Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Cicero

Long Lockdown ist viel tödlicher: Unsere politische und mediale Elite goutiert 33 Millionen Hungertote im Trikont

Von Dr. phil. Clemens Heni, 16. Juni 2021

Es gibt Hoffnung, immer mehr Bundesländer setzen die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ aus, vorneweg jetzt NRW. Viele schaffen die Maskenpflicht erstmal im Freien – wo sie so sinnlos war wie in geschlossenen Räumen – ab, auch in Schulen gilt z.B. in Sachsen oder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg schon jetzt oder in wenigen Tagen in Schulen für niemanden mehr Maskenpflicht.

Natürlich war es gestern auch wieder ein Hoffnungsschimmer, ein lauter und wunderschöner, als 67.000 Fans in Budapest feierten und anfeuerten und Fahnen schwenkten und grölten – obwohl Portugal gewann und nicht Ungarn. Aber die Fans, ein Stadion voll mit Fans! Dagegen das peinlich ausgestorbene Stadion in München mit ca. 16.000 Fans, die sich verloren und man primär lesen musste, dass dort „Bayern München“ steht auf den Rängen, als ob wir in der Provinz-Bundesliga wären. Doch das Spiel des Weltmeisters gegen die Germanen, das war Kunst.

Es zauberten die Ballkünstler aus Frankreich, sie drehten fast im Dutzend Pirouetten mit dem Ball (u.a. Pogba, der schlaksige Ästhet), zeigten sensationelle Antritte (Mbappé), der langhaarige Wirbelwind Griezmann war zentral für das Spiel, Organisator Kanté stabil wie gewohnt, eine blaue Abwehrmauer hinter sich wissend, die auch vom Trikot her einfach was hergibt und so peinlichste Nationalflaggen am Ende der Ärmelchen, wie es die Deutschen jetzt haben, nicht nötig hat – ca, c’est la France, der goldene Hahn und die Eleganz des Stoffes und der Bewegung und die Vielfalt der Frisuren und Gesichter stehen für Frankreich. Die Dumpfheit, Ungehobeltheit, Brutalität und Fantasielosigkeit stehen wie gehabt für das Deutsche. Also auch hier Hoffnung auf mehr Tore von Frankreich bei dieser EM, auch regulär selbst geschossene alsbald. Das unerschöpfliche Reservoir an neuen Talenten und Stars der Équipe Tricolore ist beeindruckend und macht die Grande Nation zum heutigen wie mittel- und langfristigen „Brasilien Europas“ – wie die New York Times in einer Lobeshymne festhält.

Und doch überwiegt auch über 15 Monate nach Beginn der größten Demokratiekrise in diesem Land, ja weltweit, der Wahn der Herrschenden. Mit Herrschenden sind nicht nur die irrationalen, nicht evidenzbasierten Politiker*innen gemeint, sondern auch jene, die de facto die Politik vor sich hertreiben: die Medien und vor allem einige wenige Hundert Twitter-User, die hauptverantwortlich sind, dass seit über 15 Monaten 83 Millionen Menschen gequält, in den Abgrund gestoßen, mit Masken und Tests gefoltert werden und die Alten isoliert im Altersheim aller Immunabwehrkräfte beraubt an Covid-19 oder an Verwzeiflung und Demenz starben.

Das Primitive von Twitter zeigt sich an der Kürze der Tweets, die eher einem Grunzen, einem Wildschweinschrei oder Wolfsgeheul ähnelt (ohne diese Tiere dafür zu kritisieren, es sind Tiere) und mit menschlicher Kommunikation nichts gemein hat.

Nehmen wir den ZDF-Pöbler vom Dienst Jan Böhmermann, der wohl immer noch meint, er sei irgendwie links der Mitte, dabei ist seine Desinfektionsspray-Obsession und sein antijüdisches Ressentiment ganz normaler deutscher Mainstream, siehe die Kritik von Mirna Funk:

Solange Böhmermann sich rund um die Uhr und ungefragt als erster und letzter Anti-Antisemit Deutschlands gebärdet und sich zu so etwas wie einer moralischen Instanz Deutschlands stilisiert hat – sein Unique Selling Point, by the way –, dann aber Juden öffentlich diffamiert, anstatt sich für sein unreflektiertes Deutschsein zu entschuldigen, brauchen wir Bücher wie Oliver Polaks „Gegen den Judenhass“, ihr hirnlosen Pappnasen. Normalerweise würde Jan Böhmermann den Desinfektionsspraytypen und Twitter-Antisemiten in einem seiner berüchtigten Parody Raps vernichten. Kann er aber nicht, er ist es ja selbst.

Wenn jetzt Böhmermann dem Star-Schauspieler Til Schweiger auf Twitter andichtet, „Honig im Kopf“ zu haben, weil Schweiger sich mit dem Journalisten Boris Reitschuster traf und die beiden die totalitäre Coronapolitik kritisieren, ja Reitschuster sogar in der Bundespressekonferenz für Aufklärung sorgt, wie das in der Geschichte dieser Einrichgung vermutlich kein Journalist in dieser Sorgfältigkeit und Kontinutität, gegen ungeheuerliche Widerstände, getan hat, dann ist Böhmermann das Problem. Er kann gar nicht argumentieren, was am Lockdown so genial ist, das ist für ihn eine unhinterfragte Alltagsreligion, das ist die Ideologie der Zeugen Coronas. Mit solchen Menschen – wie mit fast allen Twitter-Account-Besitzer*innen – kann man nicht rational diskutieren.

Dann ist die Antifa das Problem, aus der ich selbst komme (Antifaschismuskomitee Tübingen/Reutlingen, frühe 1990er Jahre), denn der Star-Pianist Martin Stadtfeld, der sich verständlicheweise gegen die heutige Antifa wendet, kann im Gegensatz zum ZDF-Pöbler vom Dienst noch klar und kritisch denken:

Ein Freund sagte zu mir: Wäre es denn nicht hilfreich, dass Veranstaltungen wieder durchgeführt werden könnten – mit Maske, Tests, Abstand und so weiter? Dann hätten unsere Kollegen, die von großer Not betroffen sind, doch wenigstens eine Perspektive? Und so geneigt ich war, zuzustimmen, so unwohl wurde es mir doch bei dem Gedanken, dass wir uns an all das gewöhnen werden. Irgendwann wird uns so vorkommen, dass eine Massenveranstaltung ohne gesundheitliche Sicherheitsvorkehrungen undenkbar, der fahrlässigen Tötung nicht unähnlich ist.

Wer möchte in einer solchen Dystopie leben? Manch einer wird sagen: Warum nicht, wenn es Leben rettet? Auch eine solche Haltung muss akzeptiert werden.

Doch das typisch europäisch-russische Element der Spontaneität von Entscheidung und Empfindungshaftem wird dann zerstört sein. Dostojewskis Protagonist in „Weiße Nächte“, der für viele schönsten Liebesgeschichte der Welt, begegnet seiner schicksalhaften Angebeteten mit FFP2-Maske? Ein Kafka wird sodann in sein Tagebuch schreiben: „Im Kino gewesen. Smartphone mit elektronischer Nachverfolgungs-App und digitalem Impfpass vergessen. Nicht eingelassen worden.“ Nein, wird er natürlich nicht, denn einen Kafka wird es in einer solchen Welt gar nicht geben.

Und schließlich, aber wen juckt das schon?, geht es ums Ganze: Um die Toten. Es geht um die geschätzten 33 Millionen Hungertoten – 33 Millionen Hungertote extra wohlgemerkt -, die es im Globalen Süden wegen und ausschließlich wegen der Folgen von Long Lockdown und der Lockdownpolitik im Westen sowie in den ärmeren Ländern Afrikas und Asiens gab und weiterhin gibt. Das berichtet die Zeitschrift OstSchweiz:

Das Fazit der Berechnungen lautet:  Im Schnitt hätte jeder Hungertote noch über 27 Lebensjahre vor sich gehabt. Jedes Opfer von Covid-19 verliere weltweit durchschnittlich 8 Lebensjahre; und das Median-Alter (85J.) der Covid-Opfer in der Schweiz sei gar um ein gutes Jahr höher als die durchschnittliche Lebenserwartung hierzulande. Frühere Quellen sprachen gar von nur 2 verlorenen Lebensjahren bei Covid-Opfern.

Die Massnahmen haben weltweit grob gesagt 50 Mal – bei früheren Quellen bis zu 150 Mal – mehr Lebensjahre gekostet als das Virus hätte fordern können, wenn man auf die Herdenimmunität ohne jeden Schutz gesetzt hätte. Allein in der dritten Welt starben laut Stalders Einschätzungen zusätzlich 33 Millionen Menschen an Hunger aufgrund der Coronamassnahmen, fast doppelt so viele wie in «normalen» Jahren.

Doch worin besteht der Zusammenhang zwischen Coronamassnahmen und verhungernden Menschen? Der Berner nennt eine Reihe von Faktoren. Es fliesst weniger Entwicklungshilfe, die Überweisungen in die 3. Welt halbierten sich, der Tourismus dort brach ein. Geschieht das nach und nach, könne sich ein Land auf die neue Situation einstellen, hier aber geschah es 2020 praktisch über Nacht. «Die 3. Welt war auf diesen rasanten Umbruch nicht vorbereitet und kennt keine Sozialsysteme, die das auffangen konnten.» Familien sei das Einkommen über Nacht weggebrochen.

Und wenn die Post-Stalinisten der Antifa nicht nur in Berlin kreischen „Wir impfen euch alle!“, dann wissen wir, wo der Feind steht, wo die Menschenverachtung heute ihre Zuhause hat, nicht nur bei den Neonazis und Islamisten, dem Jihad und der extremen Rechten, sondern bei den Linken, die jedes Links-Sein so beschmutzen, wie es niemand seit Stalin, Mao oder Pol Pot getan hat, auch ohne blutige Tote und Hinmassakrierte.

Ich habe Reitschuster in einigen Aspekten auch schon widersprochen, das ist klar, er ist kein Linker und wer meint, im ideologiefreien Raum sich zu bewegen, ist bestenfalls naiv und wer von Pro-Familien- und tendenziell sex- und lustfeindlichen und homophoben Events schon vor Jahren unkritisch berichtete, bezieht eben schon Stellung (ich habe auf dieser Seite darüber berichtet, in der Suchfunktion finden Sie das).

Aber jene Gutmenschen, denen die 33 Millionen extra Hungertoten im Globalen Süden so was von scheißegsl sind, das sind Menschen, für die ich noch nicht mal Verachtung habe, so tief stehen diese Existenzen. Und diese Existenzen, das sind fast alle Regierungspolitiker*innen in diesem Land, in Europa, ja der ganzen Welt, aber primär im Westen, das sind die großen Medien, die jetzt Til Schweiger bashen, wie sie zuvor Ulrich Tukur, Jan Josef Liefers und #allesdichtmachen gegrillt hatten, das sind zumal Twitter-Account-Besitzer*innen, und die kulturelle Elite insgesamt.

Wir leben in einer postkolonialen Welt, hätte Gambia einen Notstand ausgerufen, wäre das ein Schrei ins Nirwana. Rufen die ehemaligen Kolonialmächte Italien, England, Frankreich, Deutschland in ihren viel zu reichen kapitalistischen Ländern eine epidemische Lage von nationaler Tragweite aus – ohne den minimalsten Hauch von medizinischer Evidenz -, dann macht das die ganze Welt nach – das ist ein typischer postkolonialer Reflex – und die Eliten in Afrika oder Asien reiben sich gegenseitig beim dümmlichen Begrüßungszeremoniell der Zeugen Corona die Ellenbogen wund vor lauter Glücksgefühl der a-sozialen und aseptischen Solidarität. Dass so gut wie kein Mensch in Afrika von einer Epidemie der Alten bedroht ist – das kümmert nicht. Es geht nicht um Gesundheit, es geht um Macht, ums Quälen, Herrschen, darum, die Menschen gefügig zu machen, gefügig gerade für sinnlose Sachen wie Maske-Tragen, Abstand halten oder sich-testen-lassen als gesunder Mensch. So bricht man Menschen, das ist die Perfidie der Massenpsychologie des Corona-Totalitarismus.

Es ist hingegen ein weiteres kleines Zeichen der Hoffnung, dass ein Künstler wie Martin Stadtfeld im sicher nicht linken und von mir oft kritisierten Cicero Kritik übt am Lockdown-, Test-, Masken- und Abstandsirrsinn. Entgegen der häufig sehr schwülstigen, die eigenen Kinder als Grund der Kritik anführenden Rede sehr vieler Aktivist*innen im sog. Querdenker-Lager, schreibt er:

Es soll sogar Menschen geben, die keine Kinder haben und die es dennoch quält, dass die Kleinen Masken tragen müssen, dass sie keinen Kontakt mit anderen haben sollen, dass sie ein Schuljahr, ein Sportjahr, ein Musikjahr verloren haben. Dass viele ihre Lebensfreude einbüßen.

Natürlich möchte Ursula von der Leyen jetzt diese Mega-Ultra-Hardcore-Krise, die eine politische Krise ist, ausnutzen und durchsetzen, dass es alsbald keine schwedischen Sonderwege der Vernunft mehr geben soll – alles wird von Brüssel gesteuert. Dann wäre das von vielen Nationalisten gefürchtete totalitäre EU-Modell tatsächlich vollendet. Dann gäbe es nur noch die Schweiz oder vor allem Florida, Georgia, Texas als Oasen der Vernunft und evidenzbasierter Medizin, mit Freiheit, Vielfalt und Rationalität, der Verhältnismäßigkeit und der wissenschaftlichen Debatte.

Die aktuelle „Krise“ ist in keinster Weise eine medizinische, da es immer Viruserkrankungen gab und geben wird, ZeroCovid wird es nie geben und das ist auch gut so, denn gäbe es ZeroCovid, dann würden Sie diesen Text hier nicht lesen können und wir wären alle „mausetot„, wie es der Star-Schauspieler Ulrich Tukur in Worte kleidete.

Die alten Antifas wie ich selbst müssen jetzt gegen die neuen Anti-Antifas kämpfen, die alle impfen wollen, die post-stalinistisch wüten und hetzen, gegen die Twitter-Hetzer müssen wir Coronapolitik-Kritiker*innen vorgehen, die vom ZDF oder anderen Quellen bezahlt werden oder gegen (oder für, Erich Fromm im Gepäck) die innerlich offenkundig gebrochenen Klabauterbachs Aufklärung betreiben, die weder bei Schnee, noch bei Regen oder Sonnenschein das Schöne, Hoffnungsfrohe und Beglückende sehen können, weil sie nicht lieben können, weder sich selbst, noch die Natur, Tiere, andere Menschen, DEN Anderen, oder wenigstens Musik, Essen, Sport, Theater, Literatur, whatever.

Wir hier im Westen können diese Kämpfe führen oder auch nicht, hier sterben die Leute an Arbeitslosigkeit, Verzweiflung oder Alkoholismus nicht sofort, sondern häufig erst in vielen Jahren – das werden Millionen Long Lockdown-Tote werden im Westen.

Die Pointe ist: Ohne jede Corona-Maßnahme wären weniger Menschen gestorben. Es ist noch nicht mal klar, ob im Western mehr Menschen, oder nicht weniger gestorben wären, da eine natürliche Herdenimmunität besser schützt als eine Impfung, die aufgefrischt werden muss und nicht so gut ist wie eine durchgemachte Erkrankung mit einem für fast alle Menschen völlig oder relativ harmlosen Virus. Nur sehr alte und sehr kranke Menschen starben an oder mit Covid-19 – aber in keinem großen Umfang, kaum ein Land in Europa hat eine bemerkenswerte Übersterblichkeit, in vielen Ländern gab es früher deutlich (!) mehr Tote pro Jahr als in 2020 oder 2021, nehmen wir UK als Beispiel.

Keine Maske hat auch nur einen Menschen geschützt, aber eine nie dagewesene Panik erzeugt.

Kein Lockdown hat Menschen geschützt, sondern die ohnehin Schwachen und Alten noch mehr geschwächt, das Immunsystem geschwächt durch ultra-mega-harcore Stress und Panik, die gezielt geschürt wurden von Horst Seehofer und der Bundesregierung in Berlin seit März 2020 (in anderen Ländern lief es exakt gleich).

Boris Reitschuster, Til Schweiger oder Martin Stadtfeld sind die kleinen Helden, die jetzt vom ultra-primitiven Mainstreamjournalismus gebraten werden. Diese drei und viele andere, kluge, mutige, selbst denkende Menschen werden rückblickend jene sein, die die Demokratie womöglich vor dem endgültigen Ende bewahrt haben. Wenn denn die Demokratie vor dem endgültigen Ende bewahrt werden sollte, was nicht sicher ist.

Aber das ist auch egal. Jene 33 Millionen Toten im Globalen Süden werden es nicht mehr erleben und die starben nur und ausschließlich wegen der Panik von einigen durchgeknallten Twitter-Usern, die Angst hatten, sich womöglich ein paar Tage schlapp zu fühlen. In einer aktuellen Sendung von TalkRadio aus England sprachen Toby Young von lockdownsceptics.org und Mike Graham (TalkRadio) über das Verschieben des Endes des Lockdowns – das für den 21. Juni 2021 lange angekündigt war – in England / UK durch Johnson und sind außer sich – der Wahnsinn nimmt einfach kein Ende, nur durch die Bevölkerung, die aufhört mitzumachen. Durch Bedienungen im Restaurant, denen es egal ist, ob jemand auf dem Weg zur Toilette die sinnlose Maske aufsetzt oder nicht, oder hier in der trostlosen Einkaufsstraße einer schwäbischen Großstadt (das, was man hier „Großstadt“ nennt), wo Maskenpflicht herrscht, aber jedenfalls am Sonntag sich 95 Prozent daran nicht hielten.

Verglichen mit Long Lockdown ist Long Covid eine Lappalie. Long Lockdown verursacht präzedenzlose psychische Schäden bei Milliarden von Menschen – gleichzeitig ! -, während Long Covid eine blöde, aber nicht tödliche, sondern harmlose Nachwirkung ist wie nach einer schweren Grippe. Und vor allem starben schon bis jetzt – so die OstSchweiz – 33 Millionen Menschen im Globalen Süden an Long Lockdown. Und die sind den abgrundtief bösen Menschen, die meinen, sie seien die „Gutmenschen“, die uns alle umgeben, so was von scheißegal. Und das ist die moralische Katastrophe unserer Zeit.

 

PEGIDA und die politische Kultur

Eine Selbstkritik der »Israelsolidarität«, DDR-»Wirtschaftsflüchtlinge« 1989, die Verteidigung des »Abendlandes» und das deutsche Weihnachtsfest 1939: »Ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums«

 

Bundesjustizminister Heiko Maas hat völlig Recht: »PEGIDA ist eine Schande«. Die Zeitung für Deutschland hingegen, die FAZ, sieht in PEGIDA den Ausdruck einer Sehnsucht nach »Heimat«, die armen Dresdner seien »heimatlos«, wie es am 17.12.2014 auf Seite eins der FAZ heißt: »Pegida ist ein anderes Wort für die Sehnsucht nach politischer Führung. Wer nimmt sie wahr?« Der »Führer« vielleicht? Auch viele andere Medien nehmen PEGIDA mittlerweile in Schutz, von der ZEIT, die meint »echte Gefühle« bei den Aufmärschen zu erkennen, bis hin zu CICERO, das Kritiker wie Wolfgang Bosbach (CDU) oder Ralf Jäger (SPD) abmahnt und ernsthaft meint, man könnte und sollte mit PEGIDA reden bzw. müsse deren »Argumente« wahr- und ernstnehmen.

 

Angesichts von ca. 300.000 Toten in Syrien, Unruhen, Verfolgung, Mord und Krieg in weiten Teilen des Nahen Ostens, vor allem in Libyen, Syrien, Irak oder Yemen, sowie desolater ökonomischer Verhältnisse zumal in Afrika oder Osteuropa, hetzen Deutsche gegen Flüchtlinge. Ganze Familien von »Wirtschaftsflüchtlingen« aus Chemnitz, Dresden und Hoyerswerda verbrachten 1989 Weihnachten in Stuttgart, München oder Frankfurt bei gastgebenden »Wessis«. Diese Ex-Flüchtlinge aus der DDR agitieren jetzt gegen eine verglichen damit minimale Anzahl von Flüchtlingen, die aus viel katastrophaleren und lebensbedrohlicheren Zuständen fliehen. Dabei kommt nur ein Bruchteil der Flüchtlinge lebend in EUropa an, die EU-Außengrenze degradiert die Mauer in Berlin zu einem geradezu läppischen Bauwerk.

Es gibt heute Unterstützung oder zumindest mal symbolisch Geschenke für Flüchtlinge, das ist ein großer Unterschied zum Beginn der 1990er Jahre, als sich nur kleine Gruppen von ANTIFAs und antirassistischen, autonomen Gruppen um den Schutz von und die Unterstützung für Flüchtlinge kümmerten.

Doch es geht auch um Selbstkritik: haben Autoren, wie der Verfasser, in den letzten Jahren immer deutlich genug gemacht, dass es nicht gegen »den« Islam geht bei der Kritik am Islamismus? Wurde die Kritik an Thilo Sarrazin ignoriert oder nicht bemerkt, dass andere sie ignorierten? Haben »wir« immer und jederzeit betont, dass es zwischen Islam als Glauben und Islamismus als Ideologie eine Differenz gibt? Damit wird man nicht zu einem Apologeten von Religion. Wo bleibt der Aufschrei, wenn ein sehr bekanntes Blog der »Szene« einen Autor zu Wort kommen lässt, der von einer »zweiten Shoah« daher redet und den Holocaust auf groteske Weise trivialisiert und Morde an Juden von Islamisten oder Muslimen nur dazu benutzt, um gegen »den« Islam aufzuwiegeln und die Deutschen zu entschulden, wenn in dem Text einzelne Morde und Pogrome von Muslimen an Juden von 1929 oder 1840 als »zweite Shoah« rubriziert werden? »Zweite Shoah« 1929? Oder heute? Wo bleibt da der Aufschrei? Wo bleibt da die Selbstkritik, mal einen Fehler gemacht zu haben?

Haben viele Kritiker der Israelfeindschaft einfach nur weggesehen, als die übelsten rechten Sprüche von Leuten kamen, die aus welchen Gründen auch immer für Israel sind? Wurden nicht auch höchst problematische, evangelikale oder sonstige fanatische Gruppen auf Israelkongresse eingeladen oder auf Konferenzen und Veranstaltungen toleriert und nicht konfrontiert? Haben viele gar nicht gemerkt, dass ein regelrechter Hass auf alles »Liberale« und »Linke« besteht, der durch eine Kritik am Antizionismus einiger Teile der Linken (damit ist nicht nur die Partei gemeint) rationalisiert werden konnte? Wie oft haben Leute zum Beispiel misogyne Sprüche und Tendenzen goutiert, weil die Autoren oder Redner sonst »ganz ok« drauf seien?

Sodann: haben Kritiker des Antisemitismus deutlich genug gemacht, dass es um Kritik geht und nicht um die Exkulpation des deutschen Normalzustandes, wenn der Antisemitismus primär als Phänomen von Muslimen und Arabern betrachtet wird? Haben viele nicht Kompromisse, faule oder klammheimliche, mit Christen, Konservativen und Rechten gemacht, nur weil es »um Israel« geht? Wurde nicht von vielen übersehen, dass es wie ein Schlag ins Gesicht eines Kritikers der eingebildeten »deutsch-jüdischen Symbiose« wie Gershom Scholem ist, wenn all die letzten Jahren von einem angeblich »christlich-jüdischen Abendland«, zumal in Deutschland, geredet wird?

Wer nimmt schon Kritik am existierenden Rassismus in Israel zur Kenntnis, ohne damit zu einem Israelgegner zu werden? Sicher ist es einfacher, immer nur Kritik am Antisemitismus, den es ja in unglaublichem Ausmaß gibt, weltweit, zu üben, als sich auch mal realitätsgetreu mit den Zuständen in Israel zu befassen. Warum wird fast immer, wenn wieder ein Skandal aus der Palästinensischen Autonomiebehörde zu vernehmen ist, Mahmud Abbas‘ Holocaust leugnende Dissertation von Anfang der 1980er Jahre aus Moskau zitiert, ohne auch nur wahrzunehmen, dass Politikerinnen und Politiker in Israel wie die linken Zionist_innen Tzipi Livni oder Isaac Herzog in persönlichen Gesprächen in Abbas in den letzten Jahren evtl. eine moderatere und reflektiertere Stimme zu hören in der Lage sind? Sind dadurch Livni und Herzog »Verräter« und unglaubwürdig? Wissen deutsche Blogger, Schweizer oder österreichische Referenten grundsätzlich besser Bescheid als israelische, zionistische Politiker_innen wie Livni oder Herzog?

Fast alle in der Israelszene aktiven Gruppen schweigen brüllend zu PEGIDA, finden den nationalen Taumel gar prickelnd oder wiegeln ab. Wer aber gegen die iranische Gefahr, für Israel, gegen alle möglichen Formen von Antisemitismus sich engagiert aber zu rechtsextremen, volksgemeinschaftlichen Aufmärschen, die gegen Muslime hetzen, schweigt, verrät jede Idee von Aufklärung, Emanzipation, und, ja, Zionismus. Der Zionismus David Ben-Gurions, Ze’ev Jabotinsky oder Kurt Blumenfelds basierte darauf, dass Juden zwar eine Mehrheit in Israel, aber die arabischen und muslimischen bzw. christlichen und sonstigen Minderheiten »gleiche Rechte« gewährt bekommen sollten im jüdischen Staat. Israel ist eine multikulturelle Gesellschaft mit einem Anteil von über 20% Arabern/Muslimen. In der Bundesrepublik leben ca. 5% Muslime.

Auf die Bedeutung Jabotinskys Verständnis von Zionismus, das keineswegs einen homogenen, rein jüdischen Staat avisierte, sondern einen dezidiert jüdischen (und keinen binationalen!) Staat mit einer mit gleichen Rechten ausgestatteten arabischen Minderheit, wies kürzlich der britische Politikwissenschaftler und pro-israelische, aber linke Autor Alan Johnson, Herausgeber der Zeitschrift Fathom, hin. Und in Israel ist das alles auch bekannt, aber hierzulande wird in gewissen Kreisen jede Kritik an »Bibi« oder dem rechten Rand des politischen Spektrums in Israel als antizionistisch verfemt. Es geht derzeit in Israel um Zionismus versus die extreme Rechte, die natürlich auch Teil Israels ist, aber eben nicht unwidersprochen. All das wird hierzulande kaum zur Kenntnis genommen, und diese Ignoranz wird sich rächen.

Schließlich bekommt die »Israelszene« jetzt die Rechnung aus Dresden. Entweder die pro-israelischen und anti-islamistischen Aktivistinnen und Aktivisten bzw. Blogger_innen und Forscher/innen kriegen die Kurve und kehren zu einer seriösen Beschäftigung mit Antisemitismus, Islamismus und Nationalismus zurück oder PEGIDA wird dafür sorgen, dass die »Israelsolidarität« und »Islamkritik« in PEGIDA auf- und untergeht. Entweder Islamismuskritik, Israelsolidarität und Kritik am Antisemitismus und ein Lob der Vielfalt oder PEGIDA.

2006, zur Zeit des »Sommermärchens« und acht Jahre vor dem noch größeren WM-Wahnsinn, kam das nationale Apriori ins Gerede, aber nur von einer marginalen Gruppe von Autorinnen und Autoren. Man hätte die Warnzeichen sehen können. Doch dann ging es wieder um die Kritik am ubiquitären Antizionismus, eine in der Tat wichtige Kritik, bis heute und in Zukunft.

Das alles darf nicht blind machen für die Gefahr, für die PEGIDA steht. Und vieler meiner Bekannten, nicht nur auf Facebook oder auf Blogs, sehen die Zeichen der Zeit nicht und sind unfähig, Selbstkritik auch nur zu versuchen, wie es scheint.

PEGIDA, die Dresdner Volksbewegung gegen alle Nicht-Deutschen und für ein homogenes Sachsen bzw. Deutschland, möchte am 22. Dezember 2014 bei ihrem nächsten Aufmarsch Weihnachtslieder singen, wie am 15.12 angekündigt wurde. Das mag der heidnischen Tradition weiter Teile des Rechtsextremismus und der a-christlichen Vieler in der Ex-DDR entgegenstehen, aber natürlich wissen auch Neue Rechte, Heidnische und Völkische dass man in der Not Kompromisse machen muss. Schließlich gab es Millionen NSDAP-Mitglieder, ganz normale Deutsche, die Christen waren und Teil der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Zudem gab es bekanntlich den heidnischen Zug des SS-Staates wie die »Deutsche Glaubensbewegung« um Jakob Wilhelm Hauer, wie der israelische Religionswissenschaftler Schaul Baumann in seiner Dissertation herausgearbeitet hat.

Der katholische Bund Neudeutschland war ob des Nationalsozialismus begeistert. Der Jurist und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Han(n)s Filbinger steht dafür ebenso wie der Heidegger-Schüler und Philosoph Max Müller, der nach 1945 in München und Freiburg Karriere machte. Angesichts der völkischen Bewegung »Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes« sei zum Anlass des bevorstehenden Weihnachtsfestes auf die nationalsozialistisch-deutsch-abendländische Tradition eingegangen.

Ideologisch für ›Volk‹ und ›Vaterland‹ gerüstet, ging es am 1. September 1939 in den Zweiten Weltkrieg. Ein Neudeutscher, ein Mitglied des Bundes Neudeutschland, Heinrich Jansen Cron, Herausgeber des Leuchtturm, schreibt in einem kleinen Buch, in welchem er Lieder, Gedichte, Gebete und Geschichten u.a. von Gertrud Bäumer, Ernst Moritz Arndt, Adalbert Stifter oder auch Walter Flex zusammenbringt, zu Weihnachten 1939:

Es ist ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums. Nicht das Äußere entscheidet. Gott wird – Mensch. Der Gottesmensch ist ein – Kind. Das Kind liegt in einem – Stall. Und ist doch der Herr der Welt! Mehr sein, als scheinen, den inneren Reichtum über den äußeren stellen, das ist weihnachtliche Haltung. Das ist es, was uns auch in Not, in der Fremde, im Felde sicher macht, froh und stark. Was will aber dieses Heft? Es will das Gute, das Edle, das Heilige, das in Gott und Heimat Tiefverwurzelte wecken und heben; eine Hilfe sein, Weihnachten draußen christlich und deutsch zu erleben, jegliche Ferne zu überwinden.[i]

Wenig später, zu Ostern 1940, publiziert Cron noch so ein kleines Erweckungsbüchlein:

Die großen Aufgaben, die uns in dieser Zeit Heimat und Familie, Volk und Vaterland stellen, verlangen einen kräftigen Willen. (…) ›Jesus ist wahrhaft auferstanden!‹ Also werden auch wir auferstehen. Also hat unser Erdenleben auf alle Fälle einen Sinn; also gibt es eine ewige Gerechtigkeit; also nehmen wir das Leben und auch sein Kreuz tathart und gelassen auf uns. Denn nur so erringen wir das ewige Leben; nur wenn wir nach Kräften Christi Tapferkeit erstreben, werden wir auch mit ihm auferstehen! Mit diesem Leben ist nicht alles aus. Der Tod verliert seinen Stachel, die Gefahr die Lähmung, die Zukunft wird licht. Wir erheben die Herzen, tragen hoch das Haupt; denn uns erfüllt eine gewaltige Hoffnung. Gott wird unsere Treue krönen, unsere Familie schützen, unser Volk erretten; wir wissen ja: Christ ist erstanden![ii]

Am Beginn des Holocaust und des (Vernichtungs-)Krieges in Polen sowie im Westen Europas segnen deutsche Christen den Weltkrieg und feiern ein fröhliches Osterfest. Das Motto könnte nicht heideggerscher oder djihadistischer lauten: »Der Tod verliert seinen Stachel«. Salafisten, Islamisten und Jihadisten aller Länder könnten sich an diesen Deutschen ein Vorbild nehmen.

Der Publizist Henryk M. Broder mag symptomatisch für das Nicht-Erkennen der Gefahr, für die PEGIDA steht, zitiert werden. Er hat die Sache komplett auf den Kopf gestellt – angesichts von Nazis, Populisten und einem rassistischen Mob in Dresden schreibt er: »Das, was früher der Nationalsozialismus war, das ist heute der Islamismus«. Dabei gibt es genügend Beispiele, wo Islamisten wie Yusuf al-Qaradawi, einer der alten aber führenden Sunni-Islamisten, Hitler öffentlich lobten. Aber darum geht es PEGIDA gar nicht. Sie wollen ein »reines« Deutschland. 1978 hätte Broder das noch erkannt, als er ein Buch herausgab mit dem Titel »Deutschland erwache. Die neuen Nazis. Aktionen und Provokationen.«

Nein: das, was früher der Nationalsozialismus war, ist heute in Deutschland eher schon PEGIDA, jedenfalls laufen da auch Leute mit, die den SS-Staat gut finden.

Die wollen ein »arisches« Dresden, selbst 2,5% Nicht-Deutsche sind denen zu viel. Und sie wollen die wundervollen deutschen Traditionen bewahren, man denke nur an Höhepunkte des »christlichen Abendlandes« wie Weihnachten 1939 im »Deutschen Reich«.

Einer der PEGIDA-Mitmacher ist der Bundesvorsitzende der Partei Die Freiheit, Michael Stürzenberger, der auch für das extrem rechte Internetportal »Politically Incorrect« (PI) schreibt, das ganz begeistert ist ob PEGIDA und live davon berichtet. Stürzenberger sprach am 15.11.2014 auf der Hooligan-Kundgebung in Hannover und peitschte die Hooligans und Neonazis ein: »Wo sind die Freunde unseres deutschen Vaterlandes?«, woraufhin der Mob unter anderem mit unschwer als Hitlergrüßen zu erkennenden Bewegungen antwortete.

Stürzenberger agitiert gegen die jüdische Beschneidung, so wie er denken viele bezüglich der Beschneidung, das ist mehrheitsfähig in einem Land wie Deutschland, von der FAZ zur jungle world und der Giordano Bruno Stiftung.

Wie Anhänger von Verschwörungsmythen glauben die PEGIDA-Rechten dem »System« nicht, sie reden von »der« »Lügenpresse« und glauben einer Presse, die in der Tat an Propaganda schwer zu überbieten ist: Russia today.

Gegen die freie Presse, gegen die jüdische und muslimische Beschneidung und gegen Einwanderung – PEGIDA steht für »Ausländer raus«. Doch selbst Antisemitismus und Antiintellektualismus aus den Reihen der PEGIDA-Protagonisten und Aktivisten, darunter zählen auch Autorinnen für das verschwörungsmythische Magazin Compact, halten offenbar viele in der Pro-Israel-Szene nicht davon ab, den Rassismus von PEGIDA zu unterstützen. Eine Compact-Autorin und »Kameradin« von Jürgen Elsässer ist Melanie Dittmer, die früher bei der Jugendorganisation der NPD, den »Jungen Nationaldemokraten« (JN) aktiv war und heute im Umfeld der rechtsextremen »Identitären Bewegung«. Sie sprach z.B. bei einem DÜGIDA (Düsseldorf gegen…) Aufmarsch am 8.12.2104 und ist die Anmelderin der BOGIDA (Bonn gegen …).

Broder kritisierte 2012 die Agitation gegen die jüdische und muslimische Beschneidung. Doch er sieht offenbar nicht, dass der deutsche Mainstream gegen das Judentum und die Beschneidung ist. Viele bei PEGIDA sind Leser von Seiten wie PI im Internet, die wie dokumentiert gegen die Beschneidung und somit gegen jüdisches und muslimisches Leben hetzt.

Doch wen verteidigt Broder, wenn er Kritik an PEGIDA abwehrt und PEGIDA kleinredet, affirmiert und sich über Kritikerinnen des Rassismus wie Gesine Schwan lustig macht? Ich hatte schon 2007 rechte Tendenzen bei Broder und ACHGUT analysiert und resümierte:

Der Kampf gegen den Djihad jedoch lediglich als Vorwand, gerade für die BILD-Zeitung, den Spiegel, die WELT, sich noch gemütlicher einzurichten, gerade in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Schuldabwehrmöglichkeiten?

Wer vom verbrecherischen Alltag des Nationalsozialismus nicht mehr reden möchte, sollte vom politischen Islam schweigen.

Die Juden sind die Juden von heute und nicht die Muslime, wie Jascha Nemtsov zu Recht gegen Armin Langer einwendet. Es geht jetzt aber nicht um die falsche Analogie von Antisemitismus und Islamkritik. PEGIDA ist ein Ausdruck von Rassismus, von Nationalismus, Islamhass und von Antisemitismus gleichermaßen, das Beispiel Stürzenberger und PI zeigen das anschaulich. Das Problem ist PEGIDA und nicht die Antifa und auch nicht Gesine Schwan.

Der Islamfaschismus wie in Iran ist schlimm genug, und die Hitler-Fans unter nicht wenigen Islamisten und Muslimen in Deutschland sind auch übel genug. Aber angesichts von Deutschlandfahne und »Wir sind das Volk« Gebrülle so die Realität zu derealisieren, wie Broder und sein Fanclub es tun, das ist bezeichnend.

Als Forscher/in sollte man sich einfach mal anschauen, wie die »abendländische Tradition« in Deutschland aussah. Dass Deutschland gar nicht abendländisch war, sondern antiwestlich, völkisch und nationalsozialistisch, wie der Historiker Peter Viereck bereits 1941 in seiner Dissertation »Metapolitics« auf beeindruckende Weise analysiert hat und von niemand anderem als Thomas Mann dafür in einem Brief vom 7. September 1941 gelobt wurde, spielt hier gar keine Rolle. PEGIDA sieht sich ja als deutsch und abendländisch.

Weihnachten 1939, Ostern 1940 und die diesbezüglichen Texte eines »Neudeutschen« oder Vertreter des »christlichen Abendlandes« wie Heinrich Jansen Cron sind nur Beispiele für das, was PEGIDA in Dresden, der Stadt, die nicht gerade für Toleranz und Vielfalt steht, hingegen für Antisemitismus 1848, für Richard Wagner und Michail Bakunin, verteidigen möchte: das christliche Abendland oder das, was Deutsche darunter verstehen.

Wie die Politikerin und Publizistin Jutta Ditfurth am 16.12.2014 auf 3Sat im Fernsehen sagte, erleben wir derzeit die wohl »schlimmsten rechtspopulistischen, antisemitischen, rassistischen Aufmärsche seit 1945«; hinzufügen würde ich: die schlimmsten Aufmärsche in Ergänzung zu den antisemitischen Aufmärschen im Sommer 2014, als vor allem Islamisten und Muslime, eskortiert von Neonazis und Linken, Pro-Hitler und »Juden-ins-Gas«-Parolen brüllten, im ganzen Land. Doch das war eben nicht »der« Islam und es waren nicht »die« Muslime und schon gar nicht »die Flüchtlinge«, die zu großen Teilen aus islamistischen Ländern geflohen sind. Jihadisten gehen ja vielmehr von Düsseldorf, Berlin oder Neu-Ulm in den »Heiligen Krieg« in den Nahen Osten und nicht andersherum.

PEGIDA indiziert, zu was das WM-Wahn-Land Deutschland im Jahr 2014 fähig ist und in den kommenden Jahren fähig sein wird. Für was stehen PEGIDA, DÜGIDA, BOGIDA und alle anderen rechten Aufmärsche? Wer sich die Aufmärsche anschaut, erkennt neben vorbestraften Kriminellen und Neonazis vor allem ganz normale deutsche Spießbürger auf der Straße. Schwarzrotgold ist ihre Fahne und Strategie, »wir sind das Volk« und »IHR nicht« ihre Parole und »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« der Sinngehalt, Agitation gegen »das System« aus Medien und Politik die Taktik, das als Fackel umfunktionierte Mobiltelefon ihr Symbol, die Gleichsetzung von Täter (SS-Staat) und Befreier (UdSSR) ihre mainstreammäßige Ideologie, dazu als altdeutsches Pendant »Familie, Heimat und Patriotismus« statt »Gender-Mainstreaming und Diversität«, Nationalismus, völkische Homogenität und Hass auf Andere ihr Motiv und Weihnachtslieder ihre Melodie.

Angesichts von Millionen Flüchtlingen weltweit ist die Anti-Flüchtlingsbewegung PEGIDA eine Schande für die Menschheit. PEGIDA ist ein Indikator für die politische Kultur in der Bundesrepublik. Sie zeigt die »Salonfähigkeit der Neuen Rechten« an.

 

[i] Heinrich Jansen Cron (1939): Weihnachten fern der Heimat. Ein Heft der einsamen oder gemeinsamen Weihnachtsfeier draußen, Köln: J.P. Bachem, S. 3.

[ii] Heinrich Jansen Cron (1940): Neues Leben. Ein Ostergruss seelischer Erstarkung, Köln: J. P.. Bachem, S. 3, Herv. d.V.

 

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA). Er ist Autor von fünf Büchern, zuletzt erschien „Kritische Theorie und Israel“ (Berlin 2014).

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