Original auf www.hagalil.com am 5. Juli 2007

 

Die fünf Autoren nehmen sich mit dem leicht und ohne größere wissenschaftliche Ambitionen geschriebenen Bändchen „Gewerkschaften und Rechtsextremismus“ ein sehr wichtiges und aktuelles Thema vor. Alle fünf Autoren sind Politologen, gleich zwei davon waren bzw. sind Professoren für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin (Zeuner und Stöss), ein weiterer ebenda wissenschaftlicher Angestellter (Fichter). Das wird der Bedeutung des größten und bekanntesten politikwissenschaftlichen Instituts in der Bundesrepublik, dem Otto-Suhr-Insitut (OSI), durchaus gerecht.[1]

Empirisch basiert das Buch auf Erhebungen von vier der Autoren über die Einstellungen von Gewerkschaftsmitgliedern bzw. Funktionären zu Rechtsextremismus. Von 6,6 Mio. Gewerkschaftsmitgliedern in Deutschland haben weniger als 10% ein „geschlossenes gewerkschaftliches Überzeugungssystem“ (S. 8). Verglichen mit Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern haben z. B. in der Mittelschicht 18% (gegenüber 7%) der Gewerkschafter eine klar erkennbare rechtsextreme Einstellung (S. 53). Das ist bemerkenswert. Bei der Unterschicht sind es wenig überraschende 33% der Nicht-Mitglieder im Vergleich zu 28% der gewerkschaftlich organisierten (S. 52).

Insgesamt zeigt sich, dass die Gewerkschaften mit 19% Prozent Rechtsextremen dem Prozentsatz der nicht organisierten mit 20% entsprechen, Gewerkschafter also auch im Fall Rechtsextremismus ein „Spiegelbild“ der Gesellschaft in Deutschland sind. Im Osten ist lediglich zu konstatieren, dass insgesamt mit 27% deutlich mehr Rechtsextreme zu verzeichnen sind (18% im Westen), und Gewerkschaften etwas weniger rechtsextrem eingestellt sind als die unorganisierten (22,5% zu 28,1%) (S. 32f.). Wer sich die Hetzkampagne gegen als „Heuschrecken“ vorgestellte Unternehmer bzw. Finanzspekulanten durch den ehemaligen SPD-Vorsitzenden und Bundesminister für Arbeit und Soziales Franz Müntefering vergegenwärtigt (S. 13)[2], Parolen von Gewerkschafter sieht, welche sich gegen „Verrat am Vaterland“ wenden (S. 99), oder gar die IG Metall-Zeitschrift anschaut, welche 2005 in antisemitisch-antiamerikanischer Diktion gegen „Die Aussauger“, welche in Form einer Stechmücke mit langem Rüssel und US-Hut dargestellt sind, agitiert (S. 84) und dieses Cover auch auf scharfe Kritik hin vom Verantwortlichen und IG Metall Vorsitzenden Jürgen Peters verteidigt wurde[3], oder schließlich den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer von „vaterlandslosen Gesellen“ daher reden hört bzw. seine ‚Hoffnung‘ vernimmt, dass Deutschland weiterhin „Exportweltmeister“ bleiben möge (S. 86f.), ist ob solcher empirischer Umfragewerte unter Gewerkschaftern kaum verwundert. Ob daran das von eben jenem Jürgen Peters ausgerufene „Mainstreaming“ einer „Europäisierung der IG Metall“ von November 2006, welches als probates Mittel gegen nationale Überheblichkeit und Rechtsextremismus angeführt wird (S. 88), etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich.

Die Autoren gehen mehrfach kritisch auf das Gerede von ‚amerikanischem Kapitalismus‘ versus ‚europäischem Sozialstaatsmodell‘ ein und verwahren sich gegen Antiamerikanismus, ja erwähnen zu Recht den New Deal der1930er Jahre, der Arbeiterrechte gestärkt hat (S. 85) und lehnen die NPD-Propaganda gegen Globalisierung ab (S. 64). Sie fordern wieder mehr gesamtgesellschaftliches Engagement der Gewerkschaften, ja plädieren für eine Politisierung der Gewerkschaften, eine politische Bildung im alltäglichen gewerkschaftlichen Tun und beziehen sich auf einige ihrer Ansicht nach positiven, antinationalistische Beispiele gewerkschaftlicher Organisierung- und Aufklärungsarbeit (S. 103-105).

Die relevanteste der gesamtgesellschaftlichen Perspektiven, welche von den fünf Politologen hochgehalten wird, ist jedoch neben den hehren Tönen gegen Nazis bereits deutscher Mainstream:

„Während sein [des Nationalstaats, C.H.] Repressionspotential im Zuge neuer Kriege und des sogenannten ‚Kampfes gegen den Terror‘ nach innen und außen oft sogar noch weiter aufgerüstet wird, gibt er sozialintegrative Aufgaben preis, die dem Schutz der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit zugute kamen und auch die Bewegungsfreiheit von Unternehmen beschränkt haben“ (S. 63).

Ohne den bösen Kampf der Amerikaner und ihrer Alliierten, der demnach angeblich von Deutschland gar unterstützt wird, gäbe es bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für „sozialintegrative Aufgaben“.

Wow! Das ist eine tollkühne und gewiss typisch deutsche Begründung gegen den War on Terror. Diese im Kern islamophile Verweigerungshaltung den wirklich großen Problemen des 21. Jahrhunderts gegenüber ist eine gewerkschaftliche Meisterleistung. Chapeau, die Herren. Besser könnte das kein rhetorisch gewandter NPD-Redner machen. Oder natürlich die nationalbolschewistische junge Welt, die Linke (PDS/WSAG), die Autonomen, die Antiimperialisten, Grüne, Frauen/Lesben, Anti-Hartz-IV-Protestler, Friedensratschläge, militante Gruppen oder auch weite Teile der SPD vom antizionistischen Rand der CDU à la Norbert Blüm nicht zu schweigen.

Wenn ich mich erinnere welcher Hass mir entgegenschlug, von super linken NachwuchswissenschaftlerInnen mit dem besten Gewissen, die selbstverständlich seit Jahrzehnten Anti-Nazi-Arbeit machen und in linken Buchläden in Berlin arbeiten oder in Göttinger Antifazusammenhängen steck(t)en, als ich in gewerkschaftlichem Rahmen im Sommer 2002 eher zufällig ein kleines, süßes Muffin-Küchlein mit noch kleinerer US-Fahne dabei hatte und auf meinem Tisch stellte, oder im gleichen Kontext von derselben Runde, nach ein paar Bier allerdings, wie selbstverständlich Michel Friedman als „ekliger Typ“ diffamiert und sein am selben Tag ausgestrahltes TV-Interview mit Israels Ministerpräsident Ariel Scharon gezielt gemieden wurde, von wenigen Ausnahmen abgesehen, und das alles mit einem Tonfall und einem Duktus, der später im Jahr 2002 nur noch von Jürgen W. Möllemann getoppt wurde, dann wird vieles klarer bezüglich Gewerkschaften und Deutschland heute. Wenn ich dann auch noch sehe wie im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung bzw. ihrer DoktorandInnen antizionistische ‚Kollegen‘, nicht nur aber auch weil sie Migranten sind, in Schutz genommen wurden und der Antisemitismus solcher Typen nur von wiederum wenigen erkannt und scharf kritisiert wurde, wenn ich all diese kleinen persönlichen Erlebnisse mit Gewerkschaftern die letzten Jahre seit 2002 revue passieren lassen, wird das Bild noch klarer.

Schließlich noch ein Beispiel: ein großes gewerkschaftliches Bildungswerk, das DGB-Bildungswerk München, hat erst nach heftigen Protesten eine Veranstaltung mit ihrem langjährigen und sehr stark im Bildungsprogramm als Referent, mit vielen Einzelveranstaltungen involvierten Kollegen Heinz Vestner abgesagt. Und er wird als Referent weiter beschäftigt, obwohl seine antizionistischen Tiraden seit Jahren bekannt ist.[4] Dass so eine Ankündigung für eine Veranstaltung überhaupt gedruckt und für die Veranstaltung geworben wurde, ist bereits skandalös.[5] Typisch gewerkschaftlich wird die Sache dadurch, dass sich der Referent eben als Linker, der gegen Nazis und Rechtsextremismus ist, gezeigt habe.

Für das Herbst/Winter-Programm 2007/2008 hat das DGB-Bildungswerk München Vestner wiederum als häufigen Referenten engagiert, z. B. mit Seminaren über die US-Außenpolitik seit „1776“ und der amerikanischen „Jagd nach Profit“, womit also, wenn das Seminar mit der Gründung der USA beginnt (!) das ‚Wesen‘ der Amerikaner gemeint ist![6] Komplementär dazu jauchzt der Lieblingsreferent dieses großen gewerkschaftlichen Bildungswerkes wiederum wenn er den Namen Chavez hört und dessen Ruf nach einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“[7] laut hinaus schreit oder proklamiert: „Daumendrücken ist angesagt“ bezüglich „Erwacht Lateinamerika“, denn ist Chavez nicht ein toller Hecht und Nachfolger Bolivars?[8] Nach den Kriterien der fünf Autoren des hier rezensierten Buches zu urteilen, wäre Vestner eher nicht in das Raster ‚rechtsextrem‘ gefallen. Doch was heißt das in einer Zeit, wo gerade linke, ‚progressive‘, ‚liberale‘ Antisemiten zurecht ins Blickfeld geraten?

Das Raster (S. 30-31) der Politologen ist viel zu grobmaschig und altbacken, demnach sei Rechtsextremismus gekennzeichnet durch 1.) „Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, 2.) „Chauvinismus“, 3.) „Ausländerfeindlichkeit“, 4.) „Antisemitismus“, 5.) „Sozialdarwinismus“ und 6.) „Verharmlosung des Nationalsozialismus“. Weder bei der Kategorie 4) noch jener von 6) taucht das Beispiel des Antizionismus auf. Antisemitismus zeigt sich jedoch heute häufig als Antizionismus, der Antisemitismus mit reinem Herzen, wie er schon von Jean Améry 1969 („der ehrbare Antisemitismus“) oder von Vladimir Jankélévitch 1970 („Verzeihen?“) dechiffriert wurde. Der Hass auf Israel, die Schuldprojektion der Deutschen, nach der z. B. und gerade die Israelis einen „Holocaust an den Palästinensern“ verüben würden oder der Anti-Terrorschutzwall das gleiche sei wie die Berliner Mauer oder die Behandlung der Palästinenser im Westjordanland jener im Warschauer Ghetto ähnele, sind doch ubiquitär. All diese antisemitischen Reflexe sind Alltag bei deutschen Kirchen, Politikern aller Parteien, den Medien, der Wissenschaft und der Gesellschaft insgesamt, auch den Gewerkschaften natürlich. Allein das Jahr 2007 bietet für jede dieser Kategorien abschreckende Beispiele. Jedoch: als Kategorie für Rechtextremismus taucht Antizionismus gar nicht auf bei den Autoren dieses Bandes.

Was jedoch den Autoren sehr wichtig ist als Beitrag im Kampf gegen Rechtsextremismus ist das linke Ressentiment gegen Krieg und jenes gegen den Kampf gegen den islamischen Faschismus, den ‚heiligen Krieg‘, der keineswegs nur Israel, vielmehr den Westen, die Moderne, zuerst natürlich die USA, bekämpfen und zerstören möchte. Dem Djihad werden sich deutsche Gewerkschafter offenbar so wenig in den Weg stellen wie sie bislang so bewusst inaktiv (wenn nicht klammheimlich feixend) waren gegen den antijüdischen Boykottaufruf ihrer britischen Kollegen von der University and College Union (UCU).[9]

Das Thema muss also lauten: „Gewerkschaften und Antisemitismus“. Gegen Nazis sind doch ziemlich viele, wenn auch nicht alle, wie der Bürgermeister und FDPler aus Mügeln nachdrücklich zeigt und auch vom bayerischen Ministerpräsidenten der Zukunft, Günter Beckstein, mit der Parole „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ sekundiert wird, gerade jetzt. Doch so wichtig es ist solche Konservativen und Reaktionären zu bekämpfen, so wichtig und absolut untypisch, weil nicht links-identitär ist es, den Antizionismus der Deutschen ins Visier zu nehmen und darum auch nicht zum siebenhundertdreiundsechzigsten Mal einen großen Bogen machen wie die Autoren dieses hier rezensierten Büchleins. Sie wollen nur ihre typisch linke OSI-Identität wahren und nicht lernen, dass manchmal, in historischen Momenten, Krieg die einzige Chance ist bzw. war im Kampf gegen den Faschismus bzw. Nationalsozialismus.

Wer sich dessen bewusst ist, dass einer der Gründer des Konservativismus im 20. Jahrhundert in den USA, Peter Viereck war, der gegen seinen Nazi-Vater rebellierte und konservativ wurde, Freiheit erhaltend, sowie später, in hohem Alter, nach 9/11, auch den neo- (oder neo-neo-?) konservativen Kampf gegen den neuen Faschismus, den grünen, befürwortete, erkennt die von deutschen und sonstigen Linken gezielt völlig verdeckte Dimension im amerikanischen Konservativismus. Dieser zeigt sich in der Person Vierecks als Aufstand gegen einen Nazi-Vater (sein Vater war Hitler-Verehrer seit den 1920er Jahren), später mit der Waffe in der Hand im Zweiten Weltkrieg gegen die Deutschen. Solche Antifaschisten jedoch geben für einen ganz normalen deutschen Gewerkschafter kein Vorbild ab. Schade eigentlich.

Anmerkungen:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Otto-Suhr-Institut
[2] http://www.kritiknetz.de/muentefering_konkret.pdf
[3] http://www.rp-online.de/public/article/aktuelles/88736
[4] http://www.hagalil.com/archiv/2007/06/dgb.htm
[5] Die Ankündigung ist so krass, dass ich sie hier im Wortlaut und komplett zitiere: Veranstaltung mit Dr. Heinz Vestner im DGB-Haus, 18.07.07, Raum 006, 5€: „Frieden in Nahost? Als 1993 die Oslo-Verträge unterzeichnet waren, begannen hierzulande alle zu jubeln über den damit angeblich einsetzenden „Friedensprozess“ im Nahen Osten. Daraus ist bekanntlich nichts geworden – trotz ‚road map‘ und ‚Fischer-Plan‘. Die Israelis haben kaltblütig ihre Siedlungspolitik fortgesetzt, eine bis zu 8 m hohe Mauer gegen die Palästinenser errichtet und den Libanon – wiedermal – angegriffen. Dieses ‚Spiel‘ läuft seit 1948. Ist es da ein Wunder, dass Palästinenserorganisationen wie Hamas und Hisbollah immer mehr Zulauf haben? Wer Gewalt sät, wird immer Gewalt ernten. Wieso eigentlich ist die Todesursache Arafats bis heute ‚unbekannt‘?“ Bereits am 06.03.-2007 hatte Vestner im DGB-Bildungswerk eine Veranstaltung zu Hugo Chavez, dem Duz-Freund des iranischen Holocaustleugners und die Zerstörung Israels planenden Ahmadinedschad, damit angepriesen, dass gefragt wurde: „Was also ist dran an diesem Kerl [Chavez, C.H.]? Ne ganze Menge nämlich“, siehe http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/pdf/Muenchen/internet_07_1k.pdf , S. 46.
[6] http://www.dgb-bildungswerk-bayern.de/muenchen/progr_07_2.pdf , S. 48.
[7] Ebd.: 58.
[8] Ebd.: 46.
[9] http://www.jungle-world.com/seiten/2007/33/10425.php

hagalil.com 05-07-07