Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke ist gegen „Hass“ und bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Die Publizistin Carolin Emcke schreibt in ihrem Buch „Gegen den Hass“, das 2016 auf den kulturindustriellen Markt geworfen wurde (Frankfurt a.M.: S. Fischer):

„Das Thema des Zugangs zu Toiletten für Transpersonen ist jüngst vor allem in den USA kontrovers diskutiert worden.“ (S. 158)

Es ist ein Buch über Hass hier und dort, und für Emcke führt die Diskriminierung von „Transpersonen“ ohne Umschweife zu allen möglichen Formen von „Hass“.

Nehmen wir Auschwitz als Beispiel, denn mehr als ein Beispiel ist es kaum. Immerhin nimmt sie EinwanderInnen in die Pflicht, sich auch mit den nicht so tollen Kapiteln eines Landes zu befassen (S. 203) – aber bitte einfühlend, sie hat schließlich Michel Foucault, Judith Butler und Axel Honneth gelesen (siehe Anmerkungen, S. 220–240), die immer wieder herbeizitiert werden. Emcke postuliert:

„Für das Erinnern an Auschwitz gibt es keine Halbwertszeit“. (S. 203)

Puuh, das ging nochmal gut. Der Holocaust war offenbar doch kein chemisches Experiment. Weiter schreibt die Preisträgerin:

„Es wird deswegen nötig sein, mit modernen didaktischen Methoden diese Geschichte als etwas zu erzählen, das sich mit neugieriger Einfühlung selbst aneignen lässt. Die vielen wunderbaren Beispiele aus den Programmen von Museen und Kultureinrichtungen zeigen längst, dass es möglich ist, auch Jüngere anzustiften, sich so kreativ wie ernsthaft mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.“ (S. 203)

„Wunderbare Beispiele aus den Programmen von Museen und Kultureinrichtungen“, die es ohne deutsche Vorarbeit gar nicht geben könnte, hätte an dieser Stelle der Publizist Eike Geisel festgehalten.

Bislang war es ja so gut wie unmöglich für junge Menschen, sich mit dem SS-Staat zu befassen, aber, endlich, dank „moderner didaktischer Methoden“ klappt das jetzt. Vor allem nicht so staubtrocken und nüchtern (wie z.B. ein Buch lesen), sondern mit „neugieriger Einfühlung“. „Frau Emcke, wie fühlt sich das an, einen Tag nackt im Schnee zu stehen und nicht umzufallen, im KZ?“ „Bekamen die danach wenigstens einen heißen Kakao?“ Sowas könnte man als Rollenspiel durchspielen, aber sicherlich einfühlend, nicht grob und unsensibel.

Oder: „Anstiften, hey, das klingt obercool“, denken sich ein paar Teenager, „lasst uns mal schauen, was wir Spannendes oder Schockierendes entdecken, bei den Juden geht immer was Krasses ab, eh“.

Oder sich „einfühlen“ in Anne Frank, der Klassiker schlechthin. „Sich einfach nicht alles gefallen lassen!“ „Tagebuch schreiben!“

Dass Anne Frank in Bergen-Belsen qualvoll starb und alles nur kein „Vorbild“ ist, geschenkt. Diese „Amerikanisierung“ des Holocaust (so der Kritiker Alvin Rosenfeld in „The End of the Holocaust“) ist längst eingermanisiert.

Ideologisierte AnhängerInnen der antisemitischen BDS-Kampagne drucken Anne Franks Bild als Ikone mit einem Palästinensertuch um den Hals und kämpfen so ausgestattet gegen „den“ Juden im Namen „der“ Juden gegen Rassismus und Israel und fügen Juden, Holocaustüberlebenden und ihren Nachfahren damit absichtlich Schmerzen zu, von der Verhöhnung Anne Franks und der Opfer der Shoah nicht zu schweigen.

Doch selbst und gerade die tollen neumodischen Konzepte, die Emcke vorschweben, sind das Problem. Die „Familiarisierung“, wie es die kritische Pädagogik nennt, promotet ein Einfühlen in die Geschichte Nazideutschlands und gerade der Holocaustopfer, suggeriert, „wir“ könnten so tun, als ob wir wüssten, was Auschwitz war und wie es sich „anfühlte“[1] und tut den Opfern somit ein zweites Mal Gewalt an. Die meisten der sich gutfühlenden Erinnerer merken das gar nicht.

Aber unterm Strich, und darauf kommt es ja an, ist Emcke glücklich und fröhlich:

„Mich beglücken die verschiedenen Rituale und Feste, Praktiken und Gewohnheiten. Ob Menschen sich in Spielmannszügen oder bei den ‚Wagner-Festspielen‘ in Bayreuth, ob sie sich im Stadion von FC Union Berlin oder bei ‚Pansy Presents…‘ im ‚Südblock‘ in Kreuzberg vergnügen, ob sie an die unbefleckte Empfängnis glauben oder an die Teilung des Roten Meeres, ob sie Kippa tragen oder eine Lederhose oder Drag – die gelebte und respektierte Vielfalt der Anderen schützt nicht nur deren Individualität, sondern auch meine eigene.“ (S. 195)

„Meine eigene“ – das passt, denn das Buch wirkt wie ein narzisstisches Bekenntnis. Sie sieht sich selbst als gleich doppeltes Opfer:

„Als Homosexuelle und als Publizistin gehöre ich gleich zu zweien der in diesem Kontext besonders verhassten gesellschaftlichen Gruppierungen.“ (S. 71)

So richtig und wichtig Ihre Kritik an Pegida oder AfD, an Homophobie, Rassismus und völkischem Nationalismus, an Antiintellektualismus, an Reinheit und Einheit ist, so völlig analyselos, eklektisch, additiv ist ihre Aufzählung der „Opfer“-Gruppen, was im ganzen Buch so rüberkommt, als ob sie es nur wegen sich selbst geschrieben habe.

Im Grunde analogisiert sie permanent und obsessiv Antisemitismus mit Homophobie, Rassismus und allerlei Diskriminierungen oder auch Hass. Sie verkennt den genozidalen Charakter des Antisemitismus und hat keinen Begriff davon. Keine andere Gruppe wird in aller Welt beschuldigt, an dieser oder jener Verschwörung beteiligt zu sein.

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ inspirierten Deutsche und Hitler dazu, den Juden zu bekämpfen. Christen agitieren bis heute in nicht wenigen Kreisen, Juden hätten Jesus auf dem Gewissen. Arabische Antisemiten wie islamistische fantasieren, Israel und die Juden würden Wasser oder Bonbons vergiften und überhaupt hätten die Juden die Medien, das Kapital und die Regierungen in der Hand.

Ressentiments und Verschwörungsmythen, die nicht wenige Araber und alle Islamisten mit vielen FanatikerInnen in Deutschland bis weit in die Mitte der Gesellschaft teilen. Man denke nur an 9/11 und die diesbezüglichen Verschwörungsmythen, eine Kopplung aus Antiamerikanismus und Antisemitismus.

Juden stünden hinter dem Kapitalismus, dem Kommunismus, den Medien, der Moderne, der großstädtischen ausschweifenden Sexualität usw. usf.: keines dieser klassischen Topoi des Antisemitismus trifft auf Frauen, Homosexuelle, Flüchtlinge, Schwarze oder neue Nachbarn zu.

Die „lethal Obsession“ (Robert S. Wistrich) des Antisemitismus oder der „longest hatred“ (Robert S. Wistrich) zeigen einen obsessiven Hass, ein irrationales Ressentiment und gerade kein x-beliebiges Vorurteil oder eine x-beliebige „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ an. Der Antisemitismus kann sich in unendlich viele Facetten kleiden, wie die Geschichte seit der Antike gezeigt hat.

Aber auch die Abwehr der Erinnerung an die Shoah ist sehr spezifisch antisemitisch konnotiert und gerade nicht Ausdruck einer x-beliebigen „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. Für die nationale Identität in Deutschland ist ein Trivialisieren der Shoah essentiell, wie das geschieht, ist variabel. Gleichsetzende „Vergleiche“ von Nationalsozialismus und Stalinismus oder Sozialismus (Rot=Braun)  sind derzeit beliebt („Schwarzbuch des Kommunismus“, „Prager Deklaration“), postkoloniale Ideologie ist ebenfalls en vogue („Von Windhuk nach Auschwitz“) und natürlich die Pegida-Agitation mit ihren Anleihen bei Goebbels und NSDAP-Propaganda, wie sie nicht zuletzt am 3. Oktober, dem „Tag der deutschen Einheit“ zu erleben war.

Sehr beliebt sind zudem die penetranten Vergleiche von Israel und den Nazis oder der Apartheid, typische Muster der Schuldabwehr und Schuldprojektion. Sodann nicht zu vergessen die Hinweise, welche perfiden britischen oder amerikanischen Bomber diese Brücke oder jenes Haus in Dresden, Hamburg oder Wien „zerstört“ haben und welche tapferen Deutschen oder Österreicher in einem neuen Kraftakt des „wir“ sie nach dem 8. Mai 1945 wieder aufbauten (oder sie als Mahnung gegen Krieg an und für sich stehen ließen, wie in Berlin die „Gedächtniskirche“).

Oder man denke an elaboriertere Theoreme wie jenes der bösen Moderne, die ein „Lager“ und das KZ nur die vollendete bürgerliche Gesellschaft sei, das seit Jahren Teil antisemitischer Trivialisierung der Shoah ist, hier vorgetragen vom italienischen Modephilosophen Giorgio Agamben.[2] All das kommt in „Gegen den Hass“ selbstredend nicht vor, weil das Decodieren subtilen Hasses oder antisemitischer Ressentiments Emckes Geschäft nicht ist.

Das angedeutete Spezifische des Antisemitismus kommt bei der Autorin nicht vor. Für sie sind die unterschiedlichsten Gruppen gleichermaßen, ohne kategorialen Unterschied, Opfer, sie wendet sich gegen Hass auf

die Juden, die Frauen, die Ungläubigen, die Schwarzen, die Lesben, die Geflüchteten, die Muslime oder auch die USA, die Politiker, der Westen, die Polizisten, die Medien, die Intellektuellen.“

Es ist diese Aufzählung, die das genozidale Ressentiment gegen die Juden – womit sie die vernichtungsantisemitische Pointe gegen den Juden treffsicher verpasst – mit Hass gegen die Frauen gleichsetzt; als ob ein Genozid an Frauen stattgefunden habe oder in Planung sei; ganz abgesehen davon, dass natürlich auch deutsche Frauen, oder auch ungarische, österreichische, litauische Antisemitinnen waren und auf andere Weise heute wieder oder noch sind. Wer Sexismus analysieren und bekämpfen möchte, kommt mit solchen undifferenzierten Analogien nicht weiter.

Mehr noch: Wenn Emcke schon ziemlich umfassend alle ihr in den Kopf kommenden Großgruppen, denen Hass begegnet, aufzählt, fehlen, das nur am Rande, einige Gruppen, neben Behinderten, Obdachlosen, frisch Um- oder Zugezogenen vor allem auch Hartz4-Empfänger oder Arme, Opfer des Kapitalismus.

Das mit den ‚frisch Um- oder Zugezogenen‘ („Etabliertenvorrechte“) ist nicht ironisch gemeint, nein, die sind ernsthaft Teil der sogenannten „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF) und meinen auch ganz normale Deutsche, die – umziehen. Deshalb hätte auch der Erfinder des Wortungetüms „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, Wilhelm Heitmeyer, den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten müssen und nicht Carolin Emcke, das wäre ehrlicher gewesen.

Denn Emcke plappert nur nach, was Heitmeyer seit über 10 Jahren schon formuliert, und ein Kapitel in ihrem Buch heißt denn auch „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Um Nachfragen vorzubeugen: nein, auch der Verfasser dieses Textes ist nicht für „Menschenfeindlichkeit“, „gruppenbezogene“, wobei es gerade mit Blick auf den Deutschen schwer ist, jene nicht zu verspüren.

Auschwitz und die Shoah kommen in „Gegen den Hass“ im Kontext x-beliebiger „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor. Ein weiteres Beispiel ist der rassistische Mob gegen Flüchtlinge in Sachsen in Clausnitz, ein anderes Rassismus in USA. Hass auf alle möglichen Gruppen, eben auch Juden. Emcke schreibt explizit, nachdem sie „Antisemitismus“ erwähnte, „[n]och immer gibt es gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (S. 69), also war die Shoah auch eine.

In ihrer publizierten Dissertation spricht Emcke wie der des Deutschen nicht mächtige gewöhnliche Feuilletonredakteur von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wo es doch „gegen die Menschheit“ heißen muss. Gegen die Menschlichkeit verstößt auch der ganz normale Kapitalismus der Deutschen Bank, oder jeder x-beliebige Vorstand einer Aktiengesellschaft, der Menschen als Ware betrachtet, wie es der Kapitalismus, das ökonomische a priori verlangt.

Der Holocaust hat damit gar nichts zu tun und ist ein Zivilisationsbruch gewesen, der nicht nur gegen die „Menschlichkeit“ gerichtet war, sondern gegen die Juden und die Menschheit.

Geradezu obsessiv verquickt Emcke Juden und Homosexuelle (also sich selbst), sie scheint Opfer sein zu wollen wie die Juden:

– „Es gab diesen diskreten, aber eindeutigen Vorwurf, nun sei doch seitens der Juden oder der Homosexuellen oder der Frauen auch mal etwas stille Zufriedenheit angebracht, schließlich würde ihnen so viel gestattet.“ (S. 13)

Man könnte meinen, Frauen seien Opfer einer Shoah geworden und würden nun so ressentimentgeladen attackiert werden wie Juden.

Weiter geht’s in Emckes Analogieamoklauf, dem friedfertigen, unblutigen und einfühlenden:

– „… das Geraune von einer ‚schwulen Lobby‘ oder jener Sorte Israel-Kritik, die mit einem ‚man wird ja wohl mal sagen dürfen‘ anhebt“ (S. 76)

– „…humorlos zu sein (gegenüber Feministinnen oder auch lesbischen Frauen gehört das zum Standardrepertoire), von der eigenen qualvollen Geschichte ‚profitieren‘ zu wollen (gegenüber Jüdinnen und Juden)“ (S. 102)

So als ob eines der antisemitischen Topoi nach dem Holocaust, die „Holocaustindustrie“, auch nur im Ansatz damit zu vergleichen sei, dass angeblich sehr häufig Feministinnen oder Lesben als humorlos bezeichnet würden. Was für ein additives, ohne jede Struktur mit Wörter herum fuchtelndes Gerede das ist.

Dann bringt sie besonders „surreale Beispiele“:

-„ …wenn an öffentlichen Schulen nur jüdische Feiertage gelten würden, wenn nur homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürften …“ (S. 114)

Für Emcke ist Antisemitismus, auch der sekundäre, um den es hier geht (auch wenn sie das Wort nicht kennen sollte), nicht mehr als eine „abwertende Etikette“ und „strukturelle Missachtung“ (S. 102).

Diese völlige analytische Hilflosigkeit, die weder sozialpsychologische noch politisch-kulturelle oder ideologiekritische Analysemuster kennt, kommt gut an, weil sie „uns“ alle (solange „wir“ zu einer „diskriminierten“ Gruppe gehören) zu einem „wir“ der Opfer zusammen schmiedet, das ist der Tenor hierbei, der das ganze Buch  durchzieht.

Sodann folgt eine Analogie von Morden an Transgenderpersonen mit antisemitischen und rassistischen Morden (S. 156f.), und schließlich setzt Emcke am Beispiel des sog. Islamischen Staats dessen „Hass“ gegen Frauen, Juden und Homosexuelle auf eine Stufe (S. 169).

Jede Differenz wird hier geleugnet. Niemand strebt danach einen Staat der Homosexuellen zu zerstören, niemand agitiert weltweit gegen die Protokolle der Weisen der Transgenderpersonen. Die schrecklichen Diskriminierungen und der homophobe oder transphobe Hass sind schlimm und müssen bekämpft werden. Aber nicht indem man wie Heitmeyer oder Emcke das mit dem Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ macht, indem der einzige weltweite, genozidale Hass, der Antisemitismus (und Antizionismus) völlig als solcher derealisiert wird.

Probleme über die Benutzung von Toiletten von Transgenderpersonen müssen in der Gesellschaft diskutiert und gelöst werden. Aber das auch nur in einem Atemzug mit dem genozidalen Hass auf „den ewigen“ Juden zu vergleichen ist das Ende jeder Analyse.

Es gibt widerliche Hetze gegen Schwule und Lesben oder „Transen“, nicht nur online, auch und gerade offline. Aber das homophobe Geschwätz von einer „schwulen Lobby“ ist eben lächerlich und konsequenzlos verglichen mit der auf die Auslöschung von Millionen Juden gerichteten Hetze gegen die „Israellobby“ oder die „jüdische Lobby“. Wer das nicht kapiert, hat wirklich gar nichts kapiert von der Gefahr, die vom Antisemitismus ausgeht.

Mehr noch: auch das Gendern Emckes von Jüdinnen und Juden in der Shoah ist an Absurdität und Perfidität nicht zu überbieten. Hierzu hat die Autorin Esther Dischereit schon vor über 20 Jahren geschrieben:

„Ende der achtziger Jahre schließlich – noch vor Ausbruch der Pogrom’feierlichkeiten‘ – ich meine die explosionsartig ins öffentliche Bewußtsein drängende Etablierung einer Erinnerungs’kultur‘ – war ich zu Gast bei einer kleinen radikal feministischen Gruppe, die sich vorgenommen hatte, etwas von Frauen zu erfahren, die während des Nationalsozialismus im Widerstand aktiv waren. Die Frauen wollten sich auch mit dem KZ Ravensbrück beschäftigen. Im Verlauf des Gesprächs wurde als Motiv formuliert: Die Jüdinnen seien es, mit denen sie sich befassen wollten, denn daß sie als Frauen so behandelt worden seien, sei das, was sie empörte. Ich weiß noch, daß ich wegen der feministischen Trauerbedürfnisse aufstand und wegging. Mir gelang keine Begründung, weil ich stammelte und mir die Luft wegblieb. Mit war das ganze Ansinnen der Gruppe diskreditiert. Sollte die Asche in männlich und weiblich geteilt werden? (…) Das, was mich so sprachlos machte, war wohl die Rigidität und Erbarmungslosigkeit, mit der mir der Begriff vom Mensch-Sein ersetzt schien durch Frau-Sein. Gegenüber den Lebenden in der patriarchalen Gesellschaft hätte mich solche Übertreibung nicht weiter aufgeregt, vielleicht hätte ich sie für eine Zeitlang als notwendig angesehen. Gegenüber den Toten war sie für mich von einer Grausamkeit, die ich nicht fassen konnte. (…) Der Jude war getötet worden als Jude – als non-human, als Nicht-Mensch –, es spielte vor der Geschichte keine Rolle mehr, ob er nach gender per se ein Patriarch gewesen oder nicht.“ (Esther Dischereit (1995): Übungen, jüdisch zu sein, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 168–170.)

***

Schließlich passt der Friedenspreis zu Carolin Emcke wie zu Martin Walser. Auch Emcke strebt nach einem starken „wir“ (S. 218), sie schreit danach dazugehören, ob nun als Teil einer Opfergruppe in einer Reihe mit Juden oder nicht, Hauptsache „wir“, natürlich kein fixes „wir“, ein offenes, lustiges, glückliches, nicht festgelegtes. Und wer in Buchläden geht, derzeit, sieht den Schrei nach einem „wir“ all überall, nicht nur bei Nazis und Pegidisten, grade auch bei den vorgeblich nicht so Völkischen.

Und sie gehört auch zum Kreis derjenigen um Axel Honneth und das heutige Frankfurter Institut für Sozialforschung, die Adornos Namen in den Dreck ziehen und feierte 2012 ihre alte Freundin (siehe den „Dank“ in der publizierten Fassung der Dissertation von Emcke), die antisemitisch-antiisraelische Autorin Judith Butler, die tatsächlich Adorno-Preisträgerin wurde. Emcke nahm die amerikanische Agitatorin, die nicht nur die Hamas als soziale linke Bewegung betrachtet, sondern vor allem Israel als jüdischen Staat kategorisch ablehnt, gegen Kritik in Schutz.

Emcke zitiert in „Gegen den Hass“ unkritisch die antisemitische Autorin Jacqueline Rose, die dafür berüchtigt ist, an anderer Stelle die unfassbare Lüge geschrieben und gedruckt bekommen zu haben, nach der sich womöglich Hitler und Theodor Herzl während des gleichen Konzerts mit Wagner-Musik für ihre jeweiligen Bücher „Mein Kampf“ oder „Der Judenstaat“ inspirieren hätten lassen. Das hätte bekanntermaßen spätestens im Mai 1895 stattfinden müssen, da zu diesem Zeitpunkt Herzl sein Manuskript abschloss. Hitler war da sechs Jahre alt. Und er kam erst 1940 in des Erzfeindes Land, mit der Wehrmacht.

Doch für Emcke ist das keine Erwähnung wert, für sie ist Rose zitierbar, was nicht wundert, wenn sie auch ein Fan von Butler ist oder dem antiamerikanischen und mit antisemitischen Invektiven nur so um sich werfenden Holocaustverharmloser Giorgio Agamben.

Emcke zitiert Agambens Buch „Homo Sacer“, in dem der Autor die Festsetzung illegaler Einwanderer in Italien 1991 mit der Deportation von Juden aus Vichy-Frankreich oder heutigen Warteräumen für Flüchtlinge auf internationalen Flughäfen gleichsetzt. Agamben schreibt darin auch folgenden Satz, der einer Preisträgerin für den Frieden mit dem Deutschen Buchhandel offenbar runterflutscht wie Honig:

„Jedenfalls wissen die Juden in Auschwitz, und dies wirkt wie eine grausame Selbstironie, daß sie nicht als Juden sterben werden.“

In einem seiner Bremer Vorträge von 1949 redet der deutsche Denker Martin Heidegger von der „Fabrikation von Leichen“, was Agamben im von Emcke zitierten Band ebenso unkritisch wiedergibt, ohne dieses Wort zu analysieren oder den Kontext des Zitats kenntlich zu machen. Heidegger sagt:

„Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“

Die Gleichsetzung der präzedenzlosen Vernichtung der europäischen Juden in Gaskammern mit modernem Ackerbau ist ein Antisemitismus neuen Typs, eine Banalisierung des Unfassbaren wie eine Opferstilisierung der deutschen Täternation.

Für Carolin Emcke gibt es offenbar keinen kategorialen Unterschied zwischen Gaskammern und dem „Hass“, Transgenderpersonen die Benutzung dieser oder jener Toilette schwer zu machen. Sie meint es sicher nur gut, beide „Beispiele“ (für das eine steht Auschwitz) kommen im selben Buch offenkundig als Beispiele für „Hass“ vor.

Carolin Emcke ist eine würdige Preisträgerin, sie ist gegen das Differenzieren und das kritische Denken, für das Geplapper und die Affirmation der Kulturindustriemaschine. So mag es der Betrieb, und alle werden klatschen. Glück wird sich ausbreiten in der Paulskirche, langsam, aber immer stärker.

Für die Publizistin sind St.-Pauli-Fans so bescheuert oder gefährlich, deppert oder skurril wie Jihadisten, die sich 72 Jungfrauen erhoffen, nur böse „liberale Rassisten“ sehen das nicht, weshalb ich schon vor sechs Jahren schrieb:

„Heute spricht die junge und bislang kaum aufgefallene Autorin Carolin Emcke in der ZEIT in einem kulturrelativistischen Amoklauf, der zwischen islamistischen suicide bombern und den Fußball-Fans von St. Pauli keinen nennenswerten Unterschied sehen möchte, von einem ‚liberalen Rassismus‘ der Islamkritiker.“[3]

Die Preisträgerin ist „beglückt“ von den Wagner-Festspielen wie von den Dragqueens, ihre postmodern kapitalistische Offenheit lässt alles gelten. Carolin Emcke ist wirklich „beglückt“, weil nur das, diese vorgebliche Vielfalt, ihr erlaube als Lesbe und Publizistin so zu sein, wie sie ist. Ihr Beglücktsein wird von der Paulskirche ausgehend sich im ganzen Land verbreiten. Und das ist doch das Wichtigste.

 

[1] Zur Kritik an dieser Einfühlung und „Familiarisierung“ siehe die unpublizierte Dissertation von Marion Bremsteller: „Didaktik der Verfremdung. Bertolt Brechts Theater und seine Bedeutung für die Pädagogik, gezeigt am Stück Die Dreigroschenoper“.

[2] Siehe zu Agamben Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin: Edition Critic, 375–378.

[3] „[D]er männliche Blick, der junge Mädchen unter den Schleier zwingt, erscheint den einen ebenso sexistisch wie anderen der, der sie sich in High Heels quetschen und rundum entblößen lässt; die Vorstellung der Eucharistie ist den einen so befremdlich wie den anderen der Glaube an 72 Jungfrauen im Paradies; die Wagner-Begeisterten in Bayreuth wirken auf die einen so befremdend wie auf andere die St.-Pauli-Fans am Millerntor“ (Carolin Emcke (2010): Liberaler Rassismus. Die Gegner des Islams tun so, als würden sie Aufklärung und Moderne verteidigen. In Wahrheit predigen sie den Fremdenhass, in: Die Zeit, 25.02.2010).

Das neue, alte ZfA: Die Obsession für schiefe Vergleiche

 

Von Dr. Clemens Heni

(The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) )

Geht es den Muslimen heute so wie den Juden Anfang des 19. Jahrhunderts? Das meint die neue Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA), die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum. Bevor diese These etwas näher untersucht wird, geht es um eine geplante Veranstaltung des ZfA Ende Oktober 2011.

Während der ehemalige Leiter des ZfA, Wolfgang Benz, mit den Antisemiten und Islamisten des Muslim-Markt freundschaftlich diskutierte und „Islamophobie“ bzw. „Islamfeindlichkeit“ zum Thema machte, folgt die neue Leiterin den letztgenannten Topoi offenbar gerne, wie ein Text des bekannten Internet-Blogs tw24 zeigt.

Demnach wird Schüler-Springorum Ende Oktober 2011 in Berlin in der umstrittenen „Werkstatt der Kulturen“, die 2009 eine Ausstellung über die „Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“[i] wegen einer kritischen Tafel zum Nazi-Mufti Muhammad Amin al-Husaini zensierte und die Ausstellung nicht zeigte, auf einer Konferenz mit dem Titel „Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft“ reden.

 Diese Tagung, gesponsert von der „Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft“[ii], hat Schüler-Springorum nicht nur mit konzipiert. Sie wird auch ein Panel moderieren, auf dem[iii] problematische Teilnehmer dabei sein werden wie Yonas Endrias, der mit der „Islamischen Zeitung“ freundlich redete und sich 2009 gegen einen Boykott des antisemitischen und islamistischen Hetzfestivals, genannt Durban II-Konferenz, in Genf aussprach, wie tw24 berichtete. Dann ist da Naime Cakir vom „Abrahamitischen Forum“ sowie vom „Kompetenzzentrum muslimischer Frauen“, die sich aggressiv gegen die Islam- und Kopftuchkritik von Necla Kelek oder Seyran Ates wendet und als Kritikerin oder Forscherin zu Antisemitismus noch nie in Erscheinung getreten ist. Cakir hat mit dem Abrahamitischen Forum und dem „Interkulturellen Rat“ eine Erklärung zum 11. September 2011 verfasst, worin sie sich dafür einsetzt, „das Miteinander zu verbessern sowie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Christenfeindschaft zu überwinden“. Schon diese groteske Verharmlosung des Antisemitismus in Deutschland, der mit herbei geredeter „Muslimfeindlichkeit“ und „Christenfeindschaft“ gleichgesetzt wird, ist auffallend.

Damit wird der genozidale Charakter des Antisemitismus geleugnet und als bloße Ablehnung einer Religion (wie des Christentums oder des Islams) herunter dekliniert.

 Wer waren eigentlich die Täter am 11. September 2001? Und wer waren die Opfer? Das Abrahamitische Forum und der Interkulturelle Rat schreiben:

  „Am 11. September 2011 erinnern wir uns an ein Ereignis, das mit menschenverachtender Gewalt die Welt verändert hat. Blutige Kriege und Anschläge waren eine Folge. Hunderttausende wurden weltweit zu Opfern von Gewalt, insbesondere Muslime in Afghanistan und Irak, aber auch Menschen in London, Madrid oder Istanbul. Bis heute dauern die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen an.“

 Wie bitte? Die einzige Gruppe von Menschen, die näher beschrieben wird, sind Muslime als Opfer! Viel absurder und geschichtsverfälschender geht es nicht. Muslime waren die Täter am 11. September. Sie ermordeten 3000 Menschen in New York City im World Trade Center, im Pentagon und vier entführten Flugzeugen.

 In London, Madrid, Djerba waren Europäer, nicht-religiöse Menschen, Christen, Juden und andere Opfer – wiederum waren Muslime die Täter. Davon kein Wort vom interkulturellen Rat. Dass in Afghanistan und im Irak Muslime ermordet werden von anderen Muslimen, ist schrecklich; für den Interkulturellen Rat aber offenbar schlimmer als 9/11 oder die islamistisch motivierten Massenmorde in Madrid oder London, denn da waren Muslime kaum unter den Opfern. Auch hier wird nicht erwähnt, worum es geht: islamistische und jihadistische Muslime sind die Mörder dieser Tausenden von Opfern weltweit. Das verleugnen die Multikulti-Ideologen – eine intendierte Derealisierung.

 Diese Art von „interreligiösem Dialog“, der Antisemitismus mit einer eingebildeten „Muslimfeindlichkeit“ oder „Christenfeindschaft“ in Deutschland auf eine Stufe stellt, ist kontraproduktiv und gefährlich. Antisemitismus wird als spezifisches Phänomen geleugnet. Daher wird Naime Cakir von der ZfA-Leiterin offenbar eingeladen. Inkompetenz zahlt sich aus.

 So ist es also kein Zufall, dass kein einziger der Vorträge Ende Oktober auf der ZfA/EVZ/KIGA-Tagung „islamischen“ oder „arabischen“ Antisemitismus zum Thema hat. Natürlich werden auch nicht die brutalen und zum Mord an Juden aufrufenden Einträge von zumeist Deutsch-Türken auf dem Internet-Portal Facebook, wie sie am 31. Mai 2010 und die darauf folgenden Tage aus Anlaß der Aktionen des Terrorschiffes „Mavi Marmara“ zu Hunderten und Tausenden zu lesen waren, thematisiert, jedenfalls deutet kein einziges der Panel darauf hin. Diese Statements wurden fast immer mit richtigem Namen und mit Bild gepostet und zogen den Neid von Neonazis auf sich, da sich die NPD und autonome Nationalisten kaum so offenherzig mit Namen und Bild Pro-Hitler und Pro-Holocaust äußern und zum Mord an Juden aufrufen.

In der Ankündigung für die Tagung oder in den Titeln der Panels ist davon keine Rede. Dafür wird auf der Veranstaltung über „Die Bedeutung des Sozialraums für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)“ fabuliert und damit apriori Antisemitismus mit der „Abwertung Langzeitsarbeitsloser“ oder der Kritik am Islamismus („Islamophobie“) gleichgesetzt – denn so sieht es das federführend von dem Pädagogen Wilhelm Heitmeyer aus Bielefeldt konzipierte und mittlerweile aus zehn Komponenten bestehende Konzept „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF)“ vor.

Darüber hinaus und ganz grundsätzlich meint Schüler-Springorum zuletzt in mehreren Interviews, dass heutige „Islamfeindschaft“ sehr wohl mit Antisemitismus verglichen werden könne, und zwar z.B. mit jenem Anfang des 19. Jahrhunderts. Die „Jüdische Allgemeine“ Wochenzeitung schreibt dazu, ohne kritisch darauf zu reflektieren:

 „So sagt Schüler-Springorum etwa: ‚Man kann Antisemitismus und Islamfeindschaft miteinander vergleichen, weil dann ja auch die Unterschiede deutlich werden.‘ Parallelen zum Antisemitismus des frühen 19. Jahrhunderts sieht sie durchaus, aber für das späte 19. Jahrhundert verneint sie diese.“

Was meint die neue Leiterin des ZfA mit „Parallelen“ des Antisemitismus und heutiger „Islamfeindschaft“? Ging es den Juden Anfang des 19. Jahrhunderts so wie den Muslimen in Deutschland heute?

Anfang des 19. Jahrhunderts mussten Juden konvertieren, wenn sie irgendeine Chance haben wollten – siehe als ein Beispiel den Schriftsteller Heinrich Heine, der sich 1825 taufen ließ, um das „Entréebillet“ in die „bürgerliche Gesellschaft“ zu bekommen.

Die ZfA-Leiterin stellt in den Raum, und die Jüdische Allgemeine oder auch der Kölner Stadtanzeiger bieten den Platz dafür, dass heute Muslime eine Diskriminierung erfahren würden wie Juden um 1800 oder auch um 1825 herum. Das verharmlost und derealisiert den Antisemitismus Anfang des 19. Jahrhunderts und vernebelt vollkommen, wie gut es heute den Muslimen in Deutschland geht. Es ist also ein doppelt falsches Argument.

Zur Erinnerung: In den altdeutschen Liedern unter dem Titel „Des Knaben Wunderhorn“ popularisierten Clemens Brentano und Achim von Arnim zwischen 1806 und 1808 auch den antisemitischen Topos des „ewigen Juden“, Ahasver.

1811 hielt von Arnim eine der antisemitischsten Reden der deutschen Romantik („Über die Kennzeichen des Judentums“), worin er fantasierte, wie die Körper von Juden wohl reagierten, wenn man sie pulverisierte. Darauf wies im Jahr 1996 die Historikerin Susanna Moßmann in dem Band „Machtphantasie Deutschland“ hin.

Von Arnim gründete 1811 die „Christlich-Deutsche Tischgesellschaft“[iv], zu der Juden (getaufte wie nicht getaufte, sowie Nachkommen von getauften) keinen Zutritt hatten, was Saul Ascher scharf kritisierte.

Hinzu kommen der deutsche Nationalismus und die Propaganda für ein „deutsches Volkstum“ sowie der Antisemitismus von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn und seinen Horden. Auch das ist in der Forschung seit langem ein wichtiges Thema. So hat Eleonore Sterling im Jahr 1956 darüber publiziert –„Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815–1850)“ – und die Bedeutung von Jakob Fries, den Turnvereinen und den Burschenschaften betont. Es wird in Berlin derzeit in Fußballkreisen diskutiert, endlich den Ex-DDR-Jahnsportpark in Prenzlauer Berg umzubenennen.

Nicht zu vergessen das burschenschaftliche Wartburgfest von 1817, inklusive dem Verbrennen von Büchern von französischen und jüdischen Autoren.

Sind Parallelen zur Situation von Muslimen heute zu erkennen, wenn ein schwäbischer Muslim wie Cem Özdemir Parteivorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen ist und Islamismuskritik als „Islamophobie“ diffamiert und sich der Hetze gegen Ralph Giordano und Henryk M. Broder, die beide mit dem Antisemiten Heinrich von Treitschke verglichen werden, aus der Feder des FAZ-Feuilleton-Chefs Patrick Bahners anschmiegt?

Die Historikerin Monika Richarz promovierte 1969 an der FU Berlin mit einer Arbeit über den „Eintritt der Juden in die akademische Welt“. Darin behandelt sie auch judenfeindliche Tendenzen Anfang des 19. Jahrhunderts, sie berichtet von einem „Taufzwang“ der Juden, wenn die irgend reüssieren wollten.

Dazu gibt es heute natürlich keine Parallele. Im Gegenteil, eher konvertieren in den letzten Jahren relativ viele Bürger in Deutschland zum Islam. Salafisten und andere rabiate Islamisten in der Bundesrepublik sind häufig Konvertiten.

Das Beispiel der Akademiker ist treffend: heute kann jeder Muslim Student, Doktorin, Doktorand, Post-Doc, Professor, Institutsleiter etc. werden. Juden hingegen hatten mit extrem heftigem, oft blutigem Antisemitismus zu kämpfen, zumal an den Universitäten Anfang des 19. Jahrhunderts, um das es hier geht. 

1822 wurde in Preußen der Ausschluss von Juden von „akademischen Lehr- und Schulämtern“ beschlossen, 1827 wurde verfügt, Juden dürften auch keine Apotheker mehr sein, wie die Sprachwissenschaftlerin Nicoline Hortzitz in ihrer 1988 publizierten Dissertation „Früh-Antisemitismus in Deutschland (1789–1871/72). Strukturelle Untersuchungen zu Wortschatz, Text und Argumentation“ herausarbeitete. 1819 gab es die antijüdischen „Hep-Hep-Krawalle“, insbesondere in Würzburg, Frankfurt, Hamburg, aber auch in anderen Orten. Die pro-jüdische Gesetzgebung unter der französischen Besatzung wurde wieder rückgängig gemacht.

Während Juden in Preußen ab 1827 keine Apotheker mehr sein durften, gibt es hingegen heute selbstverständlich migrantische und muslimische Apotheker in Deutschland. Manche sind sogar im „Palästinensischen Ärzte- und Apothekerverband“ organisiert, der im Oktober 2010 eine Veranstaltung mit dem international berüchtigten Antisemiten und Israelfeind Norman Finkelstein plante, wie die „autonome neuköllner antifa“ berichtete und zu Gegenaktivitäten aufrief.

Heute haben Muslime wie anderen Migranten auch alle Bürgerrechte in Deutschland, viele wollen aber gar nicht die deutsche Staatsbürgerschaft und kapseln sich bewusst ab. Muslime werden nicht anders behandelt als andere Bürger des Landes. Völlig anders die Situation der Juden, hier am Beispiel des Anfangs des 19. Jahrhunderts. Die rechtliche Emanzipation der Juden dauerte im 19. Jahrhundert bis 1871, und auch das war nur eine formale Gleichstellung, de facto waren Juden aus Sicht der nicht-jüdischen Deutschen nie wirklich angekommen, gerade nicht Anfang des 19. Jahrhunderts.[v]

Islamische Staaten wie der heutige Iran sind eine große Gefahr für die Menschheit. Wenn jetzt Forscherinnen insinuieren, dass es den Muslimen in Deutschland, Europa und der Welt in Teilen oder insgesamt so ginge wie den Juden Anfang des 19. Jahrhunderts, wird in den Raum gestellt, dass es damals etwas Ähnliches gegeben haben möge wie den Iran, die Hamas, oder die Muslimbrüder – von jüdischer Seite! Man muss diese These der ZfA-Leiterin nur logisch durchdenken, dann kommt man zu solchen Absurditäten.

Die größten Antisemiten und Islamisten wie der iranische Präsident Ahmadinejad bekommen Foren wie das Rednerpult der Vereinten Nationen, doch Forscher sprechen ernsthaft über „Islamfeindlichkeit“. Das kann man nur als realitätsgestört bezeichnen.

Juden waren seinerzeit eine unterdrückte Minderheit und in deutschen Landen der eingebildete und konstruierte Feind schlechthin. Heute gibt es dutzende Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit und mächtigen Militärapparaten. Islamisten hetzen gegen die westliche Welt, sie sind Täter und nicht Opfer. Islamisten propagieren Judenhass und ihren Wunsch nach Vertreibung und Vernichtung von Juden, während Juden schon Anfang des 19. Jahrhunderts Objekte waren für den Antisemitismus.

Heute sind viele Muslime fanatisiert und propagieren nicht nur die Scharia und schüchtern moderate Muslime ein, sie agitieren auch gegen den Westen: Staatsmänner wie der türkische Ministerpräsident Erdogan, der iranische Präsident Ahmadinejad, sowie islamistische Vordenker wie Yusuf al-Qaradawi, der im Februar 2011 in Ägypten auf dem Kairoer Tahrir-Platz zum Marsch auf Jerusalem geblasen hat und damit die Wahrheit über den arabischen Frühling zum Ausdruck brachte.

Das sind nur einige wenige Hinweise zur Kritik an der neuen, alten Leitung am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) an der Technischen Universität Berlin.

Die Palästinenser wollen unilateral einen eigenen Staat ausrufen, ohne direkte Verhandlungen mit Israel. Die Terrororganisation Hamas soll aufgewertet werden.

Es geht um Kritik am antizionistischen Antisemitismus, von anderen gegenwärtigen Formen des Antisemitismus wie der Blutbeschuldigung nicht zu schweigen. Die Analyse und Kritik des islamischen und arabischen Antisemitismus spielt heutzutage eine entscheidende Rolle.

Wer jedoch von einer Ähnlichkeit oder „Parallelität“ der Situation der Muslime heute und jener der Juden Anfang des 19. Jahrhunderts redet, argumentiert nicht nur politisch problematisch, vielmehr ahistorisch.

Anstatt der bekannten Programme von KIGA e.V., des ZfA, der EVZ et. al. über „Ausgrenzung“ (von Muslimen!), „Sozialraum“ und daraus abgeleiteten (womöglich teils auch antisemitischen) „Einstellungsmustern“, so die Ankündigung zur Tagung im Oktober, wären z.B. Nietzsche-Seminare, Religions-Aussteiger-Camps oder Ich-werfe-mein-Kopftuch-in-die-Spree-Aktionen[vi] doch einmal eine echte Alternative.

Doch KIGA wie das ZfA und die große Stiftung EVZ gehen von Folgendem aus, wie die Tagungsankündigung schreibt:

 „Antisemitismus als gesellschaftliches Phänomen wird in der Wissenschaft, der Migrationsforschung und der Bildungspraxis intensiv diskutiert. Klar ist: Antisemitismus ist kein spezifisches Problem ausgewählter Gruppen.“

Das ist gerade nicht klar. Eher soll offenbar von vornherein geleugnet werden, dass es heute einen spezifisch muslimischen und islamischen Antisemitismus gibt, und zwar auch in Deutschland. Manche Migranten bilden derzeit vor allem im öffentlichen Raum (neben gewissen Linken und den Neonazis) eine der größten Gruppen, die Antisemitismus und Israelhass verbreiten: auf Demonstrationen, Flugblättern, Kongressen, auf Facebook, auf Schulhöfen, bei Attacken auf jüdische Kindertanzgruppen wie in Hannover etc. etc. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die Projekte von KIGA fragwürdig, da sie die Jugendlichen dort abholen möchte, wo diese stehen: in Berlin-Kreuzberg am „Kottbusser Tor“[vii]; dass dabei der Antisemitismus von Muslimen bei den Projekten und Äußerungen der KIGA-Frontfrau Anne Goldenbogen offenbar eher selten explizit auftaucht, fiel sogar dem Südwestrundfunk in einer Sendung im Juni 2011 auf.

Wo bleiben beispielsweise (kultur-) wissenschaftliche Untersuchungen zum  antizionistischen Antisemitismus vieler Muslime oder zu gegenwärtigen Formen des Antisemitismus wie der Blutbeschuldigung, die in türkischen Filmen oder ägyptischen TV-Serien propagiert wird?

Die Forschung sollte endlich aufhören, absurde, unwissenschaftliche Vergleiche anzustellen – egal ob nun die Situation von Juden Ende des 19. Jahrhunderts (Benz) oder Anfang des 19. Jahrhunderts (Schüler-Springorum) als Vergleichsmaßstab für die halluzinierte heutige „Islamfeindschaft“ herangezogen wird.

Die Forschung sollte sich mit der Realität befassen: (Antizionistischen) Antisemitismus gibt es in vielen Formen. Die muslimischen und arabischen Varianten sind derzeit die gefährlichsten.

 

 

 


[i] Eine Ausstellung, die man übrigens in anderer Hinsicht durchaus kritisch sehen kann.

[ii] In Kooperation mit dem Zentrum für Antisemitismusforschung, ZfA, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIGA e.V., sowie mit Unterstützung des Fritz-Bauer-Instituts aus Frankfurt am Main, und anderen Einrichtungen.

[iii] Laut PDF-Programmankündigung am 20.09.2011.

[iv] Mitglieder waren unter anderem „Kleist, Adam Müller, Clausewitz, Fichte und Friedrich Karl von Savigny“, wie der Publizist Hans Schütz 1992 in einem Band über „Juden in der deutschen Literatur“ schrieb.

[v] Von der Einführung des code civil durch Napoleon zwischen 1806 und 1813 abgesehen, doch das war ja keine deutsche Leistung, sondern eine zivilisierte, französische.

[vi] Diese feministische Idee stammt von der Soziologin und Islamkritikerin Necla Kelek, sie schreibt darüber in ihrer Studie „Himmelsreise“ von 2010.

[vii] Mit einer Fotografie von dieser U-Bahn Station wirbt KIGA in Publikationen.

 

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