Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Heiko Maas

Kubicki kritisiert „verheerendsten Wortbruch“ der Bundesregierung. Warum dreht Merkel noch mehr durch als ohnehin üblich?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. August 2021

Ich sagte am 12. März 2020, dass wir im „Prä-Faschismus“ leben. Das „Prä“ ist längst passé. Jetzt plant Angela Merkel, die Person, die die Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland abgeschafft hat, eine Maskenpflicht bis 2022, Restaurants, Hotels etc. dürften nur noch von geimpften, genesenen oder getesteten Personen betreten werden. Es ist sogar in der Diskussion aus dem wahnwitzigen 3G (geimpft, genesen, getestet), ein 2G zu machen, wie mich ein Leser informierte, also bestimmte Aktivitäten im Leben nur noch als Geimpfter oder Geneser zu machen, wobei ja jene Dutzenden (!) Millionen, die Corona hatten, aber nie was davon merkten, aber bessere Antikörper haben als jeder Geimpfte, gar nicht zählen, es zählt nur, wer je in Quarantäne war, ergo einen positiven PCR-Test hatte (egal ob man krank war oder nicht und Antikörper hat oder nicht).

Kubicki sagte dazu: „Die Ankündigung, in Zukunft Ungeimpfte vom Gastronomiebesuch ausschließen zu wollen, ist der dreisteste und verheerendste Wortbruch dieser Bundesregierung, die wiederholt Stein und Bein geschworen hat, es werde keine Impfpflicht in Deutschland geben. Dieser Wortbruch wiegt noch schwerer als die Unverhältnismäßigkeit dieser angedrohten Impfpflicht.“

Es ging Merkel nicht eine Sekunde um den Schutz der Alten und Kranken – dabei ist z.B. in meinem Landkreis nicht ein Mensch unter 35 gestorben – in bald 18 Monaten. In vielen Stadt- und Landkreisen ist nicht ein Mensch unter 35 gestorben. Wer also Kinder und Jugendliche impfen möchte, will den totalen Krieg gegen die Wissenschaft, die Rationalität, die Wahrheit und die Verhältnismäßigkeit. Holland, das exemplarisch steht für alle europäischen Länder, hat sage und schreibe 0,8 Prozent C-Tote, die jünger sind als 50 Jahre. Wer da von einer Gefahr für unter 50-jährige spricht, ist einfach wahnsinnig oder so geil auf totalitäre Herrschaft, wie wir es von der herrschenden Klasse vermuten können.

Während in England, Dänemark, Holland und Schweden schon jetzt bzw. schon immer (Schweden) keine Maskenpflicht mehr gilt, möchte Deutschland wie der irrationale Biden oder der New Yorker Bürgermeister de Blasio den totalen Corona-Totalitarismus.

Es gibt überhaupt keinen Bezug von „Fällen“ und Hospitalisierungen mehr. England ist der beste Beweis. Am 30. Januar 2021 gab es ca. 25.000 positive Tests im 7-Tagesschnitt in UK. Dazu gab es 1180 Tote am Tag im 7-Tagesschnitt, die „an“ oder doch nur „mit“ Corona starben. Insgesamt keine Katastrophe, keine Überlastung des Gesundheitssystems. Nun haben wir am 3. August 2021 auch ca. 25.000 „Fälle“ in UK – aber nur 77 Tote „an“ oder „mit“ Corona.

Wer diese Differenz nicht sieht, will sie nicht sehen und möchte ohne jede medizinische Notlage den totalen Krieg gegen die Bevölkerung, gegen den denkenden Teil der Bevölkerung unter 70, der sich nie im Leben mit so einem Impfstoff impfen lassen wird – zudem ist man unter 70 schlichtweg nur im extremen Ausnahmefall von Corona bedroht und das ist die private Entscheidung eines einzelnen, dieses Risiko einzugehen oder nicht.

Wer über 70 ist und geimpft kann weder durch 800 Leute in der Disko, die alle ungeimpft sind, tödlich infiziert werden, noch durch 9 Leute am Nebentisch im Restaurant oder im Kino. Die Impfung ist nur und ausschließlich ein Selbstschutz – kein Schutz von anderen. Wer das nicht kapiert hat, will es nicht kapieren und ist eine größere Gefahr für das Leben und die Demokratie als jeder Neonazi und jeder Islamist seit 1945 in diesem Land.

Also: Entweder Heiko Maas hält als erster und einziger Politiker in der Geschichte der SPD sein Wort und bleibt dabei

»Wenn alle Menschen in Deutschland ein Impfangebot haben, gibt es rechtlich und politisch keine Rechtfertigung mehr für irgendeine Einschränkung.«

oder er fällt um, wie es die SPD immer tat und immer tut.

Heiko Maas hat das im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gesagt und wir werden ihn beim Wort nehmen. Merkel hat noch nicht mal mitbekommen, dass Ende September Bundestagswahlen geplant sind – auch wenn es Fake-Wahlen ohne echten Wahlkampf sein werden – und sie am Ende sein wird, endlich. Merkel ist im Herbst am Ende und hat nichts mehr zu sagen. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die Baerbocks, Lauterbachs, Wielers alles Klone von Merkel sind.

Entweder Heiko Maas wird sich durchsetzen oder es gibt ab September den totalen Krieg von Merkel & Co. gegen den denkenden Teil der Bevölkerung, wie in New York City. Und dann will ich jene verkommenen Existenzen sehen, die ihren Impfpass tatsächlich zeigen und damit ins Restaurant gehen. Und dann will ich jene verkommenen Restaurantbetreiber*innen sehen, die den Impfpass oder andere Tests einfordern.

 

Kann es nach Wembley noch Hoffnung auf Vielfalt, Diskussion, Selbständigkeit, Professionalität und anti-hierarchisches Denken geben?

Von Dr. phil. Clemens Heni, 12. Juli 2021

Schlechter als der englische Trainer kann man sich in einem Finale nicht verhalten. Das fing schon beim traumhaften Tor der Engländer durch Shaw in der zweiten Minute an: ein genialer Eröffnungspass durch Kane nach rechtsaußen auf Trippier, dann die Flanke und Shaw schießt den Ball aus vollem Lauf mit höchstem Risiko per Dropkick ins kurze Eck. Das früheste Tor aller Europameisterschaftsfinals, es waren keine zwei Minuten gespielt.

Doch Southgate jubelte so gut wie gar nicht. Er ahnte, dass England trotzdem verlieren wird. Und dieses Trauma, das ihn selbst seit 1996 begleitet, konnte er nicht abschütteln. Als er in der zweiten Halbzeit merken konnte, dass Italien zwar auch nicht gut, aber doch deutlich überlegen ist, viel mehr Ballbesitz, wechselte er nicht das System, um Druck aufzubauen, speziell nach dem 1:1.

Als dann auch noch der einzige wirkliche offensive Spitzenspieler der Italiener, Chiesa, der mehrere sehr gute Chancen hatte, verletzt vom Platz musste, reagierte er wieder nicht. Das ging bis zur 118. Minute, als er zwei der unbedeutendsten Spieler der Engländer in diesem Turnier einwechselte: Sancho und Rashford. Beide berührten den Ball, soweit ich das im BBC-Livestream sehen konnte, nicht ein einziges Mal in den wenigen Sekunden, in denen sie auf dem Platz standen.

Dann wählte Southgate gerade diese beiden plus Saka, einen anderen jungen Spieler, der auch nur Einwechselspieler war, als die drei letzten Elfmeterschützen aus. Ganz Fußball-England war in Schockstarre ob dieser Entscheidung der Reihenfolge der Schützen. Man sah es schon bei der Einwechslung der beiden „Talente“, dass sie sich nichts von ihrem Einsatz versprachen.

England war nervös, zeigte Menschlichkeit, unglaubliche Aufgeregtheit und Chiellini lachte sich innerlich schief, wie man so naiv und wenig aggressiv sein kann (6 gelbe Karten für die Italiener, nur eine für England) – schauen Sie sich die Fouls der Italiener im Vergleich mit denen der Engländer an. Vor allem Chiellinis Foul an Saka hätte Rot geben müssen, es war brutal, er zog ihn am Trikot am Hals, würgte ihn fast und risse ihn um – und verhinderte eine fast 100-prozentige Torchance, denn Saka hätte freie Bahn zum Tor gehabt.

In einem Interview vor dem Spiel auf BBC live im Fernsehen zeigte sich diese wirklich schwer erträgliche Arroganz der Italiener am Beispiel von Nesta, einem Ex-Spieler, der in schlechtem Englisch meinte betonen zu müssen, dass Italien halt schon sehr erfahren sei mit Finalspielen und England so überhaupt nicht. Das stimmt zwar, aber es kommt auf die Art an, wie man das sagt. Und Ironie oder Selbstironie können halt Italiener fast so wenig wie Deutsche – Engländer hingegen, die können das häufig schon eher. Daher ja „Football is coming home“ – das ist selbstironisch, weil die Engländer doch wissen, dass sie nie gewinnen bzw. seit 1966 nie gewonnen haben und vermutlich nie mehr gewinnen werden.

Daher diese unsagbare Euphorie dieses Jahr und es wäre für dieses Land, das so viele Demonstrationen gegen den Coronawahn gesehen hat, während Italien eines der totalitärsten Corona-Regime hatte, ja das Ursprungsland des europäischen Lockdown-Wahnsinns im chinesischen Stil ist, ungemein wichtig gewesen, dass die three lions gewonnen hätten. Das macht es so bitter, dass gerade das üble Italien gewonnen hat – besser als die Germanen, das ist klar, aber um Welten schlechter als wenn England endlich gewonnen hätte.

Spielerisch hätte es Frankreich verdient gehabt, kein Team hat solche künstlerischen Einlagen gebracht, wie Pogba und Griezmann, auch Mbappé et al. gegen Deutschland und in anderen Spielen. Aber die Spielfreude allein war eben zu wenig, zu wenig auf das Siegen aus, also flog Frankreich raus und Italien wurde Europameister.

England kann Europa jetzt mit dem „Freedom Day“ zeigen, dass man die Coronakrise wenigstens halbwegs demokratisch beenden kann und dass man sie beenden kann, etwas, was Deutschland nicht kann und nicht will. Immerhin war der Heuchler vom Dienst, Keir Starmer, Chef der Labour-Party, auch im Stadion, obwohl doch seine von Panik zerfressenen Labour-Kolleg*innen davor warnten.

Das Problem der bürgerlichen Gesellschaft heißt Hierarchie und Unselbständigkeit. Es gibt immer andere, die für einen entscheiden, hier der Trainer oder, unendlich schlimmer: Die Regierung, das Corona-Panikorchester und „die Experten“.

Und das Allergefährlichste sind hilflose, aber machtbesessene Menschen. Wir erleben das tagtäglich seit März 2020 in der präzedenzlosen Corona-Krise. Die Herrschenden haben keine Ahnung, ob Masken schützen oder nicht, also wird es zum Zwang, sich zu vermummen, sie haben keine Ahnung, ob Geimpfte weiterhin „ansteckend“ sind, also wird jeder Mensch so eingeschüchtert, dass er oder sie sich lieber impfen lässt (500 € Prämie, oder ein Hamburger und Pommes oder die Aussicht, in den Urlaub fahren zu dürfen), als von der Belegschaft mit ihren hässlichen Fratzen gelyncht zu werden.

Der denkende Teil der Bevölkerung (weniger als ein Prozent?, das wären über 800.000 Menschen, ich glaube nicht, dass es so viele selbst denkende Menschen in diesem Land gibt) weiß, dass Corona für fast alle Menschen unter 70 total ungefährlich ist, das zeigten schon die allerersten Todeszahlen aus Bergamo am 12. März 2020, oder noch viel früher die wenigen Toten auf dem Schiff Diamond Princess, auch das nur alte Menschen, die fast alle vorerkrankt waren, wie in Bergamo.

Die Alten sind alle geimpft, so sie es wollten und das selbst bestimmen konnten, also kann es gar keine fünfte oder siebte Welle im Herbst 2022 oder Februar 2024 geben. Wenn doch, dann wirkt halt die Impfung doch nicht – das wäre Pech, aber auch nicht dramatisch, weil es ja schon ohne Impfung im Jahr 2020 weltweit so gut wie keine Übersterblichkeit gab, gerade in Deutschland nicht. In Schweden gab es ohne Lockdown und ohne Maskenwahn weder in Schulen noch in der Gesamtgesellschaft eine Krise. Alles ohne Impfung.

Schweden agierte besonnen und gerade nicht hilflos. Doch die Hilflosigkeit schlug zumal in Deutschland bereits im März um in totalitären Machbarkeitswahn. Einfach mal alles schließen – das war die post-faschistische Antwort aus Rom und alle europäischen Ländern folgten, eben bis auf das demokratische Schweden. Auch Amerika machte großteils mit, doch seit Herbst 2020 sind zentrale Bundesstaaten wie Florida oder Georgia und Texas nicht mehr mit dabei, sie wenden sich gegen Impfpässe, es gibt keine Strafen mehr für ein Nicht-Beachten von Maskenpflichten und die Stadien sind in Texas bis zu 100 Prozent gefüllt mit Fans (Texas Rangers).

Es war unprofessionell, sich nicht die ganze Vielzahl von Meinungen zur Corona-Krise von Anfang anzuhören. Merkel, Scholz, Söder, Laschet und Kretschmann drehten völlig durch und spürten, dass ein großer Wille nach einem regelrechten Krieg gegen ein Virus vorhanden ist, Macron folgend. Es stellt sich die Frage, wie muss eine Gesellschaft strukturiert gewesen sein, vor dem März 2020, dass so ein totalitäres Regime einfach so, von heute auf morgen, installiert werden konnte? Warum gibt es bis heute keine Aufstände, keine brennenden Barrikaden überall, keine Polizeieinheiten, die sich auflösen und den Wahn nicht mehr mitmachen?

Auf dem prolligen, primitiven Niveau des Fußballs lief es gestern nicht anders. Anstatt sich mit den zentralen Spielern wie Kane, Sterling, Phillips, Shaw und Maguire zu besprechen, zitterte sich der englische Trainer ganz allein mit seinen Zetteln durch seinen Kreis von Spielern und fällte die schlechtesten Entscheidungen, die man nur treffen konnte. Drei junge Spieler, die für den Turnierverlauf so gut wie keine  Bedeutung hatten, da sie kaum spielten, wurden als die drei letzten Schützen im Elfmeterschießen bestimmt.

Zwei davon hatten nicht eine einzige Ballberührung gehabt, da nur wenige Sekunden vor Abpfiff eingewechselt. Natürlich ist Elfmeterschießen immer Glückssache, das weiß jeder. Aber man kann das Glück auch absichtlich ignorieren, indem man zudem die unerfahrensten Spieler dafür einteilt, die sich dann auch noch kasperlmäßig trottelhaft verhalten, den Anlauf verzögern, rumhampeln und verschießen. Kane und Maguire sind Profis und wussten, wie man einen Elfmeter schießt, was sicher keine leichte Sache ist in so einem Finale obendrein, mit 30+ Millionen Zuschauer*innen in England und Hunderten Millionen in ganze Europa.

Natürlich ist Fußball lächerlich, es geht primär darum, dass Deutschland nicht gewinnt und deshalb war der Sieg der Italiener 2006 im Halbfinale der WM in Dortmund so wichtig und unsere Jubelschreie in Berlin-Friedrichshain konnte man noch in Charlottenburg hören, da die Stadt so in Schockstarre gefallen war und totenstill. Doch der gestrige Sieg der Italiener war unverdient, weil sie übers Turnier gesehen kein herausragendes Team waren – Spanien war spielerisch sicher besser, hatte aber auch Pech im Elfmeterschießen -, doch die typische italienische Arroganz (analog zur deutschen) hat wieder mal gewonnen.

Wie die Arroganz des totalitären Corona-Regimes weiterhin jeden Tag gewinnt – bis wir sie brechen, die Arroganz und die Irrationalität und Brutalität. Ungarn hebt die Maskenpflicht auf, in Holland gilt sie auch nicht mehr und Außenminister Heiko Maas hat gesagt, dass alle – alle – Coronamaßnahmen im August oder September 2021 aufhören müssen, sobald jeder Erwachsene ein sogenanntes Impfangebot bekommen hat. Das ist eine Ohrfeige für die Kanzlerin, die in ihrem Impfimperialismus und totalitären Machbarkeitswahn im Bundestag nochmal gesagt hat, dass die Krise erst vorbei sei, wenn die gesamte Menschheit geimpft ist.

Merkel und ZeroCovid werden verlieren – oder die Menschheit geht zugrunde und ist für viele Jahre vom Corona-Regime versklavt.

Diese Ohrfeige für Merkel war sehr schön und von einem führenden SPD-Mann nicht zu erwarten. Der große Vorteil Amerikas liegt darin, dass Fußball dort eine geringe Rolle spielt und Nationalteams im Vergleich zum Vereinssport kaum Bedeutung zukommt. Das korreliert sehr wohl mit der großen Autonomie der US-Bundesstaaten. Dort gibt es noch echte Konflikte zwischen den politischen Lagern und keine Präferenz für die Volksgemeinschaft wie in Deutschland. Ob Maas aus diesem Konsens jetzt tatsächlich ausschert und bei seiner Position bleibt, dass ein bloßes Impfangebot, das der denkende Teil der Bevölkerung ablehnen wird, ausreichen muss, damit der ganze Corona-Wahn endet, das wird sich zeigen.

Es braucht weniger Hierarchie und mehr Diskussion. Hätte sich Southgate mit Kane, dem Kapitän, Sterling, Maguire und Shaw unterhalten, hätten sie eventuell spätestens ab der zweiten Halbzeit offensiver gespielt und das 2:0 gemacht und niemals im Elfmeterschießen diese drei Bubis aufgestellt. Tragisch für England, aber es gibt sicher alsbald schwarzen Humor und Selbstironie, zwei Begriffe, die weder Deutsche noch Italiener kennen.

 

Gert Weisskirchen/Clemens Heni: Der Spiegel und das Gerücht über die Juden

In einem Text im Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 13. Juli 2019 schreiben gleich sechs AutorInnen um den SpiegelOnline Chefreporter Matthias Gebauer herum über eine „Gezielte Kampagne“ von Juden und pro-israelischen Lobbygruppen, die Bundestagsabgeordnete beeinflusst hätten, sich gegen die BDS-Bewegung und gegen Antisemitismus zu stellen. Man muss da schon fast lachen, wäre es nicht so ernst und schockierend, denn eine Kampagne sollte ja in der Tat „gezielt“ sein, sonst wäre sie ja keine.

Die AutorInnen behaupten ohne Beleg, dass die BDS-Bewegung „eine in Deutschland unbedeutende Initiative“ sei. Nicht ein antisemitischer Vorfall wie das Stören von Veranstaltungen mit israelischen PolitikerInnen oder mit Holocaustüberlebenden an der Humboldt-Universität zu Berlin, das gewalttätige Stören einer Veranstaltung von Keren Hayesod, dem israelischen Nationalfonds, vor einigen Jahren, oder die Agitation für BDS auf einer größeren „antirassistischen“ Demonstration in Berlin vor wenigen Jahren werden auch nur erwähnt.

Noch nicht mal der weltweit Schlagzeilen machende Skandal über antiisraelische Tendenzen und einen antiisraelischen und tendenziell Pro-BDS Tweet des Jüdischen Museums Berlin, was zum Rücktritt des Leiters Peter Schäfer führte, oder die daraufhin angeworfene antiisraelische und Pro-BDS-Lobbymaschine des akademischen Establishments in Islam-, Nahost- und jüdischen Studien werden als Zeichen der ungeheuren Gefahr von BDS erkannt, obwohl der Spiegel im gleichen Heft über diesen Fall berichtet. Allerdings auch hier mit einer höchst problematischen Schlagseite, indem die wiederum den Israel bezogenen Antisemitismus eher befördernde Berliner Barenboim-Said-Akademie als Beispiel, wie man angeblich super tiefenentspannt und musikalisch mit der Nahostproblematik umgehen kann, promotet wird, dabei ist allein schon der Co-Namensgeber Edward Said ein Agitator mit enormen Einfluss bis heute gewesen, der den jüdischen Staat Israel ablehnte.

Handwerklich ebenso irritierend gleich zu Beginn: es fehlen Definitionen. Für was die BDS-Bewegung steht, wird in dem Text nicht näher erläutert, es heißt lediglich, BDS sei „das Kürzel einer weltweiten propalästinensischen Kampagne, deren Macher Israel isolieren wollen.“ Das hört sich eigentlich schlimm genug an. Zudem ist eine der drei Kernforderungen von BDS das angebliche „Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge“ von 1948. Damit sind keineswegs nur die wenigen noch lebenden und tatsächlich vertriebenen und nicht aus eigenen Stücken gegangenen Palästinenser gemeint. Nein, damit sind alle Nachfahren gemeint, was aus den damals ca. 600.000 Vertriebenen bzw. auf Druck der arabischen Staaten, Israel keineswegs durch das Dortbleiben zu legitimieren, gegangenen Palästinensern nach Angaben der UNRWA über 5 Millionen Menschen weltweit macht. Deren Recht auf Rückkehr würde Israel von heute auf morgen als jüdischen und demokratischen Staat zerstören, ganz zu schweigen davon, dass die Araber in Israel das mehrheitlich gar nicht wollen.

Der Kern des ganzen Textes im Spiegel, der geradezu paradigmatischen Charakter zu haben scheint, was auch die sechs AutorInnen anzeigen, ist gleich in der zweiten Spalte dieser skandalöse Satz: „Dass die proisraelische Erklärung trotz der Kritik am Ende auf so viel Zustimmung traf, lag auch an Elio Adler.“ Adler ist ein Jude aus Berlin und hat 2018 mit anderen eine deutsch-jüdische „WerteInitiative.“ gegründet, die natürlich, welche NGO tut das nicht, auch Lobbyarbeit betreibt.

Der Spiegel insinuiert nun im ganzen Text in traditionell antisemitischer Diktion, eine jüdische geheime Macht würde die Welt oder zumindest den Deutschen Bundestag beherrschen. Denn wie dieser zitierte Satz besagt, habe die Zustimmung zu der Anti-BDS-Resolution deshalb „so viel Zustimmung“ im Bundestag erhalten, weil ein Jude sich dafür eingesetzt habe. Ohne jeden Beleg, denn die AutorInnen können nicht in die Köpfe von hunderten Bundestagsabgeordneten schauen, die sich für diese Resolution ausgesprochen haben. Unzählige Debatten, wissenschaftliche Konferenzen, Bücher, Demonstrationen und Kundgebungen, Symposien, Radiogespräche, Fernsehsendungen oder Universitätsseminare thematisieren seit Jahren verschärft den steigenden Antisemitismus, also auch BDS. Aber nein, daran kann es nicht liegen, dass Bundestagsabgeordnete sich dem Thema widmen, es muss „der“ Jude dahinter stecken!

Das Parlament trägt in seiner Mehrheit die von ihr gewählte Regierung – das ist das in einer parlamentarischen Demokratie angelegte Verhältnis. Aktive Parlamentarier können sich jedoch zu jeder Zeit auch über die Fraktionsgrenzen hinweg darauf verständigen, exekutives Handeln mit zu prägen. Das kann dann wirksam sein, wenn ein wachsender Bedarf zu erkennen ist, der ein politisches Umsteuern erfordert. In der Geschichte des Deutschen Bundestages ist es weder neu noch stürzt es die Verhältnisse um, wenn sich Abgeordnete der Regierungsparteien und der Opposition finden, die besondere Akzente im Regierungshandeln setzen wollen. Das geschieht an jedem Tag, formell in den Ausschüssen und informell ebenso. Wer diese Vorgänge skandalisieren will, zeigt nur seine Ahnungslosigkeit oder seine Absicht. Weil die Journalisten des Spiegel klug sind, entfällt die erste Bewertung. Die zweite tritt umso schärfer hervor.

Die gegenwärtige Regierung Israels ist nicht frei von Kritik. Und, ja, sie versucht ihre Haltung im eigenen Land und gegenüber der Außenwelt deutlich zu machen. Und, ja, Unterschiede sind zu sehen, wer die komplexen Fragen beantworten will, ob eine verlässliche Friedensordnung im Nahen Osten entstehen kann, wer als Partner dafür zu gewinnen wäre und wie Prozesse dafür in Gang gesetzt werden können. Klar ist jedoch in jedem Fall, dass die Unterstützer von BDS friedlichen Absichten nicht folgen. Weil das so ist, haben Abgeordnete – und Deutsche zumal – jedes Recht, sich informell darüber zu verständigen, welche parlamentarischen Schritte geeignet sind, diese frivole Aktion, ein Wiedergänger des „kauft nicht bei Juden“, als das benennen, was es wirklich ist: als gegen Israel gerichtet. Wenn NAFFO mitgeholfen hat, dass diese Verständigung zwischen Parlamentariern angebahnt wurde, ist das zu begrüßen. Diese Abgeordnete haben ihre Aufgaben parlamentarisch angemessen bewältigt. Vielleicht könnten Journalisten darüber schreiben, wie Palästinenser und ihre Familien darunter leiden, wenn die Produkte, die sie in Israel herstellen, boykottiert werden, weil BDS-Aktivisten Konsumenten sie am Kauf hindern.

Der Tenor ist im ganzen Text: ohne jüdischen Druck sähe die Stimmung im Bundestag, was Israel und den Nahen Osten betrifft, ganz anders aus. Das wird noch perfide gesteigert, indem Stellungnahmen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu in die Nähe von Äußerungen hiesiger pro-israelischer AktivistInnen oder PolitikerInnen gestellt werden. Nicht nur jener erwähnte Elio Adler, auch Netanyahu würden quasi die deutschen Bundestagsabgeordneten vor sich hertreiben. Ohne jeden Beleg – es geht u.a. um eher läppische Spenden für Politiker oder ein Abendessen von pro-israelischen Aktivisten mit Bundestagsabgeordneten – wird Stimmung gegen Juden und Israel gemacht.

Ganz am Schluss wird auch noch das Feindbild des rechten Teils der sog. Pro-Israel-Szene bedient: Heiko Maas. Ihm wird von rechter Seite ein zu harmloses Agieren bezüglich Iran etc. unterstellt und der Spiegel sekundiert das nun, völlig anders gepolt. Der Spiegel agitiert, eine Israel dämonisierende Resolution der Weltgesundheitsorganisation von Mai 2019 – die von megademokratischen Ländern wie Saudi-Arabien, Yemen, Qatar (man denke an die unfassbare  Zahl an Toten auf den WM-2022-Baustellen) oder der Türkei verfasst wurde und die Situation in den Golanhöhen sowie Ostjerusalem und den besetzten bzw. umstrittenen palästinensischen Gebieten thematisiert – sei vorgeblich aufgrund von Druck der jüdischen Lobby von Bundesaußenminister Heiko Maas und der Bundesregierung abgelehnt worden, was einen Wandel des deutschen Abstimmungsverhaltens indiziere. Das raunt der Text.

Der Text macht die Gleichung auf: Juden – Israel – Mossad = Einfluss auf hilflose deutsche PolitikerInnen. Noch schlimmer: jene MdBs, die die Resolution ablehnten, trauten sich das nicht offen zu tun, sondern enthielten sich, weil sie nicht als Antisemiten dastehen wollen.

Wir sind beide nicht als Unterstützer der Regierung Netanyahu bekannt. Ja, wir fördern linkszionistische Kritik an der Besatzung wie an der politischen Kultur in Israel, die extrem nach rechts abgedriftet ist. Wir finden auch Karikaturen problematisch, die Merkel und Netanyahu mit den Sprechblasen zeigen „Wir sollten die Zweistaaten-Lösung nicht aus den Augen verlieren“, worauf hin Bibi antwortet „Steht es so schlimm um die deutsche Einheit“, die von manchen irregeleiteten „pro-israelischen“ Aktivisten publiziert werden.* Das ist eher als Ausdruck der geradezu menschenverachtenden antipalästinensischen Grundhaltung vieler selbst ernannter „Israelfreunde“ zu sehen, die linkszionistische KritikerInnen der Besatzung des Westjordanlandes nicht zur Kenntnis nehmen.

Der ganze Spiegel-Text strotzt nur so vor Ressentiment gegen Juden und promotet das Übelste was ein Mensch im Post-Auschwitz-Zeitalter tun kann, zumal im Journalismus: er befördert das Gerücht über die Juden.

Der Ex-Spiegel-Reporter Relotius ist ein Fälscher, Trottel oder Hochstapler, aber das scheint fast harmlos verglichen mit diesem antijüdischen Ton im Spiegel.

 

Prof. Gert Weisskirchen war von 1976 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags (SPD), Er war Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und bei der OSZE Beauftragter im Kampf gegen Antisemitismus

Dr. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler, 2018 publizierte er die Studie „Der Komplex Antisemitismus“, im Mai 2019 sprach er bei der SPD Essen über BDS

 

P.S.: Die Chefredaktion des Spiegel (Steffen Klusmann, Barbara Hans, Clemens Höges, Jörn Sucher) verteidigt den hier analysierten Text der sechsköpfigen Autorengruppe (Matthias Gebauer, Ann-Katrin Müller, Sven Röbel, Raniah Salloum, Christoph Schult, Christoph Sydow), ohne auch nur im Ansatz zu verstehen, warum dieser Text dem Antisemitismus Vorschub gibt.

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©ClemensHeni

Juden für ein judenfreies Europa 2034?

Von Dr. Clemens Heni, 28. April 2019

Am 14. März 2019 stimmten weite Teile der Fraktionen von FDP und AfD im Deutschen Bundestag für den FDP-Antrag „Unterstützung Israels bei Abstimmungen im Rahmen der Vereinten Nationen (Uno)“. Israel sei „die einzige Demokratie im Nahen Osten“.

Das war der Anlass für den amerikanischen Publizisten Daniel Pipes vom Middle East Forum (MEF) aus Philadelphia, der eine Berlinreise unternahm, auf Twitter zu schreiben, Merkel würde nur reden, die AfD würde „liefern“. Das gefällt dem Historiker Michael Wolffsohn, der in einem Beitrag für die Bild-Zeitung vom 17. März Pipes wohlwollend zitiert. Pipes hat der Internet-Plattform Politically Incorrect (PI) ein Exklusiv-Interview gegeben. Darin äußert er die Hoffnung, dass Europa in „15 Jahren“ von rechten Parteien beherrscht werde. Damit meint er vor allem Ungarn, Österreich und Italien als Vorbilder. Dabei traf sich Pipes auch mit der AfD wie mit MdB Markus Frohnmaier, der erst kürzlich den Neonazi Manuel Ochsenreiter als Mitarbeiter entlassen musste, weil diesem ein Terroranschlag in der Ukraine vorgeworfen wird. Frohnmaier ist wegen einem rechtsextremen Tattoo auf seiner Brust, einem Lorbeerkranz, Symbol der vom Verfassungsschutz beobachteten German Defence League (GDL), berüchtigt. Frohnmaier und Ochsenreiter sind auch für ihre Nähe zum iranischen islamistischen Regime bekannt, wie Kazem Moussavi herausgearbeitet hat. Das also sind die Kumpel von Stop-the-Bomb oder dem Mideast Freedom Forum Berlin (MEFF), falsch, verwechselt: vom Middle East Forum (MEF) und Daniel Pipes aus Philadelphia. Wen wundert das?

Im Dezember 2017 hatte die Wochenzeitung Die Zeit Pipes und dessen Middle East Forum für die Unterstützung der extrem rechten Online-Seite „Journalistenwatch“ kritisiert, das für die Agitation gegen die Holocaustüberlebende und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, bei extremen Rechten beliebt ist. 2018 finanzierte Pipes juristische Hilfe für den vorbestraften Rechtsextremisten Tommy Robinson (bürgerlich: Stephen Yaxley-Lennon), der für seine Agitation gegen Muslime in Großbritannien bekannt ist.

Warum gibt sich eine Partei, die stolz ist auf die deutschen Soldaten „in zwei Weltkriegen“ (Gauland) und die Unterstützer hat, die singen „Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz“, so pro-israelisch? Jüngst war der jüdische Publizist Henryk M. Broder Gast bei der AfD-Bundestagsfraktion. Die Agitation gegen Muslime, Linke, den Feminismus, selbstbestimmte Frauen und Gender, ist ein Bindeglied.

Erinnern wir uns: als im Frühjahr 2012 ein Kölner Landgerichtsurteil besagte, dass die Beschneidung Minderjähriger nicht rechtens sei, gab es einen Aufschrei unter Europas Juden, auch Muslime waren zutiefst schockiert. Damals schrieb „PI News“:

„Wenn sich aber jüdische Verbände und Organisationen beispielsweise so an die uralte Vorschrift der Beschneidung klammern, zeigen sie damit, dass sie sich in diesem Punkt nicht vom Islam unterscheiden. So etwas können wir nach meiner festen Überzeugung in unserem Land nicht zulassen.“

Wenn nun Wolffsohn in der Bild-Zeitung gerade Bundesaußenminister Heiko Maas vorwirft, dieser habe betont, er sei wegen Auschwitz in die Politik gegangen und würde nun Israel via UN-Abstimmungen im Stich lassen, ist das eine Umdrehung der Wahrheit, wie sie dreister nicht sein könnte. Ich war persönlich in Jerusalem dabei, als am 12. Mai 2015 Heiko Maas als erster Bundesminister der Bundesrepublik und damaliger Justizminister auf der weltweit größten Konferenz gegen Antisemitismus, dem Global Forum, veranstaltet vom israelischen Außenministerium, eine Rede hielt und seinen Kampf gegen den deutschen Antisemitismus mit seinem Einsatz für Israel koppelte.

Netanyahu jedoch ist Vertreter der rechtesten Regierung, die Israel jemals hatte. Er hat die amerikanischen Juden vollkommen vom Judenstaat entfremdet, wie selbst der Präsident des World Jewish Congress, Ronald S. Lauder, im Sommer 2018 in der New York Times in scharfen Worten feststellte. Das Nationalstaatsgesetz von 2018 bringt Israel gerade weg von der Demokratie, wie der Vizepräsident des Israel Democracy Institutes und preisgekrönte Professor für juristische Studien, Yedidia Z. Stern, 2018 schrieb.

Im letzten Wahlkampf stellte sich Netanyahu hinter den Sexisten, Rassisten und Pöbler Donald S. Trump, der Amerika seit 2016 an den Rand des Abgrunds führt und die politische Kultur des Westens massiv beschädigt. Netanyahu liebäugelt und kooperiert mit der noch extremeren und rassistischen Rechten in Israel wie der Partei Otzma Yehudit, was der linkszionistische Publizist Yossi Klein Halevi völlig fassungslos festhält. Kritik an der Besatzung des Westjordanlandes ist jedoch nicht antisemitisch. Israel und der Zionismus haben Besseres verdient als Benjamin Netanyahu.

Jene wenigen Juden, die jetzt gemeinsam mit der Neuen Rechten gegen Merkel und die Bundesregierung wie Heiko Maas agitieren, wollen offenbar das gleiche wie PI News: kein Platz für Juden in Europa! Wenn der von Wolffsohn so geschätzte Pipes Recht behält und in 15 Jahren ganz Europa von extrem rechten Partei regiert wird, dann wird kein Platz mehr sein für Juden in Europa, auch nicht für Muslime, Linke und den Feminismus und eine vielfältige Gesellschaft. Damit hätte Hitler doch noch vollends gewonnen.

 

Der Autor ist Politikwissenschaftler, 2018 erschien seine Studie „Der Komplex Antisemitismus“.

 

P.S.: „Wir hatten uns nicht vorgenommen jemals auf die Welt zu kommen
Und trotzdem ist es irgendwie passiert
Als wir uns schließlich selbst erkannten und alles ziemlich scheiße fanden
Da hatten wir das Wichtigste kapiert

Also was wollt ihr tun, wenn die Arschlöcher kommen
Allergie! Aversion! Anti Alles Aktion!
Es ist Staatsfeind Antilopen-Hardcore-Fraktion
Allergie! Aversion! Anti Alles Aktion!
Hey! Hey! Hey!
Macht, was ihr wollt, aber lasst uns in Ruh'“

©ClemensHeni

Clemens Heni – Eine Alternative zu Deutschland. Essays

Clemens Heni

Eine Alternative zu Deutschland. Essays

 

Berlin: Edition Critic, 2017

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten, Band 2

ISBN 978-3-946193-17-3 | Softcover | 14,8x21cm | 262 Seiten | Personenregister | 15€

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei direkt beim Verlag:

info[at]editioncritic.de

 

Dieses Buch ist eine intellektuelle Zeitreise von Juli 2006 bis September 2017.

Es zeigt auf, wie es vom »Sommermärchen« 2006 über die Rede vom »Inneren

Reichsparteitag«, Pegida, den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit), die

Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bis hin zum Aufstieg der AfD kommen

konnte. Betont wird die Verantwortung der Medien und des Fernsehens für

diesen Aufstieg. Die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag müssen

sich das erste Mal in der Geschichte mit neonazistischen Positionen im Parlament

befassen – doch sind sie darauf vorbereitet?

 

»Wer nach einer Vergewisserung sucht, wo Deutschland heute steht, wird sie in diesem Buch finden. Mit scharfem Verstand und mit angespitzter Feder zeichnet Clemens Heni funkelnde Momentaufnahmen der letzten elf Jahre. Heraus kommt, wie bestürzend sich die zivile Achse des zuvor offenen Selbstverständnisses nach rechts verschoben hat. Wer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft teilt, muss die Gegenwart schonungslos kritisch beleuchten. Daraus mag ›eine Alternative zu Deutschland‹ entstehen.«

Gert Weisskirchen, 1976–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB), 1999–2009 außenpolitischer Sprecher SPD Bundestagsfraktion, 2006–2008 persönlicher Beauftragter des OSZE Vorsitzenden im Kampf gegen  Antisemitismus, Prof. (em.).

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Prof. Dr. Micha Brumlik, 2000–2013 Professor für »Theorien der Bildung und Erziehung « am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main, 2000–2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust an der Goethe Universität.

»Wo nationalistische Töne sich erheben, ein Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts gefordert und Judenhass zu einer scheinheiligen Kritik an Israel sublimiert wird, holt Clemens Heni zum grossen Rundumschlag aus: gegen Zyniker, Großaffirmatoren, Antihumanisten und Holocaustverharmloser im Deutschland der Gegenwart. Selbst wenn man ihm nicht immer folgen mag, schreibt er doch mit viel Scharfsinn und Sachkenntnis. Fazit: Unbedingt lesenswert und gerade vor dem Hintergrund der Bundestagswahl von brennender Aktualität.«

Dr. phil. Michael Kreutz, Politologe und Orientalist

»Clemens Heni ist ein Ein-Mann-Korrektiv zum andauernden deutschen Geschichts-Roll-Back, wach, intelligent, unerlässlich in Zeiten der schwächelnden Demokratie.«

Georg Diez, Spiegel-Online-Kolumnist, Buchautor, 2016/17 Nieman Fellow der Harvard Universität, USA

Clemens Heni Eine Alternative zu Deutschland 2017 Inhalt Einleitung (PDF):

Einleitung  7

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig Deutschland wurde  12

Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002:  ein Küchlein mit Folgen  13

Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006:
Ich bin deutsch und was bist du?  14

Walk of Ideas, Berlin 2006  15

„Die Nazis wurden doch sportlich, 1936“ – Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus  16

Weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren  Verharmlosung der deutschen Verbrechen  21

Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze“  „deutsches Vaterland“ –
von Diem zu Klinsmann  22

Keine „Reue“ zeigen: Gegen „amerikanischen Messianismus“ –  Matusseks nassforsche Invektiven oder wie funktioniert  sekundärer Antisemitismus?  25

Joachim Fests Kampf: Über Historismus und Antisemitismus  26

Ästhetizistische Parallelwelten: K.H. Bohrer möchte wieder ein stolzes Deutschland …   29

Deutsche Lust: Zusammen, was zusammengehört: Nation und Sozialismus – „Volkslust“… 32

Kritik an Broders Rechtsruck 2007  35

Martin Mosebach: Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus  39

„Rheinischer” Revisionismus? Journalisten verlegen Beginn des Zweiten Weltkriegs auf 1935  41

Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“  45

Karl Rössel, der Mufti, und die Aporien des Antiimperialismus  45

Merkwürdiger Komparatismus: Harald Welzer  50

Antisemitismus trivialisieren? Fragen an den Facebookexperten Götz Aly  52

Das ZDF oder wenn Deutsche zu sehr lieben: „Innerer Reichsparteitag“  56

Das grüne Ressentiment: Die Grünen, Paul Bonatz, die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, Stuttgart 21    59

Stuttgart ist keine „Vorstadt von Jerusalem“… Paul Bonatz, der NS und Die Grünen (K21)  61

Erinnern, um zu vergessen: Alfred Grosser  66

„Ausgerechnet Billy Wilder“ – Christian Wulff, die „deutsche Kultur“ und der Holocaust 68

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren  69

Antisemitismus und die Prager Deklaration  75

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013  78

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer  83

Özgida – eine antirassistische Antwort auf Pegida  86

32 Thesen: Pegida zeigt den Extremismus der deutschen Mitte  90

2014: Ein Land gefangen zwischen Islamismus und dem Extremismus der Mitte  95

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?  96

Auschwitz, 27. Januar 1945  98

Eike Geisel und die Erinnerung an den Holocaust 103

Die „Klimaverschärfung“ – AfD und Pegida machen das Land peu à peu unbewohnbar  108

Das Ende des Ludwig-Börne-Preises – Der „post-humanistische Denkraum“ Peter Sloterdijks  116

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“  127

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016  133

Gegen das Brexit-Volk des 23. Juni 138

Deutsche Männer mit Schnappatmung – Zur Kampagne gegen die
Amadeu Antonio Stiftung  142

Von der SED zur AfD? Für die Neue Rechte war die DDR schon
1981 besonders „deutsch“  145

16 Jahre NSU, 15 Jahre 9/11: Deutschland zwischen braunem und grünem Faschismus  150

Schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und der Mob in Berlin vor dem Einzug ins Parlament 152

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke bekommt den Friedenspreis  159

Ein Präsident für die antiwestliche Internationale  167

Die neue Querfront – Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump … 175

Stalingrad, „monströser Zivilisationsbruch“ –

Die Wiedergutwerdung der Deutschen in Aleppo  184

Der Trumpismus, die Fratze des Philoisraelismus und die Chance
des säkularen Zionismus  188

Amerikas 1933 und die „identitäre Demokratie“ (=Faschismus)  192

Locker bleiben. Es ist lediglich der mächtigste Mann der Welt, der
den Faschismus intoniert 194

Erlösendes Gedenken, Norbert Lammert, die „wechselvolle“ deutsche Geschichte  200

Freiheit für Deniz Yücel – Jetzt sofort! Power durch die Mauer, bis sie bricht! 204

G20-Proteste: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Brecht)  206

Koscherstempel für faschistische Autoren: Die Berliner Buchhandlung „Topics“  209

Holocaustopfer, schwarzrotgold: Gerhard Richter im Bundestag  214

„Ist doch für einen guten Zweck“: Mafia-Methoden im politischen Diskurs  214

TV-Duell: AfD-Propaganda-Show führender TV-Journalist*innen in
ARD, ZDF, RTL und Sat1  217

Endnoten  223

Personenregister  256

Lesprobe:

Einleitung

Für „Otto Normalvergaser“ wie die Politiker*innen und Wähler*innen der Alternative für Deutschland (AfD) „ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen“.[1] Das zeigt sich an der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die das Wort „völkisch“ wieder verwendet, an dem ehemaligen (1973–2013) CDU-Mitglied und AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017, Alexander Gauland, der „stolz“ ist auf die deutschen Soldaten im „Ersten und Zweiten Weltkrieg“ und an Björn Höcke, für den das Holocaustmahnmal ein „Mahnmal der Schande ist“. Die Welt am Sonntag berichtete am 9. September 2017 über einen E-Mail-Wechsel der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel von 2013, worin es über Mitglieder der Regierung Angela Merkel heißt:

„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“[2]

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 führt das erste Mal dazu, dass Neonazis im Deutschen Bundestag sitzen werden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach im Vorfeld von der Gefahr, dass „echte Nazis“ im Parlament vertreten sein werden.[3] Der 24. September 2017 war der schlimmste Tag für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Die 12,6% Stimmen für die AfD zeigen die Fratze des Volkes. Die Millionen AfD-Wähler*innen wissen, wie völkisch, rassistisch, nationalistisch, agitatorisch und antisemitisch diese Partei ist und haben sie gerade deshalb gewählt.

Dieses Land braucht eine Alternative zu Deutschland. Es war noch vor fünf Jahren undenkbar, dass eine Partei in den Bundestag einziehen wird, die „Deutschland erwache“ twittert,[4] so wie damals die Nazis mit diesem Spruch agitierten. Eine Partei, die Politiker hat, die so reden wie Goebbels und die Erinnerung an den Holocaust nicht nur abwehren, sondern im Kokettieren mit dem damaligen Propagandaminister die Shoah gar nicht so klammheimlich affir­mieren. Eine Partei, die deutschen Staatsbürgerinnen die Staatsbürgerschaft abspricht und diese in „Anatolien entsorgen“ will. Schließlich eine Partei, die Mitglieder hat, welche die gefährlichste aller antisemitischen Verschwörungsmythen, die Protokolle der Weisen von Zion, unterstützen.[5] Der Mob schreit „Volksverräter“, „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD passierte, und möchte die Kanzlerin wegputschen und die Demokratie zerstören. Solche Neo-Nazisprüche und -Ideologie gibt es schon seit Jahrzehnten – aber niemals im Deutschen Bundestag als Teil der Ideologie einer ganzen Partei. Dazu kommen eine ungeheuerliche Agitation gegen die Demokratie und Gewaltfantasien, die rechte Aktivisten von Pegida und Politiker*innen der AfD und deren Anhängerschaft in den sozialen Medien äußern.[6] Wie Bundesjustizminister Heiko Maas knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl schreibt, ist die AfD „in Teilen verfassungswidrig.“[7] Doch die Alternative für Deutschland (AfD) entstand nicht in einem Vakuum, sondern ist Ausdruck eines lang andauernden Prozesses der Renationalisierung dieses Landes wie auch Europas und des Westens. Rassismus, Separatismus und die Hinwendung zum „Eigenen“ sind schockierender Aus­druck sowohl des Brexit im Juni 2016, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wie der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten im November 2016.

Die deutsche Renationalisierung kann hier nicht in allen Einzelheiten untersucht werden. Die jüngste Form der Renationalisierung war ein Epochenbruch: 2006. Eine Kernthese dieses Bandes lautet: Ohne das „Sommermärchen“ von 2006 und den schwarzrotgoldenen Taumel, ohne die „inneren Reichsparteitage“ und gegenintellektuelle Stimmungsmache für mehr Nation und weniger Reflektion, mehr Stolz auf die deutsche Geschichte und weniger Gesellschaftskritik, wäre es nicht zu Pegida und zur Katastrophe der völkischen AfD gekommen. Die AfD hat am Wahlabend die deutsche Nationalhymne gesungen,[8] es ist die gleiche Hymne, die schon zu Nazizeiten gesungen wurde.

Es sind krasse Zeiten. Wir können mittlerweile wählen, ob wir den braunen, nazistischen, oder lieber den grünen, islamistischen Faschismus bevorzugen. Zwischen diesen beiden Polen ist der Westen derzeit gefangen. Der jihadistische Terrorismus, der Islamismus, das Ressentiment auf die westliche Welt, der Antiamerikanismus, der Antisemitismus und der Israelhass des 11. September 2001 veränderten die Welt. Seit jenem Tag wachen wir jeden Morgen auf, und wissen nicht, ob wieder ein jihadistischer Anschlag passierte, ob auf Bali, im Irak, in Syrien, Afghanistan, den USA, Frankreich, Dänemark, Berlin, Tel Aviv, Jerusalem, Brüssel, Toulouse, London, Manchester, Madrid, Djerba, Barcelona, Nizza und unzähligen weiteren Orten. Seit über 16 Jahren geht das so und es ist kein Ende in Sicht. Weltweite massive Sicherheitsvorschriften an Flughäfen, das unwillkürliche Aufmerksamwerden auf isoliert herumstehende Koffer, Taschen oder Rucksäcke an Bahnhöfen, Flughäfen und sonst im öffentlichen Raum waren vor 9/11 nicht denkbar. Unser Blick auf die Realität hat sich verändert. Dazu kommt in der Bundesrepublik ein noch viel heftigerer, massenwirksamerer und seit dem 24. September 2017 auch bundespolitisch mit enormen Konsequenzen und einem Machtzuwachs nie geahnten Ausmaßes ausgestatteter nationalistischer, rechtsextremer und neonazistischer Aufbruch.

Das Volk ist nicht „abgehängt“ oder „perspektivlos“, nein, das Volk ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend. Das zeigt sich nicht nur an Tomaten- wie Verbalattacken auf Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten während des Bundestagswahlkampfes 2017 oder bei den Pegida Demonstrationen seit Oktober 2014, sondern zum Beispiel auch im Sommer 2017, als in einem ganz normalen westdeutschen Dorf bekannt wurde, dass dort seit 83 Jahren eine „Hitlerglocke“ im Kirchturm hängt und der Pfarrer (aus musikalischen Gründen, klar) wie der Bürgermeister total „stolz“ sind auf ihre Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland. Adolf Hitler“ und darunter befindet sich ein dickes Hakenkreuz. Das hat seit 1945 keinen Menschen in diesem ganz normalen deutschen Dorf in Rheinland-Pfalz (Herxheim am Berg) gestört.

Diese beiden Großthemen, Jihad und der stolzdeutsche Aufbruch, das „nationale Apriori“ der Deutschen, bestimmen in weiten Teilen die politische Kultur, möchte man meinen. Wer aber am 3. September 2017 das einzige TV-Duell der beiden Kanzlerkandidat*innen zur Bundestagswahl am 24. September auf den vier größten Fernsehkanälen ARD, ZDF, RTL und Sat1 gesehen hat, traute seinen Augen und Ohren nicht mehr. Da wurde weit über die Hälfte der Sendezeit nur gegen Nicht-Deutsche gleichsam agitiert, die Fragen hörten sich an, als wären alle vier Fragenden direkt von der AfD bestellt gewesen. Die Gefahr des Rechtsextremismus wurde verleugnet. Die Medien haben eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD. Der Journalist Georg Diez resümiert am Vormittag des 24. September 2017:

Die Erfolge der AfD haben auch die Plasbergs dieser Welt mitzuverantworten. Denn die öffentlich-rechtlichen Talker haben den reaktionären Kräften schon früh und dann immer wieder eine Bühne geboten.“[9]

Die AfD hat es in zwei Jahren, seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ Anfang September 2015, geschafft, dieses Thema als das zentrale Thema des ganzen Landes durchzusetzen, auch wenn im Spätsommer 2017 kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland und Europa durchkommen, da die Abschottung jetzt schon in Afrika beginnt. Die Renationalisierung, die in dieser Aggressivität nie dagewesene nationalistische Rede, wurde von der AfD in den Mainstream gebracht und die Medien nahmen das geradezu dankbar und begierig auf. Aufgrund dieses In-die-Zange-Nehmen der westlichen Welt durch den braunen und grünen Faschismus verschwinden andere Themen oft. Der Klimawandel, der von US-Präsident Donald Trump und seinen deutschen Fans geleugnet wird, aber auch viel weiter gefasste Themen wie Entschleunigung, Ökologie und das Mensch-Natur-Verhältnis, vom Atomausstieg über Braunkohleabbau, Windkraft oder Solarenergie hin zum Dieselskandal, der nur die Wahrheit auf den stinkenden Punkt bringt, dass der Kapitalismus nicht zum Vergnügen da ist, sondern zur Profiterzielung. Themen wie das Grundeinkommen, ungebremste Mietsteigerungen in Großstädten und Ballungsräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse für die gut und sehr gut Ausgebildeten, Minijobs und Mehrfachjobs für alle und sicherlich die neoliberale Deregulierung vieler Ge­sell­schaftsstrukturen wie die Internalisierung der Imperative des Kapi­ta­lis­mus: Das wären alles sehr wichtige Themen, die aber seit 9/11 und dann seit 2006 sowie später weltpolitisch durch die Wahl Trumps wie den Aufstieg der AfD massiv überlagert werden durch diese beiden Großthemen brauner versus grüner Faschismus.

Dazu kommt: Die Entpolitisierung ist prägend für weite Teile dessen, was früher einmal als „bürgerliche Mitte“ wie auch „die Linke“ (jenseits der Partei) bezeichnet wurde. Unabhängig von bezahlten Jobs in NGOs gibt es nur noch sehr wenige politisch aktive Menschen, die grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft stellen und nicht nur Einpunktbewegungen anhängen. Jene, die sich in den letzten Jahren massiv politisiert haben, sind die Völkischen oder „besorgten Bürger“. Der Antisemitismus wird äußerst selten zu einem zentralen Thema der Kritik gemacht. Daher versuchen die Essays in diesem Band ganz unterschiedliche Aspekte des heutigen Antisemitismus zu thematisieren und sie am Beispiel von teils zentralen Akteuren oder Ereignissen im politischen, wissenschaftlichen wie kulturellen Feld zu analysieren. Wenn zum Beispiel ‚linke‘ Aktivisten oder Künstler aktiv werden, sieht das heute so aus: Auf der documenta14 in Kassel sollte es im Sommer 2017 eine Aktion geben mit dem Titel „Auschwitz on the Beach“. Dabei sollten Salzwasser mit Zyklon B und Flüchtlinge mit Juden verglichen und gleichgesetzt, sowie darüber hinaus die europäischen Gesellschaften und Israel als neue „Gauleiter“ zu den Nazis von heute gemacht werden.[10] Diese Abwehr der Er­inn­er­ung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah geschieht mit dem best­en linken Gewissen, was sich darin zeigte, dass der Event zwar aufgrund von Protesten abgesagt wurde, aber ohne eine inhaltliche Distanzierung der documenta-Leitung von diesem doppelten Antisemitismus. Es handelte sich um einen Antisemitismus, der die Erinnerung an den Holocaust für politische Zwecke instrumentalisiert und zudem noch antizionistisch agitiert. Dann gibt es mittlerweile ‚Linke‘, selbst Kritiker solcher Events auf der documenta, welche die Agitation gegen den Islam als fortschrittlich empfinden und den Rechtsextremismus der AfD schlicht verdrängen. Das ist auch bei vielen Trump-Anhängern so, die sich zuvor als liberal oder links tarnten.

Wie der Spiegel Online Kolumnist Georg Diez wenige Wochen vor der Wahl schrieb, kann man sehen, wie seit Jahrzehnten in Deutschland

„der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde, von Martin Walsers Paulskirchenrede über Thilo Sarrazin bis zu den Untergangsfantasien von Botho Strauß. In der Sprache von Peter Handke könnte man sagen, es waren Zurüstungen für die Unmenschlichkeit.“[11]

Die Essays in diesem Band spannen einen Bogen vom „Sommermärchen“ 2006 über den „Inneren Reichsparteitag“ (2010) hin zu Pegida (2014), den Brexit, die Wahl Trumps (2016) und den Aufstieg der AfD zur ersten Partei mit Neonaziideologie im Deutschen Bundestag (2017). Während es Hunderte ehemaliger NSDAPler im Bundestag und anderen Parlamenten seit 1949 gab,[12] werden ab September 2017 erstmals neue Nazis im Bundestag sitzen. Die Essays[13] in diesem Band umfassen eine Zeitspanne von Juli 2006 bis September 2017 und können als eine Art intellektuelles Tagebuch betrachtet werden. Mögen sie zur Kritik und Reflektion, zum Nachdenken über eine Alternative zu Deutschland anregen.

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, 69.

[2] Sven-Felix Kellerhoff/Martin Lutz/Uwe Müller (2017): „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte“, Die Welt, 09.09.2017, https://www.welt.
de/politik/deutschland/article168480470/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten-der-Siegermaechte.html (18.09.2017); „Die WELT AM SONNTAG hält an ihrer Berichterstattung über die Mail in vollem Umfang fest. Der Redaktion liegt eine eidesstattliche Versicherung des E-Mail-Empfängers vor. Um Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auszuräumen, könnte Weidel ihrerseits bei Gericht eine eidesstattliche Versicherung einreichen, in der steht, was zuvor schon der Anwalt behauptet hatte: Dass sie den Text nicht verfasst hat. Doch dies hat sie bisher nicht getan. Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet“, Martin Lutz/Uwe Müller (2017): AfD-Spitzenkandidatin Weidel spricht nicht mehr von Fälschung, Die Welt, 15.09.2017, https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandidatin-Weidel-spricht-nicht-mehr-von-Faelschung.html?wtrid=socialmedia.
email.sharebutton (18.09.2017); „AfD-Spitzenkandidatin Weidel plötzlich kleinlaut. Ein Bericht über eine Wut-Mail hat die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel erzürnt. Sie sprach von einer Fälschung. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/wut-mail-afd-spitzenkandidatin-weidel-ploetzlich-kleinlaut-15202774.html (18.09.2017).

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl/alle-schlagzeilen/gabriel-attackiert-afd-echte-nazis-am-rednerpult/20315768.html (16.09.2017).

[4] http://www.jc-courage.de/wp-content/uploads/2017/02/Die_AfD_in_Koeln.pdf (16.09.2017), 11; http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koelner-hauptmann-und-afd-politiker-soll-ns-parole-getwittert-haben-aid-1.6807113 (15.09.2017): „Die Linken-Politiker werfen [Hendrik] Rottmann vor, am 29. Januar auf Twitter eine Meldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mit den Worten ‚Deutschland erwache‘ kommentiert zu haben – eine Parole, die im Dritten Reich von der Nazi-Organisation SA benutzt wurde. Ein Screenshot des Tweets liegt unserer Redaktion vor – der Twitter-Account, von dem der umstrittene Spruch abgesetzt worden sein soll, existiert nicht mehr.“

[5] So Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg, siehe dazu meine Analyse: Germany’s Hot New Party Thinks America Is ‘Run by Zionists’, Tablet Magazine, 1. August 2016, http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/209243/germanys-hot-new-party (24.09.2017).

[6] „Alle Tünche, die Pegida am Anfang noch trug, war in den sozialen Netzwerken schnell hinfällig. In der scheinbaren Anonymität des WorldWideWeb oder in geschlossenen Facebook-Gruppen, in denen man sich unter sich glaubte, nahmen Mitglieder des Pegida-Orgateams kein Blatt mehr vor den Mund. Verfolgte man Bachmanns inzwischen gelöschten Twitter-Account, der auch in die Zeit vor Pegida zurückreicht, so stieß man auf vulgären Rassismus und Homophobie. Beispielsweise twitterte er am 6. September 2013 über die Grünen: ‚Gehören standrechtlich erschossen diese Öko-Terroristen! … allen voran Claudia Fatima Roth!‘“ (Lucius Teidelbaum (2016): Pegida. Die neue deutschnationale Welle auf der Straße, Münster: Unrast, 31); Die Hannoversche Allgemeine berichtet am 10. September 2017: „Von der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel soll eine E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aufgetaucht sein. Die AfD bestreitet allerdings in Weidels Namen, dass sie die Autorin ist. Die ‚Welt am Sonntag‘ berichtet jedoch, ihr liege eine eidesstattliche Versicherung des Mail-Empfängers, eines früheren Bekannten Weidels, vor. Der Zeitung zufolge heißt es in der E-Mail vom 24. Februar 2013 in Originalschreibweise: ‚Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden.‘ Zudem werde in dem Schreiben die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) verunglimpft: ‚Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen‘, zitiert das Blatt weiter“, http://www.haz.de/
Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten (11.09.2017). Der Ex-AfDler Holger Arppe aus Mecklenburg-Vorpommern hat Pro-Nazi und zur Gewalt aufrufende Nachrichten verschickt und war jahrelang eng verbunden mit führenden AfDlern. Sein Austritt aus der Partei ist rein taktisch. Der NDR berichtet über ihn: „Arppes Chatverläufe dokumentieren auch, wie nah die AfD in Mecklenburg-Vorpommern offenbar an die rechtsextreme ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) herangerückt ist – obwohl es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei gibt. Über Monate hinweg chattete Arppe ausweislich der Protokolle mit Daniel F., einem der führenden Köpfe der IB. F. war früher bei der NPD engagiert. Im Juli 2015 schrieb Arppe: ‚Diesen Revoluzzergeist brauchen wir! Der [Daniel F.] ist ein absolutes Muss für unsere Partei. Seine Vergangenheit interessiert mich einen Scheißdreck.‘ Die Dokumente zeigen auch, dass Arppe die IB darum bittet, als Ordner für eine Demonstration zur Verfügung zu stehen. ‚Daniel, könnten von Euch welche als Ordner fungieren bei unserer Demo am Samstag? Wir brauchen noch ein paar ordentliche Nazis als Freiwillige‘, schrieb Arppe demnach im Oktober 2015. Der IB-Mann sichert daraufhin drei Helfer aus seinen Reihen zu“, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistische-Chats-Fraktionsvize-verlaesst-AfD,afd1204.html (11.09.2017). Das Handelsblatt vom 9. September 2017 ergänzt diese Analyse des rechtsextremen Netzwerkes, in das Arppe eingebunden ist: „Arppe war, wie andere umstrittene AfD-Politiker auch, schon früher wegen seiner deutschnationalen Gesinnung aufgefallen. Er übte mit Wissen der Bundespartei offen den Schulterschluss mit der ‚Identitären Bewegung‘, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und pflegte Kontakte zum Chefredakteur des rechten Monatsmagazins ‚Compact‘, Jürgen Elsässer. Bei einer entsprechenden Veranstaltung im vergangenen Jahr war das AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg mit dabei. Arppe nahm auch schon am sogenannten ‚Kyffhäuser-Treffen‘ in Thüringen teil. Veranstalter ist die rechtsnationale AfD-Gruppierung ‚Der Flügel‘ der AfD-Fraktionschefs Björn Höcke (Thüringen) und Poggenburg (Sachsen-Anhalt). Am vergangenen Wochenende kamen nach Polizeiangaben 550 bis 600 Teilnehmer zu der Kundgebung am Kyffhäuserdenkmal. Unter ihnen waren neben AfD-Chef Jörg Meuthen auch Vize-Parteichef Gauland und Pegida-Chef Lutz Bachmann“, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/
bundestagswahl/alle-schlagzeilen/der-fall-arppe-und-die-folgen-staatsrechtler-bringt-afd-beobachtung-ins-spiel/20302334.html (11.09.2017).

[7] http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/heiko-maas-afd-ist-in-teilen-verfassungswidrig-a-1348338?GEPC=s5 (11.09.2017).

[8] https://twitter.com/maria_fiedler/status/911984268355805185 (24.09.2017).

[9] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-wie-der-rechtsruck-herbei-geredet-wurde-a-1169404.html (24.09.2017).

[10] https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2017/08/auschwitz-am-strand-die-documenta-ueber-den-einsatz-von-zyklon (18.08.2017).

[11] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rechtsruck-in-deutschland-die-geistig-moralische-wende-zum-schlechten-a-1166689.html (11.09.2017).

[12] Eine inoffizielle Liste ehemaliger Nazis, die nach 1945 politisch aktiv waren (wie z.B. als Abgeordnete im Bundestag) findet sich hier: https://de.wikipedia.
org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%
A4tig_waren (21.09.2017).

[13] Bis auf die Einleitung und den Text „Ist doch für einen guten Zweck…“ sind alle Texte dieses Bandes online auf verschiedenen Portalen erschienen und wurden für diese Publikation überarbeitet. Die Datumsangaben am Ende von URLs zeigen das Datum des letzten Abrufs der Seite an.

Deutsche Männer mit Schnappatmung. Zur Kampagne „besorgter Bürger“ und anderer Rechtsextremer gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) und Anetta Kahane

Wir leben in gefährlichen Zeiten. Faschisten lieben, es „gefährlich zu denken“, ans Äußerste zu gehen, theoretisch wie praktisch. Das ist das Erbe von Richard Wagner, Carl Schmitt und Ernst Jünger.

In Berlin wird auf Demonstrationen von Neonazis, anderen „ganz normalen besorgten Bürgern“ (=“Rechtspopulisten“) wie am 30. Juli 2016 schon mal gefordert, Bundeskanzlerin Merkel „zu steinigen“, wie das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus berichtet.

Die Partei Alternative für Deutschland (AfD), Verschwörungswahnsinnige, Zeitschriften wie das vom Ex-Linken Jürgen Elsässer geführte Compact Magazin, das Deutschland als von den USA besetztes Land herbei fantasiert, Neonazis aller Art, die „Identitäre Bewegung“ und die beliebten „besorgten Bürger“ hetzen seit Jahren: „Merkel muss weg“.

In USA fordert der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump, seine Gegnerin, die demokratische Kandidatin Hillary Clinton, „einzusperren“ („lock her up“), für den niederländischen Agitator Geert Wilders, der auch gegen die jüdische Beschneidung ist, klebt an Merkels Händen „Blut“, Morde durch Jihadisten seien ihr zu verdanken. Der heutige britische Außenminister Johnson verglich während der BREXIT-Kampagne die EU mit Hitler. Selten war die Trivialisierung des Holocaust so Mainstream in Europa, wir wollen von osteuropäischen oder islamistischen Formen der Holocaust-Bejahung hier erst gar nicht sprechen.

Das Klima ist so angespannt und verhetzt, dass viele nicht glauben wollten, dass der mörderischste Anschlag in der Bundesrepublik seit Jahren, der Amoklauf von München vom 22. Juli 2016 mit neun Toten und dutzenden Verletzten, kein islamistischer Anschlag war, sondern von einem rassistisch und neonazistisch motivierten, zudem psychisch kranken Täter ausgeführt wurde. David Ali S. (manche wollten wohl insinuieren, die Presse würde absichtlich den Vornamen „Ali“ nicht nennen, während ähnlich Fragende in England nicht betonten oder nicht mal erwähnten, dass der Täter ein Rassist und Rechtsextremist war) aus München tötete gezielt Migranten, was nicht nur mit schulischen Problemen in Beziehung steht, sondern auch mit einer offenkundig rechtsextremen Ideologie. Er hatte am selben Tag wie Hitler Geburtstag und freute sich darüber, zudem sah er sich als Deutsch-Iraner besonders „arisch“, während des Amoklaufs wurde ein Video aufgenommen, das seine rassistische und deutsche Ideologie fragmentarisch zum Ausdruck bringt.

Zuletzt hatte der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) gezielt neun Migranten ermordet, allerdings in einem Zeitraum von 7 Jahren und nicht innerhalb weniger Minuten.

Vor diesem Hintergrund ist die Aufklärungsarbeit gegen Rechts von enormer Bedeutung.

Doch in Deutschland ist die Kritik an der Rechten verpönt, die Neue Rechte ist derzeit salonfähig, nicht Gesellschaftskritik und Antifaschismus. Das zeigt sich am FAZ-Autor „Don Alphonso“, der am 31. Juli auf Twitter schrieb, wie der Tagesspiegel-Autor Matthias Meisner gleichsam geschockt zitiert:

„Im Vergleich zu Maas, Kahane, de Maiziere, Juncker und Twitters Beihilfe ist Erdogan ein altmodischer Zensurpfuscher“

Heiko Maas, der 2014 als erster Bundesminister auf dem Global Forum for Combating Antisemitism in Jerusalem sprach und eine jüdische Aktivistin gegen Rechtsextremismus, Islamismus und Antisemitismus in all seinen Formen, Anetta Kahane, werden hier mit einem antisemitischen islamistischen Führer gleichgesetzt, ja sie seien viel schlimmer als der türkische Präsident Erdogan.

Wer sich also für Israel einsetzt wie Heiko Maas oder gegen Antisemitismus wie Anetta Kahane sei problematischer als ein brutaler, autokratischer und islamistisch fanatisierter Staatsführer wie Erdogan. Geht’s noch?

Ja, es geht noch krasser. Dieser Tweet steht nämlich nicht isoliert, er ist Teil einer Kampagne gegen die Kritik am Rechtsextremismus und am Antisemitismus. Eine Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS). Eine Kampagne zudem gegen Anette Kahane, die Vorsitzende der Stiftung, persönlich. Warum dreht das zumeist weiße, männliche Pöbelvolk so durch?

Die extrem rechte Hetze gegen alles, was links ist oder so interpretiert wird, hat seit vielen Jahren Hochkonjunktur. Von Matussek über Sarrazin zu Pegida und der AfD führt eine der neu-rechten Linien. Parallel dazu gibt es einen organisierten Rechtsextremismus, der weit älter ist und der seit Jahren die Chance sieht, den ganz großen Durchbruch zu schaffen. Eine Nazi-Partei in den Bundestag, „national befreite Zonen“, eine Pogromstimmung gegen Flüchtlinge, Nichtdeutsche und Linke bzw. so Kategorisierte, zumindest in einigen Teilen der Republik wie in Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern.

Schauen wir uns mal einen ganz aktuellen Fall an, was den deutschen Antisemitismus und die AAS betrifft. Die Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) hat einen Antisemitismusskandal. Jahrelang wurden dort in einem Seminar antisemitische Texte und Dokumente als Lehrmaterial den Studierenden vorgesetzt. Der Journalist Alan Posener von der WELT berichtet darüber:

„Aber der Hochschule liegt seit dem September 2015, mithin seit elf Monaten, ein Gutachten der Amadeu-Antonio-Stiftung zu den Seminarmaterialien vor. Der Autor des Gutachtens, Jan Riebe, stellt unter anderem fest: ‚Die Texte beschäftigen sich nicht oder nur in Ansätzen mit der sozialen Lage von Jugendlichen in den palästinensischen Gebieten‘ – dem vorgeblichen Thema des Seminars. Viele Texte seien nicht wissenschaftlich, sondern ‚agitatorisch‘. Die meisten ‚widersprechen wissenschaftlichen Mindestanforderungen‘.

Über einen Text heißt es: ‚Eine solche Zusammenstellung‘ negativer Aussagen über Israel ‚ist mir in meiner langjährigen zivilgesellschaftlichen Arbeit fast ausnahmslos aus Nazikreisen untergekommen‘. Ein solches Seminar sei ‚unvereinbar mit den demokratischen Grundsätzen einer Hochschule‘.

Nun ist ein Kollege von Posener, der Publizist Henryk M. Broder als Mitbetreiber des Autorenblogs Achgut.com an der Hetzkampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) direkt beteiligt. Einer der Texte dieser abstoßenden und gefährlichen Kampagne ist  auf seinem Blog erschienen. In dem Text wird eine Beziehung von Kommunismus, Juden (Anetta Kahane ist als Jüdin bekannt) und Geld hergestellt. Es würde sich „lohnen“ gegen rechts zu arbeiten. Anetta Kahanes Tätigkeit für die Stasi wird aufgewärmt, als sei das nicht seit vielen Jahren völlig offen und bekannt. Kahane hatte 1986 einen Ausreiseantrag aus der DDR gestellt, weil sie erkannte, dass die DDR strukturell unfähig war, dem Neonazismus oder Rechtsextremismus zu begegnen, wozu es eine antiautoritäre, bunte Gesellschaft braucht.

Heutzutage erarbeitet sie mit ihrer Stiftung Ausstellungen über Antisemitismus in der DDR. Und eine Kritik am Antisemitismus ist bei der Neuen Rechten natürlich ein No-Go, solange man nicht ausschließlich Muslime oder Linke dafür verantwortlich machen kann.

Der Anhänger von Verschwörungsmythen Gerhard Wisnewski attackiert die AAS auf der Seite des extrem rechten Kopp-Verlages. Er bekommt Schnappatmung, weil eine heutige Mitarbeiterin der AAS, Julia Schramm, sich 2014 auf Twitter (Gottseibeiuns!) bei der Royal Air Force bedankte, die im Zweiten Weltkrieg Dresden bombardierte.

In einer unglaublich fanatischen deutsch-nationalen Stimmung – jede Fußball-Männer EM oder WM zeugt davon, allerspätestens seit 2006 im gesamtdeutschen Rausch – werden vor allem „Antideutsche“, also Kritikerinnen des deutschen Nationalismus und Antisemitismus und Rassismus, diffamiert und attackiert. Das haben rechtsextreme Verschwörungswahnsinnige übrigens mit weiten Teilen der Linken, man denke nur an Sahra-ich-wäre-so-gern-AfD-Bundesvorsitzende-Wagenknecht, die antizionistische Postille junge Welt oder die örtlichen Ableger von DKP, MLPD oder den Stammtischen ehemaliger, nun ergrauter KPD/AO-Mitglieder, gemein.

Man könnte mit Julia Schramm womöglich über ihre völlig not-wendige Kritik am Nationalismus in Deutschland reden, am aus ihrer Sicht überholten und falschen Konzept des Nationalstaats, wie sie es in einem kleinen Video kürzlich getan hat, und dabei darauf hinweisen, dass gerade die Kritik am Antisemitismus not-wendig eine Bejahung des israelischen Nationalstaats beinhaltet.

Das ist für sehr viele linke Israelunterstützer eine Aporie: hier mit Jürgen Habermas (für die Sozialdemokratischen) oder Marx und Kritischer Theorie (für die ganz Radikalen und Strammen) gegen den Nationalstaat und dort irgendwie für Israel, gegen Jakob Augstein, Jihad und den Iran.

Doch das wäre eine ganz andere Diskussion. Dass Israel der jüdische und demokratische Nationalstaat ist und als solcher zu verteidigen ist, muss erst noch in linke Theoriebildung Einzug erhalten. Da hat die „Israelszene“ noch sehr viel Arbeit vor sich liegen.

Hier und heute geht es darum, die rechtsextreme und antisemitische Kampagne gegen die Amadeu Antonio Stiftung zu attackieren und zu Fall zu bringen.

Der Journalist Christian Bommarius hat für die Berliner Zeitung zusammengefasst, mit was für einen Gruppe von Agitatoren wir es zu tun haben:

„In diesem Lager – präziser wäre: Kampfgemeinschaft – stehen die rechtsradikale Zeitung Junge Freiheit und der Publizist Roland Tichy (‚Es ist ein peinliches (sic!) Netz  der Zensur, das hier über Deutschland gelegt wird und  im Zusammenspiel mit den Parteien und vielen Medien glänzend funktioniert.‘), die islamophobe ‚Achse des Guten‘ um Henryk M. Broder, Anhänger der rechtsextremen ‚identitären Bewegung‘, der auf die Verbreitung von Verschwörungstheorien spezialisierte Kopp-Verlag mit seinem fast schon ulkigen Chefverschwörungstheorienverbreiter Udo Ulfkotte (‚Zensur-Republik Deutschland: So sollen Bürger eingeschüchtert werden‘), der rassistische Blog ‚politically incorrect‘  und  was sich derzeit sonst noch auf dem Markt intellektueller Unredlichkeit und  trostloser Unanständigkeit tummelt. Sie alle werfen Maas, der  Amadeu-Antonio-Stiftung und anderen, denen der Schutz der Menschenwürde etwas bedeutet, vor,  die Republik in eine ‚Stasi 2.0‘ zu verwandeln und mit dem ‚peinlichen Netz der Zensur‘ zu knebeln.“

Antideutsche werden dieses Land vor sich selbst retten oder es geht unter. So oder so.

Und da ist sie wieder, die Schnappatmung weißer deutscher Männer. Aber sie sind nicht alleine. Vera Lengsfeld ist bei ihnen.

 

 

PEGIDA und die politische Kultur

Eine Selbstkritik der »Israelsolidarität«, DDR-»Wirtschaftsflüchtlinge« 1989, die Verteidigung des »Abendlandes» und das deutsche Weihnachtsfest 1939: »Ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums«

 

Bundesjustizminister Heiko Maas hat völlig Recht: »PEGIDA ist eine Schande«. Die Zeitung für Deutschland hingegen, die FAZ, sieht in PEGIDA den Ausdruck einer Sehnsucht nach »Heimat«, die armen Dresdner seien »heimatlos«, wie es am 17.12.2014 auf Seite eins der FAZ heißt: »Pegida ist ein anderes Wort für die Sehnsucht nach politischer Führung. Wer nimmt sie wahr?« Der »Führer« vielleicht? Auch viele andere Medien nehmen PEGIDA mittlerweile in Schutz, von der ZEIT, die meint »echte Gefühle« bei den Aufmärschen zu erkennen, bis hin zu CICERO, das Kritiker wie Wolfgang Bosbach (CDU) oder Ralf Jäger (SPD) abmahnt und ernsthaft meint, man könnte und sollte mit PEGIDA reden bzw. müsse deren »Argumente« wahr- und ernstnehmen.

 

Angesichts von ca. 300.000 Toten in Syrien, Unruhen, Verfolgung, Mord und Krieg in weiten Teilen des Nahen Ostens, vor allem in Libyen, Syrien, Irak oder Yemen, sowie desolater ökonomischer Verhältnisse zumal in Afrika oder Osteuropa, hetzen Deutsche gegen Flüchtlinge. Ganze Familien von »Wirtschaftsflüchtlingen« aus Chemnitz, Dresden und Hoyerswerda verbrachten 1989 Weihnachten in Stuttgart, München oder Frankfurt bei gastgebenden »Wessis«. Diese Ex-Flüchtlinge aus der DDR agitieren jetzt gegen eine verglichen damit minimale Anzahl von Flüchtlingen, die aus viel katastrophaleren und lebensbedrohlicheren Zuständen fliehen. Dabei kommt nur ein Bruchteil der Flüchtlinge lebend in EUropa an, die EU-Außengrenze degradiert die Mauer in Berlin zu einem geradezu läppischen Bauwerk.

Es gibt heute Unterstützung oder zumindest mal symbolisch Geschenke für Flüchtlinge, das ist ein großer Unterschied zum Beginn der 1990er Jahre, als sich nur kleine Gruppen von ANTIFAs und antirassistischen, autonomen Gruppen um den Schutz von und die Unterstützung für Flüchtlinge kümmerten.

Doch es geht auch um Selbstkritik: haben Autoren, wie der Verfasser, in den letzten Jahren immer deutlich genug gemacht, dass es nicht gegen »den« Islam geht bei der Kritik am Islamismus? Wurde die Kritik an Thilo Sarrazin ignoriert oder nicht bemerkt, dass andere sie ignorierten? Haben »wir« immer und jederzeit betont, dass es zwischen Islam als Glauben und Islamismus als Ideologie eine Differenz gibt? Damit wird man nicht zu einem Apologeten von Religion. Wo bleibt der Aufschrei, wenn ein sehr bekanntes Blog der »Szene« einen Autor zu Wort kommen lässt, der von einer »zweiten Shoah« daher redet und den Holocaust auf groteske Weise trivialisiert und Morde an Juden von Islamisten oder Muslimen nur dazu benutzt, um gegen »den« Islam aufzuwiegeln und die Deutschen zu entschulden, wenn in dem Text einzelne Morde und Pogrome von Muslimen an Juden von 1929 oder 1840 als »zweite Shoah« rubriziert werden? »Zweite Shoah« 1929? Oder heute? Wo bleibt da der Aufschrei? Wo bleibt da die Selbstkritik, mal einen Fehler gemacht zu haben?

Haben viele Kritiker der Israelfeindschaft einfach nur weggesehen, als die übelsten rechten Sprüche von Leuten kamen, die aus welchen Gründen auch immer für Israel sind? Wurden nicht auch höchst problematische, evangelikale oder sonstige fanatische Gruppen auf Israelkongresse eingeladen oder auf Konferenzen und Veranstaltungen toleriert und nicht konfrontiert? Haben viele gar nicht gemerkt, dass ein regelrechter Hass auf alles »Liberale« und »Linke« besteht, der durch eine Kritik am Antizionismus einiger Teile der Linken (damit ist nicht nur die Partei gemeint) rationalisiert werden konnte? Wie oft haben Leute zum Beispiel misogyne Sprüche und Tendenzen goutiert, weil die Autoren oder Redner sonst »ganz ok« drauf seien?

Sodann: haben Kritiker des Antisemitismus deutlich genug gemacht, dass es um Kritik geht und nicht um die Exkulpation des deutschen Normalzustandes, wenn der Antisemitismus primär als Phänomen von Muslimen und Arabern betrachtet wird? Haben viele nicht Kompromisse, faule oder klammheimliche, mit Christen, Konservativen und Rechten gemacht, nur weil es »um Israel« geht? Wurde nicht von vielen übersehen, dass es wie ein Schlag ins Gesicht eines Kritikers der eingebildeten »deutsch-jüdischen Symbiose« wie Gershom Scholem ist, wenn all die letzten Jahren von einem angeblich »christlich-jüdischen Abendland«, zumal in Deutschland, geredet wird?

Wer nimmt schon Kritik am existierenden Rassismus in Israel zur Kenntnis, ohne damit zu einem Israelgegner zu werden? Sicher ist es einfacher, immer nur Kritik am Antisemitismus, den es ja in unglaublichem Ausmaß gibt, weltweit, zu üben, als sich auch mal realitätsgetreu mit den Zuständen in Israel zu befassen. Warum wird fast immer, wenn wieder ein Skandal aus der Palästinensischen Autonomiebehörde zu vernehmen ist, Mahmud Abbas‘ Holocaust leugnende Dissertation von Anfang der 1980er Jahre aus Moskau zitiert, ohne auch nur wahrzunehmen, dass Politikerinnen und Politiker in Israel wie die linken Zionist_innen Tzipi Livni oder Isaac Herzog in persönlichen Gesprächen in Abbas in den letzten Jahren evtl. eine moderatere und reflektiertere Stimme zu hören in der Lage sind? Sind dadurch Livni und Herzog »Verräter« und unglaubwürdig? Wissen deutsche Blogger, Schweizer oder österreichische Referenten grundsätzlich besser Bescheid als israelische, zionistische Politiker_innen wie Livni oder Herzog?

Fast alle in der Israelszene aktiven Gruppen schweigen brüllend zu PEGIDA, finden den nationalen Taumel gar prickelnd oder wiegeln ab. Wer aber gegen die iranische Gefahr, für Israel, gegen alle möglichen Formen von Antisemitismus sich engagiert aber zu rechtsextremen, volksgemeinschaftlichen Aufmärschen, die gegen Muslime hetzen, schweigt, verrät jede Idee von Aufklärung, Emanzipation, und, ja, Zionismus. Der Zionismus David Ben-Gurions, Ze’ev Jabotinsky oder Kurt Blumenfelds basierte darauf, dass Juden zwar eine Mehrheit in Israel, aber die arabischen und muslimischen bzw. christlichen und sonstigen Minderheiten »gleiche Rechte« gewährt bekommen sollten im jüdischen Staat. Israel ist eine multikulturelle Gesellschaft mit einem Anteil von über 20% Arabern/Muslimen. In der Bundesrepublik leben ca. 5% Muslime.

Auf die Bedeutung Jabotinskys Verständnis von Zionismus, das keineswegs einen homogenen, rein jüdischen Staat avisierte, sondern einen dezidiert jüdischen (und keinen binationalen!) Staat mit einer mit gleichen Rechten ausgestatteten arabischen Minderheit, wies kürzlich der britische Politikwissenschaftler und pro-israelische, aber linke Autor Alan Johnson, Herausgeber der Zeitschrift Fathom, hin. Und in Israel ist das alles auch bekannt, aber hierzulande wird in gewissen Kreisen jede Kritik an »Bibi« oder dem rechten Rand des politischen Spektrums in Israel als antizionistisch verfemt. Es geht derzeit in Israel um Zionismus versus die extreme Rechte, die natürlich auch Teil Israels ist, aber eben nicht unwidersprochen. All das wird hierzulande kaum zur Kenntnis genommen, und diese Ignoranz wird sich rächen.

Schließlich bekommt die »Israelszene« jetzt die Rechnung aus Dresden. Entweder die pro-israelischen und anti-islamistischen Aktivistinnen und Aktivisten bzw. Blogger_innen und Forscher/innen kriegen die Kurve und kehren zu einer seriösen Beschäftigung mit Antisemitismus, Islamismus und Nationalismus zurück oder PEGIDA wird dafür sorgen, dass die »Israelsolidarität« und »Islamkritik« in PEGIDA auf- und untergeht. Entweder Islamismuskritik, Israelsolidarität und Kritik am Antisemitismus und ein Lob der Vielfalt oder PEGIDA.

2006, zur Zeit des »Sommermärchens« und acht Jahre vor dem noch größeren WM-Wahnsinn, kam das nationale Apriori ins Gerede, aber nur von einer marginalen Gruppe von Autorinnen und Autoren. Man hätte die Warnzeichen sehen können. Doch dann ging es wieder um die Kritik am ubiquitären Antizionismus, eine in der Tat wichtige Kritik, bis heute und in Zukunft.

Das alles darf nicht blind machen für die Gefahr, für die PEGIDA steht. Und vieler meiner Bekannten, nicht nur auf Facebook oder auf Blogs, sehen die Zeichen der Zeit nicht und sind unfähig, Selbstkritik auch nur zu versuchen, wie es scheint.

PEGIDA, die Dresdner Volksbewegung gegen alle Nicht-Deutschen und für ein homogenes Sachsen bzw. Deutschland, möchte am 22. Dezember 2014 bei ihrem nächsten Aufmarsch Weihnachtslieder singen, wie am 15.12 angekündigt wurde. Das mag der heidnischen Tradition weiter Teile des Rechtsextremismus und der a-christlichen Vieler in der Ex-DDR entgegenstehen, aber natürlich wissen auch Neue Rechte, Heidnische und Völkische dass man in der Not Kompromisse machen muss. Schließlich gab es Millionen NSDAP-Mitglieder, ganz normale Deutsche, die Christen waren und Teil der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Zudem gab es bekanntlich den heidnischen Zug des SS-Staates wie die »Deutsche Glaubensbewegung« um Jakob Wilhelm Hauer, wie der israelische Religionswissenschaftler Schaul Baumann in seiner Dissertation herausgearbeitet hat.

Der katholische Bund Neudeutschland war ob des Nationalsozialismus begeistert. Der Jurist und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Han(n)s Filbinger steht dafür ebenso wie der Heidegger-Schüler und Philosoph Max Müller, der nach 1945 in München und Freiburg Karriere machte. Angesichts der völkischen Bewegung »Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes« sei zum Anlass des bevorstehenden Weihnachtsfestes auf die nationalsozialistisch-deutsch-abendländische Tradition eingegangen.

Ideologisch für ›Volk‹ und ›Vaterland‹ gerüstet, ging es am 1. September 1939 in den Zweiten Weltkrieg. Ein Neudeutscher, ein Mitglied des Bundes Neudeutschland, Heinrich Jansen Cron, Herausgeber des Leuchtturm, schreibt in einem kleinen Buch, in welchem er Lieder, Gedichte, Gebete und Geschichten u.a. von Gertrud Bäumer, Ernst Moritz Arndt, Adalbert Stifter oder auch Walter Flex zusammenbringt, zu Weihnachten 1939:

Es ist ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums. Nicht das Äußere entscheidet. Gott wird – Mensch. Der Gottesmensch ist ein – Kind. Das Kind liegt in einem – Stall. Und ist doch der Herr der Welt! Mehr sein, als scheinen, den inneren Reichtum über den äußeren stellen, das ist weihnachtliche Haltung. Das ist es, was uns auch in Not, in der Fremde, im Felde sicher macht, froh und stark. Was will aber dieses Heft? Es will das Gute, das Edle, das Heilige, das in Gott und Heimat Tiefverwurzelte wecken und heben; eine Hilfe sein, Weihnachten draußen christlich und deutsch zu erleben, jegliche Ferne zu überwinden.[i]

Wenig später, zu Ostern 1940, publiziert Cron noch so ein kleines Erweckungsbüchlein:

Die großen Aufgaben, die uns in dieser Zeit Heimat und Familie, Volk und Vaterland stellen, verlangen einen kräftigen Willen. (…) ›Jesus ist wahrhaft auferstanden!‹ Also werden auch wir auferstehen. Also hat unser Erdenleben auf alle Fälle einen Sinn; also gibt es eine ewige Gerechtigkeit; also nehmen wir das Leben und auch sein Kreuz tathart und gelassen auf uns. Denn nur so erringen wir das ewige Leben; nur wenn wir nach Kräften Christi Tapferkeit erstreben, werden wir auch mit ihm auferstehen! Mit diesem Leben ist nicht alles aus. Der Tod verliert seinen Stachel, die Gefahr die Lähmung, die Zukunft wird licht. Wir erheben die Herzen, tragen hoch das Haupt; denn uns erfüllt eine gewaltige Hoffnung. Gott wird unsere Treue krönen, unsere Familie schützen, unser Volk erretten; wir wissen ja: Christ ist erstanden![ii]

Am Beginn des Holocaust und des (Vernichtungs-)Krieges in Polen sowie im Westen Europas segnen deutsche Christen den Weltkrieg und feiern ein fröhliches Osterfest. Das Motto könnte nicht heideggerscher oder djihadistischer lauten: »Der Tod verliert seinen Stachel«. Salafisten, Islamisten und Jihadisten aller Länder könnten sich an diesen Deutschen ein Vorbild nehmen.

Der Publizist Henryk M. Broder mag symptomatisch für das Nicht-Erkennen der Gefahr, für die PEGIDA steht, zitiert werden. Er hat die Sache komplett auf den Kopf gestellt – angesichts von Nazis, Populisten und einem rassistischen Mob in Dresden schreibt er: »Das, was früher der Nationalsozialismus war, das ist heute der Islamismus«. Dabei gibt es genügend Beispiele, wo Islamisten wie Yusuf al-Qaradawi, einer der alten aber führenden Sunni-Islamisten, Hitler öffentlich lobten. Aber darum geht es PEGIDA gar nicht. Sie wollen ein »reines« Deutschland. 1978 hätte Broder das noch erkannt, als er ein Buch herausgab mit dem Titel »Deutschland erwache. Die neuen Nazis. Aktionen und Provokationen.«

Nein: das, was früher der Nationalsozialismus war, ist heute in Deutschland eher schon PEGIDA, jedenfalls laufen da auch Leute mit, die den SS-Staat gut finden.

Die wollen ein »arisches« Dresden, selbst 2,5% Nicht-Deutsche sind denen zu viel. Und sie wollen die wundervollen deutschen Traditionen bewahren, man denke nur an Höhepunkte des »christlichen Abendlandes« wie Weihnachten 1939 im »Deutschen Reich«.

Einer der PEGIDA-Mitmacher ist der Bundesvorsitzende der Partei Die Freiheit, Michael Stürzenberger, der auch für das extrem rechte Internetportal »Politically Incorrect« (PI) schreibt, das ganz begeistert ist ob PEGIDA und live davon berichtet. Stürzenberger sprach am 15.11.2014 auf der Hooligan-Kundgebung in Hannover und peitschte die Hooligans und Neonazis ein: »Wo sind die Freunde unseres deutschen Vaterlandes?«, woraufhin der Mob unter anderem mit unschwer als Hitlergrüßen zu erkennenden Bewegungen antwortete.

Stürzenberger agitiert gegen die jüdische Beschneidung, so wie er denken viele bezüglich der Beschneidung, das ist mehrheitsfähig in einem Land wie Deutschland, von der FAZ zur jungle world und der Giordano Bruno Stiftung.

Wie Anhänger von Verschwörungsmythen glauben die PEGIDA-Rechten dem »System« nicht, sie reden von »der« »Lügenpresse« und glauben einer Presse, die in der Tat an Propaganda schwer zu überbieten ist: Russia today.

Gegen die freie Presse, gegen die jüdische und muslimische Beschneidung und gegen Einwanderung – PEGIDA steht für »Ausländer raus«. Doch selbst Antisemitismus und Antiintellektualismus aus den Reihen der PEGIDA-Protagonisten und Aktivisten, darunter zählen auch Autorinnen für das verschwörungsmythische Magazin Compact, halten offenbar viele in der Pro-Israel-Szene nicht davon ab, den Rassismus von PEGIDA zu unterstützen. Eine Compact-Autorin und »Kameradin« von Jürgen Elsässer ist Melanie Dittmer, die früher bei der Jugendorganisation der NPD, den »Jungen Nationaldemokraten« (JN) aktiv war und heute im Umfeld der rechtsextremen »Identitären Bewegung«. Sie sprach z.B. bei einem DÜGIDA (Düsseldorf gegen…) Aufmarsch am 8.12.2104 und ist die Anmelderin der BOGIDA (Bonn gegen …).

Broder kritisierte 2012 die Agitation gegen die jüdische und muslimische Beschneidung. Doch er sieht offenbar nicht, dass der deutsche Mainstream gegen das Judentum und die Beschneidung ist. Viele bei PEGIDA sind Leser von Seiten wie PI im Internet, die wie dokumentiert gegen die Beschneidung und somit gegen jüdisches und muslimisches Leben hetzt.

Doch wen verteidigt Broder, wenn er Kritik an PEGIDA abwehrt und PEGIDA kleinredet, affirmiert und sich über Kritikerinnen des Rassismus wie Gesine Schwan lustig macht? Ich hatte schon 2007 rechte Tendenzen bei Broder und ACHGUT analysiert und resümierte:

Der Kampf gegen den Djihad jedoch lediglich als Vorwand, gerade für die BILD-Zeitung, den Spiegel, die WELT, sich noch gemütlicher einzurichten, gerade in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Schuldabwehrmöglichkeiten?

Wer vom verbrecherischen Alltag des Nationalsozialismus nicht mehr reden möchte, sollte vom politischen Islam schweigen.

Die Juden sind die Juden von heute und nicht die Muslime, wie Jascha Nemtsov zu Recht gegen Armin Langer einwendet. Es geht jetzt aber nicht um die falsche Analogie von Antisemitismus und Islamkritik. PEGIDA ist ein Ausdruck von Rassismus, von Nationalismus, Islamhass und von Antisemitismus gleichermaßen, das Beispiel Stürzenberger und PI zeigen das anschaulich. Das Problem ist PEGIDA und nicht die Antifa und auch nicht Gesine Schwan.

Der Islamfaschismus wie in Iran ist schlimm genug, und die Hitler-Fans unter nicht wenigen Islamisten und Muslimen in Deutschland sind auch übel genug. Aber angesichts von Deutschlandfahne und »Wir sind das Volk« Gebrülle so die Realität zu derealisieren, wie Broder und sein Fanclub es tun, das ist bezeichnend.

Als Forscher/in sollte man sich einfach mal anschauen, wie die »abendländische Tradition« in Deutschland aussah. Dass Deutschland gar nicht abendländisch war, sondern antiwestlich, völkisch und nationalsozialistisch, wie der Historiker Peter Viereck bereits 1941 in seiner Dissertation »Metapolitics« auf beeindruckende Weise analysiert hat und von niemand anderem als Thomas Mann dafür in einem Brief vom 7. September 1941 gelobt wurde, spielt hier gar keine Rolle. PEGIDA sieht sich ja als deutsch und abendländisch.

Weihnachten 1939, Ostern 1940 und die diesbezüglichen Texte eines »Neudeutschen« oder Vertreter des »christlichen Abendlandes« wie Heinrich Jansen Cron sind nur Beispiele für das, was PEGIDA in Dresden, der Stadt, die nicht gerade für Toleranz und Vielfalt steht, hingegen für Antisemitismus 1848, für Richard Wagner und Michail Bakunin, verteidigen möchte: das christliche Abendland oder das, was Deutsche darunter verstehen.

Wie die Politikerin und Publizistin Jutta Ditfurth am 16.12.2014 auf 3Sat im Fernsehen sagte, erleben wir derzeit die wohl »schlimmsten rechtspopulistischen, antisemitischen, rassistischen Aufmärsche seit 1945«; hinzufügen würde ich: die schlimmsten Aufmärsche in Ergänzung zu den antisemitischen Aufmärschen im Sommer 2014, als vor allem Islamisten und Muslime, eskortiert von Neonazis und Linken, Pro-Hitler und »Juden-ins-Gas«-Parolen brüllten, im ganzen Land. Doch das war eben nicht »der« Islam und es waren nicht »die« Muslime und schon gar nicht »die Flüchtlinge«, die zu großen Teilen aus islamistischen Ländern geflohen sind. Jihadisten gehen ja vielmehr von Düsseldorf, Berlin oder Neu-Ulm in den »Heiligen Krieg« in den Nahen Osten und nicht andersherum.

PEGIDA indiziert, zu was das WM-Wahn-Land Deutschland im Jahr 2014 fähig ist und in den kommenden Jahren fähig sein wird. Für was stehen PEGIDA, DÜGIDA, BOGIDA und alle anderen rechten Aufmärsche? Wer sich die Aufmärsche anschaut, erkennt neben vorbestraften Kriminellen und Neonazis vor allem ganz normale deutsche Spießbürger auf der Straße. Schwarzrotgold ist ihre Fahne und Strategie, »wir sind das Volk« und »IHR nicht« ihre Parole und »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« der Sinngehalt, Agitation gegen »das System« aus Medien und Politik die Taktik, das als Fackel umfunktionierte Mobiltelefon ihr Symbol, die Gleichsetzung von Täter (SS-Staat) und Befreier (UdSSR) ihre mainstreammäßige Ideologie, dazu als altdeutsches Pendant »Familie, Heimat und Patriotismus« statt »Gender-Mainstreaming und Diversität«, Nationalismus, völkische Homogenität und Hass auf Andere ihr Motiv und Weihnachtslieder ihre Melodie.

Angesichts von Millionen Flüchtlingen weltweit ist die Anti-Flüchtlingsbewegung PEGIDA eine Schande für die Menschheit. PEGIDA ist ein Indikator für die politische Kultur in der Bundesrepublik. Sie zeigt die »Salonfähigkeit der Neuen Rechten« an.

 

[i] Heinrich Jansen Cron (1939): Weihnachten fern der Heimat. Ein Heft der einsamen oder gemeinsamen Weihnachtsfeier draußen, Köln: J.P. Bachem, S. 3.

[ii] Heinrich Jansen Cron (1940): Neues Leben. Ein Ostergruss seelischer Erstarkung, Köln: J. P.. Bachem, S. 3, Herv. d.V.

 

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA). Er ist Autor von fünf Büchern, zuletzt erschien „Kritische Theorie und Israel“ (Berlin 2014).

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