Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Jordanien

Gibt es eine linke Kritik der Zeugen Coronas? Wer die irrationale Coronapolitik kritisiert, sollte vom Antisemitismus im Libanon, der Hisbollah oder der Deutschen Welle nicht schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, 20. Dezember 2021

Ich hab mehrfach und ausführlich über problematische Aspekte beziehungsweise Ideologeme in der Coronakritiker*innenszene berichtet. Seien es Verschwörungsideologien bei Portalen wie Rubikon, Multipolar, Ressentiment gegen das Geld bei Lisa Fitz und ihren Fans bei den NachDenkSeiten, ein entspanntes Verhältnis zum Verbrennen von Israelfahnen bei Ulrike Guérot, noch viel krassere connections wie jene des Basis-Bundestagskandidaten Ernst Wolff zur Anti-Zensur-Koalition … Ausführlich zu Achgut, Kaiser TV, NDS, Rubikon und anderen schreibe ich in meinem Buch „Die unheilbar Gesunden„, z.B. das hier:

Die AfD plakatiert zum Bundestagswahlkampf 2021 „Deutschland. Aber normal“. Diese Normalität schon lange vor Corona ist das Problem. Deutschland ist das Problem. Am 11. Mai 2019 fand die „Erste Konferenz der freien Medien“ der AfD im Deutschen Bundestag statt. Geladen waren bekannte rechte Redner*innen, eine Stellwand zeigte eine Liste derjenigen, die unter „freien“ oder nicht-mainstreamigen Medien gemeint sind: Vom rechtsextremen Compact Magazin von Jürgen Elsässer über PI-News hin zu Kla.TV und AZK, der Anti-Zensur-Koalition und vielen anderen.[1] Die AZK ist eine vom Sektenführer (Organische Christus-Generation, OCG) Ivo Sasek aus der Schweiz gegründete Gruppierung. 2012 sprach die Holocaustleugnerin Sylvia Stolz auf der AZK Konferenz und Sasek war ganz gerührt von ihrem Vortrag, für den sie später verurteilt wurde.[2] Kla.TV (Klagemauer TV) ist auch ein Projekt, das Saseks Ideologie promotet, gegen Israel Stimmung macht, es als „Apartheid“ diffamiert und z.B. die mit der BDS-Bewegung sehr wohl kokettierende Nirit Sommerfeld interviewt.[3] Auch der Querdenken-Redner Heiko Schrang, der im August 2020 in Berlin auf einer großen Demonstration sprach, wurde von Kla.TV schon interviewt.[4]

(…)

Die radikalen Abtreibungsgegner*innen und Antifeminist*innen von Kla.TV[1] promoten weite Teile der Coronapolitik-Skeptiker*innen-Szene wie Samuel Eckert, Oliver Janich und Heiko Schrang.[2] Kürzlich wies mich ein linker und kritischer Leser meiner Seite darauf hin, dass in dem eigentlich in vielen Punkten interessanten und wichtigen Papier „Covid-19 ins Verhältnis setzen“[3] einer Arbeitsgruppe um die Professorin für Politikwissenschaft Ulrike Guérot und die Rechtsanwältin Jessica Hamed (die beiden sind die bekanntesten Namen der Gruppe), auf das ich ja in diesem Buch ausführlich eingehe, zum Beispiel die Fußnote 247 auf Seite 40 irritiere. Diese Fußnote zitiert eine Homepage mit dem Namen „wissenschaftstehtauf“.[4] Das ist ein Zusammenschluss von aktuell 60 Personen (Stand 21.08.21), der sich auf Anregung des Corona-Untersuchungsausschuss zusammengefunden hat und dem Mantra, es gebe nur die eine wissenschaftliche Position zu Corona, völlig zurecht widerspricht. Doch ist „wissenschaftstehtauf“ seriös? Mit dabei sind viele der bekanntesten Gesichter der Corona­politik-Kritiker- oder Skeptiker*innen-Szene: der Philosoph Michael Esfeld, der Kinderarzt Steffen Rabe, der Arzt Gunter Frank, der YouTuber Gunnar Kaiser, die Basis-Politiker Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi, der Verschwörungsideologe Daniele Ganser, der konservative Publizist Raymond Unger,[5] der AfD-nahe CDU-Politiker Max Otte oder eben auch und insbesondere der ehemalige Referent bei der Anti-Zensur-Koalition (AZK) Ernst Wolff.

(…)

Ernst Wolff sprach 2021 mit dem Internetportal NuoViso.[1] Auch die von Main­stream­medien wie Sat1 bekannte Journalistin Milena Preradovic sprach 2021 mit NuoViso und dem Sendungsmacher Robert Stein.[2] NuoViso hat eine eindeutige extrem rechte Ausrichtung, wie die taz 2017 berichtete (…).

[1] https://nuoviso.tv/steinzeit/steinzeit-tv/der-digital-finanzielle-knast-ernst-wolff-bei-steinzeit/. Wolff tritt am zur Bundestagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt im Wahlkreis 70 Dessau-Wittenberg als Direktkandidat für die Partei Die Basis an, https://diebasis-st.de/allgemein/diebasis-stellt-direktkandidaten-auf/.

[2] https://nuoviso.tv/steinzeit/steinzeit-tv/die-zeit-des-hypermoralismus/.

[1] https://www.kla.tv/Abtreibung.

[2] https://www.kla.tv/HeikoSchrang/16959.

[3] https://coronaaussoehnung.org/wp-content/uploads/2021/07/Corona_ins_Verhaeltnis_setzen_Update_15-Juli-2021.pdf.

[4] https://www.wissenschaftstehtauf.de/.

[5] https://www.editioncritic.de/allgemein/autorin-des-verlags-edition-critic-widerrechtlich-zitiert-von-raymond-unger/.

[1] https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2019/05/21/erste-konferenz-der-freien-medien-wie-die-afd-rechte-blogger-und-identitaere-in-den-bundestag-einlud/. Bei der Ausgabe  dieses Who is Who der rechten Medien von 2020 sprach auch der Publizist Norbert Bolz vor der AfD, https://www.youtube.com/watch?v=2Sy21OyseFg&list=PLqubM6Pk6_adVa5Ywrt1FSskc2JNrzp1U&index=11.

[2] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/urteil-des-landgerichts-rechtsextreme-ex-anwaeltin-muss-in-haft-1.2367053; https://www.derstandard.de/story/2000118879081/holocaust-verschwoerung-und-diverse-dunkelziffern-die-irre-welt-des-ivo.

[3] „Wenn der Jerusalemsverein doch einmal Israelis zu Wort kommen lässt, dann sind es vorzugsweise solche wie Nirit Sommerfeld von der ‚Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost‘, einer Initiative, die wiederum eng mit der Boykott-Bewegung verwoben ist. Und auch der ‚Weihnachtsaufruf aus Bethlehem 2020‘ beinhaltete zahlreiche Passagen aus ‚Ein Moment der Wahrheit‘, in denen ebenfalls zum Boykott gegen Israel aufgerufen wird“, Ralf Balke (2021): Jerusalemsverein. Dringender Handlungsbedarf, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/dringender-handlungsbedarf-2/, 18.03.2021.

[4] https://www.kla.tv/HeikoSchrang.

Wenn man dann zum Beispiel bei einem der Top-Wissenschafts-Blogger zu Corona im deutschsprachigen Raum, Dr. Peter Mayer aus Österreich, in einem Reisebericht vor wenigenWochen lesen kann:

Der Libanon

Einstmals als die Schweiz des Ostens berühmt, leidet das Land seit Jahrzehnten unter seinen Nachbarn, insbesondere Syrien und Israel, sowie der seit dem Bürgerkrieg vorgenommenen Aufteilung der politischen Ämter und Posten auf die einzelnen religiösen Sekten.

, dann werde ich da skeptisch. Denn von wem geht im Libanon die Gefahr aus? Von der Korruption, ja, aber doch vor allem von der islamistischen Terrororganisation Hisbollah. Dass der Libanon von Israel bedroht sei, ist völlig widersinnig: die Israelis zogen sich sogar aus dem Südlibanon zurück und werden seither in regelmäßigen Abständen von der Hisbollah und ihren Freunden bedroht, und zwar mit ideologisch-antisemitischer Hetze wie auch mit Terroranschlägen oder Raketenangriffen. Doch davon nicht ein Wort bei tkp.at Peter Mayer. Warum?

Was sagt er zu Jordanien?

Jordanien ist hervorragend organisiert, Sicherheit wird penibelst betrieben, Koffer beim Check in im Hotel durchleuchtet. Die Fahrt von Amman am Toten Meer vorbei ist ein Erlebnis. Man kommt relativ rasch von 1000 Meter Höhe auf 400 Meter unterhalb des Meeresspiegels und spürt das durchaus. Und die ganze Zeit gegenüber nur einige Tausend Meter entfernt Palästina oder Israel.

Da würde ich erstmal aus eigenem Erleben ergänzen: Die Fahrt von Jerusalem ans Tote Meer ist übrigens auch ein berauschendes Erlebnis, zumal wenn man zuvor den Blick hinunter vom Mount Scopus an der Hebräischen Universität Jerusalem genossen hat. Problem: Auf dem Weg dorthin kommt man bei den Palästinensern vorbei, es kann passieren, dass man an einer Raststätte „NGO-Mitarbeiter“ trifft, die sich nach einigen mega lustigen „you are from Germany, great!“-Augenzwinkern als Hamas-Leute entpuppen. Also am besten auf dem Weg zwischen Jerusalem und dem Toten Meer keine Stopps einlegen.

Zurück zu Peter Mayer: Jordanien mag „gut organisiert“ sein und hat ja sogar einen Friedensvertrag mit Israel, aber vom auch heute virulenten Antisemitismus kein Wort. Dagegen berichtete jüngst wieder die FAZ zum Antisemitismus im Libanon sowie in Jordanien am Beispiel der „Deutschen Welle“:

Abermals muss sich die Deutsche Welle (DW) mit Antisemitismus-Vorwürfen gegen einen ausländischen Medienpartner beschäftigen. Nachdem der deutsche Auslandssender die Kooperation mit dem jordanischen Sender Roya TV unter anderem wegen antisemitischer Karikaturen ausgesetzt hat, veröffentlichte das Magazin „Vice“ am Mittwoch eine weitere Recherche, wonach der libanesische Kooperationspartner Al Jadeed TV ebenfalls antisemitische Inhalte verbreiten soll. In einem Bericht von Al Jadeed TV im Jahr 2015 sollen etwa Funktionäre der Schiitenmiliz Hizbullah unwidersprochen von den „Heldentaten“ eines Terroristen erzählen, der in einer israelischen Kleinstadt eine Familie ermordet haben soll. Der Sender soll zudem ohne Einordnung „minutenlang Propaganda-Videos“ der Schiitenorganisation gesendet und Israel immer wieder als „zionistischen Feind“ oder „räuberische Zionisten“ bezeichnet haben. Attentäter, die Israelis angreifen, würden als „Märtyrer“ oder „Helden“ bezeichnet.

Rückblick und ideologiekritischer Ausblick: In meinem Verlag Edition Critic habe ich 2011 das Buch „Muslimischer Antisemitismus“ des zu Lebzeiten weltweit renommiertesten Antisemitismusforschers Professor Robert S. Wistrich (1945-2015) aus dem Englischen übersetzt, darin steht:

Eine ähnlich radikale Ideologie motiviert die schiitisch-libanesische Bewegung Hizballah („Partei Gottes“), die im Zuge der Invasion Israels in den Libanon im Jahr 1982 zu Bekanntheit gelangte. Ihre totale Ablehnung der Existenz Israels und ihre Sicht des Judaismus als dem ältesten und erbittertsten Feind des Islam verdankt sie hauptsächlich den „antizionistischen“ Predigten Ayatollah Khomeinis und der symbiotischen Beziehung, die sie mit der Islamischen Republik Iran pflegt.

(…)

Der Rückzug Israels aus dem Libanon im Jahr 2000 wird als nicht mehr denn ein Vorgeschmack der zukünftigen Vernichtung des großen „gewaltigen Feindes“ des Islam gesehen – Israel wird von der Hizballah (wie auch in der iranischen Propaganda) häufig als ein „Krebs“ und als Gift beschrieben, das die ganze Welt bedrohe.

Der führende Kleriker der Hizballah, Scheich Husayn Fadlallah [1935–2010], betonte in den 1990er-Jahren immer wieder, Israel sei nicht nur ein jüdischer Staat im formalen Sinne des Wortes. Vielmehr sei es der absolute Ausdruck des korrupten, betrügerischen und aggressiven „Jüdischen“ an sich. Juden seien tatsächlich aufgrund ihres „Rassismus“ und ihrer herablassenden Haltung gegenüber anderen Völkern, sowie wegen ihrer unbarmherzigen Zuneigung zu globaler Dominanz „die Feinde der ganzen Menschheit“. In einem Interview in den späten 1980er-Jahren drückte Fadlallah bereits eine weithin geteilte fundamentalistische Haltung über die angeblich unbegrenzten jüdischen Ambitionen aus:

„Die Juden wollen eine Weltsupermacht sein. Dieser rassistische Zirkel von Juden will an der ganzen Welt Rache für ihre Geschichte der Verfolgungen und Demütigungen nehmen. Angesichts dessen arbeiten die Juden auf der Grundlage, dass jüdische Interessen über allen Weltinteressen stehen.“[i]

Die durchweg kompromisslose Philosophie der Hizballah, die einen umfassenden Krieg gegen Israel, den Zionismus und die Juden führt, hat eine unmissverständliche, virulent antisemitische Basis, die verknüpft ist mit ihrer alles bestimmenden panislamischen revolutionären Perspektive.

(…) Manchmal werden auch Holocaustleugnung und der „Zionismus ist Nazismus“-Mythos gekoppelt, wie in einer Antwort des staatseigenen syrischen Radios Ende Februar 2000 in Bezug auf den damaligen israelischen Außenminister David Levy und dessen in der Knesset vorgetragene deutliche Warnung an den Libanon, die Hizballah endlich in die Schranken zu weisen. Das syrische Radio beschuldigte Israel prompt, „die Rolle der Nazi-Massenmörder zu spielen, die, laut den Zionisten, die Juden in Auschwitz verbrannt hätten“. Das staatlich betriebene libanesische Fernsehen sendete am 28. Februar 2000 ein Echo zu dieser syrischen Propaganda, indem es Bilder von Opfern von Angriffen der IDF im Libanon mit solchen aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern in Beziehung setzte, umschrieben mit den Worten: „Gleicher Hass. Gleicher Rassismus. Gleiche Kriminalität. Gleiche Geschichte.“[i]

(…)

Es wird oft übersehen, dass die arabische Welt schon vor siebzig Jahren stark mit dem Gift der Nazis infiziert war. In Ägypten, Syrien, dem Libanon, im Irak und in Palästina wurde das Beispiel Hitlers vielfach bewundert, und die arabische Identifikation wie auch Kollaboration mit dem deutschen Nationalsozialismus waren weitreichend.

Ein bedeutendes Beispiel für diesen Einfluss war die ägyptische Muslimbruderschaft, die 1928 von Hasan al-Banna gegründet wurde. Ein anderes notorisches Beispiel stellte die palästinensische arabische Nationalbewegung dar, angeführt von Haj Amin al-Husaini, der ein enger Vertrauter Hitlers und ein rabiater Antisemit war. Wie der Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher Clemens Heni in seiner neuen, umfassenden, sehr wichtigen und aktuellen Studie Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11 zeigt, wurde dieser Einfluss bereits 1947 in einer Broschüre des Holocaustüberlebenden Simon Wiesenthal dokumentiert.

(…)

Abbildung 18–25

Antisemitische Karikaturen in der arabischen Welt während der Operation Cast Lead („Gaza-Krieg“, Dezember 2008/Januar 2009); 1. Reihe links: Al-Bayyan (Vereinigte Arabische Emirate), 28. Dezember 2008; Karikaturist: Hassan Idleby; rechts: Al-Ghad (Jordanien), 4. Januar 2009, Karikaturist ‚Imad Hajjaj; 2. Reihe links: Al-Ahram (Ägypten), 5. Januar 2009; rechts: Al-Ahram, 5. Januar 2009. 3. Reihe, links: Al-Hayat (London), 6. Januar 2009, Karikaturist: Habib Haddad; rechts: Al-Rays (Qatar), 27. Dezember 2008, Karikaturist: Fares Qarabet; Unterste Reihe, links: Al-Mustaqbal (Libanon), 29. Dezember 2008, Karikaturist: Hassan Bleibel; rechts: Al-Ghad (Libanon), 31. Dezember 2008, Karikaturist: ‘Imad Hajjaj.

[i]                       Filmmaterial des libanesischen Fernsehens vom 28. Februar 2000, das David Levy’s Rede in der Knesset, in der er (als Antwort auf Attacken der Hizballah) drohte, „die Erde im Libanon zu verbrennen“, mit Filmmaterial von Hitler’s Naziaufmärschen analogisierte.

[i]                       Middle East Insight, März–April 1988, S. 10.

 

Da wäre also ein kritischerer Blick auf den Antisemitismus im Libanon von Seiten Peter Mayers sicherlich nicht schlecht.

Also: die Coronapolitik-Kritiker*innenszene ist ein ganz typisches Abbild der Gesellschaft. Antisemitismus ist da ein typischer Bestandteil, nicht nur Kritiker*innen der Regierungspolitik zu Corona sind häufig Verschwörungsideologien gegenüber aufgeschlossen, sondern auch Anhänger*innen der ZeroCovid-Fraktion im Bundeskanzleramt und in der Gesellschaft. Antifeminismus und Pro-Natalismus und völliges Unverständnis für die Probleme einer zu stark mit Menschen bevölkerten Erde finden sich bei der Corona kritischen Seite Achgut nicht weniger als bei der die Corona Panikindustrie fütternden Bundesregierung und ihrer neuen Familienministerin (4 Kinder, wäre sie nicht besser bei der AfD aufgehoben, die Frau Spiegel?).

Stolz auf Deutschland findet sich beim Ex-Bundesinnenminister und Auftraggeber für das präzedenzlose Panikpapier schwarzer Pädagogik vom März 2020, CSU-Horst-Seehofer – die Blaupause für den gesamten totalitären Umbau unserer Gesellschaft – wie auch bei Querdenkern, die z.B. in Heilbronn am Wochenende auf einer Abschlusskundgebung einer Corona kritischen Demonstration mit über 1000 Teilnehmer*innen fabulierten, dass „wir mehr Nationalstolz“ brauchen würden und es „keine Schuld für Weltkriege vor 80 Jahren“ gebe (es gab auf der „Theresienwiese“ eine „Querdenken“-Fahne).

Die selbstverliebten „Guten“, die Antifa, sind zu den Fanatiker*innen geworden, die alle Menschen zwangsimpfen wollen gegen ein Virus, das für fast alle Menschen harmlos ist. Es kann jeden treffen, wie die Influenza oder ein Herzinfarkt, aber die Wahrscheinlichkeit ist in jungen Jahren und ohne Vorerkrankung unter 65/70 eben sehr gering. Als ich jüngst so eine fanatische, irrationale und aggressive Antifa-Frau in einem Video sah, musste ich nur lachen, da sie ca. 25 Jahre alt war und locker 95 kg wog bei einer Körpergröße von ca. 1,64 Meter. Da sollte sie sich mal überlegen, ob sie wegen ihrer Vorerkrankung nicht alle möglichen Krankheiten bekommen kann, egal wie oft sie geboostert ist. Aber klares Denken und rationales Analysieren der Gefahr eines Virus ist nicht angesagt, es gilt brutal die Impf-Apartheid durchzuboxen. Und ich sage es voraus: in einigen Jahren werden sich die Antifa-Historiker*innen für die heutige Antifa schämen wie für keinen anderen Vorgang in der langen Liste der Fehler der radikalen Linken in der BRD oder in Österreich, vom Judenhass und Entebbe etc. mal abgesehen, aber da gab es wie zu 9/11 immerhin noch Gegenstimmen, heute steht fast die ganze Linke stramm hinter „es-gibt-keine-roten-Linien-mehr“-Olaf S.

Und bei den Kommentaren auch hier auf meiner Seite gibt es leider zu viele Hirnlose – nicht nur Pro-Covid-Impf-Apartheidsfaschos, sondern auch andere Spinner aus dem Anti-Coronapolitik-Lager -, dass ich mir das nicht weiter antue, das versteht jeder, denke ich.

Jedenfalls nerven mich anti-israelische Texte oder Anti-Gender-Agitatoren und -Kommentator*innen, die es bei tkp.at und der gesamten Anti-Corona-Maßnahmen-Szene häufig gibt, da jene Ideologeme transportieren, die nicht minder gefährlich sind für eine demokratische Gesellschaft wie Impf-Apartheids-Wahnwichtel der deutschen Landesregierungen und der Bundesregierung.

 

 

Von Weimar nach Berlin – Antisemitismus vor Auschwitz und im Jahr 2012

Von Susanne Wein und Clemens Heni

 

Das Jahr 2012 ist so dicht an antisemitischen Ereignissen, dass ein vorgezogener Jahresrückblick lohnt. Das Jahr zeigt wie flexibel, vielfältig, codiert und offen sich Antisemitismus äußern kann. Drei Forschungsfelder seien hier knapp vorgestellt, um schließlich ein besonders markantes und schockierendes Beispiel von 2012 mit einem Fall aus dem Jahr 1925 zu vergleichen.

1)     Holocaustverharmlosung.

Im Januar wurde in Leipzig bekannt gegeben, dass der amerikanische Historiker Timothy Snyder den Leipziger Buchpreis 2012 erhalten wird.

Snyder hat 2010 das Buch Bloodlands publiziert, worin er leugnet, dass der Holocaust ein spezifisches Verbrechen war, ohne Vergleich in der Geschichte. Vielmehr konstruiert der „Genozid“-Forscher, der dem sog. spatial-turn folgt (eine Modeerscheinung der Kulturwissenschaft, die den Raum als zentrale Größe postuliert), einen Raum in Osteuropa zwischen dem Baltikum und der Ukraine, den er Bloodlands nennt und in dem zwischen 1932 (!) und 1945 ca. 14 Millionen Menschen starben bzw. ermordet wurden. Hitler und Stalin sind für ihn gleich schlimme historische Figuren. Snyder bemüht die veraltete Great Man Theory und hat keinen Blick für die sehr ausdifferenzierte Forschung zum Nationalsozialismus und zum Holocaust.

Vielmehr kooperiert er mit dem litauischen Staat und unterstützt eine dortige, weltweit in Misskredit geratene historische Kommission, die die Verbrechen von Hitler und Stalin wiederum gleichsetzt. Dramatisch ist, dass selbst die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und ihr wissenschaftliches Personal in Person der neuen Chefhistorikerin Dina Porat  mit dieser Kommission in Litauen kooperiert, was zu scharfen Protesten von Holocaustüberlebenden führte.

Kurz gesagt: Timothy Snyder ist ein geistiger Enkel Ernst Noltes, er möchte die Deutschen entschulden und die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz verwischen oder leugnen. Historiker wie Omer Bartov (Brown University), Dan Michman (Yad Vashem) oder Jürgen Zarusky (Institut für Zeitgeschichte, München) haben Snyder dezidiert kritisiert. Der Jiddisch-Forscher Dovid Katz dokumentiert und analysiert seit Jahren den Antisemitismus in Osteuropa, insbesondere in Litauen, auch er hat sich intensiv mit Snyders Bloodlands befasst und zeigt, warum extrem rechte Kreise in Osteuropa Snyder feiern.

Die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten im März 2012 verstärkt die Holocaustverharmlosung, da Gauck die „Prager Deklaration“ vom Juni 2008 unterzeichnet hat, die – ganz im Sinne von Snyder – rot und braun gleichsetzt und die Verbrechen des Holocaust trivialisiert. Die Unterzeichner wollen als gesamteuropäischen Gedenktag den 23. August (der Tag des Ribbentrop-Molotow Paktes von 1939) etablieren und schmälern damit implizit die Bedeutung des Holocaustgedenktages am 27. Januar, wenn sie diesen Gedenktag nicht sogar ganz abschaffen wollen. Gauck sprach zudem 2006 davon, dass jene, die die Einzigartigkeit des Holocaust betonen, nur einen Religionsersatz suchen würden. Auch Neonazis, Holocaustleugner, manche christliche Aktivisten, Forscher oder auch Autoren der tageszeitung (taz) frönen einer solchen Sprache und reden von der „Holocaust-Religion“ oder einer „Pilgerfahrt“, wenn es um Auschwitz geht. Ohne den Dammbruch durch Martin Walsers Paulskirchenrede von Oktober 1998 wäre das alles nicht so ohne Weiteres im Mainstream der deutschen Gesellschaft denk- und sagbar.

2)     Antizionismus.

Der zweite Aspekt des Antisemitismus ist der seit der zweiten Intifada im September 2000 und nach dem islamistisch motivierten Massenmord vom 9/11 weltweit bei den wenigen Kritikern im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende antizionistische Antisemitismus bzw. die Israelfeindschaft.

Am 4. April 2012 publizierte der Literaturnobelpreisträger Günter Grass in der größten deutschen Tageszeitung (nach der Boulevardzeitung BILD), der Süddeutschen Zeitung aus München, ein Gedicht mit dem Titel „Was gesagt werden muss“. Darin schreibt der deutsche Denker:

„Warum sage ich jetzt erst, gealtert und mit letzter Tinte: Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?“

Nicht der Iran droht Israel mit Vernichtung, die Juden („Atommacht Israel“) seien die Gefahr. Diese Leugnung der Wirklichkeit, die Derealisierung, Schuldprojektion und die Schuldumkehr sind ein typisches Muster des neuen oder Post-Holocaust Antisemitismus. Israel gefährde den Weltfrieden und nicht der „Maulheld“ Ahmadinejad, wie er vom deutschen Dichter verniedlichend genannt wird; dabei haben die Verharmlosung der iranischen Gefahr bzw. das klammheimliche Liebäugeln mit dem vulgären, iranischen, islamistischen aber natürlich auch dem arabischen Antisemitismus Konjunktur. Die Diffamierung Israels ist auch unter deutschen Wissenschaftlern, Journalisten, Politikern, NGO-Aktivisten und der Bevölkerung gern gesehen. Die ARD jedenfalls war von Grass so begeistert, dass der Tagesthemen-Anchorman Tom Buhrow ein Exklusivinterview mit dem Schriftsteller führte und tags darauf Grass das Gedicht in der ARD vortragen durfte.

Das wird ergänzt durch die Verleihung des Adorno-Preises der Stadt Frankfurt am Main am 11. September 2012 an die amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Judith Butler von der University of California in Berkeley. Butler ist als antiisraelische Agitatorin weltweit berüchtigt, wenn sogar der Präsident der Harvard University im Jahr 2002, Lawrence Summers, unter anderem sie meinte als er den Hass auf Israel und die Boykottaufrufe gegen den jüdischen Staat thematisierte. Butler steht für einen Antizionismus, der sich in der Tradition von Martin Buber und Hannah Arendt verortet und die Gründung eines explizit jüdischen Staates (der zudem so tolerant ist und 20% Araber und Muslime und andere zu seiner Bevölkerung zählt) ablehnt. Mit fast vollständig homogenen islamischen Staaten wie Saudi-Arabien, Iran oder Jordanien und ihren antidemokratischen, homophoben und misogynen politischen Kulturen hat Butler selbstredend kein Problem. Die Wochenzeitung Die Zeit publizierte gar einen Text der BDS-Unterstützerin Butler und unterstützt somit den Aufruf zum Boykott Israels. Früher wäre das fast nur in der jungen Welt oder der Jungen Freiheit propagiert worden, doch längst sind solche antisemitischen Positionen Mainstream.

Eine Vertraute und Freundin von Butler, die Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib (Yale University) wurde 2012 in Deutschland ebenfalls geehrt. Sie erhielt am 8. Mai den Dr. Leopold Lucas-Preis der Universität Tübingen für ihren Einsatz für Hospitalität und „universelle Menschenrechte“ – auch dieser Preis ist mit 50.000€ dotiert, was ja von der schwäbischen Alma Mater freundlich ist, wenn man bedenkt, wie schlecht bekanntlich die Yale University ihre Professoren bezahlt. Benhabibs Vorbilder sind Immanuel Kant („Der Ewige Frieden“ von 1795) und Hannah Arendt. Die problematischen Aspekte dieser Art von Kosmopolitanismus oder vielmehr die anti-israelische Dimension bei Arendt,  kehren bei Benhabib verstärkt wieder. 2010 diffamierte sie Israel  indem sie es mit der südafrikanischen Apartheid und mit den „1930er Jahren in Europa“ (sie erwähnt den Slogan „Eine Nation, Ein Land, Ein Staat“ und spielt offensichtlich auf Nazi-Deutschland an) verglich – während selbstverständlich auch sie den Jihadismus z.B. der Gaza Flottille ignorierte und ihn bis heute ausblendet. Dies sind die eigentlichen Gründe für die Ehrungen und den Beifall aus Deutschland für Personen wie Butler und Benhabib. Kritik an Arendt, Kant und der europäischen Ideologie (wie sie auch Jürgen Habermas vertritt) eines Post-Nationalstaats-Zeitalter, wie sie von dem israelischen Philosophen Yoram Hazony bekannt ist, wird in Deutschland entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder abgewehrt.  Aufgegriffen und promotet wird sie höchstens von problematischen, nicht pro-israelischen, vielmehr deutsch-nationalen, rechten und konservativen Kreisen wie der Zeitschrift Merkur (dessen Autor Siegfried Kohlhammer den Islam mit seinen Dhimmi-Regelwerken für Nicht-Muslime schlimmer findet als den Nationalsozialismus und die Nürnberger Gesetze, und der zudem gegen Israel argumentiert).

3)     Antijudaismus.

Diese älteste Form des Antisemitismus spielt auch im nachchristlichen Zeitalter eine zunehmende Rolle. 2012 tritt ein in seiner Vehemenz seit 1945 ungeahnter und ohne Vergleich dastehender Angriff auf Juden und das Judentum auf: Hetze gegen die Beschneidung und religiöse Rituale. Alles, was Juden im Post-Holocaust Deutschland dachten, als selbstverständlich annehmen zu können, steht jetzt in Frage: Juden als Juden werden hinterfragt. Wie im Holocaust sollen männliche Juden die Hosen runter lassen, damit die arischen Deutschen nachschauen, ob er ein Jude ist oder nicht; sie durchleuchten Juden auf ihre Gesundheit, sexuellen Praktiken und Fähigkeiten und finden diese Art von Zurschau-Stellung von Juden notwendig und emanzipatorisch. Heute wird diese antijüdische Propaganda nicht unter dem Schild der SS oder der Wehrmacht durchgeführt, nein: heute geht es um „Kinderrechte“ und die angebliche Freiheit, nur als nicht-beschnittener Mann im Erwachsenenalter über die Religionszugehörigkeit entscheiden zu können.

Am 7. Mai 2012 befand das Kölner Landgericht in einem die politische Kultur in Deutschland für immer verändernden Urteil die Beschneidung von Jungen als gegen „dem Interesse des Kindes“ stehend und somit als nicht vertretbar. Die Beschneidung von jüdischen Jungen am achten Tag bzw. die Beschneidung von muslimischen Jungen im Alter zwischen 0 und 10 Jahren, sei somit nicht legal. Ein deutsches Gericht urteilt über das Judentum, das die Beschneidung vor über 4000 Jahren einführte. Der Volksgerichtshof des Nationalsozialismus hätte seine Freude gehabt an diesem 7. Mai 2012. 600 Ärzte und Juristen, angesehene normale Deutsche, agitierten sodann unter Federführung des Mediziners Matthias Franz von der Universität Düsseldorf am 21. Juli 2012 in einem Offenen Brief in der Zeitung für Deutschland (Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ) gegen die Beschneidung und forderten politische und rechtliche Konsequenzen aus dem Kölner Urteil. Selbst pro-israelische Aktivisten zeigen nun ein ganz anderes Gesicht und machen sich über das Judentum lustig. Offenbar hatten diese Leute schon immer ein Israel ohne Judentum im Sinn. Die Zeitschrift Bahamas

aus Berlin folgte dem Ruf aus Köln, der FAZ und dem Zeitgeist und sprach sich gegen eine Kundgebung für Religionsfreiheit/für die Beschneidung aus und forderte ihre 23 oder 34 Anhänger auf, dieser ohnehin kleinen Manifestation vorwiegend deutscher Jüdinnen und Juden am 9. September 2012 in Berlin fern zu bleiben, da sie „den kulturellen und religiösen Traditionen von Kollektiven grundsätzlich misstraut“. Autoren dieses Sektenblattes wie Thomas Maul und Justus Wertmüller bezeichnen die Beschneidung als „archaisch“ und diffamieren dadurch mit Verve das Judentum. Derweil kringeln sich die Neonazis, die NPD und autonome Nationalisten, da doch der deutsche Mainstream das Geschäft des Antisemitismus (bis auf die Verwüstungen jüdischer Friedhöfe und von Gedenktafeln, bis heute eine typisch neonazistische Form des Antisemitismus) übernommen hat. Die Wochenzeitung jungle world 

mit ihrem Autor Thomas von der Osten-Sacken machte gegen die Beschneidung mobil und stellte Bezüge zur kriminellen Klitorisverstümmelung bei Mädchen, der Female genital mutilation (FGM), her. Sein Kollege Tilman Tarach war auf Facebook nicht weniger obsessiv dabei,

die Beschneidung und somit das Judentum zu schmähen. Eine Internetseite, Politically Incorrect (PI), die aus dem Umfeld von Parteien wie Die Freiheit, der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE), der Pro-Bewegung und anderen Gruppierungen der extremen Rechten oder des Rechtspopulismus kommt, droht Juden:

„Wenn sich aber jüdische Verbände und Organisationen beispielsweise so an die uralte Vorschrift der Beschneidung klammern, zeigen sie damit, dass sie sich in diesem Punkt nicht vom Islam unterscheiden. So etwas können wir nach meiner festen Überzeugung in unserem Land nicht zulassen.“

Die Giordano Bruno Stiftung (GBS) mit ihrem Vorbeter Michael Schmidt-Salomon (übrigens sitzt Hamed Abdel-Samad im wissenschaftlichen Beirat der GBS),

die Deutsche Kinderhilfe, Evolutionäre Humanisten Berlin Brandenburg e.V., der Zentralrat der Ex-Muslime, die Freidenkervereinigung der Schweiz, der pflegeelternverband.de und einige andere Organisationen und Gruppen agitieren besonders aggressiv gegen Juden (und Muslime) und starten im Herbst 2012 die perfide Anzeigenkampagne

„Mein Körper gehört mir“. Zu sehen ist das Bild eines Jungen, der sich völlig verängstigt in den Schritt fasst und darunter steht: „Zwangsbeschneidung ist Unrecht – auch bei Jungen.“ Damit wird nicht nur die kriminelle und zumal islamistische Praxis der Klitorisverstümmelung mit der harmlosen Beschneidung von Jungen gleichgesetzt, vielmehr wird in Stürmer-Manier gesagt: vor allem das Judentum basiert auf Unrecht! Hieß es 1879 bei Heinrich von Treitschke „Die Juden sind unser Unglück“, was zu einem der Propagandasprüche des Nationalsozialismus avancierte, so wird im Jahr 2012 von Atheisten, Positivisten und anderen Aktivisten (die sich teils anmaßend Humanisten nennen) die Beschneidung als das Unglück für Kinder dargestellt oder Juden (und Muslime) gar als Kinderschänder diffamiert. Das liest sich wie eine post-christliche Version der Blutbeschuldigung, der antisemitischen Blood Libel.

Der Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel, Alfred Bodenheimer, ist zutiefst schockiert über den Anti-Beschneidungsdiskurs und hat im Sommer 2012 ein kleines Büchlein dazu verfasst: „Haut-Ab! Die Juden in der Besschneidungsdebatte“ (Göttingen: Wallstein). Darin analysiert er:

„Aus christlich-theologischer Sicht war die Kreuzigung ein sehr ähnliches Vergehen wie das Beschneiden der Kinder aus der heutigen säkularen: Denn die Taufe als unmittelbare Partizipation des einzelnen Gläubigen an der Kreuzigung Christi (und der damit verbundenen Sündenvergebung) machte letztlich jeden Getauften zum partiell von den Juden Gekreuzigten ­– und damit jenes Ereignisses, in dem gerade Paulus die Beschneidung aufgehoben hatte. Der säkulare Ausgrenzungsdiskurs folgt dem christlichen auf dem Fuße, er ist kultur- und mentalitätsgeschichtlich so leicht abrufbar, dass insbesondere den dezidierten Säkularisten die Ohren sausen dürften, wären sie sich der Sensoren gewahr, die ihren Furor geweckt haben. Der säkularistische Anspruch, Gleichheit in allen Belangen zur Ausgangslage eines frei auslebbaren Individualismus zu machen, trägt mehr vom Paulinischen Universalismus in sich (dessen Gegenbild die auf defensiver Differenz bestehenden Juden waren), als dem Gros seiner Vertreter klar ist.“ (ebd., 58f.)

Die Internetseite HaOlam mit ihrem Vertreter Jörg Fischer-Aharon, die sich jahrelang als pro-israelisch gab, hat den Anti-Beschneidungsvorkämpfer Schmidt-Salomon exklusiv interviewt und macht damit Werbung für obige Anzeigenkampagne.

Manche Organisationen, die häufig mit HaOlam bzw. deren Umfeld und vielen anderen aus der nie näher definierten „pro-Israel-Szene“ kooperierten, werden ins Grübeln kommen.

Sei es Ressentiment auf Religion oder kosmopolitisch inspirierte Universalität, jedenfalls wird mit bestem Gewissen jedwede Partikularität – wie die des jüdischen Staates Israel und des Judentums, inklusive seiner religiösen Traditionen, die auch von nicht-gläubigen Juden mit überwältigender Mehrheit praktiziert werden – abgelehnt.

Es ist unerträglich, mit welcher Arroganz, Obszönität und Dreistigkeit ausgerechnet deutsche Areligiöse,  Christen, selbsternannte Israelfreunde und „Antifas“ sich de facto zu den islamistischen und neonazistischen Judenfeinden gesellen und völlig geschichtsvergessen das Nachdenken einstellen.

Kaum jemand hat heute in Deutschland noch Beißhemmungen wenn es um Juden geht.

Dieser hier skizzenhaft aufgezeigte neu-alte Antisemitismus zeigt sich in dramatischer Form in vier antisemitischen Vorfällen in wenigen Wochen bzw. Tagen allein in Berlin:

  • Am 28. August 2012 wurde in Berlin-Friedenau am helllichten Tag der Rabbiner Daniel Alter von mehreren vermutlich arabischen Jugendlichen und Antisemiten krankenhausreif geschlagen. Er trug eine Kippa und wurde gefragt, ob er Jude sei. Das „Ja“ führte zu einem Jochbeinbruch und Todesdrohungen gegen seine 6-jährige Tochter. Die Täter sind bis heute nicht ermittelt.
  • Am 3. September wurde gegen 10 Uhr vormittags eine Gruppe von jüdischen Schülerinnen vor der Carl-Schuhmann-Sporthalle in der Schlossstraße in Berlin-Charlottenburg von vier ca. 15-16-jährigen Mädchen muslimischer Herkunft (eine der Antisemitinnen trug ein Kopftuch) diffamiert und u.a. als „Judentussen“ beleidigt.
  • Am höchsten jüdischen Feiertag, Yom Kippur, am Mittwoch, den 26. September 2012, rief Esther Dobrin aus Berlin gegen 11 Uhr ein Taxi, um mit ihrer 11-jährigen Tochter und zwei weiteren Personen zur Synagoge in die Pestalozzistraße zu fahren. Der Taxifahrer verhielt sich reflexhaft feindselig, als der genaue Bestimmungsort als „Synagoge“ benannt wurde; er warf die vier Fahrgäste sozusagen aus dem Wagen.
  • Wenig später, gegen 18 Uhr an diesem 26. September, wurden drei andere Juden in Berlin verbal attackiert. Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, kam gerade mit seinen beiden Töchtern im Alter von 6 und 10 Jahren von der Synagoge, ebenfalls in Charlottenburg, unweit des Kurfürstendamms, als er offenbar wegen eines klar ersichtlichen jüdischen Gebetsbuches beleidigt wurde. Im Laufe eines aggressiven Wortgefechts hat Kramer nicht nur die Polizei zu Hilfe gerufen, vielmehr auch auf seine Waffe gezeigt, die er seit acht Jahren zum Selbstschutz und als ausgebildeter Sicherheitsbeauftragter bei sich trägt. Die Polizei hat nun zwei Anzeigen zu bearbeiten, Kramer zeigte die Beleidigungen des Antisemiten an, während derselbe Kamer wegen Bedrohung anzeigte, wozu er, nach unbestätigten Informationen,  von der Berliner Polizei durchaus ermutigt worden war.

Kramer kennt die Zusammenhänge des GraSSierenden Antisemitismus in Deutschland und weiß, dass sich die geistigen Zustände und Debatten in gewalttätigen Straßenantisemitismus entladen können – darum ist er bewaffnet. Welche zwei komplett disparaten Lebensrealitäten – eine jüdische und eine nicht-jüdische – werden von nichtjüdischen Deutschen tagtäglich stillschweigend hingenommen? Wie fühlt es sich an, ständig in den Einrichtungen der eigenen Religion/Gruppe, Kindergarten, Schule, Synagoge etc. unter Polizeischutz stehen zu müssen?

1925, einige Jahre vor NS-Deutschland, im demokratischen Rechtsstaat der Weimarer Republik passierte in Stuttgart Folgendes:

„An einem Sonntag im November 1925 las der Kaufmann Ludwig Uhlmann in der Gastwirtschaft Mögle Zeitung und trank ein Bier. In provozierender Absicht beleidigte ihn der am Nachbartisch sitzende Franz Fröhle mit spöttischen Bemerkungen und ließ mehrfach die Bezeichnung ‚Jude Uhlmann‘ fallen. Dieser reagierte nicht. Daraufhin sagte Fröhle: ‚Was will der Judenstinker hier, der Jude soll heimgehen‘, was Uhlmann sich verbat. Als die Pöbeleien anhielten, zog Uhlmann eine Pistole, mit der Bemerkung, dass Fröhle damit Bekanntschaft machen könne, falls er nicht aufhöre. Schließlich setzten der Wirt und die Polizei den Beleidiger vor die Tür. Die Staatsanwaltschaft beantragte nicht nur einen Strafbefehl gegen Fröhle wegen Beleidigung in Höhe von 50 RM Geldstrafe, sondern auch einen gegen Uhlmann wegen Bedrohung und abgelaufenen Waffenscheins. Bei der Hauptverhandlung des Amtsgerichts wurde er zwar von der Anklage der Bedrohung freigesprochen, aber wegen der Bagatelle des abgelaufenen Waffenscheins von wenigen Monaten zu einer Geldstrafe von 30 RM verurteilt.“ (Martin Ulmer (2011): Antisemitismus in Stuttgart 1871–1933. Studien zum öffentlichen Diskurs und Alltag, Berlin: Metropol, S. 350)

 

Dieses Schlaglicht zeigt die Normalität antisemitischer Beleidigungen, die in der deutschen politischen Kultur bereits damals, wie sich an unzähligen Beispielen aufzeigen lässt, tief verankert und sedimentiert war.

Heute nun, im Jahr 2012, über 67 Jahre nach dem Holocaust und Auschwitz – welch ein Unterschied ums Ganze! –, müssen sich Juden wieder bewaffnen. Sie sind fast täglich Angriffen, Beleidigungen und Hetzkampagnen ausgesetzt und es kann sich eine Szene abspielen, die der in einer Stuttgarter Kneipe von 1925 gruselig ähnelt.

 

Auf der einen Seite haben wir diese Vorfälle aus dem Jahr 2012 und insbesondere die „Beschneidungsdebatte“ mit all ihren antisemitischen Internet-Kommentaren -und Forenbeiträgen, die einen an Max Liebermanns Ausspruch zum 30. Januar 1933 denken lassen. Auf der anderen sucht man vergebens die arrivierten Antisemitismusforscherinnen und -forscher, die sich der skizzierten Forschungsfelder annehmen. Werner Bergmann schrieb 2011 in einer Festschrift für einen Kollegen:

„Im historischen Vergleich mit der Zeit vor 1945, aber auch in den letzten 60 Jahren in Deutschland […] war Antisemitismus gesamtgesellschaftlich wohl selten so sehr an den Rand gedrängt wie heute.“

Antisemitismus ist in Deutschland nicht erst, aber insbesondere im Jahr 2012 gesamtgesellschaftlich so weit verbreitet wie vielleicht noch nie seit 1945.

 

 

Susanne Wein ist Historikerin und promovierte im September 2012 an der Freien Universität Berlin  mit einer Arbeit über „Antisemitismus in der politischen Kultur der Weimarer Republik. Eine Untersuchung anhand der Debatten im Reichstag“.

Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und promovierte im August 2006 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit einer Arbeit über die „Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970 – 2005: Henning Eichberg als Exempel“.

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