburg (Landtagswahl am 1. September) und Thüringen zu werden. Mit Björn Höcke hat Thüringen einen der gefährlichsten rechtsextremen Agitatoren seit 1945. So klar sich Quent gegen die AfD ausspricht und sie bekämpfen möchte, so unglaublich selbst-verliebt und stolz ist er auf sein Thüringen und auf den Osten allgemein. Da wird einem regelrecht schwindelig, wenn einer ernsthaft behauptet, der Osten würde nicht nach rechts driften, wo doch die AfD, die mit Neonazis kooperiert, wie er selbst zeigt, fast stärkste Partei ist oder werden wird. Das so grotesk klein zu reden, wie Quent das tut, ist gefährlich oder zeugt von einem Realitätsverlust.

Dabei hat er ein paar ganz wenige gar nicht so schlechte Sätze in dem Buch, z.B. wenn er sich gegen den Kollegen Thomas Wagner wendet, der wie die Querfront mit Rechten redet und Gemeinsamkeiten von antiimperialistischen Linken und Neonazis sucht. Oder wenn er das Phantasma des gemeinsamen Kampfes von Ostdeutschen und Muslimen oder Migranten gegen die bösen Wessis kritisiert, ohne gleichwohl Namen zu nennen.

Er erwähnt die problematischen Ermittlungen zum NSU-Terror und die Involviertheit des Verfassungsschutzes, geht in einem super Schnelldurchlauf auf neu-rechte Einrichtungen wie das Institut für Staatspolitik oder die Ein Prozent-Bewegung ein, auf die Kreml-Nähe des Neonazis Manuel Ochsenreiter, der bis Januar 2019 Mitarbeiter von Markus Frohnmaier im Deutschen Bundestag war. Das sind alles keine neuen Informationen, die zudem von anderen AutorInnen schon deutlich pointierter und detaillierter und zumal analytischer gefasst worden sind.

Ein Beispiel dafür, was es heißt, sich als „links“ zu bezeichnen oder SPD-Mitglied in Thüringen zu sein, sei im Folgenden etwas näher erläutert, denn auch dazu schweigt Matthias Quent. Denn irgendwie exemplarisch für Thüringen vielleicht auch der Abstieg des ehemaligen Jenaer Oberbürgermeisters Albrecht Schröter (SPD). Der hatte (verdient) Ärger wegen seiner Unterstützung eines Israel-Boykotts von pax christi und gelegentlicher zumindest als antisemitisch deutbarer Äußerungen. So weit so schlimm.

Aber er erntete damit immer Kritik, auch vor Ort. Unterstützt wurde er allerdings von Bodo Ramelow. 2018 verlor Albrecht Schröter sein Amt an Thomas Nitzsche (FDP) und heuerte danach bei einer „Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft“ in BaWü als Geschäftsführer an. Die Stiftung sollte aktuell in Lindau am Bodensee nach der ultimativen Friedensformel suchen. Albrecht Schröter allerdings verlor seinen neuen Posten recht schnell wieder, weil er mit seiner Vorgeschichte nicht mehr als politisch neutral genug für die Stiftung und ihre Friedenssuche galt, man stritt sich vor Gericht.

Und jetzt kommt die Pointe: Albrecht Schröter wandte sich in einem Schreiben, das ausgerechnet das antizionistische Kampfblatt Der Semit unter der Überschrift „Wie kann der Einfluss der Israellobby gestoppt werden?“ publizierte (und wieder löschte), an seine „Freundinnen und Freunde“, um seine Sicht der Dinge darzulegen.

Er klagt darin über einen Blog-Beitrag der Amadeu Antonio Stiftung, der ihn den Job gekostet hätte, weil er „im Vorfeld meiner (leider erfolglosen) Wiederwahl und … seitdem bei Google unter ‘Albrecht Schröter – Israel‘ immer ganz oben [steht]. Das muss wohl irgendwer finanzieren… Es ist mit Händen zu greifen, dass hier von Seiten der Israel-Lobby auf den Stiftungsvorstand massiv Einfluss genommen worden ist.“

Und wenig später noch einmal wieder die Andeutung, „Ich denke, jeder von Euch weiß, wer hier die Feder geführt hat.“ Und mit diesen Äußerungen, die ja nicht „nur“ ungeheuer dumm sind, eines immerhin Ex-Oberbürgermeisters einfach intellektuell unwürdig, sondern tatsächlich kaum verhüllter Antisemitismus, erregte Albrecht Schröter einerseits kaum mehr Aufsehen, ein Parteiausschlussverfahren hat offenbar niemand angestrengt, andererseits dokumentieren sie aber auch, wie tief gesunken er selbst ist – ohne es zu merken oder sich einzugestehen.

Zu Zeiten seiner „pax christi“-Skandale wäre ihm wohl selbst nie in den Sinn gekommen zu fragen: „Wie kann der Einfluss der Israellobby gestoppt werden?“, heute ist das eben auch für ihn offenbar völlig normal. Das politische Klima (nicht nur) in Thüringen hat sich geändert und mit ihm die/manche Menschen, die wiederum es beeinflussen usw. …

Soviel zum „linken“ Jena oder jenen, die sich ganz bestimmt nicht als rechts oder problematisch definieren in Thüringen.

Völlig Absurd, aber typisch für weite Teile der herkömmlichen und NGO-mäßigen Anti-Nazi-Szene ist Matthias Quents Herunterspielen des Islamismus, der als „religiöse Form“ des „Rechtsradikalismus“ definiert wird. Wirkliche Empathie mit den 3000 zerfetzten, pulverisierten oder verbrannten Opfern des 11. September 2001 oder den Opfern jihadistisch-islamistischer Massaker in einem jüdischen Supermarkt, der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo oder den Konzertbesuchern im Club Bataclan im Jahr 2015 in Paris oder den vom Jihadisten Anis Amri zu Tode gefahrenen Weihnachtsmarktbesucher*innen in Berlin vom Dezember 2016, hat Matthias Quent nicht.

Hingegen schreibt er völlig ernsthaft und mit Nachdruck:

„2018 wurden nach Europol-Daten in der gesamten EU 62 Menschen durch Terrorismus getötet. Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, müssen wir uns dennoch vor Augen führen, dass in Europa jedes Jahr 400 000 Menschen vorzeitig durch den Einfluss von Feinstaubbelastungen sterben, allein in Deutschland rund 66 000. In Deutschland sterben jährlich etwa 15 000 Menschen an Krankenhauskeimen. Im Jahr 2017 kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 1077 Menschen im Verkehr durch zu schnelles Fahren ums Leben, 60 079 wurden verletzt. 231 Menschen starben bei Alkoholunfällen. Politik und Medien übertreiben die Gefahr durch den Terrorismus massiv, um von der Angst zu profitieren. Der islamistische Terrorismus kostete seit 1990 in Deutschland vierzehn Menschen das Leben. Verheerende Anschläge in anderen Ländern, etwa in Sri Lanka zu Ostern 2019 mit mindestens 250 Todesopfern, verbreiten jedoch auch weit entfernt Angst und Hass. Trotz der hierzulande vergleichsweise geringen Opferzahl ist Terrorangst darum eines der wichtigsten Mobilisierungsthemen der radikalen Rechten.“

Wer den Unterschied zwischen politischem Terrorismus und islamistisch motivierten Massakern und Verkehrsunfällen oder sonstigen industriegesellschaftlichen Massenphänomenen wie Keimen in Krankenhäusern nicht kennt, sollte erstmal ein seriöses Studium machen, bevor er „Direktor“ eines Forschungsinstituts oder einer zivilgesellschaftlichen NGO wird – und dabei gar von führenden Professor*innen beraten wird.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Zentralrat der Muslime im Kuratorium des Jenaer Instituts von Quent sitzt (zur Kritik am Zentralrat der Muslime siehe z.B. hier). Was die „wissenschaftlichen Beiratsmitglieder“ Gideon Botsch, Wolfgang Frindte, Britta Schellenberg, Oliver Decker, Susanne Schröter, Lars Rensmann oder Samuel Salzborn (und die anderen Mitglieder) dazu beziehungsweise zu dieser Studie des Vordenkers des Jenaer Instituts insgesamt sagen, ist nicht bekannt.

Zentrale Begriffe der Forschung wie „sekundärer Antisemitismus“, „Israel bezogener Antisemitismus“, „Antizionismus“ oder „Jihad“ sucht man in der Publikation Quents vergeblich.

Hingegen wird Gerhard Schröder wegen seiner angeblich anti-rechten Politik und seinem „Aufstand der Anständigen“ gefeiert, ohne auf seine deutsch-nationale Ideologie wie die Einladung des antisemitischen Starschriftstellers Martin Walser am 8. Mai 2002 ins Bundeskanzleramt auch nur en passant einzugehen.

Quent schreibt:

„Der Anschlag in Düsseldorf und zahlreiche weitere Vorfälle waren Anlass dafür, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den ‚Aufstand der Anständigen‘ ausrief. In den folgenden Jahren änderte sich der staatliche Umgang mit Antisemitismus, Rassismus und Rechtsradikalismus. Der Bund (und nach und nach auch die Länder) unterstützten zivilgesellschaftliche Aktivitäten für demokratische Kultur verstärkt. Dadurch verbesserte sich die Situation vielerorts deutlich.“

Kritische Soziologen und Politologen wie Andrei S. Markovits von der University of Michigan haben gerade die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer (1998–2005) für eine neue Unverschämtheit gegenüber Juden, Israel und der deutschen Geschichte kritisiert. Davon weiß Matthias Quent rein gar nichts. Auch der erste Angriffskrieg Deutschlands nach 1945 passierte unter Rot-Grün, 1999 gegen Jugoslawien, wo Fischer auf perfide Weise Auschwitz instrumentalisierte und auf den Balkan verlegte.

Ähnlich desolat wird es, wenn sich Quent mehrfach auf den amerikanischen Historiker Timothy Snyder bezieht. Dieser war im Jahr 2010 mit seiner als antisemitisch kritisierten Studie Bloodlands hervorgetreten, wo er den Nationalsozialismus und den Stalinismus auf eine Stufe stellt. Snyder macht sich darin gleich zu Beginn über die deutschen Juden, die Opfer des Holocaust geradezu lustig, weil es doch prozentual so wenige seien verglichen mit den osteuropäischen Opfern. Er schrieb wörtlich, dass die meisten deutschen Juden, die 1933 lebten, eines „natürlichen Todes“ gestorben seien. Da lachen Neonazis herzhaft!!

Snyder spielt insgesamt den Antisemitismus herunter und leugnet die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz, da Stalin das Morden 1932 begonnen habe. Das ist ja auch die Ideologie von Joachim Gauck und der „Prager Deklaration“, wovon man natürlich bei Quent nichts erfährt. Die Erwähnung des Antisemitismus ist fast immer nur additiv und kommt zum Beispiel via der Agitation der Rechten gegen George Soros vor, doch auch da gibt es deutlich bessere Analysen dieser antisemitischen Verschwörungsmythen. Bei Snyder ist der Fokus auf Russland typisch für die antikommunistisch-antisemitische Literatur seit Jahrzehnten, nur gibt es mit Snyder jetzt einen Superstar der Historiographie. 2015 legte er nach und sein Buch „Black Earth“ wird von Quent mehrfach affirmativ zitiert:

„Der Historiker Timothy Snyder hat in seinem Buch Black Earth die Ursachen des Holocausts aufgearbeitet und schließt daraus: Der Holocaust kann sich wiederholen“, „Bereits 2015 warnte der Historiker Timothy Snyder davor, dass sich der Holocaust wiederholen könnte, wenn eine Gruppe von Menschen zum Sündenbock erklärt wird, durch deren Vernichtung eine drohende Klimakatastrophe verhindern werden könnte.“

Dabei spielt Snyder den Antisemitismus (nicht zuletzt Polens) herunter und ignoriert weite Teile der Holocaust- bzw. Shoah-Forschung. Die Studie kulminiert in der den Holocaust als singuläres Ereignis leugnenden Dystopie Snyders, der zukünftige ökologisch motivierte Holocausts herbeischreibt. Dabei hat kein Land der Erde derzeit vor, ein Volk oder eine Gruppe von Menschen aus dem einzigen Grund, dass es dieses Volk oder diese Gruppe von Menschen ist, auszulöschen – bis auf Vernichtungsdrohungen gegen Israel wie von der Islamischen Republik Iran oder arabischen Antisemiten aller Art.

Aber Klimakatastrophen und ihre schrecklichen Folgen, auch Kriege, die wegen Wasserarmut oder Dürren etc. kommen werden, haben überhaupt gar nichts mit dem Holocaust zu tun. Diese Universalisierung der Shoah (Shoah ist auch Wort, das bei Quent nicht vorkommt) ist antisemitisch, in effect if not intent.

Der Historiker Omer Bartov hat 2016 „Black Earth“ von Timothy Snyder im The Chronicle of Higher Education auseinandergenommen, die oben erwähnte antikommunistisch-antisemitische Dimension Snyders kritisiert und festgehalten:

„Here Snyder’s idea of ‘double occupation’ is applied to reinforce the idea of state collapse. Examined from the perspective of contemporary discourse in much of post-Communist Eastern Europe, one cannot avoid seeing the link of this idea to the popular ‘double genocide’ theory. According to this theory, while the Germans murdered the Jews (with some help from local ‘bad apples’), the Soviets, closely associated in people’s minds with the Jews, murdered the ‘indigenous’ population. ‘Double genocide’ is nothing but a rehashing of the idea of Judeo-Bolshevism, the canard that Communism and the Soviet Union were a Jewish project, which was used to justify the killing of Jews during the war. And while Snyder rightly dismisses the idea of Judeo-Bolshevism as a Nazi myth, he also embraces the idea that the rapid mass killing of Jews by the Germans in areas previously occupied by the Soviets was largely the result of Soviet policies such as mass deportation and the murder of real and imagined opponents. In other words, Snyder repeatedly suggests that the Soviets bear a major responsibility for the Holocaust (and he says nothing about the fact that the killing was ended only by the costly victory of the Red Army over the Wehrmacht).”

Bartov resümiert seine Besprechung von Snyders “Black Earth”, einem Buch, das Matthias Quent wie vielen anderen ganz normalen Deutschen so gut gefällt:

“Written with flair, imagination, and rare confidence on a topic that has baffled so many, Black Earth is a good example of how not to write a history of the Holocaust.”

Eventuell hat Matthias Quent publizistische Stärken. Wenn dem so ist, hat er sie jedenfalls in seinem neuen Buch enorm gut versteckt. Noch nicht einmal die antisemitische Parole der Partei „Die Rechte“ und anderer Neonazis in Dortmund vom Mai 2019: „Israel ist unser Unglück“, wird erwähnt, dabei hat Quent sehr wohl aktuelle Beispiele bis in den Sommer 2019 hinein.

Das Buch „Deutschland rechts außen“ ist ohnehin kein Buch, sondern ein Antrag auf mehr Fördergelder beim Freistaat Thüringen und der Amadeu Antonio Stiftung.

Der Kampf gegen rechts ist extrem wichtig, man sollte ihn nicht heimattümelnden Autoren überlassen, die den Antisemitismus, die Neue Rechte, Heimatwahnsinn, den Islamismus oder das Sommermärchen von 2006 kleinreden oder völlig ignorieren. Auf dem bemerkenswert schlecht gemachten Cover des Buches ist ein verschwommenes Meer aus Deutschlandfahnen zu sehen, doch eine Kritik an Deutschland, vom Fußball-Nationalismus ganz zu schweigen, ist in dieser Publikation gerade nicht zu finden.

Was lernt man? Tote durch Alkoholunfälle sind schlimmer als Opfer des Jihad. Da lacht Mohammed Atta.

Auf diese Weise kann man vielleicht den Zentralrat der Muslime zum Freund haben, aber die Neue Rechte und die AfD bekämpft man so gerade nicht.

Die ganze anti-linke und Anti-Antifa-Agenda zeigt sich in diesem Schrei nach dem Bundesverdienstkreuz durch Matthias Quent, womit ich schließen möchte:

„Doch es geht nicht um links gegen rechts. Es geht um die Verteidigung der Grundpfeiler der liberalen Demokratie und die Werte des Grundgesetzes an sich.“

 

Herzlichen Dank an Thomas Weidauer für sachdienliche Hinweise.

©ClemensHeni

100 Jahre Balfour-Deklaration und ihre Feinde – der Marc Jongen der Palästinenser: Rashid Khalidi

Von Dr. Clemens Heni, 3. November 2017

Ein Gegenintellektueller ist eine Person, die sich gerade nicht die Mühe der Analyse und Kritik von Mythen, Traditionen, alten wie bestehenden Herrschaftsstrukturen macht. Der Soziologe Siegfried Kracauer (1899–1966) definierte sehr präzise, was „Intellekt“ ist: „Nichts anderes ist der Intellekt als das Instrument der Zerstörung aller mythischen Bestände in und um uns.“

Bis heute sind somit die Intellektuellen die Erzfeinde der AfD, von Nazis, weiten Teilen des Mainstreams, und nicht wenigen Linken. Jene, die als „rechte Intellektuelle“ bezeichnet werden, sind in Wahrheit Gegenintellektuelle, sie möchten ja gerade nicht die „mythischen Bestände“ wie die Wartburg-, Luther- wie Burschenschaftstraditionen zerstören, sondern reaktivieren. Sie sind reaktionäre Gegenintellektuelle.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem palästinensischen Agitator Rashid Khalidi aus New York City. Auch er ist ein als Intellektueller vorgestellter Gegenintellektueller. Er hält die „Edward Said“ Professur „of Modern Arab Studies“ and der Columbia University. Vor wenigen Wochen sprach er dort in der ihm typischen Diktion über die „Opfer“ der Balfour-Deklaration, die am 2. November 1917 Lord Rothschild in London übergeben wurde.

Der Deutschlandfunk, der sicher nicht Staatsfunk genannt werden möchte (das hörte sich nach Ideologie und DDR an), berichtet völlig euphorisch über Khalidi und zitiert dessen Ideologie exzessiv. Demnach sei die Balfour-Deklaration ein koloniales Projekt der Briten gewesen und der Deutschlandfunk in Person von Ruth Kinet resümiert in antiisraelischer Diktion: „Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist lösbar: Israelis und Palästinenser könnten mit einander ins Gespräch kommen. Sie könnten lernen, die Geschichte des anderen nicht länger zu leugnen – lernen, das Erbe des anderen anzuerkennen und zu respektieren. Sie müssten Abschied nehmen von dem Geist, den die Balfour-Erklärung atmet und der mit dem Schicksal anderer auf größtmöglichen eigenen Gewinn spekuliert.“

Das ist natürlich kitschig gesagt und die Autorin widerlegt ihren Willen zur Verständigung in ihrem eigenen Artikel, indem sie sich auf einen der übelsten und berüchtigtsten Agitatoren gegen Israel überhaupt bezieht, Rashid Khalidi.

Kinet hat 2003 an der Freien Universität Berlin mit einer kleinen Studie über Kolonialpolitik in Kongo promoviert. Die wissenschaftliche Analyse von Antisemitismus und Antizionismus scheint nicht zu ihrem Schwerpunkt zu gehören. Denn wie kommt sie darauf, den Hörer*innen den Hardcore-Israelfeind Rashid Khalidi, der 2017 in einem so unwissenschaftlichen wie aggressiv antiisraelischen Buch[1] mit dem BDS-Gründer Omar Barghouti als Autor auftaucht, als seriösen Gewährsmann zu präsentieren? Khalidi erwähnt doch nie, wer für den Nahostkonflikt primär verantwortlich zeichnet: jene Araber, die später Palästinenser genannt werden, die sich 1937 (Peel-Commission) und 1947 und bis heute weigern, einen jüdischen Staat im Nahen Osten zu akzeptieren und auch keinen arabischen Staat, wie er ihnen 1937, 1947 und später angeboten wurde, zu akzeptieren.

Wie kommt Kinet darauf, Khalidi so positiv einzuführen? Khalidi war immerhin Sprecher in Beirut der damals (in den 1970er und 1980er Jahren) als Terrororganisation eingestuften PLO. Sein Vorbild, nach dem sein Lehrstuhl an der Columbia University benannt ist, Edward Said, war ein antizionistischer Antisemit, wie die Forschung gezeigt hat. Der Staatsfunk, wenn wir ihn mal so nennen wollen, sekundiert damit nur die Bundesregierung, die in Berlin eine pompöse Barenboim-Said-Akademie bauen ließ, wie Thomas Weidauer und ich kritisieren:

„Schon 1969 bezeichnete Edward Said (1935–2003) die Araber als ‚die neuen Juden‘. 1979 setzte er Israel mit dem südafrikanischen Apartheidstaat gleich. In seinem bekanntesten Buch Orientalismus von 1978, denunzierte er Israel als das letzte orientalistische, also imperialistische, westliche und rassistische Land. 1987 sagte Said in einem Interview, die Juden hätten die Lehren aus ihrem eigenen Leiden unter Nazi-Deutschland nicht gezogen. Für ihn verhalten sich die Juden/Israeli gegenüber den Palästinensern heute so, wie die Nazis sich gegenüber den Juden verhalten haben. Diese Ideologie wird nun offenbar sehenden Auges von der deutschen Bundesregierung mit 20 Millionen Euro Baukosten plus Teilen der laufenden Kosten nach Eröffnung der Akademie unterstützt. Deutschland, Deutschland, du tüchtiges Land.“

Juden gingen schon 1947 Kompromisse ein, aber die Araber verweigerten sich. Darüber spricht Khalidi nicht. Und da sind wir beim Thema Antisemitismus, islamistisch[2] wie arabisch-sozialistisch-nationalistisch[3].

Kinet führt Khalidi für die Hörer*innen als angeblich seriöse Quelle der Columbia Universität ein. So wie kürzlich das Bard College in New York den AfDler Marc Jongen zu einer Hannah-Arendt-Tagung einlud, wohl wissend wie rechtsextrem Jongen agitiert und für was die AfD steht. Es gab Proteste gegen diese Einladung, aber da waren dann so obskure und selbst höchst problematische Figuren wie Judith Butler mit dabei. Butler ist ja bekanntlich eine führende antizionistische Jüdin, quasi eine Art Kumpel von Khalidi, beide delegitimieren den jüdischen Staat, mal aus jüdischer, mal aus arabischer Perspektive.

Die Deutschlandfunk-Autorin zitiert auch Mahmoud Abbas, der fordert, England solle sich für die Balfour-Deklaration entschuldigen. Für eine solche „Entschuldigung“ führt Kinet noch weitere angeblich seriöse Stimmen an. Doch vielmehr sollte sich Abbas mal entschuldigen dafür, dass in den palästinensischen Autonomiegebieten Massenmördern wie Saddam Hussein (der im März 1988 bis zu 5000 Kurden mit deutschem Giftgas in der irakischen Stadt Halabdscha ermorden ließ) mit Denkmälern gedacht wird, wie vor kurzem in der Stadt Kalkilia geschehen.

Die Balfour-Deklaration ist ein historisches Dokument, das die ungeheure Bedeutung von Diplomatie zeigt und das auch beurkundet, wie international Israel schon Jahrzehnte vor Staatsgründung anerkannt war. Die einzigen, die Juden das Recht in ihrem alten Land zu leben bestreiten – egal wie groß dieses Land nun ist –, sind die Palästinenser, die damals noch gar nicht so hießen, sondern Araber genannt wurden.

Wie der israelisch-amerikanische Historiker Martin Kramer im Juni 2017 in einem langen Beitrag im Mosaic Magazine en detail zeigt, war die Balfour-Deklaration ein diplomatisches Meisterstück, das primär dem zionistischen Politiker Chaim Weizmann und dem zionistischen Diplomaten und Historiker Nahum Sokolov zu verdanken ist. Sokolov schaffte es im Vorfeld, sowohl Frankreich, den Vatikan und Italien zu pro-zionistischen Stellungnahmen, wenn auch unverbindlichen, zu bewegen.

Auch Amerikas Woodrow Wilson ließ sich durch Louis D. Brandeis, einem Kollegen von Sokolov in USA, von der politischen Selbstbestimmung der Juden, auf die sie ein Recht haben, überzeugen.

Der französische Außenminister Cambon ging sogar so weit, vom historischen Recht der Juden auf Rückkehr („Renaissance of the Jewish nationality“) (!) in ihr Land zu sprechen, wie Kramer betont. Kramer unterstreicht, wie wichtig es den Zionisten war, öffentlich zu argumentieren und gerade keine Geheimabsprachen zu treffen. Es war der Beginn der öffentlichen Diplomatie. Kramer bringt das in Beziehung zu jüdischer „Hasbarah“ (Erklärung). Entgegen den Arabern hatten die Juden öffentliche Diplomatie praktiziert, was ein Erklärungsfaktor sein mag, warum die Araber weniger Erfolg hatten. Im Geheimen hatten auch arabischer Diplomaten Zugeständnisse bekommen, aber es nicht geschafft, da dran zu bleiben und öffentliche Diplomatie zu betreiben.

Von all diesen diplomatischen Errungenschaften der Juden und Zionisten ist im Deutschlandfunk wenig Positives zu hören, es wird nur kurz angerissen und die zentrale diplomatische Rolle Sokolovs gerade nicht dargestellt. Dafür wird Rashid Khalidi ausführlich zitiert und behauptet, England beziehungsweise Großbritannien habe ausschließlich koloniale Politik betrieben[4] – dass gerade die Balfour Deklaration auf der Zustimmung auch Frankreichs, Italiens, des Vatikans, den USA und Japans wie Chinas basierte,[5] und diese internationale Zustimmung gerade Frankreichs, der USA, Italiens und des Vatikans zentral war für die britische Zustimmung, davon erfahren die Hörer*innen nichts.

Der Kern ist weiterhin, dass die Araber die Teilung des Landes 1937, 1947 und seither abgelehnt haben. Das rechtfertigt nicht falsche israelische Politiken, die gerade in Israel heftig umstritten sind, wie die Besatzung des Westjordanlandes. Das rechtfertigt auch keine Sekunde jüdischen Rassismus gegen Araber, den es in den letzten Jahren zunehmend gibt. Doch im Gegensatz zu den Palästinensern hat Israel eine sehr ausdifferenzierte Zivilgesellschaft. Aber ohne einen offensiven Kampf der Palästinenser selbst gegen muslimischen wie arabischen Antisemitismus wird es schwer, eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Es muss um eine Anerkennung Israels als jüdischer Staat gehen, daran geht kein Weg vorbei.

Die Araber haben kein Problem in einem arabischen Land zu leben, auch wenn sie seit 1948 weder von Ägypten, noch Jordanien, dem Libanon oder einem anderen arabischen Land mit offenen Armen aufgenommen wurden. Vielmehr wird seit damals ein zynisches Spiel mit den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen gespielt und diese spielen häufig gerne mit. Juden hingegen hätten ohne eine jüdische Mehrheit im Staat Israel keine Chance im Nahen Osten zu überleben.

Das Problem mit der AfD wird von einigen Leuten sehr wohl erkannt, auch wenn jene pro-rechtsextremen Dauerschwätzer, die „Mit Rechten reden“ wollen, den Diskurs im Anne-Will-Land natürlich prägen. Es geht ja in Deutschland um Konsens, nicht um gut oder böse, sondern um das Umarmen von Nazis, die nach der Umarmung keine mehr seien. So also sei es auch mit den antisemitischen Israelhassern.

Man müsse nur auf sie zugehen und sie so ausführlich zitieren wie Ruth Kinet es tut, ohne zu sagen, wer Rashid Khalidi wirklich ist, und für was für eine antiisraelische Ideologie er steht. Er hat gar nicht die Absicht, Israel zu verbessern, lediglich die Besatzung zu kritisieren und Israel als jüdische Demokratie zu verteidigen. Nein, Khalidi will Israel als jüdischen Staat zerstören. Khalidi unterstützt 2017 die antisemitische BDS-Bewegung, auch dazu kein Wort vom Deutschlandfunk und seiner Autorin Ruth Kinet. Khalidi fordert das Rückkehrrecht für die 1948 vertriebenen Palästinenser, eines der zentralen Hindernisse für eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel sich eindeutig gegen BDS ausspricht, scheint der DLF mit einem der weltweit einflussreichsten BDS-Protagonisten, Rashid Khalidi, kein Problem zu haben.

Der Deutschlandfunk pusht also nicht nur die Agenda der AfD, wie in einer Sendung am 1. November 2017, die der Journalist Peter Nowak zerpflückt, sondern hat auch kein Problem mit einem der führenden BDS-Aktivisten wie Khalidi.

Der Band von Edlinger von 2017, mit dem Beitrag von Deutschlandfunk-Referenz Rashid Khalidi, ist symptomatisch für den antisemitischen Antizionismus: gerade die linken Zionisten wie Peres werden diffamiert. Es geht also nicht um eine Kritik an der Besatzung, die Peres sehr wohl teilte, sondern um eine Frontalattacke auf den Zionismus und jüdisches Leben im eigenen Staat.

Die Balfour-Deklaration war ein Meilenstein in der Geschichte, eine wundervolle Erfolgsgeschichte zionistischer Politik, von öffentlicher Diplomatie und internationaler Anerkennung des jüdischen Rechts auf eine Rückkehr nach Zion. Die Balfour-Deklaration unterstützt jüdische Selbstbestimmung wie jüdische Souveränität. Die Balfour-Deklaration sei auch jenen linken Israelfreunden und vielen anderen ins Stammbuch geschrieben, weil sie wie kein zweites Dokument belegt, dass der Zionismus der Grund für den Staat Israel ist, und gerade nicht der Holocaust.

 

[1] Fritz Edlinger (2017): Palästina – 100 Jahre leere Versprechen. Geschichte eines Weltkonflikts, Wien: Promedia. Die Balfour Deklaration wird im Vorwort des Herausgebers Fritz Edlinger nicht nur abgelehnt, sondern auf den 4.11.1917 verlegt. Edlinger agitiert insbesondere gegen linke Zionisten und linke Israelis wie Shimon Peres und bezieht sich dabei auf eine Kollegin der Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum, die Ex-Israelin Tamar Amar-Dahl, die von Schüler-Springorum vor einigen Jahren eingeladen wurde, ihre Hetzschrift gegen Peres am Institut für die Geschichte der Deutschen Juden (!) vorzustellen.

[2] Von Hasan al-Banna, dessen euphorische Biographin Gudrun Krämer jüngst auf einer Konferenz des Jüdischen Museums Berlin auftrat, über den Mufti von Jerusalem zum Iran, Hamas und Hizbollah etc. pp. Krämer hat auch positiv über Scheich Yusuf al-Qaradawi aus Katar publiziert, einen der führenden sunnitischen Judenfeinde weltweit überhaupt.

[3] Von Nasser über die PLO bis hin zu Saddam Hussein etc.

[4] „Waren Zionisten und Araber Figuren auf dem imperialen Schachbrett der Briten? Rashid Khalidi kann diese These mit seinen Forschungen belegen:

„Ausschlaggebend für die Balfour-Erklärung war die Überzeugung der Briten, dass sie Palästina als Brückenkopf und strategischen Puffer im Osten Ägyptens brauchten. Zu dieser Erkenntnis waren sie schon vor dem Ersten Weltkrieg gekommen, zwischen 1906 und 1914. Als die osmanische Armee 1915 dann den Suez-Kanal erreichte, verschärfte sich die strategische Dringlichkeit der Absicherung Ägyptens im Osten noch. Und deshalb war die britische Regierung so überzeugt von der Idee ‚Wir müssen Palästina kontrollieren’. Das ist der eigentliche Antrieb hinter der Balfour-Erklärung. Ihr Zustandekommen hat gar nicht primär etwas mit den Zionisten zu tun. Der Weg aber, auf dem die Briten ihr strategisches Ziel erreichten, führte über die Unterstützung des Zionismus und hatte damit zu tun, dass die Briten die USA zum Eintritt in den Krieg bewegen wollten und dass manche von ihnen aus philosemitischen, andere aus antisemitischen Motiven das Entstehen einer nationalen Heimstatt für die Juden in Palästina sinnvoll fanden. Aber meiner Einschätzung nach waren das lediglich zweitrangige Überlegungen.“ Das ist für den Deutschlandfunk keine Ideologie, sondern ein „Beleg“, was nur wiederum andeutet, wie unprofessionell dort gearbeitet wird. Während in explizit „jüdischen“ Sendungen wie am 27.10.2017 pro-israelische Positionen (die wiederum sehr unprofessionell vermittelt wurden) geduldet werden, kommt der Deutschlandfunk am 2. November 2017 wieder ganz zu sich und agiert und agitiert gegen den Zionismus und zieht einen der übelsten Agitatoren gegen den jüdischen Staat Israel, Rashid Khalidi, als angeblich seriöse Quelle heran.

[5] Martin Kramer schreibt dazu: „The Zionists collected other endorsements, some outright, some with emendations. The most important came from Italy and Japan—the two states that, along with Britain and France, would participate in the San Remo conference and become permanent members of the Council of the League of Nations. In May 1918, the Italian government pledged to Sokolow to help ‘facilitate the establishment in Palestine of a Jewish national center (centro nazionale ebraico).’ In January 1919, Japan informed Weizmann that ‘the Japanese Government gladly take note of the Zionist aspirations to establish in Palestine a national home for the Jewish people and they look forward with a sympathetic interest to the realization of such desire.’ (Similar endorsements came from Siam and China, the other two then-independent states of East Asia.)”

©ClemensHeni

Kritik oder Lifestyle?

Es ist eine anstrengende, große und wichtige Aufgabe, einen bundesweiten Israelkongress zu organisieren. Es ist vor allem eine sehr gute Idee, so etwas zu tun, solange die Welt so antisemitisch und antiisraelisch ist, wie wir es seit Jahren erleben. War der Israelkongress am 10. November 2013 für eine solche pro-israelische Positionierung der richtige Rahmen?

Zuerst einmal ist für einen Intellektuellen die Aufteilung der Welt in „Laboratorien“ oder auch in „Labs“, wo dann schön getrennt Kapitalismus („Ökonomie“ oder neudeutsch „Business“), Religion, Kultur, Politik und „Lifestyle“ behandelt werden, so etwas wie eine Ohrfeige, eine Absage an Gesellschaftskritik, die ihren Untersuchungsgegenstand in seiner Totalität analysiert. Dafür gab es „Datteln für alle“, wie einer der ganz wenigen kritischen Kommentare zum Israelkongress in der „Hauptstadt“ bemerkte.

Es war der dritte Israelkongress, der diesmal nicht in Frankfurt am Main, vielmehr in Berlin stattfand. Es wurde gar nicht erwähnt, warum Frankfurt rechts oder links liegen gelassen wurde, dabei lag das u.a. an der Verleihung des Adorno-Preises an die anti-israelische Agitatorin Judith Butler im Jahr 2012 durch die Stadt Frankfurt. Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann, der die Entscheidung nicht selbst zu verantworten hatte, blieb gleichwohl – offiziell aus Termingründen, aber offenbar eher aus Protest – der Preisverleihung fern. Das ärgerte die auf die Israelhasserin stolzen Frankfurter aller Richtungen extrem und Feldmann geriet unter Druck. Und so sagte er jüngst sinngemäß, dass er sein Fernbleiben bei der Preisverleihung rückblickend anders sehe…

Wenn also ein Politiker einmal etwas Courage gegen Antisemitismus oder die Diffamierung Israels als Apartheidstaat zeigt, wird er prompt von allen Seiten zurück gepfiffen. Ähnlich verhielt es sich bei einem der ganz wenigen interessanten Momente im öffentlichen Leben der Kanzlerin, als diese sich am 2. Mai 2011 sichtlich erfreut über die Tötung Osama Bin Ladens zeigte, aber von ihrem Parteikollegen und Israelkongressteilnehmer Philipp Mißfelder und einer ganzen Phalanx der deutschen politischen, medialen und kulturellen Elite zurückgepfiffen wurde.

Mehrere auf dem Kongress vertretenen großen Parteienstiftungen (Adenauer, Ebert, Seidel und Böll) unterstützen auf die eine oder andere Weise auch anti-israelische oder antisemitisch agierende bzw. agitierende NGOs. Das wurde durch einen Bericht der bekannten Gruppe NGO Monitor aus Jerusalem unter der Leitung des Politologen Prof. Gerald Steinberg im Oktober 2013 bekannt. In diesem bahnbrechenden Bericht sieht man zudem wie lückenhaft die parteinahen Stiftungen sowie staatliche, kirchliche und weitere Einrichtungen über ihre nahöstlichen Aktivitäten berichten.[i] Es wird durch die empirische Forschung von NGO Monitor exemplarisch deutlich, dass häufig problematische NGOs Unterstützung erhalten. Eine solche NGO ist Miftah. Der Korrespondent aus Jerusalem, Ulrich Sahm, berichtete bereits im April 2013 über einen antisemitischen Artikel, der auf deren Homepage erschienen war und die mittelalterliche antijüdische Blood Libel propagierte. Sahm betonte auch die Unterstützung dieser NGO unter anderem durch die Konrad Adenauer Stiftung (KAS).

War es nun ein Zufall, dass Sahm, der mehrere Texte in der Hochglanzkonferenzbroschüre publizierte und häufig in Deutschland auftritt, auf der Konferenz nicht sprach, aber die KAS prominent und mit einem Stand vertreten war?

Warum meint ein Kongress sich mit politischen Stiftungen umgeben zu müssen, die doch allesamt dafür bekannt sind, wie die oben genannte Untersuchung von NGO Monitor dokumentiert, auch mit den Gegnern Israels auf die eine oder andere Weise zu kooperieren? Wer kann da ein Eintreten für Israel irgendwie ernst nehmen?

Hätte sich Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, geweigert, eine sehr kraftvolle und gegen den deutschen Antisemitismus gerichtete Rede zu halten, wenn mehr kritische Köpfe, Gruppen oder Initiativen anwesend gewesen wären anstelle vieler geschwätziger bis peinlicher Christen, Politiker oder anderer merkwürdiger Gestalten?

Ein Kongressteilnehmer aus der ex-DDR raunte mir unvermittelt schon bei der bloßen Vorstellung einer der Diskutantinnen am Nachmittag, Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, zu, dass diese z.B. „Hakenkreuze auf jüdischen Grabsteinen“ doch übertrieben darstellen würde, „um mehr Geld für ihre Arbeit zu bekommen“. Dieser Mann sieht sich als Freund Israels und der Juden, er feierte dieses Jahr drei Wochen lang seinen 60ten Geburtstag in Israel, wie er versicherte. Tolle Freunde Israels! Vielen Gruppen, Vereinen, Firmen und Organisationen scheinen vor allem die Farben schwarz-rot-gold am Herzen zu liegen, und Israel dient als Vehikel um deutsch-nationale Symbolik sozusagen koscher zu liebkosen.

Antisemitismus hat in den letzten Jahren in teils extremer Form zugenommen. Graumann verwies vor allem auf die Agitation gegen die Beschneidung. Diese Hetze wurde bekanntlich nicht nur von der FAZ, vielmehr auch von marginalen, selbsternannten Israelfreunden aus abstrusen (und häufig zu Unrecht als ‚antideutsch‘ klassifizierten) Teilen der linken Szene unterstützt und angefeuert. Er sagte, dass diese unfassbar ordinäre, vulgäre und Juden sowie das Judentum diffamierende Debatte im Sommer 2012 Juden in Deutschland gezeigt habe, wie wichtig Israel gerade auch für die Juden in der Diaspora ist. Ein Zufluchtsort für alle Fälle! Wenn es je zu einem Verbot der Beschneidung kommen würde, wäre dies das definitive Ende jüdischen Lebens in Deutschland – und Israel die Rettung, so Graumann. Vor diesem Hintergrund ist es so unerträglich und perfide dass die linke Publikumszeitschrift Konkret in einem Artikel im Sommer 2013 das jüdische Rückkehrrecht als zentralen Bestandteil der Konzeption Israels als jüdischem Staat in Frage stellte.

Auf dem Israelkongress wurde dem DGB-Vorsitzenden und Vorsitzenden des Internationalen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, der Arno-Lustiger-Ehrenpreis verliehen. Sommer ist ein außerordentlich engagierter und kämpferischer Freund Israels, was auch in seiner Dankesrede deutlich wurde, wo er sich gegen Boykottaufrufe gegen israelische Waren aussprach und auch betonte, dass er innerhalb der Gewerkschaftsbewegung nicht selten konfrontativ den Israelfeinden begegnen muss. Doch sicherlich hätte Michael Sommer diesen bedeutenden Preis auch in Gegenwart von mehr pro-israelischen Wissenschaftlern, Intellektuellen, Linken, Liberalen, Gewerkschaftern und Ungläubigen und weniger deutschnationalen Christen oder äquidistanten Parteienvertretern oder Stiftungsfunktionären entgegen genommen. Auch das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus aus Berlin lädt immer wieder Politiker_innen ein und verspricht sich davon irgendwelche Resultate. Es geht immer um Floskeln und wohlfeile Worte. Analyse und Kritik, wissenschaftliche gar, ist selten willkommen.

Folklore, kochen und geschwätzig moderieren wird gegen Antisemitismus nichts ausrichten können, so gut das auch gemeint sein mag. Israelisch kochen muss niemand davon abhalten, gegen den jüdischen Staat Israel anderweitig aktiv zu sein. Kulturalismus versus Ideologiekritik? Primär muss es um eine Kritik der Forschung und der politischen Kultur gehen, ansonsten wird es darauf hinauslaufen, Parallelwelten zu haben, die am politischen Klima wenig bis gar nichts ändern werden.

Was dieses Land bzw. Europa und der Westen braucht sind Leute die öffentlich kritisieren, dass und warum dieses Land oder ganz konkrete einzelne Unternehmen etc. mit gefährlichen Regimen kooperieren oder warum seit Jahren problematische NGOs Steuergelder der deutschen Bundesregierung (via die Parteienstiftungen z.B.) und anderer deutscher Einrichtungen erhalten oder warum Zentren für Antisemitismusforschung und Jüdische Museen antiisraelische Redner oder den Antisemitismus diminuierende jungdeutsche Forscher einladen oder beschäftigen. Das Jüdische Museum geht soweit wie viele den Holocaust und die Vorgeschichte des Holocaust verharmlosende Ideologen und behauptet, den Muslimen von heute würde es durchaus so gehen wie den Juden in den 1930er Jahren während des Nationalsozialismus, so der Direktor dieses weltweit seit längerem in die Kritik geratenen Museums, Michael Blumenthal.

Diese Zentren, Museen, NGOs oder postkolonialen, multikulturalistischen, post- bzw. antizionistischen Events und Forscher_innen werden sich weder durch christliche Gebete, Start-Up-Unternehmen im Bereich Hirnforschung oder IT-Technologie und auch nicht durch köstlichen Matsch aus dem Toten Meer oder Rotwein von den Golanhöhen irritieren lassen. Eine Kritik gerade der Aktivitäten des Jüdischen Museums Berlin, das pars pro toto für das gesamte links-deutsche kulturelle Establishment in der BRD steht, wäre enorm wichtig gewesen auf einem pro-israelischen Kongress.

Besonders abstoßend war das Auftreten von evangelikalen Missionaren im Umfeld des „Marsch des Lebens“, der von der Tübinger Offensiven Stadtmission (TOS) 2007 initiiert wurde. Die TOS schreibt über sich selbst: „Die TOS bekennt sich zu Gott, dem Vater, zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes als Retter und Herrn der Welt, und zum Heiligen Geist.“ Diese zwischen Lachhaftigkeit und Antijudaismus oszillierende Ideologie, die den Holocaust in seinen unerträglichen „Märschen fürs Leben“ benutzt um christliche „Gnade“, „Versöhnung“, ja „Heilung“ und „Jesus Christus“ als Herr und Retter zu propagieren, wurde wie selbstverständlich auf dem Israelkongress und der Kongressbroschüre promotet und goutiert.

Es braucht weiterhin einen Raum, wo die wissenschaftliche und politische Analyse und Kritik des Antisemitismus bundesweit ein Forum bekommt.



[i] Es wurden folgende Stiftungen und Einrichtungen bezüglich ihrer Unterstützung von NGOs in Israel bzw. den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde untersucht:

Political Foundations:

 

Rosa Luxemburg Stiftung

Heinrich Böll Stiftung

Friedrich Ebert Stiftung

Willy Brandt Center Jerusalem

Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF)

Konrad Adenauer Stiftung

Hans-Seidel-Stiftung

 

Independent Development NGOs

 

Medico International

 

Church organizations

 

Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst

MISEREOR

 

Governmental organizations

 

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ)

Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) Remembrance, Responsibility and Future

Institute for Foreign Cultural Relations (IFA).”

Jakob – der Liebling der deutschen Volksgemeinschaft

 

Ein Wintermärchen, 2013

Auch ohne Schnee und Sonnenschein kuschelt das Land wieder, Anfang Januar 2013, es ist wie im Wintermärchen: Deutschland kennt keine Parteien mehr und nur noch Deutsche. Die Volksgemeinschaft im Jahr 2013 stellt sich hinter einen Journalisten, der auf Platz 9 der berüchtigtsten Antisemiten unserer Welt bzw. in die Top Ten der aus Sicht des Simon Wiesenthal Centers (SWC) „erwähnenswertesten antisemitischen respektive antiisraelischen Verunglimpfungen des vergangenen Jahres“ geraten ist. Was stört die Deutschen am meisten daran? Der Antisemitismus des Jakob Augstein und die Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung Israels? Das Schweigen der Augsteins dieser Welt über die wirklichen Gefahren und Kriege auf dieser Welt?

Oder stört eher die Kritik am Antisemitismus und an Deutschland? Lassen wir das „gesunde Volksempfinden“ zu Wort kommen:

„Mich interessieren nur die Macht-Mechanismen, die Broder mit seiner Empfehlung offenlegt: Wie kann eine Institution wie das Wiesenthal-Zentrum, das als seriös bewertet wird und großen politischen Einfluß besitzt, die persönliche Antipathie einer Revolverschnauze aufgreifen und aus der eigenen Arbeit eine Karikatur machen? Wird durch die Nominierung Augsteins nicht die ganze Liste überdeutlich zu dem, was sie wohl zuvor schon war: eine Farce?“

Von wem ist dieses Zitat? Von Christian Bommarius und der Frankfurter Rundschau, die Broder lieber im Knast oder Schlimmerem sähe denn als Bürger in Freiheit, von Juliane Wetzel vom sog. „The German Edward Said Center for Holocaust distortion and post-colonial Antisemitism“ an der Technischen Universität (Zentrum für Antisemitismusforschung, ZfA),  vom evangelischen Antisemitismusverharmloser Klaus Holz, dem Deutschlandradio und WDR5 und seiner Journalistin Liane von Billerbeck („Berlinerin mit ausgeglichener Klimabilanz, zwei erwachsenen Kindern, dem Hang zu märkischen Seen und Dichterfürsten“), vom Deutschen Journalistenverband (was soll man von dem auch sonst erwarten?), von Michael Wolffsohn, der Antisemitismus als eher läppischen und harmlosen „Unsinn“ umetikettiert und womöglich das Ansehen Deutschlands gefährdet sieht wenn Augstein wahrheitsgetreu kategorisiert wird, immerhin ist Augstein der anerkannte Sohn eines der seinerzeit mächtigsten Medienmänner, Rudolf Augstein, der mit Herzblut alten SS- und anderen Nazimännern im Spiegel Unterschlupf bot, sowie der leibliche Sohn von Martin Walser, dessen antisemitische Paulskirchenrede im Oktober 1998 die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und die Jagdsaison auf jene, die erinnern, zumal Juden, inoffiziell in der Frankfurter Paulskirche eröffnete;

oder ist das obige Zitat von der ex-Weinkönigin und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Julia Klöckner, ihrem Kollegen im Geiste, Gregor Gysi von der antizionistischen Partei Die Linke, dem Journalisten Michel Friedman, für den weder Augstein noch Günter Grass auf so eine Liste gehören, oder doch eher von der konservativen Zeitung für Deutschland (FAZ), ihrem Feuilletonchef Nils Minkmar oder auch ihrem Interviewpartner, einem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn, der  Augstein zwar so gut wie noch nie gelesen hat, aber sicher weiß, dass er zu Unrecht auf diese Liste des Simon Wiesenthal Centers gehört. Oder ist das repräsentative Zitat gar, Gottseibeiuns, von der jungen Welt, dem Neuen Deutschland, der taz, dem Freitag oder dem Vorzeige-Journalisten der ZEIT in solchen Fragen, Jörg Lau?

Nein, obiges Zitat ist von Götz Kubitschek, Autor der neu-rechten Postille Sezession, Geschäftsführer des Antaios Verlages, Co-Gründer des neu-rechten Instituts für Staatspolitik und ex-Redakteur der ebenso neu-rechten Jungen Freiheit. Selbst der Bundeswehr war sein Treiben zu bunt und er wurde 2001 vorübergehend wegen „rechtsextremistischen“ Aktivitäten entlassen. Kubitschek ist ein in der extrem rechten Szene beliebter Netzwerker, der im Oktober 2012 ein von bis zu 700 Leuten besuchtes Treffen (inklusive Politically Incorrect, PI) – „Zwischentag“ – organisierte.

Am 3. Januar 2013 stellte sich Kubitschek hinter Jakob Augstein und pries ein Büchlein an, das im Februar 2013 in seinem Verlag erscheinen soll:

„Günter Scholdt Vergeßt Broder! Sind wir immer noch Antisemiten? 96 seiten, gebunden, 8.50 € Schnellroda 2013.“

Der neu-rechte Aktivist Felix Strüning bewarb Kubitscheks extrem rechtes Netzwerk-Treffen im Oktober 2012 und lobt auch ein Antaios-Buch von Manfred Kleine-Hartlage, „Warum ich kein Linker mehr bin.“ Im selben Verlag erscheint auch einer der Superhelden der anti-muslimischen Liga, der norwegische Blogger Fjordman, der alle Muslime aus dem Westen schmeißen möchte, und zwar gründlich und langfristig (schrieb er im Dezember 2010). Antisemitismus, deutscher oder norwegischer Nationalismus, fast immer christlich grundiert, sowie Hass auf Muslime geben sich die Hand im Antaios-Verlag, der auch die Wehrmacht lobt und preist in ihrem „präventiven“ Krieg gegen die Sowjetunion, wie ein weiterer Titel dieser Propagandaschmiede verspricht. Schließlich, auch das ist Mainstream, wird der Antisemit und Käferaufspießer Ernst Jünger in diesem Verlag gefeiert.

Der Antisemitismus der rechten Szene (von neu-rechts bis rechtspopulistisch und rechtsextrem, je nach Lust und Laune soziologischer Differenzierung oder Appetit auf politikwissenschaftlichen Jargon) wird in dieser Hetze gegen Broder salonfähig. Denn obiges Zitat hätte von jedem anderen Augstein-Verteidiger kommen können. Nicht Augstein sei der Skandal, sondern Kritik am deutschen Antisemitismus, den der Sohn Martin Walsers gleichsam Pars pro toto verkörpert. Alle fühlen sich in Deutschland getroffen vom Simon Wiesenthal Center und kuscheln, von ganz links bis extrem rechts und mittendrin, wie im Wintermärchen.

 

Von Weimar nach Berlin – Antisemitismus vor Auschwitz und im Jahr 2012

Von Susanne Wein und Clemens Heni

 

Das Jahr 2012 ist so dicht an antisemitischen Ereignissen, dass ein vorgezogener Jahresrückblick lohnt. Das Jahr zeigt wie flexibel, vielfältig, codiert und offen sich Antisemitismus äußern kann. Drei Forschungsfelder seien hier knapp vorgestellt, um schließlich ein besonders markantes und schockierendes Beispiel von 2012 mit einem Fall aus dem Jahr 1925 zu vergleichen.

1)     Holocaustverharmlosung.

Im Januar wurde in Leipzig bekannt gegeben, dass der amerikanische Historiker Timothy Snyder den Leipziger Buchpreis 2012 erhalten wird.

Snyder hat 2010 das Buch Bloodlands publiziert, worin er leugnet, dass der Holocaust ein spezifisches Verbrechen war, ohne Vergleich in der Geschichte. Vielmehr konstruiert der „Genozid“-Forscher, der dem sog. spatial-turn folgt (eine Modeerscheinung der Kulturwissenschaft, die den Raum als zentrale Größe postuliert), einen Raum in Osteuropa zwischen dem Baltikum und der Ukraine, den er Bloodlands nennt und in dem zwischen 1932 (!) und 1945 ca. 14 Millionen Menschen starben bzw. ermordet wurden. Hitler und Stalin sind für ihn gleich schlimme historische Figuren. Snyder bemüht die veraltete Great Man Theory und hat keinen Blick für die sehr ausdifferenzierte Forschung zum Nationalsozialismus und zum Holocaust.

Vielmehr kooperiert er mit dem litauischen Staat und unterstützt eine dortige, weltweit in Misskredit geratene historische Kommission, die die Verbrechen von Hitler und Stalin wiederum gleichsetzt. Dramatisch ist, dass selbst die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und ihr wissenschaftliches Personal in Person der neuen Chefhistorikerin Dina Porat  mit dieser Kommission in Litauen kooperiert, was zu scharfen Protesten von Holocaustüberlebenden führte.

Kurz gesagt: Timothy Snyder ist ein geistiger Enkel Ernst Noltes, er möchte die Deutschen entschulden und die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz verwischen oder leugnen. Historiker wie Omer Bartov (Brown University), Dan Michman (Yad Vashem) oder Jürgen Zarusky (Institut für Zeitgeschichte, München) haben Snyder dezidiert kritisiert. Der Jiddisch-Forscher Dovid Katz dokumentiert und analysiert seit Jahren den Antisemitismus in Osteuropa, insbesondere in Litauen, auch er hat sich intensiv mit Snyders Bloodlands befasst und zeigt, warum extrem rechte Kreise in Osteuropa Snyder feiern.

Die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten im März 2012 verstärkt die Holocaustverharmlosung, da Gauck die „Prager Deklaration“ vom Juni 2008 unterzeichnet hat, die – ganz im Sinne von Snyder – rot und braun gleichsetzt und die Verbrechen des Holocaust trivialisiert. Die Unterzeichner wollen als gesamteuropäischen Gedenktag den 23. August (der Tag des Ribbentrop-Molotow Paktes von 1939) etablieren und schmälern damit implizit die Bedeutung des Holocaustgedenktages am 27. Januar, wenn sie diesen Gedenktag nicht sogar ganz abschaffen wollen. Gauck sprach zudem 2006 davon, dass jene, die die Einzigartigkeit des Holocaust betonen, nur einen Religionsersatz suchen würden. Auch Neonazis, Holocaustleugner, manche christliche Aktivisten, Forscher oder auch Autoren der tageszeitung (taz) frönen einer solchen Sprache und reden von der „Holocaust-Religion“ oder einer „Pilgerfahrt“, wenn es um Auschwitz geht. Ohne den Dammbruch durch Martin Walsers Paulskirchenrede von Oktober 1998 wäre das alles nicht so ohne Weiteres im Mainstream der deutschen Gesellschaft denk- und sagbar.

2)     Antizionismus.

Der zweite Aspekt des Antisemitismus ist der seit der zweiten Intifada im September 2000 und nach dem islamistisch motivierten Massenmord vom 9/11 weltweit bei den wenigen Kritikern im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende antizionistische Antisemitismus bzw. die Israelfeindschaft.

Am 4. April 2012 publizierte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass in der größten deutschen Tageszeitung (nach der Boulevardzeitung BILD), der Süddeutschen Zeitung aus München, ein Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“. Darin schreibt der deutsche Denker:

„Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“

Nicht der Iran droht Israel mit Vernichtung, die Juden („Atommacht Israel“) seien die Gefahr. Diese Leugnung der Wirklichkeit, die Derealisierung, Schuldprojektion und die Schuldumkehr sind ein typisches Muster des neuen oder Post-Holocaust Antisemitismus. Israel gefährde den Weltfrieden und nicht der „Maulheld“ Ahmadinejad, wie er vom deutschen Dichter verniedlichend genannt wird; dabei haben die Verharmlosung der iranischen Gefahr bzw. das klammheimliche Liebäugeln mit dem vulgären, iranischen, islamistischen aber natürlich auch dem arabischen Antisemitismus Konjunktur. Die Diffamierung Israels ist auch unter deutschen Wissenschaftlern, Journalisten, Politikern, NGO-Aktivisten und der Bevölkerung gern gesehen. Die ARD jedenfalls war von Grass so begeistert, dass der Tagesthemen-Anchorman Tom Buhrow ein Exklusivinterview mit dem Schriftsteller führte und tags darauf Grass das Gedicht in der ARD vortragen durfte.

Das wird ergänzt durch die Verleihung des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt am Main am 11. September 2012 an die amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Judith Butler von der University of California in Berkeley. Butler ist als antiisraelische Agitatorin weltweit berüchtigt, wenn sogar der Präsident der Harvard University im Jahr 2002, Lawrence Summers, unter anderem sie meinte als er den Hass auf Israel und die Boykottaufrufe gegen den jüdischen Staat thematisierte. Butler steht für einen Antizionismus, der sich in der Tradition von Martin Buber und Hannah Arendt verortet und die Gründung eines explizit jüdischen Staates (der zudem so tolerant ist und 20% Araber und Muslime und andere zu seiner Bevölkerung zählt) ablehnt. Mit fast vollständig homogenen islamischen Staaten wie Saudi-Arabien, Iran oder Jordanien und ihren antidemokratischen, homophoben und misogynen politischen Kulturen hat Butler selbstredend kein Problem. Die Wochenzeitung Die Zeit publizierte gar einen Text der BDS-Unterstützerin Butler und unterstützt somit den Aufruf zum Boykott Israels. Früher wäre das fast nur in der jungen Welt oder der Jungen Freiheit propagiert worden, doch längst sind solche antisemitischen Positionen Mainstream.

Eine Vertraute und Freundin von Butler, die Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib (Yale University) wurde 2012 in Deutschland ebenfalls geehrt. Sie erhielt am 8. Mai den Dr. Leopold Lucas-Preis der Universität Tübingen für ihren Einsatz für Hospitalität und „universelle Menschenrechte“ – auch dieser Preis ist mit 50.000€ dotiert, was ja von der schwäbischen Alma Mater freundlich ist, wenn man bedenkt, wie schlecht bekanntlich die Yale University ihre Professoren bezahlt. Benhabibs Vorbilder sind Immanuel Kant („Der Ewige Frieden“ von 1795) und Hannah Arendt. Die problematischen Aspekte dieser Art von Kosmopolitanismus oder vielmehr die anti-israelische Dimension bei Arendt,  kehren bei Benhabib verstärkt wieder. 2010 diffamierte sie Israel  indem sie es mit der südafrikanischen Apartheid und mit den „1930er Jahren in Europa“ (sie erwähnt den Slogan „Eine Nation, Ein Land, Ein Staat“ und spielt offensichtlich auf Nazi-Deutschland an) verglich – während selbstverständlich auch sie den Jihadismus z.B. der Gaza Flottille ignorierte und ihn bis heute ausblendet. Dies sind die eigentlichen Gründe für die Ehrungen und den Beifall aus Deutschland für Personen wie Butler und Benhabib. Kritik an Arendt, Kant und der europäischen Ideologie (wie sie auch Jürgen Habermas vertritt) eines Post-Nationalstaats-Zeitalter, wie sie von dem israelischen Philosophen Yoram Hazony bekannt ist, wird in Deutschland entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder abgewehrt.  Aufgegriffen und promotet wird sie höchstens von problematischen, nicht pro-israelischen, vielmehr deutsch-nationalen, rechten und konservativen Kreisen wie der Zeitschrift Merkur (dessen Autor Siegfried Kohlhammer den Islam mit seinen Dhimmi-Regelwerken für Nicht-Muslime schlimmer findet als den Nationalsozialismus und die Nürnberger Gesetze, und der zudem gegen Israel argumentiert).

3)     Antijudaismus.

Diese älteste Form des Antisemitismus spielt auch im nachchristlichen Zeitalter eine zunehmende Rolle. 2012 tritt ein in seiner Vehemenz seit 1945 ungeahnter und ohne Vergleich dastehender Angriff auf Juden und das Judentum auf: Hetze gegen die Beschneidung und religiöse Rituale. Alles, was Juden im Post-Holocaust Deutschland dachten, als selbstverständlich annehmen zu können, steht jetzt in Frage: Juden als Juden werden hinterfragt. Wie im Holocaust sollen männliche Juden die Hosen runter lassen, damit die arischen Deutschen nachschauen, ob er ein Jude ist oder nicht; sie durchleuchten Juden auf ihre Gesundheit, sexuellen Praktiken und Fähigkeiten und finden diese Art von Zurschau-Stellung von Juden notwendig und emanzipatorisch. Heute wird diese antijüdische Propaganda nicht unter dem Schild der SS oder der Wehrmacht durchgeführt, nein: heute geht es um „Kinderrechte“ und die angebliche Freiheit, nur als nicht-beschnittener Mann im Erwachsenenalter über die Religionszugehörigkeit entscheiden zu können.

Am 7. Mai 2012 befand das Kölner Landgericht in einem die politische Kultur in Deutschland für immer verändernden Urteil die Beschneidung von Jungen als gegen „dem Interesse des Kindes“ stehend und somit als nicht vertretbar. Die Beschneidung von jüdischen Jungen am achten Tag bzw. die Beschneidung von muslimischen Jungen im Alter zwischen 0 und 10 Jahren, sei somit nicht legal. Ein deutsches Gericht urteilt über das Judentum, das die Beschneidung vor über 4000 Jahren einführte. Der Volksgerichtshof des Nationalsozialismus hätte seine Freude gehabt an diesem 7. Mai 2012. 600 Ärzte und Juristen, angesehene normale Deutsche, agitierten sodann unter Federführung des Mediziners Matthias Franz von der Universität Düsseldorf am 21. Juli 2012 in einem Offenen Brief in der Zeitung für Deutschland (Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ) gegen die Beschneidung und forderten politische und rechtliche Konsequenzen aus dem Kölner Urteil. Selbst pro-israelische Aktivisten zeigen nun ein ganz anderes Gesicht und machen sich über das Judentum lustig. Offenbar hatten diese Leute schon immer ein Israel ohne Judentum im Sinn. Die Zeitschrift Bahamas

aus Berlin folgte dem Ruf aus Köln, der FAZ und dem Zeitgeist und sprach sich gegen eine Kundgebung für Religionsfreiheit/für die Beschneidung aus und forderte ihre 23 oder 34 Anhänger auf, dieser ohnehin kleinen Manifestation vorwiegend deutscher Jüdinnen und Juden am 9. September 2012 in Berlin fern zu bleiben, da sie „den kulturellen und religiösen Traditionen von Kollektiven grundsätzlich misstraut“. Autoren dieses Sektenblattes wie Thomas Maul und Justus Wertmüller bezeichnen die Beschneidung als „archaisch“ und diffamieren dadurch mit Verve das Judentum. Derweil kringeln sich die Neonazis, die NPD und autonome Nationalisten, da doch der deutsche Mainstream das Geschäft des Antisemitismus (bis auf die Verwüstungen jüdischer Friedhöfe und von Gedenktafeln, bis heute eine typisch neonazistische Form des Antisemitismus) übernommen hat. Die Wochenzeitung jungle world 

mit ihrem Autor Thomas von der Osten-Sacken machte gegen die Beschneidung mobil und stellte Bezüge zur kriminellen Klitorisverstümmelung bei Mädchen, der Female genital mutilation (FGM), her. Sein Kollege Tilman Tarach war auf Facebook nicht weniger obsessiv dabei,

die Beschneidung und somit das Judentum zu schmähen. Eine Internetseite, Politically Incorrect (PI), die aus dem Umfeld von Parteien wie Die Freiheit, der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE), der Pro-Bewegung und anderen Gruppierungen der extremen Rechten oder des Rechtspopulismus kommt, droht Juden:

„Wenn sich aber jüdische Verbände und Organisationen beispielsweise so an die uralte Vorschrift der Beschneidung klammern, zeigen sie damit, dass sie sich in diesem Punkt nicht vom Islam unterscheiden. So etwas können wir nach meiner festen Überzeugung in unserem Land nicht zulassen.“

Die Giordano Bruno Stiftung (GBS) mit ihrem Vorbeter Michael Schmidt-Salomon (übrigens sitzt Hamed Abdel-Samad im wissenschaftlichen Beirat der GBS),

die Deutsche Kinderhilfe, Evolutionäre Humanisten Berlin Brandenburg e.V., der Zentralrat der Ex-Muslime, die Freidenkervereinigung der Schweiz, der pflegeelternverband.de und einige andere Organisationen und Gruppen agitieren besonders aggressiv gegen Juden (und Muslime) und starten im Herbst 2012 die perfide Anzeigenkampagne

„Mein Körper gehört mir“. Zu sehen ist das Bild eines Jungen, der sich völlig verängstigt in den Schritt fasst und darunter steht: „Zwangsbeschneidung ist Unrecht – auch bei Jungen.“ Damit wird nicht nur die kriminelle und zumal islamistische Praxis der Klitorisverstümmelung mit der harmlosen Beschneidung von Jungen gleichgesetzt, vielmehr wird in Stürmer-Manier gesagt: vor allem das Judentum basiert auf Unrecht! Hieß es 1879 bei Heinrich von Treitschke „Die Juden sind unser Unglück“, was zu einem der Propagandasprüche des Nationalsozialismus avancierte, so wird im Jahr 2012 von Atheisten, Positivisten und anderen Aktivisten (die sich teils anmaßend Humanisten nennen) die Beschneidung als das Unglück für Kinder dargestellt oder Juden (und Muslime) gar als Kinderschänder diffamiert. Das liest sich wie eine post-christliche Version der Blutbeschuldigung, der antisemitischen Blood Libel.

Der Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel, Alfred Bodenheimer, ist zutiefst schockiert über den Anti-Beschneidungsdiskurs und hat im Sommer 2012 ein kleines Büchlein dazu verfasst: „Haut-Ab! Die Juden in der Besschneidungsdebatte“ (Göttingen: Wallstein). Darin analysiert er:

„Aus christlich-theologischer Sicht war die Kreuzigung ein sehr ähnliches Vergehen wie das Beschneiden der Kinder aus der heutigen säkularen: Denn die Taufe als unmittelbare Partizipation des einzelnen Gläubigen an der Kreuzigung Christi (und der damit verbundenen Sündenvergebung) machte letztlich jeden Getauften zum partiell von den Juden Gekreuzigten ­– und damit jenes Ereignisses, in dem gerade Paulus die Beschneidung aufgehoben hatte. Der säkulare Ausgrenzungsdiskurs folgt dem christlichen auf dem Fuße, er ist kultur- und mentalitätsgeschichtlich so leicht abrufbar, dass insbesondere den dezidierten Säkularisten die Ohren sausen dürften, wären sie sich der Sensoren gewahr, die ihren Furor geweckt haben. Der säkularistische Anspruch, Gleichheit in allen Belangen zur Ausgangslage eines frei auslebbaren Individualismus zu machen, trägt mehr vom Paulinischen Universalismus in sich (dessen Gegenbild die auf defensiver Differenz bestehenden Juden waren), als dem Gros seiner Vertreter klar ist.“ (ebd., 58f.)

Die Internetseite HaOlam mit ihrem Vertreter Jörg Fischer-Aharon, die sich jahrelang als pro-israelisch gab, hat den Anti-Beschneidungsvorkämpfer Schmidt-Salomon exklusiv interviewt und macht damit Werbung für obige Anzeigenkampagne.

Manche Organisationen, die häufig mit HaOlam bzw. deren Umfeld und vielen anderen aus der nie näher definierten „pro-Israel-Szene“ kooperierten, werden ins Grübeln kommen.

Sei es Ressentiment auf Religion oder kosmopolitisch inspirierte Universalität, jedenfalls wird mit bestem Gewissen jedwede Partikularität – wie die des jüdischen Staates Israel und des Judentums, inklusive seiner religiösen Traditionen, die auch von nicht-gläubigen Juden mit überwältigender Mehrheit praktiziert werden – abgelehnt.

Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz, Obszönität und Dreistigkeit ausgerechnet deutsche Areligiöse,  Christen, selbsternannte Israelfreunde und „Antifas“ sich de facto zu den islamistischen und neonazistischen Judenfeinden gesellen und völlig geschichtsvergessen das Nachdenken einstellen.

Kaum jemand hat heute in Deutschland noch Beißhemmungen wenn es um Juden geht.

Dieser hier skizzenhaft aufgezeigte neu-alte Antisemitismus zeigt sich in dramatischer Form in vier antisemitischen Vorfällen in wenigen Wochen bzw. Tagen allein in Berlin:

  • Am 28. August 2012 wurde in Berlin-Friedenau am helllichten Tag der Rabbiner Daniel Alter von mehreren vermutlich arabischen Jugendlichen und Antisemiten krankenhausreif geschlagen. Er trug eine Kippa und wurde gefragt, ob er Jude sei. Das „Ja“ führte zu einem Jochbeinbruch und Todesdrohungen gegen seine 6-jährige Tochter. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt.
  • Am 3. September wurde gegen 10 Uhr vormittags eine Gruppe von jüdischen Schülerinnen vor der Carl-Schuhmann-Sporthalle in der Schlossstraße in Berlin-Charlottenburg von vier ca. 15-16-jährigen Mädchen muslimischer Herkunft (eine der Antisemitinnen trug ein Kopftuch) diffamiert und u.a. als „Judentussen“ beleidigt.
  • Am höchsten jüdischen Feiertag, Yom Kippur, am Mittwoch, den 26. September 2012, rief Esther Dobrin aus Berlin gegen 11 Uhr ein Taxi, um mit ihrer 11-jährigen Tochter und zwei weiteren Personen zur Synagoge in die Pestalozzistraße zu fahren. Der Taxifahrer verhielt sich reflexhaft feindselig, als der genaue Bestimmungsort als „Synagoge“ benannt wurde; er warf die vier Fahrgäste sozusagen aus dem Wagen.
  • Wenig später, gegen 18 Uhr an diesem 26. September, wurden drei andere Juden in Berlin verbal attackiert. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, kam gerade mit seinen beiden Töchtern im Alter von 6 und 10 Jahren von der Synagoge, ebenfalls in Charlottenburg, unweit des Kurfürstendamms, als er offenbar wegen eines klar ersichtlichen jüdischen Gebetsbuches beleidigt wurde. Im Laufe eines aggressiven Wortgefechts hat Kramer nicht nur die Polizei zu Hilfe gerufen, vielmehr auch auf seine Waffe gezeigt, die er seit acht Jahren zum Selbstschutz und als ausgebildeter Sicherheitsbeauftragter bei sich trägt. Die Polizei hat nun zwei Anzeigen zu bearbeiten, Kramer zeigte die Beleidigungen des Antisemiten an, während derselbe Kamer wegen Bedrohung anzeigte, wozu er, nach unbestätigten Informationen,  von der Berliner Polizei durchaus ermutigt worden war.

Kramer kennt die Zusammenhänge des GraSSierenden Antisemitismus in Deutschland und weiß, dass sich die geistigen Zustände und Debatten in gewalttätigen Straßenantisemitismus entladen können – darum ist er bewaffnet. Welche zwei komplett disparaten Lebensrealitäten – eine jüdische und eine nicht-jüdische – werden von nichtjüdischen Deutschen tagtäglich stillschweigend hingenommen? Wie fühlt es sich an, ständig in den Einrichtungen der eigenen Religion/Gruppe, Kindergarten, Schule, Synagoge etc. unter Polizeischutz stehen zu müssen?

1925, einige Jahre vor NS-Deutschland, im demokratischen Rechtsstaat der Weimarer Republik passierte in Stuttgart Folgendes:

„An einem Sonntag im November 1925 las der Kaufmann Ludwig Uhlmann in der Gastwirtschaft Mögle Zeitung und trank ein Bier. In provozierender Absicht beleidigte ihn der am Nachbartisch sitzende Franz Fröhle mit spöttischen Bemerkungen und ließ mehrfach die Bezeichnung ‚Jude Uhlmann‘ fallen. Dieser reagierte nicht. Daraufhin sagte Fröhle: ‚Was will der Judenstinker hier, der Jude soll heimgehen‘, was Uhlmann sich verbat. Als die Pöbeleien anhielten, zog Uhlmann eine Pistole, mit der Bemerkung, dass Fröhle damit Bekanntschaft machen könne, falls er nicht aufhöre. Schließlich setzten der Wirt und die Polizei den Beleidiger vor die Tür. Die Staatsanwaltschaft beantragte nicht nur einen Strafbefehl gegen Fröhle wegen Beleidigung in Höhe von 50 RM Geldstrafe, sondern auch einen gegen Uhlmann wegen Bedrohung und abgelaufenen Waffenscheins. Bei der Hauptverhandlung des Amtsgerichts wurde er zwar von der Anklage der Bedrohung freigesprochen, aber wegen der Bagatelle des abgelaufenen Waffenscheins von wenigen Monaten zu einer Geldstrafe von 30 RM verurteilt.“ (Martin Ulmer (2011): Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Berlin: Metropol, S. 350)

 

Dieses Schlaglicht zeigt die Normalität antisemitischer Beleidigungen, die in der deutschen politischen Kultur bereits damals, wie sich an unzähligen Beispielen aufzeigen lässt, tief verankert und sedimentiert war.

Heute nun, im Jahr 2012, über 67 Jahre nach dem Holocaust und Auschwitz – welch ein Unterschied ums Ganze! –, müssen sich Juden wieder bewaffnen. Sie sind fast täglich Angriffen, Beleidigungen und Hetzkampagnen ausgesetzt und es kann sich eine Szene abspielen, die der in einer Stuttgarter Kneipe von 1925 gruselig ähnelt.

 

Auf der einen Seite haben wir diese Vorfälle aus dem Jahr 2012 und insbesondere die „Beschneidungsdebatte“ mit all ihren antisemitischen Internet-Kommentaren -und Forenbeiträgen, die einen an Max Liebermanns Ausspruch zum 30. Januar 1933 denken lassen. Auf der anderen sucht man vergebens die arrivierten Antisemitismusforscherinnen und -forscher, die sich der skizzierten Forschungsfelder annehmen. Werner Bergmann schrieb 2011 in einer Festschrift für einen Kollegen:

„Im historischen Vergleich mit der Zeit vor 1945, aber auch in den letzten 60 Jahren in Deutschland […] war Antisemitismus gesamtgesellschaftlich wohl selten so sehr an den Rand gedrängt wie heute.“

Antisemitismus ist in Deutschland nicht erst, aber insbesondere im Jahr 2012 gesamtgesellschaftlich so weit verbreitet wie vielleicht noch nie seit 1945.

 

 

Susanne Wein ist Historikerin und promovierte im September 2012 an der Freien Universität Berlin  mit einer Arbeit über „Antisemitismus in der politischen Kultur der Weimarer Republik. Eine Untersuchung anhand der Debatten im Reichstag“.

Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und promovierte im August 2006 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit einer Arbeit über die „Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970 – 2005: Henning Eichberg als Exempel“.

Laudatio für Judith Butler wird von einer antiamerikanischen Verharmloserin des Nationalsozialismus und des Holocaust gehalten: Eva Geulen

Von Dr. Clemens Heni

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Am 11. September 2012 wird der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt verliehen. An diesem Tag im Jahr 1903 wurde Theodor W. Adorno geboren. Was liegt nun näher, für ganz normale Deutsche, als an diesem Tag, dem 11. Jahrestag des islamistisch motivierten Massenmordes von 9/11, eine antiamerikanische, den Holocaust und den Nationalsozialismus verharmlosende Frau die Laudatio auf die Israelhasserin Judith Butler, die sich als zärtliche Freundin von Seyla Benhabib, Martin Buber und Hannah Arendt vorstellt und Israel im Sinne eines (deutsch-jüdischen) „kulturellen Zionismus“ zerstört wissen möchte, halten zu lassen?

Eva Geulen heißt die Laudatorin

 

und in meinem Buch Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11 schrieb ich über sie. 

 

Sie hat ein Büchlein zur Einführung in das Denken des italienischen Philosophen Giorgio Agamben geschrieben. Darin wendet sie sich wie der modische Vorzeigeverniedlicher des Nationalsozialismus im Suhrkamp-Verlag gegen „biopolitische Interventionen im Alltag“ und findet es total angemessen mit der „Auschwitz-Insinuation“ herum zu fuchteln. Daher schrieb ich also im August 2011:

2004 wurde deutlich, wie Antiamerikanismus, eine Verharmlosung des Antisemitismus sowie die Rede vom ubiquitären ‚Lager‘ bei Agamben jeglichen Realitätsbezug vermissen lassen. Denn ein Buch der Literaturwissenschaftlerin Eva Geulen[i] zur Einführung in das Denken Agambens stellt sich unverhohlen hinter diesen modischen, antimodernen und antisemitischen Vordenker. Es ist eine typische Antwort heutiger Gegenintellektueller auf den Islamismus und den 11. September. Ein Gegenintellektueller ist in der Tradition der Mandarine zu sehen, also der früheren chinesischen Berater des Kaisers. Gegenintellektuelle wenden sich gegen Herrschaftskritik und Gesellschaftsanalyse im aufklärerischen Sinn, eher stehen sie für Gegenaufklärung und Restauration.[ii] Viele Wissenschaftler und von der Öffentlichkeit als „Intellektuelle“ wahrgenommene Personen sind eher Gegenintellektuelle, so kritisch sie sich auch gerieren mögen. Ein antiwestliches Ressentiment ist häufig grundlegend, so etwa die Diffamierung der USA als eine Art ‚Nazi-Land‘ bei Agamben; seine Verteidigerin Eva Geulen kokettiert damit:

„Viel Ärger und viel Lob hat sich Agamben eingehandelt, als er unter skandalträchtigem Verweis auf die Tätowierung von KZ-Häftlingen im Frühjahr 2004 eine Gastprofessur an der New York University nicht antrat, weil er sich exemplarisch und öffentlich der von den USA nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 von allen Einreisenden verlangten Abnahme eines DNA-Fingerabdrucks verweigerte (wer im Besitz einer green card ist, hat ihn längst hinterlegt). (…) Ihm einen direkten Vergleich zwischen der Immigrationszone des New Yorker Kennedy-Flughafens und einem Konzentrationslager zu unterstellen ist offensichtlich verfehlt. Schockiert könnte man sich aber darüber zeigen, dass wir uns an biopolitische Interventionen im Alltag offenbar schon so sehr gewöhnt haben, dass es der Auschwitz-Insinuation bedarf, um die Lethargie zu unterbrechen. Was in solchen Räumen geschieht, ist nicht mehr rechtlich abgesichert, sondern hängt ‚von der Zivilität und dem ethischen Sinn der Polizei‘ ab, die vorübergehend in solchen Räumen als Souverän agiert.“[iii]

Es ist antisemitisch, eine Kontinuität von den Lagern und den KZs hin zu vergleichsweise harmlosen DNA-Fingerabdrücken im 21. Jahrhundert zu imaginieren. Letztere sind zudem als Reaktion auf den von Islamisten verübten Massenmord im World Trade Centereingeführt worden. Die Forschung redet jedoch lieber von „Bio-Politik“ statt von antimodernem Islamismus.

Wurde das Gedenken an Theodor W. Adorno jemals so sehr in den Dreck gezogen wie am 11. September 2012 in Frankfurt am Main in der Paulskirche? Das deutsche Establishment, nicht nur Axel Honneth und Micha Brumlik, wird klatschen und innerlich johlen und frohlocken ob soviel Antisemitismus, Hass auf Amerika und Israel, Banalisierung von Auschwitz und Abscheu vor Theodor W. Adorno.


[i] Geulen ist Professorin am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft, Abteilung für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der Universität Bonn, http://www.zfkw.uni-bonn.de/zentrumsrat/mitglieder/profile/geulen.html (21.02.2011).

[ii] Zum Begriff des Gegenintellektuellen vgl. Heni 2007, 87–89.

[iii] Eva Geulen (2005): Giorgio Agamben zur Einführung, Hamburg: Junius, 101. Auch an anderer Stelle verharmlost die Autorin selbst den Nationalsozialismus, wenn sie in Anlehnung an Agamben die „Schutzhaft im Nationalsozialismus“ mit der Situation „der Gefangenenlager in Guantanamo Bay“ gleichsetzt und jeweils als „Ausnahmezustand“ bezeichnet (vgl. ebd., 96f.); Letzteres ist eine Begrifflichkeit des Nazijuristen Carl Schmitt, einer Referenzquelle Agambens.

 

The German city of Frankfurt awards the „Professor of Parody“ and hatred of Israel: Judith Butler

By Clemens Heni

(updated August 28, 2012)

On June 1, 2012, it was announced that Judith Butler will be awarded the Theodor-W.-Adorno-Prize of the city of Frankfurt, Germany, on September 11, 2012. September 11 is the birthday of Adorno, though, today we associate 9/11 with that date, particularly when it comes to scholars like Butler. She is “Maxine Elliot Professor in the Departments of Rhetoric and Comparative Literature and the Co-director of the Program of Critical Theory at the University of California, Berkeley.”[1] The prize (50,000 Euro) is named after philosopher Theodor W. Adorno (1903–1969), a co-founder of Critical Theory in the 1930s, who fled National Socialism in 1934 and was in exile in the United States since 1938 until he returned to Frankfurt. His father was Jewish. The Adorno-Prize is awarded every three years only.[2] While Adorno fled the German boycott of Jews, Butler is known for endorsing the boycott of the Jewish state of Israel.

 

The core problem is that Israel is not accepted as a Jewish state by many leftist, Islamist, neo-Nazi and other antisemites. It is particularly important to focus on Jewish anti-Zionists because neo-Nazi, leftist and Islamist activists and authors often refer to them and Jewish anti-Zionists give hatred of Israel a kind of kosher stamp.

Many scholars are obsessed with the only diverse society in the Middle East, the only democracy and the only safe haven for Arab and Muslim homosexuals, for example: Israel.

It is important to focus on the Jewish character of Israel. Some anti-Zionists claim that they are not anti-Israel, because they like Israel but reject the Jewish character of the state. A bi-national state as envisioned by Martin Buber or Hannah Arendt is still seen as an option by those anti-Zionist activists. The exodus of almost one million Jews from Arab and Muslim countries since 1948 indicates what would happen if Jews no longer comprised the majority in their own country. Everyone can see that scholars like Judith Butler single out Israel and equate Israel with South African apartheid, while they are silent about the really violent and oppressive, antidemocratic countries in the Middle East, like Saudi Arabia, Iran (the Iranian threat!), Syria, Turkey, Egypt, among many others.

 

In 2009 in her book Frames of War Judith Butler equates the criticism of Adorno and Horkheimer in their Dialectics of Enlightenment with US policies in the War on Terror.

“The legal move by which the US claimed that prisoners at Camp Delta were not entitled to protection under the Geneva Conventions is one that institutes the expectation that those prisoners are less than human. They are considered enemies of the state, but they are also not conceptualizable in terms of the civilizational and racial norms by which the human is constituted. In this sense, their status as less than human is not only presupposed by the torture, but reinstated by it. And here we have to see – as Adorno cautioned us – that violence in the name of civilization reveals its own barbarism, even as it ‘justifies’ its own violence by presuming the barbaric subhumanity of the other against whom that violence is waged.”[3]

Adorno and Horkheimer wrote their book in defense of the West and as an attack on Nazi Germany. They applied a Dialectic of Enlightenment, while Butler equates the West and America with National Socialism and the Holocaust when she refers to that study. Despite all their shortcomings, Adorno and Horkheimer already focused on antisemitism. They were completely shocked and paralyzed by the Holocaust; they had a specific chapter on antisemitism, along with other chapters on modern rationality, Greek mythos, and modern capitalist and technical society. A close colleague and friend of Adorno and Horkheimer, Herbert Marcuse, worked for the Office of Strategic Services (OSS) after 1943 – supporting the US in its war against Nazi Germany.

For Butler, the “Professor of Parody” as philosopher and feminist Martha Nussbaum from the University of Chicago has criticized her,[4] post-9/11-warfare of the US is the same as the war of Nazi Germany against the Jews. In this completely distorted and absurd world of fantasy, jihadists are implicitly portrayed as the Jews of today. In 2011 Butler was published in a volume alongside with Jürgen Habermas, Charles Taylor, and Cornel West. Editors Eduardo Mendieta and Jonathan Vanantwerpen aggressively support Butler’s stand against Harvard President Lawrence Summers and his criticism of the anti-Israel boycott and academic antisemitism.[5] Butler herself[6] attacks Israel[7] and the entire Zionist project, based on Hannah Arendt,[8] Martin Buber and Edward Said and his claim that Palestinians and Jews share a history of displacement.[9] Butler portrays herself as a girl walking in the footsteps of Arendt and Buber:

“I’d like to turn now, briefly, to thinking about Hannah Arendt, Jewish to be sure, but someone whose political views made many people doubt the authenticity of her Jewishness. Indeed, as a result of her salient criticisms of political Zionism and the state of Israel in 1944, ’48, and ’62, her claim to belong to the Jewish people was severely challenged, most famously by Gershom Scholem. Scholem quickly embraced a conception of political Zionism, whereas Martin Buber in the teens and twenties actively and publicly defended a spiritual and cultural Zionism that, in his early view, would become ‘perverted’ if it assumed the form of a political state. By the 1940s, Arendt, Buber, and Nudah Magnes argued in favor of a binational state, proposing a federation in which Jews and Arabs would maintain their respective cultural autonomy; of course, there are other versions of binationalism that do not presume the monolithic cultural integrity of ‘two peoples’ as Buber did, and I hope to gesture toward that at the end of my remarks. It is worth noting as well that Franz Rosenzweig also elaborated a diasporic opposition to Zionism in his The Star of Redemption, in which he argues that Judaism is fundamentally bound up with waiting and wandering but not with the claim of territory.”[10]

Butler prefers a “cultural Zionism” even after the Holocaust, while Buber developed that concept, how bad or mistaken it might have been, between 1910 and 1930, before the Shoah. Buber could also not anticipate genocidal threats from Iran or Arab countries; Butler knows them, but ignores or affirms Iranian, Arab and Muslim Jew-hatred.

 

It is remarkable (though not astonishing in the case of the German) that Habermas and Taylor join such an outstanding voice like that of Butler, who literally aims at organizations like “AIPAC,”[11] and Jewish support for Israel in the US and abroad.

 

In a very important statement on September 17, 2002, President of Harvard University, Lawrence Summers, criticized antisemitism among academics and said:

“I speak with you today not as President of the University but as a concerned member of our community about something that I never thought I would become seriously worried about — the issue of anti-Semitism. I am Jewish, identified but hardly devout. In my lifetime, anti-Semitism has been remote from my experience. My family all left Europe at the beginning of the 20th century. The Holocaust is for me a matter of history, not personal memory. To be sure, there were country clubs where I grew up that had few if any Jewish members, but not ones that included people I knew. My experience in college and graduate school, as a faculty member, as a government official – all involved little notice of my religion.”[12]

He was shocked about the growing antisemitism since 2001 in particular:

“Consider some of the global events of the last year: There have been synagogue burnings, physical assaults on Jews, or the painting of swastikas on Jewish memorials in every country in Europe. Observers in many countries have pointed to the worst outbreak of attacks against the Jews since the Second World War. Candidates who denied the significance of the Holocaust reached the runoff stage of elections for the nation’s highest office in France and Denmark. State-sponsored television stations in many nations of the world spew anti-Zionist propaganda. The United Nations-sponsored World Conference on Racism – while failing to mention human rights abuses in China, Rwanda, or any place in the Arab world – spoke of Israel’s policies prior to recent struggles under the Barak government as constituting ethnic cleansing and crimes against humanity. The NGO declaration at the same conference was even more virulent.”

Summers also noted that “it would have been inconceivable a generation or two ago that Harvard could have a Jewish President.” There is a long history of antisemitism on American campuses and at the Ivy League in particular, as historian Stephen Norwood has shown.[13]

In a response to Lawrence, who did not mention specific scholars by name, Judith Butler ran riot and wrote a piece in 2003:

“When the president of Harvard University declared that to criticise Israel at this time and to call on universities to divest from Israel are ‘actions that are anti-semitic in their effect, if not their intent’, he introduced a distinction between effective and intentional anti-semitism that is controversial at best. The counter-charge has been that in making his statement, Summers has struck a blow against academic freedom, in effect, if not in intent.“[14]

Criticism of antisemitism is called “a blow against academic freedom” while in fact Judith Butler is against academic freedom, when it comes to criticism of antisemitism. One could argue with Freud that Butler projects her own lust of restricting academic freedom onto others. Butler signed an “Open Letter from American Jews” although it was not anti-Israel enough for her, because it did not call for “the end of Zionism.” Did she ever call for “the end of Saudi-Arabian Wahhabi rule”? Did she ever call for “end the misogynistic policies of the Taliban in Afghanistan”? Did she ever call for the end of airing pro-Holocaust statements on Egypt or Al-Jazeera TV from Qatar? Did she ever call to stop publishing antisemitic cartoons in Arab, state sponsored newspapers, like in Syria, Egypt, or Iraq? Did she ever call to stop the hanging of homosexuals in the Islamic Republic of Iran? Did she ever call on German firms to stop their trade with Islamofascist regimes like in Iran, or did she ever call to stop German trade with Arab dictators like Saddam Hussein, who in March 1988 killed some 5000 Kurdish Iraqis with German lethal gas in the city of Halabja? Did she ever call to halt the persecution of non-believers and critics of Islam in Muslim countries from Morocco to Indonesia?

 

In 2006 philosopher Elhanan Yakira initiated a vibrant debate in Israel about post-Zionism, anti-Zionism and antisemitic academics. His study was published in English in 2010 and is a seminal work for scholars, students and the public who want to understand how anti-Israeli propaganda works. For example, he criticizes Judith Butler and her above-quoted article from 2003, where the Californian activist wrote that some “95,000 Palestinians” will be “homeless” thanks to the anti-terror fence. Yakira gives the context:

“In fact, very few, if any, Palestinians have been made ‘homeless’ by the construction of the security barrier, and only a small part of it is actually a wall. It is true that some Arabs have lost part of their land (not their homes). However, Israelis also have lost something: an unknowable number of them have lost the privilege of being killed by infiltrating Palestinian resistance fighters. In areas where the barrier is complete, suicide bombing and other attacks on Israeli civilians – in buses, restaurants, discothèques, and shops – have virtually stopped. Given the fact that Butler’s article was written at the height of the suicide-bombing campaign, it is hard to avoid the suspicion that she is not, after all, immune to the kind of affectivity [Serge] Thion [a close ally of French Holocaust denier Robert Faurisson] exhibits toward Israel and Israelis.”[15]

Judith Butler is a long-time supporter of boycotts of Israel. Before the BDS (Boycott Divestment Sanctions) movement was launched by Palestinians in 2005 she was already singling out the Jewish state. In March 2011 she spoke at the “Israel Apartheid Week” in Toronto.[16] While Blacks in South Africa Apartheid could not vote, for example, Arabs and Muslims can vote in Israel. The defamation of Israel as apartheid is not just antisemitic because it spreads lies about Jews and throws oil on the Arab, Muslim and Iranian hatred of Jews and Israel. It is also a distortion of South African racism and real apartheid. Germany, though, is a hotbed for anti-Zionist Jews.

There is a committee, consisting of ten members, who decided to award Butler this prize, headed by the major of Frankfurt, Petra Roth (from the conservative Christian Democratic Union, CDU). Among those who should best know about antisemitism, one might think, is Axel Honneth, himself professor at Frankfurt University and head of the Institute for Social Research in Frankfurt, the very same institution founded by Horkheimer and others and joined by Adorno. Adorno and Horkheimer were lucky and could flee Nazi antisemitism and the Holocaust. They witnessed boycotts of Jews and Jewish firms while being in exile, out of reach of the Nazis and Germans. To award a prize to a scholar who is in favor of boycotting Jews and Israelis is a slap in the face of Adorno. Contrary to Butler, Adorno was an intellectual and a scholar who preferred theory and criticism to anti-Jewish activities like Israel Apartheid weeks.

 

German professor Micha Brumlik gives Butler his Jewish kosher stamp.[19] He is known for doing so for anti-Zionist antisemitism. He is against obvious antisemitism like that of Hamas, but he is in favor of Jewish anti-Zionism. He even equated Butler’s pro-Hezballah and pro-Hamas stand with supposedly or indeed problematic paragraphs from philosopher Adorno about jazz. Therefore criticism of music is the same as hatred of Jews and incitement to genocide from Hamas. I learned that this is mainstream in Germany; after I alerted professor Honneth to Butler’s antisemitism he replied that this is rather respectable “criticism of Israel” and he referred to Brumlik’s article.

 

It may not be true and it may not be possible that one of the leading anti-Israel voices of the world, Judith Butler, who wants to destroy the Jewish character of Israel by allowing the return of Palestinian “refugees” from 1948, and who opposes philosophically the Jewish character of Israel with reference to Hannah Arendt and Martin Buber, will be awarded the Adorno Prize of the city of Frankfurt. Butler is among the most aggressive critics of “Campus-Watch,”[20] an institution of the Middle East Forum (MEF), established in 2002.[21] As quoted, in a book of hers in 2009, Butler even equates, like another highly fashionable philosopher of our time, Italian Giorgio Agamben, US policies during the War on Terror with Nazi policies and concentration camps. “The other” is the jihadist, seen as victim of America and not as mass murderer. “The other” is the Islamist and he is seen as the Jew of today. More delusion is hardly possible.

Brumlik, though, the German professor of pedagogy, refers to above quoted article of Butler from 2011 (“Is Judaism Zionism”) and likes it very much. American scholar Russell Berman, an expert on Germany, the left, Critical Theory, antisemitism and anti-Western ideology, puts Butler’s ideology in a nutshell – this analysis fits for most liberal and left-wing anti-Zionists, worldwide:

“It is as if for Butler a concern with anti-Semitism anywhere, and, in particular, in the academy were, in her view, incompatible with any criticism of Israel. Yet that absurd presumption is undermined by Butler’s own prose: for she too, despite herself, has to come to grips with anti-Semitism in the academy and not – this would be the easy case – with Nazi flag-wavers or right-wing populists – but in the very core of her chosen political community, the academic anti-Zionist movement.”[22]

The city of Frankfurt has to rethink its decision to award Judith Butler. Antisemitism should not be rewarded in Germany again. Too many anti-Israel scholars and activists already have been honored, tenured, or given prizes. This has to stop and serious research on antisemitism, particularly on anti-Zionist antisemitism and Islamism, has to be supported.

 

In 2007 Lawrence Summers repeated his criticism of academic and mostly left-wing and liberal antisemitism in an interview he gave to the prestigious Podcast Series “Voices on Antisemitism” of the United States Holocaust Memorial:[23]

“I found it shocking and deeply troubling that a substantial group of faculty members at major universities would propose seriously, and indeed seek to pressure, for universities like Harvard to sell, to divest, any stock, any company that did any business with Israel. It seemed to me that such a boycott that singled out Israel was profoundly misguided. And so I raised the question of whether this action, because of its singling out of Israel, was antisemitic in its effect if not necessarily in its intent.“

He has probably Judith Butler’s attack on him in mind, when he concludes:

“I think the magnitude of the reaction I got was not something I fully anticipated. I had the reaction that, if people had felt so inhibited from speaking on these issues that they praised my courage, that there must be a larger problem around these issues on university campuses than I had previously supposed. I think it might have been a more difficult decision if I had known just how much attention those remarks would generate, but while it would have been a more difficult decision, I think I would have been even more convinced of the importance of speaking out in the way that I did.”

The President of the leading University of the world spoke out against academic antisemitism as early as 2002. In 2012 German academics and politicians still do not understand what anti-Zionism means or they affirm hatred of the Jewish state of Israel. It is not acceptable to call Israel an apartheid state, as Butler does, and it is not acceptable to boycott Israel, as Butler propagates. Adorno told us that antisemitism has to be fought and not to be awarded!

 

Dr. Clemens Heni is a political scientist and the founding Director of the Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) http://bicsa.org/ . 2008/2009 he was a Post-Doctoral researcher at Yale University. He published three books on antisemitism so far, including his study Schadenfreude. Islamic Studies and Antisemitism in Germany after 9/11 (410 pages, in German, 2011). He can be reached at c.heni@gmx.de

 



[1] http://rhetoric.berkeley.edu/people.php?page_id=1056&p=54 (visited June 6, 2012).

[2] http://www.kulturpreise.de/web/preise_info.php?preisd_id=495 (visited June 6, 2012); “Judith Butler erhält den Theodor-W.-Adorno-Preis,“ http://www.focus.de/kultur/buecher/
literatur-judith-butler-erhaelt-den-theodor-w-adorno-preis_aid_760909.html (visited June 6, 2012); “Theodor-W.-Adorno-Preis an Judith Butler,“ http://www.hr-online.de/website/
rubriken/kultur/index.jsp?rubrik=72824&key=standard_document_44944250 (visited June 6, 2012).

[3] Judith Butler (2009): Frames of War. When is Life Grievable, London/New York: Verso, 93.

[4] Martha Nussbaum (1999): Professor of Parody, February 22, 1999, The New Republic, http://www.akad.se/Nussbaum.pdf (visited June 6, 2012). Butler was awarded the “first prize in the annual Bad Writing Contest sponsored by the journal Philosophy and Literature”, for example, ibid. Nussbaum criticizes that Butler rejects feminist activism towards better laws to protect women, and that Butler stays away from the struggle for more social equality for women, too.

[5] Eduardo Mendieta/Jonathan Vanantwerpen (2011): The Power of Religion in the Public Sphere, in: Eduardo Mendieta/Jonathan Vanantwerpen (eds.), The Power of Religion in the Public Sphere. With an Afterword by Craig Calhoun, New York: Columbia University Press. The book is result of an event in New York City on October 22, 2009, ibid., vii.

[6] Judith Butler (2011): Is Judaism Zionism, in: Mendieta/Vanantwerpen (eds.), 70–91.

[7] „And, of course, it makes a difference whether one is criticizing the principles of Jewish sovereignty that characterize political Zionism since 1948, or whether one’s criticism is restricted to the occupation as illegal and destructive (and so situates itself in a history that starts with 1967), or whether one is more restrictively criticizing certain military actions in isolation from both Zionism and the occupation, i.e., last year’s assault on Gaza and the war crimes committed there, the growth of settlements, or the policies of the current right-wing regime in Israel,“ Butler 2011, 75.

[8] Butler 2011, 77ff.

[9] Butler 2011, 77.

[10] Butler 2011, 77.

[11] Butler 2011, 74.

[12] Lawrence Summers (2002): Address at morning prayers, Memorial Church, Cambridge, Massachusetts, September 17, 2002, http://www.harvard.edu/president/speeches
/summers_2002/morningprayers.php (visited June 5, 2012).

[13] Stephen H. Norwood (2009): The Third Reich in the ivory tower: complicity and conflict on American campuses, Cambridge/New York: Cambridge University Press.

[14] Judith Butler (2003): No, it’s not anti-semitic, London Review of Books, August 21, 2003, http://www.lrb.co.uk/v25/n16/judith-butler/no-its-not-anti-semitic (visited June 5, 2012).

[15] Elhanan Yakira (2010): Post-Zionism, Post-Holocaust. Three Essays on Denial, Forgetting, and the Delegitimation of Israel, Cambridge etc.: Cambridge University Press, 315.

[16] http://toronto.nooneisillegal.org/node/572 (visited June 5, 2012).

[17] Micha Brumlik (2012): Die Philosophin im Brunnen, June 4, 2012, http://www.taz.de/
Kolumne-Gott-und-die-Welt/!94612/ (visited June 6, 2012). Resentment against Adorno is very widespread in Germany, because he was a son of a Jew and he survived National Socialism. Adorno even came back to Germany, taught Germans about antisemitism and there is resentment against him because Adorno was a critic of right-wing newspapers and their hatred of liberals around 1968, like Axel Springer’s BILD daily. Therefore, it is remarkable that a German author equates anti-Zionist Butler with pro-Israel philosopher Adorno, Michael Kreutz (2012): Versöhnung der Differenzen, June 3, 2012, http://www.transatlantic-forum.org/index.php/archives/2012/13541/versoehnung-der-differenzen/ (visited June 8, 2012). Kreutz accuses Adorno of having been a typical German “antiliberal,” which isn’t but resentment. Adorno was a victim of German antiliberal German nationalism as early as during the First World War, he wrote about this. Kreutz is a newcomer when it comes to philosophy, history, and research on antisemitism (he studied Oriental Philology). Adorno knew about antisemitism in the US in the 1940s, too. About antisemitism in America and the Ivy League and their pro-Nazi stand see Norwood 2009. Extremely naïve and badly educated authors ignore Western antisemitism completely, they are blinded by their hatred of the left (everyone who is analyzing Western antisemitism, in addition to Islamic or left-wing antisemitism, is considered an evil left-winger or liberal from their point of view).

[18] William Brand (2002): Professors accuse Web site of witch hunt
Campus Watch.org lists critics of U.S. Mideast policy, September 30, 2002, http://www.campus-watch.org/article/id/255 (visited June 6, 2012).

[19] Steven Plaut (2010): Collaborators in the War against the Jews: Judith Butler, March 9, 2010, http://frontpagemag.com/2010/03/09/collaborators-in-the-war-against-the-jews-judith-butler/ (visited June 6, 2012).

[20] Russell Berman (2008): From ‘Left-Fascism’ to Campus Anti-Semitism: Radicalism as Reaction, Democratiya, 13, 14–30, 26, http://dissentmagazine.org/democratiya/
article_pdfs/d13Berman.pdf (visited June 6, 2012).

[21] Lawrence Summers (2007): Voices on Antisemitism – A Podcast Series, United States Holocaust Memorial, http://www.ushmm.org/museum/exhibit/focus/antisemitism/voices/
transcript/?content=20070215 (visited June 6, 2012).

Anregungen für die Bildungsarbeit und die politische Selbstverständigung: „Gewerkschaften und Rechtsextremismus“

Original auf www.hagalil.com am 5. Juli 2007

 

Die fünf Autoren nehmen sich mit dem leicht und ohne größere wissenschaftliche Ambitionen geschriebenen Bändchen „Gewerkschaften und Rechtsextremismus“ ein sehr wichtiges und aktuelles Thema vor. Alle fünf Autoren sind Politologen, gleich zwei davon waren bzw. sind Professoren für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin (Zeuner und Stöss), ein weiterer ebenda wissenschaftlicher Angestellter (Fichter). Das wird der Bedeutung des größten und bekanntesten politikwissenschaftlichen Instituts in der Bundesrepublik, dem Otto-Suhr-Insitut (OSI), durchaus gerecht.[1]

Empirisch basiert das Buch auf Erhebungen von vier der Autoren über die Einstellungen von Gewerkschaftsmitgliedern bzw. Funktionären zu Rechtsextremismus. Von 6,6 Mio. Gewerkschaftsmitgliedern in Deutschland haben weniger als 10% ein „geschlossenes gewerkschaftliches Überzeugungssystem“ (S. 8). Verglichen mit Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern haben z. B. in der Mittelschicht 18% (gegenüber 7%) der Gewerkschafter eine klar erkennbare rechtsextreme Einstellung (S. 53). Das ist bemerkenswert. Bei der Unterschicht sind es wenig überraschende 33% der Nicht-Mitglieder im Vergleich zu 28% der gewerkschaftlich organisierten (S. 52).

Insgesamt zeigt sich, dass die Gewerkschaften mit 19% Prozent Rechtsextremen dem Prozentsatz der nicht organisierten mit 20% entsprechen, Gewerkschafter also auch im Fall Rechtsextremismus ein „Spiegelbild“ der Gesellschaft in Deutschland sind. Im Osten ist lediglich zu konstatieren, dass insgesamt mit 27% deutlich mehr Rechtsextreme zu verzeichnen sind (18% im Westen), und Gewerkschaften etwas weniger rechtsextrem eingestellt sind als die unorganisierten (22,5% zu 28,1%) (S. 32f.). Wer sich die Hetzkampagne gegen als „Heuschrecken“ vorgestellte Unternehmer bzw. Finanzspekulanten durch den ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering vergegenwärtigt (S. 13)[2], Parolen von Gewerkschafter sieht, welche sich gegen „Verrat am Vaterland“ wenden (S. 99), oder gar die IG Metall-Zeitschrift anschaut, welche 2005 in antisemitisch-antiamerikanischer Diktion gegen „Die Aussauger“, welche in Form einer Stechmücke mit langem Rüssel und US-Hut dargestellt sind, agitiert (S. 84) und dieses Cover auch auf scharfe Kritik hin vom Verantwortlichen und IG Metall Vorsitzenden Jürgen Peters verteidigt wurde[3], oder schließlich den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer von „vaterlandslosen Gesellen“ daher reden hört bzw. seine ‚Hoffnung‘ vernimmt, dass Deutschland weiterhin „Exportweltmeister“ bleiben möge (S. 86f.), ist ob solcher empirischer Umfragewerte unter Gewerkschaftern kaum verwundert. Ob daran das von eben jenem Jürgen Peters ausgerufene „Mainstreaming“ einer „Europäisierung der IG Metall“ von November 2006, welches als probates Mittel gegen nationale Überheblichkeit und Rechtsextremismus angeführt wird (S. 88), etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich.

Die Autoren gehen mehrfach kritisch auf das Gerede von ‚amerikanischem Kapitalismus‘ versus ‚europäischem Sozialstaatsmodell‘ ein und verwahren sich gegen Antiamerikanismus, ja erwähnen zu Recht den New Deal der1930er Jahre, der Arbeiterrechte gestärkt hat (S. 85) und lehnen die NPD-Propaganda gegen Globalisierung ab (S. 64). Sie fordern wieder mehr gesamtgesellschaftliches Engagement der Gewerkschaften, ja plädieren für eine Politisierung der Gewerkschaften, eine politische Bildung im alltäglichen gewerkschaftlichen Tun und beziehen sich auf einige ihrer Ansicht nach positiven, antinationalistische Beispiele gewerkschaftlicher Organisierung- und Aufklärungsarbeit (S. 103-105).

Die relevanteste der gesamtgesellschaftlichen Perspektiven, welche von den fünf Politologen hochgehalten wird, ist jedoch neben den hehren Tönen gegen Nazis bereits deutscher Mainstream:

„Während sein [des Nationalstaats, C.H.] Repressionspotential im Zuge neuer Kriege und des sogenannten ‚Kampfes gegen den Terror‘ nach innen und außen oft sogar noch weiter aufgerüstet wird, gibt er sozialintegrative Aufgaben preis, die dem Schutz der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit zugute kamen und auch die Bewegungsfreiheit von Unternehmen beschränkt haben“ (S. 63).

Ohne den bösen Kampf der Amerikaner und ihrer Alliierten, der demnach angeblich von Deutschland gar unterstützt wird, gäbe es bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für „sozialintegrative Aufgaben“.

Wow! Das ist eine tollkühne und gewiss typisch deutsche Begründung gegen den War on Terror. Diese im Kern islamophile Verweigerungshaltung den wirklich großen Problemen des 21. Jahrhunderts gegenüber ist eine gewerkschaftliche Meisterleistung. Chapeau, die Herren. Besser könnte das kein rhetorisch gewandter NPD-Redner machen. Oder natürlich die nationalbolschewistische junge Welt, die Linke (PDS/WSAG), die Autonomen, die Antiimperialisten, Grüne, Frauen/Lesben, Anti-Hartz-IV-Protestler, Friedensratschläge, militante Gruppen oder auch weite Teile der SPD vom antizionistischen Rand der CDU à la Norbert Blüm nicht zu schweigen.

Wenn ich mich erinnere welcher Hass mir entgegenschlug, von super linken NachwuchswissenschaftlerInnen mit dem besten Gewissen, die selbstverständlich seit Jahrzehnten Anti-Nazi-Arbeit machen und in linken Buchläden in Berlin arbeiten oder in Göttinger Antifazusammenhängen steck(t)en, als ich in gewerkschaftlichem Rahmen im Sommer 2002 eher zufällig ein kleines, süßes Muffin-Küchlein mit noch kleinerer US-Fahne dabei hatte und auf meinem Tisch stellte, oder im gleichen Kontext von derselben Runde, nach ein paar Bier allerdings, wie selbstverständlich Michel Friedman als „ekliger Typ“ diffamiert und sein am selben Tag ausgestrahltes TV-Interview mit Israels Ministerpräsident Ariel Scharon gezielt gemieden wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, und das alles mit einem Tonfall und einem Duktus, der später im Jahr 2002 nur noch von Jürgen W. Möllemann getoppt wurde, dann wird vieles klarer bezüglich Gewerkschaften und Deutschland heute. Wenn ich dann auch noch sehe wie im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung bzw. ihrer DoktorandInnen antizionistische ‚Kollegen‘, nicht nur aber auch weil sie Migranten sind, in Schutz genommen wurden und der Antisemitismus solcher Typen nur von wiederum wenigen erkannt und scharf kritisiert wurde, wenn ich all diese kleinen persönlichen Erlebnisse mit Gewerkschaftern die letzten Jahre seit 2002 revue passieren lassen, wird das Bild noch klarer.

Schließlich noch ein Beispiel: ein großes gewerkschaftliches Bildungswerk, das DGB-Bildungswerk München, hat erst nach heftigen Protesten eine Veranstaltung mit ihrem langjährigen und sehr stark im Bildungsprogramm als Referent, mit vielen Einzelveranstaltungen involvierten Kollegen Heinz Vestner abgesagt. Und er wird als Referent weiter beschäftigt, obwohl seine antizionistischen Tiraden seit Jahren bekannt ist.[4] Dass so eine Ankündigung für eine Veranstaltung überhaupt gedruckt und für die Veranstaltung geworben wurde, ist bereits skandalös.[5] Typisch gewerkschaftlich wird die Sache dadurch, dass sich der Referent eben als Linker, der gegen Nazis und Rechtsextremismus ist, gezeigt habe.

Für das Herbst/Winter-Programm 2007/2008 hat das DGB-Bildungswerk München Vestner wiederum als häufigen Referenten engagiert, z. B. mit Seminaren über die US-Außenpolitik seit „1776“ und der amerikanischen „Jagd nach Profit“, womit also, wenn das Seminar mit der Gründung der USA beginnt (!) das ‚Wesen‘ der Amerikaner gemeint ist![6] Komplementär dazu jauchzt der Lieblingsreferent dieses großen gewerkschaftlichen Bildungswerkes wiederum wenn er den Namen Chavez hört und dessen Ruf nach einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“[7] laut hinaus schreit oder proklamiert: „Daumendrücken ist angesagt“ bezüglich „Erwacht Lateinamerika“, denn ist Chavez nicht ein toller Hecht und Nachfolger Bolivars?[8] Nach den Kriterien der fünf Autoren des hier rezensierten Buches zu urteilen, wäre Vestner eher nicht in das Raster ‚rechtsextrem‘ gefallen. Doch was heißt das in einer Zeit, wo gerade linke, ‚progressive‘, ‚liberale‘ Antisemiten zurecht ins Blickfeld geraten?

Das Raster (S. 30-31) der Politologen ist viel zu grobmaschig und altbacken, demnach sei Rechtsextremismus gekennzeichnet durch 1.) „Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, 2.) „Chauvinismus“, 3.) „Ausländerfeindlichkeit“, 4.) „Antisemitismus“, 5.) „Sozialdarwinismus“ und 6.) „Verharmlosung des Nationalsozialismus“. Weder bei der Kategorie 4) noch jener von 6) taucht das Beispiel des Antizionismus auf. Antisemitismus zeigt sich jedoch heute häufig als Antizionismus, der Antisemitismus mit reinem Herzen, wie er schon von Jean Améry 1969 („der ehrbare Antisemitismus“) oder von Vladimir Jankélévitch 1970 („Verzeihen?“) dechiffriert wurde. Der Hass auf Israel, die Schuldprojektion der Deutschen, nach der z. B. und gerade die Israelis einen „Holocaust an den Palästinensern“ verüben würden oder der Anti-Terrorschutzwall das gleiche sei wie die Berliner Mauer oder die Behandlung der Palästinenser im Westjordanland jener im Warschauer Ghetto ähnele, sind doch ubiquitär. All diese antisemitischen Reflexe sind Alltag bei deutschen Kirchen, Politikern aller Parteien, den Medien, der Wissenschaft und der Gesellschaft insgesamt, auch den Gewerkschaften natürlich. Allein das Jahr 2007 bietet für jede dieser Kategorien abschreckende Beispiele. Jedoch: als Kategorie für Rechtextremismus taucht Antizionismus gar nicht auf bei den Autoren dieses Bandes.

Was jedoch den Autoren sehr wichtig ist als Beitrag im Kampf gegen Rechtsextremismus ist das linke Ressentiment gegen Krieg und jenes gegen den Kampf gegen den islamischen Faschismus, den ‚heiligen Krieg‘, der keineswegs nur Israel, vielmehr den Westen, die Moderne, zuerst natürlich die USA, bekämpfen und zerstören möchte. Dem Djihad werden sich deutsche Gewerkschafter offenbar so wenig in den Weg stellen wie sie bislang so bewusst inaktiv (wenn nicht klammheimlich feixend) waren gegen den antijüdischen Boykottaufruf ihrer britischen Kollegen von der University and College Union (UCU).[9]

Das Thema muss also lauten: „Gewerkschaften und Antisemitismus“. Gegen Nazis sind doch ziemlich viele, wenn auch nicht alle, wie der Bürgermeister und FDPler aus Mügeln nachdrücklich zeigt und auch vom bayerischen Ministerpräsidenten der Zukunft, Günter Beckstein, mit der Parole „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ sekundiert wird, gerade jetzt. Doch so wichtig es ist solche Konservativen und Reaktionären zu bekämpfen, so wichtig und absolut untypisch, weil nicht links-identitär ist es, den Antizionismus der Deutschen ins Visier zu nehmen und darum auch nicht zum siebenhundertdreiundsechzigsten Mal einen großen Bogen machen wie die Autoren dieses hier rezensierten Büchleins. Sie wollen nur ihre typisch linke OSI-Identität wahren und nicht lernen, dass manchmal, in historischen Momenten, Krieg die einzige Chance ist bzw. war im Kampf gegen den Faschismus bzw. Nationalsozialismus.

Wer sich dessen bewusst ist, dass einer der Gründer des Konservativismus im 20. Jahrhundert in den USA, Peter Viereck war, der gegen seinen Nazi-Vater rebellierte und konservativ wurde, Freiheit erhaltend, sowie später, in hohem Alter, nach 9/11, auch den neo- (oder neo-neo-?) konservativen Kampf gegen den neuen Faschismus, den grünen, befürwortete, erkennt die von deutschen und sonstigen Linken gezielt völlig verdeckte Dimension im amerikanischen Konservativismus. Dieser zeigt sich in der Person Vierecks als Aufstand gegen einen Nazi-Vater (sein Vater war Hitler-Verehrer seit den 1920er Jahren), später mit der Waffe in der Hand im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen. Solche Antifaschisten jedoch geben für einen ganz normalen deutschen Gewerkschafter kein Vorbild ab. Schade eigentlich.

Anmerkungen:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Otto-Suhr-Institut
[2] http://www.kritiknetz.de/muentefering_konkret.pdf
[3] http://www.rp-online.de/public/article/aktuelles/88736
[4] http://www.hagalil.com/archiv/2007/06/dgb.htm
[5] Die Ankündigung ist so krass, dass ich sie hier im Wortlaut und komplett zitiere: Veranstaltung mit Dr. Heinz Vestner im DGB-Haus, 18.07.07, Raum 006, 5€: „Frieden in Nahost? Als 1993 die Oslo-Verträge unterzeichnet waren, begannen hierzulande alle zu jubeln über den damit angeblich einsetzenden „Friedensprozess“ im Nahen Osten. Daraus ist bekanntlich nichts geworden – trotz ‚road map‘ und ‚Fischer-Plan‘. Die Israelis haben kaltblütig ihre Siedlungspolitik fortgesetzt, eine bis zu 8 m hohe Mauer gegen die Palästinenser errichtet und den Libanon – wiedermal – angegriffen. Dieses ‚Spiel‘ läuft seit 1948. Ist es da ein Wunder, dass Palästinenserorganisationen wie Hamas und Hisbollah immer mehr Zulauf haben? Wer Gewalt sät, wird immer Gewalt ernten. Wieso eigentlich ist die Todesursache Arafats bis heute ‚unbekannt‘?“ Bereits am 06.03.-2007 hatte Vestner im DGB-Bildungswerk eine Veranstaltung zu Hugo Chavez, dem Duz-Freund des iranischen Holocaustleugners und die Zerstörung Israels planenden Ahmadinedschad, damit angepriesen, dass gefragt wurde: „Was also ist dran an diesem Kerl [Chavez, C.H.]? Ne ganze Menge nämlich“, siehe http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/pdf/Muenchen/internet_07_1k.pdf , S. 46.
[6] http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/muenchen/progr_07_2.pdf , S. 48.
[7] Ebd.: 58.
[8] Ebd.: 46.
[9] http://www.jungle-world.com/seiten/2007/33/10425.php

hagalil.com 05-07-07

 

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