Wissenschaft und Publizistik als Kritik

Schlagwort: SA

Die Achse der Frommen

Achgut, 25.04.2007

Gestern starb der Gründer des ZDF, Karl Holzamer, im Alter von 100 Jahren. Ein echter Deutscher, ja ein „Neudeutscher“ war er, was jedoch gern verschwiegen wird, ist doch der katholische Bund Neudeutschland eher Signum fanatischer Religiosität, dem auch Nazis wie Hans Filbinger die Treue schworen. Vielmehr wird so an Holzamer erinnert: »Während des Zweiten Weltkrieges kam er als Bordschütze der Luftwaffe und Hörfunk-Korrespondent in viele Länder. Das habe seinen Horizont sehr erweitert, sagte er selbst, aber auch: ›Nur mit meiner absolut christlichen Haltung konnte ich Front machen gegen die schrecklichen Erlebnisse im Krieg‹«, wie die Augsburger Allgemeine stolz verkündet. Was ist von einem Menschen zu halten, der den Zweiten Weltkrieg als ›Bereicherung seines Horizonts‹ grotesk überhöht und affirmiert?

Durch ein Zeltlager in Oranienstein 1931 wurde der

»Zusammenhalt der Neudeutschen bestimmt und die Mitträger der Politik der Bundesrepublik direkt oder indirekt beeinflußt (Rainer Barzel, Bernhard Vogel, Hans Filbinger, Josef Jansen, Hans Puhl, Josef Stingl, Peter Nellen, Bruno Heck – wieder nur einige aus dem eigenen Erfahrungsbereich vor und nach dem Kriege). An anderer Stelle habe ich in diesem Zusammenhang von einem Erlebnis berichtet, das ich während des Krieges als Luftwaffenangehöriger in Sizilien hatte (1942). Bei einer Meldung bei einem Gruppenkommandeur auf einem mir noch nicht bekannten Flugplatz sprach mich ein Fähnrich, der mit anderen Offizieren dabeistand, an: ›Ich kenne Sie, Herr Leutnant, vom Leuchtturm‹ [einer Zeitschrift dieses Bundes Neudeutschland]. Eine eindeutige Erkennung zwischen uns, ein Geheimcode für die anderen.«

»Die nachwirkenden Erfahrungen des Kaiserreichs, zumal bei den Eltern vieler Neudeutscher, die Ungerechtigkeiten des Diktatfriedens von Versailles und das Drängen der Jugendbewegung nach freier natürlicher Entfaltung schufen ein z. T. gebrochenes Verhältnis zur Weimarer Republik – auch innerhalb des Bundes (…)«.

Dieses gebrochene Verhältnis, an welches der nun 100jährig verstorbene Karl Holzamer, erster und langjähriger Intendant des ZDF, 1985 erinnerte, hat die von ihm bewunderten Leute wie Hans Filbinger zu echten Nazis gemacht. Klar, dass auch der Neudeutsche Katholik Karl Holzamer nur Gutes über sich hören wird beim Abschied in der Kirche. Was seinen katholischen Bund Neudeutschland ideologisch kennzeichnete wird in dem folgenden Beitrag deutlich.

»Schutz der Volksgemeinschaft« vor »Glück«, der »Denkweise des Liberalen« und »gutem Essen an beliebigem Ort« oder:

Hans Filbinger war ein Nazi

Wenig bekannte Quellen des katholischen Bundes Neudeutschland

Von Dr. Clemens Heni

»›Der Nationalsozialismus hat weder im Individualismus noch in der Menschheit den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, seiner Stellungnahme und seiner Entschlüsse. Er rückt bewusst in den Mittelpunkt seines ganzen Denkens das Volk.‹ (Adolf Hitler beim Erntedankfest auf dem Bückeberg, 1. Okt. 1933)«.

So heißt es in einem Vorspann zu dem Artikel »Volk als Begriff und Aufgabe« von Rolf Fechter (Jg. 1912) in den Werkblättern von Neudeutschland Älterenbund.1 In der gleichen Ausgabe schreibt auch Hans Filbinger seine ersten persönliche Betrachtungen über diese Neudeutschen, vgl. unten. Fechter betont, dass Hitler oder Goebbels dem Begriff Volk wieder einen gleichsam ›deutschen‹ Sinn gegeben haben:

»›Volk‹ meint in dem Sinn, in dem heute das Wort wieder erwacht ist, nicht mehr ›Untertanen‹, nicht mehr ist ›Volk‹ politisches Gegenstück zur Obrigkeit, auch nicht mehr soziales Gegenstück zu den ›oberen Zehntausend‹, — es ist weder Untertanenschaft, noch verfassungspolitische Gruppe, noch Klasse.«2

Prima, endlich erhält das Wort Volk seine positive Bestimmung wieder, jubilieren nicht nur deutsche Katholiken. Ein längerer Abschnitt befasst sich daran anschließend mit der »Judenfrage«, na klar. Ist wirklich jeder Deutscher ein Deutscher, fragt man sich nicht nur aber vor allem im Jahr 1933:

»Katholizismus ist Religion, nie Volkstum – Judentum aber ist Volkstum (Judentum ist das als Nation ›auserwählte Volk‹!). Ist nun dieses Volkstum Bereicherung oder Schaden, Sprengkörper für die Nationen?«

Das ist doch mal eine freundliche Offenheit, nicht wahr? Ganz diskursiv wird hier katholischerseits im Filbinger-Blättle Werkblätter des Bundes Neudeutschland gefragt ob Juden harmlos, deutsch oder vielleicht Sprengkörper seien. Weiter geht’s im Text:

»Zweifellos zeigt die Praxis, dass es viele Juden gibt, die echt deutsch sind und fühlen, die für das Deutschtum, für deutsche Wirtschaft und Wissenschaft viel getan und die auch ihr Blut geopfert haben – man würde bitteres Unrecht tun, wolle man dies leugnen, – aber wer objektiv ist, sieht auch, dass gerade bei den Mächten, die Sitte, Volksgesundheit und Volkstum unterhöhlen und vernichten (wie etwa bei einer gewissen Presse, beim internationalen Kapital us.), das jüdische Element in ganz hervorragendem und in ganz auffällig starkem Maße beteiligt ist. Das sind Dinge, die zu denken geben«

und denken, ja nachdenklich werden ist doch was Gutes, oder nicht? Diese Katholiken liegen ihrem „Denken“ 1933 jedenfalls voll im Trend. Der Zeitgeist hat einen Namen: »Bund Neudeutschland«, ob explizit unter diesem Banner fahrend wie anno 1933 – oder etwas verbrämter, verdruckster, evangelischer oder antiimperialistischer ausgedrückt: »Für eine Welt ohne G8«….

Doch bleiben wir jetzt einmal bei den ›völkischen Aufgaben‹ im Jahr 1933: Diese zitierten antisemitischen Fragen stellt ein guter Kollege, ›Kamerad‹ oder ›Bruder‹ Hans Filbingers ganz zu Beginn des Nationalsozialismus. Heute wollen der Öffentlichkeit nun die CDU und ihre Freunde weismachen, Filbinger sei tief im Herzen – trotz späterer NSDAP-Mitgliedschaft – kein Nationalsozialist gewesen, wie der Leiter des Studienzentrums Weikersheim, ein Prof. Bernhard Friedmann, im Fernsehen am 19. April 2007 faselte. Denn was anderes als faseln ist es? Es ist ganz etymologisch »Wirrwarr« oder auch »dummes Zeug« oder auch »Herumgeblasenes« was dieser Leiter von Weikersheim da aus seinem Mund hat kommen lassen auf Phönix.

Die glühenden Herzen Filbingers oder Fechters oder anderer im Bund Neudeutschland sollten jedoch wahr- und ernstgenommen werden in ihrem die ›Deutsche Revolution‹ unterstützenden Einsatz für Deutschland und gegen die Juden, ›Wehrkraftzersetzer‹, Kommunisten, Sozialdemokraten, Anarchisten, Liberalen, Areligiösen, Unternehmer und andere, die nicht ›arteigen‹ drauf waren. Wer ernst genommen werden möchte (also nicht Oettinger, Schönbohm, Pflüger, Kauder, Mappus, Schavan oder gar Brunnhuber heißt) bei der Beurteilung der politischen Stimmung im neuen Deutschland seit dem 30. Januar 1933 muss sich diese Quellen anschauen.

Die Neudeutschen denken rassebiologisch:

»Aufgaben nach innen. Die Träger des Volkstums sind Menschen, gesunde körperliche Grundlage ist Vorbedingung gesunden Volkstums. Hier liegt die ›völkische Aufgabe‹ der Ärzte. Das von der Reichsregierung jüngst erlassene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses darf vom Standpunkt der Volksgesundheit aus nur begrüßt werden.«3

»Wer an den Volksgedanken glaubt, der glaubt an die Aufteilung der Welt in Völkern, von denen jedes seine Aufgabe hat, von denen jedes wieder Glied eines großen Ganzen ist. Der Reichsgedanke wird nur dann leben können und nicht in Utopie oder Imperialismus ausarten, wenn er den Volksgedanken bejaht und in sich schließt«.4

Jetzt aber möchte ich zum ersten Mal Han[n]s Filbinger selbst zu Wort kommen lassen, als Teenager:

»Aus einem ›Jüngerenkreis‹ (…) Du fragst nach dem tatsächlich Stattgehabten in unserm Kreis? Zuviel darfst Du da nicht erwarten: Was wir getan haben, war ein Anfangen, wesentliche Menschen zu werden. Darum suchten wir Beziehung zu finden zu Ganzheitswerten wie Kunst, Gemeinschaft, Natur, Religion. Alles war bescheidenes Beginnen«.5

»Es ist schon sehr spät, da zieht die gleiche Gruppe – manche stecken schon im Schlafanzug mit Mantel drüber – auf den Schloßberg. Unterwegs wirds immer stiller, keiner spricht mehr. Es ist eine sternenhelle Nacht. Unten in Freiburg brennen nur noch wenige Lichter, der Münsterturm steht wie ein ragender Schatten. Wirklich andächtig singen wir vom Gipfel aus unsere schönsten Lieder. – Romantik und Ausgelassenheit, – auch das ist zuweilen notwendig und schön. Zum Abschluß unseres Einführungskreises sitzen wir im Hof unseres Heims in der Laube. Alles klingt noch einmal zusammen, was der Kreis gewollt hatte in seiner Mittlerrolle zu Gruppe und Bund und echtem Menschsein. Mannheim/Freiburg i. B. Dein Hanns Filbinger.«6

Filbinger auf dem Weg zu ›echtem Menschsein‹ auf dem Freiburger Schlossberg. Der ›Max‹, an den Filbinger, oder das kleine Hänslein diese Eindrücke adressierte, ist Dr. Max Müller, Neudeutscher wie Hans, der spätere Marinerichter.

In der nächsten Nummer der Werkblätter, im Herbst 1933, schreibt Müller:

„Echtes Soldatentum aber hebt nicht die Freiheit personaler Entscheidung für uns auf, sondern setzt sie voraus. Der Neudeutsche Hochschüler ist nicht nur SA-Mann, er ist SA-Student: d.h. mit der soldatischen Unterordnung unter den Führer und seinen Befehl verbindet er das Wissen um den geistigen Auftrag, den er nicht aufgeben kann, ohne sich aufzugeben. Nationalsozialistische Staatsform: das bedeutet nicht ›autoritärer Staat‹, ›Absolutismus‹ und ›Diktatur‹, sondern das bedeutet in erster Linie ›Völkisch-Sozialistischer Staat‹. In ihm ist die politische Autorität und Verantwortung wohl in einem unerhörten Maße beim Führer, der sie sich in 14-jährigem Kampfe erkämpft hat.“7

In der heutigen Diskussion über Filbinger, seinen Enkel Oettinger wird überhaupt nicht erkannt, welch völkische Weltanschauung dieser katholische Bund Neudeutschland propagiert hat in der Zeit des Nationalsozialismus bzw. schon davor. Es wird meist von der ideologischen Vordenkerfunktion dieses Bundes abgesehen.

Zudem: Gerd Langguth z.B. meinte auf Phönix am 19.04.2007, dass nach »unseren heutigen moralischen Maßstäben« Todesurteile für Deserteure »nicht tragbar seien«. ›Nach unseren heutigen moralischen Maßstäben‹, na dann. Bettina Gaus hätte auch gerne, dass Filbinger »in Ruhe« im Grabe liegen möge, Oettinger hätte einfach den Nazismus Filbingers auf sich beruhen lassen sollen und nicht irgendetwas zu dieser Zeit sagen. Dann wäre alles gut, auch für die jedweder Hetze gegen Israel und die Juden von heute so aufgeschlossene taz.

Eine Etymologie des Deutschen harrt immer noch ihrer ideologiekritischen Ausarbeitung. So wäre zu überdenken, ob nicht das Wort ›eigenartig‹ eine völkische Kampfvokabel ist und nichts anderes, abgeleitet von seinem Nomen:

»Ohne Gemeinschaft mit dem Volk, ohne ein Wissen um die Eigenart des Volksgeistes und der ihm eigentümlichen Kräfte kann der Aufbau einer neuen Kultur und eines neuen Reiches nicht erfolgen. Deshalb sagten bei einer Feier ›Das deutsche Volk im deutschen Raum‹ die Vertreter der wichtigsten deutschen Stämme und Landschaften, was diese an wertvoller Eigenart aufweisen und heute zu geben haben.«8

Ein Karl Giess sagt bereits gegen Ende der Weimarer Republik im Jahr 1932, offenbar den NS-Staat gedanklich vor Augen, in einer völkischen Hetze gegen gutes Essen:

»In der Sache z.B. stärkere Berücksichtigung von Heimatboden und Volksgemeinschaft; denn meine Beziehung zum Vaterland geht über den Mutterboden, auf dem ich zu Hause bin und meine Beziehung zum Gesamt-Volk über meine engere und weitere Nachbarschaft. Die Hinkehr des Volkes zum Nationalismus ist zugleich eine Abkehr vom Sozialismus-Bolschewismus, der den Menschen zu einem internationalen (außerhalb der Nation stehenden) aus Boden und Familie entwurzelten Allerweltsbürger macht, dessen Grundsatz lautet: ›Wo ich gut zu essen bekomme, fühle ich mich zu Hause‹ (Ubi bene, ibi patria).«9

Dieser gleichsam auch orale Kosmopolitismus (welcher wortwörtlich nicht unbedingt ›Essen‹ heißen muss), der aus dem Spruch Ubi bene, ibi patria Ciceros zu hören ist und auch von dem Humanisten Erasmus von Rotterdam (1466-1536) positiv übernommen wurde, wird hier bereits zu demokratischen, Weimarer Zeiten, rabiat abgewehrt und ein Nationalismus auch beim Essen eingefordert. Eine Hetze gegen ›entwurzelte Allerweltsbürger‹ kennzeichnet also diesen Bund Neudeutschland schon vor 1933! Ein Nationalismus der Alltäglichkeiten, wie er Hans Filbinger gefallen hat. Singen, Jauchzen, Essen, alles nur auf katholischer, ›reiner‹ deutscher Erde, so soll es offenbar sein.

Im ersten Heft des 7. Jg., im Mai 1934 heißt es dann in den Werkblättern:

»Es stärkt uns dabei das Wissen, dass die echte Form des Nationalsozialismus, wie ihn der Führer vertritt, ›auf dem Boden positiven Christentums steht‹ (so auch Reichsminister Dr. Goebbels wörtlich in einer Rede in Düsseldorf am 25. April 1934).«

In einer längeren Buchbesprechung des Werkes »Der Individualismus als Schicksal« von Otto Miller, 1933 erschienen, schreibt Rolf Fechter:

»Das Zeitalter des Individualismus, dessen Anfänge man mit dem spätmittelalterlichen Nominalismus einsetzen lassen kann, ist in seine vielleicht entscheidende Krisis gekommen. Einsichtigen, vor allem Katholiken, war es von Anfang an nicht ungewiß, dass diese Krisis kommen musste, ob auch solche Gewissheit bis vor kurzem von vielen, die heute am lautesten davon reden, weidlich verspottet und hochmütig belächelt wurde. Mit dem Durchbruch des Nationalsozialismus ist ein entscheidender Schlag geführt worden. Aber man darf nicht glauben, dass der Geist des Individualismus schon ausgetrieben sei: zu viele sind es, die – falls sie nicht dem andern Extrem, dem aus gleicher Wurzel kommenden Kollektivismus, verfallen sind – ihren alten Adam in die neue Zeit hinüberzuretten verstanden, wenn sie ihm auch ein andersfarbiges Mäntelchen umgehängt haben.«10

Der Nationalsozialismus wird hier gefeiert in seinem Kampf gegen den Individualismus im Jahr 1934, bei Filbinger heißt es dann im Jahr 1998 im Studienzentrum Weikersheim, einem Think-Tank, welches immer noch nicht geschlossen ist:

»Die Stichworte ›Emanzipation‹, ›Demokratisierung‹, ›Selbstverwirklichung‹, ›Verweigerung‹, ›antiautoritäre Erziehung‹ u.a. verwirrten die Köpfe der Studenten und führten zu den bekannten Exzessen.«11

Eine »Feierstunde« von 20 Seiten Umfang (von Emil Maubach, »Rheinisches Christentum«) lobt der spätere Botschafter der BRD, Rolf Fechter, 1934 und jubelt:

»Sie wären es wert, in einer echten ›Stunde der Nation‹ dem ganzen deutschen Volk zugänglich gemacht zu werden (zumal da die ganze Anlage den Anforderungen des Rundfunks ausgezeichnet entspricht). Die Feierstunde bringt es jedem Unvoreingenommenen wieder deutlich zum Bewusstsein, wie sehr germanisches mit christlichem Wesen gerade im Rheinland zu einer großartigen Synthese verschmolzen ist.«12

Auch das ist ein Hinweis darauf, dass germanische Religiosität, Katholizismus, Protestantismus und andere Facetten im Nationalsozialismus auf ihre je unterschiedliche Weise die antijüdische Volksgemeinschaft zu kreieren vermochten.

Dieser Emil Maubach hat darüber hinaus in einem weiteren Beitrag Vorschläge zur Erziehung der Jugend zu bieten, die aufhorchen lassen:

»Sicherlich ist Jazz Zeichen und Frucht einer Krisenzeit. Aber ein Mensch mit Fleisch und Blut und Herz kann seelisch nicht dauernd in Krise und Destruktion leben. Im Tanz zeigt sich das an der Hartnäckigkeit, mit der sich die alten Wienerwalzer neben dem Jazz behaupten oder an dem Erfolg der ›Dorfmusik‹ im vergangenen Winter.«

Und weiter:

»Wenn wir bei unseren geselligen Zusammenkünften nur modernen Gesellschaftstänze tanzen, so muß das auf die Dauer eine Überbetonung der Erotik und vor allem eine Verkümmerung echt tänzerischen Empfindens zur Folge haben. Es soll hier nicht einer einseitigen und engherzigen Ablehnung der Jazztänze das Wort geredet werden. Sie enthalten oft eine treffliche Art Humor und Karikatur. Hier steckt ihr offensichtlicher Wert. Wenn man aber bedenkt, dass neben diesem positiven Gehalt den modernen Tänzen große Mängel tänzerischer, seelischer und volklicher Art anhaften, so erscheinen sie als höchst ungeeignet, jungen Menschen als Mittel der oft ersten engeren Fühlungnahme mit dem anderen Geschlecht zu dienen. Die erotische Belastung der modernen Tänze läßt allzuschnell eine Atmosphäre aufkommen, die die Ehrlichkeit dieser ersten Begegnung der beiden Geschlechter gefährdet. Das Streben nach seelischem Kontakt wird allzu leicht umgebogen in den Wunsch nur noch Befriedigung oberflächlicher Reize zu suchen. Demgegenüber schaffen die Volks- und Jugendtänze durch den unbedingten Vorrang ihrer tänzerischen Werte und der darin symbolisierten Gemeinschaft und volkbildenden Werte einen Raum, in dem sich junge Menschen beiderlei Geschlechts unter Wahrung ihrer wesensgemäßen Eigenart begegnen können, was zur seelischen Reife des einzelnen Menschen von großem Wert ist.«13

Auch in diesem Zitat zeigt sich das Sendungsbewusstsein dieser katholischen Weltverbesserer und radikalen Ideologen des Bundes Neudeutschland, die sich anschickten den Alltag, Feste und Feiern ›deutsch‹ werden zu lassen, ja die ›wesensgemäße Eigenart‹ hervorzukitzeln. Wer sich anschaut, welche prominenten Positionen bekannte Vertreter dieses Bundes Neudeutschland z. B. in der Bundesrepublik einnahmen, an Universitäten, bei der Caritas, der Redaktion des Rheinischen Merkur, dem Bürgermeisteramt der Stadt Münster, der Bayerischen Akademie der Wissenschaften über das Auswärtige Amt14 bis hin zur Regierungsbank, dem wird bewusst wie stark so ein völkischer Jugendbund auch die politische Kultur im Post-Nazismus prägte.

Der spätere Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Syrien (1959-1963), Äthiopien (1969-1973) und Irland (1973-1977), Rolf Fechter, den ich schon mehrfach zitierte, sagt im typischen Duktus dieser fanatischen, katholischen Neudeutschen im Jahr 1934:

»Die nationalsozialistische Revolution hat der von uns immer bekämpften Vermanschung von Religion und Politik ein Ende bereitet, – darüber darf man sich nur freuen.«15

»Möge die innere Erneuerung, deren Ziele sich weithin mit denen des echten Nationalsozialismus decken, nicht wieder zugunsten einer falschen Frontstellung hinausgezögert werden, – die Lage ist so ernst wie schon einmal in der Geschichte der Kirche, da es zu jener unseligen Glaubensspaltung kam für die vielleicht mehrmals der offizielle Ketzer andere Menschen die Verantwortung tragen, denen die Augen zu spät aufgingen.«16

Dr. Max Müller, der Herausgeber der Werkblätter, selbstredend auch Heideggerverehrer, wiederum agitiert gegen französischen Universalismus und gegen Glück:

»Und wie das ideale Pathos der französischen ›Zivilisation‹, das Pathos der ›ewigen Menschenrechte‹ als absolut antipersonales, individualistisches ein gemeinsames Werk unmöglich macht, braucht auch nicht weiter geschildert werden. Dieses Naturrecht der französischen Revolution ist die Vollendung der liberalen Haltung. Es fordert nur für den Einzelnen, kennt weder ›Werk‹ noch Pflicht noch Bindung, nur ›Freiheit von‹ und Glück sowie eine alle Stände zerstörende Gleichheit.«17

Wer gegen ›Glück‹ und ›Zivilisation‹ hetzt ist natürlich ein Freund des und der Deutschen:

»Erst in der Staatsentwicklung und im Staatsdenken der neuesten Zeit wird der seit dem Ausgang des Mittelalters bestehende liberale Individualismus allmählich überwunden, und in einem neuen, völkisch fundierten Universalismus der echte Zusammenhang von Volk und Staat wieder echt erkannt und Staat wieder als die Erfüllung bestimmten Volkstums begriffen. Dadurch wird dem Staat seine hohe Würde zurückgegeben und er dennoch an das Wesen der Menschen, die ihn aufbauen, unlöslich normativ gebunden. (…) Im heutigen Deutschland sind verschiedenartige Ansätze zu einem neuen völkischen und ständischen Staatsdenken, wie wir es schon andeuteten, in den Werken Moeller von den Brucks, M.H. Boehms, Othmar Spanns, Rudolf Smends, Carl Schmitts, Otto Koellreuters und Reinhard Hoehns, sowie in dem Buch Adolf Hitlers ›Mein Kampf‹ vorhanden.«18

Neben späteren SS-Männern oder Mitgliedern des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes ist Hitlers Mein Kampf Basislektüre für diese Neudeutschen, somit auch für den gar nicht mehr so kleinen Hans Filbinger, immerhin bald 21 Jahre alt im Jahr 1934.

1935 schreibt Hans Filbinger einen programmatischen Artikel Nationalsozialistisches Strafrecht. Kritische Würdigung des geltenden Strafgesetzbuches und Ausblick auf die kommende Strafrechtsreform in den Werkblättern, aus welchem ich nun ausführlich zitiere. Die nationalsozialistische Ideologie Filbingers wird hier klar und unmissverständlich ausgebreitet:

»Schon seit Jahrzehnten ist eine lebhafte Problematik um unser geltendes Strafgesetzbuch entstanden. Das Gesetzbuch trat im Jahre 1871 in Kraft und ist durch die Entwicklung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens längst überholt. Das Bedürfnis nach einem Strafrechtsneubau wurde immer dringender, die Reformliteratur schwoll mehr und mehr an und schließlich wurde im Jahre 1925 dem Reichsrat ein Entwurf vorgelegt. Aber es kam nicht zum Gesetz und das war gut so. Denn dem Entwurf fehlte, genau so wie dem Reichsstrafgesetzbuch, die einheitliche weltanschauliche Grundlage. Es musste Forderungen der verschiedensten Weltanschauungsgruppen berücksichtigen und dies geschah auf Kosten der Klarlinigkeit und Geschlossenheit. Erst der Nationalsozialismus schuf die geistigen Voraussetzungen für einen wirksamen Neubau des deutschen Rechts und in der Tat sind die Arbeiten schon so weit vorgeschritten, dass das deutsche Volk in Bälde sein neues Strafgesetzbuch erhalten wird.«19

»Das geltende StGB, das von liberalem Geiste geschaffen wurde, stellte in den Mittelpunkt seiner Schutzbestimmungen das Individuum. Die Existenz des freien Einzelnen, dessen größtmögliche Freiheit von staatlichen Eingriffen und seine gesicherte wirtschaftliche Betätigung war das Ziel des alten StGB. Das nationalsozialistische Strafrecht. Für das nationalsozialistische Strafrecht dagegen wird der Schutz der Volksgemeinschaft an erster Stelle stehen. Der Einzelne wird nicht mehr als Einzelner, sondern als Glied der Gesamtheit gesehen und erhält als solches nur seinen strafrechtlichen Schutz.«20

»Diese Denkweise war dem Liberalen unbekannt. (…) Das Verbrechen gegen den Staat ist darum kein Schlag gegen eine bürokratische Institution, sondern Angriff gegen den Bestand der Volksgemeinschaft, also schwerstes Verbrechen, das die Rechtsordnung überhaupt kennt. ›Die erstarkte Staatsgewalt sieht in der Wachsamkeit gegenüber Angriffen auf ihren inneren und äußeren Bestand und in der Bereitstellung einer wirksamen Abwehr ihre erste Aufgabe.‹ Daher wurden die Hoch- und Landesverratsbestimmungen noch vor Erscheinen des Reformgesetzbuches durch Novellengesetze neugefasst. Sie enthalten gegenüber früher bedeutende Verschärfungen, vor allem durch die Androhung der Todesstrafe und die Schaffung neuer Tatbestände.«21

»Schutz der Blutsgemeinschaft.

Die Bestimmungen über Hoch- und Landesverrat schützen den Staat als rechtlich organisierte Volksgemeinschaft. Darüber hinaus muß diese aber auch in ihrem natürlichen Bestande und ihrem religiösen und sittlichen Anschauungsleben gesichert werden. Die Volksgemeinschaft ist nach nationalsozialistischer Auffassung in erster Linie Blutsgemeinschaft (d.h. das Blutselement gilt als fundierender als das geschichtliche, völkisch oder sprachlich-kulturelle Element). Diese Blutsgemeinschaft muß rein erhalten und die rassisch wertvollen Bestandteile des deutschen Volkes planvoll vorwärtsentwickelt werden. Die Denkschrift des preußischen Justizministers fordert daher Schutzbestimmungen für die Rasse, für Volksbestand und Volksgesundheit, darüber hinaus aber auch für die geistigeren Element des Volksseins: für Religion und Sitte, schließlich für Volksehre und Volksfrieden. Im Zusammenhang damit erhält auch die Familie im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Volksgemeinschaft einen umfassenden strafrechtlichen Schutz. Höhnische Herabsetzung der Ehe in Wort, Bild oder Schrift läuft dem Sittlichkeitsempfinden des Volkes ebenso zuwider, wie willkürliche Eingriffe in die Zeugungskraft oder das keimende Leben und wird daher unter Strafe gestellt werden.«22

»Der liberale Eigentumsbegriff, der eine unumschränkte Verwendungsfreiheit zum Inhalt hat, wird eine starke Einschränkung erfahren.«23

»Schädlinge am Volksganzen jedoch, deren offenkundiger verbrecherischer Hang immer wieder strafbare Handlungen hervorrufen wird, werden unschädlich gemacht werden. Das bisher geltende Strafrecht hat gegenüber solchen Schädlingen offenkundig versagt. Man vertiefte sich in das Seelenleben des Verbrechers, fand dieses durch Erbanlagen, Erziehung und Umwelt ungünstig beeinflusst und war mehr auf Besserung des – meist unverbesserlichen – Täters, als auf eine eindrucksvolle und scharfe Strafe sowie wirksamen Schutz der Gesamtheit bedacht.«24

Im Schlussabsatz dieses Artikels des späteren Marinerichters und noch-späteren langjährigen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik Deutschland heißt es:

»Über all dem Einzelnen der Strafrechtsreform darf aber nicht vergessen werden, dass ein Gesetz nur dann Eingang beim Volke findet, wenn es durch lebendige Richterpersönlichkeiten gesprochen und verkörpert wird. Das Richterideal der Aufklärungszeit vom ›Subsumptionsautomat, der bei Einwurf der Sachlage das Urteil abgibt, oder dem Manne, der nur Mund des Gesetzes ist‹ [Zitat von Heinrich Henkel: Strafrichter u. Gesetz im neuen Staat, S. 18] – besteht für uns nicht mehr. Das neue Recht verlangt den neuen Juristen, der aus Kenntnis und Verbundenheit mit dem Volke des Volkes Recht spricht. Mannheim. Hanns Filbinger.«25

Hans Filbinger ist wenige Jahre später dieser ›neue Jurist‹. Er kämpfte für ein ›rassereines‹ Deutschland, autoritär, völkisch und unerbittlich aggressiv. Sein ethnopluralistisches bzw. ›rassebasiertes‹ Verständnis von Recht sticht stark hervor und sekundiert natürlich Carl Schmitt. Aus so einem Filbinger, welcher den ›Schutz der Blutsgemeinschaft‹ einforderte, einen Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat herbei zu fabulieren, wie es der immer noch amtierende Ministerpräsident von Baden-Württemberg getan hat – denn es gibt nichts Lächerlicheres als eine Rede oder einzelne Worte daraus zurück zu nehmen – ist an Absurdität, Lüge, Infamie, Bevölkerungsverdummung und Geschichtsklitterung nicht zu überbieten.

Wer weiterhin behaupten möchte, und sei es z. B. als Berliner Antisemitismusforscher der Technischen Universität, die Bundesrepublik sei peu à peu weniger antisemitisch geworden die letzten Jahrzehnte, mag das weiterhin behaupten. Ernst nehmen muss man solche Forscher in Zukunft nicht mehr. Denn nur eine politische Kultur der Erinnerungsverweigerung lässt einen Oettinger vor 700 geladenen Gästen inclusive dem Bundesinnenminister das sagen, was er gesagt hat in Freiburg im Breisgau.

Im Heft Oktober 1937/Januar 1938 ist auf der Rückseite der Werkblätter wiederum Werbung für das Winterhilfswerk abgedruckt, diesmal mit Reichsadler und Hakenkreuz und dem Spruch »Der Sammler und Helfer des WHW steht freiwillig im Dienste des Volkes. Achte ihn durch dein Opfer!« oder aber: »Ein Volk hilft sich selbst« Winterhilfswerk 1938/39, wie es wenig später treffend heißt…

Ein Volk hilft sich selbst – das ist doch ein toller Wahlspruch auch für das post-NS-Deutschland. Kurt Georg Kiesinger, Nazi und Bundeskanzler der BRD, machte den Weg frei für den begeisterten Nazi und katholischen Bündler Filbinger als so called Landesvater im Ländle, dem wiederum von Günther Oettinger, definitiv kein NSDAP-Mitglied jemals, wie die jüngere Forschung erwiesen hat, durch dessen Totenrede geholfen wurde, die ›Eigenart‹ zu wahren und alles ›Volksfremde‹ abzuwehren, im Dom zu Freiburg. Die späteren salamitaktischen Rückzieher Oettingers konnte Filbinger nicht mehr hören. Er genoss die warmen, ihn und das Neudeutschland incl.

Weikersheim von jedem Fanatismus, Antisemitismus, Nazismus und Nationalismus exkulpierenden Worte seine Nach-Nach-Nachfolgers Oettinger. Wer exkulpiert alsbald Oettinger, der nicht nur die erste Strophe des Deutschlandliedes gerne singt, vielmehr 1998 gegen die kritische Wehrmachtsausstellung hetzte? Wer mag das bewerkstelligen in diesen schwierigen Zeiten, wo es für alle Zufriedenen und Affirmativen gilt die Erinnerung an die präzedenzlosen Verbrechen der Deutschen ein für alle Mal wegzuwischen, das Unvergleichbare zu vergleichen, zu bagatellisieren, nicht nur aber auch um Teheran seine Rechtfertigung für den kommenden Judenmord zu geben?

Wer also mag diese große Aufgabe in Angriff nehmen? Das schaffen nur die Baden-Württemberger. Bestimmt. Die können wirklich alles.

1 Rolf Fechter (1933): Volk als Begriff und Aufgabe, in: Werkblätter von Neudeutschland Älterenbund, Heft 7/8, 6. Jahrgang, Okt./Nov. 1933, S. 160-169, hier S. 160.
2 Ebd.: 161.
3 Ebd.: 167.
4 Ebd.: 169.
5 Hanns Filbinger (1933): Aus einem ›Jüngerenkreis‹, in: Werkblätter von Neudeutschland Älterenbund, Heft 7/8, 6. Jahrgang, Okt./Nov. 1933, S. 204-205, hier S. 204.
6 Ebd.: 205.
7 Max Müller (1933): Zum Geleit, Werkblätter 9/10, 6. Jg., Dez 33/Jan 34, S. 209–214, hier S. 211.
8 Rolf Fechter (1933a): Das Deutsche Volk im Deutschen Raum, in: Hans Puhl (Hg.) (1933): Bund Beruf Reich. Die Vorträge des Bundestags von Neudeutschland im Limburg a.d. Lahn 1932, herausgegeben im Auftrage der Bundesleitung, Godesberg: Neudeutschland-Älterenbund, S. 135–141, hier S. 135.
9 Karl Gies (1932): Nationale Haltung, in: Werkblätter, Heft 3, 5. Jg., Juni 1932, S. 55–63, hier S. 61.
10 Rolf Fechter (1934): Besprechung von Otto Miller…, in: Werkblätter, 1. Heft, 7. Jg, Mai 1934, S. 21-24, hier S. 21.
11 http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/clemens_heni/
12 Rolf Fechter (1934a): Besprechung von Emil Maubach, »Rheinisches Christentum«, in Werkblätter, 1. Heft, 7. Jg, Mai 1934, S. 32.
13 Emil Maubach (1934): Kritisches über das Tanzen, in: Werkblätter, Mai 1934, S. 36-41.hier S. 40.
14 Vgl. die Angaben am Ende des Bandes Rolf Eilers (Hg.) (1985): Löscht den Geist nicht aus. Der Bund Neudeutschland im Dritten Reich, Mainz (Matthias-Grünewald-Verlag).
15 Rolf Fechter (1934b): Kulturkampf oder innere Erneuerung?, in: Werkblätter, H. 2, Juli 1934, S. 55-58, hier S. 55.
16 Ebd.: 58.
17 Max Müller (1934): Bemerkungen über Liberalismus und Antiliberalismus, in: ebd., 3. Heft, Oktober 1934, S. 111-127, hier S. 127.
18 Max Müller (1934a):Staat, in: ebd.: 129-141, hier S. 140f.
19 Hanns Filbinger (1935): Nationalsozialistisches Strafrecht. Kritische Würdigung des geltenden Strafgesetzbuches und Ausblick auf die kommende Strafrechtsreform, in: Werkblätter, 7. Jg., H. 5–6, März/April 1935, S. 265–269, hier S. 265.
20 Ebd.: 266.
21 Ebd.: 267.
22 Ebd.
23 Ebd.: 268.
24 Ebd.
25 Ebd.: 269.

 

 

Deutsche moegen nur tote Juden, Islamisten gar keine

Dieser Text wurde zuerst auf www.juedische.at am 7. Oktober 2003 publiziert.

Wolfgang Dressen und das Ausstellungsprojekt ‚Ex-oriente‘ in Aachen
protegieren Antisemiten und Israelfeinde oder Henning Eichberg meets
muslim-markt.de

Mit einem offenen Brief hat eine Initiative gegen Antizionismus und
Antisemitismus Wolfgang Dressen, 1998 Initiator der Ausstellung
‚Aktion 3. Deutsche verwerten juedische Nachbarn‘, und die anderen
Verantwortlichen fuer die geplante Gross-Ausstellung Ex-oriente in
Aachen auf die antisemitischen, volksverhetzenden und
israelnegierenden Seiten von muslim-markt.de, zu denen extra ein link
auf der Ausstellungs-homepage ex-oriente.com geschaltet worden war,
hingewiesen. Doch warum sich explizit von Israelfeinden distanzieren,
wenn man selber eine offene Flanke zu Antisemitismus hat, wie Dressens
Publikationspraxis frueherer Jahre bis heute zeigt?

„Nie geraten die Deutschen so ausser sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen“ (Tucholsky)

1) Von der Konvergenz zur Koinzidenz: Lechts und rinks gegen Israel und die Juden

Es geht mir hier darum zu zeigen, wie im 21. Jahrhundert in der BRD
die Erinnerung an die Shoah, die Vernichtung von 6 Millionen Juden
durch Deutsche im Nationalsozialismus nahtlos uebergehen kann in die
Unterstuetzung antizionistischer, israelfeindlicher Gruppen.

Es geht, wie es kuerzlich Yossef Levi, Attaché fuer
Oeffentlichkeitsarbeit der israelischen Botschaft in Berlin, gesagt
hat, darum: die Deutschen moegen die Juden des 27. Januar, keineswegs
aber die des 28. Januar. Ein Jude ist Opfer, wenn er beginnt sich zu
wehren, hoert der Spass auf. Wolfgang Dressen, einer breiteren
Oeffentlichkeit bekannter geworden durch die von ihm konzipierte
Ausstellung „Betrifft: ‚Aktion 3‘. Deutsche verwerten juedische
Nachbarn“, steht hier exemplarisch fuer die Offenheit der alt-68er
fuer sowohl neu-rechte Ideologeme als auch islamistisch,
antizionistisch-antisemitische Positionen und verbindet das mit seiner
Form der Erinnerung an den Holocaust.

Das werde ich an Hand der Publikationspraxis von Dressen waehrend der
letzten 15 Jahre und dem von ihm initiierten und fuer 2003 geplanten
neuen Ausstellungsprojekt „Ex-oriente“ in Aachen darlegen. Was
heutzutage in der BRD geschieht, ist die zunehmende Konvergenz, ja die
Koinzidenz, rechter und linker Positionen bezueglich Israel und den
Juden. Die einen hassten seit 1967 Israel, die anderen alle Juden.
Wolfgang Dressen, Linker seit Dutschkes Tagen, steht fuer diese
Konvergenz, was ich nicht nur am aktuellen Beispiel des
islamistischen, anti-israelischen muslim-markt zeigen werde, sondern
eben auch in den politischen Texten und Positionen Dressens in den
spaeten 1980er Jahren.

Zwei Exponenten nationaler Identitaet spielen die Hauptrollen: der
neu-rechte Vordenker Henning Eichberg und das volksnahe,
ressentimentgeladene schwaebisch-altfraenkische Grossmaul vom
Bodensee, Martin Walser.

2) ex-oriente.com verlinkt muslim-markt.de: „heutige Massaker viel schlimmer als Auschwitz“

Wolfgang Dressen wurde einer etwas groesseren interessierten
Oeffentlichkeit durch die von ihm zusammen gestellte Ausstellung
„Betrifft: ‚Aktion 3‘. Deutsche verwerten juedische Nachbarn“
bundesweit bekannter. Linke, antifaschistische Gruppen hatten diese
Ausstellung seit Anfang 1999 in mehreren Staedten gezeigt, oft mit
einem politischen oder kulturellen Begleitprogramm. Wichtig war den
Gruppen die voellig un-thematisierte Geschichte der oekonomischen und
massenhaft mitgemachten Entjudung Deutschlands.

In der Ausstellung werden Dokumente der Finanzbehoerden ausgestellt,
die zeigen, wie der Vernichtungsprozess der Juden bis hinein in
‚arische‘ Wohnzimmer in Koeln reichte. Dabei ist eine zentrale
Fragestellung, und das wurde ja schon zur Zeit der Goldhagen-Debatte
und der einhelligen Abwehr der Thesen Goldhagens durch die historische
Zunft der BRD und der linken Szene gleichermassen offenbar, welche
Motivation hinter der Vernichtung der Juden zu suchen ist.

Dressen jedenfalls ging einer weitergehenden Analyse des
nationalsozialistischen Antisemitismus konsequent aus dem Weg.
Wolfgang Dressen himself war es dann, der die „Initiative gegen
Antizionismus und Antisemitismus“
(Berlin/Bremen/Esslingen/Hamburg/Tuebingen) auf sein neuestes Projekt
aufmerksam machte. Das Insistieren auf einer Analyse des
Antisemitismus als dem konstitutiven Element des Nationalsozialismus
scheint ihn dennoch beschaeftigt zu haben, denn er meinte der
Initiative seine Beschaeftigung mit einem anderen toten Juden, dem
Juden Isaak, der im Auftrag Karls des Grossen Ende des 8.
Jahrhunderts u. Z. von Aachen in den Nahen Osten reiste und in Bagdad
einen weissen Elefanten geschenkt bekam, den er in Aachen ablieferte,
naeher bringen zu muessen und wies auf seine diesbezuegliche Homepage
ex-oriente.com hin.

Ob und warum sich mensch mit Karl dem Grossen in dieser Form
beschaeftigen soll, sei dahingestellt. Auffallend ist jedoch bereits
die Projektbeschreibung auf der Homepage. Es wurde anfangs
ausdruecklich davor gewarnt, Positionen fuer ‚heutige politische
Probleme zu instrumentalisieren‘, es solle ausschliesslich um das
8./9. Jahrhundert gegen. Dazu jedoch werden „KuenstlerInnen aus
Palaestina“ und dem „heutigen Israel“ eingeladen. Dass Israel
adjektivisch naeher bestimmt wird, Palaestina jedoch nicht, obwohl es
‚Palaestina‘ im Gegensatz zu Israel ja gar nicht gibt, laesst eine/n
schon hellhoeriger werden.

Soll die naehere Bestimmung Israels als heutiges andeuten, morgen
koenne Israel schon ganz anders aussehen? Z.B nicht mehr als
juedischer Staat? Oder ueberhaupt nicht mehr, was auf das Gleiche
hinausliefe? Hier also schon erste grosse Fragezeichen. Doch eine
Homepage hat noch weitere Moeglichkeiten, politische Inhalte zu
verbreiten. Z.B. die links zu anderen Pages. Davon waren 18 an der
Zahl geschaltet worden auf ex-oriente.com.

So wie es eine Strategie der Neuen Rechten ist, ihre Inhalte unter ein
moeglichst breites Publikum zu streuen, mit durchaus kontraeren
Positionen also z.B. in Sammelbaenden aufzutauchen, so ist auch diese
Homepage gebastelt. Neben wichtigen links u.a. zu hagalil.com,
zentralrat.de sind auch links geschaltet worden zu islam.de und
muslim-markt.de. Ich werde mich im folgenden ausschliesslich auf den
muslim-markt konzentrieren, da hier die antisemitische Propaganda am
deutlichsten hervortritt.

Diese antisemitischen, israelfeindlichen,
pro-Hizbollah – Seiten waren es, die die Initiatieve gegen
Antizionismus und Antisemitismus alarmierten und zu einem offenen
Brief (vom 22.03.2002) an Dressen, Frau Pfeiffer Poensgen,
Kulturdezernentin der Stadt Aachen und die anderen Verantwortlichen
der Ausstellung Ex-oriente (29.6.-28.9.2003 Aachen) mitsamt den
UnterstuetzerInnen, darunter ein NRW-Ministerium und die FH
Duesseldorf, veranlassten.

Muslim-markt.de ist eine Seite fuer Muslime von Muslime. Alles fuer
die Muslima bzw. den Muslim wird virtuell ausgebreitet: Frisoere fuer
Muslime, Essen fuer Muslime, Heiraten fuer Muslime, Buecher fuer
Muslime etc. Diesem homogen-religioesen, islamistischen Weltbild ist
nun ein politischer Impetus aeusserst wichtig: seit vielen Monaten ist
ein „Palaestina-Spezial“ zu lesen, das mit Karikaturen im
Stuermer-Stil arbeitet, und das alle antisemitischen Stereotypen fuer
das interessierte islamistische Publikum und seine anderen deutschen
Freunde bereithaelt.

Vom „Welteinfluss des Zionismus“ bis zum Juden mit Hakennase, der die
nah-oestliche Friedenstaube einfaengt, ist alles dabei. Dieses
Palaestina-Spezial, das zeitlich eindeutig vor der Page ex-oriente.com
im web online zu lesen war, spricht ausschliesslich vom „Pseudostaat
Israel“:

Muslim-markt schreibt weiter:

„Die Arbeiten richten sich ausschliesslich gegen die Verantwortlichen des Zionismus und des Pseudostaates ‚Israel‘, der auf Unrecht aufgebaut ist.“

Vor diesem Hintergrund muss die vorsorgliche Distanzierung der Anbieter vom
Nationalsozialismus und dem Antisemitismus als blosse Schutzbehauptung
vor strafrechtlichen Konsequenzen gelten, was ja auch in der rechten
Szene durchaus ueblich ist. Der „Muslim-Markt“ distanziere sich von
„Hitler, seinen Graeueltaten und jeglichem Nazi-Gedankengut“, heisst
es.

Neben den „historischen Graeueltaten“ verurteile man jedoch „viel
intensiver die Massaker unserer Zeit, die aufgrund von rassistischen
Motivationen erfolgen.“ Auschwitz, die Vernichtung von sechs Millionen
Juden durch deutsche Taeter soll also eine „historische Graeueltat“
gewesen sein, die weniger „intensiv“ zu verurteilen ist als „die
Massaker unserer Zeit“, die selbstredend den Israelis angehaengt
werden. Dieser Punkt ist zentral, denn eine Verharmlosung von
Auschwitz ist fuer Antisemiten Grundtopos und taucht auch bei der
Neuen Rechten bzw., wie gebrochen auch immer, der politischen Kultur
der BRD der letzten Jahre insgesamt sehr deutlich hervor.

Weil man „von den westlichen Medien“ nicht erwarten koenne, „dass
diese von den Demonstrationen gegen den Zionismus berichten“, stellt
‚Muslim-Markt‘ Fotos und Berichte „der Geschwister“ ins Netz, darunter
Abbildungen mit antiamerikanischen und antisemitischen Motiven. Von
dem aggressiv-militanten Hintergrund der Seiten zeugt auch die
Dokumentation eines Interviews mit dem Generalsekretaer der
terroristischen Hizbollah. Und als besonderen Service schliesslich
koennen sich die Leserinnen und Leser des „Muslim-Markt“ im
Download-Bereich den animierten Intifada-Bildschirmschoner
herunterladen, der – von Musik untermalt – zu Spenden fuer die
Intifada aufruft.

Gerade die Demo-Parolen, die auf muslim-markt zu lesen sind, erlangten
ja in den letzten Wochen, als bundesweit der voelkische Mob ‚fuer
Palaestina‘ mobilisierte, eine betraechtliche antisemitische
Aktualitaet. Doch auch dieser Hintergrund, die Tatsache, dass auch in
Aachen mit muslim-markt-Parolen wie „Israel-Kindermoerder“ auf den
Strassen agitiert wurde, aufgerufen hatten SPD, Gruene (die sich dann
distanzierten) und andere Vereinigungen der Palaestina-Solidaritaet
bzw. Israel-Feindschaft, veranlassten Dressen &Co. mit keinem Wort,
sich explizit von muslim-markt zu distanzieren, wie es die Initiative
am 22.03.202 gefordert hatte.

Seit dem 2.4.02 sind jedoch auf der Homepage von ex-oriente.com
ueberhaupt keine Links mehr geschaltet. Dies ist die Antwort der fuer
die Seite Verantwortlichen auf einen Brief des Duesseldorfer
Ministeriums fuer Staedtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes
NRW, dessen Forderungen der Initiative gegen Antizionismus und
Antisemitismus wie folgt vorab dargelegt worden waren:

„Wir haben die Organisatoren (von Ex-oriente, d.V.) mit heutigem Fax gebeten, unverzueglich missverstaendliche, antisemitische oder gar volksverhetzende Hinweise, insbesondere die von Ihnen genannten Links
aus der Homepage zur Ausstellung zu entfernen. Im uebrigen haben wir auch Herrn Prof. Dressen gebeten, zu den von Ihnen erhobenen Vorwuerfen Stellung zu nehmen“ (28.03.2002).

Die OrganisatorInnen haben auf die Link-Seite von ex-oriente.com
folgende Notiz platziert:

„Leider mussten wir dennoch erfahren, dass ein offener Umgang mit solch exponierten Positionen zum gegenwaertigen Zeitpunkt zu extremen Missverstaendnissen fuehrt. Wir wuerden uns freuen, wenn Sie uns im Forum Ihre Meinung zu dieser Entscheidung, die hier urspruenglich vorgesehenen Links nicht mehr anzugeben, mitteilen wuerden“.

Zuvor war die Link-Seite bereits mit einer Schutzklausel
versehen worden:

„Die folgenden Links sind ein Spiegel heutiger
Meinungsvielfalt, der Herausgeber der Seite ist fuer den Inhalt dieser Links nicht verantwortlich“ (28.03.2002).

Der Aufforderung, Verweise auf antisemitische und volksverhetzende
Inhalte zu loeschen, ist also 1. nur auf aeusseren Druck entsprochen
worden und 2. nur um den Preis alle Links, auch dezidiert
anti-antisemitische wie den zum Zentralrat der Juden in Deutschland,
zu loeschen. Mit der Loeschung der Links zu juedischen Seiten wird
gerade nicht Stellung bezogen zu den antisemitischen Seiten von
muslim-markt.de.

So hatte es die Initiative gegen Antisemitismus und Antizionismus dann
in einem zweiten offenen Brief (vom 16.04.2002) dargestellt und
erwartet, dass sich Dressen und die anderen Verantwortlichen von
ex-oriente.com wenigstens jetzt doch noch dazu verhalten wuerden. Doch
warum sich von Israelfeinden und Antisemiten distanzieren, wenn man
selbst mit neu-rechten, nationale Identitaet einfordernden und
Auschwitz verharmlosenden Positionen bestens vertraut ist?
Antisemitismus und Israelfeindschaft sind fuerderhin fuer Dressen &Co.
„Spiegel heutiger Meinungsvielfalt“.

3) Henning Eichbergs deutsches Deutschland in Dressens Niemandsland

Henning Eichberg ist einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten
in der BRD bzw. Europa. Er ist Schueler des SS-Hauptsturmfuehrers
Arthur Ehrhardt, der Bandenbekaempfungsspezialist im
Fuehrerhauptquartier und spaeter Begruender von Nation Europa war,
einer Nazi-Zeitung, die bis heute zu den auflagenstaerksten zaehlt.
Eichberg will in den 70er Jahren sich von der Rechten entfernt haben
und jenseits von links und rechts oder doch links engagiert sein.
Darauf sind viele reingefallen. Z.B. das bedeutende
Zeitschriftenprojekt Aesthetik und Kommunikation. Eichbergs
nationalsozialistische Theorie liegt seit 1978 in einem bekannter
gewordenen Baendchen auf dem Tisch: „Nationale Identitaet. Entfremdung
und nationale Frage in der Industriegesellschaft“.

Ohne hier das komplette Eichbergsche Modell vorstellen zu koennen,
reicht schon ein kurzer Blick hinein, zu dem auch Dressen faehig sein
muesste, um zu erkennen, wohin die Reise geht. „Wer von den Voelkern
nicht sprechen will, soll von den Menschen schweigen“ (S.13), bis
heute Slogan der rechtsextremen Zeitschrift ‚wir selbst‘, deren
wichtigster Autor Eichberg seit Jahrzehnten ist. „Ethnopluralismus
gegen Universalismus“ (S. 8), seit Jahren ein Grundtopos der Neuen
Rechten und rechtsextremistischer Parteien. Das kulminiert in dem von
der NPD und anderen organisierten Nazis seitdem gern benutzten
„Deutschland den Deutschen“, das „deutsche Deutschland“ (S. 105).

Für Dressen kein Grund, nicht jahrelang Eichberg zu veroeffentlichen,
mit Texten ueber Koerperkultur, Sport, Oekologie, neue soziale
Bewegungen etc. Genau das ist ja Strategie der Neuen Rechten in der
Folge von Alain de Benoist: den kulturellen Boden bereiten fuer die
voelkische Revolution. Gerade nicht parteilich organisiert sein, was
Eichberg natuerlich nicht hindert, gern bei der NPD bzw. deren Umfeld,
aufzutreten.

Wie soll es also noch verwundern, dass Dressen nichts
gegen islamistische Israelfeinde hat, wenn er Jahre zuvor mehrmals und
auch auf dezidierte Kritik hin einen so gefaehrlichen neu-rechten
Vordenker wie Henning Eichberg publizierte, der auf jede Art und Weise
versucht, Auschwitz zu relativieren, am besten mit der „Vertreibung
der Deutschen aus dem Osten“?

Auschwitz stehe fuer den „industriegesellschaftlichen
Volksgruppenmord“, der bis heute andauere. All diese Texte und
Hetztiraden waren bekannt, als Dressen Eichberg in der von ihm
wesentlich mit konzipierten und herausgegebenen Zeitschrift
Niemandsland, schreiben liess. Diese Zeitschrift hatte, wie spaeter
ans Tageslicht kam, mit Geldern aus dem Bundesinnenministerium (Bonn)
die Aufgabe, insbesondere die kulturelle Szene der DDR auf zu mischen
und zum Sturz der DDR beizutragen: Wiedervereinigung mit anderen
(Bundes)Mitteln. Eichberg scheint Dressen besonders am Herzen zu
liegen, laesst er ihn doch eine deftige Replik auf eine Kritik an der
Strategie und Ideologie der Neuen Rechten schreiben.

Eichberg: „Die Frage der deutschen Identitaet erhebt sich also aus dem
Niemandsland“, quasi jenseits von ‚kleinen politischen Einheiten wie
BRD oder DDR‘. Das Schlimmste an NS-Deutschland, das eine Art
„Buergerkrieg“ gewesen sein soll, ist die Mauer in Berlin:

„Die Deutschlaender sind Niemandslaender. Aus ihnen kann keine Identitaet erwachsen, die Bruechigkeit ist mitgeliefert. (…)

Die jahrhundertelangen Buergerkriege in Deutschland (Protestantismus gegen Katholizismus, Rechts gegen Links, Faschismus gegen Antifaschismus) haben sich – mit Besatzerhilfe – verstaatlicht und zu Beton verdichtet. Damit ist eine zusaetzliche Distanz zum Staat gegeben: Wer ‚Volk‘ oder ‚wir Deutsche‘ sagt, hat die herrschenden Ordnungen schon infrage gestellt. Das ist die deutsche Chance“.

Eichberg kann sein deutsches Potential voll ausschoepfen, wird er doch
von links und rechts gleichzeitig publiziert.

4) Auschwitz ist den Juden nicht zu verzeihen. Wolfgang Dressen sieht Martin Walser im TV

Ich moechte nun einen Blick werfen auf Walser, wie ihn Dressen in
Niemandsland wahrgenommen hat, im Jahr 1989. Dressen hat 1989 TV
geschaut und bei Lea Rosh den armen Martin Walser ganz allein dasitzen
sehen, wie er die DDR verfluchte und meinte, „dass seit Auschwitz noch
kein Tag vergangen sei, die Mauer sei das Ergebnis diese aktuellen
Geschichte, die durch diese Mauer jeden Tag neu bestaetigt wuerde“
. Die Deutschen als Opfer. Dressen schafft es en passant die deutsche,
nationalsozialistische Losung „Arbeit macht frei“ der Juedin Irene
Runge, die wie auch immer in dieser Sendung die DDR verteidigt hat,
unterzuschieben und verharmlost die KZs aufs Heftigste. Schon der von
Dressen wie selbstverstaendlich angefuehrte Vergleich der DDR mit dem
Faschismus in Chile seit 1973 ist totalitarismustheoretische
Propaganda. Im Vergleich mit Chile war die DDR ein Paradies. Bei
Dressen ist das jedoch, entgegen buergerlichem mainstream, nicht
wesentlich antikommunistisch motiviert sondern vielmehr
deutsch-national.

‚Nationale Identitaet‘, ganz wesentlich eine Wortschoepfung des
nationalrevolutionaeren Vordenkers der Neuen Rechten, Henning
Eichberg, ist movens fuer Dressen Geschichsklitterung.

Das was Dressen an Walser so wichtig empfunden hat, dass Auschwitz
schuld sei an der Mauer in Berlin, laesst tief blicken und ich moechte
es knapp mit Walser-Passagen von 1979 bzw. 2002 kontextualisieren.

Es ist mit keinem Wort Juergen Habermas‘ zu entschuldigen, dass er
1979 diese zwei Baende „Stichworte zur geistigen Situation der Zeit“
ediert hat. Martin Walser intoniert um was es geht: die „nationale
Frage“. Habermas Unfaehigkeit, kritische Theorie als Kritik zu lesen
und nicht als „unvollendete Moderne“ zu depotenzieren und gleichsam
mit dem Theorem der „Kolonialisierung der Lebenswelt“ die nationale
Kuschelecke zu evozieren, wird von Walser, damals DKP-Sympathisant,
sekundiert:

„Schlimmer als der geschmaehte Jargon der Eigentlichkeit
kommt mir der Jargon vor, in dem da geschmaeht wurde“.

„Aber ich muss zugeben, eine rein weltliche, eine liberale, eine vom Religioesen, eine ueberhaupt von allem Ich-Ueberschreitenden fliehende Gesellschaft
kann Auschwitz nur verdraengen. Wo das Ich das Hoechste ist, kann man Schuld nur verdraengen. Aufnehmen, behalten und tragen kann man nur miteinander“.

Hier hat der Satz ‚Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie
verzeihen‘ seine vollste Wirkungsmaechtigkeit erreicht:

„Auschwitz.
Und damit hat sich’s. Verwirkt. Wenn wir Auschwitz bewaeltigen koennten, koennten wir uns wieder nationalen Aufgaben zuwenden“(ebd., 48).

Das erfuellt alle Ansprueche, die ein ganz normaler
Bildungsbuerger-Deutscher nach Auschwitz und Treblinka so hat. Die
Frage stellt sich, jedenfalls mir, ob hier nicht Dressens Motivation
erkennbar wird, sich z.B. mit der ‚Arisierung‘ im Nationalsozialismus
zu beschaeftigen. Walsers Antrieb jedenfalls wurde von Adorno an einem
anderen exemplarischen Fallbeispiel schon vor 50 Jahren analysiert:

„Man darf wohl ohne Gewaltsamkeit einen Zusammenhang konstruieren zwischen der Betonung dessen, dass die Sprecherin eine ‚echte Deutsche‘ sei, und ihrer Identifikation mit der Schuld. Sie zieht aus dem in der Sprache der Diskussion ueblichen ‚wir‘ die Konsequenz: wenn man sich schon sehr stark als Glied des Kollektivs erfaehrt und daraus Befriedigung zieht, muss man auch fuer das Negative einstehen. Der Tenor kehrt wieder n der weiter unten angefuehrten Aussage jeder Frau,
die sagt, dass sie, wenn sie stolz auf Goethe sei, ebenso auch sich
als schuldbeladen wegen der Untaten an Juden fuehlen muesse“.

Heute bringt es in einer national-sozialistischen Sprache, die einem
den Atem verschlaegt, Walser selbst auf den Punkt: er stellt, wie
immer mit bebender Stimme, ‚altfraenkisch‘ und schwaebisch zugleich,
fest, „dass wir zur Volksgemeinschaft der Taeter gehoeren“. Wenige
werden die deutsche Sehnsucht nach einem zu rettenden „wir“ nach ’45
so auf den Punkt gebracht haben. Nicht trotz sondern wegen Auschwitz
bleiben die Deutschen eine „Volksgemeinschaft“. Das ist die Umsetzung
des Mottos „Unsere Ehre heisst Treue“(SS).

5) Die SA interpretierte den nationalen Sozialismus „rassistisch“,
aber sonst…

Wen Dressen so alles veroeffentlicht, welchen Raum er Neuen Rechten
und Freunden ‚grossdeutscher Loesungen‘ gibt, ist schon skandaloes
genug. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass er sich mit
keinem Wort explizit von den antisemitischen, volksverhetzenden und
israelfeindlichen Internet-Seiten von muslim-markt.de distanziert.
Ich gehe davon aus, und Dressen hat es ja auch so formuliert, solcher
anti-israelische Affekt sei „ein Ausdruck heutiger Meinungsvielfalt“.
Wer Antisemiten gewaehren laesst, unterstuetzt sie, nein, mehr noch:
wer Antisemiten, Weltverschwoerungstheoretikern und Israel-Hasser
einen Raum gibt und sich nicht explizit davon distanziert, ist selber
antisemitisch und israelfeindlich.

Das mag Dressen nicht hoeren, hat doch auch er, wie seine
Beschaeftigung mit der Enteignung der Juden im Nationalsozialismus
zeigt, sich intensiv mit den toten Juden des nationalsozialistischen
Deutschland abgegeben. So unterscheidet Dressen im Ausstellungskatalog
tatsaechlich zwischen einen guten und einem schlechten Nationalen
Sozialismus:

„Die SA bildete vor 1933 die ‚Bewegungsbasis‘ der
Partei. In ihr waren viele sozial benachteiligte Menschen organisiert, die den nationalen Sozialismus rassistisch verstanden, sich aber nicht in die staatliche Ordnung einbinden liessen und somit die legalistischen Interessen der Partei und des Staates behinderten. (…)

Am Boykottag wurde sozialer Protest kanalisiert gegen ideologisch definierte ‚Fremde‘. Aufgrund der weiterhin hohen Arbeitslosigkeit bestand die Gefahr, dass sich eine solche ‚Willkuer‘ auch gegen das ‚deutsche‘ Kapital richtete.“

Haetten die SA-Leute den Nationalen Sozialismus nicht rassistisch verstanden, dann waere Deutschland aus dem Niemandsland endlich zu sich selbst gekommen. Sozialer Protest des Volkes heiligt eben alle verbrecherischen Mittel, auch wenn sie in den
Vernichtungswahn gegen Juden muenden.

Die Vernichtung der Juden um ihrer Vernichtung Willen kann mit
interesse-geleiteten Versatzstuecken alt-marxistischer
Phrasendrescherei nicht verstanden werden, die Shoah wird in ihrer
Praezedenzlosigkeit negiert. Antisemitismus der ganz normalen
Deutschen kommt hier ueberhaupt nicht vor, nur der staatliche
Herrschaftsapparat und seine Protagonisten, deren weltanschaulicher
Antisemitismus auch nicht fokusiert wird.

Und wer schliesslich Kapitalismus als Spiel von Interessen verharmlost und nicht als sich
hinter dem Ruecken der Leute vollziehende Wertvergesellschaftung
dechiffriert; wer immer, wie verschluesselt auch immer, gegen das
‚Abstrakte‘ fuer das ‚Konkrete‘ agitiert; wer die „theologischen
Mucken der Ware“(Marx) noch nicht einmal zu erkennen versucht, wird
immer beim Ressentiment gegen ‚die Kapitalisten‘, die ‚Bonzen und
Banken‘ landen und ist immer strukturell antisemitisch.

Dressen geht es um nationale Identitaet, und da ist ihm die ‚deutsche
Revolution‘ von 1933, dieser grosse Aufbruch ins voelkische Zeitalter,
gerade recht. Leider haben Hitler und die anderen Parteifuehrer die
Interessen des ‚deutschen Kapitals‘ gewahrt und die deutsche
Revolution nicht ganz vollendet, will Dressen sagen. Gegen den Staat
und fuer das sozial benachteiligte deutsche Volk, d.h. „dem Volk
dienen“, das ist seine Utopie vom Nationalen Sozialismus.

Vom „Zivilisationsbruch“ (Diner) Auschwitz, von Erinnerungsabwehr der
Deutschen waere zu reden, doch Dressen, der exemplarisch fuer eine
ganze Generation von linken Deutschen steht, will davon nichts
wissen. In seinen oeffentlichen Projekten „ex-oriente“, „Aktion 3“ und
„Niemandsland“ schliesst sich jeweils Dressens ideologischer Horizont:
Sein Weg fuehrt von der Entschuldigung Deutschlands in der „Philippika an der Moderne“ hin zur Destabilisierung Israels und zum nationalen Projekt Deutschland.

Diese und andere Bilder aus muslim-markt.de:
Quelle:
http://www.muslim-markt.de/Palaestina-Spezial/bilder/bilder1.htm

Er meint es nur gut, ist gegen die Abbrechung voelkischer,
nationalrevolutionaerer Bewegungen und will einen nationalen
Sozialismus, der nicht wieder zu einer Mauer in Berlin fuehrt.
Deutsche meinen es immer nur gut, wenn sie zu sich kommen wollen.

„die juedische“ 07.10.2003 11:47

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