Wissenschaft und Publizistik als Kritik

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Der Mossad bringt Frieden in Nahost auf den Weg: Vereinigte Arabische Emirate nehmen diplomatische Beziehungen zu Israel auf

Von Dr. phil. Clemens Heni, 15. August 2020

Das ist einer der größten geoplitischen Paukenschläge der letzten Jahrzehnte in Nahost: Am Donnerstag den 13. August 2020 verkündete US-Präsident Trump in einer gemeinsamen Erklärung Amerikas, Israels und den Vereinigten Arabischen Emiraten, dass die Vereinigten Arabischen Emirate (United Arab Emirates, UAE) und Israel normale diplomatische Beziehungen aufnehmen werden.

Nach Berichten der Times of Israel (TOI) könnte die Unterzeichnung der Urkunden in ca. drei Wochen stattfinden. Nach Ägypten (1979) und Jordanien (1994) wären die Vereinigten Arabischen Emirate erst das dritte arabische Land, das diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt. Ein wahrhaft historischer Erfolg, wie der Gründer der Times of Israel David Horovitz betont.

Bislang wurde immer gedacht, ausschließlich nach der Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts sei eine Friedenslösung mit den arabischen Staaten möglich. Das dachten so gut wie alle Expert*innen, wie der amerikanisch-israelische Politiker, ehemalige Botschafter Israels in den USA und Buchautor (“Ally”)  Michael B. Oren unterstreicht.

Doch die Palästinenser weigern sich seit Jahren, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Israel unter Benjamin Netanyahu verfolgt seit Jahren einen sehr nationalistischen Kurs, der nicht nur innenpolitisch  scharf kritisiert wird. Die geplante Annexion von weiten Teilen des Westjordanlandes am 1. Juli 2020 hatte die Befürchtungen bestärkt, dass Israel diplomatisch russisches Roulette spielt und den Zionismus, der gerade auf einer Übereinkunft mit den Palästinensern (“zwei Völker, zwei Staaten”) aufbaut, in Gefahr bringt.

Doch jetzt zeigt die Übereinkunft mit einem führenden arabischen Land wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, dass es ganz anders kommen kann als gedacht: Im Gegenzug zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen legt Israel seine Annexionspläne auf Eis, das war die Bedingung der Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Palästinenser hingegen drehen mal wieder durch, die Palästinensische Autonomiebehörde spricht von Verrat, palästinensische Aktivisten zertrampeln und verbrennen Fahnen der Vereinigten Arabischen Emirate mit dem Bild des de facto Herrschers Mohammed bin Zayed Al Nahyan und sehen nicht die pro-palästinensische und pro-israelische Position eines führenden arabischen Staates.

Auch rechtsextreme Israelis aus der national-religiösen Bewegung wie der Yamina-Politiker Bezalel Smotrich oder  der Siedleranführer David Elhayani kriegen die Vollkrise und attackieren Netanyahu – dessen Rücktritt aus völlig anderen (und nachvollziehbaren) Gründen (u.a. Korruption, Nationalismus, Einschüchterung der Judikative, aggressive Coronapolitik) in den letzten Monaten eher scharf linke und liberale Gruppen und Protestierende mit Großdemonstrationen, Sitzblockaden und auch gewalttätigen Aktionen fordern.

Es haben bereits weitere arabische Länder erkennen lassen, dass auch sie möglicherweise diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen könnten, wie Oman oder Bahrain.

Natürlich ist der gemeinsame politische Feind Iran ein zentraler Aspekt. Aber geschickte Diplomatie des Mossad scheint wegweisend gewesen zu sein in diesem für den Frieden in der Region historischen Schritt.

Wir wissen nicht, ob Netanyahu seine offensiv verkündete Annexion des Westjordanlandes nur machte, um dann die Nicht-Annexion als großen Erfolg zu feiern – denn einen viel größeren Erfolg als diplomatische Beziehungen mit einem arabischen big player hat es lange nicht gegeben in Nahost und für Israel. Das betont auch der diplomatische Korrespondent der Times of Israel, Raphael Ahren, der in diesem Abkommen den größten außenpolitischen Erfolg Netanyahus in der langen Zeit als Regierungschef Israel sieht, ja es handele sich um eine “diplomatische Sensation”:

Indeed, Netanyahu pulled off an unparalleled diplomatic sensation. Securing a full-fledged peace agreement with an Arab state that had hitherto been, and insists it remains, a steadfast supporter of the Palestinian cause, all the while unapologetically expanding settlements and reducing the prospects for a future two-state solution, will likely go down as the greatest foreign policy accomplishment of his long career.

Lustig ist, dass in Deutschland ja das Ressentiment gegen den Mossad vorherrscht. Erst kürzlich meinte die ehemalige Chefredakteurin der taz (1998-2009) und der Frankfurter Rundschau (2014-2020) Bascha Mika – die im Bereich der feministischen Kritik und im Kampf gegen die Männerdominanz in den Medien viel geleistet hat -, ein deutsch-iranisch-israelischer Aktivist, Publizist und Regierungsmitarbeiter wie Arye Sharuz Shalicar in Israel stünde für das ganz Böse, den Mossad (das Interview Mika/Brumlik, inklusive der Attacke auf den Antisemitismusbeauftragten der Deutschen Bundesregierung Felix Klein, wurde umgehend in der FR selbst von Meron Mendel kritisiert):

Shalicar berät den Mossad, das ist kein Geheimnis. Gleichzeitig wird er bei seiner publizistischen Arbeit von der Bundesregierung unterstützt. Heißt das, der israelische Geheimdienst nimmt auf diesem Wege Einfluss auf die Debatte in der deutschen Öffentlichkeit?

Darauf ihr kuschliger Gesprächspartner Micha Brumlik:

Indirekt ja.

Und jetzt sehen wir: Der Mossad ist noch viel dreister, krasser und schafft eine historische Tat, die Annäherung der arabischen Welt an den jüdischen Staat Israel! Aus dem “indirekten” Einfluss wird ganz konkrete Weltpolitik in Nahost.

Dank dem Mossad und seinem Chef Yossi Cohen, der viele Reisen unternahm und die historische Übereinkunft diplomatisch vorbereitete, gibt es jetzt also eine große Hoffnung auf Frieden und israelisch-arabische Kooperation in der gesamten Region.

Fazit: Es lebe die jüdische-arabische Kooperation gerade nicht im Sinne der Antizionisten, die die Einstaatenlösung wollen, sondern im Sinne der Vereinigten Arabischen Emirate und des zionistischen Mossad. Mazl tov!

Spatial turn goes Antifa – Arch+ 235, die Neue Rechte und der antisemitische Fleck des Postkolonialismus

Ein Rezensionsessay

Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. September 2019

Man musste nicht bis zum 1. September 2019 warten, als ein Viertel der Wähler*innen in Brandenburg bzw. Sachsen eine Partei wählten, die Spitzenkandidaten[1] hat, die vor wenigen Jahren mit einer Hakenkreuzfahne auf dem Balkon in Griechenland im Kreis von anderen Neonazis aktiv waren,[2] um die enorme Bedeutung des Themas Rechtsextremismus und Neue Rechte zu sehen. Das Volk ist nicht gut oder neutral, sondern häufig sehr böse. Das deutsche Volk liebt es offenkundig, Nazis zu wählen, nicht nur 1933 und davor, auch 2019, was moralisch noch unendlich schlimmer ist – diese deutschen Wähler*innen wissen, was nach 1933 passierte, sie wissen, dass sechs Millionen Juden vergast und massakriert wurden und sie haben damit kein Problem.

Am 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs wählen die Deutschen wieder Nazis in extremer Anzahl in zwei Landesparlamente und alle Mainstreamjournalist*innen interviewen freudestrahlend die AfD-Rechtsextremen. Kein/e Journalist*in weigerte sich, solchen Nazis die Hand zu geben oder sie einfach zu boykottieren, weil das Leute sind, die alle Antifas oder weltoffenen CDUler bei nächster Gelegenheit erschießen würden (die Frauen davor vergewaltigen). Zum ersten Mal seit 1945 haben wir Neonazis im Bundestag und allen Landesparlamenten. Die Fernseh-Journalist*innen grinsen blöd um die Wette, machen Späßchen am Wahlabend und laden seit Jahren die neuen Nazis in die unerträglichen, nicht nur kulturindustriellen, sondern den Faschismus mit vorbereitenden Talkshows ein und bewerfen die neuen Nazis mit Wattebällchen und schauen blöd, wenn mit scharfer Munition zurückgeschossen wird.

Die Journalistin Mely Kiyak ist fassungslos ob Bettina Schausten, stellvertretende Chefredakteurin des ZDF, die nur pars pro toto für wirklich alle Mainstream-Journalist*innen steht, die am Wahlabend in ARD und ZDF moderieren durften, und bringt es auf den Punkt:

Der Faschismus hat keinen moderaten Flügel.[3]

Daher ist seit jeher die Analyse rechter Räume eine Unabdingbarkeit für jede linke Theorie und Praxis. Das Heft 235 von Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus von Mai 2019 hat das aktuelle Thema „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“. Die 27 Autor*innen plus ein Autorenteam von Arch+ 235 haben im Editorial, der Einführung und 33 Texten (oder Fotoessays) sehr wichtige, eingreifende, kritische, faszinierende, häufig klar antifaschistische und teils scharfe Texte gegen die (Neue) Rechte und ihre Räume vorgelegt.

Literaturwissenschaftliche, soziologische, politologische, historische, kulturwissenschaftliche, geografische, kunsthistorische, polit-ökonomische und architekturtheoretische Zugänge ergänzen sich auf vielfältige Weise. Die europäische Dimension des Projektes macht es umso spannender und bedeutender: es geht um eine 7-tägige Reise durch Europa und seine extrem rechten Räume. Der Großteil der Texte ist in diese 7 Tage eingeteilt, beginnend in Rom und endend in Berlin – die Achse Berlin-Rom. Die Reise im November 2018[4] führte also von Italien über Österreich nach Deutschland. 7 Tage (oder 7 x 24 Stunden) dauerte auch meine Rezension des Heftes 235 von Arch+.

Der folgende Rezensionsessay würdigt den großen Einsatz Trübys und seines Teams, die sich der Neuen Rechten in der Architektur, dem Feuilleton und der Gesellschaft insgesamt entgegenstellen. Je länger und intensiver meine Beschäftigung mit dem Heft jedoch wurde, desto klarer traten dann zwar vereinzelte, aber eben doch massive Irritationen auf, die wiederum viel über den postkolonialen Mainstream in den Sozial- und Geisteswissenschaften aussagen.

In dem Heft gibt es ergänzend zu den Reiseberichten eine Vielzahl an Beiträgen über das Gebiet von Ex-Jugoslawien, Ungarn, Spanien, Griechenland, Frankreich, die Schweiz, Holland, Polen, England, USA und die Türkei. Neu-rechte Agitator*innen drehten schon im Frühjahr 2018 durch, als der Protagonist des Heftes, Professor Stephan Trüby vom Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart, seine Analyse und Kritik der Rekonstruktionsarchitektur am Beispiel der von Neuen Rechten wie Claus M. Wolfschlag initiierten neuen Altstadt von Frankfurt am Main am 8. April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vorgelegt hatte:[5]

Ganz anders die neue Frankfurter Altstadt: skandalös ist hier, dass die Initiative eines Rechtsradikalen ohne nennenswerte zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu einem aalglatten Stadtviertel mit scheinbar bruchlosen Wiederholungsarchitekturen führte; historisch informiertes Entwerfen verkommt damit zum unterkomplexen Heile-Welt-Gebaue, das Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert. Vergangenheit soll für dieses Publikum wie geschmiert laufen, und zwar in Richtung einer alternativen Historie für Deutschland: Einer Historie, in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben.

Arch+ wird von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Volksbühne Berlin, dem Arch+ Foerderverein und einigen anderen Institutionen gefördert, kostet 22€ und ist derzeit (Stand Anfang September 2019) vergriffen. Das Heft 235 von Arch+ hat 239 Seiten (etwas größer als DinA4) und wurde unter der Regie Trübys mit seinem Team erarbeitet. Ein zentrales Kapitel und Aufhänger ist Trübys Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt. Seine These ist wohlbegründet: Der Bruch, den der Nationalsozialismus bedeutet, soll z.B. via Rekonstruktion und Zerstörung von Bauten, die nach 1945 in den betroffenen und zuvor bombardierten Städten gebaut wurden, verleugnet werden und Städte so wiederaufgebaut werden, wie sie zuvor waren. Die deutsche Geschichte soll wieder in einem architektonischen Kontinuum stehen, natürlich ohne Juden, die vertrieben und vernichtet wurden, aber das macht nichts.

Trübys sehr wichtige und mutige – für eine Professur in Architektur an einer führenden Universität im Bereich Architektur, der Uni Stuttgart, womöglich bahnbrechende – Arbeit hat einen massiven Shitstorm der extremen Rechten verursacht und reicht bis weit in den bürgerlichen Mainstream. Die extrem rechte Hetzseite Politically Incorrect (PI News), Facebookposts von no-names oder auch die „rechtsantideutsche“ Hauspostille Bahamas diffamieren ihn wegen seiner Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die wie gesagt auf die Idee von Rechtsradikalen zurückgeht wie auch der Wiederaufbau der Garnisonskirche in Potsdam.[6]

In dem Heft 235 von Arch+ gegen die rechten Räume geht es um Hitlers wie Mussolinis Geburtsorte, den rechtsextremen und AfD-Wallfahrtsort Kyffhäuser in Thüringen, um die Dresdner Frauenkirche und das nationale Pathos der breiten Mitte, um die größte Christus-Statue (36 Meter) im fanatisch-katholischen Polen oder die völkischen Siedler*innen in Mecklenburg-Vorpommern. In einem sehr instruktiven Rundblick über rechte Architektur- und heimattümelnde Vordenker geht Trüby auf Wilhelm Heinrich Riehl, Ernst Rudorff, Paul Schultze-Naumburg,[7] aber auch auf Alexander Senger ein, der ebenso als „Protagonist einer ‚Konservativen Architekturrevolution‘“ vorgestellt wird und in Richard W. Eichler einen Kollegen aus der Zunft der extrem rechten Kunsthistoriker hatte.

Die Zeitschrift Tumult oder andernorts im Heft die jüngere neurechte Postille Cato oder die schweizer Zeitschrift DU und das neu-rechte schweizer Netzwerk um Blocher (im Text von Rebekka Kiesewetter) werden hervorragend dargestellt und kritisiert. Es findet sich bei Trüby auch eine nachträgliche Selbstkritik der Arch+, die z.B. 1985 den von vielen erst in den letzten Jahren und posthum als extrem rechts erkannten Historiker Rolf Peter Sieferle mit einem Text zu „Heimatschutz und das Ende der romantischen Utopie“ publiziert hatte.

In einem Gespräch über das Arch+ Heft mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 12. Juni 2019 analysiert Trüby detailliert, was an der Rekonstruktionsarchitektur speziell in Dresden so problematisch ist und wie das mit Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und der AfD zusammenhängt:

In der Sporergasse 12 steht zum Beispiel das sogenannte Triersche Haus, rekonstruiert im Jahre 2016 nach dem Vorbild eines 1695 errichten Barockhauses. Ins Vorgängerhaus zog im Jahr 1920 ein jüdisch-orthodoxer Verein ein. Auf die einstigen jüdischen Bewohner wird auch am Erinnerungsschild aufmerksam gemacht, das seit Kurzem am Neubau angebracht wurde. Darauf steht korrekterweise zu lesen: ‚Ab 1940 wurden jüdische Familien gezwungen, hier im ‘Judenhaus’ zu wohnen, bevor sie in andere Lager deportiert wurden.‘ Aber der Schlusssatz lautet: ‚Bei der Zerstörung des Hauses am 13. Februar 1945 fanden zahlreiche jüdische Bewohner den Tod.‘ Was hier auf engstem Raum gesagt wird, ist eine ungeheuerliche Geschichtsfälschung. Die könnte man so zusammenfassen: ‚Ja, die Nazis haben Juden deportiert, das war nicht gut, aber getötet wurden sie von den Alliierten mit ihren Bomben.‘ Was sich hier geschichtspolitisch abzeichnet, summiert sich zu einer mehr als Besorgnis erregenden Tendenz. Am Trierschen Haus, am Neumarkt und der Frauenkirche ist die ‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘, die der AfD-Politiker Björn Höcke fordert, bereits vollzogen.[8]

Das ist eine ganz hervorragende Analyse und Kritik zum städtebaulichen sekundären Antisemitismus der Erinnerungsabwehr in Dresden. Dazu etwas in Kontrast steht hingegen seine Forderung einer Re-Ideologisierung und möglichen Zurückerkämpfung völlig kontaminierter Begriffe und Ideologeme. Denn zur heutigen Debatte schreibt er in dem Arch+ Heft:

Der Frankfurter Altstadtstreit zeigt auch, dass ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Wort zurück auf die Tagesordnung (nicht nur) architektonischer Debatten kommen sollte: die Ideologie. Denn der revisionistischen Architektur-Ideologisierung der Neuen Rechten, die mit Camouflage-Slogans wie ‚Schönheit‘, ‚Heimat‘, ‚Tradition‘, ‚Identität‘ oder ‚Seele‘ hantiert, ist nur mit einer emanzipatorischen Gegen-Ideologisierung beizukommen, mit der entweder diese Begriffe zurückerkämpft oder verlockende Alternativen angeboten werden.

Da ist man dann allerdings durchaus ganz schnell (bestenfalls) bei Habecks Grünen oder bei Cem Özdemir, der ernsthaft den neuen Nazis im Bundestag vorwarf, zu wenig deutsch zu sein und bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer für Russland anstatt für „unsere“ Deutschen zu sein.[9] Solcherart gründeutsches, linksdeutsches oder liberaldeutsches Gerede, das sich die geliebte „Heimat“ so wenig madig machen lässt wie Steinmeier, der Heimatminister oder Robert J. De Lapuente[10] vom Neuen Deutschland, kann im Architekturdiskurs über rechte Räume keine Option sein.

Da schließlich neu-rechte Attacken wie auf Trüby nerven und nicht ungefährlich sind, wäre die positive Rezeption seiner Kritik der Rekonstruktionsarchitektur womöglich eine Erwähnung wert gewesen.[11]

Matteo Trentini geht auf den Faschismus in Italien im 21. Jahrhundert ein, die Lega Nord (bzw. mittlerweile nur noch Lega) und Matteo Salvini sowie vor allem auf die rechtsextreme identitäre Bewegung CasaPound, die als Ikone die Schildkröte hat. Dieses liebevolle und harmlose Tier wird von diesen Faschos identitär, nationalistisch, faschistisch bzw. national-sozialistisch instrumentalisiert, da die Schildkröten immer ihr eigenen Haus bei sich haben, was Neonazis auf die Gesellschaft übertragen wollen. Die natalistische Ideologie, „Zeit Mütter zu sein“ („Tempo di essere madri“) war ein Slogan von CasaPound von 2007, wobei ja auch viele Linke dem patriarchalen natalistischen Dogma strahlend Folge leisten, in jedem Alter. Treffend fasst Trentini zusammen:

Wie im Faschismus geht es um das Propagieren von Wohnen und Familie als Grundrechte, die der Staat durch direkten Eingriff garantieren muss.

Der Beitrag von Silke Hünecke über den Faschismus bzw. Franquismus in Spanien und dessen „fortwährende Präsenz“ wie in der riesigen Gedenkstätte Valle de los Caidos besticht durch die nachdrückliche Betonung des Skandalons der Abwehr der Erinnerung in Spanien bis auf den heutigen Tag.

Eine ähnliche, aber anders gelagerte Erinnerungsabwehr, wird in einem Gespräch von c/o now mit dem politischen Theoretiker Gal Kirn via einer Kritik der Kapitalisierung der ehemals staatseigenen Gebäude in Ex-Jugoslawien auf den Punkt gebracht:

Mit dem Verkauf des gesamten kommunalen Eigentums – und als Jugoslaw*innen hatten wir dazu eine besondere Beziehung – hat man unsere Geschichte getötet und unsere Zukunft verkauft. Das Kapital hat die alleinige Verfügungsgewalt über die Zukunft errungen, den nationalen Apparaten bleibt die Spekulation mit der Vergangenheit. Ich würde diesen Prozess als eine ursprüngliche Akkumulation von Erinnerungen bezeichnen.

Über diese interessante Transformation des Marx’schen Terminus „ursprüngliche Akkumulation“ auf die Geschichtspolitik könnte man diskutieren. Immerhin geht Kirn auf den Islamismus ein, ohne das Wort allerdings zu verwenden, und kritisiert die „wahhabitische König-Fahd-Moschee“ und „eine salafistische Zelle“ wie auch „Insignien“ vom „Islamischen Staat (IS)“.

Die Hinweise auf Nationalismus und reaktionäres Pathos wie eine „22 Meter hohe Statue Alexander des Großen“ in Mazedonien sowie das Verkleiden von brutalistischer Architektur mit „dorischen Architekturelementen“ ergänzen den skeptischen Blick Kirns. Es stimmt jedoch nachdenklich, dass er aktuell ankündigt, alsbald im relativ kleinen, linksradikalen Verlag „Pluto Press“ zu publizieren,[12] was ein hardcore antiwestlicher und antizionistischer Verlag aus Großbritannien ist, wo antisemitische Autoren wie Edward Said, Ilan Pappé oder der kosmopolitische Israelhasser und Vertreter einer „islamischen Befreiungstheologie“ Hamid Dabashi publiziert werden.[13] Auch Kirns enge Beziehung zum Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Berlin lässt zumindest die Frage aufwerfen, wie er selbst zu dortigen, skandalösen Pro-BDS Events wie 2018 steht.[14]

Neben Trübys Beitrag „Altstadt-Opium fürs Volk“ über die Rekonstruktionsarchitektur ist die Forschung von Verena Hartbaum in diesem Heft Arch+ 235 von besonderer Bedeutung für eine Kritik der heutigen Architektur in Deutschland. Sie untersucht in ihrem wunderbar „Rechts in der Mitte. Hans Kollhoffs CasaPound“ betitelten Beitrag den von dem Architekten Hans Kollhoff gestalteten Walter-Benjamin-Platz in Berlin, der 2001 fertig wurde. Der Platz ist 108 Meter lang und 32 Meter breit, er erinnert die Autorin zudem an einen Abschnitt der Via Roma in Turin, der 1936 von Mussolinis Architekt Marcello Piacentini entworfen wurde.

Der Bezug zu Mussolini wird noch extrem verstärkt, indem Kollhoff in das Granitsteinpflaster folgenden Spruch des amerikanischen Dichters Ezra Pound (1885–1972) eingelassen hat: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein / die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, / dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Man kann nicht sofort erkennen, dass der Spruch von Pound ist, da der Autor nicht genannt wird. Der Antisemitismus spricht aus dem Wort Wucher oder Usura.

Hartbaum resümiert:

Mit dem Ezra-Pound-Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz machte sich Kollhoff Pounds antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik als die Wurzel allen wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt schöpferischen Übels zu eigen: Dort, wo der Wucher, im antisemitischen Jargon das ‚zinstreibende Judentum‘, herrscht, kann keine gute Architektur entstehen, verlieren Handwerk und Wertigkeit des Materials ihre Bedeutung.

Kollhoff war im Trend der Zeit, 2003 gründete sich die Neo-Nazi oder Identitäre Bewegung CasaPound in Rom. Auch CasaPound vertritt neben dem Nationalismus eine „Kapitalismuskritik mit antisemitischen Motiven“, wie Hartbaum festhält. Selbst den FAS-Autoren Stephan Trüby will die FAZ, hier Niklas Maak, via einer Kritik an Hartbaum und Arch+ diffamieren.

In einer Besprechung von drei Büchern zu Hans Poelzig, Paul Bonatz und Paul Schmitthenner kritisiert ein Altmeister der kritischen Architekturgeschichte, Winfried Nerdinger, den nationalistischen, monumentalistischen und alsbald nazistischen Einsatz der drei Protagonisten. Der Text wurde original 2011 auf Italienisch publiziert, schon 2010 hatte ich selbst auf zentrale nationalsozialistische Aktivitäten von Bonatz hingewiesen.[15]

Zu Nerdinger passt der Beitrag von Tina Hartmann, auch bei ihr geht es um rechtes Denken im Mainstream. Ihr Beitrag „Die Zeit als Scheibe. Der rechtspatriarchale Raum in der Literatur“ betont die Beziehung von Misogynie und Antisemitismus und glücklicherweise unterstreicht sie hierbei auch, dass die weit verbreitete These, der revolutionäre 1848er Richard Wagner sei ein anderer als der antisemitische deutsch-nationale, falsch ist. Ihre Analyse der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ ist bedeutsam.

Ob Hundt von Radowsky „der Begründer des eliminatorischen Antisemitismus“ ist, mag bezweifelt werden, weil allein schon Achim von Arnim 1811 in „Versöhnung in der Sommerfrische“ die Pulverisierung der Juden durchdeklinierte, was in der literaturwissenschaftlichen Forschung als „der schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ bezeichnet wird.[16] Darüber hinaus geht Hartmann auf die wohl erste politisch motivierte Bücherverbrennung der modernen deutschen Geschichte ein, das Verbrennen von Schriften des Aufklärers Christoph Martin Wieland durch den Göttinger Hainbund im Jahr 1772.[17]

Schließlich ist Hartmanns Hinweis auf einen ideologischen Anker des Rechtsextremismus und der Neuen Rechten sehr relevant: der „Ethnopluralismus“. Gleichwohl transformiert der Ethnopluralismus nicht 1:1 den Antisemitismus in heutige rassistische Ideologie, sondern indiziert eigenständig das Neue am Rechtsextremismus nach 1945: Weg von der „Rasse“ hin zur „Kultur“. „Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken oder Polen den Polen“ ist der Kern des rassistischen Ethnopluralismus-Konzepts, auf das auch Philipp Krüpe in seinem Beitrag „Reaktionäre Architektur-Memes in den sozialen Medien. Von Paul Schultze-Naumburg zu 4chan“ eingeht.[18]

Trüby übernimmt in seinem einführenden Text ein „politisches Positionenmodell“ des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, das in einem Quadrat links eine „doppelte Linke“, gegenüber die „doppelte Rechte“, oben einen „Progressiven Liberalismus“ und unten die „Querfront“ verortet. So interessant dies sein mag und zumal Trübys sehr treffende Attacken auf Kollegen wie den Architekten Patrik Schumacher, „der Chef von Zaha Hadid Architects, der sich zum rechtslibertären Anarchokapitalisten und Brexit-Fan entwickelt hat“, wichtig sind, so reduktionistisch ist die Definition bzw. Nicht-Definition von Antisemitismus. Denn es werden eine „antisemitische Linke“ und eine „antisemitische Rechte“ erkannt, aber Zizek meint damit reduktionistische Kapitalismusdefinitionen oder völkische Hetzer, jedoch nicht sich selbst.

Gerade nach der Bundestags-Resolution gegen die antisemitische BDS-Bewegung vom Mai 2019 drehen weite Teile der linken kulturellen Elite und der Nahost-, Islam- und Jüdische Studien-Forschung völlig durch[19] und Zizek ist Teil davon. Er wendet sich gegen die Bezeichnung, dass BDS antisemitisch ist (wie es der Deutsche Bundestag tut), das würde den Holocaust „entwerten“[20] und schmiegt sich somit an Leute an, die Juden wenn nicht sofort töten, so doch vertreiben wollen, denn das ist das Ziel der BDS-Bewegung: „Palestine – from the river to the sea.“

BDS ist gerade keine Kritik am Rechtsdrall in Israel oder an der Besatzung des Westjordanlandes, nein: BDS ist antisemitisch, wie die Forschung gezeigt hat,[21] weil es das herbei fantasierte „Rückkehrrecht“[22] der Palästinenser einfordert, die 1948 aus freien, arabisch-antisemitischen Stücken das Land verließen, um nicht den Judenstaat zu legitimieren, oder aber in der Tat vertrieben wurden. Dieses Rückkehrrecht, das völlig absurderweise auch noch alle Nachkommen inkludiert und somit eine Zahl von über 5 Millionen Menschen bedeutet, gibt es nicht. Es ist ein antijüdisches „Recht“, das den jüdischen Charakter Israels zerstören würde. Es gibt keine Indizien, dass Trüby BDS teilt oder damit kokettiert – aber wie sieht es mit Arch+ aus? Wir kommen darauf zurück!

Etwas merkwürdig ist ein Gespräch von Stephan Trüby mit seinem 10 Jahre älteren Stuttgarter Architektur-Kollegen Hartmut Mayer über „Germanische Tektonik“. Der Architekt Paul Ludwig Troost wird gewürdigt und namentlich Mayer fühlt sich geradezu in die Gedanken der frühen Nazizeit ein. Troost starb 1934 und Trüby stellt die merkwürdige Frage, warum Troost „doppelte Eingänge“ für den Münchener „Führerbau“ und ein Nazi Verwaltungsgebäude plante. Zumal bei Mayer hat man das Gefühl, dass er nicht einmal das Wort „Antifa“ je gehört hat. Wie Nazi-Gebäude auf Juden und deren Nachfahren und andere Opfer der Nazizeit und deren Nachkommen wirken – diese Frage wird nicht gestellt. Dabei ist das die einzig relevante Frage, nicht die, die nach dem Unterschied von Säule und Wand, korinthisch oder dorisch fragt oder die vor Affirmation der Geschichte strotzenden Positionen von Mayer, Karl Bötticher habe „die Schinkelschen Ideen fast ein halbes Jahrhundert lang gerettet“ und die „griechische Ornamentik für Berlin bewahrt“. Nicht ein Ton z.B. über den deutsch-nationalen Revanchismus Schinkels und seine Denkmäler für die antifranzösischen „Befreiungskriege“.

Ergänzt wird dies en passant durch nicht weniger problematische, Holocaust verharmlosende, formalistische Analogien von NS- und Stalinscher Architektur. Gleiche Fassade, aber einmal Hakenkreuz, das andere Mal Hammer und Sichel auf der Stirnseite des Gebäudes. Da lachen vielleicht estnische, litauische, ukrainische oder lettische Antisemiten wie auch Joachim Gauck[23] und weitere Unterzeichner der „Prager Deklaration“ von 2008. Letztere setzt kategorial Rot und Braun auf eine Treppenstufe und hält explizit die EU an, das gedenkpolitisch umzusetzen – was die vor Antikommunismus und NS-Verharmlosung triefende EU auch machen wird, wie am Jean-Ray-Platz in Brüssel, was ja in Architekturkreisen 2018 bekannt, oder sagen wir besser wie selbstverständlich goutiert wurde.[24] Das wird ein extrem rechter Raum werden, der die Opfer der Shoah mit Stalinismusopfern mit in den Boden eingelassenen Briefen und Dokumenten gleichsetzen und damit das Nie-Dagewesene von Auschwitz leugnen wird, ein Raum mithin, den auch Arch+ im Auge behalten sollte.

Die beiden letzten Texte des Arch+-Heftes sind nichts weniger als skandalös. Anna Yeboah schreibt über die „Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonskirche“ und vor allem über das Humboldt Forum in Berlin, das wieder aufgebaute Berliner Stadtschloss im Herzen des alten Ost-Berlin unweit des Alexanderplatzes. Die Kritik am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche, die wie kein zweiter Ort für die Kollaboration von Hitler und Hindenburg, Nazis und dem Konservatismus steht, ist sehr wichtig. Das gilt auch für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses bzw. des Humboldt Forums, dessen koloniale Geschichte die Autorin aufzeigt. Die Kritik an beiden Bauten ist allerdings viel zu bedeutsam, um sie einem solchen postkolonial-ideologisierten Text zu überlassen. Denn am Ende schreibt Yeboah, wie es zu ihrem Text kam:

Die Verfasserin bedankt sich beim Bündnis Decolonize the City, ohne deren Arbeit dieser Text nicht möglich gewesen wäre.

Schaut man sich allein den Twitter-Account dieses Bündnisses Decolonize the City an, sieht man den üblichen anti-israelischen Antisemitismus in vielen Tweets.[25] Trüby hingegen bezieht sich mehrfach völlig affirmativ auf Yeboah, so in dem Zeit-Gespräch von Juni 2019 oder auf einer Heftpräsentation in der Volksbühne (siehe dazu unten mehr), wo er erwähnt, dass sie ihm und einer Gruppe von Leuten die postkoloniale Kritik am Beispiel Berlin in einem Stadtrundgang näher brachte.

Die koloniale Geschichte des wieder errichteten Berliner Stadtschlosses, also des Humboldt Forums, ist offenkundig.[26] Die Betonung Yeboahs – die auch den Alltagsrassismus von Neonazis in Brandenburg benennt, den sie persönlich als schwarze Deutsche, die auch einen ghanaischen Pass hat, regelmäßig erlebt –, dass das historische Schloß auf dem Profit basierte, den die Hohenzollern aus dem Kolonialismus zogen, ist wichtig. Es wäre auch naheliegend gewesen zu betonen, dass eine zentrale Motivation für den Bau dieses Forums/Schlosses der Abriss des Palasts der Republik der DDR war.[27] Dieser moderne Bau war ein architektonisches Glanzlicht für Ost-Berlin und die DDR-Bürger*innen. Der nicht weniger als obsessive Antikommunismus der Berliner Republik basiert städtebaulich auf der Auslöschung der Erinnerung an die DDR an diesem zentralen Platz im Herzen Ost-Berlins.

Die koloniale Geschichte des nun wieder aufgebauten Schlosses kommt additiv hinzu. Während eine solche anti-links motivierte Zerstörung oder kapitalistische Vereinnahmung von Bauten aus der Zeit des Realsozialismus im Kapitel zu Jugoslawien im Arch+ Heft unterstrichen wird, ist sie hier plötzlich gar kein Thema mehr. Ist das nicht merkwürdig? Der Postkolonialismus vernebelt auch hier alle Köpfe.

Der entscheidende und kategoriale Denkfehler von Anna Yeboah (und weiter Teile der postkolonialen Autor*innen weltweit), zeigte sich öffentlich auf einer über 2 Stunden dauernden Vorstellung des Heftes 235 von Arch+ in der Berliner Volksbühne am 24. Mai 2019[28] unter der Regie von Trüby und mit einer euphorischen Einführung durch den Arch+ Mitherausgeber Anh-Linh Ngo. Letzterer betonte, dass die rechte Ideologie vom „großen Austausch“ gefährlich und falsch ist, womit er selbstredend völlig Recht hat, und er wie alle anderen natürlich nicht gehen wird.

Im Laufe des Events der Heftvorstellung in der Volksbühne kamen unterschiedliche Beiträger*innen des Heftes auf die Bühne und präsentierten die Ergebnisse. Die Architektin Yeboah sagte, die Idee des „Anders-Seins“ sei „erst mit dem Kolonialismus“ aufgekommen. Da wird man stutzig. Also nochmal: Ausgrenzung und Grenzziehung seien erst mit dem Kolonialzeitalter aufgekommen und hätte es unter Weißen nicht gegeben; „der Standard des weißen Mannes wurde bis heute beibehalten“. Das sagte Yeboah so. Kein Widerspruch von niemand. Warum ist dieser Satz so ungeheuerlich postkolonial und falsch? Weil er die jahrtausendealte Unterdrückung der Juden nicht sehen kann. Die christlichen Kreuzzüge und das Abschlachten der Juden hat demnach wohl nichts mit dem erfundenen „Anders-Sein“ der Juden zu tun gehabt, die ja auch „Weiße“ waren, wie der postkoloniale Antisemitismus es immer sagt, seit Aimé Césaire und W.E.B. Dubois etc.pp.[29] In ihrem Text in Arch+ vertritt Yeboah den gleichen postkolonialen linken Geschichtsrevisionismus:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Sie schreibt mit keinem Wort, dass es zuvor schon viel tiefer gehende „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gab, den Antisemitismus. Sie schreibt nicht, dass mit dem Kolonialismus ein anderes „binäres Macht- und Identitätsmodell“ auftaucht. Nein, sie schreibt, dass „mit dem Kolonialismus“ „binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert“ wurden. Etablieren meint etymologisch „befestigen“ oder „sich niederlassen“. Synonyme sind z.B. laut Duden „sich ansiedeln, aufbauen, auf die Beine stellen, begründen, einrichten, einsetzen, eröffnen, errichten, gründen, ins Leben rufen“. Demnach hat es vor dem Kolonialismus also keine „binäre[n]“ Macht- und Identitätsmodelle“ gegeben. Yeboah hat den Antisemitismus, der viel älter und unendlich tiefer in die europäische Geschichte und Gesellschaft eingeschrieben ist, einfach vergessen oder übergangen oder bewusst weggewischt, wir wissen es nicht. Die Kritik am kolonialen Denken und den kolonialen Verbrechen ist von sehr großer Bedeutung. Aber es scheint bei postkolonialen Autor*innen nicht ohne eine Diminuierung oder Vernebelung zu gehen.

Fakt ist: das ist eine unwissenschaftliche und politisch skandalöse Aussage von Yeboah in Arch+ und auf der Heftvorstellung, wo sie jeweils das exakt gleiche sagte bzw. schreibt, einmal lang diskutiert und formuliert, redigiert und lektoriert, das andere Mal spontan und live. Demnach wurden die Juden zuvor, nehmen wir das Mittelalter, nicht als „Fremde“ ausgeschlossen. Die Juden wurden also nicht als der „Antichrist“, als die Brunnenvergifter oder Blutsauger und Pestverbreiter aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft Europas ausgeschlossen und wahlweise massakriert oder in Ghettos gesteckt. Das vierte Laterankonzil von 1215 mit seinen antijüdischen Beschlüssen hat es gar nicht gegeben, weil es ja nicht gegen Schwarze ging und nichts mit dem Kolonialismus zu tun hatte. Die jahrtausendealte Ausgrenzung der Juden wird hier einfach verleugnet und postkolonial die Geschichte umgeschrieben.

Die Juden wurden also nicht als „Fremde“ ausgeschlossen, das Muster des Ausschlusses ganzer Gruppen von Menschen würde es erst seit dem Kolonialismus geben. Das ist ein antijüdisches Märchen von Anna Yeboah, die nur pars pro toto für den postkolonialen Irrsinn steht. Weder der Gastredaktion (Stephan Trüby, Matteo Trentini, Philipp Krüpe, Verena Hartbaum, Tobias Hönig, Hartmut Mayer, Sandra Oehy, Andrea Röck, Zsuzsanne Stanitz) noch den beteiligten „Stipendiat*innen“ und der Redaktion (Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo, Mirko Gatti, Christian Hiller, Max Kaldenhoff, Alexandra Nehmer, Nora Dünser, Angelika Hinterbrandner, Christine Rüb, Frederick Coulomb, Dorothea Hahn, Melissa Koch, Jann Wiegand), also einer geballten Ladung akademischer „Bildung“, ist da was aufgefallen. Ausgrenzung und „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gebe es erst seit dem Kolonialismus.

Eine solche Leugnung der jahrtausendlangen Ausgrenzung der Juden im Jahr 2019 ist beachtlich – und sie wird geschrieben, diskutiert, gedruckt und öffentlich vorgestellt, kein Widerspruch, nirgends. Alle fühlen sich als „die Guten“, es geht ja gegen rechts.

Exkurs: Postkoloniale Geschichtsumschreibung und Antisemitismus

Da sich die Arch+-Autorin Anna Yeboah so euphorisch auf ihre Freund*innen von „Decolonize the City“ bezieht, ohne deren Hilfe das Schreiben ihres Artikels nicht möglich gewesen sei, und das Team um Trüby und Arch+ sich mit „Decolonize the City“ offenkundig nicht befasst hat oder deren Ideologie unhinterfragt goutiert, mag ein Blick in das Buch dieses Bündnisses hilfreich sein. Als Herausgeber*in des Bandes „Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven“ fungiert ein „Zwischenraum Kollektiv“.[30]

„Decolonize the City“ war eine Konferenz vom 21.–23.09.2012 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung,[31] um den aktivistischen Charakter zu unterstreichen. 2017 kamen die Beiträge als Buch im Unrast Verlag heraus,[32] 2018 dann als E-Book.[33] Eine der Beteiligten von 2012 war Anna Younes,[34] die später vom Twitter-Account von „Decolonize the City“ mit einem anti-israelischen Text verlinkt wurde. 2016 wurde Younes wegen einem Festival im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg kritisiert:

Von Kuratorin Anna-Esther Younes etwa ist laut ‚Berliner Zeitung‘ der Satz dokumentiert, dass ‚mit der Gründung Israels ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurde‘.[35]

Die BDS-Vertreterin und antisemitisch-antizionistische Jüdin Judith Butler, für die der Zionismus nicht Teil des Judentums ist, wird in dem Buch in einem Text von Paola Bacchetta, Fatima El-Tayeb und Jin Haritaworn über „Queer-of-Color-Politik und translokale Räume in Europa“ völlig positiv dargestellt und dafür gelobt, einen Preis des CSD (Christopher-Street-Day) u.a. wegen „antimuslimischem Rassismus“ oder weil die schwul/lesbisch/transsexuellen etc. Organisator*innen zu westlich, kapitalistisch, kriegerisch etc. seien, nicht angenommen zu haben.

Der ganze Ansatz des Buches „Decolonize the City“ wie weiter Teile des Postkolonialismus weltweit wird in einem Beitrag von Ramón Grosfoguel zu „Was ist Rassismus? Die ‚Zone des Seins‘ und die ‚Zone des Nicht-Seins‘ in den Werken von Frantz Fanon und Boaventura de Sousa Santos“ deutlich:

Für Fanon ist Rassismus eine globale Machthierarchie von Über- und Unterlegenheit an der Grenze zum Menschlichen, die jahrhundertelang für die moderne/koloniale, kapitalistische/patriarchale, imperialistische/westlich zentrierte Weltordnung politisch produziert und reproduziert wurde (Grosfoguel 2011). Personen, die sich oberhalb dieser Grenze befinden, werden gesellschaftlich in ihrer Menschlichkeit anerkannt und mit Rechten und Zugang zu Subjektivität und Mensch-/Bürger_innen-/Arbeitnehmer_innenrechten ausgestattet. Personen, die unterhalb dieser Grenze eingeordnet werden, werden als nicht-menschlich oder gar unmenschlich betrachtet; ihre Menschlichkeit wird infrage gestellt und ihnen abgesprochen (Fanon 2010).

Das ist völlig falsch. Das Mensch-Sein würde also einer unglaublich riesigen Zahl von Menschen seit Jahrhunderten abgesprochen, farbigen Menschen aller Art aller Zeiten, seit Kolumbus die neue Welt entdeckte (1492). Es geht hier nicht um eine völlig notwendige Herrschaftskritik, um Kritik am Rassismus Europas – sondern um eine Verleugnung des Regimes, das tatsächlich Menschen zu Nicht-Menschen deklarierte und vergaste: der Nationalsozialismus. Logisch bleiben Antisemitismus, Shoah und die deutsche Spezifik völlige Leerstellen in diesem Konzept des Postkolonialismus, der ernsthaft meint (man sieht das in jedem Text, namentlich bei Grosfoguel) die ganze Welt erklären zu können. Das kann der Postkolonialismus gerade nicht, vielmehr ist er Teil des Problems. Und das Problem heißt Antisemitismus.

Demnach gibt es für Autoren wie Grosfoguel nur Rassismus auf der Welt, Höher- und Niederwertigkeit, ja eine universell anzutreffende „Rassifizierung“, was nur andeutet, dass der Autor noch nie ein Buch oder einen Text von einem nationalsozialistischen Autor gelesen und von Nazi-Deutschland schlichtweg keinerlei Ahnung hat. Die einzige „Gegenrasse“, die jemals konstruiert wurde und vernichtet werden sollte, waren die Juden und niemand sonst. Das wird im gesamten Postkolonialismus verleugnet.

Der regelrechte sprachliche Stumpfsinn des Konzepts „Nicht-Sein“ in dem Band „Decolonize the City“ hört sich z.B. so an:

Ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann in der Zone des Nicht-Seins lebt privilegiert und unterdrückt nicht-westliche heterosexuelle Frauen und/oder Schwule/Lesben innerhalb der Zone des Nicht-Seins. Obwohl ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann ein unterdrücktes Subjekt in der Zone des Nicht-Seins im Vergleich zur Zone des Seins darstellt, gestaltet sich die gesellschaftliche Situation für eine Frau oder einen Schwulen oder eine Lesbe in der Zone des Nicht-Seins schlechter.

Die Kritik am Patriarchat, an Homophobie, Sexismus und Rassismus wie der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung ist von sehr großer Bedeutung – sie wird hier aber so dermaßen absurd als „Zone des Nicht-Seins“ gefasst, dass man dieses Konzept des Postkolonialismus nicht ernst nehmen kann. Mit Gesellschaftsanalyse hat das überhaupt nichts zu tun, mit einer identitären Selbstvergewisserung, das arme Opfer zu sein und gar in einer „Zone des Nicht-Seins“ zu sein und eigentlich gar nicht da zu sein, sehr viel. Da fallen dann antisemitische Ressentiments namentlich von Schwarzen, people of colour, Muslimen, Christen, Säkularen oder anderen Menschen aus nicht-westlichen Gesellschaften völlig durch das Raster. Antisemitismus taucht als Kategorie auch überhaupt nirgends auf. Dafür umso stärker die sekundär antisemitische Analogie von Kolonialismus und Holocaust.

Der „Intersektionalismus“, also die Überschneidung verschiedener Herrschafts- oder Unterdrückungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus – früher hieß das 3:1[36] – ist nichts Neues. Auffallend aggressiv sind heute jedoch z.B. muslimisch-islamistische Aktivist*innen und ihre Fans. Die Feministin Alice Schwarzer hat das 2017 bei einem Vortrag an der Universität Würzburg erlebt.[37]

Eine Handvoll aggressiver Aktivist*innen haben ihr genau das vorgeworfen, was sie gar nicht gesagt hatte: dass Islamismus und Islam das gleiche seien, dass es nur unter Nicht-Deutschen Sexismus gebe oder dass sie Algerien hassen würde, wobei Schwarzer erst kurz zuvor zwei Wochen bei Freund*innen in Algerien zu Gast war und das Land kennt und schätzt – aber zumal die Traumatisierungen durch den mörderischen islamistischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre mit 200.000 Toten erlebte. Da hörten die jungen verschleierten und nicht verschleierten Hetzer*innen einfach nicht hin. Schwarzer fasst zusammen:

Das Phänomen ist meiner Politikgeneration wohlbekannt. In den 1968er und 1970er Jahren hießen diese Politsekten KBW oder KPDML oder Maoisten oder Trotzkisten. Ihr Diskurs war genauso verhetzt, wirklichkeitsfremd und stellvertretend (für ‚das Proletariat‘) wie der dieser heutigen, pseudolinken Szene (für ‚die Muslime‘), der jedoch fatalerweise zur Verbreitung ihrer wirren Ideen auch noch das Internet zur Verfügung steht. Und die Schlagworte heute lauten nicht mehr ‚Internationale‘ und ‚Klassenkampf‘, sondern ‚Intersektionalismus‘ und ‚Antirassismus‘.

Intersektionalismus und Antirassismus sind auch Kernpunkte des Bandes „Decolonize the City“. Es geht um die „koloniale/kapitalistische/imperiale“ Welt und man fühlt sich wie Schwarzer zurückversetzt in die primitivsten ökonomistischen Analysen der K-Gruppen der 1970er Jahre oder noch früher an die Zeiten der KPD der Weimarer Republik etc.pp.

Der „Decolonize the City“ Autor Grosfoguel steigert das noch massiv, indem er von der „Zone des Seins“ und der des „Nicht-Seins“ daher redet. Damit sind nicht Sobibor, Treblinka oder Auschwitz gemeint – sondern er meint Typisches für unsere Welt:

In der Zone des Nicht-Seins erleben Subjekte, die als unterlegen eingeordnet werden, rassistische Unterdrückung anstatt Privilegierung aufgrund von Rassismus.

Natürlich ist rassistische Diskriminierung schrecklich und gehört bekämpft, hier und heute und an jedem Ort. Aber die Menschen leben doch und das wird mit dem grotesken Terminus „Zone des Nicht-Seins“ geleugnet. Wenn der alltägliche Rassismus in London, Berlin, Paris oder Rio de Janeiro etc. eine „Zone des Nicht-Seins“ bedeutet, dann ist die eigentliche Zone des Nicht-Seins der KZ- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus völlig trivialisiert, ja verleugnet. Der ganze Text strotzt nur so von Nichtwissen und Ignoranz gegenüber den historisch existenten Zonen des Nicht-Seins in NS-Deutschland und während des Holocaust.

Diese postkoloniale, absurde Sprache steht für das obsessive Verweigern einer Beschäftigung mit dem Holocaust. Würde sich der Postkolonialismus mit der Shoah befassen, würde er merken, dass das nicht das gleiche ist wie koloniale Gewalt wo und wann auch immer. Aber die Postkolonialist*innen fühlen sich als „die Guten“ und befassen sich weniger mit der Realität als ihren krampfhaften Analogien von NS und Kolonialismus. Da wird dann aus einer völlig lebendigen Lebensrealität hier und heute eine „Zone des Nicht-Seins“, wie bescheuert, gewalttätig, rassistisch, sexistisch oder klassistisch dieser Alltag auch immer aussieht – die Leute leben und niemand plant sie zu vergasen.

In einem Gespräch der Frankfurter Rundschau vom 4. September 2019 angesichts des Gießener Kultursommers mit zwei Aktivist*innen gegen Antisemitismus und den Sänger Xavier Naidoo, der auf dieser Veranstaltung am 31.8. vor 5000 Leuten auftrat (25 protestierten gegen ihn), kann man lernen, was der Unterschied von Rassismus und Antisemitismus ist:

Nur weil sich jemand für eine gute Sache einsetzt, schließt das nicht aus, dass dieselbe Person bei einer anderen Thematik fragwürdige Sichtweisen öffentlich äußert. Außerdem sind Rassismus und Antisemitismus zwei unterschiedliche Phänomene. Antisemitismus ist das Narrativ der übermächtigen kleinen Gruppe, die für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht wird und ein imaginiertes ‚Wir‘ durch Zersetzung bedroht. In der logischen Konsequenz können ‚Wir‘ nur gerettet werden, wenn die übermächtige Gruppe vernichtet wird. Rassismus dagegen ist die Idee, dass es unterlegene, oder gar als unzivilisiert geltende Menschen gibt, die nicht zu ‚Uns‘ gehören.

Eine solche Differenzierung kann man von typischen postkolonialen Autor*innen nicht erwarten. Kien Nghi Ha moniert in „Die fragile Erinnerung des Entinnerten“, dass zwar seit den 1960er Jahren der Holocaust erinnert werde, aber nicht der Kolonialismus, womit schon gesagt ist, dass beides irgendwie ähnlich schlimme Verbrechen gewesen seien:

Die über Jahrzehnte hinweg verweigerte Aufarbeitung des Holocaust und der nazistischen Tradierungen konnte gegen große gesellschaftliche Widerstände letztlich noch erfolgreich institutionalisiert werden, sodass diesem Aufklärungsprozess eine kontinuierliche Struktur verliehen wurde.

In dem Band schreiben zudem Vanessa E. Thompson und Veronika Zablotsky über „Nationalismen der Anerkennung – Gedenken, Differenz und die Idee einer ‚europäischen Kultur der Erinnerung‘“:

Der politische Umgang mit dem Holocaust, dem Völkermord an den Herero und Nama durch das Deutsche Kaiserreich und dem Völkermord an den Armenier_innen und anderen Minderheiten im Osmanischen Reich spannt ein Feld auf, innerhalb dessen strategisch zwischen materiellen Entschädigungen (‚Wiedergutmachung‘), politischer Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Rechtsfolgen (‚politische Äußerungen‘) und dem moralischen ‚Stehen‘ zu historischer Verantwortung ohne politische Verhandlungen im eigentlichen Sinne (‚ehrliche Aufarbeitung‘) gewählt werden kann, um ‚Unrechtsschulden“ zu ‚tilgen‘.

Ohne jegliche wissenschaftliche Differenzierung oder Analyse, ob denn das überhaupt ein Völkermord war und selbst wenn, dass ihm ein militärisch antikolonialer Angriff vorausging und so weiter – das wird alles nicht diskutiert, sondern autoritär gesetzt. Man soll es glauben, nicht wissen. Verbrechen gegen die Menschheit sollen demnach alle möglichen Kolonialverbrechen gewesen sein, so wie die Shoah. Das ist eine Universalisierung, die wiederum gesetzt wird, ohne jegliche Diskussion.

An anderer Stelle wird gerade die Architektur des Jüdischen Museums Berlin, das den Bruch, den der Zivilisationsbruch Auschwitz bedeutet, visuell andeuten möchte, diffamiert, da es sich „scharf vom übrigen Stadtbild“ im Multikulti-Bezirk Kreuzberg „absetzt“ und so

lässt sie die Umgebung im Umkehrschluss unbeteiligt erscheinen, als sei diese nun nicht länger in koloniale, imperiale, und nationalsozialistische Vernichtungspolitik impliziert.

Das hört sich so absurd an, dass man den Satz mehrfach lesen muss und ihn immer noch nicht versteht. Ein jüdisches Museum sei aufgrund der Architektur, die gerade den BRUCH, den die Shoah bedeutet, versucht diesen irgendwie in kleinsten Ansätzen darzustellen, höchst problematisch, weil es die (vor allem muslimischen oder migrantischen etc.) Nachbarn nicht dort abholen würde, wo sie wohnen, sondern mit so einer intellektuell gleichsam anmaßenden Architektur nur ausgrenzten.

Das Zitat oben ist zudem ein sekundär antisemitischer Sprech, eine Erinnerungsabwehr, die nur vorgibt, zu erinnern. Warum? Weil sie das Wort „Vernichtungspolitik“ im Kolonialismus und Imperialismus verortet und das 1:1 auf die Shoah überträgt und somit die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz, Treblinka und den Wäldern von Litauen leugnet.

In einer Analyse an der Art des Erinnerns oder gerade Nicht-Erinnerns der Spezifik der Shoah zeigte der Historiker Saul Friedländer bereits 1982 (frz., 1984 auf dt.) in seinem Essay „Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus“ in seiner Kritik marxistischer Analysen bzw. Reduktionismen des Antisemitismus, was die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust bedeutet:

Eine solche Interpretation [wie vom Marxisten Abraham Léon, CH] sagt uns jedoch nicht, wie ein auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Antagonismus basierender Rassenhaß – der in anderen Fällen zu Plünderung, Vertreibung, Versklavung oder sporadischen Tötungen (so etwa in den Kolonien) – hier den festen Vorsatz zur totalen Vernichtung annehmen konnte.[38]

Ganz offensiv wird hingegen diese Leugnung des Nie-Dagewesenen des Holocaust in „Decolonize the City“ von Thompson und Zablotsky propagiert bzw. damit kokettiert:

Kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust als erstem industriellem Massenmord und der Unmöglichkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als solche darzustellen, werden somit für die Belange der Mehrheitsgesellschaft instrumentalisiert, welche die Kontinuitäten von Kolonialismus und Eugenik mit Verweis auf Erinnerungskultur und Gedenkorte in Abrede stellt.

Was sind denn „kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust“? Lacht da nicht die AfD, wenn das Nie-Dagewesene des Holocaust in Abrede gestellt wird, was ja ein zentrales Ziel jedes Antikommunismus und Antisemitismus seit Ernst Nolte und zuletzt bei Timothy Snyder ist?

Sandrine Micossé-Aikins schreibt über „Vorwärtsgehen, ohne zurückblicken – eine kolonialismuskritische aktivistische Perspektive auf das Humboldtforum“ über die „brandenburgische Kolonie Großfriedrichsburg“, die in „Princess Town“ „von 1683–1717“ bestand und im kolonialen Dreieckshandel Europa-Afrika-Amerika involviert war und die Hohenzollern profitierten davon.

Dieser Text von Micossé-Aikins ähnelt in vielen Aspekten dem Text von Yeboah im Arch+ Heft 235 von 2019, was verständlich ist, da es sich heute um einen häufig sehr unkritischen bis affirmativen Diskurs handelt. Hier merkt man am deutlichsten, warum sich Anna Yeboah bei „Decolonize the City“ so herzlich bedankt. In dem Text von Micossé-Aikins wird jedoch wie selbstverständlich wiederum die Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozialismus und Shoah aufgemacht:

Die Geschichte dieser Gebeine markiert die in der dominanten Geschichtsschreibung weitgehend ignorierten historischen Verbindungen zwischen Kolonialzeit und dem Nationalsozialismus bzw. dem Genoziden in Deutsch-Südwest Afrika und dem Holocaust.

Da merkt man dann durchaus, woher Anna Yeboah ihre eigene Rede- und Schreibweise hat, wenn sie wie zitiert schreibt:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Das ist exakt die Tonlage des ganzen „Decolonize the City“ Buches. Der Bezug auf Aimé Césaire ist ganz typisch für die postkoloniale Literatur. Die Zeitschrift Peripherie („Politik Ökonomie Kultur“) teilt diese Form des postkolonialen Antisemitismus. In der Ausgabe 146/147 von August 2017 schreiben Aram Ziai und Daniel Bendix:

Ein entsprechendes ‚Pro und Kontra Kolonialismus‘-Tabu gilt in der heutigen BRD nicht. Aimé Césaire hat es schon 1955 gewusst: Weiße Opfer, zu denen er Jüd*innen zählte, scheinen (zumindest für die meisten Weißen) gleicher als andere. Deswegen wurden nicht die kolonialen Völkermorde, sondern erst der Völkermord im Nationalsozialismus von der westlichen Welt als ‚Zivilisationsbruch‘ wahrgenommen (Diner 1996).

Demnach war die Shoah kein Zivilisationsbruch, sondern koloniale Verbrechen seien auch Zivilisationsbrüche gewesen. Damit wäre Auschwitz gerade nicht präzedenzlos. Das ist ein Antisemitismus mit bestem postkolonialem Gewissen, trendig und preisgekrönt jüngst via Achille Mbembe, der sich exakt auf diese Passage von Césaire bezieht.

Der Schriftsteller Heiner Müller hatte in dieser Hinsicht die gleiche Holocaust trivialisierende und universalisierende Ideologie. 2017 wurde bei Suhrkamp ein Band mit Texten Müllers gegen den Kapitalismus herausgegeben, der zeigt, wie ungeniert heute im Mainstream der Antisemitismus trivialisiert und der Nationalsozialismus und Auschwitz universalisiert werden. In Anlehnung an ein Wort des später Müller von 1995 – „Für alle reicht es nicht. Daraus folgt die Selektion“ – wird von den beiden Herausgeber*innen Helen Müller und Clemens Pornschlegel der Nationalsozialismus als bloße Epoche in der Geschichte des Kapitalismus herunter dekliniert. Der Antisemitismus hat da nicht nur keinen Platz, Auschwitz wird in seiner Sinnlosigkeit geleugnet:

Die Behauptung, dass es einen systematischen Zusammenhang gebe zwischen Hitlers massenmörderischen Selektionen und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, zwischen Auschwitz und der Deutsche Bank (aber auch: I.G. Farben, VW, Thyssen, Bertelsmann, Audi, Hugo Boss, Oetker usw.), erschien verrückt. (…) In den Jahrzehnten nach 1990 haben nicht Frieden und Wohlstand, nicht blühende Landschaften und das kindlich-naive Vertrauen in die Gesetzlichkeiten oder harmonischen Gleichgewichte des freien Marktes zugenommen, sondern zugenommen haben (vom Reichtum der Reichen und Superreichen einmal abgesehen) Arbeitslosigkeit, Kriege, soziale und politische Gewalt (…).“[39]

Das ist Suhrkamp 2017. Von Auschwitz in wenigen Sätzen zu Arbeitslosigkeit zu gelangen ist an links-antikapitalistischer Obszönität und antijüdischem Ressentiment unüberbietbar. Das ist sekundärer Antisemitismus, eine Abwehr der Erinnerung dessen, was Auschwitz war. Es indiziert die analytische Hilflosigkeit wie auch die unverschämte linke Ignoranz gegenüber dem, was in Auschwitz geschah: der Zivilisationsbruch.

Das intellektuell nicht nur dürftige, sondern regelrecht widerwärtige, sich selbst immer nur obsessiv als Opfer des Kapitals imaginierende Niveau Heiner Müllers passt exakt zu seinen postkolonialen Epigon*innen oder literaturwissenschaftlichen Herausgeber*innen und Fans Helen Müller und Clemens Pornschlegel, wenn Heiner Müller 1984 schrieb:

Es gab ein Gastspiel mit der Aufführung SCHLACHT in Belgrad, bei BITEF, diesem Theaterfestival. Hinterher war eine Diskussion, ein Jugoslawe polemisierte gegen irgendwas, und dann habe ich gesagt, daß man doch auch sehen müßte, daß der deutsche Faschismus nur eine besonders blutige Episode war in dem kapitalistischen Weltkrieg, der schon vierhundert Jahre dauert.[40] Und das Besondere daran, daß zum ersten Mal mitten in Europa etwas gemacht wurde, was in Afrika, in Asien und in Lateinamerika völlig normal war seit Jahrhunderten: die Vernichtung von Völkern, die Versklavung von Bevölkerung. Der Jugoslawe war sehr empört, er war Partisan gewesen und sagte: Für mich war das keine Episode. Für ihn war das sein ganzes Leben. Er hat recht, aber trotzdem ist es richtig, daß man das mal sehen muß in einem globalen Kontext.“[41]

Damit universalisiert und rationalisiert Heiner Müller den Holocaust und die nie dagewesenen Verbrechen der Deutschen und ihrer Alliierten. Nie zuvor gab es den Plan, ein ganzes Volk zu vernichten, alle Juden sollten ermordet werden auf der ganzen Welt. Das gab es nie zuvor und nie seither.

Die Juden wurden mit Verschwörungsmythen wie den „Protokollen der Weisen von Zion“ (um 1905, russisch) für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht, den Kapitalismus, den Kommunismus, die moderne Zivilisation und ihnen eine Weltverschwörung angedichtet. Nichts dergleichen gab es jemals zuvor oder seither mit irgendeiner anderen Gruppe von Menschen. Das zu leugnen und einen jahrhundertelangen, kapitalistischen, kolonialistischen und imperialistischen Krieg der Weißen gegen die Nicht-Weißen oder des Kapitalismus gegen den Rest der Welt zu imaginieren, ist nicht nur ahistorisch, sondern exkulpiert darüber hinaus die jeweiligen Ideolog*innen von ihrem eigenen Antisemitismus, der allein schon darin besteht, in sekundär antisemitischer, erinnerungsabwehrender Weise die Präzedenzlosigkeit von Treblinka, Sobibor, Chelmno, Majdanek, Auschwitz, den Wäldern von Litauen oder der Schlucht von Babi Yar zu leugnen.

Das passt darüber hinaus zu einer Art postkolonialer Geschichte, die Müller erzählte (wie mir berichtet wurde): In Afrika wurden demnach Filmaufnahmen aus den deutschen KZs gezeigt, um Aufklärung über die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus und den Holocaust zu leisten. Doch beim Anblick der Toten und fast Toten lachten viele afrikanische Zuschauer*innen und hielten sich die Bäuche. Warum? Weil sie es komisch fanden, „Weiße“ als Opfer von Weißen zu sehen. Auch das deutsche Publikum von Müller lachte einmal herzhaft, als er das erzählte. Diese Form des (sekundären) Antisemitismus, der Juden zu Weißen macht, ist der Kern der Geschichtspolitik des Postkolonialismus. Heiner Müller, der sich ja selbst als „Neger“ bezeichnete, war ein Vordenker hiervon, in den Fußstapfen von Aimé Césaire.

Auch Decolonize the City vertritt exakt diesen Césaire‘schen Antisemitismus, wenn Thompson/Zablotsky schreiben (in Anm. 4 zu ihrem Text):

Obwohl die Entnazifzierungspolitik der alliierten Besatzungsmächte häufig aus unterschiedlichen Gründen als unzureichend kritisiert worden ist, wurde nur selten ein expliziter Zusammenhang zur kolonialen Vergangenheit hergestellt. Als Ausnahmen sind hier insbesondere Aimé Césaires Diskurs über den Kolonialismus (1950) und Hannah Arendts Elements und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) hervorzuheben.

Dass Césaire Juden zu Weißen machte und gerade nicht den Zivilisationsbruch Auschwitz auch nur ansprach, wird damit akzeptiert.

Andernorts spricht Kien Nghi Ha in dem gleichen universalisierenden und Auschwitz als präzedenzlos leugnenden Duktus, der nicht nur für Decolonize the City, sondern weiteste Teile postkolonialer Literatur (die Autor*innen beziehen sich auf viel Literatur, die das jeweils genauso sieht) steht:

Die strukturelle Verankerung überkommender Ideologeme, die nicht ohne die kolonialrassistische und antisemitische Vergangenheit Deutschlands denkbar sind und analysiert werden können, wirft unweigerlich politisch unangenehme Problemlagen auf.

Der Historiker Dan Diner hat seit den späten 1980er Jahren bei der Analyse des Zivilisationsbruchs Auschwitz Wegweisendes geleistet. Er sagt 2007 über die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust:

Die Kolonialmacht will ‚pazifieren‘, nicht vernichten.

Weiter:

Wie nahe kommen sich genozidale Kolonialkriege und Holocaust? Bei aller Absolutheit der kolonialen Gewalt – und dies im Unterschied zum konventionellen Krieg zwischen sich als Gleiche anerkennenden Gegnern – steht der Holocaust als eine bloße Vernichtung jenseits von Krieg, Konflikt und Gegnerschaft. Weder gilt es durch Gewalt einen Willen zu brechen noch etwas zu erzwingen. Der Vernichtungstod ist ein im Kern grundloser Tod.[42]

Von diesen kritischen Erkenntnissen ist „Decolonize the City“ unendlich weit entfernt und steht damit exemplarisch für den Postkolonialismus. Der Afrika-Historiker Jakob Zollmann hat dieselben haltlosen Positionen einer Linie von Windhuk nach Auschwitz am Beispiel des postkolonialen Gurus Jürgen Zimmerer seit 2007 bis heute detailliert durchdekliniert und scharf kritisiert.[43] Der sekundäre Antisemitismus via Universalisierung der deutschen Tat und der Shoah wird durch den unverblümten antizionistischen Antisemitismus auf dem Twitter-Account von „Decolonize the City“ noch potenziert. Das also sind offenkundig nach Selbstauskunft die Freund*innen von Anna Yeboah, der Arch+-Autorin.

***

Der abschließende Text von Arch+ 235 von Merve Bedir ist nicht weniger desaströs als der Text von Yeboah. Es geht um die Türkei, doch das Wort Islamismus sucht man vergeblich. In einem polit-ökonomischen Reduktionismus, wie wir ihn bis heute von Sekten von MLPD, DKP bis hin zu vielen sonstigen „antiimperialistischen“ Gruppen weltweit kennen, wird der Kapitalismus als einzige Macht herbei fantasiert, die einen faschistoiden Ideologen wie Erdogan determiniere. Der Ausdruck „religiöser Nationalpopulismus“ ist ein Euphemismus und weigert sich beständig, von Islamofaschismus oder Islamismus zu reden. Doch das ganze kulminiert in dieser Suada:

Die Raumpolitik der Neuen Türkei kann nicht ohne diesen erweiterten politischen Kontext verstanden werden. Den populistischen und autoritären Nationalismus, die Entwicklung hin zu einer illiberalen Demokratie, die Ablehnung von Immigrant*innen und Globalisierung und vor allem die Tatsache, dass diese Politik bereits an der Macht ist, hat die Türkei mit Staaten  wie Ungarn, Italien, Ägypten, Israel, Indien, den Philippinen, Brasilien oder den USA gemein.

Die Kritik an Ungarn, Brasilien oder Italien ist von Bedeutung, aber der Kern ist hier der Judenstaat. Der wird einfach so denunziert, ohne jegliche Differenzierung, was zum Israel bezogenen Antisemitismus passt. Es gibt kein Land der Erde, dem mit Vernichtung gedroht wird – außer Israel, wie von der Islamischen Republik Iran. Ich bin seit Jahren ein scharfer Kritiker der rechten Politik von Benjamin Netanyahu[44] – aber als Linkszionist und nicht als antiimperialistisch herum fuchtelnde Autorin, die mit Verve den Judenstaat mit Faschisten in eine Linie setzt. Das ist keine innerzionistische Kritik an Israel, wie sie weite Teile der linken, Demokraten wählenden amerikanischen Juden und weite Teile der jüdischen Intellektuellen in Israel üben.[45]

Was Bedir nicht erwähnt, sind islamfaschistische Regime wie (schiitisch) in Teheran oder (sunnitisch) in Riad. Der Islamismus ist schlichtweg kein Thema. Bei Erdogan nicht von Islamismus zu reden, ist völlig grotesk und zeugt von einem Realitätsverlust.

Auf der Heftvorstellung in der Volksbühne wurde von Trüby am Ende die Leninsche Frage „Was tun“ gestellt, nun: Es gibt eine „Alternative zu Deutschland“,[46] sie heißt intellektuelle Kritik an den gegenintellektuellen Tendenzen. Übrigens gibt es keine rechten „Intellektuellen“, was sich die meisten Autor*innen merken sollten, die Forschung spricht bei Rechten von „Gegenintellektuellen“, auch die häufige Verwendung von „Rechtspopulisten“ oder anderen Formen von „Populismus“ ist fragwürdig und verschleiernd. In Anschluss an Siegfried Kracauer ist ein Intellektueller eine Person, die Mythen knackt und nicht reaktiviert.[47] Also kann kein Rechter je ein Intellektueller sein.

Unterm Strich war auf der Heftvorstellung die postkoloniale Ideologie überall der große Gewinner, sie überlagerte alle noch so guten und wichtigen Analysen der Neuen Rechten. Tina Hartmann sagte auf der Heftvorstellung, heutzutage bzw. seit langer Zeit (seit 9/11 meinte sie wohl) würde ein Gegensatz von Abendland und Morgenland aufgemacht, was sich sehr saidianisch anhört und noch bestärkt wurde durch ihr Betonen, dass die Position, „der Islam“ „bedrohe die Errungenschaften der Aufklärung“, falsch sei.

Doch was ist daran falsch, die Geschlechterapartheit des Islamismus, der ja eine massive Schnittmenge mit „dem“ Islam hat, ohne in ihm aufzugehen, als antiaufklärerisch zu bezeichnen? Was ist daran falsch, nach dem Pulverisieren, Zerquetschen und Verbrennen von 3000 Menschen im World Trade Center durch Mohammed Atta und die anderen Jihadisten am Dienstag, den 11. September 2001, den Islamismus als riesige Gefahr für die Menschheit, den Westen und die aufgeklärte Welt zu erkennen? Die Bemerkungen von Hartmann in der Volksbühne über den armen Islam, der zum Antipoden der Aufklärung gemacht werde und dies somit nicht sei, sind wissenschaftlich und politisch bedenklich. Diese Derealisierung von Jihad und legalem Islamismus ist weit verbreitet im sich links dünkenden kulturellen Establishment, von Arch+ bis zur Volksbühne Berlin und unzähligen Lehrstühlen und Forschungsprojekten aller Art.

Hartmanns Betonen, es gehe der „Bibliothek des Konservatismus“ um eine „Akademisierung“ der Neuen Rechten ist richtig. Nur sieht sie nicht, dass dies bereits in den 1970er Jahren durch den tatsächlich neu-rechten Henning Eichberg geschah. Dieser war national-sozialistisch, nationalrevolutionär, neu-rechts, rechtsextrem und Begründer der Querfront und nicht Siemens-kapitalistisch oder konservativ wie der selbst ernannte Faschist Armin Mohler oder die „Bibliothek des Konservatismus“, was nicht heißt, dass beide Gruppen deutsch-nationale und völkische Schnittmengen haben.

Sicherlich ist schließlich der Antisemitismus nicht mit der deutschen Nationalversammlung von 1848 entstanden, der Gegensatz von „wir“ oder „das Volk“ gegen die Juden, der ist viel älter. Hartmann meinte jedoch auf der Heftvorstellung in der Volksbühne, bis 1848 hätte es den Antijudaismus gegeben, nicht den Antisemitismus, dabei ist diese Unterscheidung in der internationalen Forschung längst ad acta gelegt und widerlegt worden.[48]

Sodann wurde auch auf dieser Heft-Präsentation zu den rechten Räumen am 24. Mai 2019 mit keinem Wort eine der antisemitischsten Kampagnen seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland auch nur erwähnt: die Wahlplakate zur Europawahl der Neonazi-Partei „Die Rechte“: „Zionismus stoppen. Israel ist unser Unglück.“ Ist das kein rechter Raum, wenn Neonazis im Mai 2019 solche Plakate aufhängen? In den Tagen vor der Veranstaltung gab es viele Berichte in Tageszeitungen über diese rechtsextreme antisemitische Aktion.[49]

Man fragt sich, was die letztlich 13 Leute auf dem Podium für Zeitungen lesen oder was für Medien sie konsumieren, wenn nicht eine Person die exakt in dieser Woche vom 24. Mai 2019 bundesweit diskutierte anti-israelische Hetze dieser Neonazis auch nur erwähnte (so ich es nicht überhört habe). Könnte es sein, dass die meisten Leute einfach gar nicht hinhören, sobald es gegen Israel geht, weil man selbst (wie Decolonize the City oder Zizek) gegen ein demokratisches und jüdisches Israel ist? Kein Wort bei der Heftpräsentation von Arch+ zu dieser Neuauflage von Heinrich von Treitschkes Slogan, den die NSDAP dann aufgriff: „Die Juden sind unser Unglück“.

Ja, mehr noch: Leider scheint die Arch+ tatsächlich keinerlei Problem mit dem Antizionismus oder dem Antisemitismus von BDS zu haben, in Heft 231 von 2018 publizierte sie die deutsche Übersetzung eines Kapitels aus dem Buch über Klimawandel und Kapitalismus der Bestsellerautorin und seit 2009 als antiisraelische und BDS-Unterstützerin berüchtigten kanadischen Publizistin Naomi Klein.[50] Neben Judith Butler aus den USA oder dem Musiker Roger Waters aus Großbritannien ist Klein eine der bekanntesten Unterstützerinnen dieser antisemitischen Bewegung, die immer so tut, als ob sie es nicht wäre.

Angesichts der Beiträge von Bekir und Yeboah im Heft, den internationalen Kontakten von Kirn – der Publizist und taz-Kolumnist Micha Brumlik würde hier wieder aggressiv von der angeblichen „Kontaktschuld“ oder so reden und sieht immer nur bei Kritikern des Antisemitismus einen McCarthy, aber ahnt nicht, dass er selbst zum Kommunistenfresser von damals eine viel größere Nähe haben mag, als ihm lieb sein möchte, nur frisst Brumlik keine Kommunisten, sondern Kritiker*innen des antizionistischen Antisemitismus –, der engen Beziehung von Yeboah zu „Decolonize the City“, dem Publizieren von Naomi Klein durch Arch+ und nicht zuletzt durch das Hofieren Zizeks just im Mai 2019, steht man fast sprachlos vor diesem Heft.

Die Kritik an den rechten Räumen mit teils wirklich guten Beiträgen trifft die Neue Rechte, der Aufschrei des bürgerlichen Feuilletons und der rechtsextremen Pöbler im Netz zeigen, wie gut getroffen die Autor*innen und namentlich Trüby oder Hartbaum haben – aber dann dieses selbstverliebte Schweigen und Hinnehmen des postkolonialen oder säkular-leninistisch-hegelianisch-trendigen Mainstream-Antisemitismus oder das Verleugnen der islamistischen Gefahr.

Noch nicht mal Zizeks wirklich vulgärer Patriarchalismus und seine Angst vor weiblichen Entdeckungsreisen zur Vulva sind offenbar in diesen Kreisen ein no-go, obschon doch gerade die Neue Rechte so massiv patriarchal pöbelt. Demnach spricht ein Kommentar von Margarete Stokowski, die zeigt, wie ähnlich männlich-sexistisch misogyn Superstars der Rechten (Jordan Peterson) und Linken (Slavoj Zizek) ticken, offenbar ins Leere, die Kulturelite à la Volksbühne und Arch+ ignoriert ihre Kritik jedenfalls, Zizek bleibt der Star.[51]

Die perfide Logik des Heftes von Arch+ ist nun folgende: die Autor*innen geben vor, gegen Antisemitismus zu sein. Doch darunter wird der Antizionismus gerade nicht gefasst. Auch der Postkolonialismus taucht in diesem Schema gerade nicht als überaus reduktionistische und bisweilen antisemitische Ideologie auf. Der überaus beliebte Hetzer Zizek (von der Süddeutschen Zeitung über die Arch+ bis hin zu jedem hippen Uni-Seminar in den Sozial- und Geisteswissenschaften) spricht im Mai 2019, nur einen Tag nach dem Bauchpinseln durch Trüby, vom „zionistischen Antisemitismus“,[52] weil Israel sich gegen Juden wenden würde, die nicht pro-israelisch sind.

Wer letztendlich die islamistisch organisierte Landnahme via öffentlichem Massengebet auf dem Tempelhofer Feld in Berlin im August 2019 durch die Neuköllner Begegnungsstätte sieht, die mit Tausenden Muslimen, fanatisch getrennt nach Geschlechtern, verschleiert und mit Teppichen ausgestattet, Angst und Schrecken bei weltlichen und antiislamistischen Besucher*innen des Tempelhofer Feldes evozierten (ich selbst wohnte sechs Jahre unweit des Tempelhofer Feldes und besuchte den Ort fast täglich), kann nur der liberal-muslimischen Anwältin und Feministin Seyran Ates zustimmen:

Das sind muslimische Identitäre.[53]

Man könnte sprachlich geschickter vielleicht auch von identitären Muslimen sprechen, denn der Islamismus ist ja keine Unterkategorie des Rechtsextremismus, sondern eine eigenständige Ideologie, die historisch viel mit den Nazis gemein hatte, so wie der neu-rechte Vordenker Eichberg mit Gaddafi kooperierte und die Muslimbruderschaft und die Verschleierung feierte[54] – aber heute kooperiert der Islamismus ideologisch intensiv mit der Linken.[55]

Die Schadenfreude weiter Teile der Kulturelite nach 9/11[56] wie auch das Schweigen oder klammheimliche Klatschen und Kichern angesichts des Jihad von denselben Kreisen wird in dem Band nicht erwähnt. Dabei ist das für nicht wenige heutige neu-rechten Hetzer ein Ausgangspunkt, wobei die not-wendige Kritik am Islamismus und Jihad zu einem deutsch-nationalen Furor gegen „den“ Islam, „die“ Genderideologie oder „die Flüchtlinge“ und das „rot-grün versiffte Gesocks“ sich schnell wandelte.

Vom Antisemitismus zu reden und damit „nur“ den NS oder die Neo-Nazis, die Neue Rechte und Teile der bürgerlichen Mitte zu meinen, aber nie den Antizionismus der Linken, ja nicht mal den antiisraelischen Judenhass von Neonazis, ist reduktionistisch und falsch. Das hatte mich schon im Sommer 2002 angesichts ganz typischer linker und migrantischer Invektiven bei der Hans-Böckler-Stiftung, wo ich seinerzeit Doktorand war, zu folgendem Spruch in meinem Text für die Gewerkschaftlichen Monatshefte (9/2002) bewogen:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.[57]

Der Bundestag beschließt im Mai 2019 eine nicht verbindliche Anti-BDS-Resolution, die Bundeszentrale für politische Bildung wird vom Bundesinnenministerium finanziert und unterstützt ihrerseits z.B. die Zeitschrift Arch+, die BDS-Unterstützer*innen publiziert.

Die Frage, ob Fotos von Neuen Rechten einen Erkenntnisgewinn haben oder nicht eher affirmativ sind, stellt sich bei dem Heft 235 von Arch+ überall. Das gilt auch für geradezu einfühlend gelayoutete Aufnahmen von NS-Architektur. Solche Bilder passen dann doch besser in Cato, DU, die Junge Freiheit oder auf rechte (Architektur-)Blogs. Es behindert das Lesen nicht unwesentlich und hat teils fragwürdigen Charakter, wenn einfach fröhliche Neo-Nazis abgelichtet werden und gerade nicht Bilder, wie rechtsextreme Politiker*innen oder Akteure eine Sahnetorte ins Gesicht geworfen bekommen oder wie eine Antifa-Demo sich gegen einen rechten Aufmarsch positioniert. Eine antifaschistische Nachricht in Split beim Einmarsch der Wehrmacht 1943 ist die große Ausnahme von der pro-rechten Bebilderung. Hitler-Bilder oder Hitlergrüße etc. haben nichts in einem sich antifaschistisch gebenden Heft zu suchen.

Die Kritik an der „Metapolitik“ in dem Arch+ Heft ist von eminenter Bedeutung. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat es schon vor Jahren in seinem Buch „Die Anti-Europäer“ pointiert auf den Punkt gebracht und dabei nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch den Islamismus und „Eurasier“ im Visier:

Man könnte die selbsternannten Erben der Konservativen Revolution belächeln, würden sie es bei verbalem Radikalismus belassen und ohne Resonanz bleiben. Führt auch heute ein Weg von einsamen Wölfen wie Breivik und den Cliquen eines Dugin oder al-Suri in breitere weltanschauliche Milieus und etablierte Machtzirkel? Zahlenmäßig schwach, betreiben Konservative Revolutionäre eine ‚metapolitische‘ Strategie: Erst sollen die Köpfe erobert werden, dann eventuell Positionen, Territorien und Ressourcen. Das war bereits der Ansatz der Neuen Rechten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.[58]

Die Rechten versuchen nicht nur, ihre Ideologie in den Mainstream zu tragen, sondern praktizieren das auch ganz konkret mit architektonischen Mitteln: mit Denkmälern, wieder aufgebauten Stadtteilen oder Schlössern und Kirchen, entsprechenden Plätzen und so weiter. Die europäische Dimension wird in dem Arch+ Heft herausgestellt, man könnte das in zukünftigen Studien z.B. mit der Analyse von Würdigungen ehemaliger Nazikollaborateure und Antisemiten in der Ukraine, Lettland oder Litauen empirisch unterfüttern.

Auch die unerträglichen Jahn-Straßen oder –Sportplätze (z.B. Jahn Sportpark Berlin, Jahn-Denkmal auf der Hasenheide in Berlin-Neukölln, Fußball-Bundesligist (2. Liga) Jahn Regensburg), Hermann-Löns-Straßen oder Richard-Wagner-Plätze, -Straßen wie ‑Festspiele verdienten eine Kritik als extrem rechte Räume, mit dem Vorschlag, die jeweils umzubenennen, bundesweit, von den Treitschke- oder Hindenburg-Straßen etc. pp. nicht zu schweigen. Bezüglich der Straßen mit kolonialistischer Geschichte werden solche Änderungen im Heft auch angemahnt.

Unterm Strich gilt: Dank Stephan Trüby, seinem Institut IGmA an der Uni Stuttgart und dem Heft 235 von Arch+ hat die interdisziplinäre Forschung zur Neuen Rechten vielfältige kritische Einblicke in die europaweite ubiquitäre rechtsextreme Raumnahme erhalten, die bis weit in den bürgerlichen Mainstream ausstrahlt. Insofern hat der hypermodische und meist so affirmative wie elfenbeinturmmäßige spatial turn jetzt womöglich einen nicht zuletzt deutschlandkritischen und zur Aktion aufrufenden Touch von Antifa.

Für jene, die im gegenintellektuellen Zeitalter von Twitter und Facebook keine langen Texte zu lesen imstande oder willens sind, eine knappe Zusammenfassung:

1) Die Zeitschrift Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus attackiert in ihrem Heft 235 von Mai 2019 zu dem Thema “Rechte Räume. Bericht einer Europareise” den sekundär antisemitischen Charakter der Rekonstruktion der Altstadt von Frankfurt am Main.

2) Arch+ 235 skandalisiert den antisemitischen Charakter von Hans Kollhoffs Ezra Pound Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz in Berlin.

3) Arch+ 235 betont das völlig ungenierte Vergessen oder Feiern des Faschismus in Italien oder Spanien.

4) Arch+ 235 unterstreicht die europaweite Dimension der Neuen Rechten, von der Schweiz über Polen, Frankreich, Österreich, Holland und natürlich Deutschland und weiteren Ländern.

5) Arch+ 235 hat unnötigerweise und ohne jeden Erkenntnisgewinn viele hochauflösende Bilder von Neonazis, Neuen Rechten und von Nazi-Gebäuden, die es erschweren, das Heft zu lesen. Diese Bilder passen eher zu rechtsextremen Publikationsorten, aber haben in einem Heft, das vorgibt Antifa zu sein, schlicht nichts zu suchen.

6) Arch+ 235 bedankt sich bei einer postkolonialen Gruppe („Decolonize the City“), die gegen Israel agitiert.

7) Arch+ publizierte 2018 eine der führenden BDS-Vertreter*innen weltweit, Naomi Klein.

8) Arch+ folgt ohne jede wissenschaftliche Differenzierung dem postkolonialen Hype, dessen Antisemitismus in diesem Rezensionsessay analysiert wurde.

9) Arch+ schreibt über die heutige Türkei, ohne das Wort Islamismus auch nur einmal zu verwenden und trivialisiert die Situation mit Ausdrücken wie „Nationalpopulismus“ oder „religiöser Nationalpopulismus“. Zudem agitiert der Text gegen Israel.

10) Mit keinem Wort wird im Heft Arch+ 235 auf den Antizionismus der Neuen Rechten und Neonazis eingegangen.

 

 

Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, im Dezember 2002 hielt er seinen ersten Vortrag in Israel, er war 2003 und 2004 Felix Posen Fellow des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) der Hebräischen Universität Jerusalem; dortselbst war er von Oktober 2010 bis Mai 2015 Research Fellow. Er war 2008/09 Post-Doc in Yale und von Juli bis Oktober 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover, Fakultät für Architektur und Landschaft, Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur, Projekt: Hachschara, Landwirtschaft, Architektur. Anfang 1989 hatte er seinen Schulfreund und Mitabiturienten Stephan Trüby eingeladen, ihn auf eine Tagung über die „Dialektik der Aufklärung und die Antiquiertheit des Menschen“ nach Frankfurt am Main zu begleiten.

 

Endnoten

[1] https://www.belltower.news/afd-spitzenkandidat-in-brandenburg-die-rechtsextreme-karriere-von-andreas-kalbitz-89325/.

[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-andreas-kalbitz-war-mit-npd-funktionaeren-bei-neonazi-aufmarsch-in-athen-a-1284319.html.

[3] https://www.zeit.de/kultur/2019-09/landtagswahlen-fernsehberichterstattung-afd-rechtsextremismus-demokratie.

[4] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[5] https://www.mousonturm.de/events/rechte-raeume-in-frankfurt-stadtspaziergaenge/?fbclid=IwAR0gjLVU9-2T8MSdPq56w0FkArPGQ-E_npmN8GgWi2gxzqCZ7D_APJrDgi0.

[6] Der Rezensent selbst steht auf einer der aktuellen quasi Abschusslisten von Neo-Nazis, „Judas Watch“, die jüngst von der Tagesschau-Sendung um 20 Uhr vom 18. August 2019 als Beispiel dafür genommen wurde, warum das Bundeskriminalamt (BKA) den Kampf gegen den Rechtsterrorismus, Hasskriminalität und den Rechtsextremismus forcieren und 10 neue Referate mit 440 neue Stellen einrichten wird, https://www.tagesschau.de/ausland/rechtsextremismus-129.html.

[7] Zu einer Kritik an Riehl, der antisemitischen Naturschutzgeschichte wie der NS-Landschaftsarchitektur siehe Clemens Heni (2009): Antisemitismus und Deutschland. Vorstudien zur Kritik einer innigen Beziehung, Morrisville.

[8] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[9] https://www.clemensheni.net/liebende-in-new-york-city-oder-gegen-das-stolzdeutsche-nationalmannschaftsgeschwafel-von-der-heimat-von-edgar-reitz-ueber-robert-habeck-zu-cem-oezdemir-die-antiquierthei/ (07.03.2018), https://www.clemensheni.net/von-walser-1998-bis-oezdemir-2018-das-seminar-fuer-allgemeine-rhetorik-der-uni-tuebingen-die-rede-des-jahres-deutscher-antisemitismus-und-nationalismus/ (13.12.2018).

[10] https://www.clemensheni.net/kein-quentchen-linker-gesellschaftskritik/; Peter Bierl/Clemens Heni (2008): Eine deutsche Liebe. Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung, Konkret 1/2008, S. 24–26.

[11] Clemens Heni (2018): Der Komplex Antisemitismus. Dumpf und gebildet, christlich, muslimisch, lechts, rinks, postkolonial, romantisch, patriotisch: Deutsch, Berlin, S. 289–291.

[12] https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/bfs-kuenstler/bfs_kuenstler_detail_279509.html.

[13] Siehe Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin, S. 406–415.

[14] https://www.clemensheni.net/how-german-is-the-jewish-museum-berlin/; Heni 2018, S. 450–454.

[15] Clemens Heni (2010): Stuttgart ist doch keine „Vorstadt von Jerusalem“…Paul Bonatz, der Nationalsozialismus und Die Grünen (K21), 24. August 2010, https://www.clemensheni.net/stuttgart-ist-doch-kein-vorort-von-jerusalem/.

[16] Heni 2018, S. 82, Zitat von der Literaturwissenschaftlerin Susanna Moßmann.

[17] Vgl. zum Göttinger Hainbund und zu einer weiteren Bücherverbrennung von Schriften Wielands nur ein Jahr später, 1773, Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg, S. 315, Fußnote 1306.

[18] Der Mitbegründer des Konzepts Ethnopluralismus seit den späten 1960er Jahren war Henning Eichberg, siehe Heni 2007, S. 47–50.

[19] https://blogs.timesofisrael.com/the-jewish-museum-fuels-the-anti-jewish-climate-in-germany/ (14.06.2019).

[20] https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus siehe Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin.

[21] Cary Nelson/Gabriel Noah Brahm (Eds.) (2015): The Case against academic boycotts of Israel. Preface by Paul Berman, Chicago/New York.

[22] https://www.clemensheni.net/koennen-die-juden-in-deutschland-ueberhaupt-eigenstaendig-denken/.

[23] Clemens Heni/Thomas Weidauer (Hg.) (2012): Ein Super-GAUck. Politische Kultur im neuen Deutschland, Berlin.

[24] Heni 2018, S. 547.

[25] Tweet vom 14. Oktober 2015 zu einem Beschluss einer Gruppe von Geographen, sich dem Boykott Israels anzuschließen (https://iccg2015.org/resolution-english/); Tweet vom 26. September 2014 zur antiisraelischen schwarzen „Feministin“ Angela Davis (https://www.colorlines.com/articles/angela-davis-connects-movement-free-palestine-black-feminism), Tweet vom 28. Juli 2014 zu einem Text von Anna-Esther Younes (plötzlich heißt sie Anna-Esther, nicht mehr nur Anna wie 2012 im offiziellen Programm der Tagung „Decolonize the City“, und wird als „deutsch-palästinensische Akademikerin“ präsentiert), wo sie ihre Abscheu vor „Pro Zionisten“ freien Lauf lässt (http://www.migazin.de/2014/07/28/nahost-konflikt-rassismus-und-deutschland/), Tweet vom 25. Juli zu James Baldwins Antizionismus (http://socialistworker.org/2014/07/23/how-baldwin-saw-palestine), Tweet vom 24. Juli 2014 zu Ilan Pappé, der BDS als „legitim“ erachtet. Ebenso Bezüge zu Holocaustverharmlosenden Autoren wie Jürgen Zimmerer auf diesem Twitter Account wie auch im Text von Yeboah via einem von diesem edierten Band zur deutschen Kolonialgeschichte.

[26] https://www.humboldtforum.org/de.

[27] Ich selbst habe als Teenager bei einem Besuch in Ost-Berlin 1986 den Palast der Republik auch von innen gesehen.

[28] https://www.youtube.com/watch?v=4OFykZrIEEs.

[29] Zudem: „Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt ‚KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe‘, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm ‚Fellowship Internationales Museum‘, wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leugnenden Ungeheuerlichkeiten gegeben: ‚Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.‘ Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holocaustleugnung, der Softcore-Variante, wie die Historikerin Deborah Lipstadt sagen würde“, Heni 2018, S. 367.

[30] Zwischenraum Kollektiv (Hg.) (2017): Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven, Münster.

[31] https://www.rosalux.de/dokumentation/id/13988/decolonize-the-city-1/.

[32] https://unrast-verlag.de/neuerscheinungen/decolonize-the-city-detail.

[33] https://unrast-verlag.de/ebooks/decolonize-the-city-473-detail.

[34] https://www.decolonizethecity.de/talks.

[35] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/das-ballhaus-und-die-bds/.

[36] http://www.idverlag.com/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEinsViehmann.html.

[37] https://www.emma.de/artikel/ein-abend-wuerzburg-334477.

[38] Saul Friedländer (1982)/1984: Kitsch und Tod. Über den Widerschein des Nazismus, München/Wien, S. 109.

[39] Helen Müller/Clemens Pornschlegel (2017): Vorwort, in: Heiner Müller (2017): „Für alle reicht es nicht“. Texte zum Kapitalismus. Herausgegeben von Helen Müller und Clemens Pornschlegel in Zusammenarbeit mit Brigitte Maria Mayer, Berlin (zitiert nach dem E-Book).

[40] Das erinnert an die den Holocaust ebenfalls universalisierende und in seiner Spezifik leugnende Kampagne „500jähriges Reich“ von Medico International von Anfang der 1990er Jahre: Bruni Höfer/Heinz Dieterich/Klaus Meyer (Hg.) (1990): Das Fünfhundertjährige Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität 1492–1992, Frankfurt am Main; Stefan Armborst/Heinz Dieterich/Hanno Zickgraf (Hg.) (1991): Sieger und Besiegte im Fünfhundertjährigen Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität: 1492–1992, Bonn; Heinz Dieterich (1990a): Ironien der Weltgeschichte. Strukturparallelen zwischen Nazi-Lebensraum und Erster/Dritter Welt heute, in: Höfer/Ders./Meyer (Hg.) (1990), S. 69–147.

[41] In Müller 2017.

[42] Dan Diner (2007): Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen, S. 81.

[43] Jakob Zollmann (2007): Polemics and other arguments – a German debate reviewed, in: Journal of Namibian Studies, Jg. 1, Nr. 1, S. 109–130; Jakob Zollmann (2010): Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, Göttingen; Jakob Zollmann (2019): From Windhuk to Auschwitz – old wine in new bottles? Review article* (im Erscheinen).

[44] https://www.clemensheni.net/please-give-me-some-latkes-before-you-kill-me-jews-and-neo-nazis-in-germany/ (11.02.2019), https://www.clemensheni.net/kenneth-l-marcus-oxymoron-trump-and-civil-rights/ (12.03.2018), https://www.clemensheni.net/was-erlauben-lizaswelt-ueber-die-notwendigkeit-einer-selbstkritik-der-pro-israel-szene/ (24.03.2015), https://www.clemensheni.net/do-not-distract-attention-from-our-homemade-extremists/ (07.04.2014).

[45] Fania Oz-Salzberger/Yedidia Z. Stern (Hrsg.) (2017): Der israelische Nationalstaat. Politische, verfassungsrechtliche und kulturelle Herausforderungen. Aus dem Englischen von Clemens Heni und Michael Kreutz, Berlin.

[46] Clemens Heni (2017): Eine Alternative zu Deutschland. Essays, Berlin.

[47] Heni 2007, S. 87 f.

[48] Robert S. Wistrich (1991): Antisemitism. The Longest Hatred, London; New York; Robert S. Wistrich (2010): A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad, New York.

[49] https://www.hna.de/kassel/israel-unser-unglueck-wirbel-wahlplakate-anti-israel-slogan-ngz-12284359.html, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/judenhass-im-wahlkampf-muss-gestoppt-werden/, https://www.nrz.de/staedte/moers-und-umland/die-rechte-kamp-lintfort-entfernt-wahlkampf-plakate-id221160357.html.

[50] https://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,4909,1,0.html. Im Januar 2009 kritisierte der bekannte linke Soziologe David Hirsh aus London die Pro-BDS-Position von Klein, https://engageonline.wordpress.com/2009/01/10/klein-hirsh/. Im Juli 2019 ist Naomi Klein wie gehabt im BDS-Aktivismus voll involviert, http://bdsberlin.org/2019/07/04/talib-kwelis-ausladung-vom-festivalprogramm-ist-teil-des-anti-palaestinensischen-trends-zu-zensur/.

[51] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-angst-der-maenner-vor-weiblicher-sexualitaet-kolumne-a-1258544.html, 19.03.2019.

[52]  Im oben bereits zitierten Text, https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/ (25.05.2019).

[53] Seyran Ates zum Gebet auf dem Tempelhofer Feld „Das sind muslimische Identitäre“, 12.08.2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/seyran-ates-zum-gebet-auf-dem-tempelhofer-feld-das-sind-muslimische-identitaere/24895706.html. Zum Islamismus siehe Clemens Heni (2011): Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Berlin; Clemens Heni (2011a): Entry „Germany“ in World Almanac of Islamism, Washington, D.C., American Foreign Policy Council (ed.), auch online (letztes Update September 2018) auf http://almanac.afpc.org/Germany.

[54] Vgl. Heni 2007.

[55] Siehe das Kapitel „The Red-Green Axis“ in Wistrich 2010, S. 399–434.

[56] Heni 2011.

[57] http://clemensheni.net/wp-content/uploads/Gewerkschaftliche-Monatshefte-2002-Heni.pdf.

[58] Claus Leggewie (2016): Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co., Berlin, S. 9 f.

©ClemensHeni

Stavit Sinai und BDS oder hat das jüdische Studienwerk ELES ein Antisemitismusproblem?

Von Dr. Clemens Heni, 10. März 2019

Für Theodora W.

Eine frühere Version dieser Rezension des Buches „Weil ich hier leben will. Jüdische Stimmen zur Zukunft Deutschlands und Europas“ erschien in der Zeitschrift der Kommende Dortmund, Amosinternational, Jg. 13 (2019), Heft 1, S. 53–54. Herzlichen Dank an den Theologen und Philosophen DDr. Richard Geisen für die Herausgabe dieser Zeitschrift, seine wundervolle, politisch scharfe und kritische Arbeit über die Jahrzehnte hinweg, die ich nur ganz am Ende erleben durfte, als er mich im November 2018 zu einem Vortrag in die Kommende Dortmund einlud. Vor wenigen Tagen, im Frühjahr 2019, ging Richard Geisen in Rente. Ich wünsche ihm weiterhin viel Freude an der intellektuellen Kritik an den deutschen, unsozialen, rechten, ökologisch wie gesamtgesellschaftlich problematischen Tendenzen wie auch an den erzkatholischen Zuständen!

 

Im März 2019 kam ein Phänomen ans Tageslicht, das seit langem existierte, aber jetzt mal wieder in voller Wucht offenkundig wurde: Auch Frauen und Feministinnen können Antisemitinnen sein. Warum auch nicht? Warum sollten nur Männer Antisemiten sein können? Das mit den weiblichen antisemitischen Personen ist eine wenig überraschende Aussage (man denke an den amerikanischen Women’s March, Linda Sarsour, Tamika Mallory und Carmen Perez), aber es überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit links fühlende feministische Gruppen 2018 und 2019 die amerikanische Aktivistin Selma James einluden.

Sie war bei Veranstaltungen im Rahmen des „Frauenstreik“, einem bundesweiten Zusammenschluss von feministischen Gruppen, in Göttingen wie in Berlin eingeladen. James ist Jahrgang 1930, kämpft für die Bezahlung von Hausarbeit, was ein interessanter und bekannter Ansatz ist, vor allem jedoch war sie 2008 eine Mitbegründerin des „Jewish Anti-Zionist Network“. Deren Forderung: „Oppose Zionism and the State of Israel.“ Das ist also keine Kritik, sondern aggressive Ablehnung des Judenstaates. Selma James ist eine jüdische Gegnerin jüdischer Souveränität und des jüdischen und demokratischen Staates Israel. Sie ist also eine jüdische Antisemitin, denn ihre Ablehnung Israels und des Zionismus, wie man online lesen kann, unterscheidet sich nur darin von Islamisten, Neonazis, dem Iran oder dem deutschen Stammtisch (von bayerisch bis links-alternativ, je nach Vorliebe für Weißbier oder vegane Drinks), dass sie jüdisch ist. Sie kritisiert nicht etwa völlig zu Recht die Besatzung des Westjordanlandes oder die rechtsextreme Politik der Regierung unter Benjamin Netanyahu, nein, sie diffamiert den ganzen Zionismus seit Herzl.

Sie hat gar kein Interesse an einer Verbesserung der Situation der Palästinenser. Sie möchte Israel zerstören und den Palästinensern das ganze Land geben, das in einem bis dato einzigartigen völkerrechtlichen Beschluss 1947 geteilt wurde (UN-Teilungsbeschluss für Palästina). Es sollte einen jüdischen und einen arabischen Staat geben. Aufgrund ihres schrankenlosen Judenhasses lehnten die Araber es ab, einen eigenen Staat Seite an Seite mit dem jüdischen Israel zu bekommen. Der Ansatz von Selma James, hätte BDS Erfolg und Israel müsste das absurde „Rückkehrrecht“ der Palästinenser gewähren, würde zu einem Bürgerkrieg führen (das sehen sogar arabische Israelis hier und heute so) und die gesamte arabische und muslimische Welt gegen den Judenstaat und Juden aufwiegeln, in einem noch stärkeren Maße als seit 1948 ohnehin üblich.

Von der jüdischen Antizionistin Selma James zum Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) ist es nicht weit. Im November 2018 betonte zwar der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, anlässlich der Verleihung des DAGESH Kulturpreises, dass BDS keinen Platz in jüdischen Organisationen und Gruppen haben dürfe:

Ich bin in diesem Zusammenhang sehr glücklich darüber, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Zentralrat und dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk intensiver geworden ist. Eine bessere Investition als die in die Bildung begabter junger Menschen ist im Judentum doch kaum vorstellbar. Seit diesem Jahr wird ELES auch institutionell gefördert. Und für die Stipendiaten und Stipendiatinnen sind die gemeinsamen politischen Aktivitäten, gerade auch mit der Bildungsabteilung des Zentralrats, sicherlich eine Bereicherung. Sehr gerne beteiligt sich der Zentralrat auch an der Jüdischen Denkfabrik. Von diesem Think Tank werden wir sicherlich in Zukunft noch viele neue Ideen und Impulse bekommen, was es bedeuten kann, jüdisch zu sein. (…)

Jüdischsein bedeutet, sich dem jüdischen Staat verbunden zu fühlen und außerhalb Israels für die einzige Demokratie im Nahen Osten einzutreten – ungeachtet dessen, dass jeder Jude und jede Jüdin durchaus Kritik an der Politik der israelischen Regierung hat und natürlich haben darf. Wer aber zum Boykott Israels aufruft oder als Jude BDS unterstützt, hat nach nicht begriffen, dass Jüdischsein nicht bedeuten kann, sich mit den Feinden des jüdischen Volks gemein zu machen. Das gilt natürlich genauso für die Juden in der AfD.

Jüdischsein bedeutet leider auch heute, Angst zu haben – wie vor zehn Tagen, als wir fassungslos waren über das Massaker in der Synagoge von Pittsburgh. Ein weißer Antisemit und Rechtsextremist hat elf unschuldige Menschen ermordet, nur weil sie Juden waren. Diese Tat hat uns alle erschüttert. Denn es gibt keine schrecklichere Vorstellung als die, wehrlos einem Attentäter ausgesetzt zu sein. Ein Überfall auf unsere Synagoge ist für jeden und jede von uns ein Albtraum, der niemals wahr werden darf.

Ist die Hinwendung des Zentralrats zu ELES eine vergebliche Liebesmüh? Oder gar das Füttern der eigenen Feinde, jener, die an der Abschaffung des Zentralrats und seiner Vorstellungen von Erinnerung an die Shoah, Kampf gegen jeden Antisemitismus und Unterstützung für den jüdischen und demokratischen Staat Israel mit aller Vehemenz arbeiten?

Naive Leser*innen des Buchtitels „Weil ich hier leben will. Jüdische Stimmen zur Zukunft Deutschlands und Europas“, das 2018 von Walter Homolka, Jonas Fegert und Jo Frank im Freiburger Herder Verlag herausgeben wurde, könnten denken, es sei doch schön, ein Buch von Juden zu lesen, über Juden hier und heute in diesem Land.

So ist z.B. Greta Zelener mit ihren Eltern aus Odessa am Schwarzen Meer nach Deutschland eingewandert. In ihrem Beitrag setzt sie sich für jüdische Erwachsenenbildung ein. Viele der Autor*innen des Bandes hätten eine solche in der Tat mehr als nötig. Sandra Anusiewicz-Baer beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Geschichte jüdischer Schulen vor allem seit 1993, da sich mit dem Zuzug von zehntausenden Juden aus der ehemaligen Sowjetunion deren Anzahl in der Bundesrepublik in ganz kurzer Zeit nahezu verzehnfachte (auf ca. 200.000, auch wenn offiziell nur ca. die Hälfte als Juden anerkannt und Mitglied Jüdischer Gemeinden sind, da viele nur väterlicherseits, also nicht halachisch jüdisch sind). Problematisch wird es, wenn Anusiewicz-Baer schreibt, es komme auf das jeweilige „Familiennarrativ“ an, wie die Geschichte des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und der Shoah erzählt werde.

Dadurch fällt der universell zu erinnernde Zivilisationsbruch Auschwitz in den Raum der Beliebigkeit. Das passt zum Mit-Autor Max Czollek und dessen Bestseller „Desintegriert euch“; darin behauptet er ernsthaft, viele neudeutschen (ex-sowjetischen) Juden würden sich als Sieger der Geschichte sehen und grade nicht als Nachfahren von Opfern. Das mag aus der Innenperspektive einiger weniger Überlebenden stimmen, ist aber analytisch falsch, da die Juden Opfer der Shoah wurden und nicht die Sieger des Zweiten Weltkriegs sind.

Der Kern des vorliegenden Buches besteht darin, dass sich hier junge, zumeist zwischen Anfang der 1970er und den 1990er Jahren geborene Juden (sowie Nicht-Juden oder Konvertiten wie Homolka, Jg. 1964) gegen den gesamtgesellschaftlich marginalen jüdischen Mainstream stellen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist ein Feindbild für viele Artikel. Warum? Weil der Zentralrat der Juden genau dafür steht, wofür die jungjüdischen Autor*innen nicht stehen: für die Erinnerung an die Shoah, für die Kritik am Antisemitismus in all seinen Formen und für die Unterstützung Israels.

Der Band kommt zum zehnjährigen Jubiläum des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks (ELES) heraus. Ca. 600 Studierende und Promovierende sind bislang vom ELES gefördert worden. Die 15 Beiträge in dem 224 Seiten dünnen Buch, inklusive dem Vorwort der Herausgeber und einer „Hinführung“ via einem Gespräch von Homolka mit einem Berliner Senator, Klaus Lederer (Die Linke), stehen laut Umschlagstext für „das jüdische Leben in Deutschland in einer ungeahnten Vielfalt. Junge Jüdinnen und Juden ergreifen das Wort“.

So schreibt Meytal Rozental: „Als Kind war es mein Traum, Botschafterin zu werden. Damals dachte ich, das sei der einzige Weg, um die Ferne zu erleben. Erst später habe ich verstanden, dass man als Botschafterin den Staat Israel repräsentieren muss. und [sic!] das kam für mich nicht infrage.“ Hier geht es nicht um die nachvollziehbare und in der Tat sehr wichtige Kritik an der gegenwärtigen Regierung unter Benjamin Netanyahu, die so rechts ist wie keine frühere Regierung Israels. Nein, hier geht es um das Repräsentieren des jüdischen und demokratischen Staates Israel an und für sich. Das abzulehnen ist antizionistischer Antisemitismus und delegitimiert Israel. Rozental zeigt sich als Fanatikerin gegen den jüdischen Nationalstaat. Sie schreibt offenbar ohne Kenntnis der Literatur zum Zionismus vor 1933 oder vor 1939: „Eine Sache, die mir sehr wichtig ist, ist die Wahrnehmung von Juden vor dem Zweiten Weltkrieg – als Universalisten, als Menschen, die mit keinem Nationalstaat verbunden sind, nicht sein können oder dürfen!“ Juden „dürfen“ demnach keinen eigenen jüdischen Staat haben. Das ist die Ideologie von Post- und Antizionisten wie Judith Butler; auch Micha Brumlik, der im Beirat von ELES sitzt, geht in diese Richtung.

Max Czollek[i] findet es unerträglich, dass die 2006 eröffnete Synagoge in München gleich im Eingangsbereich an die Shoah erinnert. Er tut so, als ob es Mainstream wäre, den Holocaust zu erinnern und sieht gar nicht die wachsende Holocausttrivialisierung – zu beobachten etwa bei Altbundespräsident Gauck, der Rot und Braun analogisiert und in antisemitischen Büchern (z.B. mit dem Titel „der rote Holocaust“) publizierte, oder bei postkolonialen (schwarzen) Autor*innen, die die Sklaverei als größeres Verbrechen imaginieren als die Shoah.

Dafür kokettiert Hannah Peaceman, die sich an Jürgen Habermas anzuschließen scheint und ihn mit der jüdischen Tradition des „Machloket L’shem Shemayim“ in Beziehung setzt, mit problematischen Ideologemen. Doch zuerst sei mit Machloket eine jüdische Tradition des Nicht-Rechthabenwollens und der Wahrheitssuche verbunden. Das hört sich interessant, aber auch hochtrabend an und das ganze Buch wie auch ihr Beitrag stehen für das exakte Gegenteil: sie wollen alle Recht haben und nach der Wahrheit sucht kaum ein Beitrag.

Die Autorin setzt gerade sich selbst und die anderen (jüdischen) Autorinnen und Autoren des Bandes wie viele andere jüdische Aktivist*innen mit dieser angeblich so bedeutsamen Tradition des Machloket in Beziehung und bezichtigt den Zentralrat wegen der Nazi-Zeit innerjüdische Widersprüche nicht zu thematisieren:

„In der Diversität der jüdischen Gemeinschaft steckt ein großes Potential für Machloket. Viele Widersprüche in einer zahlenmäßig kleinen Gemeinschaft können eine große Herausforderung darstellen. Insbesondere vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit ist die Haltung der größeren jüdischen Institutionen bis heute die, Dissens innerhalb der jüdischen Gemeinschaft möglichst nicht an die Öffentlichkeit zu tragen.“

In ihrem Beitrag kokettiert Peaceman mit der so falschen wie anstößigen Bezeichnung „Zentralrat der rassistischen Juden“ und setzt diese Diffamierung – die auf einer Attacke u.a. von Armin Langer beruht, der dem Zentralrat unterstellt, für eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge zu sein (was falsch ist, wie der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, vor Monaten unterstrich) – in Beziehung zu Machloket, jener „Streitbarkeit um des Himmels Willen“.

Entgegen Langers Diffamierung ist der Zentralrat der Juden sehr kritisch gegenüber Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus: Auf einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag der Novemberpogrome vom 9. November lud die Jüdische Gemeinde alle Parteien ein und Zentralratspräsident Schuster begründete die Nicht-Einladung der antisemitischen AfD.

Auch höchst problematische Publizist*innen, die wahlweise den Antisemitismus oder Islamismus kleinreden, wie Yasemin Shooman, die z.B. Pro-BDS Veranstaltungen mit Aktivisten wie Sa’ed Atshan für das Jüdische Museum Berlin organisierte, gehören zu ihren trüben Quellen. Peaceman ist Mitbegründerin und zusammen mit Micha Brumlik, Marina Chernivsky, Max Czollek, Anna Schapiro und Lea Wohl von Hasselberg Mitherausgeberin der Zeitschrift Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart (so von Heft 3, 2018), die im hippen Neofelis Verlag erscheint, in der Shooman 2018 mit einer Attacke auf die Jüdische Gemeinde zu Berlin und deren Kritik am islamistischen Antisemitismus gedruckt wurde. Peaceman hat zusammen mit Micha Brumlik Jalta auf einer Veranstaltung in Frankfurt am Main vorgestellt.

Es gehe also den Peacemans nicht ums Rechthaben, sondern um „den Himmel“, wenn sie mit islamistischen oder antisemitischen Positionen kokettieren oder sie aktiv befördern. Die CSU wie die AfD würden beim Thema Zuwanderung auf den Zentralrat der Juden verweisen, so Peaceman, deren ganzer Ansatz, den ZdJ zu diffamieren, sich dadurch blamiert, dass Schuster wie zitiert namentlich die AfD nicht zu den Gedenkfeierlichkeiten am 9. November einlud. Sie fabuliert:

“Zeitgleich und immer wieder positioniert sich der ZdJ öffentlich und intern-institutionell eindeutig gegen die AfD und ihre Vereinnahmung. Die Gleichzeitigkeit kann verwundern.”

Man könnte so eine innerjüdische Kritik sogar dann ernst nehmen –

(ich selbst kritisiere in meiner Studie “Der Komplex Antisemitismus” (Berlin 2018, 763 Seiten) den Zentralrat z.B. für das Zur-Verfügung-Stellen von Räumlichkeiten für eine äußerst problematische Konferenz von “Scholars for Peace in the Middle East (SPME), German Section” im Januar 2018, wobei auch Leute teilnahmen, die zuvor dadurch aufgefallen waren, dass sie (wie Alexander Grau) die rechtsextremen Randale um Götz Kubitschek und die Identitäre Bewegung auf der Frankfurter Buchmesse 2017 verharmlost, wenn nicht mit ihnen kokettiert hatten) –

, wenn denn Peaceman nach rechts offene Positionen des Zentralrats (die es geben mag) kritisiert, aber nicht zeitgleich mit den Islamismus wie Antisemitismus befördernden oder ihn trivialisierenden muslimischen Autor*innen kooperieren würde.

So jedoch ist das alles Heuchelei und Geschwätz. Das mag zu Habermas passen, der zwar gegen Antisemitismus und die AfD ist, aber kein Problem hatte mit der jüdischen Anti-Israel-Hetzerin Judith Butler auf einem Podium zu sitzen in New York City (siehe dazu mein Buch “Kritische Theorie und Israel” von 2014).

Es geht um eine „strategische Identitätspolitik“, wie Tobias Herzberg unterstreicht. Es geht um die muslimischen Referenzen in dem Band, so etwa um Kübra Gümüsay, die nicht nur für obsessives Kopftuchtragen steht, sondern meint, es gebe keine Alternative zur AKP in der Türkei. Herzberg zitiert sie mit der Aufforderung, „Liebe zu organisieren“.

In Heft 4 von Jalta ist dann Gümüsay gar Autorin von Jalta, es wächst zusammen, was zusammengehört. Angesichts der Großdemo #unteilbar im Oktober 2018 schrieb die Jungle World über die Mitaufruferin Gümüsay:

„Es gibt unter den Erstunterzeichnern noch weitere Gruppen und Personen, die Verbindungen in antidemokratische, autoritäre, frauenfeindliche und antisemitische Milieus haben. Die Autorin Kübra Gümüşay, ebenfalls Erstunterzeichnerin, trat 2016 auf einer Veranstaltung der Organisation Milli Görüş auf. Bei Milli Görüş handelt es sich um eine türkisch-islamistische Organi­sation, der bereits gerichtlich Gegnerschaft zur bürgerlich-demokratischen Ordnung und ein antisemitischer ­Charakter bescheinigt wurden. 2013 bekundete Gümüşay auf Twitter Zustimmung zur autoritären und antidemokratischen türkischen Regierungspartei AKP: ‚Ich sehe zurzeit keine Alternative zur AKP in der Türkei.‘“

Das sind also die Autorinnen und Kooperationspartnerinnen der jüdischen Zeitschrift Jalta. Dabei ist der Antizionismus vieler jüdischen Autor*innen ja schon krass genug und Kern dieser Besprechung und Kritik.

Für Benjamin Fischer ist Deutschland „das spannendste Projekt für die jüdische Gemeinschaft in Europa“, was exemplarisch steht für den ganzen Band. Der enorme Anstieg (quantitativ und qualitativ) von Antisemitismus in den letzten Jahren wird einfach entwirklicht: Dazu gehören namentlich die zweite Intifada im Herbst 2000, 9/11, die Hetze gegen die Beschneidung (Brit Mila) – angesichts einer Landgerichtsurteils aus Köln – von der FAZ über die Hauspostille Bahamas bis zur Giordano Bruno Stiftung im Jahr 2002, die Mavi Marmara Aktion 2010, der Krieg Israels gegen die Hamas 2014 sowie die jihadistischen Massaker in Frankreich 2015 und andernorts wie auch deren Nachwirkungen in Deutschland.

Auch Frederek Musalls Text, der den HipHop vorstellt und für ELES in Stellung bringt, ist von dem überall hörbaren Schweigen über einen Skandal im Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk überlagert.

In dem Band wird nämlich mit keinem Wort erwähnt, dass eine ELES-Stipendiatin, Stavit Sinai, als Störerin einer Veranstaltung mit einer Holocaustüberlebenden und einer israelischen Politikerin im Juni 2017 an der Humboldt-Universität Berlin beteiligt war. Die drei Hetzer*innen publizierten danach eine Selbstbezichtigung, die im Netz steht. Darin verwenden die Autor*innen den Begriff „crimes against humanity“ bezüglich Israel. Das ist Antisemitismus, eine Verharmlosung der Shoah und eine Diffamierung, Dämonisierung und Delegitimierung Israels (die drei D’s zur Kennzeichnung von heutigem Antisemitismus bezüglich Israel). Die Uni erstattete Anzeige und der Berliner Verfassungsschutz berichtete über die antijüdische Aktion:

„Bereits im Juni [2017] war die Veranstaltung einer Holocaust-Überlebenden an der Humboldt-Universität mit anti-israelischen Sprechchören massiv gestört worden. Für die beiden letztgenannten Vorfälle zeichnete die so genannte BDS-Kampagne verantwortlich. BDS steht für ‚Boycott, Divestment and Sanctions‘ und zielt auf eine kulturelle, wirtschaftliche und politische Isolation Israels ab. Die BDS-Kampagne, bei der es sich nicht um eine einheitliche Bewegung handelt, war bislang vor allem im englischsprachigen Raum aktiv. Mit ihren Forderungen nach einem uneingeschränkten Rückkehrrecht für Palästinenser und der Gleichsetzung Israels mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime, stellen Teile von BDS das Existenzrecht Israels in Frage und unterstellen Israel in Gänze eine rassistische Prägung.“

Sinai ist als Unterstützerin der antisemitischen Boykottbewegung gegen Israel (Boycott Divestment Sanctions, BDS) bekannt, was man auch in einer BDS Resolution gegen die Uni Wien von November 2018 sehen kann.

2012 war Stavit Sinai offenkundig an einer brutalen Aktion gegen den Jüdischen Nationalfonds (JNF, Jewish National Fund) beteiligt, als sie mit einer ganzen Gruppe von Antisemiten gegen diese zionistische Einrichtung vorging, wie man auf einem Video wie einer Selbstbezichtigung (auf Hebräisch) sehen bzw. nachlesen kann.

Sinai war Doktorandin an der Uni Konstanz in Geschichte und Soziologie und ist jetzt Dr. des. (Doktor designatus, d.h. sie hat ihre Arbeit noch nicht publiziert, was in der BRD notwendig ist, um den Doktortitel zu tragen). Sie war ELES-Stipendiatin und „Assoziierte“ am Selma Stern Zentrum sowie Assoziiertes Mitglied am Kollegium des Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Dem Direktorium des Selma Stern Zentrums – Dr. Anne-Margarete Brenker, dauerhafte Vertretung von Rabbiner Prof. Walter Homolka, PhD, PhD, DHL; Prof. Dr. Liliana Ruth Feierstein, Sprecherin (2018/19); Rabbiner Prof. Walter Homolka PhD, PhD, DHL; Prof. Dr. Rainer Kampling, Stellvertretender Sprecher (2018/19); Prof. Dr. Sina Rauschenbach; Prof. Dr. Julius H. Schoeps; Prof. Dr. Kerstin Schoor; Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum; Dr. Werner Treß, dauerhafte Vertretung für Prof. Dr. Julius H. Schoeps – haben diese antijüdischen Aktivitäten Sinais offenkundig nichts ausgemacht. Es sind keine Stellungnahmen gegen Sinai bekannt. Warum auch? Warum sollte es sich von BDS und Sinai distanzieren, wenn diese doch von ELES finanziert wurde und somit koscher sei?

Viele Juden heulen natürlich sofort und lautstark auf, wenn vom jüdischen Antisemitismus gesprochen wird, wobei mehrere in diesem Direktorium gar keine Juden sind, by the way. Aber jene jüdischen „Forscher*innen“, die mit Sinai kooperieren und kooperierten, die sind zu problematisieren, solange sie sich nicht von so einer ausgesprochen aggressiven Person distanzieren, die sich ganz offensiv mit Erklärungen hinter ihren Israelhass stellt. Es geht hier – noch einmal, für die Ignoranten und Langsamblicker*innen – nicht um die berechtigte Kritik an der Politik eines Staates (so wie wir ja alle auch Neuseelandkritiker sind, gell), sondern um den Kern Israels: den Zionismus. Der wird von BDS und Stavit Siani genauso abgelehnt wie von Selma James und ihren antisemitischen (häufig: migrantischen) Freundinnen im deutschen unkritischen Feminismus (es gibt auch radikalen Feminismus, der gegen jeden Antisemitismus ist, worauf Merle Stöver hinweist).

Schließlich ist da in dem hier in Frage stehenden Sammelband der Text des „Gesamtsprechers“ der Stipendiat*innen von ELES, Yan Wissmann, der 2013 von Brasilien nach Deutschland kam. Für Wissmann waren Juden „im Ersten Weltkrieg bis zu den hervorragenden Leistungen in der Weimarer Republik“ in der „deutsch-nationalen Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg immer präsent und übernahmen, soweit es ging, eine mitgestaltende Rolle“. Die drei Herausgeber, der Verlag und ELES haben das nicht weglektoriert, sondern gedruckt. Jüdischer Geschichtsrevisionismus?

Wenig später schreibt Wissmann, „die 600.000 Juden, die in Deutschland gelebt haben“ (wann, lässt er im Dunkel, meint er das Jahr 1933? Da waren es ca. 500.000), hätten „nach der Auswanderung“ viel Gutes für jüdische Gemeinden geleistet. Möchte er damit sagen, alle 1933/39 in Deutschland lebenden Juden seien ausgewandert? Selbst wenn er damit auch jene Juden meint, die vor 1933 emigrierten, ist das eine perfide Zahl, weil sie die 160.000 deutschen Juden, die in der Shoah ermordet wurden, einfach verleugnet und in der „Auswanderung“ nach 1933 etwas Gutes sieht.

Fazit: Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) promotet sich als offen, liberal und tolerant, aber schweigt zu einer aggressiven Anti-Israel und BDS-Aktivistin. ELES ist gerade Teil des Problems, wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus, für die Erinnerung an die Shoah als präzedenzlosem Verbrechen und für die Sicherheit von Juden geht. Deutschland hat Kritik verdient und kein Rumgeschmuse von identitätsbesoffenen („Hauptsache Schnaps“, so Carmen Reichert) jungdeutschen Juden.

 

Der Rezensent ist Politikwissenschaftler, Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), war von 2002 bis 2005 Promotionsstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) und hat 2002 den antizionistischen Antisemitismus eines migrantischen HBS-Stipendiaten skandalisiert.

 

[i] Vgl. Clemens Heni (2018): Postpubertärer Realitätsverlust oder: Warum sind die neu-deutschen Juden wie Max Czollek so beliebt?, 10. Dezember, https://www.clemensheni.net/postpubertaerer-realitaetsverlust-oder-warum-sind-die-neu-deutschen-juden-wie-max-czollek-so-beliebt/.

©ClemensHeni

Wenn „linke“ Publizisten den Bezug zur Realität verlieren oder: Ist HC Strache das „kleinere Übel“?

Von Dr. Clemens Heni, 5. November 2017

Die Nationalratswahl in Österreich spiegelt den Rechtsruck in ganz Europa wider. Während mit der Alternative für Deutschland (AfD) in Deutschland erstmals Neonazis, die stolz sind auf die deutschen Landser im Zweiten Weltkrieg, in den Bundestag einzogen (12,6%), bekam die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mehr als doppelt so viele Stimmen (25,97%) und wird voraussichtlich an der Regierung als Juniorpartner (der ein Seniorpartner ist) der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Sebastian Kurz beteiligt.

Das Magazin Falter publiziert nun die neo-nazistische Vergangenheit des FPÖ-Frontmanns HC Strache auf dem aktuellen Cover:

 

Vor diesem Hintergrund ist zumindest am Rande bemerkenswert, wie die Wissenschaft und Publizistik mit der extremen Rechten umgeht.

In einem von dem Wiener Politologen Stephan Grigat herausgegebenen Band (in einer Buchreihe im Nomos Verlag, die vom Politikwissenschaftler Samuel Salzborn ediert wird) über die AfD und FPÖ schreibt der Wiener Germanist Gerhard Scheit[i] einen grundsätzlichen Beitrag über den Umgang mit den neuen Rechten.

Er setzt so ein:

„Erinnert sich noch jemand an Jörg Haider? Im Unterschied zur heutigen Freiheitlichen Partei Österreichs mit Heinz-Christian Strache als Vorsitzendem hatte der frühere FPÖ-Chef noch geopolitische Visionen. Wenn Haider zuweilen wie seine Nachfolger gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in der ‘Heimat’ polterte, suchte er deshalb durchweg ein anderes Verhältnis zum Islam, der ihm als Bündnispartner wichtiger war denn als Feindbild.“

Zentral ist folgender Abschnitt, der das Wort „Souveränisten“ in den Diskurs einführt bzw. zitiert:

„Mit diesem Rückzug auf die Frage des Grenzschutzes bilden diese ‚Souveränisten‘, wie sie sich selbst manchmal nennen, im Inneren nur das grelle Pendant zur diskreten Politik der Europa-‚Unionisten’ im Äußeren. Der Verzicht auf Intervention, der die EU prägt und der sie weltpolitisch prädestiniert erscheinen lässt, zu den ‚Reserven des allgemeinen Chaos‘ beizutragen – um den Ausdruck zu verwenden, mit dem Karl Kraus die Politik am Vorabend des Ersten Weltkriegs charakterisiert hat (Kraus 1989, 11) –, konnte auch nur solange folgenlos und unauffällig bleiben, als die USA als Welthegemon sich noch der Interventionen annahmen.“

Das heutige Europa habe also ein Problem mit zu wenig „Intervention“ und die USA seien kein „Welthegemon“ mehr, damit meint Scheit die Obama-Zeit. Trump versprüht für Scheit durchaus Hoffnung, wie er nach der Wahl Trumps zum 45. Präsidenten im November 2016 schrieb.

Auch bezüglich Israel sieht Scheit eher Hoffnung bei den extremen Rechten:

„Israel verliert als Projektionsfläche des antikapitalistischen Wahns unmittelbar an Bedeutung, dafür tritt die Brüsseler Bürokratie umso mehr hervor: ‚Die Menschen werden es sich nicht mehr länger gefallen lassen, für einen zentralistischen Moloch ausgeplündert zu werden‘, sagte etwa Strache 2011 im Nationalrat.“

Diese Stelle ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, weil sie suggeriert, Israel sei bislang bei der extremen Rechten, um die geht es hier, aus „antikapitalistischen“ Gründen heraus attackiert worden.

Das zarte Wort von „Rechtspopulisten“ wird von Scheit auch in Bezug auf Israel verwendet:

„Und solange die Linkspopulisten der Bedrohung Israels nicht nur nichts entgegensetzen, sondern sie sogar fördern, können die Rechtspopulisten innenpolitisch gewisse Erfolge erzielen, indem sie Israelsolidarität simulieren, was freilich noch immer besser ist, als Israelhass zu praktizieren.“

Der ganze marxistische Hokuspokus, für den Scheit steht, wird in folgendem Zitat deutlich, das indiziert, dass er die Geschichte des Antisemitismus einzig auf eine falsche Analyse des Kapitalismus gründet und alle anderen ideologischen, politisch-kulturellen, religionshistorischen, psychologischen, philosophischen, kulturellen etc. Aspekte des Antisemitismus negiert, weil es nur einen Grund gebe für die „Logik des antisemitischen Wahns“:

„Der Feind dieser Feindschaft ist dadurch in der Projektion total, wie der Weltmarkt in der Wirklichkeit, dass er nicht nur ein ganz bestimmter, sondern ein nicht austauschbarer ist; die Feindschaft muss ‚vorherbestehend‘ und ‚unabänderlich‘ sein, gleichgültig wie der Feind sich auch verhalten mag, ob er einwandern oder auswandern möchte, keinen Staat hat oder einen gründet, sich wehrt oder sich anpasst: er wird vernichtet. Nur dann ist es möglich, an die Erlösung in der Vernichtung zu glauben, wenn wenigstens dieser eine nicht austauschbar ist und zugleich die totale Austauschbarkeit – den Tauschwert – verkörpert. Das ist die Logik des antisemitischen Wahns.“

Der Nationalsozialismus wird hierbei lediglich als Krisenbewältigung herunter dekliniert und auch heutige Phänomene wie Djihad und Neonazismus unter dieser ökonomischen Brille beäugt. Das ist ein Ökonomismus, wie man ihn von den K-Gruppen der 1970er Jahre kennt, auch wenn sich ein Scheit davon meilenweit entfernt wähnt.

Selbst das den Djihad verharmlosende Gerede von den Muslimen als den Juden von heute, das Scheit selbstredend und zu Recht ablehnt, führt er so grotesk verkürzt und ökonomistisch ein, dass es wie eine marxistische Obsession erscheint, jedes Phänomen (Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit etc.) mit einem Hinweis auf Marx aus dem 19. Jahrhundert zu erklären:

„Demgegenüber gibt sich allerdings das ideologische Manöver vieler Linker, das den Namen Islamophobie trägt und wonach der Wahn, der in Deutschland zur Vernichtung der Juden führte, bei den Rechtspopulisten bloß das Objekt des Hasses ausgewechselt habe und sich heute gegen die Muslime richte, als eine Schutzbehauptung zu erkennen: Sie dient dem Appeasement und der Kollaboration mit dem Djihad, dem auch jene international nolens volens unternommenen Schritte des Krisenaufschubs kaum etwas anhaben können, weil er selbst nichts anderes ist als die Anpassung des Vernichtungswahns an diese neuen Bedingungen kapitalistischer Verwertung.“

Neonazismus und die FPÖ werden als „Krisenaufschub“ trivialisiert, wie der Djihad. Vor HC Strache und den österreichischen Neonazis hat Scheit keine Angst, denn er weiß, „dass für die Juden und Israel die unverhältnismäßig größere Bedrohung von der djihadistischen Disposition im Islam ausgeht“.

Holocaustüberlebende in Österreich wie Rudolf Gelbard sehen das anders und warnen vor der FPÖ, aber was kümmert das den marxistischen Weltgeist? Was kümmert einen strammen Marxisten die Veränderung der politischen Kultur hin zu mehr Holocaustbejahung und Erinnerungsabwehr, wenn er doch eh erkannt hat, schlau wie er ist, dass das alles nur ein Aufschieben der kapitalistischen Krise ist, die irgendwann eh komme? Was, wenn der kluge Marxist erkannt hat, dass der Djihad und die Linken in Österreich die eigentliche Gefahr sind?

Und so kulminiert der von Grigat herausgegebene Beitrag Scheits in einer Attacke auf die Flüchtlinge von 2015, die in diesen Worten auch von der CSU, der FPÖ, den Nazis der Identitären Bewegung oder der AfD kommen könnte:

„Die zeitweilig unkontrollierte Öffnung der Grenzen im Jahr 2015 war nur die unmittelbar sichtbar gewordene Konsequenz der Nichtinterventionspolitik, die seit der Regierung Schröder den Ton angab.“

Syrische Flüchtlinge, die zu Millionen vor dem Massenmörder Assad wie vor den Massakern und unsagbaren Verbrechen der Jihadisten des Daesh (IS) flohen, werden zu einer Gefahr stilisiert. Man könne zwar versuchen, die Flüchtlinge zu erziehen aber:

„Soweit es dabei nicht mehr gelingt, der bedrohlichen Tendenzen Herr zu werden, zeichnen sich zwangsläufig Obergrenzen in der Flüchtlingsaufnahme ab.“

Und so liest sich der letzte Absatz in diesem den Neonazismus trivialisierenden Elaborat von Gerhard Scheit wie ein Freifahrschein für HC Strache als neuer österreichischer Innenminister, denn er sei immer noch „das kleinere Übel“ verglichen mit den Linken und dem Djihad in Österreich:

„Kurzum: es ist nicht gut, dass es die ‚Souveränisten‘ gibt. Sie sind kein Gegengift zur Katastrophenpolitik, sondern setzen sie fort; sie sind im gesellschaftlichen Zusammenhang betrachtet nicht das kleinere Übel, sondern Teil des größeren. Der Missachtung des Primats der Außenpolitik entsprungen, also der Weigerung, an der Seite der USA eine hegemoniale Politik kontinuierlich durchzusetzen, leisten sie ihren freilich einstweilen nur kleinen Beitrag, das Chaos der deutschen Politik im Inneren auszuweiten durch ihren massenpsychologisch so erfolgreichen Rückzug aufs Vaterland, das zur Ideologie des geschlossenen Handelsstaats eingeschrumpft ist. Herausgehoben aber aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang, den sie selbst nur reproduzieren, und jenen Linken unvermittelt gegenübergestellt, die den Djihad verharmlosen und so diesem zur weltweiten Bedrohung angewachsenen Behemoth nützlich sind, können sie sogar als das kleinere Übel gelten.“

So ein skandalöser Text von Gerhard Scheit wird also von Stephan Grigat publiziert und von Samuel Salzborn in eine Reihe im Nomos Verlag aufgenommen. Neonazis, die Identitäre Bewegung oder die AfD und FPÖ als „kleineres Übel“ verglichen mit den Linken und dem Djihad.

In Frankreich wurde kürzlich so ein „kleineres Übel“ inhaftiert, wie die ZEIT berichtete:

“Sieben Jahre Haft und 30.000 Euro Bußgeld lautet das Urteil gegen ein Mitglied der Identitären Bewegung aus Lille in Frankreich. Wie die Zeitung Ouest France berichtet, hatte der 54-jährige Rechtsextremist Claude Hermant mehr als 500 Waffen verkauft. Sechs davon wurden 2015 ausgerechnet von dem Dschihadisten Amedy Coulibaly bei einem blutigen Anschlag in Paris verwendet. Eine Polizistin und vier Supermarktbesucher wurden damals getötet.”

Wenn man dann noch in Rechnung stellt, dass Herausgeber Grigat selbst nur so lange für Israel ist, wie es Antisemitismus, ergo aus seiner Sicht: Kapitalismus und Staat gibt, wird es noch absurder. Grigat hegt sogar gewisse Ressentiments gegen die hebräische Sprache und sagt:

„Und der eine oder die andere Antideutsche jüngeren Semesters sollten sicher lieber Adorno lesen als eifrig Hebräisch zu pauken.“[ii]

Wie wichtig gerade Tel Aviv als erste hebräische Stadt ist und wie zentral für Nahum Sokolov und viele andere Zionisten die hebräische Sprache war, wird gar nicht erst versucht, zu verstehen. Zumal ja Sokolovs Bedeutung für den Zionismus und die Balfour-Deklaration vom 2. November 2017 von Linken gar nicht erkannt wird, da dies gegen die weit verbreitete Annahme steht, der Holocaust sei der Grund für Israel und Israel primär ein Schutzraum vor Antisemitismus – was falsch ist, Israel ist in erster Linie eine Rückkehr zu Zion und zu jüdischer Selbstbestimmung und zudem natürlich der Schutzraum für Juden vor Antisemitismus in der Post-Holocaust-Welt.

Zudem sagt Grigat ganz grundsätzlich, warum für ihn der Zionismus falsch ist und nur vorübergehend zu akzeptieren sei:

„Dementsprechend ist der Zionismus für die kommunistische Kritik zwar nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus (das wäre nach wie vor die Errichtung der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die freie Assoziation freier Individuen, die befreite Gesellschaft, die es den Menschen ermöglicht, ohne Angst und Zwang verschieden zu sein), aber er ist die vorläufig einzig mögliche. (…) Solange die emanzipative Überwindung von Staat und Kapital keine Aussicht auf Erfolg hat, gilt es, kritische Theorie als entfaltetes Existenzialurteil zu betreiben (vgl. Horkheimer 1937: 201) und an einem materialistisch zu interpretierenden zionistischen kategorischen Imperativ festzuhalten: alles zu tun, um die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung des Staates der Shoahüberlebenden aufrecht zu erhalten.“[iii]

Scheit spielt 2017 die neonazistische Gefahr herunter,[iv] stellt sich aber als der größte Freund Israels dar. Sein Kumpel und Herausgeber Grigat sagte ja schon vor Jahren (wie zitiert), wie lange diese Solidarität mit dem Judenstaat gilt: bis zum Kommunismus, der “klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft”.

Sobald in Wien und weltweit, das ist wichtig, die Revolution ausgebrochen ist, ist Schluss mit einem jüdischen Staat und jüdischer Souveränität. Dann behüte Gott oder wer immer die Juden vor den Marxisten.

 

 

[i] Gerhard Scheit (2017): Eingeschrumpfter Behemoth und neue ‚Souveränisten‘. Über die Voraussetzungen der Erfolge von FPÖ und AfD, in: Stephan Grigat (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Baden-Baden: Nomos, 165–181.

[ii] Stephan Grigat (2009): „Projektion“ – „Überidentifikation“ – „Philozionismus“. Der Vorwurf des Philosemitismus an die antideutsche Linke, in: Irene A. Diekmann/Elke-Vera Kotowski (Hg.), Geliebter Feind. Gehasster Freund. Antisemitismus und Philosemitismus in Geschichte und Gegenwart. Festschrift zum 65. Geburtstag von Julius H. Schoeps, Berlin: Verlag für Berlin-Brandenburg, 467–485, 481.

[iii] Stephan Grigat (2006): Befreite Gesellschaft und Israel. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus, in: Stephan Grigat (Hg.), Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg: ça ira, 115–129, online unter http://buecher.hagalil.com/ca-ira/grigat-3.htm (eingesehen am 05.11.2017).

[iv] Der Band umfasst nur zehn Beiträge (Stephan Grigat, Samuel Salzborn, Marc Grimm/Bodo Kahmann, Juliane Lang, Christoph Kopke/Alexander Lorenz, Heribert Schiedel, Bernhard Weidinger, Karin Stögner, Gerhard Scheit, Franziska Krah) und ein Geleitwort von Julius H. Schoeps vom Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam. Bezeichnenderweise wird dieser unglaubliche Beitrag von Scheit in dem Band in einer langen, ganzseitigen und überschwänglich lobhudelnden Rezension in der Zeitschrift der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) nicht einmal kursorisch erwähnt, geschweige denn attackiert, Lothar Galow-Bergemann (2017): Rezension von Grigat (Hg), AfD & FPÖ, in: DIG Magazin 2/2017, 50.

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100 Jahre Balfour-Deklaration und ihre Feinde – der Marc Jongen der Palästinenser: Rashid Khalidi

Von Dr. Clemens Heni, 3. November 2017

Ein Gegenintellektueller ist eine Person, die sich gerade nicht die Mühe der Analyse und Kritik von Mythen, Traditionen, alten wie bestehenden Herrschaftsstrukturen macht. Der Soziologe Siegfried Kracauer (1899–1966) definierte sehr präzise, was „Intellekt“ ist: „Nichts anderes ist der Intellekt als das Instrument der Zerstörung aller mythischen Bestände in und um uns.“

Bis heute sind somit die Intellektuellen die Erzfeinde der AfD, von Nazis, weiten Teilen des Mainstreams, und nicht wenigen Linken. Jene, die als „rechte Intellektuelle“ bezeichnet werden, sind in Wahrheit Gegenintellektuelle, sie möchten ja gerade nicht die „mythischen Bestände“ wie die Wartburg-, Luther- wie Burschenschaftstraditionen zerstören, sondern reaktivieren. Sie sind reaktionäre Gegenintellektuelle.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem palästinensischen Agitator Rashid Khalidi aus New York City. Auch er ist ein als Intellektueller vorgestellter Gegenintellektueller. Er hält die „Edward Said“ Professur „of Modern Arab Studies“ and der Columbia University. Vor wenigen Wochen sprach er dort in der ihm typischen Diktion über die „Opfer“ der Balfour-Deklaration, die am 2. November 1917 Lord Rothschild in London übergeben wurde.

Der Deutschlandfunk, der sicher nicht Staatsfunk genannt werden möchte (das hörte sich nach Ideologie und DDR an), berichtet völlig euphorisch über Khalidi und zitiert dessen Ideologie exzessiv. Demnach sei die Balfour-Deklaration ein koloniales Projekt der Briten gewesen und der Deutschlandfunk in Person von Ruth Kinet resümiert in antiisraelischer Diktion: „Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist lösbar: Israelis und Palästinenser könnten mit einander ins Gespräch kommen. Sie könnten lernen, die Geschichte des anderen nicht länger zu leugnen – lernen, das Erbe des anderen anzuerkennen und zu respektieren. Sie müssten Abschied nehmen von dem Geist, den die Balfour-Erklärung atmet und der mit dem Schicksal anderer auf größtmöglichen eigenen Gewinn spekuliert.“

Das ist natürlich kitschig gesagt und die Autorin widerlegt ihren Willen zur Verständigung in ihrem eigenen Artikel, indem sie sich auf einen der übelsten und berüchtigtsten Agitatoren gegen Israel überhaupt bezieht, Rashid Khalidi.

Kinet hat 2003 an der Freien Universität Berlin mit einer kleinen Studie über Kolonialpolitik in Kongo promoviert. Die wissenschaftliche Analyse von Antisemitismus und Antizionismus scheint nicht zu ihrem Schwerpunkt zu gehören. Denn wie kommt sie darauf, den Hörer*innen den Hardcore-Israelfeind Rashid Khalidi, der 2017 in einem so unwissenschaftlichen wie aggressiv antiisraelischen Buch[1] mit dem BDS-Gründer Omar Barghouti als Autor auftaucht, als seriösen Gewährsmann zu präsentieren? Khalidi erwähnt doch nie, wer für den Nahostkonflikt primär verantwortlich zeichnet: jene Araber, die später Palästinenser genannt werden, die sich 1937 (Peel-Commission) und 1947 und bis heute weigern, einen jüdischen Staat im Nahen Osten zu akzeptieren und auch keinen arabischen Staat, wie er ihnen 1937, 1947 und später angeboten wurde, zu akzeptieren.

Wie kommt Kinet darauf, Khalidi so positiv einzuführen? Khalidi war immerhin Sprecher in Beirut der damals (in den 1970er und 1980er Jahren) als Terrororganisation eingestuften PLO. Sein Vorbild, nach dem sein Lehrstuhl an der Columbia University benannt ist, Edward Said, war ein antizionistischer Antisemit, wie die Forschung gezeigt hat. Der Staatsfunk, wenn wir ihn mal so nennen wollen, sekundiert damit nur die Bundesregierung, die in Berlin eine pompöse Barenboim-Said-Akademie bauen ließ, wie Thomas Weidauer und ich kritisieren:

„Schon 1969 bezeichnete Edward Said (1935–2003) die Araber als ‚die neuen Juden‘. 1979 setzte er Israel mit dem südafrikanischen Apartheidstaat gleich. In seinem bekanntesten Buch Orientalismus von 1978, denunzierte er Israel als das letzte orientalistische, also imperialistische, westliche und rassistische Land. 1987 sagte Said in einem Interview, die Juden hätten die Lehren aus ihrem eigenen Leiden unter Nazi-Deutschland nicht gezogen. Für ihn verhalten sich die Juden/Israeli gegenüber den Palästinensern heute so, wie die Nazis sich gegenüber den Juden verhalten haben. Diese Ideologie wird nun offenbar sehenden Auges von der deutschen Bundesregierung mit 20 Millionen Euro Baukosten plus Teilen der laufenden Kosten nach Eröffnung der Akademie unterstützt. Deutschland, Deutschland, du tüchtiges Land.“

Juden gingen schon 1947 Kompromisse ein, aber die Araber verweigerten sich. Darüber spricht Khalidi nicht. Und da sind wir beim Thema Antisemitismus, islamistisch[2] wie arabisch-sozialistisch-nationalistisch[3].

Kinet führt Khalidi für die Hörer*innen als angeblich seriöse Quelle der Columbia Universität ein. So wie kürzlich das Bard College in New York den AfDler Marc Jongen zu einer Hannah-Arendt-Tagung einlud, wohl wissend wie rechtsextrem Jongen agitiert und für was die AfD steht. Es gab Proteste gegen diese Einladung, aber da waren dann so obskure und selbst höchst problematische Figuren wie Judith Butler mit dabei. Butler ist ja bekanntlich eine führende antizionistische Jüdin, quasi eine Art Kumpel von Khalidi, beide delegitimieren den jüdischen Staat, mal aus jüdischer, mal aus arabischer Perspektive.

Die Deutschlandfunk-Autorin zitiert auch Mahmoud Abbas, der fordert, England solle sich für die Balfour-Deklaration entschuldigen. Für eine solche „Entschuldigung“ führt Kinet noch weitere angeblich seriöse Stimmen an. Doch vielmehr sollte sich Abbas mal entschuldigen dafür, dass in den palästinensischen Autonomiegebieten Massenmördern wie Saddam Hussein (der im März 1988 bis zu 5000 Kurden mit deutschem Giftgas in der irakischen Stadt Halabdscha ermorden ließ) mit Denkmälern gedacht wird, wie vor kurzem in der Stadt Kalkilia geschehen.

Die Balfour-Deklaration ist ein historisches Dokument, das die ungeheure Bedeutung von Diplomatie zeigt und das auch beurkundet, wie international Israel schon Jahrzehnte vor Staatsgründung anerkannt war. Die einzigen, die Juden das Recht in ihrem alten Land zu leben bestreiten – egal wie groß dieses Land nun ist –, sind die Palästinenser, die damals noch gar nicht so hießen, sondern Araber genannt wurden.

Wie der israelisch-amerikanische Historiker Martin Kramer im Juni 2017 in einem langen Beitrag im Mosaic Magazine en detail zeigt, war die Balfour-Deklaration ein diplomatisches Meisterstück, das primär dem zionistischen Politiker Chaim Weizmann und dem zionistischen Diplomaten und Historiker Nahum Sokolov zu verdanken ist. Sokolov schaffte es im Vorfeld, sowohl Frankreich, den Vatikan und Italien zu pro-zionistischen Stellungnahmen, wenn auch unverbindlichen, zu bewegen.

Auch Amerikas Woodrow Wilson ließ sich durch Louis D. Brandeis, einem Kollegen von Sokolov in USA, von der politischen Selbstbestimmung der Juden, auf die sie ein Recht haben, überzeugen.

Der französische Außenminister Cambon ging sogar so weit, vom historischen Recht der Juden auf Rückkehr („Renaissance of the Jewish nationality“) (!) in ihr Land zu sprechen, wie Kramer betont. Kramer unterstreicht, wie wichtig es den Zionisten war, öffentlich zu argumentieren und gerade keine Geheimabsprachen zu treffen. Es war der Beginn der öffentlichen Diplomatie. Kramer bringt das in Beziehung zu jüdischer „Hasbarah“ (Erklärung). Entgegen den Arabern hatten die Juden öffentliche Diplomatie praktiziert, was ein Erklärungsfaktor sein mag, warum die Araber weniger Erfolg hatten. Im Geheimen hatten auch arabischer Diplomaten Zugeständnisse bekommen, aber es nicht geschafft, da dran zu bleiben und öffentliche Diplomatie zu betreiben.

Von all diesen diplomatischen Errungenschaften der Juden und Zionisten ist im Deutschlandfunk wenig Positives zu hören, es wird nur kurz angerissen und die zentrale diplomatische Rolle Sokolovs gerade nicht dargestellt. Dafür wird Rashid Khalidi ausführlich zitiert und behauptet, England beziehungsweise Großbritannien habe ausschließlich koloniale Politik betrieben[4] – dass gerade die Balfour Deklaration auf der Zustimmung auch Frankreichs, Italiens, des Vatikans, den USA und Japans wie Chinas basierte,[5] und diese internationale Zustimmung gerade Frankreichs, der USA, Italiens und des Vatikans zentral war für die britische Zustimmung, davon erfahren die Hörer*innen nichts.

Der Kern ist weiterhin, dass die Araber die Teilung des Landes 1937, 1947 und seither abgelehnt haben. Das rechtfertigt nicht falsche israelische Politiken, die gerade in Israel heftig umstritten sind, wie die Besatzung des Westjordanlandes. Das rechtfertigt auch keine Sekunde jüdischen Rassismus gegen Araber, den es in den letzten Jahren zunehmend gibt. Doch im Gegensatz zu den Palästinensern hat Israel eine sehr ausdifferenzierte Zivilgesellschaft. Aber ohne einen offensiven Kampf der Palästinenser selbst gegen muslimischen wie arabischen Antisemitismus wird es schwer, eine Zweistaatenlösung zu erreichen. Es muss um eine Anerkennung Israels als jüdischer Staat gehen, daran geht kein Weg vorbei.

Die Araber haben kein Problem in einem arabischen Land zu leben, auch wenn sie seit 1948 weder von Ägypten, noch Jordanien, dem Libanon oder einem anderen arabischen Land mit offenen Armen aufgenommen wurden. Vielmehr wird seit damals ein zynisches Spiel mit den palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen gespielt und diese spielen häufig gerne mit. Juden hingegen hätten ohne eine jüdische Mehrheit im Staat Israel keine Chance im Nahen Osten zu überleben.

Das Problem mit der AfD wird von einigen Leuten sehr wohl erkannt, auch wenn jene pro-rechtsextremen Dauerschwätzer, die „Mit Rechten reden“ wollen, den Diskurs im Anne-Will-Land natürlich prägen. Es geht ja in Deutschland um Konsens, nicht um gut oder böse, sondern um das Umarmen von Nazis, die nach der Umarmung keine mehr seien. So also sei es auch mit den antisemitischen Israelhassern.

Man müsse nur auf sie zugehen und sie so ausführlich zitieren wie Ruth Kinet es tut, ohne zu sagen, wer Rashid Khalidi wirklich ist, und für was für eine antiisraelische Ideologie er steht. Er hat gar nicht die Absicht, Israel zu verbessern, lediglich die Besatzung zu kritisieren und Israel als jüdische Demokratie zu verteidigen. Nein, Khalidi will Israel als jüdischen Staat zerstören. Khalidi unterstützt 2017 die antisemitische BDS-Bewegung, auch dazu kein Wort vom Deutschlandfunk und seiner Autorin Ruth Kinet. Khalidi fordert das Rückkehrrecht für die 1948 vertriebenen Palästinenser, eines der zentralen Hindernisse für eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinensern. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel sich eindeutig gegen BDS ausspricht, scheint der DLF mit einem der weltweit einflussreichsten BDS-Protagonisten, Rashid Khalidi, kein Problem zu haben.

Der Deutschlandfunk pusht also nicht nur die Agenda der AfD, wie in einer Sendung am 1. November 2017, die der Journalist Peter Nowak zerpflückt, sondern hat auch kein Problem mit einem der führenden BDS-Aktivisten wie Khalidi.

Der Band von Edlinger von 2017, mit dem Beitrag von Deutschlandfunk-Referenz Rashid Khalidi, ist symptomatisch für den antisemitischen Antizionismus: gerade die linken Zionisten wie Peres werden diffamiert. Es geht also nicht um eine Kritik an der Besatzung, die Peres sehr wohl teilte, sondern um eine Frontalattacke auf den Zionismus und jüdisches Leben im eigenen Staat.

Die Balfour-Deklaration war ein Meilenstein in der Geschichte, eine wundervolle Erfolgsgeschichte zionistischer Politik, von öffentlicher Diplomatie und internationaler Anerkennung des jüdischen Rechts auf eine Rückkehr nach Zion. Die Balfour-Deklaration unterstützt jüdische Selbstbestimmung wie jüdische Souveränität. Die Balfour-Deklaration sei auch jenen linken Israelfreunden und vielen anderen ins Stammbuch geschrieben, weil sie wie kein zweites Dokument belegt, dass der Zionismus der Grund für den Staat Israel ist, und gerade nicht der Holocaust.

 

[1] Fritz Edlinger (2017): Palästina – 100 Jahre leere Versprechen. Geschichte eines Weltkonflikts, Wien: Promedia. Die Balfour Deklaration wird im Vorwort des Herausgebers Fritz Edlinger nicht nur abgelehnt, sondern auf den 4.11.1917 verlegt. Edlinger agitiert insbesondere gegen linke Zionisten und linke Israelis wie Shimon Peres und bezieht sich dabei auf eine Kollegin der Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum, die Ex-Israelin Tamar Amar-Dahl, die von Schüler-Springorum vor einigen Jahren eingeladen wurde, ihre Hetzschrift gegen Peres am Institut für die Geschichte der Deutschen Juden (!) vorzustellen.

[2] Von Hasan al-Banna, dessen euphorische Biographin Gudrun Krämer jüngst auf einer Konferenz des Jüdischen Museums Berlin auftrat, über den Mufti von Jerusalem zum Iran, Hamas und Hizbollah etc. pp. Krämer hat auch positiv über Scheich Yusuf al-Qaradawi aus Katar publiziert, einen der führenden sunnitischen Judenfeinde weltweit überhaupt.

[3] Von Nasser über die PLO bis hin zu Saddam Hussein etc.

[4] „Waren Zionisten und Araber Figuren auf dem imperialen Schachbrett der Briten? Rashid Khalidi kann diese These mit seinen Forschungen belegen:

“Ausschlaggebend für die Balfour-Erklärung war die Überzeugung der Briten, dass sie Palästina als Brückenkopf und strategischen Puffer im Osten Ägyptens brauchten. Zu dieser Erkenntnis waren sie schon vor dem Ersten Weltkrieg gekommen, zwischen 1906 und 1914. Als die osmanische Armee 1915 dann den Suez-Kanal erreichte, verschärfte sich die strategische Dringlichkeit der Absicherung Ägyptens im Osten noch. Und deshalb war die britische Regierung so überzeugt von der Idee ‚Wir müssen Palästina kontrollieren’. Das ist der eigentliche Antrieb hinter der Balfour-Erklärung. Ihr Zustandekommen hat gar nicht primär etwas mit den Zionisten zu tun. Der Weg aber, auf dem die Briten ihr strategisches Ziel erreichten, führte über die Unterstützung des Zionismus und hatte damit zu tun, dass die Briten die USA zum Eintritt in den Krieg bewegen wollten und dass manche von ihnen aus philosemitischen, andere aus antisemitischen Motiven das Entstehen einer nationalen Heimstatt für die Juden in Palästina sinnvoll fanden. Aber meiner Einschätzung nach waren das lediglich zweitrangige Überlegungen.” Das ist für den Deutschlandfunk keine Ideologie, sondern ein „Beleg“, was nur wiederum andeutet, wie unprofessionell dort gearbeitet wird. Während in explizit „jüdischen“ Sendungen wie am 27.10.2017 pro-israelische Positionen (die wiederum sehr unprofessionell vermittelt wurden) geduldet werden, kommt der Deutschlandfunk am 2. November 2017 wieder ganz zu sich und agiert und agitiert gegen den Zionismus und zieht einen der übelsten Agitatoren gegen den jüdischen Staat Israel, Rashid Khalidi, als angeblich seriöse Quelle heran.

[5] Martin Kramer schreibt dazu: „The Zionists collected other endorsements, some outright, some with emendations. The most important came from Italy and Japan—the two states that, along with Britain and France, would participate in the San Remo conference and become permanent members of the Council of the League of Nations. In May 1918, the Italian government pledged to Sokolow to help ‘facilitate the establishment in Palestine of a Jewish national center (centro nazionale ebraico).’ In January 1919, Japan informed Weizmann that ‘the Japanese Government gladly take note of the Zionist aspirations to establish in Palestine a national home for the Jewish people and they look forward with a sympathetic interest to the realization of such desire.’ (Similar endorsements came from Siam and China, the other two then-independent states of East Asia.)”

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Wie der Deutschlandfunk den Antisemitismus klein redet, ohne es zu merken

Von Dr. Clemens Heni, 29. Oktober 2017

In einem Beitrag der Journalistin Kirsten Serup-Bilfeldt im Deutschlandfunk vom 27. Oktober 2017 in der Radiosendung „Aus der jüdischen Welt“ geht es um Antisemitismus. Titel der Sendung ist „Der ‚gebildete‘ Antisemitismus als Herausforderung“.

Völlig zurecht geht es gegen Pfarrer, die sich für die 2005 gegründete Boykottbewegung gegen Israel, BDS – Boykott Divestment Sanctions, engagieren, oder gegen muslimische Antisemiten, die 2014 massenhaft auf Demonstrationen antijüdische und antiisraelische Parolen riefen (auch wenn die jetzt sicher nicht unter „gebildet“ fallen) und das in einer extremen Aggressivität. Ergänzen könnte man: BDS war z.B. gern gesehen auf den Berliner Festspielen 2017, dem internationalen literaturfestival.

Sodann geht es in dem DLF Beitrag um den Wandel der Studentenorganisationen wie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und vieler anderer Gruppierungen von einer pro-israelischen Haltung vor 1967 zu einer antiisraelischen Position nach dem Sechstagekrieg von Juni 1967.

Schockierend war die Geiselnahme und Selektion von Juden während der Flugzeugentführung nach Entebbe im Juni 1976, als linke Terroristen der Revolutionären Zellen Israelis und Passagiere mit jüdischen Namen von den anderen Passagieren selektierten. Das ist zwar alles nichts Neues – ich selbst habe den Antizionismus der deutschen Linken, Entebbe 1976 und die RZ in einer Broschüre Anfang 2001 als Teil einer kleinen autonomen Gruppe in Bremen analysiert –, wenn auch weiterhin wichtig zu bemerken.

Die Absurdität des ganzen Beitrags im DLF zeigt sich jedoch gleich zu Beginn, als im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar die Geschichte eines alten Nazis und Mitglieds der Sozialistischen Reichspartei (SRP), die von 1949 bis 1952 existierte, erwähnt und resümiert wird:

„Das ist lange her. Heute ist alles anders! Heute gibt es selbstverständlich überhaupt keine Antisemiten mehr, sondern nur noch ‘Israelkritiker’. Die bleiben dann schon mal demonstrativ sitzen, wenn sich etwa die anderen Mitglieder des Bundestags erheben, um der ermordeten Juden Europas zu gedenken.“

Heute seien also die Linken das primäre Problem, denn die seien die einzigen Bösen, die “Israelkritiker”, ein in der Tat abstruses Wort (wie wäre es mit Neuseelandkritik?). Das zeigt sich auch in der – neben der zitierten, kürzlich tragisch verstorbenen Politologin Sylke Tempel – anderen Kronzeugin für dieses „Argument“, der Linguistin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin, die mehrfach herangezogen wird.

Der Antisemitismus vieler Linker ist ein großes Problem, und seien es tausende Briefe mit Klarnamen an den Zentralrat der Juden in Deutschland oder an die israelische Botschaft. Aber trotzdem ist diese Stelle mit dem SRP-Politiker im DLF unfassbar falsch und leugnet, was hier und heute in diesem Land passiert.

Der ganze Beitrag vom 27. Oktober 2017 schafft es nämlich, mit keinem Wort den Einzug der ersten neonazistischen und somit antisemitischen Partei in den Deutschen Bundestag am 24. September 2017 zu erwähnen.

Kein Wort über die Alternative für Deutschland (AfD). Nicht ein einziges Wort. Man glaubt das gar nicht, aber so ist es. Der schockierendste Moment für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland seit 1949, der Einzug der AfD in den Bundestag, wird nicht erwähnt, als ob er nicht stattgefunden habe am 24. September 2017.

Es geht gerade nicht um eine altnazistische Partei oder um alte Nazis, was in den späten 1940er und den 1950er Jahren eklig genug war, nein: Der Einzug von neuen Nazis, jungen Nazis, die alle nicht in der NSDAP waren, aber genauso stolz sind auf die Wehrmacht wie die alten Nazis, dieser Einzug wird im Beitrag von Serup-Bilfeldt nicht mit einem einzigen Wort erwähnt.

Hingegen wird vom DLF postuliert:

„Der altbekannte Vulgärantisemit mit Glatze, Springerstiefeln und den ‚Protokollen der Weisen von Zion‘ im Regal ist heute fast zum Auslaufmodell geworden. Den Kreis erweitert haben zusätzliche Spielarten: der muslimische sowie der sogenannte ‚gebildete‘ und als dessen ‚Untergruppierung‘ der linksintellektuelle Antisemitismus.“

„Fast zum Auslaufmodell“? 2016 wurde ein Anhänger der antisemitischen Fälschung, der Protokolle der Weisen von Zion, für die AfD in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt: Wolfgang Gedeon. Sein Buch von 2012 „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ mit positiven Bezügen zu den „Protokollen“ lag zuvor auf den Parteitagen der AfD aus, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, was niemanden bei der AfD störte.

In seinem Buch agitiert Gedeon gegen den Feminismus, er hetzt gegen das Judentum und wendet sich gegen eine „Judaisierung der christlichen Religion und Zionisierung der westlichen Politik“. Im August 2016 hatte ich diesen Antisemitismus und Antizionismus von Gedeon im Tablet Magazine in den USA kritisiert. Evtl. kann der DLF kein Englisch, aber es gibt auch in deutscher Sprache Kritiken am Antisemitismus von Wolfgang Gedeon.

Der Antisemitismus der AfD zeigt sich jedoch vor allem in der Rehabilitierung des Zweiten Weltkriegs und dem Preisen der „Leistungen“ deutscher Soldaten während des Zweiten Weltkriegs durch Alexander Gauland. Björn Höckes Agitationsstil wurde als Kopie von Joseph Goebbels analysiert und seine Agitation gegen das Holocaustmahnmal, das er als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet, sind weitere Beispiele für die Erinnerungsabwehr und den sekundären Antisemitismus. Ja, das Lob für die deutschen Landser, deren „Leistungen“ die Durchführung des Holocaust erst möglich machten, ist eine Bejahung des Holocaust, bei Gedeon zeigt sich das zudem in seiner Bezeichnung des Holocaustleugners und Neonazis Horst Mahler als „Dissident“.

Der Antisemitismus der AfD zeigt sich auch an Markus Frohnmaier, der jetzt im Bundestag sitzt, und ein Freund des islamistischen und antisemitischen Regimes des Iran ist. Sein Kumpel, der Neonazi Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der rechtsextremen Zeitschrift „Zuerst“, quasi Nachfolgerin der Nazizeitschrift “Nation Europa” von Arthur Ehrhardt, publizierte demnach das Buch „Die Macht der zionistischen Lobby in Deutschland“, das mit der Hilfe des islamistischen Regimes ins Persische übersetzt wurde. Frohnmaier ist mit Ochsenreiter und anderen am „Zentrum für Eurasische Studien“ beteiligt, einem pro-russischen und pro-iranischen Think Tank. Man sieht den Antisemitismus auch indirekt, wenn Frohnmaier postet, wie er ein Buch des antisemitischen Juristen des SS-Staates, Carl Schmitt, präsentiert.

Der Deutschlandfunk Beitrag behauptet sodann Folgendes:

„Es gibt denn auch heute keinen Judenhass, der nichts mit dem Judenstaat zu tun hätte. Wir haben es inzwischen mit einer regelrechten ‚Israelisierung‘ des Antisemitismus zu tun.“

Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Es gibt viele aktuelle Formen von Antisemitismus, die rein gar nichts mit Israel zu tun haben.

2012 gab es im Zuge eines Urteils am Landgericht Köln eine nie dagewesene Agitation gegen die jüdische Beschneidung, was Juden in ganz Europa entsetzte. Dazu hat der Literaturwissenschaftler und Forscher in Jüdischen Studien in Basel, Alfred Bodenheimer, ein Büchlein publiziert: „Haut ab!“ Diese Attacke auf das Judentum hat ganz offenkundig gar nichts mit Israel zu tun und widerlegt die absurde These im Deutschlandfunk, jeder heutige Antisemitismus habe mit dem Judenstaat zu tun, ja es gebe eine „Israelisierung des Antisemitismus“.

Wie falsch diese These des DLF ist, zeigte sich 2012 noch an einem anderen Beispiel, als Joachim Gauck von 90% der Wahlfrauen und –männer zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Gauck setzt rot und braun gleich, vergleicht den Nationalsozialismus mit der DDR, wehrt die „Einzigartigkeit“ des Holocaust ab und fabuliert im Duktus des ostdeutschen Pfarrers, jene, die die Einzigartigkeit betonten, wollten nur ein „inneres Loch“ stopfen, das den Gottlosen zu schaffen mache.

Gauck ist ein wesentlicher Vertreter dieser Form des sekundären Antisemitismus, jenem nach Sobibor und Treblinka, seine Mitarbeit am „Schwarzbuch des Kommunismus“ 1998, seine Unterschrift unter der Prager Deklaration 2008 und sein Einsatz für die Einführung des 23. August als einheitlichem Feiertag in Europa (am 23.8.1939 wurde der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen) sind Ausdruck dieser Gleichsetzerei und Abwehr der deutschen Schuld. Auch hier haben wir es mit Antisemitismus zu tun, aber nicht mit Israel.

Wie schnell die ganz normalen Deutschen fuchsteufelswild werden, wenn man die Spezifik von Auschwitz betont und Gauck attackiert, musste der Journalist Deniz Yücel erleben, dem vom damaligen Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Jürgen Trittin, „Schweinejournalismus“ vorgeworfen wurde. Es gibt internationale Kritik am „Super-GAUck“.

Die 90% Stimmen für Gauck in der Bundesversammlung oder die knapp sechs Millionen Stimmen für die AfD bei der Bundestagswahl 2017 plus die Millionen Stimmen, die sie bei Landtagswahlen erhalten hat, indizieren, wie salonfähig Antisemitismus heute wieder ist. Und zwar der extrem rechte Antisemitismus, der bis weit in die Mitte der Gesellschaft strahlt.

Und auch der Antisemitismus eines Gedeon, der den Verschwörungswahnsinn von Millionen von Menschen bedient, denken wir nur an die unfassbaren Erfolge von Verschwörungsliteratur im Zuge des 11. September 2001, und sein Bezug auf die Protokolle hat erstmal nichts mit Israel zu tun, die Protokolle stammen von Anfang des 20. Jahrhunderts und sind genuin antisemitisch. Das kann man auch, wie es Gedeon tut, auf Israel beziehen, aber schon die antisemitische Fantasie von jüdischer Lobby und Macht in USA funktioniert auch völlig ohne den Bezug zu Israel.

All das ist nicht nur kein Thema für den Deutschlandfunk, sondern es wird sogar postuliert, jede Form des heutigen Antisemitismus sei auf Israel bezogen. Der auf Israel bezogene Antisemitismus ist schlimm genug und äußerst gefährlich, doch jede heutige Form des Antisemitismus als Israel bezogenen zu bezeichnen, ist schlichtweg falsch, unwissenschaftlich und hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Dabei ist die Ablehnung Israels als der jüdische Staat in der Tat sehr weit verbreitet. Der Adornopreis 2012 für die Antizionistin Judith Butler war ein Schock und verhöhnte damit das Andenken des 1969 gestorbenen pro-israelischen Kritischen Theoretikers.

Dieser linke Antisemitismus einer Judith Butler ist also ein sehr wichtiges Thema. Das betrifft auch weite Teile der Linkspartei, ohne zu vergessen, dass es gerade auch in der Linkspartei sehr gute und lautstarke Freunde Israels und Kritiker*innen des Antisemitismus gibt (man denke an Petra Pau oder Klaus Lederer).

Aber so unglaublich reduktionistisch und undifferenziert, ja völlig unwissenschaftlich und journalistisch desolat wie Kirsten Serup-Bilfeldt und der Deutschlandfunk – der ja wohl auch Redakteur*innen haben dürfte, die sich so einen Beitrag vor einer Sendung  anschauen – hier Antisemitismus darstellen und somit klein reden, das ist Ausdruck einer Fanatisierung und Entprofessionalisierung der sog. Israelszene.

Und dieser Radiobeitrag ist nur das jüngste Beispiel für so eine Fanatisierung und Entprofessionalisierung der Israelszene, jener „Pro-Israel-Film“ von Joachim Schröder und Sophie Hafner im Juni 2017, der von der linken Monatszeitschrift Konkret wie dem Springer-Konzern und der Bild-Zeitung promotet und verteidigt wurde, steht dafür sinnbildlich. Die Fehler dieses Filmes habe ich en detail analysiert. Dann gab es die Kampagne gegen Michael Müller von der SPD, der wie vor Jahren der Judenhasser Ahmadinejad aus Iran auf die Liste der 10 schlimmsten antisemitischen und antiisraelischen Beschuldigungen 2017 des Simon Wiesenthal Centers kommen sollte. Auch dazu habe ich en detail gezeigt, warum das einen Realitätsverlust des SWC und seinem Sprachrohr, Benjamin Weinthal von der Jerusalem Post, gleichkommt. Der Deutschlandfunk gab auch dem Historiker Michael Wolffsohn Raum für seine Verharmlosung der AfD.

Es wird im dem Deutschlandfunk Beitrag vom 27. Oktober 2017 mit keinem Wort auch nur angedeutet, dass es in Israel linkszionistische Stimmen gibt, die sich gegen die Regierung Netanyahu und die extrem rechte politische Kultur des Landes wenden und somit nicht jede Kritik an Israel antisemitisch ist. Ganz im Gegenteil gibt es Kritik, die den Zionismus retten und Juden schützen möchte. Vor wenigen Tagen wurde in der ultraorthodoxen Stadt Bnei Brak ein Graffiti gesprüht, das den israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin als „Nazi convert“ diffamiert. Viele in Israel sind alarmiert, denn mit der Hetze gegen Jitzchak Rabin ging es 1995 los, auch er wurde als Nazi diffamiert und dann von einem israelischen Rechtsextremisten erschossen.

Es gibt eine linke Kritik an der Besatzungspolitik Israels, ohne mit einem Ton den arabischen und palästinensischen Antisemitismus, der rein gar nichts mit Kritik an der Besatzung zu tun hat, zu verharmlosen oder außer Acht zu lassen. Aber von der Besatzung zu schweigen, ist schlichtweg in Israel hier und heute Ausdruck des extremen Rechtskurses, der von den Israelszene weltweit auch noch goutiert wird.

Das alles zeigt nur, wie wenig sich gerade die selbst ernannten Israelfreunde für die Juden und für den jüdischen Staat Israel interessieren.

Der Deutschlandfunk hat völlig recht, wenn er eine Sendung zu und gegen den Antisemitismus macht. Aber so wie das Kirsten Serup-Bilfeldt am 27. Oktober 2017 durchführte, schadet dieser Einsatz der Analyse und Kritik des Antisemitismus und somit auch Israel. Niemand nimmt die Kritik am Antisemitismus noch ernst, wenn sie, wie gezeigt, auf so desolate und reduktionistische Art und Weise vorgetragen wird. Auch zum aktuellen Lobhudeln des Antisemiten Martin Luther sagt der Beitrag rein gar nichts, so als ob es einfach so zu goutieren sei, dass einem der wirkungsmächtigsten Judenfeinde aller Zeiten ein Feiertag gewidmet wird und viele Luthers Antisemitismus noch nicht einmal am Rande thematisieren.

Der Journalist Michel Friedman analysiert die AfD am 28. Oktober 2017 glasklar:

„Die Bundesrepublik Deutschland baut auf das Fundament, aus den Fehlern des Dritten Reichs gelernt zu haben. Wenn AfD-Politiker behaupten, dass man auf Soldaten beider Weltkriege stolz sein kann, dann verwischt sich diese Erkenntnis. Es waren nun einmal nicht wenige Soldaten der Wehrmacht, die in vielen Dörfern Tausende Zivilisten brutal geschlachtet haben. Es war nun einmal die Wehrmacht, die selbst, als sie wusste, dass Deutschland Massenvernichtungslager betrieb, dem Diktator Hitler den Dienst nicht verweigerte.“

Und weiter schreibt Friedman:

„Auch die Mehrheitsgesellschaft muss sich vorwerfen lassen, viel zu lange rechte verbale wie tatsächliche Gewalt nicht zur Kenntnis genommen zu haben. In den vergangenen Jahrzehnten identifizierten wir Neonazis an ihren Springerstiefeln und kurzgeschorenen Haaren. Wir wollten uns nicht eingestehen, dass hinter ihnen viele intellektuelle und wohlhabende Bürger stehen, die sie mit ihren Infrastrukturen unterstützt haben. Sympathisanten!

Sie sind gut gebildet, Akademiker und kommen aus bürgerlichen Schichten. Niemand in diesem Land kann mehr sagen, er habe es nicht gewusst. Niemand in diesem Land kann mehr sagen, ich wasche meine Hände in Unschuld. Und niemand in diesem Land kann sagen, dass eine Partei, die demokratisch gewählt wurde, deshalb auch schon eine demokratische ist.“

Dass nun der Deutschlandfunk die Pro-Wehrmacht und somit Pro-Holocaust Position der AfD nicht zum Schwerpunkt seines Beitrags über heutigen „gebildeten“ Antisemitismus macht und auch über den Rassismus oder die verfassungsfeindliche Hetze gegen den Islam, der keine Religion sei, nicht einmal einen Halbsatz verliert, ist schon erschreckend.

Aber die AfD, die erste neo-nazistische Partei im Deutschen Bundestag in einem aktuellen Beitrag über Antisemitismus mit keinem einzigen Wort zu erwähnen, das ist so unfassbar, so unprofessionell, so unwahr, so skandalös, so gegen jeden seriösen Journalismus gerichtet, dass man es kaum glauben kann. Doch das ist die politische Kultur im Zeitalter des Trumpismus und der AfDisierung. Und die selbst ernannte Israelszene hat ein Problem mit der Wirklichkeit und mit der Wahrheit.

So eine Vertrottelung der Israelsolidarität hat Israel natürlich nicht verdient, nicht nur Anhänger*innen des Linkszionismus schütteln mit dem Kopf. Und der Kampf gegen den Antisemitismus braucht auch ganz andere Medien und ein ganz anderes Niveau als solche Sendungen im Deutschlandfunk.

 

Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, Chefredakteur des Journal of Contemporary Antisemitism  (JCA) des Verlags Academic Studies Press in Boston, USA, und seit 2011 Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA). Im September 2017 publizierte er sein jüngstes Buch, Eine Alternative zu Deutschland. Essays.

©ClemensHeni

 

Kein BDS und keine antisemitische Propaganda auf dem Kongress „Democracy and Freedom“ im Haus der Berliner Festspiele am 9. September 2017: Der Fall Stefan Weidner und Selma Dabbagh

Von Dr. phil. Clemens Heni, 9. Septermber 2017

Die Nazis oder „Rechtsradikalen“ von Pegida und der AfD bestimmen die politische Diskussion und mit der AfD wird erstmals im „neuen“ Deutschland seit 1990 eine rechtsextreme Partei, die das Naziwort schlechthin – „völkisch“ – wieder positiv besetzen möchte (Frauke Petry), am 24. September 2017 in den Bundestag einziehen, wenn nicht noch ein Wunder passiert. Die Antinazis sind die Guten. Sie sind links, liberal, linksliberal, gebildet, Literatur affin und Diskurs liebend.

So das „internationale Literaturfestival“ in Berlin. Dieses Jahr gibt es vom 8.–10. September 2017 einen großen „international congress for democracy and freedom“. „Hauptförderer“ des Kongresses ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Initiative „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ der Bundesregierung, sowie die Zeit-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, „Förderer“ sind die Bundeszentrale für politische Bildung, die Heinrich Böll Stiftung, Allianz Kulturstiftung … for Europe, die BertelsmannStiftung, Zu Gast im Haus der Berliner Festspiele, die BMW Foundation Herbert Quandt und die Sergej Mawrizki Stiftung und „Partner und Medienpartner“ sind der Klett-Cotta Verlag sowie das Kulturradio 92,4 des rbb.

Eine Mainstream-Veranstaltung, mehr kulturelle und kulturpolitische Elite geht nicht. Jeder Mensch sollte aber spätestens seit der zweiten Intifada im Herbst 2000 und dem 11. September 2001, der sich am Montag, wo es auch noch Veranstaltungen gibt, jährt, aber im Programm überhaupt nicht erwähnt wird, alarmiert sein, wie Israel, Juden und der Zionismus thematisiert werden.

Es gibt auf dem Kongress ein Panel zum Nahen Osten. Was wäre naheliegender als Israel als Beispiel für Demokratie und Freiheit den arabischen, jihadistischen, islamistischen Regimes und diktatorischen Herrschern gegenüberzustellen? Man könnte sogar linkszionistische Kritiker*innen zu Wort kommen lassen. Das passiert nicht. Das liegt auch an Katar:

Was haben nämlich der brasilianische Fußballnationalspieler Neymar vom Pariser Club PSG und die britisch-palästinensische Autorin und Rechtsanwältin Selma Dabbagh, die am 9. September 2017 auf diesem Kongreß „Für Demokratie und Freiheit“ auftreten wird, gemeinsam? Beiden werden auch vom islamistischen Regime in Katar finanziert.

Die „Qatar Sports Investment“ zahlte die 222 Millionen Ablösesumme für Neymar, damit er von Barcelona nach Paris wechseln kann. Die vollkommen absurden Preise dieses Menschenhandels werden durch den islamistischen Hintergrund noch massiv verschärft.

Die Schriftstellerin und Anwältin Selma Dabbagh ist für die antisemitische BDS Bewegung gegen Israel aktiv, wie sie auf einer Veranstaltung in London im Oktober 2012 sagte. Sie ist Stammautorin einer der berüchtigtsten antiisraelischen und antisemitischen Agitationsseiten im Internet: „Electronic Intifada (ei)“.

Sie tritt für das Rückkehrrecht der Palästinenser nach Israel ein, was Israel zerstören würde, wie auf einer Veranstaltung in London deutlich wurde, wo sie u.a. neben dem antizionistischen Agitator Ilan Pappé saß und die mit den Tags „RightofReturn“ oder „Anti-Zionism is not Antisemitism“ den eigenen Antisemitismus in typischer Manier verschleiern wollte. In ihrem Roman „Out of it“ vergleicht sie Nazis und Zionisten, wie eine kritische Rezension im englischen Independent schreibt. Dieses Buch „Out of it“ wurde von Qatar finanziert.

Am 25. August 2017 dankte ein Kollege Dabbaghs und Mitbegründer von Electronic Intifada (ei), Ali Abunimah, den Künstler*innen, die aus antisemitischen und BDS-Motiven heraus das Berliner Pop-Kultur-Festival boykottierten. Dieser BDS-Boykott hatte bundesweit für einen Aufschrei gesorgt, von Monika Grütters von der Bundesregierung bis Klaus Lederer, Kultursenator von Berlin, und vielen Journalist*innen war die Abscheu vor dieser Neuauflage von „Wir-spielen-nicht-mit-Juden“ laut hörbar.

Und nun kommt ein finanziell super ausgestattetes und vom Kulturmanager und Gründer des internationalen literaturfestivals Ulrich Schreiber zu verantwortender Kongress daher und gibt Selma Dabbagh einen Podiumsplatz auf dem einzigen Panel, das unter anderem Israel behandelt.

Noch vor wenigen Wochen protestierten viele jüdische Gruppen und andere pro-israelische Aktivist*innen gegen einen vermutlich problematischen ARTE-Film zu „Gaza“, wobei explizit die Internetseite „Electronic Intifada“ kritisiert wurde.

Eine der mutigen antiislamistischen Unterzeichnerinnen war Seyran Ates mit ihrer Ibn Rush-Goethe Moschee. Nun wird Ates auch auf diesem sehr großen Kongress für Demokratie und Freiheit auftreten, wo exakt eine Vertreterin der antisemitischen „Electronic Intifada“ mit dabei sein wird.

Ja, mehr noch: Ates wird den gleichen Moderator haben wie Selma Dabbagh: den Islamwissenschaftler Stefan Weidner, der seit Jahren umstritten ist für seine Verharmlosung des Islamismus (siehe dazu Clemens Heni, Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Berlin: Edition Critic, 2011).

Auf dem Kongress werden sicher sehr interessante und kritische Diskussionen geführt, namentlich mit Can Dündar über die Türkei, mit Marina Weisband über eine „zeitgemäße Demokratie“, mit Georg Diez nochmal zur Türkei, mit Doris Akrap auch nochmal zur Türkei, mit Frank A. Mayer über das „bürgerliche Denken“ oder mit Carlo Strenger über das „Leben mit Unsicherheit“.

Das mögen alles sehr differenzierte, kritische und wichtige Vorträge, Moderationen oder Beiträge sein.

Das absolute Elend und das Typische für den ganzen Kongress, der für den Mainstream des kulturpolitischen Establishments in der Bundesrepublik steht, ist die Einladung an Selma Dabbagh.

Das macht den über 120 Referent*innen und den Hunderten, wenn nicht Tausenden Besucher*innen nichts aus. Alle Referent*innen sind friedlich mit Bild und Personenbeschreibung im 56seitigen Programmheft versammelt. Auch Selma Dabbagh und somit die „Electronic Intifada“. WTF.

Wenn ein Kongress, der noch dazu „Demokratie und Freiheit“ fördern möchte, eine antisemitische Agitatorin einlädt, die seit Jahren gegen Israel agitiert und auf einer der führenden BDS-Seiten ständige Autorin und Mitarbeiterin ist, dann zeigt dass, wie heute antizionistischer Antisemitismus goutiert wird. Das gehört halt dazu.

Wir fordern: Eine klare Distanzierung von BDS, antizionistischem Antisemitismus und Selma Dabbagh durch Ulrich Schreiber, die Peter-Weiss-Stiftung für Kunst und Politik e.V. (Träger) und dem Moderator Stefan Weidner.

Machen wir doch mal ein Gedankenspiel: angenommen, es würde über Gewalt und Politik gesprochen, wäre es nicht völlig ausgeschlossen, dass ein Holocaustleugner wie Horst Mahler ganz normal als Diskutant eingeladen würde? Das wäre für alle Referent*innen ein Skandal und alle würden absagen, sähen sie ihn im Programm. Aber er würde natürlich niemals eingeladen werden und das ist gut so. Das kann sich nämlich schnell ändern, sobald die AfD im Bundestag sitzt, dann gilt „Feuer frei“ für die Rechtsextremen und Neonazis.

Hat eine Referentin oder hat ein Referent abgesagt, nachdem sie oder er die Hetzerin Dabbagh im Programm entdeckten? Wie viele Wochen oder Monate ist das Programm den Referent*innen denn schon bekannt? Selbst die pro-israelischen Referent*innen, die es sicher gibt, merken das nicht, sie kümmern sich nicht aktiv darum, wer zu Israel spricht. Sie sind gefangen im Kokon des Narzissmus, tauchen in einem großen Programmheft mit Bild und Personenbeschreibung auf und sind stolz wie Emma oder Oskar.

Sobald das Thema Israel ist, fallen alle Schranken, gerade bei den Linksliberalen und Linken. Damit muss Schluss sein.

  • Nein zu BDS.
  • BDS ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.
  • Nein zu Antisemitismus in all seinen Formen.
  • Nein zum „international congress for democracy and freedom“ im Haus der Berliner Festspiele, der offenbar Freiheit für alle meint, nur nicht für Israel.

©ClemensHeni

„Bekämpft die Linkszionisten“ und andere „Verräter“ … Bibi, Gabriel und die Folgen

Wie ein Mantra trägt die deutsche Israelszene seit Jahren das Schild „Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten“ vor sich her. Nun ist Israel tatsächlich die einzige Demokratie im Nahen Osten, was angesichts von islamistischen oder/und arabischen Regimen in Teheran, Ankara, Riad oder Kairo nicht sonderlich schwer ist. Was allerding sehr schwer ist, und schwer vorstellbar aus europäischer Perspektive, ist die Tatsache, dass Israel trotz konstanter Vernichtungsdrohungen seiner arabischen und muslimischen Nachbarn seit 1948 eine parlamentarische Demokratie mit einer vielfältigen Zivilgesellschaft geblieben ist. Aber eben seit 1967 auch eine Besatzungsmacht mit klaren undemokratischen Aspekten. So können z.B. die Siedler im Westjordanland, das nicht zum Staatsgebiet Israels gehört, wählen, während das die dort lebenden Palästinenser nicht können – und auch nicht können dürfen, das ist völlig klar. Eine Einstaatenlösung mit gleichen Rechten für alle wäre eine Katastrophe und das Ende des Judenstaates. Dieses Wahlrecht der Siedler zeigt aber das „Dilemma der israelischen Demokratie“ an, wie der Politikwissenschaftler Anton Pelinka in seinem Buch „Israel: Ausnahme- oder Normalstaat“ 2015 schreibt.

‚Es gibt keine israelische Außenpolitik, nur Innenpolitik‘, sagte einmal der amerikanische Außenminister Henry Kissinger. Ganz exemplarisch zeigt sich das an dem von Benjamin Netanyahu auf die Bühne der Weltpolitik gehobenen Eklat mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel. Letzterer wollte sich auf seinem Antrittsbesuch in Israel unter anderem und ohne Kameras und ohne Pressekonferenz, eben weil sich der Außenminister (mittlerweile?) offenbar sehr wohl bewusst ist, wie kritische Berichte über Israel im Ausland ankommen, mit zwei linken, kritischen NGOs treffen, Breaking the Silence und B’tselem.

B’tselem – das „israelische Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten“, wurde im Februar 1989 von Intellektuellen und Aktivisten gegründet, darunter auch Amos Oz. Die NGO wendet sich übrigens sehr wohl auch gegen palästinensischen Terror. Amos Oz, der Abraham-Geiger-Preisträger 2017, hat einen aktuellen Spendenaufruf auf der Homepage geschalten. 2016 berichtete der Deutschlandfunk über Einschüchterungen gegenüber der NGO und anderen oppositionellen Gruppen in Israel.

Netanyahu kannte das Besuchs-Programm Gabriels schon seit Wochen, davon gehen viele politischen Beobachter und Kenner diplomatischer Spielregeln aus. Es war also klar, was Gabriel vor hatte und das war auch keine Überraschung. Auch pro-israelische Politiker und Aktivisten wie der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, Volker Beck, trafen sich schon mit den genannten israelischen NGOs. Beck findet die Absage des Treffens durch Netanyahu falsch, wie auch das Delegationsmitglied Gabriels, Marieluise Beck, die gleichwohl und zu Recht anmahnt, dass es „Beifall von der falschen Seite“ gibt, und damit müssen israelische NGOs, die sich kritisch mit Israel befassen, rechnen. Doch das rechtfertigt wiederum keineswegs die so unsouveräne wie undemokratische Absage durch Bibi.

Die beiden inkrimierten NGOs sind gegen die Besatzungspolitik Israels im Westjordanland, kämpfen für Menschenrechte und sehen sich, wie Breaking the Silence, selbst als zionistisch an, kooperieren explizit nicht mit der antisemitischen BDS-Bewegung, wie sie schreiben. Im Gegenteil, Breaking the Silence möchte die „Legitimität des Staates Israel bewahren“, wie sie auf ihrer Homepage unterstreichen.

Natürlich kann man jede Kritik an Israel so interpretieren, dass sie BDS in die Hände spiele. Mit dieser antidemokratischen Erpressung mach Netanyahu ja auch seit Jahren Politik und die deutsche Israelszene folgt. Als ich 2015 beim letzten Global Forum for Combating Antisemitism in Jerusalem war, gab es einen merkwürdigen Moment. Im großen Saal mussten sich alle erheben, minutenlang – bevor der große Ministerpräsident hereinkam. Eine gute Bekannte von mir, eine israelische Forscherin, wollte für Bibi nicht aufstehen, schon gar nicht wie zu einer Königszeremonie minutenlang vorher.

Aber natürlich hatte Netanyahu fast alle auf seiner Seite, es geht schließlich um den Kampf gegen Antisemitismus. Doch exakt diese mitunter obsessive Sichtweise auf mögliche oder eingebildete Feinde oder gar neue Hitlers hat der israelische Präsident Reuven Rivlin auf der offiziellen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Shoah am 25. April scharf kritisiert.

Mehr noch: Rivlin empfing am Abend des 25. April selbstverständlich auch Gabriel, doch so selbstverständlich ist das gar nicht – wie die Haaretz berichtet, empfängt der israelische Präsident Außenminister anderer Länder nur auf Empfehlung des Außenministeriums. Und wer ist derzeit israelischer Außenminister? Netanyahu! Ein “zynisches Spiel” treibt er also, lässt Rivlin Gabriel empfangen, weigert sich aber selbst, den deutschen Außenminister zu treffen, um somit bei der ideologisch wirklich extremen Rechten (Bennett etc.) zu punkten. Netanyahu selbst ist gar kein ideologisch extremer Rechter, er ist ein Zyniker. Er tue alles für seine Macht, so Haaretz. Mit der einen Hand lädt er Gabriel aus, um ihn mit der anderen zu Rivlin zu schicken, der politischen Nr. 1 im Land!

Ob nun die proisraelischen Proklamationen der beiden hier in Frage stehenden NGOs mit all ihren Aktivitäten in Deckung zu bringen sind, steht auf einem anderen Blatt. Die Aktivitäten sind vor allem gegen die Besatzung des Westjordanlandes gerichtet und dokumentieren anonymisiert Aktionen der israelischen Armee kritisch. B’tselem wurde zuletzt auch schon massiv und zu Recht kritisiert, da sie schon mal in führender Position einen antisemitischen Palästinenser beschäftigte, der dann später entlassen wurde.

Breaking the Silence will offenkundig Israel verbessern, ja schützen und ein Beenden der Besatzung ist für sie dazu ein essentielles Mittel.

Die beiden NGOs sind dennoch, ja gerade wegen ihrer wohl als linkszionistisch zu bezeichnenden Position auch in Israel gerade unter der politischen Rechten und extremen Rechten völlig umstritten, ja das Feindbild in Israel schlechthin. Und manche ehemaligen Mitglieder dieser NGOs mögen sich auch dessen bewusst sein, dass offenkundig die Antisemiten weltweit begierig jedwede wirkliche oder vermeintliche problematische Aktivität der IDF aufgreifen, um Israel an und für sich zu diffamieren (darauf weist Marieluise Beck hin) und seine Auflösung als jüdischer Staat zu fordern oder aber, wie es Islamisten und Jihadisten tun, zum Mord an allen jüdischen Israelis aufzurufen, um Jerusalem zu „befreien“, wie sie es nennen.

Beide NGOs sind legale Gruppierungen und Teil der (noch) sehr vielfältigen israelischen Zivilgesellschaft, so wie zum Beispiel antirassistische Autonome, die die Aushöhlung oder Abschaffung des Asylrechts kritisier(t)en und die deutschen Zustände attackieren (solange sie nicht gerade damit beschäftigt waren, antizionistische Pamphlete zu schreiben), Teil jener in der BRD waren und in marginalsten Teilen noch sind.

Nun ist Gabriel nicht gerade als Intellektueller, Forscher oder wortgewandter Kritiker bekannt, eher als volksnaher Retter kapitalistischer Lebensmittelkonzerne und als sozialdemokratischer Haudrauf, der nicht selten trifft – wie seinen eigenen Nazivater oder die Neonazis der Identitären Bewegung, die er mit einem Stinkefinger begrüßte und Pegida und dessen Umfeld zurecht als „Pack“ bezeichnete.

Er hat aber völlig unreflektiert vor fünf Jahren bei einem Besuch in der heftig umstrittenen – gerade unter linken Zionisten scharf in Frage gestellten – Stadt Hebron das Wort „Apartheid“ bezüglich Israel gebraucht, was einer Diffamierung des Judenstaates gleichkommt und gerade keine interne, israelisch-linkszionistische Kritik mehr ist. Gleichwohl wird hierzulande kaum über das wirklich Problematische auch der Situation in Hebron diskutiert, wo wenige Juden massiv durch die IDF beschützt werden müssen. Wie es überhaupt zur Wiederbesiedelung Hebrons durch einige wenige Juden kam, wäre eine eigene kleine Studie wert.

Und jetzt hatte Gabriel, im sozialdemokratischen Eifer des Gefechts, SPDler wie Juden als Opfer des Holocaust bezeichnet, wenig später wurde das natürlich korrigiert, aber so ein Satz passiert einem nicht. Es zeigt das desolate Niveau innerhalb der heutigen Sozialdemokratie (“Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaustes. Die einen waren Opfer politischer Verfolgung, die anderen des Rassenwahns.”)

Es geht in der ganzen Affäre Ende April 2017 aber weniger um Gabriel und seine Auffassung der Geschichte, von Hebron oder der Besatzung, sondern um Netanyahu. Es geht um Israel. Und hier versagt die komplette deutsche, selbst ernannte Israelszene.

Netanyahu also setzte Gabriel ein Ultimatum und erhob somit kleine NGOs mit einem relativ überschaubaren Budget, verglichen mit dem Staatshaushalt Israels, auf die gleiche Stufe wie seine Regierung. Gabriel ging nicht darauf ein und das Treffen platzte in der Tat. Bibi wollte ein paar Punkte bei den Ultrarechten in Israel gewinnen, da er innenpolitisch massiv unter Druck steht.

Netanyahu und seine deutsche, fast vollständig nicht-hebräisch sprechende Gefolgschaft behaupten, Breaking the Silence würde israelische Soldaten als „Kriegsverbrecher“ diffamieren. Doch stimmt das? Ein Text (auf hebräisch und englisch) des preisgekrönten Journalisten Haggai Matar sagt genau das Gegenteil, die Gruppe würde vielmehr die Soldaten unterm Strich in Schutz nehmen und die Politik für deren oft nicht unproblematischen Aktionen in Haftung nehmen. Der israelische Professor für Kommunikationswissenschaft am renommierten Interdisciplinary Center in Herzliya, Gadi Wolfsfeld, verteidigt Breaking the Silence ebenso, wie auch der frühere sehr bekannte IDF Eliteeinheitskommandeur von Sayeret Matkal, Amiram Levin, wie die New York Times im Dezember 2015 berichtete. Levin wiederum ist derzeit so enorm frustriert über die rechte politische Elite und die politische Kultur in Israel, dass er, bald 71 Jahre alt, am 4. Juli für die Vorwahlen zum Kandidaten für die Arbeitspartei kandidieren wird.

Maj. Gen. (ret.) Amiram Levin.Tomer Appelbaum read more: http://www.haaretz.com/israel-news/.premium-1.786064

Nach Netanyahus Absage an Gabriel am Dienstag, den 25. April 2017 nachmittags, passierte also das zu Erwartende: die gesamte deutsche Israelszene brüllte los, hyperventilierte, schrie und tobte, Gabriel sei unerträglich und habe als „Diplomat versagt“ (Alan Posener). Der Aktivist und Organisator des Israelkongresses von I Like Israel (ILI) und Honestly Concerned (HC), , verglich das Treffen Gabriels mit den linken Zionisten bzw. den beiden NGOs mit einem Treffen eines anderen Außenministers mit den Terroristen der RAF, den rechtsextremen Reichsbürgern oder dem Neonazi und Holocaustleugner Horst Mahler. Ähnlich die Publizistin Jennifer Nathalie Pyka, die zeigt, was sie von der Demokratie und der Zivilgesellschaft hält und schreibt:

„‘Zivilgesellschaft‘ wiederum, darunter versteht Gabriel die NGOs ‚B’Tselem‘ und Breaking the silence‘. Gruppierungen also, die sich vor allem bei kritischen Europäern, die gewöhnlich auch auf genaue ‚Herkunftsnachweise‘ von israelischem Obst und Gemüse achten, einen Namen gemacht haben. Dass beide NGOs mit der israelischen Zivilgesellschaft so viel zu tun haben wie PEGIDA und der schwarze Block mit der deutschen, muss den Außenminister nicht kümmern.“

Damit sekundiert sie die frühere Israelkongressmoderatorin Melody Sucharewicz, die zwei Tage zuvor, am 26.4.2017, eine ebenso antidemokratische und Links und Rechts extremismustheoretisch gezielt gleichsetzende Tirade in der Hamburger Morgenpost abließ:

„Und doch käme Netanjahu im Traum nicht auf den Gedanken, sich mit Vertretern der ‚regierungskritischen‘ Antideutschen oder der Pegida zu treffen.“

Angela Merkel würde aber ganz sicher Netanyahu nicht vorschreiben, dass er sich entweder mit ihr oder mit „antideutschen“ Aktivisten zu treffen habe. So eine Ab- wie Aufwertung von NGOs oder eben der Zivilgesellschaft – Demokratienachhilfe für Pyka: jede nicht staatliche Organisation oder Gruppierung ist Teil der „Zivilgesellschaft“ oder einfach der „Gesellschaft“, wie cool oder bescheuert und gefährlich eine solche Gruppe auch immer sein mag – würde Merkel wohl kaum unterlaufen.

Der ehemalige, langjährige Israelkorrespondent der ARD, Richard C. Schneider, hat die Gemengelage sehr präzise analysiert:

„Ich habe erst mal einen Tag gebraucht, um das ganze Ausmaß des Netanjahu-Gabriel Streits zu verstehen. Die Reaktionen sind ja sofort da gewesen, auf beiden Seiten. Also fangen wir erst mal mit dem Offensichtlichen an: Was Netanjahu getan hat, war unsinnig. Zunächst einmal, weil Israel eine Demokratie ist und es deswegen völlig ok ist, wenn Gabriel die beiden NGOs treffen will. Dann natürlich auch aus ganz banalen Gründen. Es ist ja immer dasselbe Schema: wenn ich meinen Gegner klein halten will, dann ‚übersehe‘ ich ihn am besten. Also: Wenn Netanjahu nichts gesagt hätte, dann hätte Gabriel B’tselem und BtS getroffen und das wär’s gewesen. Denn – er kann diese NGO’s immer sehen und sprechen, und sei’s nur, daß er Vertreter nach Berlin einlädt. Infos zu bekommen, ist heute ja nicht weiter schwierig. So aber hat Netanjahu diese Gruppierungen – im Ausland – hochgewertet, sozusagen ‚auf sein Level‘ hochgeholt. Und er hat in Kauf genommen, daß der wichtigste und engste Freund Israels innerhalb der EU, also Deutschland, erneut ‚verschnupft‘ ist, to say the least. Macht das Sinn?“

Schneider resümiert:

„Doch schlimmer noch als der Eklat mit Deutschland ist das, was in Israel tatsächlich geschieht: Der Versuch dieser Regierung, Menschen oder Gruppierungen, die andere politische Anschauungen haben als sie selbst, mundtot zu machen. Das geschieht schon lange, zumindest wird es versucht. Mittels entsprechender Gesetzesvorlagen, aber auch mittels eines öffentlichen Diskurses, der politische Gegner zunehmend desavouiert. Das allerdings ist ein Phänomen, das man in vielen westlichen Demokratien beobachten kann.“

So ist dieser Eklat ein Lehrstück in Demokratiekunde und den antidemokratischen Tendenzen, ja den Ausgrenzungstendenzen in der deutschen Israelszene. Man könnte drüber lachen, wäre es nicht ein so ernstes Thema.

Was all diese losbrüllenden Typen nicht verstehen wollen: Deutschland wie auch die USA unter Obama sind Verbündete des Judenstaates, und zwar explizit eines jüdischen Staates Israel. Gabriel als Antisemiten zu denunzieren und ihn de facto in eine Reihe mit BDS, dem Iran oder arabischen Antisemiten zu stellen, ist grotesk, infam, aber politisch gewollt.

Das Ziel der deutschen Israelszene scheint zu sein, analog zu jenem der aktuellen israelischen Regierung, die ja niemals für Israel als Ganzes steht, sondern nur für einen Teil Israels: Die (extreme) Rechte in Israel soll gestärkt werden, koste es, was es wolle. Und natürlich wissen die deutschen Aktivisten und Blogger alles viel besser als liberale oder linke Israelis.

Der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, hat die Ausladung Gabriels durch Netanyahu scharf kritisiert und als ein Zeichen von politischer „Schwäche“ analysiert.

Insofern möchte die deutsche Israelszene ein schwaches Israel, eines, das sich blamiert, NGOs auf Regierungsniveau hebt, sie innenpolitisch aber völlig an den Rand drängt und bedroht. Diese Szene unterstützt Israel dabei, befreundete Regierungen, von denen es nun nicht gerade viele gibt (!), als quasi antisemitisch zu diffamieren. Netanyahu und die deutsche Israelszene scheinen einen massiven Realitätsverlust zu erleiden, wenn sie nicht mehr zwischen jihadistischen Vernichtungswünschen, der iranischen Gefahr, BDS-mäßiger Diffamierung oder philosophischer, Judith Butler-mäßiger Delegitimierung des zionistischen Projektes und kritischen, aber völlig pro-zionistischen Positionen wie von John Kerry oder selbst einem Sigmar Gabriel zu unterscheiden vermögen.

Dieses Jahr jährt sich der Sechstagekrieg zum 50. Mal und somit auch der Beginn der Besatzung der Westbank, des Westjordanlandes oder von Judäa und Samaria. Das wird weltpolitisch einige Aktivitäten mit sich bringen. Und jetzt ist die Zeit, das zionistische Projekt zu verteidigen – gegen die rechte Regierung von Netanyahu, die dabei zu sein scheint, die Opposition gegen die Besatzung zu kriminalisieren und zu delegitimieren.

Nie war die Kritik an der Besatzung wichtiger als heute. Das sehen auch Hunderte ehemalige Generäle, Offiziere und andere Führungspersönlichkeiten der israelischen Armee, des Geheimdienstes oder der Polizei so. Sie haben sich 2014 in „Commanders for Israel’s Security“ zusammengeschlossen. Auf diese Organisation und deren Einsatz gegen die Besatzung und für Israels Sicherheit weist der amerikanische Journalist Rob Eshman aus Los Angeles im Jewish Journal hin.

Es geht um die Kritik an rechten Regierungen und an der israelischen Besatzung des Westjordanlandes, beides zutiefst zionistische Anliegen. Dabei muss die scharfe Attacke und Kritik des Palestinian Rejectionism, also der palästinensischen Weigerung, Israel als jüdischen Staat anzuerkennen, komplementär zur Seite stehen.

Diese Anliegen nicht zu erkennen, ja Netanyahu in allem was er tut zu folgen und gerade jetzt peinlichste und politisch desaströse „Liebeserklärungen“ an ihn (wie in der taz) zu publizieren, zeigt, wie desolat hierzulande über Menschenrechte, Zionismus, Israel und die Besatzung diskutiert wird.

Früher hätte man gedacht, es wäre ein Fortschritt, wenn z.B. die taz weniger antisemitische und mehr pro-israelische Artikel publizierte. Ein Pyrrhussieg, wenn dabei das Denken, die Analyse und Kritik wie das Wahrnehmen des Menschenrechtsdiskurses, die Kritik an der Besatzung und die Aktivitäten des Linkszionismus in Israel auf der Strecke bleiben.

Offener Brief an Moshe Zuckermann: Kritik, das Unheimliche und der Zeitgeist

Von Dr. phil. Clemens Heni, 12. März 2017

Die Deutschen mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine. Das ist der Ausgangspunkt antideutscher Kritik unserer Zeit. Kein Land der Welt wird weltweit mit Vernichtung bedroht, nach doppelten Standards gemessen, dämonisiert und attackiert wie der jüdische Staat Israel. Antisemitismus, inklusive heutigem Antizionismus, ist sehr weit verbreitet, in akademischen, feuilletonistischen, aktivistischen bis hin zu jihadistischen Varianten.

Die UN verurteilt kein Land der Welt so häufig und nachgerade obsessiv, wie Israel. Hätten die Araber 1947 den UN-Teilungsplan akzeptiert, gäbe es heute einen jüdischen und einen arabischen, palästinensischen Staat in Teilen von Eretz Israel.

Doch das enthebt Israel nicht einer Selbstkritik, wie jede Demokratie sich permanent selbst hinterfragen sollte, um sich zu verbessern.

Ihr Artikel „Deutsche Befindlichkeiten. Wie eine vorgebliche Antisemitismusbekämpfung zur ideologischen Farce gerät“ bringt einige Aspekte der deutschen Linken und der sog. Israelszene (und namentlich der „Antideutschen“ darin) durchaus treffend auf den Punkt. Doch Ihre Motivation scheint keineswegs eine israelsolidarische Kritik zu sein, mit der Intention, den Zionismus zu verbessern. Eher beschleicht einen bei Ihnen das Gefühl des „Unheimlichen“ von Freud, so wie Sie es 1988/89 in Ihrer bei Saul Friedländer eingereichten Dissertation über die Rezeption der Französischen Revolution im deutschen Vormärz gegen Ende anführen:

„Freud veranschaulicht diesen Zusammenhang von Verdrängtem und Angst anhand von Beispielen und weist, unter anderem, darauf hin, daß wir ‚auch einen lebenden Menschen unheimlich [heißen], und zwar dann, wenn wir ihm böse Absichten zutrauen.’“[i]

In Ihrem Text vom 10. Februar 2017 schreiben Sie über die Israelszene und „antideutsche Kommunisten“:

„Denn nicht nur mit dem Kommunismus hatte diese Bewegung nicht sehr viel zu schaffen, auch ihr Anspruch, ‚antideutsch‘ zu sein, erwies sich als hohles Gerede: Da ihnen ihre historische Identifikationsmatrix infolge des Zusammenbruchs des Sowjetkommunismus abhanden gekommen war, fand der Antifazweig der ehemals ‚antideutschen Kommunisten‘ seine neue Identität in einem nebulösen Antideutschtum, das sich darin manifestierte, dass man sich mit ‚Juden‘ vorbehaltlos zu solidarisieren habe, weil Deutschland Schlimmstes an ihnen verbrochen hatte.“

Auch wenn die Kritik am häufig reduktionistischen Verständnis von „antideutsch“ durchaus zutreffend ist, so sind doch Leute, die sich mit Israel solidarisieren, grundsätzlich sympathischer als jene, die mit Leuten kooperieren, die das Werk Nazi-Deutschlands vollenden wollen, wie der Iran oder ungezählte arabische, islamistische Hetzer, Prediger und ihr muslimisches, BDS-mäßiges oder rechts/linksdeutsches Fußvolk.

Weiter schreiben Sie:

„Dass sie sich nicht entblöden, kritische jüdische Intellektuelle schmähend zu verfolgen, um eine vermeintliche ‚Israel-Solidarität‘ zu wahren, ist ein beredtes Zeugnis ihres eigenen neurotischen Zustands als in Deutschland lebende Juden. Dass sich deutsche Behörden und Funktionsträger von ihnen einreden lassen, wer und was ‚antisemitisch‘ sei, macht darüber hinaus evident, zu welch bedenklicher Neuralgie der offizielle Umgang mit Juden im heutigen Deutschland inzwischen geronnen ist.“

Man könnte meinen, Ihnen ginge es um eine tatsächliche und nicht nur eine „vermeintliche“ „Israelsolidarität“. Aber stimmt das?

Grundsätzlich haben Sie, denke ich, mit einer Kritik der teils abstrus einseitigen, undifferenzierten und Juden als Subjekte gerade nicht ernst nehmenden, ja sie und die israelische Realität bewusst ignorierenden deutschen Israelszene einen Kern des Problems exakt benannt. Doch nehmen Sie, geehrter Herr Zuckermann, Juden als Subjekte ernst, namentlich linke, liberale oder auch konservative politische Zionisten, die für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel einstehen und für diesen Judenstaat kämpfen, intellektuell, mit der Waffe der Kritik oder auch mit der Waffe in der Hand?

Sie stellen sich als Verteidiger Israels vor:

„[Israel] steht vor der Wahl zwischen der (nicht gewollten) Zwei-Staaten-Lösung, deren Verwirklichung in einen innerjüdischen Bürgerkrieg münden könnte, und der sogenannten binationalen Lösung, die aber als Apartheid-Struktur vollzogen würde. Dass beide Lösungen das Ende des historischen zionistischen Projekts bedeuten könnten, mag, ja muss einen um sein Land besorgten Israeli in die Kritik, womöglich auch in die politische Agitation treiben.“

Es gibt derzeit in der Tat nicht wenige Israelis und Vertreter*innen der „Israelsolidarität“, die kein Problem mit US-Präsident Trump und seinem aus dem Munde eines US-Präsidenten nie da gewesenen Kokettieren mit der Ein- oder Zweistaatenlösung haben. Manche Israelis sehen in Trump eine Art Messias und sehen die Besatzung nicht als Problem, sondern als prophetisches Siedeln. Viele linke oder liberale und auch konservative, zionistische Israelis sind jedoch weiter für eine Zweistaatenlösung.

Ihr Text erschien in dem nationalbolschewistischen Agitationsblatt junge Welt, was es unwahrscheinlich macht, dass Sie es mit Ihrer Sorge um den Erhalt Israels ernst meinen könnten. Die Schenkelklopfer der jw-Abonnent*innen gegen vermeintliche „Antideutsche“, die Ihr Text ausgelöst hat, sind eklig, um es ganz vornehm auszudrücken.

Viele Islamisten, Muslime, Nazis und erhebliche Teile des Mainstreams verabscheuen, ja hassen Israel. Das mag sich die letzten Jahren evtl. etwas gewandelt haben – zumindest bezüglich gewisser Teile der Linken und mancher Medienberichte, die nicht mehr nur antiisraelisch sind –, aber nicht erst, aber verschärft seit Herbst 2000 und nach dem islamistischen Massenmord von 9/11 war und ist Israelhass ein massives Problem in Germany, Europa, USA, dem Nahen Osten und weltweit. Pro-Hitler Statements, Vergasungswünsche für Juden und viele ähnliche, schockierende Stellungnahmen wie auf Facebook von Deutsch-Türken nach der Mavi Marmara Aktion 2010 zeigen die Notwendigkeit der Antisemitismuskritik.

Walser, Grass und die AfD tun ein Übriges um die Notwendigkeit der Antisemitismuskritik zu untermauern. Dazu kommen Facetten postkolonialer Ideologie, die Universalisierung der Shoah, die Gleichsetzung von Rot und Braun und natürlich die antizionistische Ideologie, die nicht nur Yad Vashem vorwirft, den präzedenzlosen Charakter der Shoah zu betonen.

Der arabisch-israelische Konflikt ist seit 1947 ein Kernproblem des Antisemitismus wie des Nahen Ostens. Es ist ein arabisch-israelischer Konflikt und nicht ein israelisch-palästinensischer, der aber hinzukommt bzw. ersteren ergänzt. Dabei ist die Weigerung der Araber und Palästinenser, Israel als jüdischen und demokratischen Staat anzuerkennen (mit einer arabischen Minderheit, die viel größer ist, als alles, was europäische Gesellschaften an Minderheiten ertragen würden, ohne faschistisch zu werden) nicht das einzige Problem. Das zu betonen ist richtig und womöglich meinen Sie das, auch wenn Sie das unbeholfen ausdrücken oder absurde, perfide, ja extrem gefährliche (für Sie vielleicht lustige oder aufregende) Umwege über Israel-Nazi-Vergleiche gehen, wie wir gleich sehen werden.

(Pro-)palästinensischer Terror und Antisemitismus sind für Sie in gewisser Weise nur eine Reaktion auf die Besatzung. Und damit zeigen Sie auf erschreckende Weise, dass sie gerade nicht wissen, was heute Antisemitismus ist – denn Juden Verschwörungen anzudichten, sie als Söhne von „Affen und Schweinen“ zu diffamieren, ihnen Blood Libels, Brunnen- oder Kaugummivergiftung anzuhängen, ihnen die Herrschaft der Medien, der USA oder des Kapitalismus zu unterstellen, sind antisemitische Topoi, die überhaupt gar nichts mit dieser oder jener Politik Israels seit 1948 oder 1967 zu tun haben. Wer Juden ins Gas wünscht, möchte damit nicht seine oder ihre Kritik an der Besatzung ausdrücken, sondern ihren oder seinen Wunsch, Juden zu töten. Das ist der Kern des Antisemitismus. Das wissen Sie nicht, obwohl Sie doch im September 2002 sagten:

„In Deutschland treffe ich einerseits auf Antisemiten, andererseits auf Leute, die mich wegen meiner kritischen Haltung als Vorzeigejuden linker Antisemiten bezeichnen. Da kann ich nur antworten: Kinder, lehrt mich nicht, was Antisemitismus ist. Ich komme aus einem Zuhause, wo man das weiß.“[ii]

Wie kommt es dann, dass Sie Bücher als „exzellent“ belobigen, als Dissertation annehmen und sie mit einem Vorwort beglücken wie jene Studie von Joachim Nicolas Trezib,[iii] die den Nationalsozialismus und den „Generalplan Ost“ mit der israelischen Landesplanung vergleichen und im Zionismus einen Aufguss rachsüchtiger alttestamentarischer Praktiken sehen? Der Vergleich des genozidalen Generalplans Ost mit Israel ist eine Schuldabwehr und Schuldumkehr, trivialisiert den SS-Staat auf unerträgliche, aber sehr typische, deutsche Weise. Mit so einer Belobigung heutiger Forschung sind Sie mitten im Zeitgeist, Herr Zuckermann. Und dieser akademische Zeitgeist ist nicht selten und hier ganz besonders antisemitisch. Sie wissen also keineswegs was Antisemitismus hier und heute bedeutet.

Die Fragestellung Trezibs ist nicht nur einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit unwürdig, sondern indiziert vor allem den antijüdischen Ton, der heute an deutschen Universitäten wieder da ist, auch Dank Ihrer Hilfe:

„Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der im Jahre 1933 durch den deutschen Humangeographen Walter Christaller (1893–1969) in seiner Dissertationsschrift entwickelten, sogenannten Theorie der zentralen Orte (Abb. 1 und 2; Abb. 38 und 39, s. Farbabbildungsteil) und ihrer Rezeption im Rahmen der unter dem sog. ‚Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums‘ (RKF), Heinrich Himmler, nach 1939 initiierten NS‐‚Generalplanung‘ für die eroberten Ostgebiete sowie ihrer Rezeption im Rahmen des als Sharonplan bezeichneten, ersten israelischen Nationalplans, in dessen Umfeld die Grundlagen der Raumordnungstheorie und ‐praxis in Israel seit der Staatsgründung im Mai 1948 bis zum Sechs‐Tage‐Krieg im Juni 1967 ausgebildet werden.“

Es geht Trezib gar nicht primär um Beweise der Beziehung von Arieh Sharon zu jenem Walter Christaller, sondern um ein Gschmäckle: wer in Zukunft über israelische Landesplanung nachdenkt oder darüber hört, soll sich an den „Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums“ (RKF) Heinrich Himmler erinnert fühlen. Das ist die Message, die das ganze Buch durchzieht und an einer deutschen Hochschule durchgewunken wurde. Das ist der Skandal.

Alle wissen, dass Israel nicht dutzende Millionen Menschen ermorden wollte, wie es der „Generalplan Ost“ vorsah. Alle wissen auch, dass Himmler für die Vernichtung von sechs Millionen Juden hauptverantwortlich war. Ihn im gleichen Atemzug wie einen Juden, Arieh Sharon, auch nur zu nennen, ist an Obszönität nicht zu überbieten. So funktioniert heute akademischer Antisemitismus.

In Ihrem vor Lob überschäumenden Vorwort zu Trezibs Studie schreiben Sie:

„Um aber auf dies ‚Skandalöse‘ eingehen zu können, sei vorab klargestellt: Es handelt sich hier um eine Arbeit, die sowohl bei der Entdeckung, Auswertung und Verarbeitung von unbekannten Archivmaterialien als auch bei der Theorie- und Begriffsbildung sowie der durchgehenden Stringenz der Argumentation herausragt.“

Dann schauen wir uns Trezibs Arbeit mal etwas näher an.[iv] Die Trivialisierung der Shoah zeigt sich bei Trezib in ihrer Rationalisierung, einer in Deutschlands Historiographie von Hans Mommsen bis Götz Aly und bei vielen weniger bekannten Autorinnen und Autoren beliebten Strategie, weder vom Antisemitismus noch von Deutschland, dafür von ganz unspezifischen Strukturprinzipien der Moderne, von Technik und Kapitalismus zu reden:

„Schivelbusch beschreibt die psychologische Komponente des Phänomens ‚Rationalisierung‘ der 1920er Jahre als Sublimierung des ‚homo militaris‘ zum ‚homo oeconomicus‘. Mit der ‚Rationalisierung‘ des Judenmords erreichte diese nicht erfolgreiche Sublimierung dann ihren Höhepunkt.“

Die Trivialisierung des Präzedenzlosen des Holocaust geht bei Trezib einher mit einer Delegitimierung und Dämonisierung von Juden und Israel. Die ganze Motivation seiner Dissertation scheint in der Diffamierung von Juden wie Arieh Sharon zu liegen, dessen israelischer nationaler Plan zur Gliederung des Landes der frühen 1950er Jahren mit dem genozidalen Programm des nationalsozialistischen Generalplan Ost analogisiert wird.

Auch am Beispiel der sog. „Technokratie“ und des Technik- und Industriediskurses zeigt sich das auf perfide Weise. So setzt Trezib in einem Kapitel mit Walther Rathenau ein, der als gleichsam fanatischer Verfechter der bösen Technokratie via Elektrizität vorgestellt wird, und er beendet das Kapitel in einer geraden Linie beim Nationalsozialismus, für den dann in dieser Hinsicht auch noch ein 1922 von Nazis ermordeter Jude – was gar nicht der Erwähnung wert ist – mit verantwortlich gemacht wird. So läuft heute die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik und solche kruden Texte und abstrusen Linien evozieren nicht etwa Gelächter oder Kopfschütteln sondern einen Titel.

Da verwundert es dann auch nicht, dass sich Trezib an Rainer Zitelmann, ein Apologet Hitlers in spezifisch neurechter Weise und in der wissenschaftlichen Analyse des heutigen Rechtsextremismus und der Neuen Rechten einer der bekanntesten Vertreter eines Strangs – des staatszentrierten, autoritären – der Neuen Rechten seit den 1980er Jahren, gleichsam anschmiegt:

„Wie insbesondere Rainer Zitelmann betont hat, beinhaltete Hitlers Lebensraum Ideologie eine durchaus moderne geopolitische Komponente: Sie bezweckte die Errichtung eines autarken deutschen Kontinentalreichs, dem die Energiereserven und Bodenschätze des Ostens uneingeschränkt zur Verfügung stehen würden, und das damit in den Rang einer Weltmacht aufsteigen würde.“

Im Zentrum steht hierbei die Betonung des angeblich „Modernen“ des Nationalsozialismus. Zitelmann wie auch viele andere Hitlerbewunderer (die sich natürlich meist anders nennen) möchte den Nationalsozialismus sozusagen retten und verteidigen, indem er dessen „moderne“ Elemente hervorkehrt und vom präzedenzlosen Massenmord an den europäischen Juden schweigt oder ihn als Petitesse abtut, mit der zu befassen ein Deutscher keinen Grund habe. Zitelmann war zumal in den 1990er Jahren ein führender Vertreter der Neuen Rechten und des „Geschichtsrevisionismus“.

Diese neu-rechte Ideologie fällt Trezib entweder nicht auf oder aber er teilt diese Apologie des NS-Staates. Er nazifiziert die Landesplanung Israels, da auch die Nazis, wie die Juden, das ist die Botschaft der Studie, eine „Bevölkerungsverteilung“ oder gar – wie im „Generalplan Ost – einen Massenmord an Millionen „Nicht-Lebenswerten“ im Osten planten – indem er schreibt:

„Das eindeutig dominierende, zentrale und immer wiederkehrende didaktische Leitargument, das Sharon aus diesen Rahmenbedingungen und Zielsetzungen der nationalen Planung in Israel herleitete, wurde durch die sogenannte population dispersal – bzw. Bevölkerungsverteilung – konstituiert. Man kann sagen, dass sich alle Einzelargumente und Konkretisierungsschritte des Plans der didaktischen Logik dieses Leitarguments unterordneten. Zum Zeitpunkt der Staatsgründung, so die Argumentation des Architekten, habe der überwältigende Anteil (82 Prozent) der jüdischen Bevölkerung ausschließlich den schmalen Küstenstreifen zwischen Haifa und Tel Aviv besiedelt.“

Bereits im Untertitel seiner Studie setzte Trezib Israel und den Sharonplan für Landesplanung mit dem genozidalen „Generalplan Ost“ in direkte Beziehung. Diese Trivialisierung des SS-Staates und die Dämonisierung des jüdischen Staates flutscht heute an Universitäten offenbar runter wie Honig. Gegen Ende seiner Studie schreibt Joachim Trezib schließlich folgende Zeilen:

„Was auch immer an Rationalität die wirtschaftlichen und räumlichen Modelle der Planer parat hielten – am Ende erwies sich die ‚göttliche Mission‘ Hitlers als ‚Erlöser Deutschlands‘, die ‚pseudoreligiöse Verklärung von Politik [im Gewande, JT] traditioneller christlicher Formen‘ als Rückfall in den eschatologischen Fundamentalismus der Vormoderne, erwies sich der NS-Rassewahn als Neuauflage des primitiven mittelalterlichen Antisemitismus; ebenso, wie sich die zionistische Kolonisation, je länger ihr Prozess andauerte, als moderner Aufguss eines als sakrosankt definierten, rational nicht zwingend begründbaren religiösen Mythos entpuppte, eine Neuauflage der in den biblischen Überlieferungen so blumig geschilderten Unbarmherzigkeit, mit der sich einst auf Gottes Geheiß die Israeliten ‚mit der Schärfe des Schwerts‘ der ‚Vertilgung‘ der kanaanitischen Städte und der ‚Vollstreckung des Banns‘ an ihren Einwohnern befleißigten. Die biblische Rhetorik erscheint in einem solchen Zusammenhang von beklemmender Aktualität.“

Nicolas Trezib macht mit diesem Zitat noch einmal unmissverständlich deutlich, wie heute Antisemitismus funktioniert (den Sie, geehrter Herr Zuckermann, nicht erkennen können oder wollen, aber salonfähig machen): er setzt Hitler mit den Zionisten gleich bzw. in direkte Beziehung. Das ist ein Post-Auschwitz-Antisemitismus. Mehr noch: Trezib diffamiert das Judentum generell, das gleichsam die Blaupause für die „Schärfe des Schwertes“ des Zionismus gegeben habe, denn die „biblische Rhetorik“ sei von „beklemmender Aktualität“. Die Verleumdung der Religion des Judentums ist altbekannt und zählt zum klassischen Repertoire des Antisemitismus. Dass Sie das nicht nur nicht erkennen, sondern diese Studie anpreisen, ist schockierend.

Auch der verurteilte Holocaustleugner, frühere Kommunist, zum Islam Konvertierte und Antizionist Roger Garaudy benutzte wie Trezib exakt diese Stelle der „Schärfe des Schwerts“, mit der die „Israeliten“ ihre Feinde abschlachteten und bezieht das ebenso auf das heutige Israel, womit er sich Freunde nicht nur bei deutschen Neonazis machte.

In diesem Zitat ist zudem das klassische Ressentiment gegen das Judentum enthalten. Das Judentum, heute durch den Zionismus repräsentiert, beinhalte bis heute die „biblische Rhetorik“ der „Schärfe des Schwertes“, sei blutrünstig und unbarmherzig. Diese Agitation gegen das Judentum, den Zionismus und Israel ist beängstigend platt, feiert aber in manchen Kreisen seit Jahren ein Stelldichein in der Diffamierung gerade monotheistischer Religionen wie dem Judentum. Wir haben das z.B. an der in der FAZ, der Giordano Bruno Stiftung, dem Mainstream der deutschen Gesellschaft, aber selbst unter sich als angeblich „antideutsch“ und besonders israelsolidarisch fühlenden linken Israelfreunden geführten Agitation gegen die Beschneidung im Jahr 2012 erlebt , die in der jüdischen Welt wie ein Schock erfahren wurde.

Trezibs Studie steht exemplarisch für eine neue Qualität des ganz nüchtern-akademisch daherkommenden sekundären Antisemitismus, eines Antisemitismus, der sich pudelwohl fühlt, links und kritisch dünkt und gerade in der Universalisierung der NS-Ideologie und vor allem der Analogisierung von Täter und Opfer, Nazi und Jude, etwas Befreiendes zu sehen scheint, womit wir im Mainstream Deutschlands angekommen sind. Schuldabwehr und Schuldprojektion gehen hier Hand in Hand. Deutschland sieht weniger düster aus, wenn auch die Landesplanung in den USA oder Israel quasi „völkisch“ oder „ethnisch“ und exkludierend waren.

Das ist der neue Antisemitismus, jener nach Sobibor, Treblinka, Majdanek, Babi Yar und Ponary. Ein Antisemitismus, der obsessiv Juden mit Nazis analogisiert, Israel und den Nationalsozialismus. Dass so etwas nicht etwa als Text in einer judenfeindlichen Postille, sondern als Dissertation an einer Universität angenommen und von einem der renommiertesten (sprich: teuersten) Verlage des Landes gedruckt wird, ist ein Skandal, der keiner ist, weil es niemandem mehr auffällt in diesem neuen Deutschland. Angenommen wurde diese Doktorarbeit vom Historiker Günther Uhlig, Zweitgutachter waren Sie, Moshe Zuckermann, unterstützt wurde die Forschung von der Gerda-Henkel-Stiftung.

Um den Skandal, der natürlich keiner ist, in diesem Land, zu komplettieren: Publiziert wurde die Arbeit von Joachim Nicolas Trezib in der Reihe „Europäisch-jüdische Studien. Kontroversen“, herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg im de Gruyter Verlag.

1971 schrieb der Philosoph und Holocaustüberlebende Vladimir Jankélévitch:

„Dieses schändliche Geheimnis, das wir nicht benennen können, ist das Geheimnis des Zweiten Weltkrieges und in gewisser Weise das Geheimnis des modernen Menschen: Auf unserer Moderne lastet nämlich der ungeheure Holocaust wie ein unsichtbares Schuldgefühl, selbst wenn man nicht darüber spricht. Comment s’en débarraser? Dieser Titel eines Stücks von Ionesco mag recht gut die Beunruhigungen des sichtlich guten zeitgenössischen Gewissens kennzeichnen. Das Verbrechen war zu schwer, die Verantwortung zu schwerwiegend, bemerkt Rabi mit bitterer Klarheit. Wie werden sie sich von ihrem latenten Schuldgefühl befreien? Der ›Antizionismus‹ ist in dieser Hinsicht ein un-gesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischerweise Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar.“

Dazu kommen wie erwähnt immer abrufbare Ressentiments gegen das Judentum wie die Beschneidung, da machen dann neben der FAZ und den veganen Tierrechtlern (nicht nur in Hamburg) auch die nicht-jüdischen Neocon-Pro-Israelis mit. Gremliza hingegen macht da nicht mit.[v]

Wenn Sie nun, geehrter Herr Zuckermann, Bände publizieren, die den Titel tragen „Wider den Zeitgeist“[vi], kann man nur laut auflachen. Eine Diffamierung der Antisemitismuskritik, bei aller berechtigten Kritik an den Trotteln wie Fanatikern in den heutigen Israelszenen in USA, Europa und in Israel selbst, ja ein Vergleich des Nationalsozialismus mit Juden und Israel ist doch absoluter Mainstream. Trezibs Arbeit bedient diesen Mainstream und die Arbeit ist für Sie „intellektuell exzellent“. Wenn es Sie angeblich ernsthaft nervt, und das völlig zu Recht, dass viele in der Israelszene die Dramatik vor und nach dem Mord an Rabin vor über 20 Jahren nicht erkennen und immer nur die Schuld bei den Palästinensern suchen, warum unterstützen Sie dann Israel dämonisierende und gerade nicht solidarisch kritisierende Arbeiten wie jene Trezibs?

Nicht nur Shoah- und Nationalsozialismusverharmloser, auch Habermasianer fühlen sich als Universalisten und Kosmopoliten pudelwohl und jedem Partikularismus wie auch Emmanuel Levinas und dem jüdischen und demokratischen Staat überlegen, ohne sich je mit Levinas näher beschäftigt zu haben. Angesichts von Pegida, AfD, Orban, Brexit, Wilders, Putin, Erdogan sind natürlich Kosmopoliten sympathische Zeitgenoss*innen. Aber dialektisch gedacht gehört eben der jüdische und zionistische Partikularismus, demokratisch, dazu, der sich gerade philosophisch gegen den Universalismus und für die Differenz einsetzt. Zu kompliziert für deutsche Linke.

Viele selbst ernannte Israelfreunde interessieren sich kaum oder gar nicht für Israel und die Juden. „Lieber Adorno lesen als Hebräisch lernen“ ist deren Motto (Grigat), dabei spricht nichts gegen Adorno, aber was spricht gegen Hebräisch, wenn man sich für Israel interessiert? (Gut, ich kann auch kein Hebräisch, für einen Schwaben ist Hochdeutsch schon schwierig genug). Ihre Behauptung, die Kritische Theorie sei „inkommensurabel“ mit dem Zionismus, ist empirisch widerlegt, ohne die intellektuellen Kämpfe gerade Max Horkheimers, das Spannungsverhältnis von Judentum und Zionismus zu ignorieren. Was jedoch häufig entwirklicht wird, auch von Ihnen, sind die pro-israelischen Statements der führenden Kritischen Theoretiker Horkheimer, Adorno, Löwenthal und Marcuse, lediglich Fromm wurde ein Antizionist.[vii]

Ich sehe nicht, wo Sie sich quellenbasiert mit Adorno oder den Positionen der Kritischen Theorie zu Israel en detail je beschäftigt hätten. Es sind meist Essaybändchen oder Interviews, die Sie publizieren (seit Ihrer Diss. 1988/89), gerade zu Israel, aber unter Forschung versteht man doch etwas mehr. Hätten Sie empirisch etwas zur Kritischen Theorie geforscht, hätten Sie folgendes entdeckt:

1967 gibt es eine der ganz seltenen Stellen im Werk Adornos, wo er auf Israel und die genozidale Gefahr für Juden im Hier und Heute des Nahen Ostens zu sprechen kommt. Das ist von großer Bedeutung, wenngleich es keine intensive Beschäftigung mit dem Zionismus ersetzt – denn im Gesamtwerk Adornos spielten der Zionismus und später Israel kaum eine Rolle. Er schreibt in einem Geburtstagsgruß für Gershom Scholem:

„Scholems würdig ist die Paradoxie seiner Wirkung: heute, da er siebzig Jahre als wird, hat der Ordinarius der Universität Jerusalem bei allen Menschen, denen nicht nur am Geist des Judentums sondern am Überleben der Juden selbst etwas gelegen ist, die Autorität des Weisen gewonnen. Großartig widerspricht sie dem antiautoritären Zug seines Lebens und des von ihm Interpretierten. Seine Nüchternheit gewinnt heilsame Kraft, nicht nur gegen ideologisches Pathos sondern auch in einer Realität, in der nach wie vor die Juden, unter den schmählichsten Vorwänden, mit Vernichtung bedroht werden. Am Ende ist es Scholems Gewalt, daß er nicht apologetisch die Kräfte der Vernichtung, drinnen und draußen, verleugnete, sondern daß er ihnen seine Erkenntnis vorbehaltlos öffnete, mit einem Mut, den nur die Allerstärksten aufbringen. Wie kein Zweiter hat er die Würde der Idee des mystischen Nihilismus hergestellt.“

Diese Einschätzung Adornos wurde am 2. Dezember 1967 in der Neuen Zürcher Zeitung publiziert und ist heute so aktuell wie damals: wem am „Geist des Judentums“ etwas gelegen ist, der oder die sollte auch „am Überleben der Juden“ interessiert sein, alles andere ist Heuchelei oder eben der Jargon der Uneigentlichkeit Judith Butlers. Diese angesichts des neuen linken Antisemitismus nach dem Sechstagekrieg geäußerte Angst Adornos vor der Gefahr der „Vernichtung“ der bedrohten Juden in Israel widerlegt die von Ihnen, geehrter Herr Zuckermann, in den antiisraelischen Raum der Susann Witt-Stahl geworfene Behauptung:

„Adorno als Apologet der IDF ist schon keine Plünderung mehr, sondern eine Vergewaltigung durch perverse intellektuelle Unzulänglichkeit.“[viii]

Da Sie das ohne Kenntnis des Werks Adornos sagen, kann man Sie einfach nicht ernst nehmen. Es gibt sehr wenige Stellen Adornos zu Israel, aber jenen öffentlichen Text vom 2. Dezember 1967 müssten Sie halt schon kennen, wenn Sie wollen, dass man Sie als Adornoforscher ernst nimmt.

Dabei gibt es vertrottelte Antifas, die tatsächlich den Zweiten Weltkrieg ihrer Großväter nachspielen wollen und jetzt die Palästinenser als Opfer auswählen, die es als Volk ja gar nicht gebe und die kein Recht auf einen Staat hätten. Die gleichen Typen sind nicht selten ignorant gegen die Kritik der Mathematisierung der Welt, die ein Kernpunkt der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno (1944/47) und eine Kritische Theorie der Naturbeherrschung ist, und blöken nur „Beton, Beton, Beton“ wie die Antilopengang.[ix]

Wenn Sie in Ihren Text im Februar 2017 schreiben:

„Denn nicht nur konnte man nun die ‚Juden‘ noch effektiver entkonkretisieren, sondern man durfte sie sich nun als ein abstraktes politisches Kollektivsubjekt denken, das Subjekt des zionistischen Staates Israel. Und als solches Subjekt wurden sie pauschal als Überlebende des Holocaust und ihr Staat entsprechend als eine geheiligte Zufluchtsstätte apostrophiert. Die Juden also in ‚Israel‘ wissend, blieb nur noch eins zu verrichten: den ‚Antisemitismus‘ im eigenen Land zu bekämpfen, und zwar rücksichtslos“,

trifft das nicht wenige Vertreter*innen der Israelszene – wobei man sich gleichwohl die Frage stellen muss, warum man gerade da aufschreit, wo ein paar wenige Aktivist*innen „rücksichtslos“ den „Antisemitismus im eigenen Land bekämpfen“ wollen. Sollen Sie etwa rücksichtsvoll vorgehen? Gleichwohl liegt darin auch eine gewisse Ignoranz gegenüber den Realitäten in Israel. Natürlich hat die Kritik am Antisemitismus nichts mit der Realität in Israel zu tun, Antisemiten ist das egal – aber Kritiker*innen des Antisemitismus und des Antizionismus müssen sich eben auch mit der innerisraelischen Kritik am Rassismus oder religiösen, extrem rechten Fanatismus in Israel befassen, wenn sie der Wirklichkeit annähernd gerecht werden wollen und Juden als Subjekte ernst nehmen.

Zudem ist es doppelt falsch, wie nicht wenige dieser (verglichen mit der Antisemitischen Internationale selbstredend höchst sympathischen) Leute gleichwohl denken: Israel ist nicht in erster Linie ein Zufluchtsort und wurde nicht wegen, sondern trotz dem Holocaust gegründet. Bekanntlich fand der erste Zionistenkongress 1897 in Basel statt. Und auch wenn krasse jüdische Antisemitinnen – die gibt es – wie Jacqueline Rose fantasieren und insinuieren, Hitler hätte sich auf dem gleichen Konzert (!) mit Wagnermusik in Paris zu „Mein Kampf“ inspirieren lassen wie Herzl zu „Der Judenstaat“ (also spätestens im Mai 1895), so hat doch 1897 mit dem Nazismus und der Shoah rein gar nichts zu tun.

Ich weiß nicht, ob Sie das mitbekommen haben, aber jene „antideutschen Kommunisten“, sind häufig anti-antideutsch und haben sowohl die Analysen von Daniel Goldhagen 1996ff. aggressiv abgewehrt, als auch jedwede Analyse politischer Kultur diffamiert; Studien wie von Peter Viereck von 1941 (Metapolitics), Paul L. Rose oder George L. Mosse waren nur hinderlich, das allgemein Bürgerliche zu attackieren, um ja nicht von dem spezifisch Deutschen zu reden, wenn es um den Antisemitismus geht.

Lars Quadfasel schreibt in Konkret Folgendes:

„Für das Image als ehrwürdige, den Niederungen des Tagesgeschäfts entzogene Institution aber ist keine bessere Spielmarke denkbar als das permanente Durchhecheln israelischer Missetaten. Diese sind, quantitativ wie qualitativ (denn wären alle Opfer von Unrecht so wohl versorgt wie die Palästinenser, wäre die Welt wirklich ein besserer Ort), von kaum zu übertreffender Bedeutungslosigkeit für das Weltgeschehen.“[x]

Das ist an Zynismus und Desinteresse am Zionismus und den Juden Israels wie einem palästinensischen Staat und der Situation hier und heute der Palästinenser*innen in der Westbank schwer zu übertreffen. Eine Steilvorlage für Post- und Antizionisten, der Israelszene Ignoranz oder Rassismus vorzuwerfen. Für Typen wie Quadfasel wäre eine tägliche Lektüre der Times of Israel (TOI) gar nicht schlecht. Aber da müsste man sich jedoch mit Israelis, zionistischen, aber nicht selten auch kritisch-zionistischen, z.B. den Rassismus in Israel thematisierenden Autor*innen befassen und das ist mühsam und macht die Causa Israel komplizierter als das Wegschauen.

Gerade Zionisten wie der Forscher, Verfassungsrechtler, Politiker und Autor und Rabin-Verbündete Amnon Rubinstein haben doch auf die verheerenden Wirkungen des religiösen Fanatismus in Israel seit 1967 verschärft hingewiesen (in seiner auch auf Deutsch vorliegenden „Geschichte des Zionismus“) und forschen zu den zionistischen und demokratischen Aspekten Israels. Auch Fania Oz-Salzberger oder Yedidia Z. Stern, Ruth Gavison, Anita Shapira, Gadi Taub, Shira Wolosky, Yaffa Zilbershats oder Alexander Yakobson und viele andere israelische Forscher*innen sind selbstkritische, aber dezidierte liberale oder linke oder einfach Mainstream-Zionist*innen. Ihnen Undifferenziertheit oder Rassismus zu unterstellen ist grotesk.

Doch Sie befassen sich mit solchen pro-israelischen (wie pro-palästinensischen) Stimmen ja gar nicht. Israel sollte nach deren Ansicht ein jüdischer und demokratischer Staat sein und bleiben, neben einem zu gründenden palästinensischen Staat. Das ist angesichts der arabischen und palästinensischen Weigerung (von Ausnahmen abgesehen, Ägypten, Jordanien, einige weitere hohe Offizielle der arabischen Welt) Israel anzuerkennen, nicht einfach, um es harmlos auszudrücken. Kein Mensch, der an der Existenz Israels interessiert ist, vergleicht deshalb (!) diesen Staat mit dem verbrecherischsten Regime aller Zeiten, dem Nationalsozialismus. Doch genau das tun Sie, indem Sie die ungeheuerliche Studie von Trezib als Dissertation annahmen und die Buchpublikation mit einem Vorwort unterstützen. Das ist keine Kritik, sondern eine Dämonisierung Israels und eine Trivialisierung des Nationalsozialismus auf typischste, allzu deutsche Art und Weise.

Nochmal: Immer nur den ANDEREN als den Täter und das Böse zu benennen, ohne die eigenen Anteile an einem Konflikt auch nur zu thematisieren, ist falsch und verkürzt. Aber wollen Sie wirklich darauf hinaus und vergleichen deshalb Israel mit Nazideutschland?

Ein negativer, unfassbarer negativer Höhepunkt für mein Verständnis einer Pro-Israelszene war das Beten für Trump vom Simon Wiesenthal Center (ich kenne diese Leute des SWC in NYC, Paris, LA, Jerusalem). Doch schon die regelrechte Hetze gegen John Kerry und die US-Administration (die ich viele Jahre regelmäßig scharf kritisierte, und auch als jemand, der exakt 2008, als Obama gewählte wurde, ein Jahr lang in USA lebte) sowie die UNSC Resolution 2334 im Dezember 2016 indizierten, wie wenig Reflektion in der Israelszene vorhanden ist.

Eine viel pro-zionistischere Rede wie jene von John Kerry haben wir selten von einem führenden Politiker gehört. Äußerst luzide, emphatisch, sachlich, fundiert, zukunftsorientiert, pro-israelisch und pro-palästinensisch (hätte das nicht David Ben-Gurion und die Staatsgründer*innen gefreut?). Gerade um Israel zu retten und die Einstaatenlösung zu verhindern, braucht es Mut und eine Kritik der Siedlungspolitik.

Wenn ich Leute, die ich teils viele Jahre kenne, höre, die meinen, diese Rede sei antiisraelisch, kann ich nur sagen: hört euch eine offizielle iranische Rede an, um eine antiisraelische Tonlage zu hören. (Pointe: iranische Reden sind auf Persisch, aber wer kann schon Persisch? Also ignorieren, wird schon so schlimm sein wie John Kerry). Viele anti-iranische Expert*innen sind ironischerweise oder absurderweise Leute, die gar nicht Persisch sprechen, lesen oder hören können. Die Irankritik hat Besseres verdient.

Wenn wir uns dann anschauen, dass Leute Trump womöglich als „Hegels List der Vernunft“ sehen, also den gefährlichsten Irrationalismus (und Antisemitismus) rationalisieren, ist das schlichtweg unfassbar. Dass der Sexismus, gerade von männlichen Autoren, derealisiert oder goutiert wird, klar. Aber auch antisemitische Verschwörungsmythen, von denen Trump voll ist, zu entwirklichen oder als listig zu rationalisieren, das ist neu für Leute, die behaupten, mal Kritische Theoretiker gewesen zu sein wie Gerhard Scheit.

Zentral dürfte sein, dass auch Ihre Leser*innen des Drecksblattes, sorry, der jw Sie womöglich gar nicht verstehen – oder aber Ihre Kritik sehr wohl kapieren, deren Pointe darin besteht, keine innerisraelische Kritik oder inner-israelsolidarische Kritik zu sein, sondern Agitation gegen Israel zu promoten, mit Koscherstempel. Weder können junge Welt-Leser*innen mit dem Einwurf, Antideutsche seien gar nicht antideutsch, etwas anfangen. Seit wann haben Vulgärmarxisten sich mit der deutschen Spezifik der politischen Kultur und des Antisemitismus und der Shoah je befasst? Diese Typen benutzen Sie, sehr geehrter Moshe Zuckermann, für Israelhass – oder benutzen Sie die jw und deren Umfeld für Ihre Ablehnung des Zionismus? Dass Ihnen als Israeli womöglich – ich weiß es nicht – an einer bestimmten Kritik am Rassismus in Israel (den es dort gibt wie in UK, AmeriKKKa oder Germany etc.), an einer Kritik am Groß-Israel der Siedler, oder der Kritik alltäglicher Diskriminierungen in der Westbank liegt – und Ihr Ziel nicht ist, Israel (als jüdischen und demokratischen Staat) zu zerstören, will das die junge Welt wissen? Glauben Sie das ernsthaft?

Sie schreiben:

„Und da begegnet man nun im deutschen Diskursfeld der nicht nur von Juden, sondern auch von nichtjüdischen Deutschen gemachten Unterstellung, diese Sorge um den Staat Israel und seine Gesellschaft – mithin das gegen alle Widerstände hochgehaltene Streben nach der Lösung des Konflikts zwischen Juden und Palästinensern und ihrer Versöhnung – sei das Werk ‚jüdischer Antisemiten‘ bzw. ‚sich selbst hassender Juden‘.“

Doch haben Sie tatsächlich Sorge um „den Staat Israel“ oder doch eher Sorge davor, nicht mehr der Vorzeigekoscherstempelverteiler für nicht-jüdische deutsche Antisemiten zu sein? Sorge um Israel ist nachvollziehbar. Und viele aus der selbst ernannten Israelszene habe die insofern in der Tat nicht, als sie sich mit dem Rassismus oder den extrem rechten, religiös-fanatischen wie nationalistischen Tendenzen der politischen Kultur wie der Gewalt der Siedler überhaupt nicht befassen und israelische, zionistische Kritik daran seit Jahrzehnten ignorieren.

Konkret schafft es nicht, luzide Israelsolidarität mit ebenso luzider Israelkritik zu verbinden. Da sind die Quadfasels dieser langweiligen und insofern elenden linken Israelszene häufig nur nicht-jüdische Bekenntnisisraelis, die sich um die konkreten Juden und deren Sorgen gerade ob des Judenstaates nicht scheren. Und doch sind die um Welten besser als die Israelhasser der jungen Welt und sonstiger Gruppen oder Forscher, die seit Jahrzehnten Sie einladen oder als Referent und Gutachter auswählen.

Auch viele Juden und Christen-für-Israel wie säkulare Agitator*innen scheren sich mitunter nicht um das konkrete Israel, sondern hetzen gegen „den“ Islam und „die“ Muslime. Nichtjüdische linke Aktivist*innen der Israelszene sind privat vielleicht gegen Trump und die extreme Rechte, aber öffentlich sind sie für Israel ohne Wenn und Aber und wenn das SWC für Trump betet und Bibi dem Narzissten ein Stelldichein gibt, dann ist Trump Pro-Israel und somit pro-jüdisch, auch wenn er am Holocaustgedenktag absichtlich (!) Juden als die einzige Opfergruppe der Shoah nicht erwähnt.

Und ich denke, das ist der Hinter-Grund Ihres Furors, der ins Schwarze trifft, oder besser gesagt: treffen könnte – angenommen, Freuds Unheimliches meinte nicht Sie.

Könnte nämlich auch sein, dass Ihnen Israel gerade nicht am Herzen liegt und sie den jüdischen Staat in einen binationalen, auf kurze Zeit arabischen Staat umgewandelt wissen wollen, dann wären Sie jedoch mit der dümmlichsten „Linken“ à la Judith Butler wie auch der hardcore Rechten wie mit Caroline Glick, den messianischen wie nationalistischen Siedlerfanatiker*innen oder auch Trump und Bibi in einem Boot.

Und Vergleiche der israelischen Landesplanung mit dem Generalplan Ost helfen, das Land weltweit zu dämonisieren, zu isolieren und zum Abschuss freizugeben. Merken Sie das ernsthaft nicht oder kichern Sie da klammheimlich, da Sie eh einen Rückzugsort in Germany haben?

Sie geben ja zu, dass es Ihnen gar nicht um konkrete Fehler (!) israelischer Politik geht, so wie das zionistische Kritik kennzeichnet, sondern:

„Die Frage, warum sich das zionistische Israel in eine historisch ausweglose Situation manövriert hat, soll hier aus der Logik des Zionismus selbst, also von einer ihm immanenten Perspektive erkundet werden.“[xi]

Solcherart Essentialismus, negativer, ja eine solche Ontologie des Zionismus ist völlig unpolitisch, da es dabei nicht um Fehler eines Staates geht, sondern um den Fehler des Staates an und für sich. Anarchistische Kritik, by the way, hat ihr gutes Recht, aber damit gerade bei Israel anzufangen, zeigt die Obsession es dem einzigen Judenstaat zu zeigen. Mit zionistischer Kritik an bestimmen Politiken Israels befassen Sie sich erst gar nicht, jedenfalls nicht für ihr deutsches Publikum, um das es ja geht, denn dieses Publikum ist Ihre Berufsgrundlage.

John Kerry hatte wie gesagt einen zionistischen Weg gewiesen, aber der wird nur diffamiert, gerade von der deutschen Israelszene, die nur nachbetet was die israelische Botschaft verkündet. Selber denken: geht nicht, aus geistigen Kapazitätsgründen nicht. Schon als Bibi meinte, der Mufti von Jerusalem, der üble Nazihelfer, hätte Hitler erst den Holocaust schmackhaft machen müssen, merkte man doch, wie absurd, antiwissenschaftlich und gleichsam fanatisch antimuslimisch (und nicht mehr antiislamistisch) hier gedacht wird.

Und wie anti-antideutsch. Wenn nämlich der Mufti Hitler zur Shoah inspirierte, war sie also eine primär muslimische Tat und da sind wir dann bei Werbekampagnen der verschwörungsmythischen Agitatorin Pamela Geller aus New York City, die auf Bussen plakatieren ließ (Bild: der Mufti im Gespräch mit Hitler, November 1941): „It’s in the Quran“. Viel mehr anti-antideutsche Ideologie geht kaum.

Aus meiner editorischen Vorbemerkung zu „Der israelische Nationalstaat“ von Fania Oz-Salzberger und Yedidia Z. Stern (Hrsg.), Januar 2017:

„Mit einem US-Präsidenten Trump als „Freund“ – manche „Marxisten“ sehen in ihm gar Hegels „List der Vernunft“, manche Juden und gewisse Israelis (wie der israelische Innenminister Arye Dery) die Ankunft des „Messias“ und eine große amerikanisch-jüdische NGO (das Simon Wiesenthal Center, repräsentiert durch seinen Gründer und Vorsitzenden Rabbi Marvin Hier) betete für Trump auf dessen Inauguration – und der beschriebenen Gefahr der Einstaatenlösung braucht Israel seriöse, liberale, linke und demokratische Stimmen. Für die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich an Sigmund Freuds Analyse des Unheimlichen anlehnt, indiziert die positive Reaktion auf Trump ein „Erdbeben“ in der „jüdischen Welt“. Hatten Juden bislang gegen Antisemitismus und für Menschenrechte gekämpft, so stehen sie nun, so Illouz, angesichts von Trump in nicht geringen Teilen Seite an Seite mit antisemitischen Positionen und einer Unzahl weiterer auch für die Demokratie und die Menschenrechte (für alle Bewohner*innen) in Israel gefährlichen Gruppen, Personen und Tendenzen. Umso wichtiger ist es, Israel als jüdischen und demokratischen Staat zu festigen. Möge dieser Band eine Anregung zur zivilisierten Debatte, eine Stimme der zionistischen Vernunft sein – in Zeiten von Jihad und islamistischem oder säkularem Antisemitismus (wie BDS) sowie der Kakophonie eines Philosemitismus und Philoisraelismus.“

Sie haben Recht, wenn Sie darauf zielen, dass viele Aktivist*innen in der (mini-kleinen, by the way) Israelszene Rassismus in Israel nicht sehen wollen, dabei ist das unter linken oder liberalen Israelis selbstverständlich, den zu erkennen, zu kritisieren und zu bekämpfen.

Doch da kommt wieder Freuds Analyse des Unheimlichen ins Spiel. So nachvollziehbar, aus zionistischer Perspektive als „heimlich“ im Sinne von „heimelig“, „bekannt“ oder „daheim“ Ihre Kritik an der in weiten Teilen völlig unreflektierten Israelszene ist (deren Einigeln in einem selbstreferentiellen Kokon wiederum insofern verständlich ist, da so unglaublich viele andere Gruppen antiisraelisch hetzen, von BDS über Jihadisten hin zur Mitte der Gesellschaft), so unheimlich, monstermäßig, gruselig verwandelt sie sich durch Ihr Agieren, das absichtlich wirkt.

Sie promoten anti-israelische Agitatorinnen wie Tamar Amar-Dahl, der gerade ein linker Zionist und den Ausgleich mit den Palästinensern suchender Präsident wie Shimon Peres abscheulich vorkommt, und Sie unterstützen antisemitische Ressentiments und den widerlichen Nazi-Israel-Vergleich via der Studie von Trezib, um nur diese beiden Beispiele heranzuziehen. Amar-Dahls Doktorvater war der Rechtsaußen Horst Möller, Herausgeber des Buches mit dem antisemitischen, Holocaust trivialisierenden Titel „Der Rote Holocaust“. Sie waren Zweitgutachter Amar-Dahls, wie bei Trezib. Querfront ick hör dir trapsen. Honni soit qui mal y pense.

Auf eine Frage der Internet-Zeitschrift „Hintergrund“ zur Amadeu Antonio Stiftung (AAS) sagen Sie[xii]:

„Ich bitte Sie, wozu sich überhaupt damit befassen, was die Leiterin der Amadeu Antonio Stiftung unbeschwert in die Welt setzt? Ich weiß nicht wer diese Frau ist. Aber wenn ich dem folge, was Sie von ihr berichten, habe ich das Gefühl, es handelt sich um eine ehemals stramme SED-Anhängerin, vielleicht sogar noch mehr, die heute versucht, ihre Vergangenheit so zurechtzurichten, dass sie mit der Ideologie  des gerade in Deutschland wehenden Zeitgeistes vereinbar ist. Ich könnte mir denken, sie war selbst mal eine dezidierte Antizionistin, die jetzt versucht, ihre ‚Jugendsünden‘ wiedergutzumachen. Das sei ihr auch psychologisch zugestanden – ich weiß nur nie, warum diese Leute immer meinen, ihre lebensgeschichtlichen Defizite und die damit einhergehenden ‚Reuen‘ in allgemeine Kategorien fassen und durch hanebüchene Ideologien kompensieren zu sollen. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich nicht meine, mich mit den Auslassungen der Leiterin der Amadeu Antonio Stiftung befassen zu müssen.“

Da lacht der Nazi aus Oberschöneweide oder aus dem Wendland und die Junge Freiheit würde Sie sicher gerne als Autor gewinnen. Um das zusammenzufassen: Sie, Herr Zuckermann, kennen die Leiterin der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, überhaupt nicht, nennen sie auch nicht mit ihrem Namen – warum sollte auch ein Mann eine erfolgreiche NGO-Aktivistin, die zudem im Gegensatz zu ihm gegen Antisemitismus aktiv ist, ernst nehmen, gell? –, insinuieren, die Ihnen nicht bekannte Frau sei womöglich früher Antizionistin gewesen und habe „lebensgeschichtliche Defizite“ und somit wollen Sie den Kampf gegen Antisemitismus quasi als kalkulierte Kompensationsmaßnahme möglicher „lebensgeschichtlicher Defizite“ unbekannter Frauen diminuieren, ja völlig lächerlich machen.

Jovial gestehen Sie der Ihnen gar nicht bekannten Frau zu, mögliche und von Ihnen in den Raum geworfene „Jugendsünden“ zu bereuen. Antisemitismus- und Islamismuskritik wie auch Kritik am Antisemitismus in der DDR (darum ging es in der Frage der Postille „Hintergrund“) also nur als vorgeschobene Gründe. Mit dieser Argumentation können Sie bei jeder rechtsextremen Gruppierung „besorgter Bürger“ mit Handkuss aufgenommen werden, nicht nur in Sachsen oder Thüringen.

Wieso werfen Sie dem Zionismus seine Grundlage vor (!), dass nämlich der Zionismus die Diaspora negiert?[xiii] Viele Juden sind Zionisten und leben doch in der Diaspora, dazu gibt es unzählige Debatten und Texte, ein einziger Besuch in einem JCC (Jewish Community Center) in USA reicht, um das zu erleben (wie in New Haven, CT). Die Diaspora und Israel ergänzen sich, das ist seit 1948 ein großes innerjüdisches Thema, das jetzt durch Trump und den neuen US-Botschafter in Israel, Friedman, der linke Zionisten als “schlimmer als Kapos” diffamiert hat, in USA enorme Aktualität bekommen hat, wie der bekannte Journalist Rob Eshman aus Los Angeles unterstreicht.

Dann sind Sie eben ein Antizionist und keineswegs ‚nur‘ ein Nichtzionist. Dabei negieren Sie, dass der Zionismus keineswegs aus dem Antisemitismus entstand, jedenfalls nicht nur, sondern ganz wesentlich eine Rückkehr darstellte und darstellt, die Sehnsucht nach einer Rückkehr zu jüdischer politischer Souveränität, die ab 1948 staatliche Realität wurde. Jede Forscherin und jeder Forscher zum Zionismus weiß das. Doch mit diesem Nichtwahrhabenwollen der Raison d’être des Zionismus stehen Sie gar nicht alleine, nicht wenige in der (antideutschen) Israelszene denken auch, Israel sei nichts als ein Zufluchtsort. Völlig falsch.

Es ist ein Wunder, dass es Israel trotz der Shoah gibt – und nicht wegen der Shoah, die sechs Millionen Juden das Leben nahm, von Deutschen organisiert und ausgeführt (sowie Helfern in ganz Europa). Viele denken auch der Holocaust sei der Grund für den Judenstaat und viele Antideutsche unterstützen Israel nur bis zur Revolution. Nach dem Kommunismus gibt’s kein Israel mehr. Tja. Insofern verständlich dass viele selbst ernannte Antideutsche sich wenig mit Israel beschäftigen bzw. primär mit dem Strand oder Nachtleben von Tel Aviv und dem Essen – da viele Israelis nicht so unbedingt super begeistert wären, nach der Revolution ohne jüdische Souveränität dazustehen und sich von den Bahamas sagen zu lassen, dass das mit der Beschneidung jetzt nicht mehr gehe.

(leicht veränderte Version, 05.09.2017).

 

[i] Mosche Zuckermann (1989): Das Trauma des „Königsmordes“. Französische Revolution und deutsche Geschichtsschreibung im Vormärz, Frankfurt a.M.: Athenäum, 373.

[ii] Moshe Zuckermann (2003): Zweierlei Israel? Auskünfte eines marxistischen Juden an Thomas Ebermann, Hermann L. Gremliza und Volker Weiß, Hamburg: Konkret (texte 34), 137.

[iii] Joachim Nicolas Trezib (2014): Die Theorie der zentralen Orte in Israel und Deutschland. Zur Rezeption Walter Christallers im Kontext von Sharonplan und „Generalplan Ost“. Mit einem Vorwort von Moshe Zuckermann. Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch‐jüdische Studien, Potsdam in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin‐Brandenburg, Redaktion: Werner Treß, Band 3, Oldenburg: De Gruyter.

[iv] Die folgenden paar Abschnitte sind aus Clemens Heni (2016): Vorwort: Zionismus und die Realität an deutschen Universitäten heute, in: Wiebke Dursthoff (2016):  Kibbutz und Bauhaus. Arieh Sharon und die Moderne in Palästina, Berlin: Edition Critic, 10–18.

[v] „Das Angebot der Deutschen, Beschneidung Unmündiger nicht als Körperverletzung verfolgen zu lassen, ist so faul wie jeder Kompromiß zwischen Tätern und Opfern. Was zu verlangen wäre, wird nicht verlangt: eine Erklärung, daß die Beschneidung nicht bestraft werden kann, weil die Deutschen das Recht, Juden Gebräuche ihrer Gemeinschaft zu untersagen, durch Auschwitz verwirkt haben, wenn nicht für immer, so doch auf eine ihren Verbrechen angemessene Zeit, sagen wir: auf tausend Jahre. So würde das besinnungslose Geschwätz vom ‚besonderen Verhältnis zu den Juden‘ endlich einmal wahr“ (Hermann L. Gremliza (2016): Haupt- und Nebensätze, Berlin: Suhrkamp, 134). Das ist der Unterschied zwischen antideutscher Kritik und den Bahamas und deren jungdeutschen Regimentern, by the way.

[vi] Moshe Zuckermann (2012): Wider den Zeitgeist. Bd. 1. Aufsätze und Gespräche über Juden, Deutsche, den Nahostkonflikt und Antisemitismus, Hamburg: Laika-Verlag.

[vii] Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin: Edition Critic.

[viii] Moshe Zuckermann (2014): ‚Antifaschismus‘ als falsches Bewusstsein. Ein ideologiekritisches Gespräch mit Moshe Zuckermann (mit Susann Witt-Stahl), in: Susann Witt-Stahl/Michael Sommer (Hrsg.): „Antifa heißt Luftangriff“. Regression einer revolutionären Bewegung, Hamburg: Laika-Verlag, 181–201, 189.

[ix] „Du kriegst Frühlingsgefühle, sind die Blumen am Blühen
Ich hingegen schiebe Krise, kriege Lust zu planieren
Hörst du die Sträucher rascheln? Hörst du die Äste knacken?
Wenn wir Bäume fällen, Platz für die Städte schaffen
Abgas, Abgas über alles, über alles in der Welt
Fick die Sonne, wir verdunkeln nun das Himmelszelt
In die Seen kippen wir Benzin
Asphalt macht Spaß, Grau ist das neue Grün“, „Das grelle Neonlicht vernichtet jede Finsternis
Ich bestelle etwas Noppenschaum im Internet
Crystal Meth, Synthetik Ästhetik
Die Natur ist mein Feind auf ewig
Tankstellendämpfe, schmelzendes Plastik
Geschmacksverstärker – ich bin ein Stadtmensch“, „Beton“, Song der Antilopengang auf dem ansonsten hörenswerten Album „Aversion“, https://genius.com/Antilopen-gang-beton-lyrics (eingesehen am 12.03.2017).

[x] Konkret 2/17, S. 31.

[xi] Moshe Zuckermann (2014): Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt, Wien: Promedia, 9.

[xii] Zuckermann 2012, 177.

[xiii] Gespräch mit Moshe Zuckermann (2002), in: Karin Joggerst (2002): Getrennte Welten – Getrennte Geschichte(n)? Zur politischen Bedeutung von Erinnerungskultur im israelisch-palästinensischen Konflikt, Münster/Hamburg/London: LIT Verlag, 111–116, 112.

©ClemensHeni

Trump, Zionism and Antisemitism

Von Dr. phil. Clemens Heni, 22. Februar 2017

Times of Israel (Blogs)

Several Jewish and non-Jewish NGOs, scholars, activists, bloggers and authors believe, the Trump administration will fight antisemitism and will be helpful both for Jews and Israel.

Their derealization of sexism is shocking enough. But no surprise either.

Let’s have a look at Trump, antisemitism and Zionism alone.

Scholars for Peace in the Middle East (SPME) argues that Trump might consider strong anti-BDS legislation. The Simon Wiesenthal Center prayed for Trump at the inauguration and the Louis D. Brandeis Center  is hopeful that Trump will be fighting antisemitism, too.

Journalist Benjamin Weinthal (Jerusalem Post) and his colleague from SPME, Asaf Romirowsky, claim:

In late December, with just weeks left in his administration, former U.S. President Barack Obama delivered a shot in the arm to the anti-Israel Boycott, Divestment, Sanctions movement, or BDS. Obama instructed the U.S. ambassador to the United Nations, Samantha Power, to abstain instead of vetoing a U.N. Security Council resolution rebuking Israeli settlement activity.

Resolution 2334 deems Israel’s presence in disputed territories in the West Bank and East Jerusalem to be illicit. Combined five days later with a didactic anti-Israel speech from Secretary of State John Kerry, the resolution administered a body blow to Israel’s brand.

The Middle East Forum’s (MEF) director Greg Roman attacks the resolution 2334, which is no surprise, but still lacks a scholarly analysis of the resolution. The Simon Wiesenthal Center puts the Obama Administration on place one of their “Top-Ten worst global antisemitic and anti-Israel incidents 2016”:

The most stunning 2016 UN attack on Israel was facilitated by President Obama when the US abstained on a UN Security Council resolution condemning Israel for settlement construction.

What says United Nations Security Council Resolution 2334 from December 2016?

Expressing grave concern that continuing Israeli settlement activities are dangerously imperilling the viability of the two-State solution based on the 1967 lines.

That is not antisemitic. On the contrary, the UNSC again reaffirms the very existence of Israel!

John Kerry’s speech was even clearer and very pro-Zionist:

This is an issue which I’ve worked on intensely during my time as Secretary of State for one simple reason: because the two state solution is the only way to achieve a just and lasting peace between Israelis and Palestinians. It is the only way to ensure Israel’s future as a Jewish and democratic state, living in peace and security with its neighbors.

This is exactly the position of leading Zionist scholars in the field, such as Fania Oz-Salzberger, Yedidia Z. Stern, Gadi Taub, Ruth Gavison or Anita Shapira, at least in my reading of their book “The Israeli Nation-State” from 2014, which I just translated into German (with my colleague Dr. Michael Kreutz) and published the book (456 pages) this week.

John Kerry wanted to “ensure” that Israel is a Jewish and democratic state. Period.

However, the self-declared pro-Israel establishment in the US or Germany, runs riot against resolution 2334 and the Obama administration. Now they embrace Trump, more or less.

Even Kenneth Marcus from the Louis D. Brandeis Center, known for thoughtful analysis and scholarship in antisemitism, rejects any analysis of the very specific way Trump fueled antisemitism in the last 15 months or longer. Marcus rather obfuscates the very new climate in the US after the election of Trump and says:

“In today’s heated political climate Marcus said anti-Semitism is rampant in both pro-Trump supporters and anti-Trump groups, among others, and should not be attributed to one source.“

It is not news that leftists are anti-Zionist, for example, but it is news that the neo-Nazi Alt Right is now sitting in the White House (Steve Bannon, Breitbart). And the unbelievable increase of antisemitic incidents in the US has very close connection to the extrem right and not to the left. Neo-Nazis have been emboldened by Trump, no doubt about this.

Marcus concludes (this is from a report about a talk he gave) and even sees Trump as a possible ally:

“The Trump Administration could be another factor in the battle against anti-Semitism. (…) Marcus credited the Trump campaign for issuing a statement expressing concern about campus anti-Semitism, and for comments indicating that the Department of Justice would address university suppression of Jewish pro-Israel speech. Marcus doesn’t know if any of this will translate into policy, but he’s hopeful.“

Crediting Trump – unbelievable.

Then, those in the pro-Israel camp who defame Kerry should listen to a single speech by Iranian President Ayatollah Ali Khamenei in order to learn how an anti-Israel speech sounds like. Then, they should listen to John Kerry’s speech about resolution 2334 and rethink their unprofessional remarks that Kerry‘s speech was a “didactic anti-Israel speech” as Weinthal and Romirowsky frame it.

If it is anti-Israel to support the Jewish and democratic state of Israel and to be against religious and nationalist fanaticism and the settlements, read: to be for a two-state solution, than most Israelis and Jews in the US and worldwide are anti-Israel.

Palestinian rejectionism is a huge problem, of course, ever since 1947 and before.

But Israeli fanaticism is also a huge problem, just listen to the six Shin Bet directors between 1980 and 2011, who are interviewed in the Oscar nominated film “The Gatekeepers” by Dror Moreh in 2012, featuring Ami Ayalon, Avi Dichter, Yuval Diskin, Carmi Gillon, Yaakov Peri, Avraham Shalom. They emphasize that the Palestinians are not just terrorists. They are political subjects and need political acceptance by Israel (and of course, vice versa, but that is NOT news).

We need a political solution, not a military solution, that is their message – and thesse former Shin Bet directors from 1980 through 2011 might know more about the Palestinians and how to fight terrorism and how not and what is good or bad for Israel than American or European activists.

But there are also those Israeli fanatics in the 1990s, including Benjamin Netanyahu, to be sure, who agitated against Yitzhak Rabin, as the film shows, until Rabin was killed, November 4, 1995. How does Israel look like today?

A Question to all those American and other Trump supporters: Is it a sign of a particular pro-Jewish approach to omit the mentioning of Jews as the only victims of the Shoah on Holocaust Remembrance Day, January 27, 2017? Historian Deborah Lipstadt called Trump’s statement a “softcore Holocaust denial.”

Finally, and most importantly, if it is pro-Israel to destroy the Jewish state and to invoke or mention (as a result of stupidity, thoughtlessness or by intention) the “one-state solution” as President Trump did during his shocking and embarrassing press conference with Netanyahu on February 15, 2017, then things are turned upside down. Trump and his folks will call it “alternative facts.”

PRESIDENT TRUMP:  So I’m looking at two-state and one-state, and I like the one that both parties like.  (Laughter.)  I’m very happy with the one that both parties like.  I can live with either one.“

No problem for the Simon Wiesenthal Center (SWC), Scholars for Peace in the Middle East (SPME) or the Louis D. Brandeis Center and their allies?

David Horowitz from the Times of Israel concludes:

“And yet, by allowing Trump’s talk of a possible single entity between river and sea to pass without contradiction, Netanyahu himself dealt a stinging, public blow to the Israel we are living in today. For if our prime minister is unwilling to speak up, loudly and clearly, in defense of a Jewish, democratic Israel within internationally recognized borders, who else will? Certainly not President Donald Trump.”

©ClemensHeni

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