Von Dr. phil. Clemens Heni, 20. Januar 2022
Der Publizist und Historiker Hubert Brieden hat sich jahrzehntelang mit dem Antisemitismus einer westdeutschen Kleinstadt in Niedersachsen beschäftigt: Neustadt am Rübenberge. Er hat sich für die Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Juden aus Neustadt eingesetzt, 2000 einen preisgekrönten Essay und Radiobeitrag zum Thema publiziert,
und später Stolpersteine verlegen lassen. Die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover Ingrid Wettberg hielt im März 2014 eine Rede dazu:
Schließlich hat Brieden mit dem AK Regionalgeschichte es doch noch geschafft, dass ein Mahnmal für die vertriebenen und ermordeten Neustädter Juden errichtet wurde, das am 4. November 2018 eingeweiht wurde.
Brieden geht auf die rassistischen Morde an Flüchtlingen und Migrant*innen durch Neonazis in den 1990er Jahren ein, auf den Antisemitismus bei alten und neuen Nazis und auf das Vertuschen der Vertreibung und Ermordung der Juden nach 1945, wo die gleichen Eliten wie zuvor wieder ans Ruder kamen:
Bereits 1950 wurde der einflussreichste Nazi vor Ort, Bauunternehmer Wilhelm Rahlfs, als Chef der wiedergegründeten, einflussreichen Neustädter Schützengesellschaft vom Rat mit der Durchführung des ersten Nachkriegsschützenfestes beauftragt. Damit qualifizierte er sich – jetzt zur FDP konvertiert – erneut für politische Ämter. 1956 wurde er zum Bürgermeister der Ackerbürgerstadt gekürt. Obersturmbannführer Rahlfs war als Schläger bekannt, hatte missliebige Menschen denunziert und im Januar 1942 die letzte in Neustadt noch lebende Jüdin an das Landratsamt gemeldet, die dann „ordnungsgemäß“, wenige Wochen vor Kriegsende, noch ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Seine Baufirma hatte vom Rüstungsbauboom profitiert. Politik und Geschäft waren zur gewinnbringenden Einheit verschmolzen. Niemand protestierte, als dieser Mann seine politische Karriere in den fünfziger Jahren fortsetzte. Rahlfs’ erste Amtszeit dauerte bis 1961. Dann machte er eine Pause und repräsentierte die Stadt von 1966 – 1968 zum zweiten Mal als Bürgermeister. Jetzt förderte er gemeinsam mit dem Heimatbund die Herausgabe einer Stadtchronik, in der die Zeit des Faschismus und damit auch seine eigene Rolle bei der Vernichtung der Neustädter Juden komplett verschwiegen wurde.
Diese Mischung aus Derealisierung und Affirmation der Shoah durch die Bundesrepublik ist ganz typisch. Solche Wilhelm Rahlfs gab es an jedem Ort, in jedem Dorf, jeder Stadt und jeder Großstadt. Bis heute ist das nur ganz sporadisch mal aufgearbeitet worden und bis heute sträuben sich die lokalen Eliten, Tacheles zu reden oder zucken kurz mit der Schulter, wenn sie erfahren, dass ein Vorgänger im Amt als Bürgermeister bei der SS war oder antisemitische Hetze betrieben hatte bis Anfang 1945. Das ist Deutschland.
Das Neue, Interessante und enorm Wichtige ist nun, dass Hubert Brieden sich seit März 2020 auch kritisch mit der Coronakrise beschäftigt. Im Juni 2020 sprach er mit einem meiner beiden Co-Autoren von „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik„, Peter Nowak, im Radio Flora.
Im Gegensatz zu fast der gesamten Linken in diesem Land hat Brieden aus linker Perspektive die Beförderung von Zoonosen durch Massentierhaltung, die neoliberale Deregulierung und den Abbau von Krankenhäusern, den Abbau von Pflegekräften sowie insbesondere den antidemokratischen Diskurs analysiert:
Statt besonnen und rational zu handeln, was nur möglich gewesen wäre, wenn die Ursachen der Pandemie in den Blick genommen worden wären, verbreiteten Politik und Medien von Anfang an ein Horrorszenario. Das Virus wurde als Feind der Menschheit definiert, dem der Krieg erklärt werden müsse. Die Belegung von Krankheitserregern und deren Bekämpfung mit Kriegsmetaphern hat nichts mit den biologisch-ökologischen Gegebenheiten zu tun. Vielmehr werden vorherrschende Gewalt- und Gesellschaftsvorstellungen auf biologische Vorgänge projiziert. Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Entwicklung von Impfstoffen begann, tauchten solche Ideologien auf, die dem preußisch-militaristischen Weltbild entsprachen und die politischen Befindlichkeiten von Biologen und Medizinern widerspiegeln.
Der Ursprung des Krankenhauses und der Schule liegt im Militär. So viel Foucault sollte eigentlich Mainstream sein, doch das ist es nicht. Biopolitik, Patriarchat und Kapitalismus sind eine toxische Mischung für eine freie Gesellschaft – nie wurde das seit 1945 deutlicher als seit März 2020 in der Coronapolitik.
Ich würde mich selbstredend im Gegensatz zu Hubert Brieden nicht positiv oder unkommentiert auf BDS-Unterstützerinnen wie die Kanadierin Naomi Klein beziehen, im Text von Brieden auf S. 13 bezüglich der „Schocktherapie“, was eine interessante Analyse ist, aber den Antizionismus von Klein nicht verschwinden lässt, weshalb ich schrieb:
„Im September 2014 trugen wir unten stehendes großes Transparent auf einer Demonstration gegen Antisemitismus in Berlin, es ist weiter aktuell. Der religiöse Fanatismus der Islamisten ist gerade in Ramadan-Zeiten besonders gefährlich. Kampf dem Jihad, Kampf dem Islamismus in all seinen Facetten, und auch Kampf dem säkularen, westlichen Antizionismus von Naomi Klein über Greta Thunberg (Fridays for Future Germany hat sich von ihr distanziert wegen des anti-israelischen Twitter-Tweets) bis Judith Butler und Roger Waters etc.“
oder auf den österreichischen Publizisten und Verleger Hannes Hofbauer (im Text von Brieden auf S. 17), über den ich jüngst schrieb:
„Ein Rubikon-Autor ist Stefan Kraft, der im Herbst 2020 im Wiener ProMedia Verlag zusammen mit dessen Verleger Hannes Hofbauer das Buch Lockdown 2020. Wie in Virus dazu benutzt wird, die Gesellschaft zu verändern herausbrachte.[146] Es stellt sich die Frage, warum Andreas Sönnichsen, Vorsitzender des Vereins Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (EbM) einer der Autoren in diesem Buch ist, da doch der ProMedia Verlag wegen wiederholtem Antisemitismus in Österreich und Deutschland in die Schlagzeilen kam.“
, sowie den italienischen Holocaustverharmloser und antiamerikanischen 9/11-Verharmloser Giorgio Agamben (der die Deportation der Juden aus Frankreich mit der Abschiebung von Flüchtlingen, der gerade nicht nach Auschwitz abgeschoben oder deportiert werden, in direkte Beziehung setzte, vor Jahrzehnten schon) beziehen; aber andere Aspekte der Kritik von Hubert Brieden in seinem Text von November 2021 („Von Seuchen, Sündenböcken und Goldeseln in Zeiten großer Angst oder: Pandemie und Ausnahmezustand„) sind sehr wichtig und absolut treffend:
Bislang oft unpolitische Gegner der repressiven Anti-Corona-Maßnahmen, welche die Eingriffe in ihre private Lebensführung und die Zerstörung ihrer ökonomischen Grundlagen beklagten, wurden in die Arme von rechten Antisemiten getrieben, die diese fatale Situation geschickt zu nutzen wussten. Teile der Linken, weitgehend unfähig, die Situation zu analysieren, stellten sich in dieser Situation vorbehaltlos auf die Seite des repressiven Staates, forderten ein härteres Vorgehen der Polizei und verbreiteten die doppeldeutige Parole „Wir impfen euch alle!“, womit der medizinische Akt gemeint sein könnte oder die Indoktrination oder beides. Bei diesem autoritär-totalitären Auftreten hatten die Nazis leichtes Spiel, sich als Vorkämpfer der Freiheit aufzuspielen.
Sehr bedeutsam ist Briedens Hinweis auf das Verhältnis der Kritischen Theorie zur Medizinkritik:
Auch Max Horkheimer, Vertreter der Kritischen Theorie, bewahrte sich zeitlebens einen distanzierten Blick auf Ärzte und Medizinbetrieb. Seine These, nach der die bürgerliche Gesellschaft am Ende zwangsläufig in gegeneinander kämpfende Rackets und Banden zerfallen werde, entwickelte er auch am Beispiel der Ärzteschaft. Die Medizin sieht er in der Tradition eines unkritischen Objektivismus und Empirismus, die zur Fetischisierung der formalistischen Wissenschaft führe und das Subjekt von seinen Erfahrungen isoliere.62 Dazu Carl Wiemer in seiner Studie „Krankheit und Kriminalität, Die Ärzte- und Medizinkritik der kritischen Theorie“: „Die Medizin gilt Horkheimer als empiristischer Vorposten, der den komplexen Zusammenhang von Subjekt und Objekt auf den bloßen Befund der Krankheit reduziert. Die subjektive Erfahrung des Schmerzes und des Leidens kommt darin genausowenig vor wie die Beziehung dieser Erfahrung auf Gesellschaft.“
Wenn wir uns sogleich anschauen, wie heutige Holocaustgedenkstätten oder Bildungszentren, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus befassen, mit der irrationalen, unwissenschaftlichen und demokratie-, verfassungs- wie minderheitenfeindlichen Coronapolitik umspringen, ist diese Kritik von Brieden sehr wichtig:
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie kann diese Beschränktheit des Blickes in den Aussagen der öffentlich präsentieren medizinischen Experten tagtäglich konstatiert werden: Für die gesellschaftlichen Ursachen der Pandemie interessieren sie sich genauso wenig wie für die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns und ihrer Ratschläge. Beispielhaft sei der aus Funk und Fernsehen bekannte Virologe Christian Drosten genannt. Mitte November 2021 konstatiert er die nur kurzfristige Immunisierung durch die Corona-Impfstoffe und forderte „mangels Alternativen“ „wieder kontakteinschränkende Maßnahmen“ für Ungeimpfte. Ob das rechtlich zulässig sei, wisse er nicht.64 Der Experte macht also einen Vorschlag, bei dessen Befolgung für rund ein Viertel der Bevölkerung Grundrechte abgeschafft und massive Eingriffe in die ökonomische und private Lebensführung vorgenommen werden, ohne dass er sich über die rechtlichen Folgen Gedanken gemacht hat.
Ob also die ganzen „Maßnahmen“ legal sind, mit den Grundrechten, der Würde des Menschen, der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz vereinbar sind, das ist den meisten Virologen einfach völlig egal – so wie es der Politik völlig egal ist. Regelmäßig werden illegale Praktiken wie jetzt 2G im Einzelhandel in Bayern von Verwaltungsgerichtshöfen oder anderen Gerichten verurteilt.
Doch das macht offenbar Einrichtungen wie dem Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin gar nichts aus. Dort findet seit gestern eine dreitägige Konferenz zu 80 Jahre Wannsee-Konferenz statt. Ein wichtiges Thema. Doch es liegt ein Schatten über der Konferenz:
Es gilt also die Impf-Apartheid in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee Konferenz. Auch in den beiden Örtlichkeiten, wo die Konferenz live stattfindet, im dbb Forum (Deutscher Beamtenbund) und natürlich in der Akademie der Künste wird die Impf-Apartheid (2G oder 2G+) kompromisslos exekutiert.
Das Motto der dbb „Wo Begegnung begeistert“ ist besonders zynisch, da nicht Geimpfte aktuell keinen Zutritt haben. Aber dafür gibt es dort eine „Extraförderung für Nachhaltigkeit“. Nachhaltige Entwicklung wird hier groß geschrieben –
– mit der Demokratie hingegen, da haben es die Beamten halt nicht so, dafür mögen sie die Impf-Apartheid:
Wie stark die Politik die Kultur im Kampf für die Impf-Apartheid unterstützt, zeigt auch die Akademie der Künste:
Dass Geimpfte nicht minder infektiös sein könnten wie Ungeimpfte, dass die Belegung von Intensivstationen mit Patient*innen mit einem positiven Test auf SARS-CoV-2 am 20.01.2021 noch 380 in Berlin betrug und am 20.01.2022 174, ja bundesweit aktuell nur schlappe 2418 ITS oder ICU-Pats. liegen, verglichen mit 4816 ICU-Pat. vor einem Jahr, das macht hier niemandem was aus. Wie auch? So sind doch allein zwei der Grußworte von Teilen der politischen Elite, die für das Ende der freien Wissenschaft, Kunst und Kultur paradigmatisch stehen: Klaus Lederer (Die Linke), Senator für Kultur und Europa aus Berlin und Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesregierung. Wäre gerade Claudia Roth, die so gerne die Mullahs im Iran besucht, nicht prädestiniert, eine Art Wächterrat der Zeugen Coronas einzurichten in Deutschland? Auf diesen Bezug zum „Wächterrat“ und den irrationalen Anhänger*innen der unwissenschaftlichen Coronapolitik brachte mich jüngst ein Redakteur einer Zeitung.
Während also typische Mainstream Institutionen in Deutschland der Impf-Apartheid frönen, kämpfen in Holland die Menschen für die Demokratie und die Gleichheit der Menschen. Jetzt haben dort Museen sich kurzerhand als „Frisörsalon“ umbenannt, es gibt Yoga-Kurse im Van-Gogh-Museum oder Frisörtermine bei den Philharmonikern, damit sie öffnen können – Haare schneiden gilt dort als „Grundbedarf“, Kultur und Kunst nicht.
Während also die Regierung in Den Haag ähnlich religiös fanatisch agiert wie in Deutschland – die Zeugen Coronas -, ist die Bevölkerung in Holland viel schärfer, dissidenter und kritischer als in Deutschland:
Wer im Gegensatz zum Haus der Wannsee Konferenz
eine Ahnung von Demokratie, Epidemiologie und Infektionskunde hat, ist der israelische Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Universität Tel Aviv, Ehud Qimron:
Ich habe schon Anfang November 2020 über Ehud (Udi) Qimron berichtet („Yes, we can. Celebrate the end of Trump„), da er einer der Erstunterzeichner der legendären Great Barrington Declaration ist, die sich für einen gezielten Schutz der Vulnerablen in der Coronakrise einsetzt und allen anderen ein normales Leben ermöglichen möchte.
Qimron hat jetzt einen wütenden und scharfen offenen Brief an die israelische Regierung geschrieben. Der Gesundheitsminister soll endlich sein Versagen eingestehen. Man kann mit „Maßnahmen“ ein respiratorisches Virus nicht an seiner Ausbreitung hindern. Damit steht Qimron auf dem aktuellen internationalen Forschungsstand. Egal, welche „Maßnahmen“ ergriffen werden – nehmen wir den deutschen Maskenwahn und die schwedische Maskenfreiheit -, am Ende sterben gleich wenige Menschen (in Bayern sogar etwas mehr als in Schweden, pro Million Ew.).
Darin konstatiert er das totale Versagen der Regierung, die einen aussichtslosen und sinnlosen „Krieg gegen ein Virus“ führe. Lockdowns, Masken- und Testpflicht haben Kinder und Erwachsene unglaublich beschädigt, nicht einen alten Menschen dadurch geschützt, sondern isoliert und somit das Immunsystem noch mehr geschwächt.
Da sind die Millionen Toten in den Trikont-Ländern, die an Hunger, Erschöpfung, zu späten (Masern-)Schutzimpfungen starben und noch sterben werden, da sind die gestiegenen Tuberkulose-Toten, der Anstieg der Genitalverstümmelungen allein in Kenia, weil die Schulen geschlossen wurden, die Eltern zu Hause eingesperrt mit den Kindern waren, etc. – das World Food Programme befürchtet bis zu 270 Millionen extra Hungernde – gar nicht eingerechnet, alles Opfer – und nur Opfer – der Lockdownpolitik des Westens und Chinas, sowie der Politik der Eliten in den Trikont-Ländern, die sich aus Fanatismus, Opportunismus – Masken sind le dernier crie, Lockdowns cool und a-soziale Distanz der letzte Schrei – an die Europäer und Amerikaner anlehnten, gar nicht eingerechnet.
Sie haben Kollegen verleumdet, die sich Ihnen nicht ergeben haben, Sie haben die Menschen gegeneinander aufgehetzt, die Gesellschaft gespalten und den Diskurs polarisiert. Sie haben Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben, ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage als Feinde der Öffentlichkeit und als Überträger von Krankheiten gebrandmarkt. Sie fördern auf beispiellose Weise eine drakonische Politik der Diskriminierung, der Verweigerung von Rechten und der Auswahl von Menschen, einschließlich Kindern, für ihre medizinische Wahl. Eine Auswahl, die jeder epidemiologischen Begründung entbehrt.
Wenn Sie die destruktive Politik, die Sie verfolgen, mit der vernünftigen Politik anderer Länder vergleichen, können Sie deutlich sehen, dass die von Ihnen verursachte Zerstörung nur Opfer gebracht hat, die über die Anfälligkeit des Virus hinausgehen. Die Wirtschaft, die Sie ruiniert haben, die Arbeitslosen, die Sie verursacht haben, und die Kinder, deren Bildung Sie zerstört haben – sie sind die überschüssigen Opfer, die nur durch Ihre eigenen Handlungen entstanden sind.
Es besteht derzeit kein medizinischer Notfall, aber Sie kultivieren einen solchen Zustand seit zwei Jahren aus Macht-, Budget- und Kontrollgier. Der einzige Notfall besteht jetzt darin, dass Sie immer noch Richtlinien festlegen und riesige Budgets für Propaganda und psychologische Technik bereithalten, anstatt sie zur Stärkung des Gesundheitssystems anzuweisen.
Dieser Notfall muss aufhören!
Professor Udi Qimron, Medizinische Fakultät, Universität Tel Aviv
Ganz in diesem Sinne schreibt auch der Historiker und Publizist Hubert Brieden in seinem Text und man kann das als Radio-Feature auch anhören:
Das schmutzige Geschäft, die Anwendung von struktureller und offener Gewalt zur Durchsetzung der Ratschläge, werden an den Staat und die Politik delegiert, welche sich wiederum zur Legitimierung des eigenen Handelns auf diese Art der formalistischen Schmalspur-Wissenschaft berufen können. Horkheimer kritisierte das autoritäre Herrschaftsverhältnis des Arztes gegenüber dem Kranken, von dem die widerspruchsfreie Befolgung der ärztlichen Verordnung und damit seine eigene Entmündigung erwartet werde.
Dazu Carl Wiemer: „Die Entmündigung des Laien durch die Herrschaft des Spezialistentums – das ist es, was Horkheimer ‚Racketeering der Wissenschaftler‘ nennt. Gegen dieses Regime des Spezialisten, für den ‚das Individuum nichts als ein Gegenstand der Manipulation ist‘, artikuliert Horkheimer immer wieder sein Misstrauen. Er erblickt in ihm die zeitgemäße Version der alten totalitären Ordnung.“65
Horkheimer wörtlich: „Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre.“66
Carl Wiemer ergänzt: „In der Erscheinung des Arztes verschmilzt dieser Habitus des Spezialisten mit allen Attributen der bürgerlichen Kälte. Die ‚Gleichgültigkeit der Mediziner gegen die Leidenden‘ wird jenen aber nicht vom Gebot professioneller Nüchternheit diktiert, sondern entspringt betriebswirtschaftlichen Überlegungen.“67
Die Kritik Horkheimers trifft den Kern der Inszenierung und Selbstinszenierung der medizinischen Spezialisten in den Massenmedien. Patientinnen und Patienten, die für sich selbst und ihren eigenen Körper sprechen, werden belächelt, mit paternalistischer Geste entmündigt und für dumm erklärt.
In einem weiteren kritischen Beitrag von Januar 2022 („Impfgeschichte(n) und die Verharmlosung der NS-Medizin in der Corona-Impfkampagne“), der zudem wiederum im Freien Radio Flora aus Hannover als Radio-Feature gesendet wurde,
beschäftigt sich Brieden mit der Geschichte des Impfens vom 18. Jahrhundert über das späte 19. Jahrhundert und dem Aufkommen der Mikrobiologie, dem kolonialistischen Testen von Impfstoffen, über die Weimarer Republik und evidenzbasierte Kritik an Impfpflichten hin zur Nazi-Zeit und brutalsten und mörderischen medizinischen Menschenversuchen.
Darin heißt es treffend:
Weltärztepräsident Montgomery verschärfte die Hetze und gab die Parole von der „Tyrannei der Ungeimpften“ aus. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) assistierte dem Ärztefunktionär und meinte, 20 Prozent der ungeimpften Erwachsenen reichten aus, „um eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen“. Warum 80 % Geimpfte sowie Genesene nicht ausreichen, um eine so genannte Herdenimmunität“ aufzubauen, erklärten die Herren nicht, denn dann hätten sie über die Qualität der eingesetzten Impfstoffe reden müssen. Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann vom FDP-Vorstand legte noch eine Schippe nach, als sie Ungeimpfte belehrte, sie sollten sich „im Klaren darüber sein, dass sie nicht als Minderheit, die Mehrheit terrorisieren dürfen“.2
Wollte sie damit ausdrücken, dass nur die Mehrheit befugt sei, Minderheiten zu terrorisieren? Es tat sich aber noch ein anderer Abgrund auf: Gegner der neuartigen Impfstoffe – bislang fälschlich verallgemeinernd als „Impfgegner“ und „Coronaleugner“ bezeichnet, um sie so in die Nähe von weltfremden Irren zu rücken – wurden nun des Massenterrors bezichtigt. Dass im Kampf gegen Terroristen alle Mittel recht sind, dürfte speziell in Deutschland bekannt sein. Die FDP- Militärexpertin wurde inzwischen Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages. Dass der Kampf gegen die Corona-Pandemie als militärischer Kampf aufgefasst wird, zeigte sich, als die neue Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen die Tradition der Merkel-Regierung fortsetzte und einen Bundeswehrgeneral, der u. a. in Afghanistan und im „Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr“ Erfahrungen sammeln konnte, zum Vorsitzenden des Covid-Krisenstabes machte.
Brieden resümiert:
1947 wurde als Konsequenz aus den NS-Medizinverbrechen vom I. Amerikanischen Militärgerichtshof der „Nürnberger Kodex“ formuliert, in dem es um zulässige medizinische Versuche geht. Dort heißt es: „Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich. Das heißt, dass die betreffende Person im juristischen Sinne fähig sein muss, ihre Einwilligung zu geben; dass sie in der Lage sein muss, unbeeinflusst von Gewalt, Betrug, List, Druck, Vortäuschung oder irgendeine andere Form der Überredung oder des Zwanges, von ihrem Urteilsvermögen Gebrauch zu machen; dass sie das betreffende Gebiet in seinen Einzelheiten hinreichend kennen und verstehen muss, um eine verständige und informierte Entscheidung treffen zu können.“55 In Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschlands ist festgelegt, dass die „Würde des Menschen“ unantastbar sei, sie „zu achten und zu schützen“ sei „Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Im Artikel 2, Absatz 2 wird als Grundrecht zwar „das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ proklamiert, gleichzeitig aber festgelegt, dass in dieses Recht „auf Grund eines Gesetzes“ eingegriffen werden kann.
Seit den 1980er Jahren, gibt es von manchen Ärzten, Genetikern und anderen Wissenschaftlern immer wieder Vorstöße, das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Interesse „der Forschung“ aufzuweichen und zu relativieren.56 Nachdem die NS-Geschichte des Robert Koch-Instituts aufgearbeitet worden war, hob sein damaliger Präsident Prof. Dr. Reinhard Burger anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung 2013 die zentrale Bedeutung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und der Unantastbarkeit der Menschenwürde hervor: „Für das Übertreten humanistischer Grundsätze, für die Verletzung der Würde und der körperlichen Unversehrtheit des Menschen gab es und gibt es zu keiner Zeit der Welt eine Rechtfertigung. Dies gilt auch, wenn die Mehrheit oder politische Führung ein solches Verfahren toleriert oder gar fordert.“57
Ob der seit 2015 amtierende Präsident des Robert Koch-Instituts, Wieler, oder Ärztefunktionär Montgomery diesen Satz formulieren würden, darf in Anbetracht ihrer eingangs zitierten Äußerungen bezweifelt werden. Neben Gesundheitsexperten und Ärztefunktionären stellen Politiker und Unternehmerverbände durch die Forderung nach einer Covid-19-Impfpflicht das Recht auf körperliche Unversehrtheit zur Disposition. Und wieder soll es dabei um vermeintlich höherwertige Belange gehen, die Rettung der Gesellschaft, des deutschen Volkes oder auch der deutschen Wirtschaft. Ob den Protagonisten dieser Politik bewusst ist, welche Traditionen sie pflegen und wie dünn das Eis ist, auf dem sie sich bewegen?
Insofern gilt es dem Haus der Wannsee Konferenz, dem dbb Forum im Herzen Berlins und der Akademie der Künste in Anlehnung an Max Horkheimer mitzuteilen:
Wer aber 2G exekutiert und von Epidemiologie, Demokratie, der neoliberal-kapitalistischen Zurichtung des Gesundheitswesens, den biopolitischen Zumutungen der Zeugen Coronas, der neuen deutschen Volksgemeinschaft, dem neuen „wir“, von der Würde des Menschen, den Grundrechten, dem Grundgesetz und dem Nürnberger Kodex nicht reden möchte, der soll von der Geschichte des Nationalsozialismus und der Wannsee Konferenz schweigen.
Nochmal das Zitat von Max Horkheimer, das in der BRD nie passender war als seit März 2020, im Zeitalter des pandemic turn und der Zeugen Coronas:
Die adäquate Gestaltung der Gesellschaft, in der Fachleute alles beherrschen, ist die totalitäre.