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Schlagwort: Richard Evans

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013

Von Dr. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Am 22. August 2013 gab die Senatsverwaltung der Freien Hansestadt Bremen bekannt, dass der von ihr gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung ausgelobte Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken an den 1969 geborenen amerikanischen Historiker Timothy Snyder geht. Snyder ist weltweit bekannt geworden durch sein 2010 veröffentlichtes Buch Bloodlands, mit dem er die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust neu zu schreiben versucht. Die Bremer Senatsverwaltung schreibt:

 

In seinem Buch „Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin“ habe Snyder, so urteilte die Jury, ein vergessenes und verdrängtes Kapitel der europäischen Geschichte aufgeschlagen, über das Europa über ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen noch immer uneins sei. Es ist die Frage, wie das Ineinandergreifen des deutschen Genozids an den europäischen Juden, an der polnischen Elite sowie an anderen „slawischen Völkern“ und die Stalinsche Politik der Hungersnöte sowie der Vernichtung ganzer ethnischer und sozialer Gruppen zu beurteilen sei – und wie das Geschehen in die europäische Gedächtniskultur eingehen könne. „Unabhängig von den Kontroversen unter Historikern und politischen Denkern, die das Buch und sein Autor ausgelöst haben, berührt Snyder substantielle Fragen, die den Kern des europäischen Vereinigungsprojekts betreffen“ , so die Jury. Snyders streitbare historische Analyse trage damit zu einer neuen öffentlichen Debatte um die politische Gestalt Europas bei.

Die Jury für diesen Preis setzt sich wie folgt zusammen: Prof. Antonia Grunenberg (Berlin/Oldenburg), Dr. Otto Kallscheuer (Sassari/Berlin), Marie Luise Knott (Berlin), Dr. Willfried Maier (Hamburg), Prof. Karol Sauerland (Warschau), Joscha Schmierer (Berlin), Prof. Christina Thürmer-Rohr (Berlin).[i]

 

Timothy Snyder

Das Elend und die Antiquiertheit der Studie Snyders wird schon im Vorwort von Bloodlands unumwunden deutlich; geradezu lapidar spricht er davon, dass die “meisten deutschen Juden, die Hitler 1933 die Wahlen gewinnen sahen, eines natürlichen Todes starben”:

Hitler was an anti-Semitic politician in a country with a small Jewish community. Jews were fewer than one percent of the German population when Hitler became chancellor in 1933, and about one quarter of one percent by the beginning of the Second World War. During the first six years of Hitler’s rule, German Jews were allowed (in humiliating and impoverishing circumstances) to emigrate. Most of the German Jews who saw Hitler win elections in 1933 died of natural causes.[ii]

Wenn die meisten deutschen Juden, die 1933 in Deutschland lebten, gar nicht ermordet wurden, warum dann diese ‚enorme Erinnerungskultur an die Shoah‘, möchte der Nachwuchshistoriker insinuieren. Mehr noch: Jeder dieser soeben zitierten Sätze aus Bloodlands benennt Hitler. Diese Obsession Snyders mit der sog. Great Man Theory von Mitte des 19. Jahrhunderts ist auffällig und zeigt, dass er wissenschaftsgeschichtlich nicht auf der Höhe der Zeit ist.

 

Heute wird nicht mehr nach ‚großen Männern der Geschichte‘ geforscht, vielmehr nach strukturellen Beziehungen, nach ideologischen, alltäglichen, kulturellen oder religiösen und vielen anderen Spezifika und Entwicklungen. Bezüglich des Zweiten Weltkriegs wird ganz entgegen Synder seit Jahren in der Forschung ein Schwerpunkt auf die einzelnen Täter gelegt, auf Einheiten der Wehrmacht, der Schutzstaffel (SS, Waffen-SS), des Sicherheitsdienstes (SD), der Polizeibataillone etc.

 

Doch schockierend an diesem zentralen Satz aus Snyders Buch Bloodlands ist die Eiseskälte mit welcher er über die deutschen Juden schreibt. Für ihn geht es nicht darum, dass sich die deutschen Juden nicht vorstellen konnten, in Eisenbahnwaggons gepfercht, tagelang transportiert und dann an der Rampe selektiert und in Gaskammern vernichtet zu werden. Pogrome waren aus der Geschichte des Judenhasses seit Jahrhunderten bekannt. Doch der Zivilisationsbruch, den Auschwitz darstellt, war präzedenzlos, ohne Vergleich in der Geschichte. Für Snyder alles kein Problem, er geht über das Schicksal der deutschen Juden hinweg, machten sie doch für ihn geradezu läppische 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung 1939 aus. Für einen Mann der großen Zahlen, für einen, der mit 14,5 Millionen Toten jongliert und rot und braun ganz kategorial gleichsetzt, sind so wenige Menschen, 165.000 deutsche Juden, so gut wie nichts.

 

Entgegen aller wissenschaftlichen und historischen Kenntnis behauptet Snyder sodann, der Zweite Weltkrieg habe am 1. September „with friendship between Nazi Germany and the Soviet Union”[iii] begonnen. Er leugnet also die Alleinverantwortung der Deutschen und des Nationalsozialismus für den Beginn des schrecklichsten Krieges in der Geschichte der Menschheit. Da klatschen nicht nur die NPD und die autonomen Nationalisten, auch in nationalistischen Kreisen in Osteuropa wie in Litauen, wo Synder gern gesehener staatsoffizieller Gast ist, wird gejubelt.

 

Der litauische Außenminister (li.) und Timothy Snyder im Mai 2012

Der Historiker der Yale University, die schon bessere Zeiten gesehen hat, hat sich kaum neue oder unbekannte Quellen angeschaut. Er setzt vielmehr Bekanntes völlig neu zusammen und erfindet ein Gebiet, das zwischen den baltischen Staaten und der Ukraine auf der Nord-Süd-Achse sowie zwischen Polen und dem westlichen Russland (also vor allem Weißrussland und Ukraine) auf der West-Ost-Achse liegt: Bloodlands. Snyder geht es um folgende Verbrechen[iv]:

  • Hungersnot in der Ukraine 1932/33: 3 Millionen Tote.
  • Stalins Großer Terror 1937/38: 700.000 Tote
  • Tötungen von Polen durch Nazis und Sowjets 1939–1941: 200.000 Tote
  • Von den Nazis hervorgerufener Hunger 1941–1944: 4,2 Millionen Tote
  • Racheaktionen der Nazis: 700.000 Tote
  • Von den Nazis ermordete Juden: 5,4 Millionen

 

Insgesamt spricht der Historiker von ca. 14,5 Millionen Toten in diesem imaginären „Bloodland“.

Dabei fällt jeder Holocausthistorikerin und jedem Holocausthistoriker schon der Name Bloodlands (=Blutländer, oder blutende Länder) als völlig abwegig auf, da die Vernichtung in den Vernichtungslagern der Deutschen im SS-Staat schon sprachlich derealisiert wird: Treblinka, Sobibor, Chelmno, Majdanek, Belzec, Auschwitz-Birkenau stehen für die industrielle Vernichtung der europäischen Juden, für Vergasungen und gerade nicht für ein blutiges Schlachtfeld. Die blutige Vernichtung der Juden in den Wäldern und Feldern im Osten ist ebenso seit Jahrzehnten analysiert, nicht zuletzt von Daniel J. Goldhagen im Jahr 1996 in dessen Dissertation an der Harvard University über Hitler’s Willing Executioners.

Der Historiker Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Büros des Simon Wiesenthal Centers (SWC), kommentierte die Entscheidung der Senatsverwaltung von Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung im persönlichen Gespräch mit dem Autor sarkastisch als „exzellente Wahl“. Damit werde ein „Wissenschaftler, der die lokale Kollaboration mit den Nazis in Osteuropa herunterspielt“ einen Preis erhalten, „der nach einer Wissenschaftlerin benannt ist, die ihre osteuropäischen Brüder und Schwestern verachtete“, osteuropäische Juden, die „von genau diesen begeisterten lokalen Nazikollaborateuren ermordet wurden“:

What an excellent choice! The scholar who downplayed local collaboration with the Nazis in Eastern Europe will receive a prize named for a scholar who despised her Eastern European brethren who in many cases were murdered by those same zealous local Nazi collaborators. How fitting.[v]

Der Historiker Thomas Kühne von der Clark University (Massachusetts) stellt Snyder in Beziehung zur extremen Rechten und zur deutschen Geschichtspolitik seit Nolte.[vi] Kühne zeigt, dass Snyder bezüglich der geschichtswissenschaftlichen Forschung nicht up to date ist, wenn er sich primär auf ‚große Männer‘ bezieht:

Notwithstanding decades of research that has shown that major parts of all ranks of the Wehrmacht willingly and voluntarily joined in genocidal warfare, Bloodlands presents the German army as a mere tool n Hitler’s hands, as if the soldiers had no choices.[vii]

Der Leipziger Historiker Dan Diner kritisiert Snyder und stellt heraus, dass unterm Stalinismus jeder zu “dem anderen” gemacht werden konnte, während der Nationalsozialismus die Juden als den Feind bestimmte, rassisch gedacht.[viii] Dieser Unterschied ist einer ums Ganze.

Der Historiker Dan Michman von der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem kritisiert Snyder ähnlich scharf.[ix] Der Historiker Kenneth Waltzer von der Michigan State University meint, dass Snyder den nationalsozialistischen Antisemitismus herunterspielt und damit den Kern der deutschen Volksgemeinschaft verfehlt.[x]

Timothy Snyders Infamität und Abwehr der Präzedenzlosigkeit des Holocaust geht soweit, dass er der westlichen Welt gleichsam vorwirft, nur deshalb Auschwitz und die Shoah zu erinnern, weil in Auschwitz die ‚bourgeoisen‘ Juden ermordet worden seien, die kapitalistischen und nicht die armen osteuropäischen:

The metonym of anonymity is of course Auschwitz, which Adorno once thought should prevent us from writing and presumably from citing poetry, and Diner faults me for underestimating. The gas chambers of Auschwitz-Birkenau become widely known precisely because, unlike most important German killing sites, they were associated with a labour camp which Jews and others survived. Auschwitz is where Jews from (in Cold War terms) Western countries were killed, and thus Auschwitz was preserved as a memory during the Cold War. It helped that victims of Auschwitz were more likely to be bourgeois and thus suitable targets of comfortable identification, much more so, say, than Yiddish-speaking Jewish workers from Poland or Russian speaking Soviet Jews. But Auschwitz is in numerical terms only a fraction of the horror: five sixths of the Holocaust happened elsewhere, and, crucially, earlier.[xi]

Der englische Historiker Richard Evans, bekannt durch seine Kritik an Ernst Nolte und seiner Analyse des Historikerstreits[xii], ist schockiert über Snyders Bloodlands[xiii]. Neben der Kritik an vielen kleineren handwerklichen Mängeln in der Studie kommt Evans zum Kern: die Banalisierung des Holocaust. Die spezifische antijüdische Dimension der Shoah kommt nicht vor, weder die Demütigung und das Quälen der Juden vor ihrer Ermordung noch die ideologische Dimension, dass für die Deutschen im Nationalsozialismus die Juden der „Weltfeind“ waren und nicht die Slawen oder andere.[xiv]

Eine der bislang umfangreichsten und detailliertesten Kritiken an Timothy Snyders Bloodlands hat der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München publiziert, die mittlerweile auch in polnischer und russischer Sprache vorliegt.[xv] Wie die Historiker Jörg Baberowski und Anselm Doering-Manteuffel würde Snyder behaupten, dass sowohl Hitler als auch Stalin “kollektive”, “ethnisch” definierte “Feinde” eliminiert hätten.[xvi] Dabei hatten weder die ukrainische Hungersnot 1932/33[xvii] noch der Große Terror[xviii] unter Stalin eine essentialistisch ethnische Dimension und selbst der Stalinsche Antisemitismus unterschied sich vom Rassen-Antisemitismus im NS.

Viel Freude bei offenen wie klammheimlichen Sympathisanten von Vertriebenenideologie sowie bei Mitgliedern von Vertriebenenverbänden sowie der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, dürfte Snyders Agitation gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten nach sich ziehen, wenn Snyder die Vertreibung von Deutschen nach Ende des SS-Staates als „ethnische Säuberung“ und Teil von Stalins vermeintlichem „ethnischem Modell“ erklärt.[xix] Die Deutschen als Opfer in einem Buch über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust: das liegt im Trend, der Zeitgeist ruft.

Das Herunterspielen des Antisemitismus ist der Kernpunkt des Buches von Bloodlands. Zarusky zeigt, dass für Snyder der Holocaust nur eine Reaktion Hitlers auf den verloren geglaubten Krieg gegen die Sowjetunion spät im Jahr 1941 gewesen sei.[xx] Diesen schwerwiegenden analytischen Fehler Snyders analysiert Zarusky, wonach es lediglich einen Wechsel der Feindbilder der Nazis gegeben habe, weg von den Slawen (UdSSR, Polen etc.) und hin zu den Juden.

Doch genau dieser Geschichtsrevisionismus kommt in Deutschland, beim Bremer Senat und der Heinrich-Böll-Stiftung an.

2005 erhielt die damalige lettische Präsidentin Freiberga den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. In ihrer Dankesrede erwähnte sie mit keinem Wort den Holocaust, was der Historiker Jürgen Zarusky 2012 wie folgt einordnete:

 Das ersparte ihr auch die Erwähnung der Tatsache, daß von den 66.000 lettischen Juden die zur Zeit der deutschen Besatzung ermordet wurden, 15.000 Opfer des Erschießungskommandos des lettischen Polizeioffiziers Viktor Arajs wurden. [xxi]

1997 hatte der heutige Bundespräsident Joachim Gauck diesen Hannah-Arendt-Preis erhalten.

Alles passt ‚wunderbar‘ zusammen und wurde 2007 – wen wundert’s? – durch  Antizionismus als Element des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken ergänzt, denn mit Tony Judt wurde ein Historiker geehrt, der auf brachiale Weise antiisraelisch agitierte und 2003 schrieb, dass „Israel schlecht für die Juden sei“[xxii]. Es ließen sich weitere antizionistische Texte zitieren, in denen Judt  z.B. auf den Israelhasser und ‚Postorientalisten‘ Edward Said rekurrierte. Snyder war ein sehr enger Freund von Judt, was die Jury aus Bremen im Jahr 2013 bemerkte.

Es gibt eine ‚wunderbare‘ Bebilderung dieser Hannah-Arendt-Preis-Posse. Bundespräsident Gauck, Preisträger und Super-GAUck, erhob Anfang Juli 2013 mit süffisantem Lächeln die Rot=Braun-These in symbolischer Politik zur Normalität: Mit dem estnischen Präsidenten Toomas Hendrik posierte er vor einem revisionistischen Denkmal im „Museum der Besatzung“ in Estlands Hauptstadt Tallin. Hinter ihnen ein Tor, dessen einer Pfeiler einen roten Stern ziert (und somit alles „Linke“ oder „Rote“ und nicht ‚nur‘ die Sowjetunion, was schlimm genug wäre), den anderen Pfeiler schmückt das Hakenkreuz. Das ist die Ikonografie des Geschichtsrevisionismus der Mitte der europäischen Gesellschaften. Ernst Nolte ist längst Mainstream.

Timothy Snyder hätte hier sicher auch gerne dabei gestanden. Der nun 90jährige Ernst Nolte würde anerkennend nicken und kann zufrieden auf seinen letztendlichen Sieg im Historikerstreit blicken.

 



[i]               Mitglieder des Vorstandes des Vereins Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V. sind: Prof. Antonia Grunenberg, Peter Rüdel, Ole Sören Schulz, Prof. Eva Senghaas-Knobloch.

[ii]              Timothy Snyder (2010): Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, New York: Basic Books, viii-ix.

[iii]             Timothy Snyder (2010a): Echoes from the killing fields of the east. The second world war is often seen through western allies‘ eyes. But the real geopolitics – and worst atrocities – scarred the east, 28. September 2010, http://
www.guardian.co.uk/commentisfree/cifamerica/2010/sep/27/secondworldwar-poland (eingesehen am 10. Juni 2012).

[iv]             Siehe dazu die Analyse und Kritik an Timothy Snyders Bloodlands von Dovid Katz (2011): Review Article. Detonation of the Holocaust in 1941: A Tale of two Books, East European Jewish Affairs, Jg. 41, Nr. 3, 207–221.

[v]              Efraim Zuroff in einer E-Mail vom 22. Mai 2013.

[vi]             Thomas Kühne (2012): Great Men and Large. Numbers: Undertheorising a History of Mass Killing, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 133–143, 134–135.

[vii]            Kühne 2012, 138.

[viii]           Dan Diner (2012): Topography of Interpretation: Reviewing Timothy Snyder’s Bloodlands, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 125–131, 130.

[ix]             Dan Michman (2012): Bloodlands and the Holocaust: Some Reflections on Terminology, Conceptualization and their Consequences, Manuskript [wurde im Journal of Modern European History, 2012, publiziert]; Danke an Dan Michman, der mir seinen Artikel vor der Veröffentlichung zukommen ließ.

[x]              Kenneth Waltzer (2011): Review of Timothy Snyder, Bloodlands, Holocaust Studies: A Journal of Culture and History, 188–194, 192, online at http://defendinghistory.com/wp-content/uploads/2012/02/Kenneth-Waltzers-Review-of-Snyders-Bloodlands-in-Holocaust-Studies.pdf (visited June 19, 2012).

[xi]             Timothy Snyder (2012): The Causes for the Holocaust, Contemporary European History, Jg. 21, Nr. 2, 149–168, 154–155.

[xii] Richard Evans (1989): In Hitler’s Shadow. West German Historians and the Attempt to Escape from the Nazi Past, London: I.B. Tauris & Co. Ltd. Publishers; Richard Evans (1991): Im Schatten Hitlers? Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik, Frankfurt: Suhrkamp; Richard Evans (2000): Expert Report by Professor Richard Evans. Irving VS. (1) Lipstadt and (2) Penguin Books. Expert Witness Report by Richard J. Evans FBS, http://www.phdn.org/negation/irving/EvansReport.pdf (visited October 10, 2012)

[xiii]           Richard Evans (2010): Who remembers the Poles. Review of Bloodlands. Europe between Hitler and Stalin, by Timothy Snyder, London Review of Books, 4. November 2010, 21–22.

[xiv]           Evans 2010, 22.

[xv]            Jürgen Zarusky (2012): Timothy Snyders „Bloodlands“. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, Vierteljahreshefte für Zeit­geschichte, Jg. 60, Nr. 1, 1–31. „Krovavye zemli“ Timoti Snajdera: Kritičeskie zamečanija i k konstruirovaniju istoričeskogo landšafta [= russische, leicht gekürzte Version des Aufsatzes „Timothy Snyders ‚Bloodlands‘. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 1–31.], erschienen am 03.02.2013 auf der Internetplattform „Uroki istorii“ von „Memorial“, http://urokiistorii.ru/media/book/51683; „Skrwawione ziemie“ Timothy Snydera. Krytyczne uwagi na temat konstrukcji krajobrazu historycznego [= polnische Version des Aufsatzes „Timothy Snyders ‚Bloodlands‘. Kritische Anmerkungen zur Konstruktion einer Geschichtslandschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 1-31.], in: „Studia Litteraria et Historica”. Pismo Instytutu Slawistyki Polskiej Akademii Nauk, 1/2012, S. 1–32, http://www.slh.edu.pl/content/skrwawione-ziemie-timothy-snydera.

[xvi]           Zarusky 2012, 2–5.

[xvii]          Zarusky 2012, 6.

[xviii]         Zarusky 2012, 10.

[xix]           Zarusky 2012, 13.

[xx]            Zarusky 2012, 21.

[xxi]           Jürgen Zarusky (2012a): Europäische Erinnerungskonflikte um den deutsch-sowjetischen Krieg – geschichtspolitische Spannungsfelder nach 70 Jahren, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 16. Jg., Heft 1, 45–73, hier S. 65.

[xxii]          Tony Judt (2003): Israel: The Alternative, 23. Oktober 2003, http://www.
nybooks.com/articles/archives/2003/oct/23/israel-the-alternative/ (eingesehen am 23. Mai 2012)

 

 

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren

Die WELT huldigt der „Topographie des Terrors“
und propagiert Antikommunismus

 

Ein Text zur Erinnerung an Käthe („Katja“) Niederkirchner (07.10.1909 – 28.09.1944)

 

„Also wird es wohl heute abend passieren. Ich hätte doch so gern die neue Zeit erlebt. Es ist so schwer, kurz vorher gehen zu müssen. Lebt alle wohl. …“

 

(„Diese Worte schrieb Käthe Niederkirchner …  in ihren letzten Kassibern aus dem Bunker im KZ Ravensbrück.“)

Quelle: https://www.gdw-berlin.de/typo3temp/_processed_/csm_4462x_cbdd8186ac.jpg

 

In einem Text, der sich vorgeblich mit der „Topographie des Terrors“ in Berlin beschäftigt, einem Gedenkort an die Täter des Nationalsozialismus (am Beispiel der Gestapo-Zentrale, des Reichsführers SS und des Reichssicherheitshauptamt, RSHA), heißt es:

 „Mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums der Berliner Stiftung Topographie des Terrors bin ich zu einem Flaneur in der Welt des Totalitären geworden. Fast jede Woche zieht es mich zu einer der regelmäßigen Abendveranstaltungen in den nahe gelegenen Neubau der Architektin Ursula Wilms, der wie eine große Ritter Sport auf dem Gelände liegt: quadratisch, praktisch, grau. In den zwei Jahren seines Bestehens habe ich hier mehr über den Nationalsozialismus gelernt als in den vierzig Jahren, seit denen er kein Schulstoff mehr für mich ist. Im Wochenrhythmus flaniere ich mit offenen Ohren und manchmal, wenn es Lichtbilder oder Filme gibt, auch mit offenen Augen durch eine Welt der Verbrechen gegen die Menschheit, die ich aus immer neuem Blickwinkeln kennenlerne.“

Dieser Text aus der Tageszeitung DIE WELT vom 4. Juli 2012 von Rainer Bieling ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Das eventzentrierte Geschwätz sowie das lifestylemäßige Kokettieren des promovierten Philosophen, ja die Internalisierung von Werbeimperativen bei der Darstellung eines Gedenkortes des Nationalsozialismus und des Holocaust wird durch den Ausdruck „Flaneur in der Welt des Totalitären“ noch verschärft.

Vom Jargon des Totalitarismus, der Leugnung der Einzigartigkeit des Holocaust, hin zum Zeitgeist der Werbeindustrie ist es nicht weit. Ein Flaneur schlendert und genießt und der Autor schreibt tatsächlich, als ob er Spaß dabei hätte, im „Wochenrhythmus“ das „Verbrechen gegen die Menschheit“ „aus immer neue[n] Blickwinkeln“ kennenzulernen. Bieling weiter:

„Das Team der Topographie ist ausgesprochen rührig und vermag dem Schrecken ständig neue Facetten abzugewinnen.“

Als ob es was Tolles oder Spannendes sei, dem „Schrecken ständig neue Facetten abzugewinnen.“

Doch der Kern des Artikels liegt wo anders. Holocausterinnerung als Event ist nur der Rahmen für eine andere Attacke. Die letzten Jahre sind durch ein Revival der Thesen Ernst Noltes von 1974 bzw. 1986 gekennzeichnet, nachdem die Shoah nicht einzigartig und nicht präzedenzlos war. Was für Nolte die „asiatische Tat“ war und dann ab 1986 zum Historikerstreit führte, den damals noch Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler und Richard Evans gewinnen konnten, ist heute für preisgekrönte Bestsellerautoren wie Timothy Snyder aus Yale („Bloodlands“ heißt sein Buch) die Hungersnot in der Ukraine 1932/33 und andere Ereignisse oder für den Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin Jörg Baberowski die „Verbrannte Erde“, womit er gerade nicht die Verbrechen der Wehrmacht und der Deutschen sondern jene Stalins meint.

Es gibt zudem viele Millionen Deutsche, die die ach so „schönen Seiten des Nationalsozialismus“ suchen (Familienpolitik, Autobahnen etc.) wie die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Eva Herman oder die Historikerin Christiane Eisenberg, die von der Olympiade 1936 schwärmt.

Seit einigen Jahren ist darüber hinaus ein erneuter, aggressiver Diskurs zu beobachten, der die Deutschen als Opfer sieht, wahlweise von Vertreibung, Bombenkrieg oder den Nazis, die keine ganz normalen Deutschen gewesen sein sollen.

Der Text von Bieling hat Anflüge von unfreiwilliger Komik, wenn er schreibt – völlig ernsthaft:

„Mit Stolz nehmen wir zur Kenntnis, dass unsere Erinnerungsarbeit im Ausland genauso geschätzt wird wie deutsche Wertarbeit.“

Diese vor Überheblichkeit und einem Erinnerungsnationalismus nur so triefenden Sätze und Auslassungen sind jedoch wiederum nur die Ouvertüre für den Kern des Textes.

Welcher historische Hintergrund wird in der WELT nicht thematisiert?

Ein Aspekt des Zweiten Weltkriegs war der Einsatz von besonders mutigen und entschlossenen Anti-Nazis, Antifaschisten oder Kommunisten, die mit Fallschirmen hinter der Front absprangen um in Deutschland, dem nationalsozialistischen Kernland inklusive Österreich, Aufklärungs- oder Sabotageoperationen durchzuführen. Dazu gab es ein Abkommen zwischen dem Special Operations Executive (SOE), einer britischen Einrichtung, die dem Ministry of Economic Warfare unterstand, und dem sowjetischen Geheimdienst NKWD. Der Historiker Hans Schafranek berichtete 1996 darüber:

 „Am 30. September 1941 unterzeichneten nach mehrwöchigen Beratungen der NKWD-General B. Nikolajew und – als Vertreter der SOE – Oberstleutnant D.R. Guinness in Moskau ein Geheimabkommen, das als Basis für eine Zusammenarbeit der beiden Organisationen bei der Unterstützung von Sabotage- und Subversionstätigkeit in Deutschland und den von den Nazis besetzten europäischen Ländern dienen sollte.“[i]

Diese Aktionen liefen unter dem Tarnnamen „Pickaxe“. Das Duo Käthe (genannt Katja) Niederkirchner und Theo Winter wurde am 6. Oktober 1943 auf die Reise geschickt, über Polen sprangen die beiden ab. Am nächsten Tag wurde Niederkirchner im Zug nach Berlin von den Deutschen gefasst. Das Tragische ist: Wie Schafranek berichtet, war die Vorbereitung nicht nur dieses Einsatzes mehr als fragwürdig. Die sowjetischen Behörden arbeiteten sehr unprofessionell. Winter war der Schwiegersohn des KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck, letzterer hatte sich schon vor der Abreise der beiden bei den sowjetischen Behörden massiv beschwert:

„[Pieck] sah sich veranlaßt, den Direktor des NII Nr. 100 bzw. dessen Beauftragten mit der Binsenweisheit zu konfrontieren, die ‚auf qualif. Handelsangestellte einer Handelsfirma im Osten‘ laufenden Papiere müßten mit der Ausrüstung korrespondieren, ‚sonst fällt es auf‘. Theo Winter mußte zunächst mit einem russischen Anzug von schlechter Qualität vorliebnehmen, ‚erst auf Protest‘ wurde ein Maßanzug in Aussicht gestellt. Katja Niederkirchners Handtasche war nicht zu gebrauchen (‚schlechte Ausschußtasche, entzwei‘). Eine andere sei nicht vorhanden, hatte man ihr kühl erklärt. Dasselbe Problem beim Rucksack bzw. Koffer, was Morosow zu der schnoddrigen Bemerkung veranlaßte: ‚fahren doch nicht an einen Kurort‘. Es haperte buchstäblich an allem (…). Pieck forderte die Absetzung Zulikows, für dessen Verhalten er harte Worte fand: ‚bürokratisch‘, ‚verletzend‘, ‚unkameradschaftlich‘, ‚bösartig‘. Mit welchen Gefühlen mochten wohl die beiden Fallschirmagenten Moskau verlassen haben?“[ii]

Seien es Schludrigkeit, Überforderung oder doch eher stalinistische Tendenzen in Moskau, die deutsche Kommunisten womöglich besonders mies und hinterhältig trafen: offenbar war schon die Vorbereitung dieser Fallschirmaktion alles andere als erfolgversprechend. Katja Niederkirchner wurde kurz nach ihrem Absprung über Polen in einem Zug nach Berlin verhaftet, von der Gestapo verhört und gefoltert und am 28. September 1944 im KZ Ravensbrück von der SS erschossen.

Was macht nun die Tageszeitung Die WELT daraus? Rainer Bieling schreibt:

 „Das erste, das die Topographie des Terrors erkennen könnte, ist, dass sie eine falsche Adresse hat. Die Gestapo, auf deren Hausnummer 8 sie sich bezieht, lag in der Prinz-Albrecht-Straße. Nach dem Sieg über Sozial- und alle anderen Demokraten benannte die DDR-Führung die Straße nach einer Märtyrerin um, die ihr Leben der Diktatur geopfert hatte. Sie hieß Käthe Niederkirchner und war eine so fanatische Kommunistin, dass sie aus dem sicheren Exil in Moskau heraus hinter den feindlichen Linien über Polen mit dem Fallschirm absprang, um durch Untergrundarbeit der Roten Armee den Weg nach Berlin zu bahnen. Dafür bezahlte sie mit dem Leben; die Gruppe Ulbricht revanchierte sich, als sie schon Staat geworden war, 1951 mit der Umbenennung der Prinz-Albrecht-Straße in Niederkirchnerstraße.“

Wer sich die Niederkirchnerstraße in Berlin-Mitte anschaut sieht drei Straßenschilder, doch keines erwähnt die Geschichte der Käthe Niederkirchner. Ihr Mut und ihr kommunistisches und antifaschistisches Kämpfen werden also ohnehin verleugnet.

 

Doch das reicht der Springerpresse wohl nicht, denn Katja Niederkirchner war KPD-Mitglied, wurde in der DDR geehrt und das geht zu weit. Die Straßenschilder die an dieser Stelle dominieren sind der „Mauerweg“ (der die ganze Stadt durchzieht mit einer ungeheuren Penetranz), der unweit entfernt liegende „Checkpoint Charlie“ (ein relativ harmloser Grenzübergang zu DDR-Zeiten, kein Ort von Massakern oder präzedenzlosen Menschheitsverbrechen) und die Topographie des Terrors.

Für Bieling war Käthe Niederkirchner eine „fanatische Kommunistin“. Fanatisch, weil sie gegen den Nationalsozialismus kämpfte? Fanatisch weil sie eine Antifaschistin war, die ihr zumindest vor den Deutschen recht sicheres Exil in Moskau freiwillig aufgab um eine äußerst gefährliche militärische Aktion gegen die elenden Nazis zu unternehmen? Was der Autor unter „fanatisch“ versteht, erläutert er nicht.

Wer das Gelände der Topographie des Terrors in Berlin im Jahr 2012 kennt,

 

 

weiß dass das alles bestimmende Stück Architektur an diesem Platz ein längerer Mauerrest ist. Schon hier findet in der Draufsicht des schnelllebigen Touristenhypes eine groteske Gleichsetzung von Holocaust und Nationalsozialismus mit der DDR statt, so als ob es auch nur im aller entferntesten eine Verbindung vom Zweitem Weltkrieg, Holocaust und der DDR und dieser Mauer geben würde. Es gibt eine exzessive Mauer-Erinnerung an unzähligen anderen Stellen der Hauptstadt, monumental wie an der East Side Gallery in Friedrichshain, an der Bernauer Straße, am Potsdamer Platz etc. Doch das ist nicht verwunderlich, der Antitotalitarismus ist Staatsideologie, bereits seit den 1950er Jahren in der BRD. Wie die Forschung der letzten Jahre zeigte, führte der obsessive Antikommunismus dazu, dass der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower die Muslimbrüder, repräsentiert von Said Ramadan 1953 im Weißen Haus begrüßte und Ramadan in Princeton auf einer großen Konferenz den Islamismus der Muslimbrüder willkommen hieß; im Kampf gegen den Feind Kommunismus kuschelte man seit den 1950er Jahren mit den übelsten Kräften, wie der Publiziert Ian Johnson und der Historiker Stefan Meining in den letzten Jahren analysierten. In den 1950er Jahren begann dann auch der organisierte Islamismus in der BRD seinen Lauf, mit staatlicher Hilfe. Alte Nazis waren begeistert und halfen mit, waren doch einige Muslime früher SS-Imame und kämpften für Hitler und die Deutschen.

Ein Bundespräsident wie jener ostdeutsche Pfarrer vom 18. März 2012, der die Einzigartigkeit der Shoah leugnet und behauptet in Kambodscha würde man die Geschichte sicher anders sehen, steht für die Tendenz der Banalisierung des Holocaust und einer Erinnerungsabwehr qua obsessivem Vergleich. Das „Schwarzbuch des Kommunismus“ wurde 1998 in Deutschland begeistert rezipiert, von taz bis zum äußersten rechten Rand – natürlich Joachim Gauck als Co-Autor mittendrin – waren alle euphorisch ob soviel Holocaustverharmlosung und Antikommunismus.

Bieling würde vermutlich nicht die Umbenennung der Straße fordern, wäre sie nach einem nicht-kommunistischen britischen Agenten benannt. Denn weniger ein antibritischer Affekt als vielmehr der Antikommunismus wurde seit dem Ende des Nationalsozialismus zum zentralen Element der politischen Kultur in der Bundesrepublik und im Westen. Bei der Springerpresse wird allerdings auch das Ressentiment gegen England und die Royal Air Force (RAF) nicht erst seit der Agitation von BILD und Jörg Friedrich („Der Brand“) gepflegt. Es erfuhr einen neuen Höhepunkt durch einen Text in der WELT vom 28. Juni 2012. Der Autor, Thomas Kielinger, ärgerte sich mit Schaum vor dem Mund über das neue Denkmal in London zu Ehren der mutigen britischen Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg und den Leiter des Planungsstabes Sir Arthur Harris. Die Deutschen werden von der WELT als arme Opfer dargestellt, die von bösen Piloten (jeder dritte englische Pilot wurde von den Deutschen abgeschossen) angegriffen worden seien.

Manche Deutschen wie Bieling geben sich auch als pro-israelisch und islamkritisch, doch im Kern sind sie vor allem eines: stolze Deutsche mit einem Faible für Antikommunismus, intellektuelle Kritik auch am Westen und nicht nur am fürchterlichen Realsozialismus wird attackiert und diffamiert. Noch die kleinste Erinnerung an Antifaschisten soll aus den Städtebildern ausgelöscht, dafür die Mauer in Berlin mit Treblinka – „in effect, if not intent,“ wie man in USA sagen würde – in eine Reihe gestellt werden. Wer sich je wissenschaftlich mit der Debatte um die „uniqueness of the Holocaust“ befasst hat, weiß ob der Absurdität dieser Vergleicherei und Gleichsetzung von rot und braun.

Die Alt-Yuppie-Sprache eines Bieling, der die Cleverness der Waldenbuchener Schokoladenfirma mit der ‚siegreichen‘ deutschen Erinnerung in eins bringt, sich an jenem Ort in Berlin ‚gern‘ die Geschichte der Judenmordes oder der antikommunistischen Agitation erzählen lässt und offenbar noch genussvoller die Trivialisierung der Geschichte der Shoah goutiert und von einer „Welt des Totalitären“ fabuliert um nicht von der Präzedenzlosigkeit von Auschwitz reden zu müssen, steht nicht nur für die intellektuelle Anspruchslosigkeit des Springer-Konzerns. Nein, hier kommt Deutschland im Jahr 2012 ganz zu sich selbst; „Von Deutschland lernen heißt, erinnern lernen“ ist dieser Artikel tatsächlich überschrieben (inklusive falschem Komma). Und diese deutsche Herrenmentalität spricht aus jeder Pore des Elaborats.

Empathielosigkeit gekoppelt mit Überheblichkeit und einem gewaltigen Schuss Hass auf eine von Deutschen 1944 ermordete Antifaschistin sind die Indikatoren des neuen nationalen Apriori, knapp 14 Jahre nach Walsers Paulskirchenrede und sechs Jahre nach 2006.

 


[i] Hans Schafranek (1996): Im Hinterland des Feindes: Sowjetische Fallschirmagenten im Deutschen Reich 1942–1944, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Jahrbuch 1996, Wien: DÖW, 10–40, 24.

[ii] Schafranek 1996, 23f.

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