Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Moshe Zimmermann

Das deutsche Stadtbild …

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das neue Kampfwort heißt also „Stadtbild“. Damit sind nicht die immergleichen Neubauten aus einer öden Mischung aus Beton, Stahl und Glas gemeint, nicht die „defensive“, also aggressive Innenstadtarchitektur, die immer seltener (ohnehin) harte Bänke zum Schlafen mehr hinstellt, sondern nur Sitze, also durch Lehnen getrennte Bänke, weil schließlich sind ja Obdachlose eh selbst schuld, dass sie solche Loser sind, nicht? Wen stören schon die Werbetafeln für ‚unser‘ Kriegsministerium, das verschämterweise immer noch „Verteidigungsministerium“ sich nennt, dabei hat die Präsenz der Bundeswehr in Litauen soviel mit „Verteidigung“ zu tun, wie Friedrich Merz mit Gesellschaftskritik: nada, null, nichts.

Die überall herumhängenden Deutschlandfahnen tun ein Übriges, das Stadtbild aggressiv, nationalistisch und deutsch zu machen, das gab es vor 2006 viel weniger, so ein schwarzrotgoldenes Stadtbild, von den nationalistischen Farben auf Milchtüten, Produkten aller Art oder nationalistischen Icons auf allen möglichen Plattformen nicht zu schweigen.

Und dann kommen die wirklich „Guten“, jene, die jetzt gegen Merz, die CDU und „die Rechten“ demonstrieren und sich als „das Stadtbild“ oder „wir Töchter“ inszenieren. Kaum jemand von diesen Leuten, ob sie in Freiburg, Berlin oder Köln, München oder Hamburg demonstrieren, waren am 08. Oktober oder danach auf der Straße um gegen den Judenhass und Antisemitismus zu demonstrieren. Kaum jemand dieser „Guten“ hat sich gegen Islamisten, extremistische Muslime, Hamas-Anhänger oder Kopftuchfanatikerinnen mit Palästinenserschal gewehrt oder gegen sie demonstriert. Viele dieser „Guten“ haben am 7. Oktober und danach gekichert, geklatscht oder geschwiegen. Es wurden ‚ja nur Juden‘ die Hand abgehackt, die Augen ausgestochen und nur Jüdinnen massenvergewaltigt und danach abgeknallt und liegen gelassen. Warum sollten sich da die Linken auf den Straßen in diesem Land mit Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel, denen der Angriff der Hamas und des Islamistischen Jihad galt, solidarisieren?

Wer regt sich auf, wenn in Mannheim, Berlin, München oder anderswo Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, die ohnehin bekannt sind oder aufgrund einer Kippa erkannt werden, von muslimischen und fast immer nur von muslimischen Jugendlichen und Erwachsenen bespuckt, angegriffen, diffamiert oder körperlich bedroht werden?

Oder was ist mit den Autos mit ukrainischem Kennzeichen, wo an der Heckscheibe ein Abzeichen der faschistischen Asow-Brigaden zu erkennen ist? „Unser“ Stadtbild, das wir so lieben, das auch Merz mag, weil er ja die Ukraine so bedingungslos unterstützt wie nahezu die gesamte politische und kulturelle Elite?

Das Auffallendste an der Veränderung des Stadtbildes seit 1989 und seit 9/11 ist ganz offenkundig das Kopftuch. Ich kann mich während meiner gesamten Kindheit und Jugend sowie dem Studium an verschiedenen Universitäten bis ins Jahr 1999 an keine einzige Mitschülerin, kein Mädchen oder Kind und später keine einzige Studentin erinnern, die mit Kopftuch aufgelaufen wäre. Nicht eine einzige in 30 Jahren.

Das ging exakt los, symbolisches Datum, am Dienstag, den 11. September 2001 mit dem Massenmord durch Islamisten im World Trade Center, vier Flugzeugen und im Pentagon. 3000 Menschen wurden an diesem Tag unsagbar qualvoll zerquetscht, verbrannt oder flogen Dutzende und Hunderte Meter in den Tod.

Und danach wurde nicht etwa der Islamismus als riesige Gefahr erkannt, sondern die Muslime wurden getätschelt und hofiert wie kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe. In den 1990er Jahren gab es angesichts von Neonazi-Mordandschlägen – Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen etc. pp., Jahre vor dem NSU, viele Demonstrationen und Solidaritätsaktionen für Einwander*innen unterschiedlicher Herkunft, nicht nur aus der Türkei.

Die Antifa und antirassistische Gruppen haben gegen Nazis gekämpft, sich gegen Abschiebungen eingesetzt, Flüchtlinge, Einwander*innen auf unterschiedliche Weise unterstützt. Aber wir haben nicht „den Islam“ geschützt, abgesehen davon, dass viele Migrant*innen ja gar keine Muslime sind und waren oder aber – auch das ist eine Pointe – sich damals nicht als Muslime bezeichnet haben und die Frauen auch kein Kopftuch trugen.

Und dazu kommt die sicherlich marginale, aber eben existente Form der krassen Frauen- und Menschenverachtung via Burka und Gesichtsschleier. In Heidelberg gibt es das regelmäßig, oft sind das ‚Touristinnen‘ aus der arabischen Welt, die hier Schönheits- oder sonstige OPs durchführen lassen oder ihre schwer reichen Männer, Onkel, Brüder, Söhne begleiten. Der Gesichtsschleier gehört nicht nur in Schulen und auf Behörden, sondern allgemein in der Öffentlichkeit verboten, und zwar in Saudi-Arabien, dem Iran wie in Deutschland, weltweit.

Er ist das heftigste Symbol für die Frauen- und Menschenverachtung, für die der Islamismus steht.

Dabei ist das Kopftuch schon irrational genug. Die Trägerinnen meinen ja wirklich, Männer (oder lesbische oder bisexuelle Frauen, Transpersonen) würden auf ihr Haupthaar dermaßen krass sexuell abfahren, dass sie sich ’schützen‘ müssten. Man könnte lachen, wenn es kein so ernstes Thema wäre und diese Hunderttausenden Kopftuchträgerinnen es nicht brutal ernst meinten mit ihrem Wahn der sexuellen Erregung via Haupthaar. Es sagt auch viel über deren Körperverständnis aus …

Sind denn damit alle, die für Israel demonstrieren, kategorisch „die wirklich Guten“? Keineswegs. Wer sich zum Beispiel nicht explizit gegen den Rassismus der militanten und mörderischen Siedler im Westjordanland wendet, wer sich nicht gegen den Messianismus und Rechtsextremismus der Regierung Netanyahu wendet, wer zu den eklatanten und schockierenden Kriegsverbrechen der IDF im Gaza-Krieg schweigt, hat mit Menschenrechten oder Zionismus nicht viel am Hut.

Selbstredend sind die AfD und die CDU ein sehr großes Problem für die Demokratie. Die anti-soziale Politik, die regelrechte Hetze gegen Bürgergeldempfänger*innen und Menschen, die unzumutbare oder primitive Jobs nicht annehmen wollen oder können, ist typisch für Merz und die Bundesregierung, zu der ja anscheinend auch die SPD gehört, was wiederum nicht wundert, wir erinnern uns an Gerhard Schröder und Hartz 4.

Man muss immer das Unmögliche fordern und tun, sonst wird das nichts. Also für Israel und gegen die Verbrechen der IDF. Für den Zionismus und deshalb gegen Netanyahu und gegen die Students for Palestine aktiv werden. Gegen die AfD und die CDU demonstrieren ohne sich mit den antijüdischen Linken und dem antijüdischen Mainstream gemein machen. Für die auch bürgerliche Solidarität mit Israel, aber zugleich die barbarische Dimension jedweder Form des Kapitalismus kritisieren und attackieren. Gegen patriarchale Normen aktiv sein und sich zugleich gegen ach-so-qu(e)erfeministische Bündnisse wenden, die weder mit Antizionismus noch dem Natalismus und der Reproduktionsideologie (Leihmütter für die Schwulen, Invitro-Kinder für die Lesben etc.) je ein Problem hatten.

Hört sich kompliziert und unrealistisch an. Und das ist es auch.

Staatliche Kürzungen im sozialen Bereich bei extremen Militarismus und geplanten 150 Milliarden jährlich für das Kriegsministerium ab dem Jahr 2029 zeigen, dass sich das Stadtbild an der Bundeswehr ausrichten wird. Uniformierte Soldatinnen und Soldaten sollen zum Alltag gehören, Manöver regelmäßiger stattfinden und größer werden und die Propaganda, also Werbung, für die Bundeswehr, noch impertinenter.

Das ist die „Zeitenwende“, mehr Militarismus wagen, dass will das Land.

Oder nehmen wir die Straßen, die nach ehemaligen NSDAP-Mitgliedern oder anderen Antisemiten und völkischen Vordenkern benannt sind. Bei den Umbenennungen gibt es immer rechtsextreme Pöbler, die das nicht wollen und die die Erinnerung an die Verbrechen ihrer Großväter oder Väter nicht nur wegwischen, sondern gar nicht klammheimlich feiern. Es gibt Hunderte solche Straßennamen bundesweit – 80 Jahre nach Auschwitz haben nur wenige Städte begonnen, solche Straßen, die nach Nazis benannt sind oder in der Nazi-Zeit nach anderen Antisemiten benannt wurden, umzubenennen.

Auch das ist „unser“ Stadtbild – das schockiert Merz aber nicht, das meint er nicht.

Das Stadtbild ist also von rechts wie links wie von nicht geringen Teilen der Migrant*innen bedroht. Wer im Osten lebt, also der Ex-DDR, kennt tatsächlich in quasi Nazi-Kübelwägen fahrende  motorisierte und uniformierte Paramilitärs, die bereits im nicht-alkoholisierten Zustand eine Gefahr darstellen für Migrant*innen, Schwarze und Linke und für das „Stadtbild“.

Und dann gibt es auch die mit (FFP-2) Masken Vermummten, die es vor März 2020 nicht gegeben hat. Das ist ein sichtbares Zeichen, dass die irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, menschenfeindliche und antidemokratische Coronapolitik nicht im kleinsten Ansatz aufgearbeitet ist.

Und ganz am Schluss gibt es natürlich noch weitere Aspekte der Architektur, die unser „Stadtbild“ verschlimmert haben. Die Rekonstruktionsarchitektur. Der Wiederaufbau, die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die auch auf Ideen von Rechten zurück ging. Ähnlich verhält es sich mit dem Berliner Stadtschloss / Humboldt-Forum und noch mehr der Garnisonskirche in Potsdam, dem Symbol für den Schulterschluss von Hitler mit den tradionellen konservativ-reaktionären Kräften Deutschlands.

Der sekundäre, erinnerungsabwehrende Antisemitismus, der die Städte in Teilen wieder so aussehen lassen will, wie sie 1938 oder 1941, als alles „noch gut“ war für die ‚arischen‘ Deutschen, aussahen, ist hier evident.

Juden kommen in diesem Bild nicht vor, warum auch. Und wenn sie vorkommen, dann mitunter ganz bitter wie bei der Entscheidung, ausgerechnet auch Synagogen zu rekonstruieren und nicht etwa Neubauten zu machen, an neuen Orten, damit der Bruch der Shoah sichtbar bleibt. So wird in Hamburg jetzt gegen den Widerstand vieler Jüdinnen und Juden, aber mit lautstarker Unterstützung und gefordert von der Jüdischen Gemeinde Hamburg, also ihrem Vorstand, die Bornplatzsynagoge wieder gebaut. Und zwar am gleichen Ort, wo sie vor ihrer Zerstörung 1938 stand. Dass dort seit 1988 ein „Synagogenmonument“ im Boden eingelassen liegt, das die Umrisse der zerstörten und 1906 eingeweihten Synagoge zeigt, kümmert offenbar nicht. Das wird also ein Fall sein, wo mit jüdischer Forderung ein Holocaust-Mahnmal oder Holocaust-Gedenkort abgetragen und zerstört wird, egal ob und wie dann Teile dieser Steine womöglich in den im September 2025 vorgestellten Siegesentwurf der Architekten einfliessen werden.

Die Kritik hat der Historiker Moshe Zimmermann schon 2021 auf den Punkt gebracht:

Die Synagoge, in Anwesenheit meines Großvaters 1906 eingeweiht, wurde während der Pogromnacht im November 1938 geschändet und ein Jahr später abgerissen. Auf einem Teil der freigewordenen Fläche wurde ein Luftschutzbunker errichtet.

Ob aus Amnesie, Verdrängung oder Vertuschungabsicht – die sozialdemokratische Stadt Hamburg entschied sich 1974 dafür, den Bornplatz im Grindelviertel, dessen Bewohner vor 1933 zu etwa einem Drittel Juden waren, in Allendeplatz umzubenennen.

Erst auf Druck der ehemaligen jüdischen Bürger der Stadt wurde der Platz im Jahr 1988, am 50. Jahrestag des NS-Pogroms, zum Erinnerungsort an die NS-Verbrechen.

Ein Teil des Platzes wurde nun nach dem 1942 ermordeten Rabbiner Joseph Carlebach benannt, der Grundriss der zerstörten Synagoge wurde nach einem Entwurf der Architektin Margrit Kahl markiert.

(…)

Auch in Hamburg entstand nach 1945 eine jüdische Gemeinde, die selbstverständlich ihre Synagoge haben wollte. 1960 wurde an einer anderen Stelle in Hamburg die neue große Synagoge eingeweiht.

2013 wurde sie renoviert und neu eingeweiht, in Anwesenheit des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz. In dieser Synagoge hatte ich, damals Doktorand aus Israel, nach dem Tod meines Vaters Woche für Woche Kaddisch beten können.

(…)

Auf die abstruse Idee, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, indem man am Ort des Verbrechens eine Synagoge neu erbaut, kam damals niemand, weder die ehemaligen jüdischen Mitbürger noch Gemeindevorsteher oder Landespolitiker.

Natürlich ist es sehr wichtig, jüdisches Leben zu unterstützen. Aber wirklich ernsthaft zu glauben, eine Rekonstruktion einer von den Deutschen zerstörten Synagoge wäre ein Mittel gegen Antisemitismus, ist schon mehr als fahrlässig und zutiefst unwissenschaftlich. Wir haben seit 1990 und der starken Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder größere jüdische Gemeinden, auch wenn seit ca. 2005 die Mitgliederzahlen von über 100.000 wieder auf 89.000 im Jahr 2024 gefallen sind. Hinzu kommen die „Vaterjuden“ (ca. 100.000) und ca. 20.000 Israelis, die meist keiner jüdischen Gemeinde angehören.

Wir haben also viel mehr sichtbares jüdisches Leben seit 1990 bis heute. Und wir haben noch viel mehr Antisemitismus! Es gibt exakt gar keinen Zusammenhang zwischen jüdischem Leben in Deutschland und dem Antisemitismus. Der Antisemitismus braucht die Juden nicht, sein Wahngebäude konstruiert sich der antisemitische Hetzer respektive die antisemitische Hetzerin schon selbst. Die Antisemitismusforschung hat dazu viel gearbeitet. Kaum jemand im Bereich kritischer Antisemitismusforschung würde ernsthaft glauben, dass der Bau einer Synagoge ein Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus sei. Ist nicht das Abtragen eines Holocaust-Mahnmals  eher ein Beitrag zum sekundären Antisemitismus?

Es ist also bitter, die Erinnerung an die Shoah gegen den Bau einer Synagoge auszuspielen, wie es die jüdische Gemeinde Hamburg und vor allem die nicht-jüdischen Politiker*innen in Hamburg und Berlin, die das großteils finanzieren werden, tun.

Schließlich gehören zum Stadtbild wie in Berlin Kneipen wie das K-Fetisch in Neukölln, wo Juden und Jüdinnen hinausgeschmissen werden, wenn sie zum Beispiel Kleidungsstücke tragen, die auf Arabisch, Lateinisch und Hebräisch das Wort „Falaffel“ stehen haben. „Zionisten“ würden dort nicht bedient, wie eine aggressive und antisemitische Mitarbeiterin zwei Gästen vorletzten Samstag hinknallte.

Die taz kommentiert:

Das T-Shirt, das die Besucherin trug, ist von dem Label „Falafel Humanity Shirt“. Das sammelt Spenden für die israelische Frauenorganisation „Women Wage Peace“, die sich für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt.

(…)

In alledem hat die große Masse der gesellschaftlichen Linken seit dem 7. Oktober 2023 versagt. Das Statement des Café-Kollektivs zeigt das nun einmal mehr. Es gibt keine gemeinsamen roten Linien, keine Leitplanken, keinen „common ground“ oder „common sense“. Weder auf vermeintlich linken Demos, noch in linken Kneipen, noch in linken Medien.

Auch das ist das deutsche Stadtbild. Nicht nur AfD-Fähnchen und der rechte Mob, gerade auch die Linken sind ein massives Problem im Stadtbild.

Das ist das Stadtbild in Deutschland, von dem „die Guten“ in Freiburg, Heidelberg, Köln oder München nicht reden. Sie sind zu selbstverliebt „gut“ und sehen gar nicht die Widersprüche des Lebens. Weil doch Identitätspolitik viel einfacher ist und mehr Spaß macht. Weniger Reflektion, mehr Gemeinschaftsgefühl. So wie es die Rechten und Merz auf ihre Weise ja auch wollen.

Das also sind Facetten des allzu deutschen „Stadtbildes“, die selten in dieser Fülle diskutiert werden.

 

Indonesien fordert Sicherheit für Israel, South Park attackiert Netanyahu und die deutsche Israel-Szene lebt hinterm Mond

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der erste Staat, der im 21. Jahrhundert seine Unabhängigkeit erklärte, war bekanntlich Osttimor im Jahr 2002.

Der jüngste Staat, der im 21. Jahrhundert nun auch von führenden Industrienationen als unabhängiger Staat (ohne Staatsgebilde) anerkannt wird, ist Palästina.

Frankreich, England, Kanada, Spanien und Australien sind die einflussreichsten Mächte, die die letzten Tage Palästina anerkannten.

Es sind offensichtlich symbolische Schritte von Ländern, die für ihre pro-israelische Politik seit Jahrzehnten bekannt sind. Doch von Netanyahu und der Israel-Szene hierzulande werden sie alle als Antisemiten diffamiert. All diese Staaten wollen ein Palästina ohne Hamas und ohne ein Militär.

Und der 7. Oktober passierte nicht, weil die Hamas so stark gewesen wäre, sondern weil Israel so extrem schlecht vorbereitet war und so unfassbar schlecht reagiert hat. Wer seine bekanntermaßen so gefährdete Grenze nicht schützt, hat als Schutzmacht für Juden versagt. Das ist die äußerst bittere Erkenntnis dieses Tages.

Das darf nicht zu einem Antizionismus führen, muss aber linkszionistisch die rechtsextreme Regierung Israels in die Verantwortung nehmen. Ohne deren Versagen, wozu auch das Versagen der Armee, der Geheimdienste wie der Polizei gehören, wäre es nicht dazu gekommen. Es ist ja nicht so, dass die Hamas mit Hunderten Panzern und Kampfjets das Land überfallen hätte! Solche Waffen haben sie gar nicht. Aber Israel hat sie und sie waren nicht da.

Wer ebenfalls für Palästina eintritt, ist der indonesische Präsident Prabowo Subianto, der seit Oktober 2024 Präsident von Indonesien ist.

Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land weltweit mit ca. 280 Millionen Einwohner*innen, wovon 225 Millionen Muslime sind.

Prabowo war 1991 in Osttimor mutmaßlich an Kriegsverbrechen und offenbar schon in den 1970er Jahren an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Jetzt ist er Präsident von Indonesien und tut so, als sei er ein gemäßigter Politiker, der sich sowohl für Gaza als auch für Israel einsetze. Eine Läuterung? Eine Ablenkung?

Er betonte diese Woche in seiner Rede vor den Vereinten Nationen in New York City auf der Generalversammlung, dass er das schreckliche Leid in Gaza sehe. Mehrmals führte er das in seiner 20-minütigen Rede an. Doch später betonte er nachdrücklich, dass auch Israel ein Recht auf Frieden und sichere Existenz habe. Gegen Ende seiner Rede sprach er gar mit dem hebräischen Wort von „Schalom“. Das ist geradezu ein „ziemliches diplomatisches Erdbeben“ der positiven Art, wie ein Blogtext in der Times of Israel (TOI) feststellt.

Die Rede von Prabowo war in der Tat eine politische Rede, die sich recht umfassend mit den Weltproblemen und vor allem der Situation im Globalen Süden befasste. Der Klimawandel bedroht vor allem arme und südlich gelegene Länder wie Indonesien, weshalb der Staat einen riesigen Schutzwall im Meer bauen wird, was Jahrzehnte dauern wird. Armut und soziale Ungleichheit sind weitere sehr zentrale Themen, die Prabowo ansprach. Indonesien ist demnach mittlerweile Selbstversorger mit Grundnahrungsmitteln wie Reis und kann sogar Lebensmittel exportieren.

Er hat gleichwohl kein Wort zum Autoritarismus in seinem eigenen Land und zu seiner eigenen Biographie gesagt. Seine Rede hat also darüber hinweggetäuscht, dass er zum Beispiel mit der GSG 9 der alten BRD kooperierte:

Prabowo hatte eine kometengleiche Karriere im indonesischen Militär vorgelegt, nicht zuletzt wegen seiner besonderen Qualifikation, die er sich bei verschiedenen Sonderausbildungen im Ausland verschaffte – beispielsweise 1981 bei der GSG 9 in Hangelar bei Bonn. 1995 wurde er Chef der militärischen Eliteeinheit Kopassus. Deren ehrenwerte Aufgabe umschrieb eine indonesische Menschenrechtsorganisation mit „Spionage, Terror und Gegenterror“, inklusive der Inszenierung gewalttätiger Provokationen. (Jungle World, 18. August 1998)

Vermutlich war Prabowo an dem Massaker in Dili im Jahr 1991 mit 250 ermordeten Zivilist*innen beteiligt. Es ist insofern nicht nur eine innenpolitische Frage, wie mit der Geschichte und den möglichen Verbrechen von Prabowo umgegangen wird. Es bleibt also ein mehr als ambivalentes Bild.

Doch für Israel und die Juden war seine sensationelle Zuwendung zum jüdischen Staat, sein explizites Betonen, dass Israel das Recht habe, als Staat in Sicherheit existieren zu dürfen, wie ein kleines Neujahrswunder.

Nur Netanyahu interessiert sich nicht für Weltpolitik und diese Unterstützung des größten muslimischen Landes für Israel. Netanyahu hat in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine dermaßen peinliche Propaganda-Show abgezogen, dass einem Sehen und Hören verging. Mit keinem Wort erwähnte er die innerisraelische Kritik an seiner rechtsextremen Politik. Mit keinem Wort erwähnte er die Anerkennung Israels aus dem Mund des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Abbas, der ja nur per Video zugeschalten war, weil Trump der gesamten Delegation der PA die Einreise in die USA verweigert hatte, ein skandalöser Vorgang. Abbas sagte auch, dass die Palästinenser einen modernen und zivilisierten Staat anstreben, ohne Waffen. Das mögen Phrasen sein, sind aber elementar, da er zugleich die Massaker der Hamas und des Islamischen Jihad vom 7. Oktober verurteilte und damit die massive Unterstützung für die Hamas im Westjordanland unter den Palästinenser*innen frontal attackierte, also seine eigenen Leute. Das sind Zeichen eines Wandels – aber Netanyahu ist realitätsgestört und möchte diese Zeichen gar nicht sehen.

Nur ca. vier Prozent der Öffentlichkeit in Israel rezipieren die Tageszeitung Haaretz, wie in einem sehr interessanten Podcast mit dem deutschen Botschafter Steffen Seibert deutlich wurde. Selbstredend ging Seibert nicht selbstkritisch auf seine Rolle als Sprecher der Corona-Regimes unter Angela Merkel ein, wo er jegliche irrationale „Maßnahmen“ propagierte und verteidigte.

Aber Selbstkritik an der epidemiologisch, medizinisch, philosophisch, juristisch, soziologisch, politikwissenschaftlich, religionswissenschaftlich und anderweitig zu hinterfragenden Corona-Politik ist ja Mangelware, seltener noch als Bananen im Sommer 1989 in der damaligen DDR.

Aber Seibert machte seine pro-israelische Haltung unmissverständlich deutlich und ebenso sein enormes Leiden an der aktuellen rechtsextremen Politik der israelischen Regierung.

Was also sehr interessant und bemerkenswert ist, ist Seiberts klare Trennung der deutschen pro-zionistischen und pro-israelischen Haltung bei gleichzeitiger scharfer Ablehnung der aktuellen Politik der Regierung Netanyahu. Er sagte, dass es doch ein klares Zeichen sei, dass Tausende junge Israelis das Land verlassen haben und weiter verlassen würden – wegen der rechtsextremen Politik von Netanyahu und seiner Regierung. Solche in der Tat zionistischen, man würde fast sagen linkszionistischen Positionen aus dem Munde eines deutschen Botschafters, der jeweils unter CDU-Bundeskanzler*innen arbeitet (als Sprecher bzw. Botschafter), sind sehr wichtig und relevant – aber die deutsche Israel-Szene hört sich das nicht an und zieht daraus logischerweise auch keine Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten.

Das macht Demonstrations- und Kundgebungsankündigungen der deutschen ach-so-dermaßen Pro-Israel-Szene völlig irrelevant. Wenn wir zum Beispiel lesen, zu was für einer Kundgebung die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Stuttgart und die DIG Rhein-Neckar und viele andere Gruppen wie der weltbekannte „Denkendorfer Kreis für christlich-jüdische Begegnung“ oder die jüdische Studierendenunion Württemberg sowie die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg zum 5. Oktober 2025 aufrufen, sieht man, in welcher Welt diese Leute leben:

Aufruf:

Solidarität mit Israel.
Gegen jeden Antisemitismus!

Am 7. Oktober jährt sich das antisemitische Massaker im Westlichen Negev zum zweiten Mal. Wir rufen zur Solidarität mit den Menschen in Israel auf. Wir fordern die Freilassung aller noch in palästinensischer Geiselhaft verbliebenen Entführten!

Wir werden ein starkes Zeichen gegen JEDEN Antisemitismus setzen. Wir rufen dazu auf, sich gegen den Vernichtungsantisemitismus im Nahen Osten und den Antisemitismus auf deutschen Straßen zu positionieren und für die Sicherheit sichtbaren jüdischen Lebens im öffentlichen Raum.

Einen solchen Aufruf hätte man am 8. Oktober 2023 machen können oder auch am 31. Oktober 2023. Aber man kann einen solchen Aufruf nicht im Oktober 2025 benutzen, um für Israel zu sein, ohne mit einem einzigen Wort die völkerrechtswidrige, menschenverachtende und rechtsextreme Politik der israelischen Regierung unter Benjamin Netanyahu zu attackieren. Das geht nicht. Doch es geht schon, aber nur wenn man Teil der völlig realitätsfremden offiziellen deutsch-israelischen „Szene“ ist. Wissenschaftlich und politisch ist ein solcher Aufruf grotesk.

Die Verwendung des Wortes „Vernichtungsantisemitismus“ ist doppelt problematisch. Erstens wird dabei auf die Shoah und den tatsächlich auch durchgeführten Erlösungs- und Vernichtungsantisemitismus der Deutschen angespielt. Damit wird die Shoah verharmlost. Am 7. Oktober geschahen unfassbar schreckliche Massaker. Aber das war kein zweiter Holocaust. Das war keine staatlich-industrielle Zerstörung jüdischen Lebens, sondern es waren Pogrome und Massaker. Das ist schrecklich, aber etwas kategorial Anderes.

Zweitens dementiert diese Rede den Zionismus, denn wenn in Israel – im jüdischen Staat – ein „Vernichtungsantisemitismus“ wütete am 7. Oktober 2023, denn auf dieses Datum spielt das Wort eindeutig an, es geht um den 7. Oktober und den Jahrestag, dann hat der Zionismus ja vollkommen versagt. Dann ist Israel die genau falsche Lösung des Problems Antisemitismus, würden dann viele einwerfen, denn in der Diaspora gab es jedenfalls seit 1945 kein Massaker mit 1200 Toten.

Wer also meint, besonders pro-israelisch zu sein und eine radikale Sprache zu verwenden, sollte vorsichtig sein mit Worten, deren tiefere Bedeutung ihm oder ihr nicht klar sind. Die Ideologie der Hamas wie des Iran hat vernichtungsantisemitische Dimensionen. Aber im Holocaust war die Ideologie und die Praxis auf die Vernichtung gerichtet. Es gab den Holocaust. Der 7. Oktober war kein Holocaust. Wer das insinuiert, dementiert, auch ganz unfreiwillig, den Zionismus und den Staat Israel.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann aus Tel Aviv sagte schon am 8. Oktober 2023 in der Tagesschau, dass das Massaker des Tages zuvor ein „Versagen des Zionismus“ sei. Es gab ja noch nie seit 1948 ein solches Massaker an Juden, weltweit gab es das nicht. Und ausgerechnet im angeblich sichersten Ort der Welt für Juden, dem jüdischen Staat Israel, gab es nun so ein Massaker. Er betonte schon damals, dass eine Division der israelischen Armee IDF, die für den Schutz der Grenze zu Gaza verantwortlich war, in das Westjordanland abkommandiert worden war. Wir wissen mittlerweile, dass es noch viel schlimmer war, weil die israelische Regierung, das Militär, die Geheimdienste und die Polizei vorsätzlich Warnungen der eigenen Leute nicht ernst nahmen. Das wird alles irgendwann wissenschaftlich aufgearbeitet werden.

Im Oktober 2024 auf 3sat in Kulturzeit sagte Zimmermann, dessen Eltern, Hamburger Juden, 1938 aus Nazi-Deutschland fliehen konnten und der Fußball interessiert und HSV-Fan ist, man sieht in seinem privaten Zimmer in Tel Aviv in den Videoschalten ein kleines HSV-Fähnchen im Hintergrund auf einer Kommode stehen, dass ein so langer Krieg offenbar nicht den Sieg über die Hamas gebracht hat und dass das ein Versagen Israels ist. Er versteht die anfängliche militärische Reaktion auf den 7. Oktober, aber danach hätte es Verhandlungen geben müssen.

Im September 2025 ist Zimmermann wiederum bei 3sat und Kulturzeit im Fernsehen zu sehen und er ist sichtlich noch niedergeschlagener. Als linker Zionist möchte er die Zweistaatenlösung, aber er betont, dass die „Mehrheit der Israelis zwar gegen Netanyahu“ sei, aber gleichwohl „nationalistisch“. Die Toten in Gaza würden die meisten bis heute mit „Indifferenz“ zur Kenntnis nehmen.

Die Opposition sei „zwar sehr laut“, aber ohne politischen Einfluss. Es müsse Druck „von außen kommen“ und vor allem von der israelischen Zivilgesellschaft. Schon 2024 in seinem zitierten 3sat-Gespräch sagte er, dass Israel zwei große Feinde habe, einen äußeren Feind – Iran, die arabische Welt – und einen inneren Feind, wie die rechtsextreme Regierung unter Netanyahu und die Siedlerbewegung. Mittlerweile seien beide Feindeslager eines friedlichen Zionismus „gleich groß“.

Doch davon hört man in der deutschen Israel-Szene rein gar nichts. Niemand würde hier von zwei großen Feindeslagern sprechen, dem Iran UND dem Rechtsextremismus in Israel bzw. jenen, die eine Zweistaatenlösung ablehnen. Aktuell, so die Kulturzeit-Moderatorin Vivian Perkovic im 2025er Gespräch mit Zimmermann, würden nur noch 21 Prozent der Israelis eine Zweistaatenlösung akzeptieren, so sei der Stand im März 2025.

Die dramatische Situation für Israel und für Überlebende der Massaker vom 7. Oktober wird im 2024er Beitrag von Kulturzeit, in dem auch das Gespräch mit Moshe Zimmermann Teil der Sendung war, in einem sehr dramatischen und bewegenden Video über eine Israelin, Danielle Aloni, deutlich. Aloni hat den Angriff auf ihr Haus mit ihrer Tochter zwar überlebt, aber wurde dann als Geisel in die Tunnel von Gaza sowie in Wohnungen verschleppt. Schließlich kam sie bei einem Geisel-Deal mit ihrer Tochter frei.

Sie war sehr von der israelischen Regierung enttäuscht, weil sie genau merkte, dass die Priorität von Netanyahu ganz sicher nicht das Überleben der Geiseln ist. Es gibt ein Video von ihr aus der Geiselhaft, das zwar von den palästinensischen Terroristen gewollt und aufgenommen wurde, aber sie selbst habe bestimmt, was und wie sie es sagt, wie sie in Kulturzeit betont. Sie schreit in diesem Video gegen Netanyahu und die israelische Regierung, die sie im Stich lassen würden. Das sieht sie auch noch viele Monate später exakt so.

Und das hat sich bis heute nicht geändert. Und DAS muss das Thema einer Kundgebung der DIG sein, wenn sie ernstgenommen werden möchte. Die Priorität der israelischen Regierung liegt im Fortdauern des Krieges, im Unterstützen von Netanyahu und nicht in der Befreiung der Geiseln.

Heute sollte ein Aufruf zum Beispiel so heißen:

Für Israel und gegen den Krieg!

Damit wäre klar, dass die Organisator*innen und Teilnehmer*innen an so einer Demonstration oder Kundgebung sowohl zionistisch und pro-israelisch, also auch nicht menschenverachtend, dafür am Völkerrecht orientiert sind und sich gegen die aktuelle israelische Regierung positionieren.

Doch so wie die Pro-Gaza-Szene niemals unter dem Motto

Für Palästina und für Israel

demonstrieren würde, so demonstriert wiederum die Israel-Szene niemals

Für Israel und für Palästina.

Und diese Verhärtung muss endlich aufgelöst werden. Dafür steht Indonesien, dafür stehen Frankreich, England, der deutsche Botschafter in Israel und sehr sehr, wirklich sehr viele andere.

Wären diese Aktivist*innen im Umfeld der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) in Israel oder würden wenigstens israelische Medien wie die Times of Israel (TOI) oder die englische Ausgabe der Haaretz rezipieren, wüssten sie ob der extrem aufgeladenen Situation in Israel gegen die Regierung.

Dort wird von Politikern wie Gilad Kariv, Knessetabgeordneter der Partei „Die Demokraten“, die im Juli 2024 gegründet wurde und ein Zusammenschluss der linken Parteien Avoda und Meretz ist, die Hauptverantwortung für die andauernde Geiselhaft israelischer Geiseln in Gaza bei der israelischen Regierung gesehen.

Netanyahu hat spätestens seit dem Frühjahr 2024 immer wieder unter perfiden Vorwänden den Krieg verlängert und weitere Geisel-„Deals“ ausgeschlagen. So sieht es fast das gesamte Hostage Forum, ein Zusammenschluss der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, und die kritische Öffentlichkeit in Israel. Doch davon hat die DIG nichts gehört und davon will sie nichts hören. Sonst würde sie nicht so einen desolaten, ja grotesken Demonstrations- oder Kundgebungsaufruf im September/Oktober 2025 publizieren.

Es gab gestern eine Großdemonstration für Gaza in Berlin mit bis zu 100.000 Teilnehmer*innen. Obwohl im Vorfeld klar war, dass dort viele Antisemiten, Antizionistinnen und Israelfeinde aller Couleur mitmarschieren werden, hat die im Bundestag vertretene Partei Die Linke die Demonstration angemeldet. Der Tagesspiegel hat darüber berichtet. Ein islamistischer und Pro-Hamas Demo-Zug aus Kreuzberg mit 1200 Teilnehmer*innen wurde von der Polizei gestoppt und aufgelöst, doch auf der Großdemo waren auch Transparente mit antisemitischem und Holocaust verharmlosendem Inhalt zu lesen wie „Auschwitz = Gaza“ oder „Netanyahu = Hitler“. Das ist antisemitische Volksverhetzung und gehört angezeigt und verurteilt.

Die Schuldabwehr und Schuldumkehr wird auch von Muslimen, Arabern und Linken bedient, was wir insbesondere seit dem Sechstage-Krieg von 1967 weltweit erleben.

Dieser antizionistische Antisemitismus ist auch 2025 schlimm, aber nicht neu. Es war schockierend, wie weite Teile der linken Szene am 7. Oktober feierten oder schwiegen, als 1200 Jüdinnen und Juden auf unschilderbare Weise massakriert, vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und 251 entführt wurden, worunter auch Nicht-Israelis waren.

Doch seither ist sehr viel passiert. Darauf weisen ehemalige führende Armeemitglieder der IDF hin, die sich für ein Ende des Krieges einsetzen.

Natürlich geht es gegen jeden Antisemitismus und für Israel – aber es muss genauso gegen die rechtsextreme und Israel so stark beschädigende und Zivilist*innen und Palästinenser*innen tötende Politik der aktuellen israelischen Regierung gehen. Wer das nicht sieht, hat jegliche Menschlichkeit verloren und keinen Bezug mehr zur Realität.

Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie kein anderer israelischer Regierungschef seit 1948. Er hat unzählige Verbündete vor den Kopf gestoßen, sie beleidigt und verdammt – wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den britischen Premierminister Keir Starmer oder den australischen Ministerpräsidenten Anthony Albanese. Albanese habe „Israel verraten“, Starmer würde an der Seite der islamistischen Terrororganisation Hamas und Macron auf jener von „Massenmördern, Vergewaltigern, Babymördern und Entführern“ stehen.

England bzw. das Vereinigte Königreich, Frankreich und Australien sind allesamt Freunde Israels. Sie sind aber jeweils auch Anhänger des Völkerrechts und Kritiker der aktuellen katastrophalen Kriegspolitik von Netanyahu.

Die aktuelle israelische Regierung isoliert das Land und gefährdet jüdisches Leben weltweit. Nächste Woche wird die UEFA (Union of European Football Associations) darüber abstimmen, ob Israel ausgeschlossen wird. Im November 2025 wir die Eurovision Broadcasting Union darüber entscheiden, ob Israel am ESC 2026 teilnehmen darf. Das sind schockierende Vorgänge, da damit alle Juden und Jüdinnen für das Verhalten des Staates Israel haftbar gemacht werden. Es könnte ja sein, dass die Fußballspieler*innen wie die Sänger*innen jeweils gegen den aktuellen Krieg sind oder gegen die rechtsextreme Regierung. Doch sie werden alle in Haftung genommen – was jedoch schon beim russischen Krieg gegen die Ukraine 2022 der Fall war und ein Skandal, der jedoch kaum jemanden schockierte.

Die Pointe ist jedoch: weder die UEFA noch die Eurovision Broadcasting Union sind antisemitisch, sonst wäre ja Israel die letzten Jahrzehnte dort nicht Mitglied gewesen bzw. ist noch Mitglied. Es ist die aktuelle und in der Tat mit dem Völkerrecht nicht in Einklang zu bringende Kriegspolitik, die noch die Freundinnen und Freunde des einzigen jüdisches Staates an den Rand der Verzweiflung bringen.

Nicht so die DIG, die scheint keinerlei Gewissensbisse zu haben mit den Verbrechen der IDF in Gaza, der gezielten Hungerpolitik, dem Erschießen von nach Nahrung anstehenden Palästinenser*innen, worüber wir ja Berichte von IDF-Soldaten haben, die das selbst erlebt haben, wie sie oder ihre Kollegen auf wehrlose Zivilist*innen schossen. Das sind Kriegsverbrechen. Ein ausführlicher Bericht  der Haaretz berichtete im Juni 2025 darüber:

Offiziere und Soldaten der israelischen Streitkräfte berichteten der Zeitung Haaretz, dass sie den Befehl erhalten hätten, auf unbewaffnete Menschenmengen in der Nähe von Lebensmittelverteilungsstellen im Gazastreifen zu schießen, selbst wenn keine Gefahr bestand. Hunderte Palästinenser wurden getötet, woraufhin die Militärstaatsanwaltschaft eine Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen forderte. (Übersetzung CH)

Der Journalist Jonathan Freedland aus London sagt in der aktuellen Ausgabe des Podcasts Unholy (ab Min. 17) mit Yonit Levi aus Tel Aviv, dass die Anerkennung Palästinas durch führende Industrienationen keineswegs eine Honorierung des Massakers der Hamas vom 7. Oktober ist, sondern eine Reaktion auf die israelische Reaktion auf den 7. Oktober. Das ist der entscheidende Punkt, der Knackpunkt!

Doch das kann die DIG analytisch offenkundig nicht fassen. Sie bzw. die DIG Stuttgart und ihr Bündnis gehen mit keinem Wort auf diese Reaktion, den unerträglichen und brutalen Krieg, ein. So kurz ist der Ankündigungstext nicht, als ob es nicht möglich gewesen wäre, explizit und eindeutig den aktuellen Krieg Israels, der weltweit gerade auch von Israelfreunden abgelehnt wird, zu kritisieren.

Es gibt Kriegsverbrechen der IDF, aber keinen Genozid. Das muss festgehalten werden. Dieses Wort bedient viel zu stark die Täter-Opfer-Umkehr und ist auch viel zu ungenau. In einem Genozid – und Historiker des Holocaust reden von der Shoah als einzigem Genozid, worüber ich geschrieben habe – ist sowohl die Intention ein ganzes Volk zu vernichten maßgeblich, als auch die unmittelbare Anwendung von Gewalt, dieses Ziel zu erreichen. Und Israel möchte nicht alle Palästinenser ermorden, auch wenn es einzelne, faschistoide Stimmen gibt, die das sagen oder andeuten.

Es gibt nicht täglich Massaker mit Tausenden von Toten in Gaza. Das macht das Zerstören von Gebäuden und Töten von Zivilist*innen nicht vergessen. Das macht auch eine extrem brutale Hungerpolitik, an der täglich Menschen sterben und mittel- wie langfristig sterben werden, oder ein kürzeres und viel schlechteres Leben haben werden, weil zumal Kindern körperliche Schäden zugefügt werden bei einer Hungersnot, die langfristig wirken und nicht immer sofort zum Tod führen, nicht vergessen. Diese Hungerpolitik ist ein Kriegsverbrechen und muss bestraft werden. Vor allem muss dieser Krieg mit Hunger sofort beendet werden und die kriminelle Verteilungspolitik Israels muss beendet und international seriös strukturiert werden, wie es ja zu anderen Zeiten des Krieges auch schon der Fall war.

Da hilft es nichts und es ist eher zynisch, wenn pro-israelische Wissenschaftler*innen, Publizisten und Aktivistinnen mantramäßig mit „Sudan“ antworten, wenn es um die Situation in Gaza geht. Denn dass andernorts noch viel schlimmere Kriegsverbrechen und noch viel schrecklichere Politik mit Hunger gemacht wird wie im Sudan, rechtfertigt nicht Israels eigene verbrecherische Politik:

Bonn/Berlin, 14. April 2025. Anlässlich der morgen stattfindenden internationalen Konferenz für den Sudan in London appelliert die Welthungerhilfe an die Staatengemeinschaft, das Leid der Menschen nicht länger zu ignorieren und entschlossen zu handeln. Zwei Jahre nach Beginn des verheerenden Kriegs im Sudan erlebt das Land die größte Hunger- und Vertreibungskrise der Welt. 30,4 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – so viele wie nie zuvor. Fast 26 Millionen Menschen leiden unter akutem Hunger, während 15 Millionen Menschen innerhalb des Landes oder über die Grenzen hinweg vertrieben wurden. „Die Lage im Sudan ist desaströs. Menschen sterben, weil sie keinen Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser haben. Die internationale Gemeinschaft muss dringend mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um das Überleben der Betroffenen zu sichern“, fordert Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe.

Viel realitätsgetreuer als die typische Israel-Szene in Deutschland geht die 1997 gestartete legendäre Animationsserie South Park mit dem Gazakrieg um. South Park spielt in Colorado, USA, und handelt von vier acht-bis zehnjährigen Freunden, die in die Grundschule in South Park gehen. Einer von ihnen, Kyle Broflovski, ist jüdisch. In der fünften Folge der 27. Staffel von Ende September 2025 reist Sheila Broflovski, die Mutter von Kyle, äußerst aufgebracht nach Jerusalem, stürmt in das Büro von Netanyahu und greift den israelischen Premierminister frontal an:

Den Höhepunkt der Episode bildet Sheilas spontaner Flug nach Israel, wo sie direkt in Netanyahus Büro eindringt. In einer emotionalen Tirade konfrontiert sie den israelischen Ministerpräsidenten mit harten Vorwürfen bezüglich seiner Kriegsführung.

Die Worte an Netanyahu sind der «Jerusalem Post» zufolge besonders scharf formuliert. «Wer glaubst du eigentlich, dass du bist? Du tötest Tausende und zerstörst ganze Stadtteile!»

Netanyahu erschwere das Leben für Juden weltweit und mache das Leben für amerikanische Juden nahezu unmöglich. Diese Aussage reflektiert die realen Sorgen vieler Diaspora-Juden, die sich durch Israels Politik in eine schwierige Lage gedrängt sehen.

Für Sheila ist ein jüdisches Leben in den USA „gar nicht mehr lebbar“ wegen der Politik von Netanyahu.

Das ist eine satirische, scharfe Kritik, die sehr wohl das Lebensgefühl von sehr vielen Jüdinnen und Juden in den USA widerspiegelt, wie Jonathan Freedland festhält, was wiederum Yonit Levi amüsiert, da sie ihrem britisch-jüdischen Kollegen gar nicht zugetraut hätte, dass er South Park schaut…

Die Haaretz hat den Propagandaauftritt Netanyahus vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen – vor weitgehend leerem Haus, fast alle Delegationen der ganzen Welt hatten die Sitzung verlassen, als Netanyahu das Rednerpult betrat – diese Woche auf den Punkt gebracht:

Immer und immer wieder kam er auf den 7. Oktober zurück, zu einer Zeit, in der die Welt auf die schrecklichen Szenen in Gaza fokussiert ist, wo Hunderte und Tausende von Kindern und Babys zerfetzt werden. Alle liegen falsch – außer ihm. Dutzende von Staats- und Regierungschefs, treue Freunde Israels, die in ihren eigenen Ländern gegen Antisemitismus kämpfen und nach dem Massaker nach Israel kamen, um ihre Solidarität zu bekunden, hatten fast zwei Jahre lang davon abgesehen, Maßnahmen zu ergreifen, obwohl klar war, dass der Krieg nur dazu diente, seine Koalition zu erhalten – sie wurden von ihm beschuldigt, sich „voreingenommenen Medien“, „Terror“ und dem Islam zu beugen.
Seine Entourage, die zwei Reihen dominierte, spendete ihm nach jedem zweiten Satz Standing Ovations. Selbst die quasi Cheerleader auf der Tribüne kratzten hier und da Applaus zusammen. Doch das unterstrich nur die globale Isolation Israels: Netanjahu und seine törichten Spielereien spielen keine Rolle mehr. Er gilt als Relikt, als korrupter Politiker, der sich mit rassistischen Parteien verbündet hat, um an der Macht zu bleiben. (Übersetzung CH)

Das ist der Punkt. Frankreich, England, Australien, Kanada sind enge Verbündete Israels, sie des Antisemitismus oder der Nähe zur Hamas zu beschuldigen, wie es Netanyahu in der ihm eigenen vulgären Tonart getan hat, beschädigt den Zionismus und Israel ganz massiv und gefährdet jüdisches Leben in der Diaspora und zeugt von einer immensen Menschenverachtung was die Palästinenser in Gaza betrifft.

Ein sich offenbar besonders pro-israelisch vorkommender Autor der taz sekundiert ein solches Netanyahu-Verhalten mit einem vorgeblich satirischen Beitrag, der kaum anders als zynisch und rassistisch zu lesen ist:

Ein kühler Septembermorgen in der Lüneburger Heide. Und doch liegt schon früh eine aufgeheizte Spannung über Bispingen, einer 6.500-Seelen-Gemeinde, rund fünfzehn Kilometer nordöstlich der Heidemetropole Soltau. Eingebettet in ein touristisches Gewerbegebiet an der A 7 zwischen Snow Dome, Kartbahn und Trampolinlandschaft, öffnet hier heute mit dem Gaza-Adventure-Dorf eine weitere Attraktion ihre Pforten. Auf 40.000 Quadratmetern erleben Besucher eine Art künstlichen Krisenstreifen – eine Mischung aus Themenpark, Freilichtbühne und Abenteuertraining.

(…)

Laiendarsteller in zerschlissenen, aber farbenfrohen Kostümen spielen die sogenannten Streifenbewohner. Sie tragen Habseligkeiten hin und her, diskutieren die Trinkwasserqualität oder lassen sich theatralisch auf improvisierten Matratzenlagern nieder. Viele der Schauspieler stammen aus den strukturschwachen Regionen der Umgebung. „Ich habe hier einen festen Job als Geiselnehmer gefunden und gleichzeitig macht es Spaß, die Gäste zum Nachdenken zu bringen“, sagt Lars D., 33. Der ehemalige Langzeitarbeitslose aus Fallingbostel wurde vom Jobcenter ans Adventure-Dorf vermittelt.

(…)

Zu den Highlights des Dorfprogramms zählen die stündlich per Sirenenalarm angekündigten „Verpflegungsausgaben“. Da inszenieren dann Schauspieler eine handfeste Prügelei um ein paar (plastene) Brotlaibe und erzeugen so für einige Minuten ein improvisiertes Chaos, in das die Besucher spielerisch miteinbezogen werden. Danach gibt es für alle Süßigkeiten und Wassermelonenlimo, stilecht serviert in löchrigen Metalldosen.

Wer das angesichts des konkreten und unermesslichen Leidens in Gaza lustig findet, sollte vielleicht am besten nochmal ganz von vorne anfangen.

Und das sage ich als ein Wissenschaftler, Public Intellectual und Aktivist, der schon im Januar 2001 mit einer autonomen oder antideutschen Gruppe in Bremen den Antizionismus der Linken wie der Revolutionären Zellen analysierte und kritisierte.

Die taz wird sekundiert vom Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, Philipp Peyman Engel, der jetzt einen Briefwechsel mit dem Publizisten Hamed Abdel-Samad in der Urania in Berlin vorstellte. Abdel-Samad hat eine scharfe Kritik an Israel. Diese Kritik kommt von einer grundsätzlich pro-israelischen und anti-islamistischen sowie gegen den Antisemitismus gerichteten Haltung. Gleichwohl ist seine Verwendung des Wortes „Genozid“ vorschnell. Aber er ist dennoch um Welten realitätsnaher und eloquenter, selber denkend, als sein Gegenüber. Die Süddeutsche bringt es in einem Text, der diese Buchvorstellung zum Thema hat, auf den Punkt, in dem sie Engel selbst zitiert:

Bei der Buchvorstellung sagt Engel ein paar Mal: „Jetzt klinge ich wie der israelische Regierungssprecher.“ Und Hamed Abdel-Samad bestätigt, ja, genau so klinge er.

 

Was bleibt?

Indonesien stellt sich trotz dieser Kriegsverbrechen, die es benennt und mit dem Wort „Genozid“ falsch benennt – das Wort „Kriegsverbrechen“ ist doch scharf und treffend genug -, hinter Israel und fordert die ganze muslimische Welt auf, Israels Sicherheit zu gewährleisten.

Das ist ein Fingerzeig nach Saudi-Arabien und Nahost von Fernost. Und tatsächlich: Wenn die Geiseln freikommen, der Krieg beendet ist und Netanyahu weg ist, dann könnte es in der Tat zu Sicherheits- oder Friedensabkommen mit Saudi-Arabien und der ganzen arabischen Welt kommen. Dazu braucht Israel eine neue und eine seriöse, nicht-rechtsextreme Regierung.

Sodann zeigen die sehr scharfen, politisch, diplomatisch wie künstlerisch professionell präsentierten Kritiken an der Kriegspolitik Israel von Seiten Frankreichs, des UK, Australiens und anderer, von Steffen Seibert und von South Park, dass eine Kritik an der aktuellen israelischen Regierung Kernpunkt jedweder Israelsolidarität sein muss.

Denn neben dem Krieg in Gaza kommt ja noch die rechtsextreme Siedlungspolitik im Westjordanland und die Siedlergewalt sowie das finanzielle Aushungern der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) durch Israel hinzu, die eine Zweistaatenlösung unmöglich machen sollen. Netanyahu selbst hat im September 2025 gesagt, dass das Projekt E1 einen Staat Palästina für alle Zeiten unmöglich machen wird:

„Es wird keinen palästinensischen Staat geben“, erklärte Premierminister Benjamin Netanjahu bei der Zeremonie am Donnerstag in Ma’ale Adumim. Im Jahr 2009 hatte er in seiner berühmten Bar-Ilan-Rede noch für einen palästinensischen Staat ausgesprochen, und im Jahr 2020 hatte er einem solchen Staat als Teil des „Deals des Jahrhunderts“ von US-Präsident Donald Trump unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. Die Regierungsminister, die an der Zeremonie am Donnerstag teilnahmen, sind jedoch zuversichtlich, dass es diesmal kein Zurück mehr geben wird.
(Übersetzung CH)

Netanyahu wird und er darf nicht Recht behalten, denn sonst hat Israel als jüdischer und demokratischer Zeit keine Zukunft.

Das wird die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) nicht nachvollziehen können, da sie ihre Aktivitäten vermutlich als pro-israelisch einstufen wird. Wer sich aber in Aufrufen zu Demonstrationen zu Israel und gegen Antisemitismus nicht auch gegen Netanyahu, gegen den Krieg ausspricht, der Palästinenser tötet und die Geiseln in noch größere Lebensgefahr bringt, vorsätzlich und gegen die Warnungen der IDF selbst, hat die Zeichen der Zeit nicht gesehen und lebt weit hinterm Mond oder eben im Ländle.

Besser South Park als DIG.

 

 

Die Zerstörung von Gaza im Schatten des Iran-Krieges und die Pulverisierung der jüdisch-zionistischen Ethik

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das islamistische Regime in Teheran muss fallen. Es hätte nie an die Macht kommen dürfen und ist ein frauenverachtender Terrorstaat, der primitive Beweggründe – fanatische Religion – zu einer Staatsdoktrin gemacht hat. Der Hass auf Juden und Israel ist zentral für alle iranischen Politiker. Schon seit Jahrzehnten hätten alle Botschaften des Iran geschlossen gehört und das Land komplett isoliert – was natürlich nicht geschah, weil zumal der Kapitalismus mit dem Regime viel Geld verdient und der Welthandel von dem Land mit abhängt.

Doch jetzt sieht Israel die schrecklichen Folgen des Krieges vor Ort. Zerstörungen von Häusern, Wohnungen, ja ganzen Straßenzügen wie in Rehovot, Bat Yam, Haifa, Tel Aviv und vielen anderen Orten, schon über Dutzende Tote und Hunderte Verletzte.

Der linke Israeli, ehemalige Elitesoldat der IDF, Publizist und bekannte Menschenrechtsanwalt Michael Sfard schreibt heute in der Haaretz:

Wir müssen zugeben, dass dieses Phänomen so alt ist wie die Menschheit – gewalttätiger männlicher Tribalismus, der geradezu vor Stolz über die Fähigkeit, den stärksten Schlag auszuführen, platzt.

Ich bin kein Pazifist; manchmal ist die Anwendung von Gewalt notwendig. Aber Israel hat sich eine Weltanschauung zu eigen gemacht, nach der jedes Problem mit Gewalt gelöst werden sollte, und das israelische Volk ist zu einem Kollektiv geworden, das Gewalt und Brutalität bewundert, während es den Dialog und Kompromiss verachtet.

Sfar ist schockiert, wie die israelische Gesellschaft verroht und das völlige Plattmachen – im wörtlichen Sinne – des Gazastreifens propagiert, durchführt und feiert.

Verzeihen Sie mir also, wenn meine größte Befürchtung im Hinblick auf den Krieg mit dem Iran darin besteht, dass der geringe internationale und nationale Widerstand gegen die ethnische Säuberung und das Massenmorden im Gazastreifen vollends in sich zusammenbrechen wird.

Sfar ist Israeli, sein kurzes, einjähriges Leben in England war eine „Tragödie“ für ihn, er will in Israel leben – und kämpfen. Kämpfen gegen Rassismus, Ungerechtigkeit und Verbrechen wie die gezielte Vertreibung von Palästinenser*innen im Westjordanland und jetzt auch im Gazastreifen.

Und es ist wiederum der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas, der einen Tag nach dem Massaker von christlichen Milizen an Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila in Beirut im Libanon – das die israelische Armee und Besatzungsmacht hätte verhindern können und müssen! – mit einigen Hundert bis zu 3000 Massakrierten im September 1982 in einem Radiogespräch vom 28. September im Radio-Communauté mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut Folgendes sagte:

Niemand hat den ‚Holocaust‘ vergessen, es gibt keine Möglichkeit, diejenigen Sachverhalte zu vergessen, die zur unmittelbarsten und persönlichsten Erinnerung eines jeden an seine Verwandten, bezüglich derer man sich bisweilen anklagt, überlebt zu haben, gehören. Das rechtfertigt keineswegs, daß man sich der Stimme der Menschen verschließt, in der ebenso die Stimme Gottes erklingen kann. Sich auf den ‚Holocaust‘ berufen, um zu sagen, daß Gott unter allen Umständen mit uns ist, ist ebenso verabscheuenswert, wie das ‚Gott mit uns‘, das sich auf den Gürtelschnallen der Henker befand.

(Emmanuel Levinas (2007): Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische, Zürich/Berlin: Diaphanes, S. 240.)

Sfard bezieht sich auf eine Analyse in der Haaretz vom 12. Juni 2025, worin es heißt:

Am Vorabend des Krieges hatte der Großraum Rafah im Gazastreifen 275.000 Einwohner. Das Flüchtlingslager Jabalya hatte 56.000 Einwohner. Beit Lahia hatte 108.000 Einwohner.

Da wurden ganze Städte einfach nahezu komplett zerstört. Die Gebäude wurden zerstört zu einem Zeitpunkt als alle Bewohner*innen bereits vertrieben waren. Es ist also kein Genozid. Es ist aber ein Kriegsverbrechen, gezielt die Infrastruktur eines bestimmten Volkes zu zerstören, damit dieses Volk keine Lebensgrundlage und keinen Ort zum Zurückkehren mehr hat.

Es geht Michael Sfard und vielen linkszionistischen Jüdinnen und Juden in Israel darum, dass diese Kriege die jüdische und zionistische Ethik beschädigen. Emmanuel Levinas würde massiv protestieren gegen das aktuelle Israel und die Politik im Westjordanland und in Gaza.

Der Zionismus hat mit religiösen Bedürfnissen rein gar nichts zu tun und „heilig“ ist dem Zionismus nicht das Land, schon gleich gar nicht das Westjordanland, ja nicht einmal die Klagemauer. Zionismus hieß für die Gründungsmütter und -väter: jüdische Souveränität!

Sfard findet es unerträglich, dass angebliche Verhandlungen über die Geiseln von Netanyahu nur benutzt wurden, um den Iran abzulenken. Doch die meisten Israelis scheinen das zu mögen, er ist deprimiert:

Leider weiß ich, dass diese Fragen die meisten Israelis nicht beunruhigen. Dass es hier fast niemanden gibt, mit dem man reden kann. Dass wir auf Drogen sind, voll von schwadronierenden Slogans und in militaristischer Ekstase schwebend.

Wir haben auch hier in Deutschland kaum jemanden, mit dem „wir“ – also die Linkszionist*innen – reden können. Die „Israel-Szene“ ist in einem bunkerfesten Kokon gefangen und sieht in nahezu jeder Stimme gegen „Bibi“ einen Antisemiten und die Palästina-Szene ist voll von blutlüsternen Antisemiten aller Geschlechter.

Das ist die Lage am 4. Tag des Israel-Iran Krieges und des 619. Tages des Krieges gegen die Hamas.

Es ist eine Lage, die viel tiefer blicken lässt, wenn man es sehen will, als es diese Fakten andeuten. Es geht um Millionen völlig kaputter Menschen im Gazastreifen, die Jahre oder Jahrzehnte brauchen werden, um ihre Häuser wieder aufzubauen. Damit züchtet Israel die nächste Hamas-Generation heran – das wiederum weiß die Elite in Israel, die militärische und geheimdienstliche und politische und will deshalb wie Trump alle Gaza-Palästinenser*innen zum Verlassen der Gegend zwingen („freiwillige“ Flucht).

Damit sie in Ägypten oder Jemen oder Jordanien die nächste Terrororganisation gegen die Juden aufbauen können?

Es braucht eine Allianz für den Zionismus und die Abraham Verträge waren ein wichtiger Schritt in diese Richtung, doch Israel verspielt dieses Vertrauen spätestens seit den nicht mehr nachvollziehbaren Aktionen in Gaza von Anfang 2024 bis heute.

Es muss um Angebote an Demokratie und Kooperation gehen, um die ganz konkrete Perspektive eines Staates Palästina, der nur existieren wird, wenn er Israel anerkennt. Wenn aber Israel einen solchen Staat Palästina nicht anerkennt, wird es keinen Frieden geben und weiter in regelmäßigen Abständen Bombenalarm, Tod und Verzweiflung. Auch ökonomisch wird Israel das nicht lange aushalten, zumal viele Junge dann doch auswandern werden, weil sie nicht von Rechtsextremen regiert werden wollen, von der Kriegssituation nicht zu schweigen.

Es kann auch sein, dass Israel sich Sympathien in Iran mit der dortigen eigentlich scharfen Anti-Mullah-Bevölkerung verspielt, weil die nicht sieht, ob all diese Angriffe nachvollziehbar sind und der Opposition im Iran auch helfen.

Natürlich muss das iranische Atomprogramm gestoppt werden – aber ob es gestoppt werden kann, ist offenkundig völlig unklar. Was ist dann das Ziel von Netanyahu? Hat er für Iran so wenig ein klares UND erfüllbares Ziel wie in Gaza? Will er wieder nur seine eigene Haut retten und die Geiseln dabei vergessen, wie schon so oft seit Oktober 2023?

In jedem Fall sieht die Zukunft für Israel und die ganze Region ohne eine starke linkszionistische Regierung in Israel trübe aus. Es wird weiter männliche Stärke, Gewalt und Brutalität geben und die jüdische und zionistische Ethik „des Anderen“ von Emmanuel Levinas, dem großen Zionisten, wird weiter im Geröllstaub von Gaza nicht zu sehen sein.

Der Haaretz-Text auf den Michael Sfar sich bezieht, betont die rechtsextreme Ideologie hinter der Zerstörung von Gaza:

In rechten Kreisen macht ein neuer Begriff die Runde: „Zarbiving“ Gaza, benannt nach Rabbi Avraham Zarbiv, einem Richter am Rabbinatsgericht in Tel Aviv und in der städtischen Siedlung Ariel sowie einem Reservisten in der technischen Einheit der Givati-Infanteriebrigade. Zarbiv hat mehrmals in Interviews auf dem Bibi-istischen Kanal 14 mit der Zerstörung geprahlt, die er und seine Kameraden mit den D9-Bulldozern in Gaza anrichten. „Wir haben begonnen, fünf-, sechs- und siebenstöckige Gebäude abzureißen. Das System wird immer besser, und es funktioniert.“

Viele „Pro-Palästinenser“, die gar nicht Pro-Palästina sind meistens, sondern primär den Judenmord und die Auslöschung des einzigen Judenstaates meinen, können solche Berichte wie in Haaretz auch zitieren – das darf aber niemals ein Grund sein, sie nicht zu zitieren, weil davon die jüdisch-zionistische Ethik wie im Sinne von Emmanuel Levinas abhängt.

Es geht um eine gemeinsame Zukunft und gegen den Hass, wie ihn einige in Israel jetzt schüren oder gar Schadenfreude empfinden, als eine iranische Rakete ein israelisch-arabisches Haus traf und vier Menschen tötete. Entgegen den Hetzern muss es um Koexistenz, gegenseitigen Respekt und Frieden gehen – das alles betont heute in einem kurzen Video der Knessetabgeordnete Rabbi Gilad Kariv und teilte das mit seiner WhatsApp-Gruppe. Kariv ist Mitglied der im Juli 2024 gegründeten Partei „Die Demokraten“.

Wir brauchen exakt solche Stimmen in und aus Israel.

Denn solange „Free Free Palestine“ heißt: Tod den Juden, ist kein Frieden möglich.

Sobald die Parole heißt „Palästina neben Israel in Frieden“ wird es endlich klappen.

Doch solange „Am Israel Chai“ heißt, das Leiden in Gaza oder dem Westjordanland oder die rechtsextreme Innenpolitik zu ignorieren oder zu feiern, ist auch das nicht immer ein zielführender Slogan.

So komplex ist die Welt – zu kompliziert für beide Seiten, fast immer.

 

P.S.:

Wenige Stunden nach meinem Text kommt jetzt ein Kommentar der Soziologin Eva Illouz in der ZEIT, der ziemlich exakt meine Position untermauert:

„Macht es euch nicht zu einfach. Anmerkungen zur großen Frage, wie man den israelischen Angriff auf den Iran beurteilen soll“.

P.P.S.:

Und noch ein Text aus der ZEIT von heute, ein Inteview mit dem Historiker Moshe Zimmermann, der aktuell in Berlin ist:

„Es wird nur besser werden, wenn sich Israel auf Verständigung mit der Umwelt einstellt und gleichzeitig auch die arabische Welt sich mit der Idee versöhnt, dass auch eine jüdische Minderheit in der Region leben und einen Staat haben kann.“

Viel Effekt: Antizionistische Veranstaltungen

Original auf hagalil, 27.02.2005

Für Wolfgang Dreßen, Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Düsseldorf, sind alle Vorschläge, Filme und Ideen, die den Selbstschutz von Israelis vor antisemitischen Gewalttätern und Massenmördern unterminieren, offenbar herzlich willkommen. Am 26./27. Februar 2004 lädt Dreßen nach Düsseldorf um über anti-israelische Propaganda zu reden.

Neben bekannten Antizionisten wie Ludwig Watzal, der von einem „palästinensischen Versailles“ spricht, kommen u.a. auch Israelis, die freilich selbst für eine antizionistische Politik stehen, neben Watzal Dr. Halima Alaiyan, Michaela Reisin, Moshe Zimmermann und Anis Hamadeh. Wolfgang Dreßen ist kein Unbekannter: Bereits in den 1980er Jahren publizierte er einen der einflussreichsten Rechtsextremisten der Neuen Rechten in der BRD, Henning Eichberg. Seine Liebe zum „nationalen Sozialismus“, der die „SA“ dazu befähigt hätte, sich „nicht in die staatliche Ordnung einbinden“ zu lassen, läßt es merkwürdig erscheinen, dass Dreßen eine Arbeitsstelle zur Analyse des Neonazismus leitet.

2002 wurde Wolfgang Dreßen vom Nordrhein-westfälischen Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport zurückgepfiffen als er beim Ausstellungsprojekt ex-Oriente die pro-iranischen Islamisten von muslim-markt als Ideengeber verlinkt hatte. Auch heute ist auf Dreßens offizieller Homepage der FH Düsseldorf ein Link zu einer offensichtlich islamistischen Site zu sehen auf der die Fatwa gegen Salman Rushdie verteidigt wird, wenngleich die Betreiber – wohl aus legalistischen Gründen – die Ermordung Rushdies in eine ewige Verdammnis umwandeln wollen. Diese Verlinkungspraxis Dreßens korrespondiert aufs Trefflichste mit seiner heutigen Veranstaltung in Düsseldorf. Damals verlinkte er eine Seite, die zum „Israel-Boykott“ aufrief, heute passiert das gleiche, nur nicht aus dem Munde von Islamisten sondern (auch) von antizionistischen Israelis.

Gleich drei Filme von Eyal Sivan, einem israelischen Filmemacher, werden am heutigen Samstag und morgen Abend gezeigt: SKLAVEN DER ERINNERUNG, DER SPEZIALIST und ROUTE 181. ROUTE 181 drehte Sivan zusammen mit dem Palästinenser Michel Khleifi. Während ‚Sklaven der Erinnerung‘ von jungen Israelis berichtet, die in einem Monat verschiedene israelische Gedenktage durchleben wobei Sivan den Antisemitismus gleichsam als quantité négligéable betrachtet und den Kampf Israels gegen Antisemitismus als böse Einbildung und ‚nationalen Mythos‘ angreift, ist Sivans Strategie in DER SPEZIALIST noch hinterhältiger: gleichsam als unspezifische Konstante moderner Industriegesellschaften, die auf abstrakter Arbeit und Bürokratie basierten, wird der Massenmörder Adolf Eichmann in seinem Prozess in Jerusalem dargestellt.

Eichmann ist darin ein bürokratisches (lächerliches) Monster – keineswegs ein deutsches Spezifikum – wie es heute auch welche geben könne. Dies gestaltet Sivan so, daß Eichmann am Ende wie ein Mann hinter einem Schreibtisch wirkt, der auch Israels Politik gegen die Palästinenser kennzeichnen könne, während der israelische Hauptankläger, Gideon Hausner, in sowohl liderlichen als auch widerlichen Einstellungen wie ein Spiegelbild des Nazi-Eichmann erscheint. Diese Projektionsleistung, Juden vom Opfer zum Täter zu phantasieren, ist nicht nur in Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus beliebt. Weltweit ist der Antisemitismus in der post-Holocaust Zeit dadurch gekennzeichnet, dass er sich stark auf Israel als Staat der Juden konzentriert, mithin der Antizionismus als der Antisemitismus der Demokraten erscheint. Der französische Philosoph Vladimir Jankélévitch sagte schon 1971:

„Wie werden sie sich von ihrem latenten Schuldgefühl befreien? Der ‚Antizionismus‘ ist in dieser Hinsicht ein ungesuchter Glücksfall, denn er gibt uns die Erlaubnis und sogar das Recht, ja selbst die Pflicht, im Namen der Demokratie Antisemit zu sein! Der Antizionismus ist der gerechtfertigte, schließlich jedermann verständlich gemachte Antisemitismus. Er ist die Erlaubnis, demokratischerweise Antisemit zu sein. Und wenn die Juden selbst Nazis wären? Das wäre wunderbar. Es wäre nicht länger nötig, sie zu bedauern; sie hätten ihr Los verdient. So entlasten sich unsere Zeitgenossen von ihrer Sorge.“

Daß es nicht primär Antisemitismus gewesen sein soll, der Eichmann zum Judenmord trieb, vertritt in der Nachfolge Hannah Arendts auch der berühmte linke Historiker Hans Mommsen, der später auch Goldhagens Analysen zum „eliminatorischen Antisemitismus“ ablehnte. Die seriöse und kritische Forschung ist sich jedoch spätestens seit Hans Safrians Buch „Eichmann und seine Gehilfen“ darüber bewußt, daß Antisemitismus das zentrale Motiv für Eichmann darstellte, Juden zu suchen, zu finden und ermorden zu lassen.

„Unter Vernachlässigung der einfachsten Regeln der Quellenkritik wird zitiert, kolportiert, konstruiert. Man geht über ‚die Manipulation der Erinnerung‘ in den Aussagen Höß‘ oder Eichmanns hinweg. Sie haben, ‚als sie vor ihren Richtern standen (…), sich eine bequeme Vergangenheit konstruiert und schließlich selbst daran geglaubt‘(Primo Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten): Wie Höß und die anderen nach 1945 angeklagten NS-Verbrechen stilisierte sich Eichmann zum absolut gehorsamen Befehlsempfänger, der persönlich nichts gegen Juden hatte, und schmückte diese grundsätzliche Linie mit Versatzstücken der Realität aus.“

Nun ist neben dem ohnehin äußert problematischen und den deutschen Vernichtungsantisemitismus Eichmanns komplett negierenden Plot des Films zudem bekannt geworden, dass Sivan in DER SPEZIALIST bewusst und gezielt filmisches Originalmaterial gefälscht hat. Sivan hat das 350stündige Roh-Filmmaterial der Prozeßdokumentation so geschnitten, daß Zeugenaussagen im Filmergebnis gefälscht sind. Z.B. erscheint ein Zeuge auf eine bestimmte Frage schweigend, wohingegen der Zeuge an besagter Stelle in den Originaldokumenten durchaus sofort antwortete. Auch an weiteren Stellen wurde gefälscht, wie jetzt durch den ehemaligen Direktor des Spielberg Film Archives in Jerusalem, Steward Tryster bekannt wurde. Die ‚kulturzeit‘-Sendung von 3sat am 22.02.2005 thematisierte die Kritik Trysters zwar, ärgert sich jedoch mit ihrem Interviewpartner um so mehr als sie die Intention Sivans, Israel anzugreifen, ja tatkräftig unterstützt. Jankélévitch hat diesen Reflex schon vor Jahrzehnten reflektiert und analysiert, wie das obige Zitat zeigt.

Am deutlichsten wurde kürzlich der Antizionismus und die Affirmation des suicide killing durch 3sat in dem Interview von Gert Scobel und dem Regisseur von PARADISE NOW, Hany Abu-Assad vom 16. Februar 2005. So wie Abu-Assad dort unter Lachen erzählen durfte, dass die Vorbereitungen auf ein Selbstmordattentat noch „viel lustiger sind“ als im Film dargestellt, so steht dieser Bejahung des suicide bombing der Kampf gegen den israelischen Schutzzaun durch Sivans Film ROUTE 181 zur Seite. Die Kultursendung von 3sat, die die Lügen und Fälschungen von Sivan aufdeckte, möchte trotz der aufgedeckten Manipulationen am Film DER SPEZIALIST festhalten, habe er doch – wie es in einem Interview mit den deutschen Regisseur Andreas Veiel heißt – die „gigantische Inszenierung“, die der Eichmann-Prozess dargestellt, aufgezeigt und somit die „Legenden, die den Staat“ Israel zusammen hielten, destruiert. Dass Juden als Juden vom deutschen Eichmann aufgesucht, deportiert und ermordet wurden, kommt nicht vor. Dass Israelis als Juden 1948 und 1967 und später „ins Meer getrieben werden sollten“ von ihren arabischen Nachbarn, leugnet diese Position. Israel brauche „Mythen“, wie Sivan sagt, um sich zu legitimieren. Dass Israel zum ersten Mal in der langen Geschichte des Antijudaismus und Antisemitismus seit 1948 für alle Juden Schutz vor Antisemitismus bedeutet, militärische Selbstverteidigung, wird einfach negiert.

Am Samstag, 26.02.2005 wird in Düsseldorf von den Veranstaltern „Kulturelle Entwicklung“ und „museum kunst palast“ unter der Leitung von Wolfgang Dreßen nach der Vorführung von ROUTE 181 unter der Moderation von Michel Khleifi zwischen ihm und Sivan diskutiert. Khleifi, der palästinensischer Regisseur des Films, passt gut zu dem Duo: Kleifi hat mehrere Filme gedreht, in denen es um die Situation der Palästinenser geht und anti-israelische Töne das Hauptmerkmal zu sein scheinen. So kritisierte z. B. die französische Tageszeitung Le Figaro den Film „Hochzeit in Galiläa“ von Khleifi unmissverständlich als „Aufruf zum Haß“.

Nicht nur zum Hass auf Israel sondern auch zur Verharmlosung von Auschwitz wird in dem Film ROUTE 181 von Khleifi und Sivan aufgerufen. Auschwitz sei darin kein Zivilisationsbruch gewesen, wie die Filmkritikerin Anne Heilmann analysiert:
„Die Kritik bezog sich vor allem auf die Anlehnungen von Route 181 an den Film Shoah von Claude Lanzmann, eine neunstündige Dokumentation über die Judenvernichtung während des Nationalsozialismus, die aus Interviews mit den Überlebenden der Vernichtungslager und ihren deutschen Henkern besteht. Eine der zentralsten und zugleich schrecklichsten Interviewsituationen in Shoah ist das Gespräch mit Abraham Bomba in seinem Friseursalon in Israel. Er musste den Häftlingen in Auschwitz, unter denen sich auch seine eigene Familie befand, die Haare scheren, bevor sie in die Gaskammern getrieben wurden.

Die Szenenanordnung in Route 181 ist auffallend ähnlich. Hier berichtet ein palästinensischer Friseur, während er Michel Khleifi die Haare schneidet, von einem Massaker an Palästinensern in Lod während des Unabhängigkeitskriegs von 1948. Er berichtet von Vergewaltigungen, von einem »Ghetto« genannten Ortsteil, in dem die palästinensische Bevölkerung versammelt wurde, und davon, wie die israelischen Soldaten von ihm verlangten, die Leichen zu verbrennen. Die Szene endet mit einer Einstellung der Eisenbahnschienen in Lod und greift damit ein Motiv auf, dass nicht nur in Shoah für die Deportationen der europäischen Jüdinnen und Juden in die Konzentrationslager steht. „Das Plagiat ganzer Sequenzen aus Shoah von Claude Lanzmann illustriert eine perverse und systematische Praxis, deren Logik die einer Umkehr der Opfer in Henker ist“, schreiben die Kritiker des Films in ihrem Protestbrief.“

In Wahrheit hat der israelische Schutzzaun vielen Menschen das Leben gerettet, die Anzahl der Anschläge sank beachtlich.

„Die Zahl der Terroranschläge auf israelische Ziele ist 2003 im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent zurückgegangen. Dabei gab es 50 Prozent weniger Todesopfer als 2002. Das geht aus einem am 8. Januar 2004 vorgestellten Bericht des israelischen Sicherheitsapparates hervor. Eine Ursache für diesen Rückgang ist nach Ansicht der Sicherheitskräfte der Bau des Sicherheitszaunes.
Arabische Terroristen haben im Jahr 2003 insgesamt 3.858 Attentate auf israelische Ziele verübt. Dabei wurden 213 Menschen getötet, darunter 50 Angehörige der Sicherheitskräfte und 163 Zivilisten. Im Jahr 2002 hatten 5.301 Anschläge insgesamt 451 Todesopfer gefordert. Die Zahl der Terrorwarnungen blieb hingegen konstant. Durchschnittlich gingen bei den Sicherheitskräften pro Tag 40 Informationen über mögliche Anschläge ein.“

Auch die Antisemiten erkennen den Zaun als Hinderungsgrund für ihre Mordanschläge:

„Ein Grund für den Rückgang der Anschläge ist nach Ansicht der israelischen Sicherheitskräfte der Bau des Sicherheitszaunes. Dieser zwingt palästinensische Terrorgruppen, ihre Taktik zu ändern. Ein hochrangiger Führer des Dschihad al-Islami sagte in einem Verhör, die Organisationen müssten völlig neue Wege finden, falls die Sperranlage fertiggestellt werde.“

Dreßens jahrelange, obsessive Kritik an Israel, seine Vorliebe für „nationalen Sozialismus“ und den Islam gleichermaßen prädestinieren ihn dazu „neue Wege“ in seinem speziellen Dialog suchen zu helfen. Solche „Neuen Wege“, wie sie der Dschihad al-Islami sucht? Vorträge, Filmvorführungen, internet-links, Ausstellungen und Diskussionen von und mit Antizionisten sind solche Wege. Ohne Blut aber mit viel Effekt. Wie PARADISE NOW.

Anmerkungen:
(1) http://www.palaestinaonline.de/watzal2.htm
(2) Betrifft: „Aktion 3“. Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Dokumente zur Arisierung. Ausgewählt und kommentiert von Wolfgang Dreßen, Berlin (Aufbau-Verlag), S. 19.
(3) http://www.juedische.at/TCgi/TCgi.cgi?target=home&Param_
Kat=3&Param_RB=14&Param_Red=1732
(4) http://www.amana-online.de/pp/aa/mazrui_rushdie.shtml. Darauf heißt es: „Wenn es wirklich notwendig ist, so wäre die spirituelle Strafe einer Verfluchung angebrachter als die physische Strafe des Todes. Besser noch, überlasse Salman Rushdie dem Himmel! Ja, verbiete die Haßliteratur, wenn es sein muß, aber liebe den Autor als einen Mitmenschen“. Amana-online wird von Dreßen verlinkt, siehe: http://www.arbeitsstelle-neonazismus.de/frameset.htm.
(5) Vladimir Jankélévitch (2004): Das Verzeihen. Essays zur Moral und Kulturphilosophie, Frankfurt/Main (suhrkamp), S 245.
(6) Hans Safrian (1995): Eichmann und seine Gehilfen, Frankfurt/Main (Fischer), S. 15.
(7) http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/76204/ In kulturzeit wurde die Szene aus DER SPEZIALIST, die zeigt, wie der Bürokrat und eiskalte Schreibtischtäter Eichmann sich im israelischen Oberstaatsanwalt Hausner widerspiegelt, hofiert.
(8) http://www.iz3w.org/iz3w/Ausgaben/277/LP_s38.html
(9) http://www.israelaktuell.de/de/news_show.php?col=130&select=Texte&show=177
(10) Ebd.

hagalil.com 27-02-2005

 

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