Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: Politically Incorrect (PI)

PEGIDA und die politische Kultur

Eine Selbstkritik der »Israelsolidarität«, DDR-»Wirtschaftsflüchtlinge« 1989, die Verteidigung des »Abendlandes» und das deutsche Weihnachtsfest 1939: »Ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums«

 

Bundesjustizminister Heiko Maas hat völlig Recht: »PEGIDA ist eine Schande«. Die Zeitung für Deutschland hingegen, die FAZ, sieht in PEGIDA den Ausdruck einer Sehnsucht nach »Heimat«, die armen Dresdner seien »heimatlos«, wie es am 17.12.2014 auf Seite eins der FAZ heißt: »Pegida ist ein anderes Wort für die Sehnsucht nach politischer Führung. Wer nimmt sie wahr?« Der »Führer« vielleicht? Auch viele andere Medien nehmen PEGIDA mittlerweile in Schutz, von der ZEIT, die meint »echte Gefühle« bei den Aufmärschen zu erkennen, bis hin zu CICERO, das Kritiker wie Wolfgang Bosbach (CDU) oder Ralf Jäger (SPD) abmahnt und ernsthaft meint, man könnte und sollte mit PEGIDA reden bzw. müsse deren »Argumente« wahr- und ernstnehmen.

 

Angesichts von ca. 300.000 Toten in Syrien, Unruhen, Verfolgung, Mord und Krieg in weiten Teilen des Nahen Ostens, vor allem in Libyen, Syrien, Irak oder Yemen, sowie desolater ökonomischer Verhältnisse zumal in Afrika oder Osteuropa, hetzen Deutsche gegen Flüchtlinge. Ganze Familien von »Wirtschaftsflüchtlingen« aus Chemnitz, Dresden und Hoyerswerda verbrachten 1989 Weihnachten in Stuttgart, München oder Frankfurt bei gastgebenden »Wessis«. Diese Ex-Flüchtlinge aus der DDR agitieren jetzt gegen eine verglichen damit minimale Anzahl von Flüchtlingen, die aus viel katastrophaleren und lebensbedrohlicheren Zuständen fliehen. Dabei kommt nur ein Bruchteil der Flüchtlinge lebend in EUropa an, die EU-Außengrenze degradiert die Mauer in Berlin zu einem geradezu läppischen Bauwerk.

Es gibt heute Unterstützung oder zumindest mal symbolisch Geschenke für Flüchtlinge, das ist ein großer Unterschied zum Beginn der 1990er Jahre, als sich nur kleine Gruppen von ANTIFAs und antirassistischen, autonomen Gruppen um den Schutz von und die Unterstützung für Flüchtlinge kümmerten.

Doch es geht auch um Selbstkritik: haben Autoren, wie der Verfasser, in den letzten Jahren immer deutlich genug gemacht, dass es nicht gegen »den« Islam geht bei der Kritik am Islamismus? Wurde die Kritik an Thilo Sarrazin ignoriert oder nicht bemerkt, dass andere sie ignorierten? Haben »wir« immer und jederzeit betont, dass es zwischen Islam als Glauben und Islamismus als Ideologie eine Differenz gibt? Damit wird man nicht zu einem Apologeten von Religion. Wo bleibt der Aufschrei, wenn ein sehr bekanntes Blog der »Szene« einen Autor zu Wort kommen lässt, der von einer »zweiten Shoah« daher redet und den Holocaust auf groteske Weise trivialisiert und Morde an Juden von Islamisten oder Muslimen nur dazu benutzt, um gegen »den« Islam aufzuwiegeln und die Deutschen zu entschulden, wenn in dem Text einzelne Morde und Pogrome von Muslimen an Juden von 1929 oder 1840 als »zweite Shoah« rubriziert werden? »Zweite Shoah« 1929? Oder heute? Wo bleibt da der Aufschrei? Wo bleibt da die Selbstkritik, mal einen Fehler gemacht zu haben?

Haben viele Kritiker der Israelfeindschaft einfach nur weggesehen, als die übelsten rechten Sprüche von Leuten kamen, die aus welchen Gründen auch immer für Israel sind? Wurden nicht auch höchst problematische, evangelikale oder sonstige fanatische Gruppen auf Israelkongresse eingeladen oder auf Konferenzen und Veranstaltungen toleriert und nicht konfrontiert? Haben viele gar nicht gemerkt, dass ein regelrechter Hass auf alles »Liberale« und »Linke« besteht, der durch eine Kritik am Antizionismus einiger Teile der Linken (damit ist nicht nur die Partei gemeint) rationalisiert werden konnte? Wie oft haben Leute zum Beispiel misogyne Sprüche und Tendenzen goutiert, weil die Autoren oder Redner sonst »ganz ok« drauf seien?

Sodann: haben Kritiker des Antisemitismus deutlich genug gemacht, dass es um Kritik geht und nicht um die Exkulpation des deutschen Normalzustandes, wenn der Antisemitismus primär als Phänomen von Muslimen und Arabern betrachtet wird? Haben viele nicht Kompromisse, faule oder klammheimliche, mit Christen, Konservativen und Rechten gemacht, nur weil es »um Israel« geht? Wurde nicht von vielen übersehen, dass es wie ein Schlag ins Gesicht eines Kritikers der eingebildeten »deutsch-jüdischen Symbiose« wie Gershom Scholem ist, wenn all die letzten Jahren von einem angeblich »christlich-jüdischen Abendland«, zumal in Deutschland, geredet wird?

Wer nimmt schon Kritik am existierenden Rassismus in Israel zur Kenntnis, ohne damit zu einem Israelgegner zu werden? Sicher ist es einfacher, immer nur Kritik am Antisemitismus, den es ja in unglaublichem Ausmaß gibt, weltweit, zu üben, als sich auch mal realitätsgetreu mit den Zuständen in Israel zu befassen. Warum wird fast immer, wenn wieder ein Skandal aus der Palästinensischen Autonomiebehörde zu vernehmen ist, Mahmud Abbas‘ Holocaust leugnende Dissertation von Anfang der 1980er Jahre aus Moskau zitiert, ohne auch nur wahrzunehmen, dass Politikerinnen und Politiker in Israel wie die linken Zionist_innen Tzipi Livni oder Isaac Herzog in persönlichen Gesprächen in Abbas in den letzten Jahren evtl. eine moderatere und reflektiertere Stimme zu hören in der Lage sind? Sind dadurch Livni und Herzog »Verräter« und unglaubwürdig? Wissen deutsche Blogger, Schweizer oder österreichische Referenten grundsätzlich besser Bescheid als israelische, zionistische Politiker_innen wie Livni oder Herzog?

Fast alle in der Israelszene aktiven Gruppen schweigen brüllend zu PEGIDA, finden den nationalen Taumel gar prickelnd oder wiegeln ab. Wer aber gegen die iranische Gefahr, für Israel, gegen alle möglichen Formen von Antisemitismus sich engagiert aber zu rechtsextremen, volksgemeinschaftlichen Aufmärschen, die gegen Muslime hetzen, schweigt, verrät jede Idee von Aufklärung, Emanzipation, und, ja, Zionismus. Der Zionismus David Ben-Gurions, Ze’ev Jabotinsky oder Kurt Blumenfelds basierte darauf, dass Juden zwar eine Mehrheit in Israel, aber die arabischen und muslimischen bzw. christlichen und sonstigen Minderheiten »gleiche Rechte« gewährt bekommen sollten im jüdischen Staat. Israel ist eine multikulturelle Gesellschaft mit einem Anteil von über 20% Arabern/Muslimen. In der Bundesrepublik leben ca. 5% Muslime.

Auf die Bedeutung Jabotinskys Verständnis von Zionismus, das keineswegs einen homogenen, rein jüdischen Staat avisierte, sondern einen dezidiert jüdischen (und keinen binationalen!) Staat mit einer mit gleichen Rechten ausgestatteten arabischen Minderheit, wies kürzlich der britische Politikwissenschaftler und pro-israelische, aber linke Autor Alan Johnson, Herausgeber der Zeitschrift Fathom, hin. Und in Israel ist das alles auch bekannt, aber hierzulande wird in gewissen Kreisen jede Kritik an »Bibi« oder dem rechten Rand des politischen Spektrums in Israel als antizionistisch verfemt. Es geht derzeit in Israel um Zionismus versus die extreme Rechte, die natürlich auch Teil Israels ist, aber eben nicht unwidersprochen. All das wird hierzulande kaum zur Kenntnis genommen, und diese Ignoranz wird sich rächen.

Schließlich bekommt die »Israelszene« jetzt die Rechnung aus Dresden. Entweder die pro-israelischen und anti-islamistischen Aktivistinnen und Aktivisten bzw. Blogger_innen und Forscher/innen kriegen die Kurve und kehren zu einer seriösen Beschäftigung mit Antisemitismus, Islamismus und Nationalismus zurück oder PEGIDA wird dafür sorgen, dass die »Israelsolidarität« und »Islamkritik« in PEGIDA auf- und untergeht. Entweder Islamismuskritik, Israelsolidarität und Kritik am Antisemitismus und ein Lob der Vielfalt oder PEGIDA.

2006, zur Zeit des »Sommermärchens« und acht Jahre vor dem noch größeren WM-Wahnsinn, kam das nationale Apriori ins Gerede, aber nur von einer marginalen Gruppe von Autorinnen und Autoren. Man hätte die Warnzeichen sehen können. Doch dann ging es wieder um die Kritik am ubiquitären Antizionismus, eine in der Tat wichtige Kritik, bis heute und in Zukunft.

Das alles darf nicht blind machen für die Gefahr, für die PEGIDA steht. Und vieler meiner Bekannten, nicht nur auf Facebook oder auf Blogs, sehen die Zeichen der Zeit nicht und sind unfähig, Selbstkritik auch nur zu versuchen, wie es scheint.

PEGIDA, die Dresdner Volksbewegung gegen alle Nicht-Deutschen und für ein homogenes Sachsen bzw. Deutschland, möchte am 22. Dezember 2014 bei ihrem nächsten Aufmarsch Weihnachtslieder singen, wie am 15.12 angekündigt wurde. Das mag der heidnischen Tradition weiter Teile des Rechtsextremismus und der a-christlichen Vieler in der Ex-DDR entgegenstehen, aber natürlich wissen auch Neue Rechte, Heidnische und Völkische dass man in der Not Kompromisse machen muss. Schließlich gab es Millionen NSDAP-Mitglieder, ganz normale Deutsche, die Christen waren und Teil der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Zudem gab es bekanntlich den heidnischen Zug des SS-Staates wie die »Deutsche Glaubensbewegung« um Jakob Wilhelm Hauer, wie der israelische Religionswissenschaftler Schaul Baumann in seiner Dissertation herausgearbeitet hat.

Der katholische Bund Neudeutschland war ob des Nationalsozialismus begeistert. Der Jurist und spätere Ministerpräsident von Baden-Württemberg Han(n)s Filbinger steht dafür ebenso wie der Heidegger-Schüler und Philosoph Max Müller, der nach 1945 in München und Freiburg Karriere machte. Angesichts der völkischen Bewegung »Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes« sei zum Anlass des bevorstehenden Weihnachtsfestes auf die nationalsozialistisch-deutsch-abendländische Tradition eingegangen.

Ideologisch für ›Volk‹ und ›Vaterland‹ gerüstet, ging es am 1. September 1939 in den Zweiten Weltkrieg. Ein Neudeutscher, ein Mitglied des Bundes Neudeutschland, Heinrich Jansen Cron, Herausgeber des Leuchtturm, schreibt in einem kleinen Buch, in welchem er Lieder, Gedichte, Gebete und Geschichten u.a. von Gertrud Bäumer, Ernst Moritz Arndt, Adalbert Stifter oder auch Walter Flex zusammenbringt, zu Weihnachten 1939:

Es ist ein Fest des Herzens, des inneren Reichtums. Nicht das Äußere entscheidet. Gott wird – Mensch. Der Gottesmensch ist ein – Kind. Das Kind liegt in einem – Stall. Und ist doch der Herr der Welt! Mehr sein, als scheinen, den inneren Reichtum über den äußeren stellen, das ist weihnachtliche Haltung. Das ist es, was uns auch in Not, in der Fremde, im Felde sicher macht, froh und stark. Was will aber dieses Heft? Es will das Gute, das Edle, das Heilige, das in Gott und Heimat Tiefverwurzelte wecken und heben; eine Hilfe sein, Weihnachten draußen christlich und deutsch zu erleben, jegliche Ferne zu überwinden.[i]

Wenig später, zu Ostern 1940, publiziert Cron noch so ein kleines Erweckungsbüchlein:

Die großen Aufgaben, die uns in dieser Zeit Heimat und Familie, Volk und Vaterland stellen, verlangen einen kräftigen Willen. (…) ›Jesus ist wahrhaft auferstanden!‹ Also werden auch wir auferstehen. Also hat unser Erdenleben auf alle Fälle einen Sinn; also gibt es eine ewige Gerechtigkeit; also nehmen wir das Leben und auch sein Kreuz tathart und gelassen auf uns. Denn nur so erringen wir das ewige Leben; nur wenn wir nach Kräften Christi Tapferkeit erstreben, werden wir auch mit ihm auferstehen! Mit diesem Leben ist nicht alles aus. Der Tod verliert seinen Stachel, die Gefahr die Lähmung, die Zukunft wird licht. Wir erheben die Herzen, tragen hoch das Haupt; denn uns erfüllt eine gewaltige Hoffnung. Gott wird unsere Treue krönen, unsere Familie schützen, unser Volk erretten; wir wissen ja: Christ ist erstanden![ii]

Am Beginn des Holocaust und des (Vernichtungs-)Krieges in Polen sowie im Westen Europas segnen deutsche Christen den Weltkrieg und feiern ein fröhliches Osterfest. Das Motto könnte nicht heideggerscher oder djihadistischer lauten: »Der Tod verliert seinen Stachel«. Salafisten, Islamisten und Jihadisten aller Länder könnten sich an diesen Deutschen ein Vorbild nehmen.

Der Publizist Henryk M. Broder mag symptomatisch für das Nicht-Erkennen der Gefahr, für die PEGIDA steht, zitiert werden. Er hat die Sache komplett auf den Kopf gestellt – angesichts von Nazis, Populisten und einem rassistischen Mob in Dresden schreibt er: »Das, was früher der Nationalsozialismus war, das ist heute der Islamismus«. Dabei gibt es genügend Beispiele, wo Islamisten wie Yusuf al-Qaradawi, einer der alten aber führenden Sunni-Islamisten, Hitler öffentlich lobten. Aber darum geht es PEGIDA gar nicht. Sie wollen ein »reines« Deutschland. 1978 hätte Broder das noch erkannt, als er ein Buch herausgab mit dem Titel »Deutschland erwache. Die neuen Nazis. Aktionen und Provokationen.«

Nein: das, was früher der Nationalsozialismus war, ist heute in Deutschland eher schon PEGIDA, jedenfalls laufen da auch Leute mit, die den SS-Staat gut finden.

Die wollen ein »arisches« Dresden, selbst 2,5% Nicht-Deutsche sind denen zu viel. Und sie wollen die wundervollen deutschen Traditionen bewahren, man denke nur an Höhepunkte des »christlichen Abendlandes« wie Weihnachten 1939 im »Deutschen Reich«.

Einer der PEGIDA-Mitmacher ist der Bundesvorsitzende der Partei Die Freiheit, Michael Stürzenberger, der auch für das extrem rechte Internetportal »Politically Incorrect« (PI) schreibt, das ganz begeistert ist ob PEGIDA und live davon berichtet. Stürzenberger sprach am 15.11.2014 auf der Hooligan-Kundgebung in Hannover und peitschte die Hooligans und Neonazis ein: »Wo sind die Freunde unseres deutschen Vaterlandes?«, woraufhin der Mob unter anderem mit unschwer als Hitlergrüßen zu erkennenden Bewegungen antwortete.

Stürzenberger agitiert gegen die jüdische Beschneidung, so wie er denken viele bezüglich der Beschneidung, das ist mehrheitsfähig in einem Land wie Deutschland, von der FAZ zur jungle world und der Giordano Bruno Stiftung.

Wie Anhänger von Verschwörungsmythen glauben die PEGIDA-Rechten dem »System« nicht, sie reden von »der« »Lügenpresse« und glauben einer Presse, die in der Tat an Propaganda schwer zu überbieten ist: Russia today.

Gegen die freie Presse, gegen die jüdische und muslimische Beschneidung und gegen Einwanderung – PEGIDA steht für »Ausländer raus«. Doch selbst Antisemitismus und Antiintellektualismus aus den Reihen der PEGIDA-Protagonisten und Aktivisten, darunter zählen auch Autorinnen für das verschwörungsmythische Magazin Compact, halten offenbar viele in der Pro-Israel-Szene nicht davon ab, den Rassismus von PEGIDA zu unterstützen. Eine Compact-Autorin und »Kameradin« von Jürgen Elsässer ist Melanie Dittmer, die früher bei der Jugendorganisation der NPD, den »Jungen Nationaldemokraten« (JN) aktiv war und heute im Umfeld der rechtsextremen »Identitären Bewegung«. Sie sprach z.B. bei einem DÜGIDA (Düsseldorf gegen…) Aufmarsch am 8.12.2104 und ist die Anmelderin der BOGIDA (Bonn gegen …).

Broder kritisierte 2012 die Agitation gegen die jüdische und muslimische Beschneidung. Doch er sieht offenbar nicht, dass der deutsche Mainstream gegen das Judentum und die Beschneidung ist. Viele bei PEGIDA sind Leser von Seiten wie PI im Internet, die wie dokumentiert gegen die Beschneidung und somit gegen jüdisches und muslimisches Leben hetzt.

Doch wen verteidigt Broder, wenn er Kritik an PEGIDA abwehrt und PEGIDA kleinredet, affirmiert und sich über Kritikerinnen des Rassismus wie Gesine Schwan lustig macht? Ich hatte schon 2007 rechte Tendenzen bei Broder und ACHGUT analysiert und resümierte:

Der Kampf gegen den Djihad jedoch lediglich als Vorwand, gerade für die BILD-Zeitung, den Spiegel, die WELT, sich noch gemütlicher einzurichten, gerade in Deutschland, dem Land der unbegrenzten Schuldabwehrmöglichkeiten?

Wer vom verbrecherischen Alltag des Nationalsozialismus nicht mehr reden möchte, sollte vom politischen Islam schweigen.

Die Juden sind die Juden von heute und nicht die Muslime, wie Jascha Nemtsov zu Recht gegen Armin Langer einwendet. Es geht jetzt aber nicht um die falsche Analogie von Antisemitismus und Islamkritik. PEGIDA ist ein Ausdruck von Rassismus, von Nationalismus, Islamhass und von Antisemitismus gleichermaßen, das Beispiel Stürzenberger und PI zeigen das anschaulich. Das Problem ist PEGIDA und nicht die Antifa und auch nicht Gesine Schwan.

Der Islamfaschismus wie in Iran ist schlimm genug, und die Hitler-Fans unter nicht wenigen Islamisten und Muslimen in Deutschland sind auch übel genug. Aber angesichts von Deutschlandfahne und »Wir sind das Volk« Gebrülle so die Realität zu derealisieren, wie Broder und sein Fanclub es tun, das ist bezeichnend.

Als Forscher/in sollte man sich einfach mal anschauen, wie die »abendländische Tradition« in Deutschland aussah. Dass Deutschland gar nicht abendländisch war, sondern antiwestlich, völkisch und nationalsozialistisch, wie der Historiker Peter Viereck bereits 1941 in seiner Dissertation »Metapolitics« auf beeindruckende Weise analysiert hat und von niemand anderem als Thomas Mann dafür in einem Brief vom 7. September 1941 gelobt wurde, spielt hier gar keine Rolle. PEGIDA sieht sich ja als deutsch und abendländisch.

Weihnachten 1939, Ostern 1940 und die diesbezüglichen Texte eines »Neudeutschen« oder Vertreter des »christlichen Abendlandes« wie Heinrich Jansen Cron sind nur Beispiele für das, was PEGIDA in Dresden, der Stadt, die nicht gerade für Toleranz und Vielfalt steht, hingegen für Antisemitismus 1848, für Richard Wagner und Michail Bakunin, verteidigen möchte: das christliche Abendland oder das, was Deutsche darunter verstehen.

Wie die Politikerin und Publizistin Jutta Ditfurth am 16.12.2014 auf 3Sat im Fernsehen sagte, erleben wir derzeit die wohl »schlimmsten rechtspopulistischen, antisemitischen, rassistischen Aufmärsche seit 1945«; hinzufügen würde ich: die schlimmsten Aufmärsche in Ergänzung zu den antisemitischen Aufmärschen im Sommer 2014, als vor allem Islamisten und Muslime, eskortiert von Neonazis und Linken, Pro-Hitler und »Juden-ins-Gas«-Parolen brüllten, im ganzen Land. Doch das war eben nicht »der« Islam und es waren nicht »die« Muslime und schon gar nicht »die Flüchtlinge«, die zu großen Teilen aus islamistischen Ländern geflohen sind. Jihadisten gehen ja vielmehr von Düsseldorf, Berlin oder Neu-Ulm in den »Heiligen Krieg« in den Nahen Osten und nicht andersherum.

PEGIDA indiziert, zu was das WM-Wahn-Land Deutschland im Jahr 2014 fähig ist und in den kommenden Jahren fähig sein wird. Für was stehen PEGIDA, DÜGIDA, BOGIDA und alle anderen rechten Aufmärsche? Wer sich die Aufmärsche anschaut, erkennt neben vorbestraften Kriminellen und Neonazis vor allem ganz normale deutsche Spießbürger auf der Straße. Schwarzrotgold ist ihre Fahne und Strategie, »wir sind das Volk« und »IHR nicht« ihre Parole und »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« der Sinngehalt, Agitation gegen »das System« aus Medien und Politik die Taktik, das als Fackel umfunktionierte Mobiltelefon ihr Symbol, die Gleichsetzung von Täter (SS-Staat) und Befreier (UdSSR) ihre mainstreammäßige Ideologie, dazu als altdeutsches Pendant »Familie, Heimat und Patriotismus« statt »Gender-Mainstreaming und Diversität«, Nationalismus, völkische Homogenität und Hass auf Andere ihr Motiv und Weihnachtslieder ihre Melodie.

Angesichts von Millionen Flüchtlingen weltweit ist die Anti-Flüchtlingsbewegung PEGIDA eine Schande für die Menschheit. PEGIDA ist ein Indikator für die politische Kultur in der Bundesrepublik. Sie zeigt die »Salonfähigkeit der Neuen Rechten« an.

 

[i] Heinrich Jansen Cron (1939): Weihnachten fern der Heimat. Ein Heft der einsamen oder gemeinsamen Weihnachtsfeier draußen, Köln: J.P. Bachem, S. 3.

[ii] Heinrich Jansen Cron (1940): Neues Leben. Ein Ostergruss seelischer Erstarkung, Köln: J. P.. Bachem, S. 3, Herv. d.V.

 

Dr. phil. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler und Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA). Er ist Autor von fünf Büchern, zuletzt erschien „Kritische Theorie und Israel“ (Berlin 2014).

Jakob – der Liebling der deutschen Volksgemeinschaft

 

Ein Wintermärchen, 2013

Auch ohne Schnee und Sonnenschein kuschelt das Land wieder, Anfang Januar 2013, es ist wie im Wintermärchen: Deutschland kennt keine Parteien mehr und nur noch Deutsche. Die Volksgemeinschaft im Jahr 2013 stellt sich hinter einen Journalisten, der auf Platz 9 der berüchtigtsten Antisemiten unserer Welt bzw. in die Top Ten der aus Sicht des Simon Wiesenthal Centers (SWC) „erwähnenswertesten antisemitischen respektive antiisraelischen Verunglimpfungen des vergangenen Jahres“ geraten ist. Was stört die Deutschen am meisten daran? Der Antisemitismus des Jakob Augstein und die Diffamierung, Dämonisierung und Ausgrenzung Israels? Das Schweigen der Augsteins dieser Welt über die wirklichen Gefahren und Kriege auf dieser Welt?

Oder stört eher die Kritik am Antisemitismus und an Deutschland? Lassen wir das „gesunde Volksempfinden“ zu Wort kommen:

„Mich interessieren nur die Macht-Mechanismen, die Broder mit seiner Empfehlung offenlegt: Wie kann eine Institution wie das Wiesenthal-Zentrum, das als seriös bewertet wird und großen politischen Einfluß besitzt, die persönliche Antipathie einer Revolverschnauze aufgreifen und aus der eigenen Arbeit eine Karikatur machen? Wird durch die Nominierung Augsteins nicht die ganze Liste überdeutlich zu dem, was sie wohl zuvor schon war: eine Farce?“

Von wem ist dieses Zitat? Von Christian Bommarius und der Frankfurter Rundschau, die Broder lieber im Knast oder Schlimmerem sähe denn als Bürger in Freiheit, von Juliane Wetzel vom sog. „The German Edward Said Center for Holocaust distortion and post-colonial Antisemitism“ an der Technischen Universität (Zentrum für Antisemitismusforschung, ZfA),  vom evangelischen Antisemitismusverharmloser Klaus Holz, dem Deutschlandradio und WDR5 und seiner Journalistin Liane von Billerbeck („Berlinerin mit ausgeglichener Klimabilanz, zwei erwachsenen Kindern, dem Hang zu märkischen Seen und Dichterfürsten“), vom Deutschen Journalistenverband (was soll man von dem auch sonst erwarten?), von Michael Wolffsohn, der Antisemitismus als eher läppischen und harmlosen „Unsinn“ umetikettiert und womöglich das Ansehen Deutschlands gefährdet sieht wenn Augstein wahrheitsgetreu kategorisiert wird, immerhin ist Augstein der anerkannte Sohn eines der seinerzeit mächtigsten Medienmänner, Rudolf Augstein, der mit Herzblut alten SS- und anderen Nazimännern im Spiegel Unterschlupf bot, sowie der leibliche Sohn von Martin Walser, dessen antisemitische Paulskirchenrede im Oktober 1998 die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust und die Jagdsaison auf jene, die erinnern, zumal Juden, inoffiziell in der Frankfurter Paulskirche eröffnete;

oder ist das obige Zitat von der ex-Weinkönigin und stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden Julia Klöckner, ihrem Kollegen im Geiste, Gregor Gysi von der antizionistischen Partei Die Linke, dem Journalisten Michel Friedman, für den weder Augstein noch Günter Grass auf so eine Liste gehören, oder doch eher von der konservativen Zeitung für Deutschland (FAZ), ihrem Feuilletonchef Nils Minkmar oder auch ihrem Interviewpartner, einem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn, der  Augstein zwar so gut wie noch nie gelesen hat, aber sicher weiß, dass er zu Unrecht auf diese Liste des Simon Wiesenthal Centers gehört. Oder ist das repräsentative Zitat gar, Gottseibeiuns, von der jungen Welt, dem Neuen Deutschland, der taz, dem Freitag oder dem Vorzeige-Journalisten der ZEIT in solchen Fragen, Jörg Lau?

Nein, obiges Zitat ist von Götz Kubitschek, Autor der neu-rechten Postille Sezession, Geschäftsführer des Antaios Verlages, Co-Gründer des neu-rechten Instituts für Staatspolitik und ex-Redakteur der ebenso neu-rechten Jungen Freiheit. Selbst der Bundeswehr war sein Treiben zu bunt und er wurde 2001 vorübergehend wegen „rechtsextremistischen“ Aktivitäten entlassen. Kubitschek ist ein in der extrem rechten Szene beliebter Netzwerker, der im Oktober 2012 ein von bis zu 700 Leuten besuchtes Treffen (inklusive Politically Incorrect, PI) – „Zwischentag“ – organisierte.

Am 3. Januar 2013 stellte sich Kubitschek hinter Jakob Augstein und pries ein Büchlein an, das im Februar 2013 in seinem Verlag erscheinen soll:

„Günter Scholdt Vergeßt Broder! Sind wir immer noch Antisemiten? 96 seiten, gebunden, 8.50 € Schnellroda 2013.“

Der neu-rechte Aktivist Felix Strüning bewarb Kubitscheks extrem rechtes Netzwerk-Treffen im Oktober 2012 und lobt auch ein Antaios-Buch von Manfred Kleine-Hartlage, „Warum ich kein Linker mehr bin.“ Im selben Verlag erscheint auch einer der Superhelden der anti-muslimischen Liga, der norwegische Blogger Fjordman, der alle Muslime aus dem Westen schmeißen möchte, und zwar gründlich und langfristig (schrieb er im Dezember 2010). Antisemitismus, deutscher oder norwegischer Nationalismus, fast immer christlich grundiert, sowie Hass auf Muslime geben sich die Hand im Antaios-Verlag, der auch die Wehrmacht lobt und preist in ihrem „präventiven“ Krieg gegen die Sowjetunion, wie ein weiterer Titel dieser Propagandaschmiede verspricht. Schließlich, auch das ist Mainstream, wird der Antisemit und Käferaufspießer Ernst Jünger in diesem Verlag gefeiert.

Der Antisemitismus der rechten Szene (von neu-rechts bis rechtspopulistisch und rechtsextrem, je nach Lust und Laune soziologischer Differenzierung oder Appetit auf politikwissenschaftlichen Jargon) wird in dieser Hetze gegen Broder salonfähig. Denn obiges Zitat hätte von jedem anderen Augstein-Verteidiger kommen können. Nicht Augstein sei der Skandal, sondern Kritik am deutschen Antisemitismus, den der Sohn Martin Walsers gleichsam Pars pro toto verkörpert. Alle fühlen sich in Deutschland getroffen vom Simon Wiesenthal Center und kuscheln, von ganz links bis extrem rechts und mittendrin, wie im Wintermärchen.

 

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