Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Deutscher Bundestag

England feiert, sie singen wie niemand sonst in Wembley und auf der Straße („Ten German Bombers“) – Dazu eine Fußnote zu Merkel und der Arbeitsweise im Deutschen Bundestag (Ct-Wert)

Von Dr. phil. Clemens Heni, 30. Juni 2021

Haben Sie auch schon Ihre England-Fahne am Balkon aufgehängt und gejubelt? Natürlich sangen in Bars und bei public events die Fans auch gestern „Ten German bombers“, obwohl die englischen Offiziellen davor gewarnt hatten, das dürfe im Stadion nicht passieren, dabei war das 5:1 in München am 1. September 2001 in der WM-Qualifikation so ein köstliches Erlebnis und der höchste Sieg eines Teams in dieser besonderen Rivalität zwischen den „German bombers“ und der RAF (Royal Air Force).

Es steht aus englischer Sicht 14:15 bei 4 Unentschieden. Der gestrige Sieg war jedenfalls eine Wohltat, weil er zwar nicht vor ausverkauftem Haus, aber doch immerhin vor fast nur maskenfreien 45.000 Fans und nicht nur maskierten 14.000 wie in München stattfand und die paar offenbar vom DFB verteilten Deutschlandfähnchen peinlich und lächerlich wirkten gegenüber den selbst mitgebrachten Fahnen der Engländer, von den geschmückten Tribünen und den Balkonen in all of England nicht zu schweigen.

Doch wir leben weiterhin im totalitären Corona-Hygienestaat. Stellen wir uns vor, eine Historikerin erforscht in 70 Jahren die Corona-Krise. Sie liest Bücher, Blogtexte, interviewt Zeitzeug*innen und schaut sich Bundestagsprotokolle an. Da wird der 23. Juni 2021 auffallen. An diesem Tag zeigte die Kanzlerin Angela Merkel zum wiederholten Male, wie totalitär es in ihr tickt:

Damit, dass verschiedene Varianten auftauchen können, müssen wir rechnen, solange nicht die gesamte Weltbevölkerung geimpft ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

[das zeigt uns, wo der Feind steht bzw. sitzt, CH]

Dieser Größenwahn, diese totalitäre Weltbeglückungsideologie, diese Allmachtsfantasie sind atemberaubend und haben nicht nur damit was zu tun, dass diese Frau in der DDR groß wurde, weil viele ihrer Fans ja aus Hannover oder Schleswig-Holstein und dem Ländle kommen, von Bayern nicht zu schweigen.

Die Kanzlerin zeigt hier auch ihr behindertenfeindliches Denken, ihre Ignoranz gegenüber Millionen von Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen eine solche Impfung nicht bekommen werden, der jeweilige Arzt rät davon ab. Seit Januar hat Merkel niemals erwähnt, dass es diese Millionen Ausnahmen geben wird. Sie hat noch nicht mal die noch größere Gruppe von Millionen von Menschen über und unter 80 Jahren im Blick, die denken können und sich mit so einem Impfstoff wegen so einem Virus niemals impfen lassen werden.

Sie hat noch nie gesagt, dass in Afrika oder Asien – den beiden bevölkerungsreichsten Kontinenten der Erde –

Corona so gut wie gar kein Problem ist. Von über 210 Ländern auf der Welt haben gerade mal 43 Länder mehr als 10.000 Tote „an“ oder „mit“ Covid-19 verzeichnet. Das sind fast nur Länder in Europa und Nord-/Süd-Amerika. In weiten Teilen Afrikas und Asiens ist Corona einfach überhaupt nicht existent als Problem – nach über 1,5 Jahren, also 18 Monaten.

Togo hat 15 Tote auf eine Million Einwohner*innen, Deutschland über 1000 – und in Deutschland ist es schon überhaupt kein Problem, keine Gesundheitskrise nirgends, keine signifikante Übersterblichkeit in Deutschland. Nur wirklich totalitäre Monster wollen die Menschen in Togo, Nigeria oder Vietnam impfen. Nigeria, ca. 2,5 Mal größer als das Mini-Deutschland, hat 10 Tote auf 1 Mio EW. Vietnam hat 98 Mio EW und 0,8 (Null Komma Acht) C-Tote auf 1 Mio EW. Auch in Indien war es keine Katastrophe, da gibt es ganz andere Katastrophen in diesem Land. Indien, wo alle Mu-Tanten gleichzeitig aktiv sind, wie wir alle wissen (Delta ist die harmloseste) hat 286 Tote „an“ oder „mit“ Corona pro 1 Mio. EW, das sind ca. vier Mal weniger als in Deutschland. Guinea 13, die Elfenbeinküste 12, Niger 8, Tanzania 0,3.

Am 23.6.21 sagte Merkel darüber hinaus:

Sie können ja nicht stündlich testen und fragen, ob der Wert jetzt über oder unter 25 liegt und ob Sie den Betroffenen noch auf die Straße lassen dürfen. Deshalb ist das nach bestem Wissen und Gewissen gut gemacht.

Die Nonchalance mit der sie hier Freiheitsberaubung gut heißt, schockiert und zeigt, sie will gar nicht wissenschaftlich, verhältnismäßig und demokratisch, sondern autokratisch und totalitär, in jede Lebensfaser eingreifend aktiv werden.

Doch es kommt noch grotesker: Merkel weiß gar nicht, was ein Ct-Wert ist (sie nennt ihn auch „PCR-Wert“, was nach 18 Monaten Mega-Lockdown unentschuldbar ist). Was Merkel falsch sagte, habe ich heute in einer Mail an den Deutschen Bundestag formuliert:

Sehr geehrte Damen und Herren vom Protokoll im Deutschen Bundestag,

ich bin Politikwissenschaftler (Dr. phil.) und habe beruflich mit Protokollen von Parlamentssitzungen zu tun. Eine exakte Transkription ist nicht nur für Historiker*innen wichtig (denken wir zum Beispiel an die Protokolle aus dem Weimarer Reichstag), sondern auch für Politolog*innen sowie die heutige Diskussion. Als Forscher verlasse ich mich auf offizielle Protokolle eines Parlamentes. Heutzutage – entgegen der Weimarer Republik – gibt es sogar Videos von der jeweiligen Sitzung, wie auf Ihrer Seite:

https://www.bundestag.de/protokolle

Mir geht es um die Sitzung vom Mittwoch, den 23. Juni 2021:

https://dserver.bundestag.de/btp/19/19235.pdf

Darin haben Sie transkribiert: (S. 30425 C):

„Zweitens. Mit einem PCR-Test ist ein Ct-Wert verbunden. Es geht um irgendeine Konzentration in Abhängigkeit von der Zeit. Dieser Ct-Wert kann über oder unter 25 liegen. Ist er unter 25, ist der Mensch ansteckend, ist er über 25, ist er nicht ansteckend.“

In Wirklichkeit sagte Merkel aber das genaue Gegenteil, wie man im Video hören kann:

Ist er unter 25, ist der Mensch nicht ansteckend, ist er über 25, IST der Mensch ansteckend.“ (Die Rednerin betonte IST.)

Es geht wie gesagt darum, dass Wissenschaftler*innen oder Journalist*innen und andere Bürger*innen  mit solchen Protokollen arbeiten. Nun steht da aber ganz offenkundig die Unwahrheit, Sie haben nicht das geschrieben, was Merkel gesagt hat.

Warum?

Muss ich als Forscher, der sich auch mit Bundestagsprotokollen aus anderen Zeiten beschäftigt, davon ausgehen, dass immer wieder mal eine Aussage, die getätigt wurde, einfach massiv verändert oder gar in ihr glattes Gegenteil verkehrt wird, damit sie im Protokoll wieder stimmt und den Fakten entspricht?

Diese Passage ist im Video sehr gut verständlich, es ist also völlig unverständlich, warum das von Ihnen nicht richtig gehört und transkribiert wurde. Sicher werden mitunter Ähs oder Ooohs weggelassen, aber darum geht es hier gar nicht. Es geht um klar hörbare Worte in einem Satz und Sie haben diesen Satz in sein Gegenteil verkehrt.

Warum?

Woher weiß ich als Forscher, ob eine Aussage tatsächlich so getätigt wurde, wie es im Protokoll steht, wenn ich doch allein an diesem einen, sehr prominenten und enorm aussagekräftigen Beispiel sehe, dass Sie hier falsch transkribiert haben? Können Ihre Mitarbeiter*innen nicht richtig hören oder steckt da Vorsatz dahinter, was noch deutlich schlimmer wäre?

Vielen Dank, dasss Sie diese Passage nachträglich wieder ändern, das können Sie im Protokoll ja auch so kennzeichnen.

Wir alle sind ja an das gesprochene Wort gebunden, das zählt, auch juristisch. Es ist doch auch eine juristische Frage, warum Sie für die Nachwelt – sagen wir in 30 oder 50 oder 100 Jahren oder wann immer – diese entscheidende Passage verändert haben, so dass zukünftige Historiker*innen oder Politikwissenschaftler*innen und Parlamentsforscher*innen, so sie sich nicht das Video anschauen, um die Wahrheit, die wörtliche Rede an dieser Stelle, betrogen werden.

Warum haben Sie das falsch transkribiert oder war es doch nur ein Tippfehler von Ihnen, der ja korrigierbar wäre?

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Heni

 

Wir müssen uns das vergegenwärtigen: Wir werden von einem Menschen regiert, der 16 Adlaten in Landesregierungen und unzählige in den herkömmlichen Medien und bei ZeroCovid und dem nicht mehr denkenden Teil der Antifa hat, und dieser Mensch weiß nicht, wie ein Ct-Wert zustande kommt und was er bedeutet. Und wir haben Menschen im Deutschen Bundestag, die offenbar vorsätzlich – anders, aber warten wir die Antwort des Bundestag ab!, kann man das doch kaum erklären -, verfälschen, dass Merkel gerade nicht weiß, ob es darum geht, ob ein abstruser Test eines gesunden Menschen (fast alle Menschen, die sich testen lassen, sind gesund) dann aussagekräftig sein könnte – allerdings nur und wirklich nur in Verbindung mit einer klinischen Diagnose eines Arztes oder einer Ärztin – wenn er unter oder über 25 Anreicherungen (!) im Labor liegt.

***

However, heute ist ein fröhlicher Tag. England feiert wie selten und hat jetzt die Hoffnung, dass allerspätestens am 19. Juli tatsächlich der Freedom Day kommt und der Lockdown aufhört und zuvor die Engländer im Finale Italien schlagen, wir werden sehen, ob es dazu kommt, es gibt auch noch Dänemark und Spanien…

Die Diskrepanz von extrem hohen „Zahlen“ (positiven Tests), aber kaum Hospitalisierungen und fast keinen Toten „an“ oder „mit“ Covid-19, die von SARS-CoV-2 auslösbare (sehr seltene) Krankheit (für Merkel heißt das Virus ja SARS-CoV-19, sie weiß demnach nicht mal den Unterschied von Virus und Krankheit), ist aktuell in England bzw. UK ganz offenkundig. Die Daily Mail berichtet über die Absurdität der hohen „Zahlen“ bei äußerst niedrigen Hospitalisierungen und Todeszahlen:

Daher genießen wir die Gesänge der englischen Fans – kein Land der Welt hat solche Fans – Football is coming home und das Zuhause ist und bleibt England:

 

 

Gert Weisskirchen/Clemens Heni: Der Spiegel und das Gerücht über die Juden

In einem Text im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 13. Juli 2019 schreiben gleich sechs AutorInnen um den SpiegelOnline Chefreporter Matthias Gebauer herum über eine „Gezielte Kampagne“ von Juden und pro-israelischen Lobbygruppen, die Bundestagsabgeordnete beeinflusst hätten, sich gegen die BDS-Bewegung und gegen Antisemitismus zu stellen. Man muss da schon fast lachen, wäre es nicht so ernst und schockierend, denn eine Kampagne sollte ja in der Tat „gezielt“ sein, sonst wäre sie ja keine.

Die AutorInnen behaupten ohne Beleg, dass die BDS-Bewegung „eine in Deutschland unbedeutende Initiative“ sei. Nicht ein antisemitischer Vorfall wie das Stören von Veranstaltungen mit israelischen PolitikerInnen oder mit Holocaustüberlebenden an der Humboldt-Universität zu Berlin, das gewalttätige Stören einer Veranstaltung von Keren Hayesod, dem israelischen Nationalfonds, vor einigen Jahren, oder die Agitation für BDS auf einer größeren „antirassistischen“ Demonstration in Berlin vor wenigen Jahren werden auch nur erwähnt.

Noch nicht mal der weltweit Schlagzeilen machende Skandal über antiisraelische Tendenzen und einen antiisraelischen und tendenziell Pro-BDS Tweet des Jüdischen Museums Berlin, was zum Rücktritt des Leiters Peter Schäfer führte, oder die daraufhin angeworfene antiisraelische und Pro-BDS-Lobbymaschine des akademischen Establishments in Islam-, Nahost- und jüdischen Studien werden als Zeichen der ungeheuren Gefahr von BDS erkannt, obwohl der Spiegel im gleichen Heft über diesen Fall berichtet. Allerdings auch hier mit einer höchst problematischen Schlagseite, indem die wiederum den Israel bezogenen Antisemitismus eher befördernde Berliner Barenboim-Said-Akademie als Beispiel, wie man angeblich super tiefenentspannt und musikalisch mit der Nahostproblematik umgehen kann, promotet wird, dabei ist allein schon der Co-Namensgeber Edward Said ein Agitator mit enormen Einfluss bis heute gewesen, der den jüdischen Staat Israel ablehnte.

Handwerklich ebenso irritierend gleich zu Beginn: es fehlen Definitionen. Für was die BDS-Bewegung steht, wird in dem Text nicht näher erläutert, es heißt lediglich, BDS sei „das Kürzel einer weltweiten propalästinensischen Kampagne, deren Macher Israel isolieren wollen.“ Das hört sich eigentlich schlimm genug an. Zudem ist eine der drei Kernforderungen von BDS das angebliche „Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge“ von 1948. Damit sind keineswegs nur die wenigen noch lebenden und tatsächlich vertriebenen und nicht aus eigenen Stücken gegangenen Palästinenser gemeint. Nein, damit sind alle Nachfahren gemeint, was aus den damals ca. 600.000 Vertriebenen bzw. auf Druck der arabischen Staaten, Israel keineswegs durch das Dortbleiben zu legitimieren, gegangenen Palästinensern nach Angaben der UNRWA über 5 Millionen Menschen weltweit macht. Deren Recht auf Rückkehr würde Israel von heute auf morgen als jüdischen und demokratischen Staat zerstören, ganz zu schweigen davon, dass die Araber in Israel das mehrheitlich gar nicht wollen.

Der Kern des ganzen Textes im Spiegel, der geradezu paradigmatischen Charakter zu haben scheint, was auch die sechs AutorInnen anzeigen, ist gleich in der zweiten Spalte dieser skandalöse Satz: „Dass die proisraelische Erklärung trotz der Kritik am Ende auf so viel Zustimmung traf, lag auch an Elio Adler.“ Adler ist ein Jude aus Berlin und hat 2018 mit anderen eine deutsch-jüdische „WerteInitiative.“ gegründet, die natürlich, welche NGO tut das nicht, auch Lobbyarbeit betreibt.

Der Spiegel insinuiert nun im ganzen Text in traditionell antisemitischer Diktion, eine jüdische geheime Macht würde die Welt oder zumindest den Deutschen Bundestag beherrschen. Denn wie dieser zitierte Satz besagt, habe die Zustimmung zu der Anti-BDS-Resolution deshalb „so viel Zustimmung“ im Bundestag erhalten, weil ein Jude sich dafür eingesetzt habe. Ohne jeden Beleg, denn die AutorInnen können nicht in die Köpfe von hunderten Bundestagsabgeordneten schauen, die sich für diese Resolution ausgesprochen haben. Unzählige Debatten, wissenschaftliche Konferenzen, Bücher, Demonstrationen und Kundgebungen, Symposien, Radiogespräche, Fernsehsendungen oder Universitätsseminare thematisieren seit Jahren verschärft den steigenden Antisemitismus, also auch BDS. Aber nein, daran kann es nicht liegen, dass Bundestagsabgeordnete sich dem Thema widmen, es muss „der“ Jude dahinter stecken!

Das Parlament trägt in seiner Mehrheit die von ihr gewählte Regierung – das ist das in einer parlamentarischen Demokratie angelegte Verhältnis. Aktive Parlamentarier können sich jedoch zu jeder Zeit auch über die Fraktionsgrenzen hinweg darauf verständigen, exekutives Handeln mit zu prägen. Das kann dann wirksam sein, wenn ein wachsender Bedarf zu erkennen ist, der ein politisches Umsteuern erfordert. In der Geschichte des Deutschen Bundestages ist es weder neu noch stürzt es die Verhältnisse um, wenn sich Abgeordnete der Regierungsparteien und der Opposition finden, die besondere Akzente im Regierungshandeln setzen wollen. Das geschieht an jedem Tag, formell in den Ausschüssen und informell ebenso. Wer diese Vorgänge skandalisieren will, zeigt nur seine Ahnungslosigkeit oder seine Absicht. Weil die Journalisten des Spiegel klug sind, entfällt die erste Bewertung. Die zweite tritt umso schärfer hervor.

Die gegenwärtige Regierung Israels ist nicht frei von Kritik. Und, ja, sie versucht ihre Haltung im eigenen Land und gegenüber der Außenwelt deutlich zu machen. Und, ja, Unterschiede sind zu sehen, wer die komplexen Fragen beantworten will, ob eine verlässliche Friedensordnung im Nahen Osten entstehen kann, wer als Partner dafür zu gewinnen wäre und wie Prozesse dafür in Gang gesetzt werden können. Klar ist jedoch in jedem Fall, dass die Unterstützer von BDS friedlichen Absichten nicht folgen. Weil das so ist, haben Abgeordnete – und Deutsche zumal – jedes Recht, sich informell darüber zu verständigen, welche parlamentarischen Schritte geeignet sind, diese frivole Aktion, ein Wiedergänger des „kauft nicht bei Juden“, als das benennen, was es wirklich ist: als gegen Israel gerichtet. Wenn NAFFO mitgeholfen hat, dass diese Verständigung zwischen Parlamentariern angebahnt wurde, ist das zu begrüßen. Diese Abgeordnete haben ihre Aufgaben parlamentarisch angemessen bewältigt. Vielleicht könnten Journalisten darüber schreiben, wie Palästinenser und ihre Familien darunter leiden, wenn die Produkte, die sie in Israel herstellen, boykottiert werden, weil BDS-Aktivisten Konsumenten sie am Kauf hindern.

Der Tenor ist im ganzen Text: ohne jüdischen Druck sähe die Stimmung im Bundestag, was Israel und den Nahen Osten betrifft, ganz anders aus. Das wird noch perfide gesteigert, indem Stellungnahmen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu in die Nähe von Äußerungen hiesiger pro-israelischer AktivistInnen oder PolitikerInnen gestellt werden. Nicht nur jener erwähnte Elio Adler, auch Netanyahu würden quasi die deutschen Bundestagsabgeordneten vor sich hertreiben. Ohne jeden Beleg – es geht u.a. um eher läppische Spenden für Politiker oder ein Abendessen von pro-israelischen Aktivisten mit Bundestagsabgeordneten – wird Stimmung gegen Juden und Israel gemacht.

Ganz am Schluss wird auch noch das Feindbild des rechten Teils der sog. Pro-Israel-Szene bedient: Heiko Maas. Ihm wird von rechter Seite ein zu harmloses Agieren bezüglich Iran etc. unterstellt und der Spiegel sekundiert das nun, völlig anders gepolt. Der Spiegel agitiert, eine Israel dämonisierende Resolution der Weltgesundheitsorganisation von Mai 2019 – die von megademokratischen Ländern wie Saudi-Arabien, Yemen, Qatar (man denke an die unfassbare  Zahl an Toten auf den WM-2022-Baustellen) oder der Türkei verfasst wurde und die Situation in den Golanhöhen sowie Ostjerusalem und den besetzten bzw. umstrittenen palästinensischen Gebieten thematisiert – sei vorgeblich aufgrund von Druck der jüdischen Lobby von Bundesaußenminister Heiko Maas und der Bundesregierung abgelehnt worden, was einen Wandel des deutschen Abstimmungsverhaltens indiziere. Das raunt der Text.

Der Text macht die Gleichung auf: Juden – Israel – Mossad = Einfluss auf hilflose deutsche PolitikerInnen. Noch schlimmer: jene MdBs, die die Resolution ablehnten, trauten sich das nicht offen zu tun, sondern enthielten sich, weil sie nicht als Antisemiten dastehen wollen.

Wir sind beide nicht als Unterstützer der Regierung Netanyahu bekannt. Ja, wir fördern linkszionistische Kritik an der Besatzung wie an der politischen Kultur in Israel, die extrem nach rechts abgedriftet ist. Wir finden auch Karikaturen problematisch, die Merkel und Netanyahu mit den Sprechblasen zeigen „Wir sollten die Zweistaaten-Lösung nicht aus den Augen verlieren“, worauf hin Bibi antwortet „Steht es so schlimm um die deutsche Einheit“, die von manchen irregeleiteten „pro-israelischen“ Aktivisten publiziert werden.* Das ist eher als Ausdruck der geradezu menschenverachtenden antipalästinensischen Grundhaltung vieler selbst ernannter „Israelfreunde“ zu sehen, die linkszionistische KritikerInnen der Besatzung des Westjordanlandes nicht zur Kenntnis nehmen.

Der ganze Spiegel-Text strotzt nur so vor Ressentiment gegen Juden und promotet das Übelste was ein Mensch im Post-Auschwitz-Zeitalter tun kann, zumal im Journalismus: er befördert das Gerücht über die Juden.

Der Ex-Spiegel-Reporter Relotius ist ein Fälscher, Trottel oder Hochstapler, aber das scheint fast harmlos verglichen mit diesem antijüdischen Ton im Spiegel.

 

Prof. Gert Weisskirchen war von 1976 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags (SPD), Er war Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und bei der OSZE Beauftragter im Kampf gegen Antisemitismus

Dr. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler, 2018 publizierte er die Studie „Der Komplex Antisemitismus“, im Mai 2019 sprach er bei der SPD Essen über BDS

 

P.S.: Die Chefredaktion des Spiegel (Steffen Klusmann, Barbara Hans, Clemens Höges, Jörn Sucher) verteidigt den hier analysierten Text der sechsköpfigen Autorengruppe (Matthias Gebauer, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Raniah Salloum, Christoph Schult, Christoph Sydow), ohne auch nur im Ansatz zu verstehen, warum dieser Text dem Antisemitismus Vorschub gibt.

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©ClemensHeni

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