Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Ernst Jünger

Jakob – der Liebling der deutschen Volksgemeinschaft

 

Ein Wintermärchen, 2013

Auch ohne Schnee und Sonnenschein kuschelt das Land wieder, Anfang Januar 2013, es ist wie im Wintermärchen: Deutschland kennt keine Parteien mehr und nur noch Deutsche. Die Volksgemeinschaft im Jahr 2013 stellt sich hinter einen Journalisten, der auf Platz 9 der berüchtigtsten Antisemiten unserer Welt bzw. in die Top Ten der aus Sicht des Simon Wiesenthal Centers (SWC) „erwähnenswertesten antisemitischen respektive antiisraelischen Verunglimpfungen des vergangenen Jahres“ geraten ist. Was stört die Deutschen am meisten daran? Der Antisemitismus des Jakob Augstein und die Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung Israels? Das Schweigen der Augsteins dieser Welt über die wirklichen Gefahren und Kriege auf dieser Welt?

Oder stört eher die Kritik am Antisemitismus und an Deutschland? Lassen wir das „gesunde Volksempfinden“ zu Wort kommen:

„Mich interessieren nur die Macht-Mechanismen, die Broder mit seiner Empfehlung offenlegt: Wie kann eine Institution wie das Wiesenthal-Zentrum, das als seriös bewertet wird und großen politischen Einfluß besitzt, die persönliche Antipathie einer Revolverschnauze aufgreifen und aus der eigenen Arbeit eine Karikatur machen? Wird durch die Nominierung Augsteins nicht die ganze Liste überdeutlich zu dem, was sie wohl zuvor schon war: eine Farce?“

Von wem ist dieses Zitat? Von Christian Bommarius und der Frankfurter Rundschau, die Broder lieber im Knast oder Schlimmerem sähe denn als Bürger in Freiheit, von Juliane Wetzel vom sog. „The German Edward Said Center for Holocaust distortion and post-colonial Antisemitism“ an der Technischen Universität (Zentrum für Antisemitismusforschung, ZfA),  vom evangelischen Antisemitismusverharmloser Klaus Holz, dem Deutschlandradio und WDR5 und seiner Journalistin Liane von Billerbeck („Berlinerin mit ausgeglichener Klimabilanz, zwei erwachsenen Kindern, dem Hang zu märkischen Seen und Dichterfürsten“), vom Deutschen Journalistenverband (was soll man von dem auch sonst erwarten?), von Michael Wolffsohn, der Antisemitismus als eher läppischen und harmlosen „Unsinn“ umetikettiert und womöglich das Ansehen Deutschlands gefährdet sieht wenn Augstein wahrheitsgetreu kategorisiert wird, immerhin ist Augstein der anerkannte Sohn eines der seinerzeit mächtigsten Medienmänner, Rudolf Augstein, der mit Herzblut alten SS- und anderen Nazimännern im Spiegel Unterschlupf bot, sowie der leibliche Sohn von Martin Walser, dessen antisemitische Paulskirchenrede im Oktober 1998 die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und die Jagdsaison auf jene, die erinnern, zumal Juden, inoffiziell in der Frankfurter Paulskirche eröffnete;

oder ist das obige Zitat von der ex-Weinkönigin und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Julia Klöckner, ihrem Kollegen im Geiste, Gregor Gysi von der antizionistischen Partei Die Linke, dem Journalisten Michel Friedman, für den weder Augstein noch Günter Grass auf so eine Liste gehören, oder doch eher von der konservativen Zeitung für Deutschland (FAZ), ihrem Feuilletonchef Nils Minkmar oder auch ihrem Interviewpartner, einem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn, der  Augstein zwar so gut wie noch nie gelesen hat, aber sicher weiß, dass er zu Unrecht auf diese Liste des Simon Wiesenthal Centers gehört. Oder ist das repräsentative Zitat gar, Gottseibeiuns, von der jungen Welt, dem Neuen Deutschland, der taz, dem Freitag oder dem Vorzeige-Journalisten der ZEIT in solchen Fragen, Jörg Lau?

Nein, obiges Zitat ist von Götz Kubitschek, Autor der neu-rechten Postille Sezession, Geschäftsführer des Antaios Verlages, Co-Gründer des neu-rechten Instituts für Staatspolitik und ex-Redakteur der ebenso neu-rechten Jungen Freiheit. Selbst der Bundeswehr war sein Treiben zu bunt und er wurde 2001 vorübergehend wegen „rechtsextremistischen“ Aktivitäten entlassen. Kubitschek ist ein in der extrem rechten Szene beliebter Netzwerker, der im Oktober 2012 ein von bis zu 700 Leuten besuchtes Treffen (inklusive Politically Incorrect, PI) – „Zwischentag“ – organisierte.

Am 3. Januar 2013 stellte sich Kubitschek hinter Jakob Augstein und pries ein Büchlein an, das im Februar 2013 in seinem Verlag erscheinen soll:

„Günter Scholdt Vergeßt Broder! Sind wir immer noch Antisemiten? 96 seiten, gebunden, 8.50 € Schnellroda 2013.“

Der neu-rechte Aktivist Felix Strüning bewarb Kubitscheks extrem rechtes Netzwerk-Treffen im Oktober 2012 und lobt auch ein Antaios-Buch von Manfred Kleine-Hartlage, „Warum ich kein Linker mehr bin.“ Im selben Verlag erscheint auch einer der Superhelden der anti-muslimischen Liga, der norwegische Blogger Fjordman, der alle Muslime aus dem Westen schmeißen möchte, und zwar gründlich und langfristig (schrieb er im Dezember 2010). Antisemitismus, deutscher oder norwegischer Nationalismus, fast immer christlich grundiert, sowie Hass auf Muslime geben sich die Hand im Antaios-Verlag, der auch die Wehrmacht lobt und preist in ihrem „präventiven“ Krieg gegen die Sowjetunion, wie ein weiterer Titel dieser Propagandaschmiede verspricht. Schließlich, auch das ist Mainstream, wird der Antisemit und Käferaufspießer Ernst Jünger in diesem Verlag gefeiert.

Der Antisemitismus der rechten Szene (von neu-rechts bis rechtspopulistisch und rechtsextrem, je nach Lust und Laune soziologischer Differenzierung oder Appetit auf politikwissenschaftlichen Jargon) wird in dieser Hetze gegen Broder salonfähig. Denn obiges Zitat hätte von jedem anderen Augstein-Verteidiger kommen können. Nicht Augstein sei der Skandal, sondern Kritik am deutschen Antisemitismus, den der Sohn Martin Walsers gleichsam Pars pro toto verkörpert. Alle fühlen sich in Deutschland getroffen vom Simon Wiesenthal Center und kuscheln, von ganz links bis extrem rechts und mittendrin, wie im Wintermärchen.

 

Ästhetizistische Parallelwelten K.H.Bohrers Kritik am Islam ist keine – er möchte wieder ein stolzes Deutschland…

www.hagalil.com, 27.08.2007

Karl Heinz Bohrer, Avantgardist eines ästhetizistischen Deutschtums nach Auschwitz, ist gegen den Islamismus. Schön. Das sind nur wenige. Doch ist er wirklich ein Kritiker dieses ersten massenmäßigen, nun weniger braunen als vielmehr grünen Faschismus seit 1945? Bohrer bemängelt, es fehlt u.a. in Deutschland an Ritualen für gefallene Soldaten, an Geschmack in England, hingegen gebe es zuviel Konsum und zu wenig Ehre in Germany. Da die Theo-van-Gogh-Gesellschaft in einem ihrer jüngsten elektronischen Rundbriefe einen Text Bohrers verbreitete – »Kein Wille zur Macht« – , welcher in der Jubiläumsnummer 700 des von Bohrer mitherausgegebenen Merkur erschien, sei gezeigt, was an Bohrer zu kritisieren ist.

Dekadenz habe sich in Europa ausgebreitet. In deutschen Kleinstädten würden die Leute im Schlafanzug Brötchen einkaufen, weil sie wüssten, dass sie ästhetisch nichts zu verlieren hätten. Er poltert in Anlehnung – ob zurecht oder nicht – an Nietzsche gegen die »jüdisch-christlichen Moral« los. Das passt, denn Bohrers praeceptor Germaniae, der beliebte nekrophile Antisemit und Käferaufspießer Ernst Jünger, hat so seine antimonotheistischen Ressentiments verpackt, Walser sekundierte ihn. Bohrer hat eine abgrundtiefe Abscheu vor fehlendem Militär, er sucht nach Stolz und vermisst Ehre, Zucht und ›Manneskraft‹, wenn er sich über britische Soldaten erhebt, die in iranischer Gefangenschaft Todesangst hatten und später der Presse erzählten, das sie weinten. ›Heulsusen raus‹, schmettert Bohrer. Privates sei nicht politisch.

Er derealisiert, was Deutschland im Nationalsozialismus war, wenn er postuliert, dass nach 1945 ein Pazifismus um sich gegriffen habe, der sich »wie eines Hasen Versicherung gegenüber dem Löwen anhörte: ›Ich will dich auch nie wieder beißen.‹« Demnach waren die Deutschen im NS arme Hasen, denen mächtig das Fell über die Ohren gezogen wurde und die hiernach im Staube kriechen.

Zwar ist die Antikriegshetze in Deutschland seit dem Irak-Krieg in der Tat heftig, doch Bohrers Analyse ist so schief wie seine Motivation. Er lebt in einer Parallelwelt, die gar nicht mehr mitbekommt, was passiert. Wieso? Bohrer sieht nicht, dass Deutschland seit 1989/90 weltpolitisch ungeheuer aufgerüstet hat, dass ein Nationalismus mit allerbestem Gefühl um sich greift und während der Fußball-WM 2006 nie geahnte Ausbrüche schwarzrotgoldenen Wahnsinns zeitigte. Ihm ist das immer noch zu wenig Deutschland. Es fließt ja kein Blut. Bohrer steht für eine konservativ-gegenaufklärerische, antiutopische Richtung deutscher Ideologen, die, obschon ziemlich alt, es noch mal wissen will. Die großen Zeiten des 11. oder 12. Jahrhunderts, oder auch später, selbst Bismarck, werden bemüht als deutsche Zeiten, die zu erinnern Pflicht sei. So als ob in der Bundesrepublik die Befassung mit dem Holocaust zentral wäre, redet Bohrer wie sein Kollege Walser, den er sowohl 1998 als auch 2002 aggressiv vor jedwedem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz nahm. Geschichtsvergessen seien die Deutschen. Opfer der »Intellektuellen«. Damit ist das Lieblingsthema der Gegenaufklärung angesprochen. Unter ganz gezielter Bezugnahme auf Niklas Luhmann möchte Bohrer Habermas eins auswischen und brüllen: Ohne Macht ist Politik Quatsch! Ohne Wille keine Macht. Er ist ein Wagnerianer, dem es um die Sache selbst geht. Welche Sache? Stil. Haltung. Ästhetik. Uniform statt Schlafanzug. Munition statt Konsum.

Bohrer ist ein denkbar schlechter Anwalt im Kampf gegen den Terror. Der War on Terror jedoch ist viel zu wichtig, als ihn Leuten wie ihm zu überlassen. Weder Antiamerikanismus, politische Religion, noch Antisemitismus sind ihm das Problem. Wie auch? Ein Freund Ernst Jüngers hat doch kein Problem mit Judenhass. Und mit seiner Habilitationsschrift über Ernst Jünger 1978 wurde Bohrer zu dem, der er heute ist: ein auf Fragen des Stils, der Form zentrierter Altdeutscher, der Auschwitz mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, einordnen möchte in eine ganz lange Geschichte von Tiefen und vor allem Höhen deutschen Geistes. Problemlos ließ sich nach dem Zivilisationsbruch – der natürlich gar nicht als solcher ins Bewusstein rückt – weitermachen, vorausgesetzt ›wir Deutschen‹ erinnerten uns ›unserer‹ Geschichte in all ihren Facetten.

Das ist das alte Thema der Konservativen, Reaktionären und sehr wohl auch Linken seit den 1970er Jahren. Als Habermas 1979 die beiden Bände »Stichworte zur geistigen Situation der Zeit« edierte war auch Bohrer als Autor dabei und Walser raunte von den »nationalen Aufgaben«, denen wir uns wieder zuwenden könnten, wenn »wir Auschwitz bewältigen könnten«. Bohrer hat keinen Begriff von Ideologie oder von politischer Kultur. Er ist ein weltgereister, aber national bornierter Gegenintellektueller. Demnach möchte er nicht Mythen und Traditionen zerschlagen, wie es Krakauer für den Begriff des Intellektuellen festhielt. Bohrer möchte wieder mehr nationale Rituale, Mythos und Macht zelebriert sehen. Das mag psychoanalytisch unschwer als Reminiszenz angesehen werden, immerhin ist Bohrer Jahrgang 1932. Doch das entschuldigt nichts. Objektiv steht Bohrer heute offenbar auf Seite der Gegner der Judenfeinde aus Iran, Ryad, den Bergen am Hindukusch oder Gaza-Stadt. Doch subjektiv geht es ihm überhaupt nicht um Juden oder Amerikaner als Opfer des Djihad. Es geht ihm um Deutschland als Staat. Sein Lamento der überall ersichtlichen Dekadenz ist so alt wie langweilig. Es mag nicht dekadent sein, nach Bayreuth zu den Wagner-Festspielen zu gehen, verglichen mit einer Shoppingtour der Spice-girls im Londoner East-end. Es ist aber objektiv ekelhafter, macht keinen Spaß und protegiert vor allem bis auf den heutigen Tag einen der wirkungsvollsten Judenfeinde, welchen die moderne Opernszene seit dem 19. Jahrhundert kennt.

Seit Jahrzehnten arbeitet Bohrer daran Deutschland wieder gut zu machen, zu rehabilitieren, zu posaunen, der Nationalsozialismus sei höchstens eine kleine Facette in einer ganz großen Nationalgeschichte. Jetzt sieht er im Kampf gegen Islamismus und Terror eine Chance Deutschland zu remilitarisieren und die präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen endgültig ad acta zu legen.

Der Kampf gegen Antisemitismus und die Erinnerung an die Shoah haben Bohrer noch nie stark bewegt. Der Hass auf Israel und den Westen durch den Djihadismus, aber auch linke Globalisierungsgegner all over the world gereichen ihm zur Steilvorlage sein deutsches Spiel zu treiben. Das wird nicht klappen. Denn er lebt in einer Parallelwelt. Das heutige Deutschland ist bereits mega stolz und national. Deutsch-sein heute heißt die lingua franca Europas zu sprechen, antiamerikanisch und antizionistisch. Im Verbund mit alten Erinnerungsverweigerern wie Bohrer nun zu agitieren, wie es auch die Theo-van-Gogh-Gesellschaft tut, welche sich sehr bemüht den Kampf gegen den Islamismus zu verbreitern, was wichtig ist, ist unüberlegt, voreilig und kontraproduktiv. Bohrer war gegen die Wehrmachtsausstellung, hat jede nationale Welle seit dem Hitler Film in den 1970er Jahren mitgemacht und noch die letzte von 2006 mit Matussek vom Spiegel oder Fuhr von der Welt war ihm nicht hoch genug. Er hat Ernst Jünger salonfähig gemacht und Martin Walser verteidigt. Das sind die denkbar schlechtesten Voraussetzungen um jemals gegen Judenfeindschaft aktiv zu werden.

Für Bohrer ist der War on Terror ein Problem europäischer Dekadenz. Universelle Werte wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsrechte aller Art und vor allem der normativ zu führende Kampf gegen djihadistische Ideologie sind ihm Fremdwörter. Er findet es verwerflich wenn Leute dumm-blöd und nonstop TV glotzen, sich voll fressen und peinliche Klamotten kaufen. Das ist sein gutes Recht. Nur mit dem Kampf gegen den Islamismus hat das gar nichts zu tun. Mit einem deutsch-nationalen Revival, das vor 1933 zurückgehen möchte, und Geschichte national neu interpretieren möchte, allerdings. Und das ist das Problem.

 

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